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Urlaubsabgeltung  arbeitsunfähiger Arbeitnehmer

Arbeitsrecht: Urlaubsabgeltung für die Jahre 2016 und 2017 abgewiesen

In einem kürzlich ergangenen Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm wurde die Berufung eines Klägers, der eine Urlaubsabgeltung für die Jahre 2016 und 2017 gefordert hatte, zurückgewiesen. Der Kläger befand sich seit 2010 in einem Arbeitsunfähigkeitszustand und erhielt Leistungen von verschiedenen Sozialversicherungsträgern. Nach einem Gespräch im Jahr 2018 erhielt er eine Bescheinigung, dass sein Arbeitsverhältnis 2014 beendet wurde.

Direkt zum Urteil: Az.: 5 Sa 872/21 springen.

Arbeitsverhältnis und Urlaubsansprüche

Das Arbeitsgericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis mangels Einhaltung der Schriftform nicht vor der Eigenkündigung des Klägers vom 25.02.2021 beendet wurde. Es entschied jedoch, dass die Urlaubsansprüche für das Jahr 2016 und 2017 verfallen seien, da der Kläger sich nicht auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz der von der Beklagten behaupteten, von ihm initiierten, formwidrigen Beendigung zum 10.04.2014 durch konkludente Vereinbarung am 23.01.2018 berufen könne.

Treuwidrigkeit und Verfall der Ansprüche

Das Gericht befand die Berufung des Klägers auf eine unterbliebene Mitwirkungsobliegenheit der Beklagten für treuwidrig. Es stellte fest, dass beide Seiten nicht mehr von einem bestehenden Arbeitsverhältnis ausgegangen seien und der Kläger die Bestätigung der Beklagten mit einer Beendigung zum 10.04.2014 erhalten, nicht widersprochen und nunmehr behauptet habe, die Beklagte habe ihn nicht auf einen möglichen Verfall der Ansprüche aus den Jahren 2016 und 2017 hingewiesen.

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Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 5 Sa 872/21 – Urteil vom 17.02.2022

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 25.06.2021 – 4 Ca 2312/20 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2016 und 2017.

Der am 30.10.“0000″ geborene Kläger stand seit dem 01.08.1992 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Er erzielte zuletzt einen Stundenlohn von 12,49 EUR.

Aufgrund einer schweren Nervenschädigung an der linken Hand erlitt der Kläger eine Verkrümmung mehrerer Finger. Ab dem 04.01.2010 wurde seine Arbeitsunfähigkeit attestiert.

Am 03.09.2010 stellte die Beklagte als Versicherungsnehmerin einer am 01.07.1996 zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung in Form einer Direktversicherung bei der KARLSRUHER Versicherung und einer darin enthaltenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zugunsten des Klägers den Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Diese erhielt der Kläger in der Folgezeit.

Nach Aussteuerung durch die Krankenkasse am 03.07.2011 erhielt der Kläger für die Dauer von 12 Monaten Arbeitslosengeld I gemäß § 145 SGB III. Mit Wirkung ab dem 14.01.2013 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger eine Weiterbildung für den Beruf als Fachkraft für Gebäudewirtschaft als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Weiterbildungsmaßnahme endete am 11.07.2014. Während der Maßnahme erhielt der Kläger Übergangsgeld nach dem SGB VI. Mit Wirkung ab dem 05.05.2014 war der Kläger in der Rehabilitationsberatung der Deutschen Rentenversicherung. In der Folgezeit leistete der Kläger verschiedene Praktika und absolvierte in der Zeit vom 01.11.2016 bis zum 30.09.2017 einen beruflichen Integrationslehrgang der Stadt A, in dessen Verlauf er u. a. ein Praktikum bei den A Behindertenwerkstätten in der Zeit vom 01.04. bis zum 30.09.2017 durchführte. Mit Wirkung ab dem 01.10.2017 erhielt der Kläger zunächst dort eine befristete Beschäftigung bis zum 30.09.2018 und sodann mit Wirkung ab dem 01.10.2020 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der A Werkstätten gGmbH.

Aufgrund eines Gesprächs am 23.01.2018, nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis bei den A Werkstätten begonnen hatte, erteilte die Beklagte dem Kläger eine Bescheinigung, dass dieser am 10.04.2014 aus dem Unternehmen ausgeschieden sei (Schreiben der Beklagten vom 31.01.2018, Bl. 61 d. A.). Im Zuge dieses Gesprächs hatte der Kläger die Bescheinigung der KARLSRUHER Versicherung, in welchem diese nachfragte, ab welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beendet wurde, vorgelegt.

Mit Schreiben vom 26.09.2019 verlangte der Kläger die Abgeltung von je 30 Tagen Urlaub je Kalenderjahr für die Jahre 2016 und 2017 (Bl. 8 ff. d. A.). Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 02.10.2019 ab.

Eine zunächst am 09.12.2020 erhobene Klage auf Feststellung der Urlaubsansprüche für die Jahre 2016 und 2017 stellte er nach erfolgter fristloser Eigenkündigung vom 25.02.2021 am 15.03.2021 auf eine bezifferte Zahlungsklage um.

Der Kläger hat behauptet, durchgehend arbeitsunfähig gewesen zu sein. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Beklagte aufgefordert, ihm eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 10.04.2014 zu bescheinigen. Weder er noch die Beklagte hätten eine wirksame Willenserklärung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 25.02.2021 abgegeben. Bezogen auf die Urlaubsjahre 2016 und 2017 sei die Beklagte ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen. Selbst wenn sie über die Urlaubnahme am „schwarzen Brett“ in dem Betrieb informiert hätte, hätte er mangels Anwesenheit dies unstreitig nicht wahrnehmen können. Hierzu hätte die Beklagte jedenfalls im Gespräch am 23.01.2018 Gelegenheit gehabt. Da dem Urlaubsanspruch aus den Jahren 2016 und 2017 weder arbeitsvertraglich noch tarifvertragliche Ausschlussfristen entgegenstünden, bestehe ein Abgeltungsanspruch bezogen auf 60 Tage Urlaub nebst damit verbundenem Urlaubsgeldanspruch in Höhe von 50 %. Es errechne sich folglich angesichts einer 40-Stundenwoche bei 5 Arbeitstagen ein Urlaubsanspruch für 60 Urlaubstage von 5.995,20 EUR nebst einem Anspruch auf 50 % Urlaubsgeld des täglichen Urlaubsentgeltes in einer Gesamthöhe von 2.997,60 EUR.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.992,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe sich erstmals wieder im Januar 2018 gemeldet und um einen Gesprächstermin gebeten, in dessen Verlauf er unter anderem gebeten habe, ihm zu bescheinigen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem 10.04.2014 beendet wurde. Diesem sei man nachgekommen. In der Folgezeit habe man wiederum nichts vom Kläger gehört, bis zum Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 26.09.2019. Das Arbeitsverhältnis sei mit dem 10.04.2014 einvernehmlich beendet worden. Der Kläger habe um eine schriftliche Bescheinigung gebeten, dem sei man nachgekommen. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis noch Bestand gehabt haben sollte, stehe dem Urlaubsanspruch für die Jahre 2016 und 2017 entgegen, dass das Arbeitsverhältnis lediglich als leere Hülle bestanden habe. So habe der Kläger über Jahre hinweg sich nicht gemeldet und insbesondere auch nicht seine Arbeitskraft angeboten.

Sie informiere seit Jahren per Aushang darüber, dass der Jahresurlaub spätestens bis zum 31.12. zu nehmen ist. Hierauf seien die Mitarbeiter auch für die Urlaubsjahre 2016 und 2017 aufmerksam gemacht worden. Der Kläger sei nicht in einer 40-Stundenwoche, sondern in einer 36-Stundenwoche beschäftigt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hierzu hat es ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei mangels Einhaltung der Schriftform nicht vor der Eigenkündigung des Klägers vom 25.02.2021 beendet worden. Auch setze das Entstehen eines Urlaubsanspruchs lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraus, nicht dessen tatsächliche, inhaltliche Durchführung. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz der von der Beklagten behaupteten, von ihm initiierten, formwidrigen Beendigung zum 10.04.2014 durch konkludente Vereinbarung am 23.01.2018 berufen könne, seien die Urlaubsansprüche für das Jahr 2016 und 2017 verfallen.

Dem stünden auch nicht unterbliebene Mitwirkungsobliegenheiten der Beklagten entgegen. Zum einen bestünden diese nicht während eines Zeitraumes der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit. Zum anderen könnte sich der Kläger im vorliegenden Fall auf eine solche nicht berufen, da dieses treuwidrig sei. Aus welchen Gründen auch immer die Bescheinigung der Beklagten vom 31.01.2018 dem Kläger erteilt worden sei, zeige sie unmissverständlich, dass beide Seiten nicht mehr von einem bestehenden Arbeitsverhältnis ausgegangen seien. Es stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Kläger im Rahmen eines Gesprächs mit der Beklagten sowohl das Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vorlege, welches ausweist, dass er seit dem 11.04.2014 bis auf Weiteres arbeitslos geführt wird, als auch ein Schreiben der KARLSRUHER Versicherung, die ihn auffordert mitzuteilen, zu welchem Zeitpunkt sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten sein Ende gefunden habe, er daraufhin die Bestätigung der Beklagten mit einer Beendigung zum 10.04.2014 erhalte, nicht widerspreche und nunmehr behaupte, die Beklagte habe ihn nicht auf einen möglichen Verfall der Ansprüche aus den Jahren 2016 und 2017 hingewiesen. Da der Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld akzessorisch gestaltet sei, entfalle der Anspruch soweit kein Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung zu zahlen sei.

Wegen der weiteren Ausführungen wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 02.07.2021 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 26.07.2021 bei Gericht eingegangen Berufung, die er mit am Montag, 04.10.2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat, nachdem die Begründungsfrist bis zum 02.10.2021 verlängert worden war.

Hier führt er aus, die Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten des Arbeitgebers bestünden bei richtlinienkonformer Auslegung auch während einer Arbeitsunfähigkeit.

Das Verhalten des Klägers stelle sich auch nicht als treuwidrig dar. So sei der Kläger zu keinem Zeitpunkt von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen. Vielmehr habe er Ende 2017/ Anfang 2018 den Geschäftsführer der Beklagten nach einer Erlaubnis für die Tätigkeitsaufnahme bei den A Werkstätten gefragt, was gegen die Annahme einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits zum 10.04.2014 spreche. Auch habe der Kläger bereits erstinstanzlich darauf verwiesen, dass er regelmäßig ab 2013 Auskünfte der Karlsruher Versicherung zur Überprüfung seiner Berufsunfähigkeit habe erstellen müssen. Dieser Fragebogen habe von der Beklagten ebenfalls unterzeichnet werden müssen, weshalb der Kläger ihr diesen vorgelegt habe. Zumindest einmal habe er den Geschäftsführer auch nach einer möglichen Beschäftigung gefragt, was sowohl wegen der wirtschaftlichen Lage als auch der konkreten Situation des Klägers verneint worden sei. Auch dass der Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit geführt werde, führe nicht zu einem beendeten Dienstverhältnis. Dass der Kläger der Bestätigung der Beklagten, dass das Arbeitsverhältnis beendet sei, nicht widersprochen habe, begründe kein Einverständnis mit diesem Umstand.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn, Aktenzeichen 4 Ca 2312/20, verkündet am 25.06.202,1 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.992,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und bestreitet die von dem Kläger vorgetragenen Inhalte der Gespräche der Parteien. Sie führt aus, dass das Gespräch aus 2018 aus ihrer Sicht allein dem Zweck gedient habe, die vorgelegten Bescheinigungen zu erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und auch ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden.

II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

1. Die Kammer schließt sich zunächst den Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vor dem 25.02.2021 an und verweist insoweit auf die Entscheidungsgründe gem. § 69 Abs. 2 ArbGG.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2016 und 2017. Diese waren unbeachtlich einer unterstellten Verletzung der der Beklagten obliegenden Mitwirkungspflichten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs des Klägers am 31.03.2018 (Anspruch für 2016) und 31.03.2019 (Anspruch für 2017) erloschen, da der Kläger in diesen Jahren durchgehend arbeitsunfähig war und dieses auch in den Übertragungszeiträumen für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung geblieben ist, so dass diese vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses im Februar 2021 erloschen waren, weshalb keine abzugeltenden Urlaubsansprüche für diese Jahre mehr bestanden.

a) Seit der insoweit grundlegenden Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2012 entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Urlaubsansprüche bei langandauernder Erkrankung zwar nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des 31.12. des Kalenderjahres bzw. dem 31.03. des Folgejahres erlöschen sondern aufgrund richtlinienkonformer Auslegung erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (BAG, Urteil vom 07. August 2012, 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216-ff im Anschluss an EuGH 22. November 2011, C-214/10 ,[KHS]).

In dieser Entscheidung hatte der EuGH ausgeführt, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sei dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Als Begründung wurde hierzu ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, anderenfalls berechtigt wäre, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Ein Recht auf ein derartiges unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, die während eines solchen Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, würde jedoch nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen. (EuGH, Urteil vom 22. November 2011, wie vor, Rz. 29,30).

b) Aufgrund der späteren Feststellung des EuGH, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verliert (vgl. EuGH 6. November 2018, C-684/1, [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 61), hat das BAG in der Folge entschieden, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 BUrlG), erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen aus einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG resultierenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt, indem er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019, 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 ff, Rz 21, 22, 39).

c) Diese Mitwirkungspflichten bestehen auch während einer langandauernden Erkrankung, die sich über mehrere Jahre erstreckt.

Das BAG hat in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH vom 07.07.2020 (9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541 ff, Rn. 19 – 27) ausgeführt, die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers bestünden regelmäßig auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei. Sie könnten ihren Zweck erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vornherein absehen lasse.

Dem Arbeitgeber sei es möglich, den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben rechtzeitig und zutreffend über den Umfang und die Befristung des Urlaubsanspruchs unter Berücksichtigung des bei einer langandauernden Erkrankung geltenden Übertragungszeitraums zu unterrichten. Der Arbeitgeber sei nicht gehindert, den Arbeitnehmer rechtzeitig aufzufordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums gewährt und genommen werden könne.

Die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers seien auch nicht entbehrlich. Das Bundesurlaubsgesetz ermögliche es dem Arbeitnehmer mit den Regelungen in § 7 Abs. 1 und Abs. 2 BUrlG, durch seine Urlaubswünsche, die sich auf das gesamte Urlaubsjahr bzw. ggf. den zulässigen Übertragungszeitraum beziehen könnten, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden können. Die rechtzeitige Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten stelle sicher, dass der Arbeitnehmer die durch das Bundesurlaubsgesetz mit § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG intendierte Dispositionsmöglichkeit hinsichtlich des Zeitraums der Inanspruchnahme des Urlaubs nutzen und ab dem ersten Arbeitstag nach seiner Wiedergenesung Urlaub in Anspruch nehmen könne, sofern der Arbeitgeber nicht berechtigt sei, die Gewährung von Urlaub nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BUrlG abzulehnen.

Jedoch sei die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Der Zweck der aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG abgeleiteten Obliegenheiten, zu verhindern, dass der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch verliert, weil er ihn in Unkenntnis der Befristung und des damit einhergehenden Risikos des Erlöschens nicht rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht, bestimme nicht nur den Inhalt der rechtlich gebotenen Aufforderungen und Hinweise, sondern sei auch auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen.

Regelmäßig sei dem Arbeitgeber die Berufung auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs versagt, wenn er seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat, denn ein verständiger Arbeitnehmer hätte bei gebotener Aufforderung und Unterrichtung seinen Urlaub typischerweise rechtzeitig vor dem Verfall beantragt.

Anders verhalte es sich, wenn auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht hätte erreicht werden können, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Unter diesen Umständen sei es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Sei der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, seien nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch sei auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Könne der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung krankheitsbedingt nicht erbringen, werde ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er werde nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung sei deshalb rechtlich unmöglich.

Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit der durch den Gerichtshof gefundenen Auslegung des Unionsrechts. Die gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta bestehende Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer u.a. erforderlichenfalls mittels entsprechender Aufforderungen und Hinweise in die Lage zu versetzen, den Urlaub wahrzunehmen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45 f.), diene nach Feststellung des Gerichtshofs der Vermeidung einer Situation, in der die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert würde, während der Arbeitgeber die Möglichkeit erhielte, sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers seinen eigenen Pflichten zu entziehen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 43). Ein Arbeitnehmer, der während des Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig sei, könne seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben. Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Anspruchs sei – ohne dass es auf die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers ankäme – von vornherein ausgeschlossen, weil die Arbeitsunfähigkeit auf psychischen oder physischen Beschwerden beruhe und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig (BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547, Rn. 19 – 27 unter Verweis auf st. Rspr., vgl. EuGH 25. Juni 2020, C-762/18 und C-37/19, [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 66; 4. Oktober 2018, C-12/17, [Dicu] Rn. 32, 33 mwN).

aa) Diesen Ausführungen, mit denen der Entscheidung der hier entscheidenden Kammer (Urteil vom 24. Juli 2019, 5 Sa 676/19, juris) entgegengetreten wird, die dort ausgeführt hatte, dass die Mitwirkungsobliegenheiten in einem solchen Fall bis zur Wiedergenesung ruhen, schließt sich die Kammer nunmehr an.

Es ist daher für den hier zu entscheidenden Sachverhalt davon auszugehen, dass die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten für die Kalenderjahre 2016 und 2017 nicht nachgekommen ist. Aus diesem Grunde wurde auch die Urlaubsansprüche des Klägers entsprechend der Rechtsprechung des BAG zunächst auf das Folgejahr übertragen und unterlagen damit erneut dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG (BAG 19. Februar 2019, 9 AZR 423/16, Rn. 44). Das bedeutet, dass jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig wird und der Arbeitgeber auch in der Folgezeit seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachkäme, die Urlaubsansprüche bis zu einer Mitwirkungshandlung kumulieren würden.

Zu dem Fristenregime nach § 7 Abs. 3 BUrlG gehört aber bei richtlinienkonformer Auslegung nach den Ausführungen unter I.2.a) auch, dass die Urlaubsansprüche im Fall der über mehrere Jahre andauernden Erkrankung in jedem Fall 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen.

bb) Vorliegend hat der Kläger aufgrund der dauerhaft weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit für die vertraglich geschuldete Tätigkeit auch in den streitbefangenen Jahren nicht die Möglichkeit gehabt, Urlaub wirksam zu beantragen, da die Beklagte aufgrund der Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage gewesen wäre, diesen Urlaub durch Freistellung in natura zu erfüllen, da der Kläger bereits aufgrund der vorliegenden Arbeitsunfähigkeit von der Arbeitspflicht – unabhängig von den in diesen Jahren vorgenommenen Weiterbildungsmaßnahmen bei anderen Betrieben – befreit war.

cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den mündlichen Ausführungen des Klägervertreters im Kammertermin. Soweit diesen zu entnehmen gewesen sein sollte, dass die Beklagte gehalten gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch formal durch eine Kündigung zu beenden, da diesem dann die Urlaubsansprüche erhalten geblieben wären, verkennt er den Inhalt der Mitwirkungsobliegenheiten.

Diese sind, wie oben ausgeführt, dazu bestimmt, dem Arbeitnehmer die tatsächliche Verwirklichung des Urlaubsanspruches zu ermöglichen. Eine Verpflichtung, dem Arbeitnehmer einen Abgeltungsanspruch zu ermöglichen, ergibt sich hieraus nicht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

IV. Die Revision war für den Kläger zuzulassen, da es sich bei der Frage der Auswirkungen einer fehlenden Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers im Falle mehrjähriger Erkrankung des Arbeitnehmers um eine noch nicht durch das BAG entschiedene Frage handelt. Insoweit ist derzeit bei dem BAG ein Revisionsverfahren anhängig (Az.: 9 AZR 107/20) zu einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt (vorhergehend LAG Rheinland-Pfalz vom 15.01.2020, 7 Sa 284/19, juris). Da ein Einverständnis beider Parteien zur Aussetzung des vorliegenden Verfahrens im Kammertermin nicht erreicht wurde, war zu entscheiden.

Ein Aussetzungsgrund im Sinne des § 148 ZPO war nicht gegeben. Der Vorlagebeschluss des BAG (EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547) betrifft explizit die Frage der Auswirkungen einer fehlenden Mitwirkungspflicht im Fall des Eintritts einer Arbeitsunfähigkeit während eines Urlaubsjahres.

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