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Verhaltensbedingte Kündigung wegen geschäftsschädigendem Verhalten – vorherige Abmahnung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 7 Sa 430/16 – Urteil vom 16.06.2016

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.09.2014 – 14 Ca 5339/13 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18.03.2014 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.273,87 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.165,63 EUR seit dem 01.04.2014, aus je 2.779,56 EUR seit dem 01.05., 01.06., 01.07. und 01.08.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in I. Instanz haben der Kläger zu 40 % und die Beklagte zu 60 % zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen fristgerechten arbeitgeberseitigen Kündigung vom 18.03.2014 zum 31.08.2014.

Der am 1978 geborene Kläger trat im Juni 2001 als Produktionsmitarbeiter in die Dienste der Beklagten. Der Kläger ist fünf Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Auch die Ehefrau des Klägers wurde Mitarbeiterin der Beklagten und im selben Arbeitsbereich wie der Kläger eingesetzt.

Etwa Ende 2011/Anfang 2012 trennte sich der Kläger von seiner Ehefrau, nachdem ihm bekannt geworden war, dass diese ein Verhältnis mit einem Vorgesetzten des Klägers aufgenommen hatte und weiter führte. In der Folgezeit wies der Kläger die Beklagte mehrfach auf seine private Situation hin und äußerte Bedenken, dass diese auch zu Komplikationen am Arbeitsplatz führen könne. Nachdem zunächst die Ehefrau des Klägers längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen und dann an ihren Arbeitsplatz im Arbeitsbereich auch des Klägers zurückgekehrt war, erkrankte der Kläger und war vom 17.09.2012 bis 22.12.2013 durchgehend arbeitsunfähig geschrieben.

Der Kläger ist mittlerweile geschieden.

Mit E-Mail vom 28.10.2012 (Bl. 120 f. d. A.), verfasst unter dem Pseudonym „P L „, gerichtet an R M , den Chief Exekutive Officer (CEO) der Muttergesellschaft der Beklagten, bezichtigte der Kläger die Beklagte der absichtlich falschen Etikettierung von Sekundenklebertuben. Die E-Mail gab der Kläger auch diversen Zeitungen zur Kenntnis. Mit einer weiteren, ebenfalls unter dem Pseudonym „P L “ verfassten E-Mail vom 13.11.2012 (Bl. 125 d. A.) an einen Großkunden der Beklagten warf er der Beklagten vor, bei der Produktion gegen Hygienebestimmungen zu verstoßen. Der Kunde nahm dies zum Anlass, an anderen Standorten der Beklagten unangekündigte Untersuchungen vorzunehmen. Die Audits blieben ohne Beanstandung.

Mit E-Mail vom 16.12.2012 (Bl. 132 d. A.), ebenfalls mit „P L “ gekennzeichnet, wies der der Kläger den CEO R M auf dessen letztes Amtsjahr hin und kündigte an, dieses zu einem lustigen Jahr machen zu wollen. Am 04.01.2013 schrieb der Kläger unter dem Namen „K Kl “ eine weitere E-Mail an einen Kunden der Beklagten. Hierin beschuldigte er die Beklagte eines erneuten Betrugsfalls durch falsche Verwendung von Rohstoffen bei der Produktion von Pritstiften (Bl. 133 d. A.).

Mit E-Mail vom 18.03.2013 (Bl. 140 f. d. A.) an den CEO R M beschwerte sich der Kläger u. a. darüber, dass seine Vorgesetzten sich mehr um andere Frauen kümmerten als um die Arbeit. Er verwies auf seine private Situation, Fehler bei der Beklagten und den Betrug an Kunden. Zugleich offenbarte er, dass er in der Vergangenheit u. a. die Pseudonyme „P L “ und „K Kl “ verwandt habe. Mit E-Mail vom 01.04.2013 (Bl. 142 f. d. A.), gerichtet sowohl an den damaligen Geschäftsführer der Beklagten wie auch an diverse andere Mitarbeiter, hielt er der Beklagten im Namen seiner Pseudonyme mangelnden Netzwerkschutz vor. Das vergangene Jahr sei voller Überraschungen gewesen, habe aber auch viel Spaß gemacht. Nun sei es an der Zeit, sich zurückzuziehen und das Spielfeld anderen zu überlassen.

Am 25.04.2013 stellte der Kläger einen Wiedereingliederungsantrag nach dem sogenannten Hamburger Modell. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und wies auf ein laufendes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren hin, welches auf einer Strafanzeige der Beklagten wegen „Verleumdung u. a.“ beruhte. In seiner Beschuldigtenvernehmung vom 02.05.2013 verwies der Kläger zur Rechtfertigung für sein Handeln auf die Probleme im Zusammenhang mit der Trennung von seiner Ehefrau. Die Beklagte habe seine Hilferufe nicht gehört, so dass er sich dazu entschlossen habe, die E-Mails zu schreiben, um den Verbraucher vor dem Geschäftsgebaren der Beklagten zu schützen. Die Staatsanwaltschaft Köln stellte das Ermittlungsverfahren ein und verwies die Beklagte unter dem 23.09.2013 auf den Privatklageweg (vgl. Bl. 29 d. A.). Diesen beschritt die Beklagte nicht.

Nachdem der Kläger angekündigt hatte, dass er ab dem 23.12.2013 wieder arbeitsfähig sei, stellte die Beklagte ihn unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

Mit E-Mail vom 24.12.2013 (Bl. 144 d. A.) bewarb sich der Kläger auf die Position als Geschäftsführer. Zur Begründung gab er an, er wolle in dieser Position für die Einhaltung der rechtlichen und moralischen Gegebenheiten sorgen.

Am 04.03.2014 schrieb der Kläger schließlich eine E-Mail an den neuen CEO Pi V mit dem Betreff „Welcome new Big Boss“ (Bl. 222 d. A., zitiert ferner im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 23.09.2014, Seite 5/6). Auf den vollständigen Wortlaut dieser E-Mail vom 04.03.2014 wird Bezug genommen.

Die Beklagte fasste nunmehr den Entschluss, dem Kläger eine außerordentliche fristlose und hilfsweise eine ordentliche fristgerechte Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen. Sie hörte hierzu am 11.03.2014 den Betriebsrat an (Bl. 146 ff. d. A.). Nachdem der Betriebsrat am 17.03.2014 dem Kündigungsbegehren zugestimmt hatte (Bl. 226 d. A.), kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18.03.2014 fristlos aus wichtigem Grund und zugleich ordentlich zum 31.08.2014 (Bl. 227 d. A.).

Mit Urteil vom 23.09.2014 hat das Arbeitsgericht Köln entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zwar nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 18.03.2014 fristlos aufgelöst worden sei, wohl aber durch die ordentliche Kündigung fristgerecht zum 31.08.2014. Auf Abschnitt I. der Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird in vollem Umfang Bezug genommen.

Aufgrund der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger den Annahmeverzugslohn für die Dauer der Kündigungsfrist zu zahlen. Weitere Zahlungs- und Feststellungsanträge des Klägers hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen, soweit sie nicht vorab von den Parteien für erledigt erklärt worden waren.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln wurde dem Kläger am 10.11.2014 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 09.12.2014 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 10.02.2015 begründet.

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung nur dagegen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten zum 31.08.2014 aufgelöst worden sein soll. Die Beklagte hat gegen das arbeitsgerichtliche Urteil kein Rechtsmittel eingelegt.

Der Kläger ist der Auffassung, die E-Mails aus den Jahren 2012 und 2013 könnten zur Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung vom 18.03.2014 nicht mehr herangezogen werden. Die Beklagte habe auf die E-Mails arbeitsrechtlich nicht reagiert, auch nachdem er, der Kläger, am 18.03.2013 seine Urheberschaft offenbart gehabt habe. Die Beklagte habe damit zu erkennen gegeben, dass sie aus dem damaligen Verhalten keine kündigungsrechtlichen Konsequenzen ziehen werde.

Die E-Mail vom 04.03.2014 beinhaltet nach Ansicht des Klägers keine Androhung künftigen geschäftsschädigenden Verhaltens. Sie sei allenfalls mehrdeutig und sarkastisch formuliert, könne aber so verstanden werden, dass er, der Kläger, künftige Missstände der Geschäftsleitung der Beklagten und dem CEO V melden werde. Die Beklagte habe ihn, den Kläger, befragen können und müssen, was die Formulierung der „guten und lustigen Zeit“ zu bedeuten habe. Eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf zukünftige geschäftsschädigende E-Mails an Dritte oder die Medien habe nicht bestanden.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 23.09.2014, 14 Ca 5339/13, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 18.03.2014 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Sie habe die Vorfälle der Jahre 2012 und 2013 sehr wohl als schwerwiegende Pflichtverletzungen gewertet, wie die Erstattung der Strafanzeige zeige. Der Inhalt der E-Mail vom 04.03.2014 könne nicht isoliert betrachtet werden, sondern müsse im Zusammenhang mit dem früheren Verhalten des Klägers verstanden werden. Demnach sei der Schluss geboten gewesen, dass der Kläger weitere geschäftsschädigende Handlungen begehen wolle. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung sei  eine Hinnahme des angekündigten Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen gewesen.

Mit einem zwei Tage vor dem Kammertermin vom 16.06.2016 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte ihre diesbezüglichen Ausführungen wiederholt und vertieft.

Auf den vollständigen Inhalt der von den Parteien in der Berufungsinstanz eingereichten Schriftsätze nebst ihren Anlagen und die Sitzungsniederschriften wird ergänzend Bezug genommen.

Für das vorliegende Berufungsverfahren war zunächst die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts zuständig. Die 11. Kammer hat am 19.08.2015 ein Urteil verkündet, mit welchem der Berufung des Klägers stattgegeben wurde. Auf eine entsprechende Beschwerde der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 20.04.2016 auf der Grundlage   des

§ 72 b ArbGG das Urteil der 11. Kammer vom 19.08.2015 aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen. Nunmehr ist die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts zur Entscheidung des Berufungssrechtsstreits berufen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.09.2014 ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgesehenen Fristen formell ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II.  Die Berufung des Klägers musste zur Überzeugung der 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auch Erfolg haben.

1.  Im Ausgangspunkt ist zunächst an die Feststellung des Arbeitsgerichts anzuknüpfen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 18.03.2014 nicht fristlos beendet werden konnte, weil es für eine außerordentliche Kündigung an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626Abs. 1 BGB gefehlt hat. Die Beklagte hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts insoweit nicht angegriffen. Es bedarf daher hierzu keiner vertiefenden Feststellungen.

2.  Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts hat aber auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 18.03.2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auflösen können, weil sie gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt ist. Zwar hat der Kläger mit seinerE-Mail vom 04.03.2014 an den neuen CEO der Beklagten Pi V erneut eine nachhaltige Arbeitspflichtverletzung begangen. In Anbetracht der Vorgeschichte und der näheren Umstände des Einzelfalls wäre es jedoch erforderlich gewesen, dem Kläger vorrangig eine Abmahnung auszusprechen. Dementsprechend musste auch die abschließende Interessenabwägung zu Ungunsten der Beklagten ausfallen.

a.  Zweifellos hat der Kläger durch seine E-Mail vom 04.03.2014 erneut in erheblicher Art und Weise gegen die ihn gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflichten verstoßen, wozu auch der im Arbeitsalltag notwendige Respekt gegenüber denjenigen gehört, mit denen man zusammenarbeitet. Die E-Mail vom 04.03.2014 ist in Wortwahl und Inhalt Ausdruck wiederholter provokanter Respektlosigkeit gegenüber Vorgesetzten und Kollegen. Dabei zeigt die E-Mail auch die Neigung des Klägers, sich selbst zu überschätzen, wenn er ausführt, der alte CEO müsse von ihm berichtet haben oder dies nachholen. Der Kläger veralbert durch Danksagung die Reaktion der Geschäftsführung, ihn nach Wiedergenesung trotz der Vorfälle bis April 2013 bei vollen Bezügen freizustellen. Er verunglimpft zu ihm entsandte Arbeitskollegen durch den Vergleich mit einem klügeren menschlichen Gehirn. Diejenigen, die ihn für illoyal halten, bezeichnet er als dumm und bezichtigt sie, nur ihren eigenen Kopf retten zu wollen. Sein Wunsch für eine gute und lustige Zeit, mit der er einen Bezug zur E-Mail vom 16.12.2012 herstellte, konnte die Beklagte so verstehen, dass mit weiteren Provokationen zu rechnen war. Dies folgt nicht nur aus der ironisch bemerkten Hoffnung, wonach der neue CEO der größte Boss in der Geschichte der Beklagten werde, sondern auch aus dem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der E-Mail vom 24.12.2013, in welcher sich der Kläger als neuer Geschäftsführer bewirbt, obwohl er unter keinerlei Gesichtspunkt hierfür qualifiziert ist, verbunden mit einem moralischen Anspruch, der die bisherige Geschäftsführung herabwürdigt.

b.  Auf der anderen Seite stellt die E-Mail vom 04.03.2014 kein unmittelbar geschäftsschädigendes Verhalten dar, wie dies Ende 2012, Anfang 2013 der Fall war, als der Kläger die Beklagte per E-Mail unter Pseudonym bei Großkunden anschwärzte und die Medien hiervon in Kenntnis setzte. Es ist auch nicht hinreichend erkennbar, dass der Kläger mit der E-Mail vom 04.03.2014 indirekt eine Wiederholung eines solchen geschäftsschädigenden Verhaltens androhen wollte. Der Kläger hatte auch zuletzt, nachdem er am 18.03.2013 seine vorher benutzten Pseudonyme offenbart hatte, keine derartigen geschäftsschädigenden Aktionen mehr begangen, auch nicht nach der Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen ihn im September 2013.

c.  An dieser Stelle ist von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung nicht daran zu orientieren ist, ob sie als Sanktion für den in Rede stehenden Vertragsverstoß angemessen erscheint; denn im Kündigungsrecht gilt nicht das Sanktionsprinzip, sondern das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft schlechthin nicht mehr zu erwarten ist und künftigen Pflichtverstößen nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 m.w.N.). Dies ist immer dann nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel, wie etwa der Ausspruch einer Abmahnung, von  Seiten des Arbeitgebers geeignet sein können, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten auch schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist, es sei denn, es handele sich um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG vom 31.07.2014, 2 AZR 434/13 m.w.N.).

d.  Bei der Beurteilung der Frage, ob unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls als Reaktion auf die E-Mail des Klägers vom 04.03.2014 eine arbeitgeberseitige Abmahnung geboten oder entbehrlich war, ist maßgeblich auch auf die vorangegangenen Reaktionen der Beklagten auf das Fehlverhalten des Klägers Ende 2012/Anfang 2013 abzustellen. Die Reaktionen der Beklagten auf das Verhalten des Klägers Ende 2012/Anfang 2013 sind nämlich in arbeitsrechtlicher Hinsicht von fehlender Handlungskonsequenz geprägt. Wie bereits das Arbeitsgericht festgestellt hat, wurden durch die E-Mails des Klägers an die Kundenfirmen nebst erfolgter Information der Medien hierüber die berechtigten Interessen der Beklagten deutlich schwerer in Mitleidenschaft gezogen als durch die nunmehrige, zwar ungehörige, den internen Bereich der Beklagten aber nicht überschreitendeE-Mail vom 04.03.2014. Die seinerzeitigen Schreiben des Klägers an die Kundenfirmen und die Medien waren potentiell geschäftsschädigender Natur. Obwohl der Kläger bereits am 18.03.2013 seine Pseudonyme, unter denen er die fraglichen E-Mails abgesandt hatte, selbst offenbart hatte, sah sich die Beklagte dadurch bis zu der ein Jahr später aus Anlass der E-Mail vom 04.03.2014 erfolgten Kündigung zu keiner nachhaltigen arbeitsrechtlichen Sanktion veranlasst. Die Beklagte hat die Selbstoffenbarung des Klägers im März 2013 weder zum Anlass einer Abmahnung, noch gar zum Ausspruch einer Kündigung genommen. Sie hat zwar – arbeitsrechtlich allenfalls mittelbar von Bedeutung – gegen der Kläger eine Strafanzeige erstattet, wegen „Verleumdung u. ä.“ erstattet. Nachdem die Staatsanwaltschaft das amtliche Ermittlungsverfahren eingestellt und die Beklagte im September 2013 auf das Privatklageverfahren verwiesen hatte, hat die Beklagte auch diesen Weg nicht weiter beschritten, sondern die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Zwar stellte die Beklagte den Kläger, als dessen langwierige Arbeitsunfähigkeitsperiode mit dem 22.12.2013 zu Ende gegangen war, zunächst bezahlt von der Arbeit frei. Auch dies stellte jedoch eine in ihrer Wertigkeit eher zwiespältige und ersichtlich nicht auf Dauer angelegte Maßnahme dar, die augenscheinlich auch als Versuch gewertet werden konnte, Konflikte des Klägers mit seiner Exfrau und deren neuem Partner im Arbeitsumfeld des Klägers nach dessen Rückkehr auf seinen Arbeitsplatz vorerst zu vermeiden.

e.  Die 7. Kammer des LAG teilt die Einschätzung, dass aufgrund der mangelnden Handlungskonsequenz der Beklagten dem Kläger beim Abfassen der E-Mail vom 04.03.2014 nicht bewusst sein musste, dass er seinen Arbeitsplatz nunmehr sofort und ohne vorherige Abmahnung aufs Spiel setzen würde. Eine vorherige einschlägige Abmahnung hätte dem Kläger dagegen sein Fehlverhalten und die daraus folgenden Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis klar vor Augen führen können.

f.  Nachdem die Beklagte das potentiell schwerere Fehlverhalten des Klägers Ende 2012/Anfang 2013 weder mit einer Abmahnung, noch gar mit dem Ausspruch einer Kündigung beantwortet hatte, war es ihrerseits nunmehr im März 2014 geboten, dem Kläger durch Ausspruch einer Abmahnung nochmals deutlich vor Augen zu führen, was sie von ihm erwartete und welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen ein erneutes Fehlverhalten haben würde. Es war ihr zuzumuten abzuwarten, ob durch den Ausspruch einer Abmahnung der Kläger von einschlägigem künftigem Fehlverhalten abzuhalten war. In Anbetracht ihres eigenen bisherigen wenig konsequenten Verhaltens konnte die Beklagte nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass eine nunmehr in aller Deutlichkeit ausgesprochene Abmahnung in jedem Fall erfolglos bleiben würde.

3.a.  Auch im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung war ungeachtet der der Beklagten vom Arbeitsgericht insoweit zurecht zugutegehaltenen Gesichtspunkte zu ihren Lasten dennoch zu berücksichtigen, dass sie sich im Vorfeld der jetzigen Kündigung vom 18.03.2014 bei der Wahrung ihrer eigenen arbeitsrechtlichen Interessen uneindeutig und zwiespältig verhalten hatte und mit einer deutlichen Abmahnung noch ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte, den Kläger zur korrektem und loyalem Verhalten im Arbeitsverhältnis anzuhalten.

b.  Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Beklagte – auch nach ihrem eigenen Sachvortrag – keine hinreichenden Anstrengungen unternommen hat, um die Auswirkungen des privaten Konflikts des Klägers mit seiner Ex-Frau und seinem Vorgesetzten auf das Arbeitsverhältnis nach Möglichkeit nachhaltig zu unterbinden.

aa.  Die Beklagte hat zwar zum Ausdruck gebracht, dass es nicht Sache des Arbeitgebers sein kann, sich in Privatangelegenheiten seiner Arbeitnehmer einzumischen oder hierin gar für die eine oder andere Konfliktpartei Partei zu ergreifen.

bb.  Dieser Grundsatz ist zwar uneingeschränkt zutreffend. Unter den besonderen Umständen der vorliegenden Fallkonstellation greift es jedoch zu kurz, sich unter Berufung auf diesen Grundsatz jedweder Maßnahmen zu enthalten, die geeignet sein konnten, den Betriebsfrieden zu fördern. Die vorliegende private Konstellation zwischen dem Kläger, seiner Ex-Frau und deren neuem Partner, einem Vorgesetzten des Klägers, war offenkundig dazu geeignet, sich negativ auf das Betriebsklima am Arbeitsplatz auszuwirken und auch dort erhebliche Konfliktsituationen herbeizuführen. Aufgabe der Personalverantwortung des Arbeitgebers ist es zwar nicht, sich in private Auseinandersetzungen einzumischen, wohl aber, die Auswirkungen solcher bestehenden Privatkonflikte auf die Situation am Arbeitsplatz im Interesse aller Beteiligten und nicht zuletzt des Arbeitgebers selbst zu verhindern bzw. zu beseitigen. Gerade die Beklagte selbst betont, dass das arbeitsrechtliche Fehlverhalten des Klägers als „Rachefeldzug“ dafür zu verstehen gewesen sei, dass sie, die Beklagte, dem Hilfeersuchen des Klägers keine Beachtung geschenkt habe. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob nicht z. B. die Versetzung eines oder mehrerer Streitbeteiligter in andere Arbeitsbereiche auch gegen den Willen der Betroffenen damit hätte begründet werden können, Gefahren für den Betriebsfrieden zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen. Die Beklagte hat nämlich auch nichts dazu vorgetragen, dass sie den Versuch unternommen hätte, mit den privaten Streitbeteiligten einvernehmlich ein Prozedere herbeizuführen, bei dem Berührungspunkte der Beteiligten am Arbeitsplatz möglichst vermieden und das Konfliktpotential somit minimiert worden wäre.

4.  In Anbetracht dieser Umstände gelangt die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts zu dem Ergebnis, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.03.2014 den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt und letztlich gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt erscheint.

III.  Die Kosten für die erste Instanz waren gemäß § 92 Abs. 1 ZPO nach dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens in dieser Instanz zu verteilen. Die Kosten der Berufungsinstanz fallen der Beklagten zur Last.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben. Die vorliegende Entscheidung orientiert sich an den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und beruht im Übrigen wesentlich auf den besonderen Umständen des Einzelfalls.

 

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