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Verhaltensbedingte Kündigung – Androhen von Arbeitsunfähigkeit – Interessenabwägung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 9 Sa 692/10 – Urteil vom 11.03.2011

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16.11.2010, Az.: 8 Ca 1094/10, abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.07.2010 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Beschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Gerüstbauer weiterzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 28.07.2010 mit Ablauf des 28.02.2011 beendet worden ist.

Der am 28.02.1961 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 10.03.1979 als Gerüstbauer bei einer Bruttomonatsarbeitsvergütung von 2.636,– € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.

Für Samstag, den 10.07.2010, war wegen eines drohenden Unwetters Samstagsarbeit zum Abbau eines Gerüsts angeordnet. Am Tag zuvor kam es zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten zu einem Gespräch. Nach Darstellung der Beklagten verabschiedete sich der Vorgesetzte an diesem Freitag von seinen Mitarbeitern und wies darauf hin, dass man sich ja morgen sehe. Der Kläger soll nach Darstellung der Beklagten geäußert haben, dass er nicht komme und – nachdem der Vorgesetzte ihm gesagt habe, dass er kommen müsse, geäußert habe: „Ich komme nicht oder willst du dass ich mich krank melde?“.

Die Beklagte sprach darauf hin mit Schreiben vom 28.07.2010 die streitgegenständliche ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.02.2011 aus.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16.11.2010, Az.: 8 Ca 1094/10 (Bl. 53 ff. d. A.).

Nach Vernehmung des Vorgesetzten des Klägers als Zeugen hat das Arbeitsgericht die auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und auf tatsächliche Weiterbeschäftigung gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung -zusammengefasst- ausgeführt:

Die Kündigung sei aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Kläger die von der Beklagten behauptete Äußerung getätigt habe. Hierin liege die Drohung mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Eine derartige Drohung stelle einen Kündigungsgrund dar. Die Kündigung scheitere auch nicht an der durchzuführenden Interessenabwägung. Da die Beklagte nur eine ordentliche Kündigung ausgesprochen habe, habe sie auch ausreichend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 24.11.2010 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 22.12.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21.01.2011, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 02.03.2011, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 96 ff., 116 f. d. A.), im Wesentlichen geltend:

Das Arbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass es nicht um die Frage gegangen sei, ob der Kläger sich an einem üblichen Arbeitstag krank melde. Die Gefahr einer unberechtigten Entgeltfortzahlung habe daher nicht bestanden. Das Fehlen eines Arbeitnehmers hätte sich nur dahingehend ausgewirkt, dass die weiteren Arbeitnehmer bei gleichbleibender Kostenbelastung eine Stunde länger hätten arbeiten müssen. Das Arbeitsgericht habe auch die behauptete Äußerung des Klägers unrichtiger Weise als Drohung mit einer unberechtigten Krankmeldung angesehen. Wie auch der Beklagten bekannt gewesen sei, leide er unter Problemen mit der Bandscheibe und habe 2007 einen Bandscheibenvorfall erlitten, weshalb er auch vom 07.06. bis 18.06.2010 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Der Kläger habe von der Mehrarbeit ausgenommen werden wollen, um ansonsten drohende Rückenbeschwerden zu vermeiden. Unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht habe die Beklagte den Kläger nicht zu Mehrarbeit heranziehen dürfen, da auch ohne den Kläger genügend Arbeitskräfte zur Erledigung der anstehenden Arbeiten zur Verfügung gestanden hätten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16.11.2010, Az.: 8 Ca 1094/10, abzuändern und

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.07.2010 nicht beendet worden ist und

im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Gerüstbauer weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit ihrer Berufungserwiderung gemäß Schriftsatz vom 25.02.2011, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 108 ff. d. A.), als zutreffend. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme habe ihre Behauptung zur Äußerung des Klägers bestätigt. Hieraus ergebe sich auch, dass der Kläger anlässlich des Gesprächs mit dem Vorgesetzten nicht auf gesundheitliche Beschwerden hingewiesen habe. Der Kläger habe vielmehr bereits zuvor geäußert, dass er nicht komme, weil er Geburtstag feiern wolle.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt sowie – auch inhaltlich ausreichend – begründet.

II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt und deshalb nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Im Hinblick darauf steht dem Kläger auch der geltend gemachte Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung zu.

1. Die Berufungskammer ist allerdings in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht und der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG 05.11.1992 – 2 AZR 147/92 – EzA § 626 n.F. BGB Nr. 143; BAG 12.03.2009 – 2 AZR 251/07 – EzA § 626 BGB 2002, Nr. 26) der Auffassung, dass die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber bestimmten Verlangen des Arbeitnehmers nicht nachkommt, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Erkrankung an sich geeignet ist, sogar einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung und damit erst Recht für eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen abzugeben. Versucht der Arbeitnehmer auf diese Weise, einen ihm nicht zustehenden Vorteil zu erreichen, so verletzt er hierdurch seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Diese verbietet es ihm, den Arbeitgeber auf eine derartige Weise unter Druck zu setzen. Ein solches Verhalten beeinträchtigt das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber, weil es in ihm den berechtigten Verdacht aufkommen lassen kann, der Arbeitnehmer missbrauche notfalls seine Rechte aus den Entgeltfortzahlungsbestimmungen, um einen unberechtigten Vorteil zu erreichen. Hierin liegt bereits die konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses.

2. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit keine Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 ZPO geltend gemacht wurden oder sonst ersichtlich sind, hat der Kläger am Ende des Gesprächs mit seinem Vorgesetzten geäußert: „…. oder ist es dir lieber, wenn ich mich krank melde?“. Das Arbeitsgericht ist zutreffend auch davon ausgegangen, dass es sich bei dieser Äußerung bei objektiver Betrachtung aus Sicht des Vorgesetzten um die Drohung mit einer Krankmeldung für den Fall handelte, dass dieser an der angeordneten Samstagsarbeit festhalte. Zwar mag dem Vorgesetzten bekannt gewesen sein, dass der Kläger im Jahre 2007 einen Bandscheibenvorfall erlitten hat und wegen Rückenbeschwerden vom 07.06. bis 18.06.2010 arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Andererseits lag diese Arbeitsunfähigkeit bereits knapp drei Wochen zurück und der Kläger hatte seitdem ohne erkennbare gesundheitlichen Beschwerden seine Arbeitsleistung erbracht. Es wäre zudem dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, den Vorgesetzten darauf hinzuweisen, dass er den Eintritt gesundheitlicher Beschwerden befürchte, wenn ihm der Samstag nicht zur Erholung zur Verfügung steht.

3. Ungeachtet dessen ist die Kündigung aber deshalb sozial nicht gerechtfertigt, weil die stets durchzuführende Interessenabwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im vorliegenden Fall zugunsten des Klägers ausfällt. Zwar wiegt die Pflichtverletzung des Klägers schwer und ist geeignet, einen ganz erheblichen Vertrauensverlust herbeizuführen. Ebenso ist zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass ihn an dieser Pflichtverletzung ein erhebliches Verschulden trifft. Wie ausgeführt, wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, lediglich auf die aus seiner Sicht unter gesundheitlichen Gesichtspunkten bestehende Erholungsbedürftigkeit am Samstag zu verweisen. Zugunsten des Klägers ist dem gegenüber zu berücksichtigen, dass dieser bereits seit über 31 Jahren bei der Beklagten beschäftigt ist und es bislang zu keinen Störungen des Arbeitsverhältnisses kam. Soweit die Beklagte erstinstanzlich (Schriftsatz vom 14.10.2010, Bl. 33 d. A.) darauf verwiesen hat, der Kläger habe im Jahr 2000 eine Abmahnung und auch noch eine weitere Abmahnung erhalten, ist ihr diesbezüglicher Sachvortrag gänzlich unsubstantiiert. Es fehlt jegliche zeitliche Konkretisierung. Aus dem Sachvortrag der Beklagten ergibt sich auch nicht, ob es sich tatsächlich um eine Abmahnung im Rechtssinne gehandelt hat. Eine solche setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer für den Fall einer wiederholten Pflichtverletzung verdeutlicht wird, dass dann Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sind. Hinsichtlich der für das Jahr 2000 behaupteten Abmahnung ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass es sich tatsächlich um eine Pflichtverletzung handelte.

Zugunsten des Klägers war weiter auch dessen Lebensalter zu berücksichtigen, welches im Hinblick auf die Chancen, im ausgeübten Beruf einen anderweitigen Arbeitsplatz zu finden, wegen der damit verbundenen körperlichen Beanspruchungen nicht unproblematisch ist.

Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist die Berufungskammer unter Berücksichtigung der vorstehend genannten Gesichtspunkte der Auffassung, dass es der Beklagten zumutbar war, dem Kläger zunächst wegen des der Kündigung zugrunde liegenden Vorfalls eine Abmahnung zu erteilen. Als mildere Reaktion zu einer auch ordentlichen Kündigung ist insbesondere auch eine Abmahnung anzusehen, wenn schon sie geeignet ist, den mit der Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen. Bei einem wie hier steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Eine Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch bei Störungen des Vertrauensbereichs (vgl. ausführlich BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).

Für die Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist es auch von erheblicher Bedeutung, ob das Arbeitsverhältnis zuvor bereits geraume Zeit ohne erkennbare Störungen bestanden hat. Eine für lange Jahre ungestörte Vertragsbeziehung wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Hierbei ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Diese Grundsätze gelten nicht nur für eine außerordentliche, sondern auch im Rahmen der Überprüfung einer ordentlichen Kündigung (BAG, 10.06.2010, a. a. O.).

Der Kläger hat mehr als 30 Jahre lang ohne erkennbare oder näher dargelegte Beanstandungen seine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht. Diese Dauer der beanstandungsfreien Tätigkeit hat erhebliches Gewicht und war bei objektiver Betrachtung geeignet, ein erhebliches Maß an Vertrauen in den Kläger zu begründen. Dieses erworbene Vertrauen wird durch den einmaligen Vorfall nicht derart erschüttert, dass die vollständige Wiederherstellung des Vertrauens und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

4. Da somit die streitgegenständliche Kündigung rechtsunwirksam ist, steht dem Kläger auch ein Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung zu.

III. Auf die Berufung des Klägers war daher angefochtene Urteil antragsgemäß abzuändern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund besteht nicht.

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