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Überzahlte Arbeitsvergütung – Entgeltrückforderung – Bereicherungsanspruch – Nettobetrag

ArbG Magdeburg – Az.: 6 Ca 1440/21 – Urteil vom 18.05.2022

1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 4.706,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.08.2021 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.706,70 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Zahlung von Urlaubsabgeltung in Anspruch.

Er ist Alleinerbe seiner am 07.06.2021 verstorbenen Ehefrau. Diese war bei dem beklagten Land seit 1993 als Lehrkraft beschäftigt und ab dem 05.11.2018 ununterbrochen arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 07.01.2019 teilte die Bezügestelle der Beschäftigten mit, dass sie einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur für sechs Wochen habe und die Zahlung von Krankenbezügen ab 17.12.2018 eingestellt werde. Gleichwohl kam es für den Zeitraum vom 14.07.2019 bis 29.02.2020 erneut zu Entgeltzahlungen an die Beschäftigte, die im März 2020 zurückgefordert wurden. Die auf dem Konto der Beschäftigten eingegangenen Nettobeträge wurden dem beklagten Land erstattet, nicht jedoch ein Betrag in Höhe von 4.706,70 €, der an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer betraf. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnete das beklagte Land die der Beschäftigten noch zustehende Urlaubsabgeltung ab, zahlte den sich ergebenden Nettobetrag jedoch in Höhe von 4.706,70 € nicht aus. Hinsichtlich dieses Betrages erklärte das beklagte Land mit Schreiben vom 22.12.2020 die Aufrechnung mit einem vorgeblich noch bestehenden Rückforderungsanspruch wegen der ohne rechtlichen Grund erfolgten Entgeltzahlungen.

Der Kläger beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 4.706,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Es vertritt unter anderem die Ansicht, der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch könne nicht auf den ausgezahlten Nettobetrag beschränkt werden. Auch in Höhe der vom Arbeitgeber versehentlich zu viel gezahlten und später zurückgeforderten Vergütung habe die Arbeitnehmerin Entgelt bezogen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gelangten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 18.05.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Dabei ergeben sich die Begründetheit der Hauptforderung aus §§ 1922 I BGB, 7 IV BUrlG und die der Zinsforderung aus §§ 291, 288 I BGB. Von der zwischen den Parteien dem Grunde und der Höhe nach nicht streitigen Urlaubsabgeltung sind 4.706,70 € nicht gezahlt worden. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes ist der Anspruch in dieser Höhe nicht infolge einer Aufrechnung mit einem Bereicherungsanspruch erloschen (§ 389 BGB). Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus §§ 812 I 1 Alt. 1 BGB. Danach ist, wer durch die Leistung eines anderen auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ihm zur Herausgabe verpflichtet. Dabei setzt die Bereicherung (“etwas erlangt“) auf Seiten des Begünstigten einen Vorteil voraus, der sein wirtschaftliches Vermögen vermehrt hat (BGH, NJW 1995, 54; Grüneberg-Sprau, 81. Auflage, § 812 BGB, Rn 8). Ein solches kann auch vorliegen, wenn der Bereicherungsschuldner von einer Verbindlichkeit befreit wird, allerdings nur, wenn dies mit schuldbefreiender Wirkung geschieht (Grüneberg-Sprau, 81. Auflage, § 812 BGB, Rn 10).

Die Voraussetzungen für einen Bereicherungsanspruch des beklagten Landes liegen nicht vor. Die Erblasserin hat zwar für den Zeitraum vom 14.07.2019 bis 29.02.2020 ohne rechtlichen Grund Entgelt erhalten. Eine Vermehrung ihres Vermögens ist jedoch nur hinsichtlich der ihr überwiesenen Nettovergütung eingetreten. Diese Beträge sind dem beklagten Land bereits im Mai 2020 zurückgezahlt worden. Die an das Finanzamt abgeführten Lohnsteuerzahlungen, deren Erstattung mit der Aufrechnung geltend gemacht werden, haben das Vermögen der Beschäftigten nicht unmittelbar vermehrt. Diese ist insoweit auch nicht von einer Pflicht zur Steuerzahlung befreit worden. Denn ebenso wenig, wie die Beschäftigte einen Anspruch auf die erfolgten Entgeltzahlungen hatte, war sie verpflichtet, für diese ihr nicht zustehenden Leistungen Steuern zu zahlen.

Der bereicherungsrechtliche Rückzahlungsanspruch bezieht sich lediglich auf den Nettobetrag (so zutreffend ArbG Rostock, DB 1998, 584; Deinert/Heuschmid/Zwanziger-Litzig, Arbeitsrecht, 10. Auflage, § 46, Rn 6; Küttner-Griese, Personalbuch, 27. Auflage, Entgeltrückzahlung, Rn 12; Groß, ZIP 1987, 5; Lüderitz, BB 2010, 2634; a.A. ErfK-Preis, 22. Auflage, § 611a BGB, Rn 416; Schaub-Linck, 18. Auflage, § 74, Rn 7 jeweils m.w.N.) Der Arbeitgeber ist bei einer Entgeltrückzahlung folglich gehalten, die darauf entfallenden Steuern unmittelbar vom Finanzamt zurückzufordern. Den Arbeitnehmer im Fall der Entgeltrückzahlung nur auf den Nettobetrag haften zu lassen, erscheint interessengerecht (ebenso Küttner-Griese, Personalbuch, 27. Auflage, Entgeltrückzahlung, Rn 13). Denn der Arbeitnehmer hat die Entgeltüberzahlung – sofern er diese nicht durch unzutreffende Angaben verursacht hat – regelmäßig nicht veranlasst. Ihm den Aufwand und das Risiko der Rückabwicklung in steuerlicher Hinsicht aufzubürden, erscheint deshalb nicht angemessen (vgl. Küttner-Griese, Personalbuch, 27. Auflage, Entgeltrückzahlung, Rn 14). Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitnehmer – wie im vorliegenden Fall – überhaupt keinen Anlass für die Entgeltzahlung und die Steuerabführung gegeben hat. Die Erblasserin war in dem Zeitraum, für den die Entgeltzahlungen erfolgt sind, schlicht weiterhin arbeitsunfähig und hat weder eine Arbeitsleistung erbracht, für die eine Vergütung in Betracht gekommen wäre, noch eine Entgeltzahlung ohne Arbeitsleistung beansprucht.

Der von dem beklagten Land geltend gemachte Bereicherungsanspruch ist im Übrigen nach § 814 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist nicht nur die positive Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt. Der Leistende muss aus den ihm bekannten Tatsachen zudem die im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung ziehen, nichts zu schulden, wobei allerdings eine entsprechende „Parallelwertung in der Laiensphäre“ genügt (BAG, NZA 2011, 220). So liegt der Fall hier. Die Bezügestelle, die die zurückgeforderten Entgeltzahllungen ausgelöst hat, hat gewusst, dass der Beschäftigten für den Zeitraum vom 14.07.2019 bis 29.02.2019 keine Entgeltzahlungen zugestanden haben. Denn sie hat mit Schreiben vom 07.01.2019 der Beschäftigten ausdrücklich mitgeteilt, dass diese einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur für sechs Wochen habe und die Zahlung von Krankenbezügen ab 17.12.2018 eingestellt werde. Damit hat die Bezügestelle gewusst, dass das beklagte Land der Beschäftigten ab 17.12.2018 keine Entgeltfortzahlung mehr schuldet. Anhaltspunkte dafür, dass diese Kenntnis bei den Zahlungen ab Juli 2019 nicht mehr vorgelegen hat, bestehen nicht. Sie sind von dem beklagten Land auch nicht, wie es im Rahmen einer sekundären Behauptungslast erforderlich gewesen wäre, vorgebracht worden. Ebenso wenig ist zu ersehen, aus welchem Grunde die der zutreffenden Erkenntnis, kein Entgelt zu schulden, zugrundeliegenden Tatsachen oder deren rechtliche Bewertung sich geändert haben könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 II ArbGG, 91 I ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 61 I, 46 II ArbGG, 3 ZPO.

Gründe, die Berufung – soweit sie nicht ohnehin nach § 64 II b) ArbGG eröffnet ist – zuzulassen, bestehen nicht.

 

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