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Urlaubsabgeltung des Jahresurlaubs

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 22 Sa 10/17, Urteil vom 11.08.2017

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.11.2016 – 6 Ca 2860/16 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die tarifgebundenen Parteien streiten über einen tariflichen Anspruch auf Abgeltung des Jahresurlaubs, nachdem der am ….1952 geborene und seit 1974 bei der Beklagten beschäftigte Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 31.01.2016 wegen des Bezuges von Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres als langjährig Versicherter in Anspruch nahm.

Mit seiner am 01.03.2016 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger unter Bezugnahme auf Nr. 3.4 des Urlaubstarifvertrages für die Berliner Metall- und Elektroindustrie (UTV) die Abgeltung von 28 Urlaubstagen nebst Urlaubsgeld geltend gemacht, nachdem die Beklagte für Januar 2016 vier Urlaubstage vergütet hatte.

Urlaubsabgeltung des Jahresurlaubs
Symbolfoto: deagreez/Bigstock

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit dem am 04.11.2016 verkündeten Urteil, auf dessen Tatbestand zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 75 bis 76 d. A.), abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die tarifliche Regelung, wonach Beschäftigte, wenn sie innerhalb des Urlaubs wegen Erreichen der Altersgrenze ausscheiden, den vollen Jahresurlaub erhalten, sei dahingehend auszulegen, dass sie nur den Fall des Ausscheidens mit Erreichung der Regelaltersgrenze erfasse. Dies ergebe sich bereits daraus, dass von „der“ Altersgrenze die Rede ist und nicht „eine“ Altersgrenze oder der Plural verwendet worden ist. Die Privilegierung sei im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass das Ausscheiden mit Erreichen der Regelaltersgrenze nicht freiwillig geschehe, während die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Inanspruchnahme der gesetzlich vorgesehenen anderen, vorgezogenen Renten auf dem freien Willen des Arbeitnehmers beruhe.

Gegen dieses ihm am 09.12.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger mit dem am 03.01.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Frist bis zum 09.03.2017 – am 08.03.2017 begründet.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass die tarifliche Regelung dahingehend auszulegen sei, dass sie auch die sonstigen gesetzlichen Altersgrenzen, einschließlich derjenigen für (besonders) langjährig Versicherte erfasse, und trägt hierzu weiter vor: Es fehle ein Hinweis, dass mit „der“ Altersgrenze eine bestimmte, nämlich die Regelaltersgrenze gemeint sein solle. Dass dem Fehlen des Präfixes „Regel“ Bedeutung zukomme, ergebe sich daraus, dass die Tarifvertragsparteien im Manteltarifvertrag (MTV) vom 22.11.2006, also vom gleichen Tag wie der UTV, den Begriff Regelaltersgrenze verwendet haben. Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall sei die Altersgrenze nicht ausdrücklich im Tarifvertrag definiert, der auch keine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehe. Etymologisch sei der Begriff der Altersgrenze als Gattungs- oder Oberbegriff anzusehen gegenüber dem Art- oder Unterbegriff der Regelaltersgrenze. Im Übrigen sei die abschlagsfreie Rente für besonders langjährige Versicherte mit der Rente wegen Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem Willen des Gesetzgebers gleichgestellt, so dass es an einem rechtfertigenden Grund für eine unterschiedliche Behandlung bei der Urlaubsabgeltung fehle.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.11.2016 – 6 Ca 2860/16 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.104,16 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt die angefochtene Entscheidung mit Rechtsausführungen. Weiter trägt sie vor: Aus der Verwendung des Begriffs „Regelaltersgrenze“ im MTV könnten keine weiteren Schlussfolgerungen gezogen werden, weil die dortigen Regelungen beim Tarifabschluss im einzelnen überarbeitet wurden, während der gleichzeitig abgeschlossene UTV mit Ausnahme deklaratorischer Wortlautanpassungen wie „Entgelt“ statt „Lohn“ und „Betriebs-„ statt „Werksurlaub“, die bei der „Altersgrenze“ schlicht übersehen worden sei. Die wortgleiche Vorgängerfassung sei, ebenso wie Nr. 11.1.2 MTV a. F. immer im Sinne eines Rentenbezuges mit 65 Jahren verstanden worden. Die Rente nach § 236 b SGB VI stelle einen Ausnahmefall dar und könne auch nicht gleichgestellt werden. Im Übrigen seien die Tarifvertragsparteien nicht an eine rentenrechtliche Gleichstellung gebunden. Schließlich habe das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Tarifparteien erkennbar den Fall vor Augen hatten, dass Arbeitnehmer in der Regel mit Erreichen der Regelaltersgrenze ausscheiden. Die Privilegierung dieser Gruppe sei schon aufgrund des höheren Lebensalters gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG zulässige Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 Abs. 1 und 3 ZPO.

2. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet, da die tarifliche Regelung in Nr. 3.4 UTV eine Nichtanwendung des Zwölftelungsgrundsatzes bei einem Ausscheiden wegen Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht umfasst. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Tarifregelung dahingehend auszulegen ist, dass ein Anspruch auf Abgeltung des vollen Jahresurlaubs nur für den Fall des Ausscheidens wegen Erreichens der Regelaltersgrenze gilt. Die Kammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil unter Bezugnahme auf die dortigen Entscheidungsgründe an. Lediglich im Hinblick auf das Parteivorbringen in der Berufungsinstanz ist folgendes ergänzend anzumerken:

2.1 Ein Anspruch auf Abgeltung weiterer 11/12 des Jahresurlaubsanspruchs ergibt sich nicht aus Nr. 3.4 UTV, da nach dessen Satz 1 nur so viel Zwölftel des Jahresurlaubs zu gewähren sind, wie das Arbeitsverhältnis im Austrittsjahr volle Monate bestanden hat. Im Umfang von einem Zwölftel im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf des 31.01.2016 ist Urlaub unstreitig gewährt worden. Auch der gesetzliche Mindesturlaub besteht nur im Umfang von einem Zwölftel.

2.2 Die Ausnahmeregelung des Satzes 3 Nr. 3.4 UTV zum Zwölftelungsprinzip greift vorliegend nicht ein, weil der Kläger nicht „wegen Erreichung der Altersgrenze“ ausgeschieden ist. Sie erfasst nur ein Ausscheiden wegen Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 35 SGB VI. Dies ergibt sich aus der Auslegung der tariflichen Norm.

2.2.1 Bereits der Wortlaut der Tarifregelung, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. nur BAG 12.12.2012 – 10 AZR 922/11 – Rn. 10), spricht für ein solches Verständnis. Die Verwendung des bestimmten Artikels im Singular lässt hinreichend klar erkennen, dass die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Altersgrenze vor Augen hatten. Dafür, dass es sich hierbei um die Regelaltersgrenze nach § 35 SGB VI handeln sollte, spricht, dass dies der allgemeine Fall eines Ausscheidens wegen des Bezugs einer (Regel-) Altersrente ist (so auch BAG 21.11.2000 – 9 AZR 654/99 – Rn. 23; LAG Baden-Württemberg 08.07.2016 – 9 Sa 16/16 Rn. 32). Die Tatsache, dass nicht explizit die „Regel-„Altersgrenze bezeichnet wird, lässt entgegen der Ansicht des Klägers nicht den Schluss zu, dass alle denkbaren Altersgrenzen gemeint sein sollten, an die die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für einen vorgezogenen, mit und ohne Abschläge gewährten, Rentenbezug unter bestimmten Voraussetzungen anknüpfen.

Deutlich wird dieses Begriffsverständnis auch dadurch, dass die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen vom 06.02.1997 in Nr. 2.6 Abs. 2 neben dem Tatbestand des „Erreichens der Altersgrenze“ denjenigen der Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes als Voraussetzung für den Anspruch auf volle Sonderzahlung trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses nennen. Demgegenüber ist die Verwendung des Begriffs „Regelaltersgrenze“ in Nr. 12.5 MTV ohne entscheidende Bedeutung. Der dort geregelte Wegfall des Ausschlusses einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit durch den Arbeitgeber nach mindestens 10jähriger ununterbrochener Unternehmens- oder Betriebszugehörigkeit nach Vollendung des 45. Lebensjahres sollte ersichtlich dem Umstand Rechnung tragen, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge keine Altersbefristung enthalten, wie auch diejenigen mit einer vollen Erwerbsminderung weiterarbeiten möchten; ihnen soll nur ein geringerer tariflicher Kündigungsschutz zugute kommen. Wie die Beklagte unwidersprochen ausgeführt hat, sind diese Regelungen des MTV insgesamt neu gefasst worden, so dass – im Vorgriff auf den zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses im Gesetz noch nicht verwendeten, sondern in § 35 SGB VI erst mit Wirkung zum 01.01.2008 eingeführten Begriff der Regelaltersgrenze – der je nach Geburtsjahrgang unterschiedlichen Altersgrenzen für die Regelaltersrente Rechnung getragen werden konnte. Haben die Tarifvertragsparteien im UTV lediglich Begriffe wie „Lohn“ und „Werksurlaub“ modernisiert, die materiellen Regelungen jedoch unverändert übernommen, spricht dies eindeutig gegen eine Veränderung des Begriffsverständnisses der Tarifvertragsparteien bei der Beibehaltung der Formulierung „Erreichen der Altersgrenze“.

2.2.2 Wie sich hieraus ergibt, sprechen auch der Gesamtzusammenhang und die Systematik der tariflichen Regelung für das hier gefundene Auslegungsergebnis.

2.2.3 Auch eine teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Normverständnis. Die Tarifvertragsparteien hatten ersichtlich den Fall vor Augen, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen der Altersgrenze endet, wenn es in Nr. 3.4 Satz 3 UTV heißt „Scheiden Beschäftigte (…) wegen Erreichung der Altersgrenze aus“. Gleiches lässt sich der Regelung in Nr. 2.6 TV Sonderzahlung entnehmen, in der differenziert wird zwischen einem Ausscheiden wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder Erreichens der Altersgrenze auf der einen und durch Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes auf der anderen Seite. Mangels einer tariflichen Altersgrenzenregelung sind die Tarifvertragsparteien vom Fall einer einzelvertraglichen Altersgrenzenregelung ausgegangen. Von den im TV Sonderzahlung aufgeführten Fällen ist nur die Konstellation der Altersrente in die Regelung des UTV eingeflossen. Hieraus ist zu schließen, dass der Vorteil eines vollen Jahresurlaubsanspruchs einerseits auch der Kompensation für eine unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dienen sollte. Andererseits sollte damit auch die Arbeitsleistung bis zum Erreichen der normalen Regelaltersgrenze belohnt werden, und zwar auch für den Fall, dass ein Arbeitnehmer, der zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Rente früher hätte kündigen können, von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht hat. Dabei spielt ersichtlich das Interesse der Unternehmen eine Rolle, fachlich qualifizierte und erfahrene Arbeitskräfte angesichts des absehbaren Mangels an Nachwuchs möglichst lange im Betrieb zu halten.

2.3 Dieser Zweck rechtfertigt auch eine unterschiedliche Behandlung der Gruppen von Arbeitnehmern, die von der Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch machen, um eine Rente nach einem der verschiedenen Tatbestände des SGB VI gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 bis 6 SGB VI wegen Alters oder nach Abs. 3 wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu beziehen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Einführung der abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte, § 33 Abs. 2 Nr. 3a SGB VI, eine Gleichstellung mit der „normalen“ Altersrente herstellen wollten. Eine dahingehende gesetzliche Zwecksetzung ist weder bindend für die Tarifvertragsparteien noch muss dies für die Rechtfertigung einer differenzierenden tariflichen Regelung herangezogen werden.

2.4 Da es hiernach bereits an einem vollen Urlaubsanspruch fehlt, bedarf es keiner weiteren Ausführungen zur Frage, ob die Voraussetzungen einer Barabgeltung im Sinne der tariflichen Regelungen in Nr. 2.5 UTV in Verbindung mit Nr. 5.5 UTV bzw. einer Abgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG vorlagen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Ein Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben, da die Kammer die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hat und dem Fall keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Divergenz ist nicht ersichtlich; in einem gleichgelagerten Rechtsstreit ist das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (urteil vom 13.07.2017 – 18 Sa 81/17) ebenso wie das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 08.07.2016 – 9 Sa 16/16) zum gleichen Auslegungsergebnis gelangt.

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