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Verpflichtung zur Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung

Streit um Urlaubsabgeltung: Landesarbeitsgericht Hamm bekräftigt Arbeitnehmerrechte

Im Kern des vorliegenden Falles handelt es sich um die Verpflichtung des beklagten Unternehmens zur Zahlung einer Urlaubsabgeltung, inklusive zusätzlicher Urlaubsvergütung, für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2020. Der Kläger fordert Abgeltung für 55 Urlaubstage, die er während seiner Beschäftigung als CNC-Dreher nicht nehmen konnte. Insgesamt beläuft sich die Forderung auf 14.747,70 Euro. Die Debatte bezieht sich auf die korrekte Anwendung des einschlägigen Manteltarifvertrages (MTV) für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen.

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Die Rolle des Manteltarifvertrages

Der MTV, der im Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, stellt die rechtliche Grundlage für die Verhandlung dar. Der Vertrag regelt u.a. die Urlaubsansprüche von Beschäftigten, die Dauer ihrer Beschäftigung und die Bedingungen, unter denen Urlaubsabgeltungen gezahlt werden dürfen. Interessant sind in diesem Fall vor allem die Paragraphen §36.4, §37.6, §37.7 sowie §38.1 und §38.2.

Die knifflige Frage der Urlaubsabgeltung

Die Regelungen des MTV geben vor, dass der volle Jahresurlaub gewährt werden muss, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird. Ebenso erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, der Urlaub konnte aus betrieblichen oder gesundheitlichen Gründen nicht genommen werden. Im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs zulässig.

Berechnungsgrundlage und Ausgang des Verfahrens

Laut MTV wird während des Urlaubs das regelmäßige Arbeitsentgelt weitergezahlt. Darüber hinaus gibt es eine zusätzliche Urlaubsvergütung, die bei 30 Urlaubstagen pro Urlaubstag 2,4 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts ausmacht. Die Berechnungsgrundlage der zusätzlichen Urlaubsvergütung sind die festen Entgeltbestandteile des laufenden Monats.

Trotz der Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht Hamm das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund bestätigt und die Berufung auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. Damit steht fest, dass der Kläger Anspruch auf die geforderte Urlaubsabgeltung hat.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 5 Sa 824/21 – Urteil vom 02.12.2021

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.06.2021 – 10 Ca 1108/21 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufung noch über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung (nebst zusätzlicher Urlaubsvergütung) für den Zeitraum 01.01.2019 bis 30.04.2020 im Umfang von 55 Urlaubstagen in Höhe von 14.747,70. Die weiteren erstinstanzlich verfolgten Ansprüche werden von keiner Partei weiter verfolgt. Insoweit wird das Urteil des Arbeitsgerichtes nicht angegriffen.

Der am 07.11.“0000″ geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 10.05.2010 als CNC-Dreher zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 3.284,00 EUR nebst Leistungszulage in Höhe von 390,14 EUR brutto und weiterer Zuschläge tätig. Der durchschnittliche Tagesverdienst des Klägers lag bei 178,76 EUR brutto. Zudem lag der Tagessatz für ein zusätzliches Urlaubsgeld bei 89,38 EUR brutto.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die tarifrechtlichen Bestimmungen der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen Anwendung.

Der insoweit anwendbare Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2018 (im Folgenden: MTV) sieht unter § 36.4 vor:

„Im Ein- und Austrittsjahr haben Beschäftigte gegen den alten und neuen Arbeitgeber Anspruch auf so viele Zwölftel des ihnen zustehenden Urlaubs, als sie Monate bei ihnen gearbeitet haben (Beschäftigungsmonate). Ein angefangener Monat wird voll gerechnet, wenn die Beschäftigung mindestens zehn Kalendertage bestanden hat. Für eine Beschäftigung bis zu zwei Wochen besteht kein Urlaubsanspruch. […]

Wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird, ist der volle Jahresurlaub zu gewähren. Dies gilt nicht im Eintrittsjahr.“

§ 37.6 MTV bestimmt:

Erlöschen

Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.

Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, erlischt der Urlaubsanspruch zwölf Monate nach Ablauf des Zeitraums nach Abs. 1.

Weiter heißt es unter § 37.7 MTV:

„Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig.“

Im Übrigen regelt § 38.1 die Urlaubsgrundvergütung wie folgt:

„Den Beschäftigten wird während des Urlaubs das regelmäßige Arbeitsentgelt weitergezahlt (berechnet nach § 40).“

Hinsichtlich einer zusätzlichen Urlaubsvergütung heißt es unter § 38.2:

„Sie erhalten darüber hinaus eine zusätzliche Urlaubsvergütung, die bei 30 Urlaubstagen gemäß § 36.1 je Urlaubstag 2,4 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts ausmacht. […]

Berechnungsgrundlage der zusätzlichen Urlaubsvergütung sind die festen Entgeltbestandteile des laufenden Monats zuzüglich des Monatsdurchschnitts der gemäß § 40 zu berücksichtigenden variablen Entgeltbestandteile der letzten sechs abgerechneten Monate.“

Im Übrigen regelt der MTV unter § 49.2 folgende Ausschlussfristen:

„Beschäftigte haben das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:

a) Ansprüche auf Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,

b) alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.“

Der Kläger war seit dem 17.08.2017 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt ab dem 28.09.2017 bis einschließlich 13.02.2019 Krankengeld. Der Krankengeldbezug endete am 13.02.2019. In der Folge bezog der Kläger Leistungen des Arbeitsamtes gem. §§ 136 ff SGB III im Wege der Gleichwohlgewährung.

Mit Schreiben vom 08.04.2019 (Bl. 66 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dieser die übersandten Vereinbarungen zu einem ruhenden Arbeitsverhältnis ohne Unterschrift zurückgesandt habe und wies darauf hin, dass durch die Beantragung des Arbeitslosengeldes das bestehende Arbeitsverhältnis ruhe und das damit verbundene Beschäftigungsverhältnis zunächst beendet sei. Außerdem würden während des ruhenden Arbeitsverhältnisses ebenfalls die vertraglichen Hauptleistungspflichten ruhen, sodass während dieser Zeit keine Urlaubsansprüche entstünden.

Mit Schreiben vom 06.01.2020 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung zum 30.04.2020 aus.

Im Rahmen des hinsichtlich der Kündigung vom 06.01.2020 vor dem Arbeitsgericht Dortmund unter dem Az. 2 Ca 202/20 geführten Kündigungsschutzverfahrens schlossen die Parteien sodann folgenden Vergleich:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung der Beklagten vom 06.01.2020 fristgemäß mit Ablauf des 30.04.2020 sein Ende finden wird.

2. Beide Parteien verpflichten sich, das Arbeitsverhältnis bis zum vorgenannten Beendigungsdatum ordnungsgemäß fortzusetzen und abzuwickeln. Die Auszahlung der abgerechneten Beträge erfolgt unter Berücksichtigung etwaig Rechter Dritter.

3. Die Beklagte zahlt an den Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung entsprechend §§ 9,10 KSchG in Höhe von 5.000,00 EUR brutto. Der Abfindungsanspruch ist bereits jetzt entstanden und vererblich und wird mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung fällig. Die Auszahlung erfolgt unter Berücksichtigung etwaig Rechter Dritter.

4. Die Beklagte erteilt dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis. Der Kläger ist berechtigt, hierzu einen Textvorschlag zu unterbreiten, von welchem die Beklagte nur aus wichtigem Grund abweichen darf.

5. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.“

Mit Abrechnung für 04/2020 (Bl. 45 d.A.) zahlte die Beklagte an den Kläger eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.340,72 EUR brutto für 5 Tage für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 28.02.2019.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ein Arbeitnehmer erwirke auch dann einen Urlaubsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis ruht.

Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 22.791,90 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei seit dem 14.02.2019 beschäftigungslos im Sinne von § 138 I Nr. 1 SGB III. Damit sei zwischen den Parteien stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden, Urlaubsansprüche für diesen Zeitraum hätten nicht entstehen können.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 15.785,96 EUR brutto nebst Zinsen stattgegeben. Hierzu hat es ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf eine Restvergütung aufgrund unberechtigten Einbehaltes in Höhe von 1.038,26 EUR brutto zu sowie für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 30.04.2020 der geltend gemachte Abgeltungsanspruch für 55 Urlaubstage in Höhe von 14.747,70 EUR brutto zu gem. § 7 IV BUrlG iVm. Ziffer 2 des Vergleichs vom 12.03.2020 iVm. §§ 36.4, 37.7, 38.1, 38.2, 40 MTV.

Die mit einer Ruhensvereinbarung bewirkte Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis hindere nicht das Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs. Der Urlaubsanspruch nach den §§ 1, 3 I BUrlG setze allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er stehe nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Weder enthalte § 1 BUrlG eine Ausnahmeregelung für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, noch nehme § 2 S. 1 BUrlG Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis kraft Abrede der Arbeitsvertragsparteien oder aufgrund tariflicher Anordnung ruhe, vom Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes aus.

Bei der Berechnung des Umfangs des Urlaubsanspruchs sei insoweit den Vorgaben des Unionsrechts Rechnung zu tragen. § 3 I BUrlG sei nach den Vorgaben des Unionsrechtes richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass Arbeitnehmer, die mit dem Arbeitgeber das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbaren, weil sie wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugszeitraums ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen können, Arbeitnehmern gleichzustellen sind, die während dieses Zeitraums tatsächlich arbeiten. Zwar gelte nach der Rechtsprechung des EuGH, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auf der Prämisse beruhe, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet hat und der Anspruch daher grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen sei, allerdings gelte dieses nach der weiteren Rechtsprechung des EuGH nicht, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage sei, seine Aufgaben zu erfüllen. Dieser sei mit Arbeitnehmern gleichgestellt, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Mangels einer eigenen Regelung zum tariflichen Mehrurlaub gälten die vorgenannten Grundsätze vorliegend auch für diesen.

Damit stünde dem Kläger für das Jahr 2019 ein Resturlaubsanspruch in Höhe von 25 Tagen (30 Tage abzüglich unstreitig abgegoltener 5 Tage) zu und für das Jahr 2020 in Höhe von 30 Tagen. § 36.4 des MTV regele den vollen Anspruch auf Jahresurlaub im Fall der Beendigung durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 01.04. Aufgrund der vergleichsweisen Einigung auf eine Beendigung durch arbeitgeberseitige Kündigung zum 30.04.2020 bestehe der volle Urlaubsanspruch.

Bei einem unstreitigen Tagessatz in Höhe von 178,76 EUR brutto und 55 abzugeltenden Urlaubstagen ergebe sich ein Abgeltungsanspruch von 9.831,80 EUR brutto. Hinzu komme ein in § 38.2 des MTV akzessorisch ausgestalteter, d. h. mit Fälligkeit der Urlaubsvergütung ebenfalls fällig werdender, Urlaubsgeldanspruch in Höhe von 4.915,90 EUR brutto bezogen auf 55 Urlaubstage (55 x unstreitiger Tagessatz für die „zusätzliche Urlaubsvergütung“ in Höhe von 89,38 EUR brutto).

Das zusätzliche Urlaubsgeld sei geschuldet, sofern ein Anspruch auf Urlaubsvergütung bestehe. Dafür spreche schon die Bezeichnung der Leistung als eine mit der Urlaubsvergütung zu zahlende „zusätzliche Urlaubsvergütung“. Eine weitere einschränkende Voraussetzung mit Ausnahme des Bestehens von Urlaubstagen liege nicht vor.

Gegen das ihr am 05.07.2021 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte insoweit, als sie zur Abgeltung der ab dem 01.01.2019 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.04.2020 entstandenen Urlaubsansprüche verurteilt worden ist, mit der am 16.07.2021 bei Gericht eingegangenen Berufung, die sie mit am 25.08.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Hier führt sie aus, das Arbeitsgericht habe zwar die Rechtsprechung des EuGH beachtet, wonach ein Anspruch auf bezahlten Urlaub auf der Prämisse beruhe, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraumes tatsächlich gearbeitet hat. Soweit es unter Berufung auf die Entscheidung des BAG vom 22.01.2019 (9 AZR 10/17) ausgeführt habe, dass der Arbeitnehmer im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit so zu behandeln sei, als habe er gearbeitet, lasse es eine Subsumption dieser Grund-sätze auf den konkreten Fall vermissen. So habe die Beklagte bereits erstinstanzlich darauf verwiesen, dass im Fall der sogenannten „Aussteuerung“ des Arbeitnehmers keine Urlaubsansprüche entstehen könnten, da das Direktionsrecht auf die Agentur für Arbeit übergehe. Auch habe es die Verweise auf die angeführte Rechtsprechung diverser Landesarbeitsgerichte, die dieses ebenso entschieden hätten, nicht berücksichtigt. Bestätigt werde diese Auffassung auch durch die Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 12.03.2021 (6 Sa 824/20), welches auch bei Kurzarbeit von einer Suspendierung der Arbeitspflicht und damit dem Entfall von Urlaubsansprüchen ausgehe, wobei die Interessenlagen in beiden Konstellationen vergleichbar seien. Fehlerhaft seien die Ausführungen zum Gleichlauf der tariflichen und gesetzlichen Ansprüche. Vielmehr sei die Auffassung zu vertreten, dass die angeführten Grundsätze lediglich für den gesetzlichen Urlaubsanspruch gälten und die Grundsätze des BurlG für den tariflichen Zusatzurlaub nicht gälten, so dass ohne Arbeitsleistung kein Anspruch auf Urlaub gegeben sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund teilweise abzuändern, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 14.747,70 EUR brutto als Urlaubsabgeltung zu zahlen und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und auch ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden.

II. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage im angegriffenen Umfang stattgegeben. Die Kammer folgt den Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Entstehen von Urlaubsansprüchen auch während des Bezuges von Arbeitslosengeld im Rahmen der sogenannten „Gleichwohlgewährung“ und dem Gleichlauf der Regelung der gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüche und sieht insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Die Berufungsbegründung gibt zu folgenden Ergänzungen Anlass:

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Arbeitsgericht des Sachverhalt korrekt unter die durch die Rechtsprechung vorgegebenen Prämissen subsumiert und dabei auch den konkreten Sachverhalt gewürdigt und auf ihn die Rechtsprechung korrekt angewandt.

Zu Recht hat es befunden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien im streitbefangenen Zeitraum zwar geruht habe, dieses jedoch im konkreten Fall nicht dem Entstehen von Urlaubsansprüchen entgegensteht.

a) Zunächst ist der Beklagten zwar beizupflichten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der erfolgten Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld gem. §§ 136 ff, 157 Abs. 3 S. 1 SGB III geruht hat. Dieses führt aber nicht ohne weiteres dazu, dass Urlaubsansprüche während des Ruhenszeitraumes nicht entstehen.

aa) Zu Recht hat die Beklagte zwar insoweit auf die Entscheidungen des BAG (BAG, Urteil vom 14. März 200, 9 AZR 312/05, BAGE 117, 231-247, RZ. 33, 34, 27, 28) Bezug genommen, als auch dort auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Bezuges von Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung abgestellt wurde, da der Arbeitnehmer durch die Beantragung des Arbeitslosengeldes und Vorlage der Arbeitsbescheinigung zu erkennen gegeben habe, dass er seine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, die Erbringung der Arbeitsleistung, wegen seiner krankheitsbedingten und nicht nur vorübergehenden Leistungsunfähigkeit zumindest vorläufig als beendet ansehe. Die Beklagte habe mit Erteilung der Arbeitsbescheinigung auf ihr Direktionsrecht und damit auf ihre Verfügungsmacht über die Arbeitsleistung des Klägers verzichtet. Dadurch seien die Dienstleistungspflicht des Klägers und gleichzeitig die Vergütungspflicht der Beklagten suspendiert und das Arbeitsverhältnis zum Ruhen gebracht worden. Die von der Beklagte bereits in erster Instanz zitierten Urteile des LAG Hamm, Urteil vom 13. Februar 2012 – 16 Sa 560/10 -, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06. Dezember 2011 – 19 Sa 795/11 und 19 Sa 1229/11 -, juris und LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 10 Sa 19/11 -, juris ) gehen davon aus, die Kammer sieht dieses nicht anders.

bb) Allerdings ist die Frage, ob dieser Umstand zu einer Kürzung des Urlaubsanspruchs führt, getrennt hiervon zu sehen.

So beruhte die Kürzung in dem von dem BAG entschiedenen Fall darauf, dass es in der Sache um den tariflichen Anspruch auf Abgeltung von Urlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis bei langandauernder Erkrankung ging, was gem. § 7Abs. 4 BUrlG grundsätzlich ausgeschlossen ist. Hierzu hatte das BAG in der angeführten Entscheidung ausgeführt: Gegen eine derartige Tarifregelung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Eine solche Bestimmung verstößt nicht gegen die Unabdingbarkeit des Urlaubsanspruchs nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG; sie geht vielmehr über die nach § 7 Abs. 4 BUrlG eröffnete Abgeltung hinaus. Sie schafft eine nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht vorgesehene zusätzliche Leistung des Arbeitgebers als Ersatz für einen Urlaubsanspruch, der bereits wegen Zeitablaufs erloschen wäre (Rz. 44).

Die Frage der Berechtigung zur Kürzung des gesetzlichen und durch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung geschützten Mindesturlaubs von vier Wochen wird durch die vorgenannte Entscheidung des BAG nicht entschieden.

Die Entscheidungen des LAG Hamm und des LAG Berlin-Brandenburg sahen die Kürzung der Urlaubsansprüche als zulässig und gegeben an, das LAG Baden-Württemberg lehnte eine Kürzung des Urlaubsanspruchs dagegen ab (siehe dort, Rz. 31 ausführlich). Allen Entscheidungen ist gemein, dass die jeweils eingelegte Revision durch Vergleich oder Rücknahme erledigt wurde.

Eine Befassung mit der Frage des Entstehens oder Erlöschens von Urlaubsansprüchen im Falle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses bei langandauernder Leistungsunfähigkeit und der Gewährung vom Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung erfolgte sodann erst wieder mit der Entscheidung vom 22.01.2019 (BAG, Urt. vom 22.01.2019, 9 AZR 10/17, juris). In dem zu entscheidenden Fall – in dem der Schwerpunkt der Entscheidung allerdings auf der Frage der Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen lag – bezog der Beschäftigte nach durchgehender Arbeitsunfähigkeit in der Folge Arbeitslosengeld; das Arbeitsverhältnis endete durch den Tod des Arbeitnehmers während dieser Zeit.

Hier bestätigte das BAG nochmals die nach dem BUrlG geltenden Grundsätze, wonach die mit einer Ruhensvereinbarung bewirkte Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis das Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nicht hindere, da der Urlaubsanspruch nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetze. Er stehe nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat (so schon BAG, 7. August 2012, 9 AZR 353/10, Rn. 8 mwN, BAGE 142, 371). Weder enthalte § 1 BUrlG, nach dem jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat, eine Ausnahmeregelung für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, noch nehme § 2 Satz 1 BUrlG Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis kraft Abrede der Arbeitsvertragsparteien oder aufgrund tariflicher Anordnung ruhe, vom Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes aus (BAG, 9 AZR 10/17, wie vor, Rz. 28).

Diese Entscheidung erfolgte auch bereits in Kenntnis und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu Kürzungsmöglichkeiten auch des unionsrechtlich geschützten Mindesturlaubs im Falle einer nicht durchgehenden Beschäftigung.

So hatte der EuGH bezogen auf das Vorliegen von Kurzarbeit bereits im Jahr 2012 ausgeführt, dass Kurzarbeiter formell betrachtet zwar einen Vollzeitarbeitsvertrag haben. Während der Kurzarbeit seien jedoch die gegenseitigen Leistungspflichten des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers nach Maßgabe der Arbeitszeitverkürzung suspendiert, wenn nicht gar völlig aufgehoben. Daraus folgte, dass Kurzarbeiter, als „vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“ anzusehen seien, da ihre Situation faktisch der von Teilzeitbeschäftigten vergleichbar sei und dass für ihren Anspruch auf Jahresurlaub der in Paragraf 4 Nr. 2 der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit vorgesehene Pro-rata-temporis-Grundsatz gelte. (EuGH, Urteil vom 08. November 2012, C-229/11 und C-230/11, Heimann und Toltschin, juris, vgl. Randnrn. 32, 36 und Tenor).

In dieser Entscheidung hat er gleichwohl wiederum unter Hinweis auf seine eigene Rechtsprechung (Urteil vom 21. Juni 2012, ANGED, C-78/11, Randnr. 18, Urteile Schultz-Hoff u.a. vom 20. Januar 2009, C-350/06 und C-520/06, Randnr. 41, und vom 24. Januar 2012, Domínguez, C-282/10, Randnr. 20) darauf verwiesen, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden dürfe.

So habe der Gerichtshof in Bezug auf ordnungsgemäß krankgeschriebene Arbeitnehmer bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat den nach der Richtlinie 2003/88 allen Arbeitnehmern zustehenden Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht von der Voraussetzung abhängig machen könne, dass sie während des von diesem Staat festgelegten Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Danach sei Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte (EuGH, wie vor, Rz. 24, 25)..

Damit wurde seitens des EuGH deutlich gemacht, dass der Arbeitnehmer, der durch den von ihm nicht zu beeinflussenden Schicksalsschlag einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit betroffen ist, eben anders zu behandeln ist, als dies bei anderen Gründen für eine Nichtbeschäftigung der Fall ist. Insoweit steht auch die Argumentation des LAG Hamm aus 2012 (Urteil vom 13. Februar 2012, 16 Sa 560/10, juris) nicht im Einklang mit dieser Rechtsprechung, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Entscheidung des EuGH zeitlich nach der des LAG Hamm ergangen ist. Soweit die 16. Kammer des LAG Hamm daran anknüpft, dass das Arbeitsverhältnis nur noch formal bestehe und sinnentleert sei, da über den Arbeitnehmer mit der Aufgabe des Direktionsrechtes zur Ermöglichung des Bezugs von Arbeitslosengeld keine Möglichkeit bestanden habe, Urlaub zu gewähren (LAG Hamm, wie vor, Rz. 44), ist dieses auch im Fall der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit gegeben, gleichwohl entsteht der Urlaubsanspruch. Dem weiteren von der 16. Kammer des LAG aufgeworfenen Argument, der nach den Vorgaben des EuGH angegebene doppelte Zweck des Urlaubs, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen, sei während der Gleichwohlgewährung durch die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Erreichbarkeitsanordnung gegebene Möglichkeit für einen Aufenthalt von bis zu drei Wochen pro Kalenderjahr außerhalb des Nahbereichs der Agentur für Arbeit bei vorheriger Zustimmung durch diese, gewährleistet, wird hier nicht gefolgt. Diese Ansicht verkennt, dass der Arbeitnehmer ja gerade weiterhin arbeitsunfähig ist, so dass eine Urlaubnahme von vornherein gerade nicht in Betracht kommt. Er bleibt arbeitsunfähig, egal wo er sich aufhält. Entscheidend für die unterschiedliche Behandlung von Zeiten der Nichtbeschäftigung ist jeweils die Frage, ob sich der Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Lage befindet. so hat der EuGH in der Entscheidung vom 08. November 2012 (Heimann und Toltschin) darauf abgestellt, dass der betroffene Arbeitnehmer während der Kurzarbeit, die sich aus dem genannten Sozialplan ergebe und für ihn folglich vorhersehbar sei, sich entweder ausruhen oder Freizeittätigkeiten nachgehen könne. Da er unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leide, befindet er sich daher in einer anderen Lage, als wenn er aufgrund seines Gesundheitszustands arbeitsunfähig wäre.

Die Frage, dass sich ein Arbeitnehmer während des Bezuges von Arbeitslosengeld nicht jederzeit an einem von ihm selbst gewählten Ort aufhalten kann, ist dagegen der Anwendbarkeit der Erreichbarkeitsverordnung geschuldet, ändert aber an den tatsächlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers im Hinblick auf die krankheitsbedingten Einschränkungen zur Erreichung eines Urlaubszwecks nichts. Der Arbeitgeber wäre – bei einem Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses – auch nicht in der Lage, Urlaub zu gewähren, da der Arbeitnehmer bereits aufgrund Arbeitsunfähigkeit von der Dienstleistungspflicht befreit ist.

Soweit aufgrund des Fortbestandes des Urlaubsanspruchs eine zu weitgehende Kumulation von Urlaubsansprüchen entstünde, die aufgrund der immer weiteren Entfernung vom Jahr der Entstehung des Urlaubsanspruchs ohne Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht mehr als zur Erholung von geleisteter Arbeit angesehen werden können, wird diesem Umstand Rechnung getragen durch den nach 15 Monaten nach dem Ende des Jahres des Entstehen des Urlaubsanspruchs gegebenen Verfall der Ansprüche für den Fall andauernder Arbeitsunfähigkeit.

Auch in seiner weiteren Entscheidung zur Kurzarbeit im Jahr 2018 (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2018, C-385/17, (Hein), juris) hat der EuGH ausdrücklich darauf verwiesen, dass es zwar ausgeschlossen sei, dass sich der vom Unionsrecht gewährleistete Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Mindestjahresurlaub verringert, wenn der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht wegen einer Erkrankung im Bezugszeitraum nicht nachkommen konnte. Diese Rechtsprechung könne jedoch nicht auf den Fall eines Kurzarbeiters sinngemäß angewandt werden. Auch in dieser Entscheidung hat der EuGH die Frage des Entstehens von Urlaubsansprüchen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit von der Frage des Ruhens aus anderen Gründen unterschieden.

b) Eine Kürzung der Urlaubsansprüche ergibt sich daher weder aus der Rechtsprechung des EuGH – und zwar auch und gerade nicht im Hinblick der aktuellen Entscheidung des LAG Düsseldorf zur Kurzarbeit (LAG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2021, 6 Sa 824/20, juris), noch der darauf basierenden bisher nur als Pressemitteilung veröffentlichten Entscheidung des BAG (Urteil vom 30. November 2021, 9 AZR 225/21, Vorinstanz LAG Düsseldorf wie vor), da der Unterschied des Schicksals des Urlaubsanspruchs bei Krankheit und Kurzarbeit geklärt ist.

In der oben bereits angesprochenen Entscheidung des BAG (Urteil vom 22. Januar 2019, 9 AZR 10/17, juris, Rz. 31,32) hat es hierzu weiter ausgeführt, der Umstand, dass der Anspruch grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen ist und ein Arbeitnehmer danach einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nur für die Zeiträume erwerben könne, in denen er tatsächlich gearbeitet habe, nicht dazu führe, dass es unionsrechtlich geboten sei, den Jahresurlaub zu kürzen, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses darauf zurückzuführen sei, dass ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seine Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht erfüllen kann. Unionsrecht stehe im Gegenteil in dieser Situation einer Kürzung des Urlaubsanspruchs entgegen. Der Gerichtshof habe erkannt, dass ein Mitgliedstaat den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG nicht von der Voraussetzung einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig machen könne, wenn ein Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage sei, seine Aufgaben zu erfüllen. In Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub seien Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, mit Arbeitnehmern gleichgestellt, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Die Situation von Arbeitnehmern, die aufgrund ihres Gesundheitszustands arbeitsunfähig seien und deshalb die Arbeitsleistung nicht erbringen könnten, unterscheide sich nach Feststellung des Gerichtshofs grundlegend von der von Arbeitnehmern, die unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen leiden und allein willentlich die Aufhebung ihrer Arbeitspflicht herbeigeführt hätten (vgl. EuGH 4. Oktober 2018 – C-12/17 – [Dicu] Rn. 31 ff.).

§ 3 Abs. 1 BUrlG sei richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass Arbeitnehmer, die mit dem Arbeitgeber das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbaren, weil sie wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugszeitraums ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen können, Arbeitnehmern gleichzustellen seien, die während dieses Zeitraums tatsächlich arbeiten (BAG, Urteil vom 22. Januar 2019, 9 AZR 10/17, juris, Rz. 30). Der Auffassung des BAG schließt sich die erkennende Kammer insoweit an.

Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt auch von weiteren Entscheidungen, in denen das BAG bzw. der EuGH eine Kürzung bzw. einen Entfall von Urlaubsansprüchen für zulässig erkannt haben (Sonderurlaub BAG, Urteil vom 19. März 2019, 9 AZR 406/17, BAGE 166, 176-18; Altersteilzeit BAG, Urteil vom 24.09.2019, 9 AZR 481/18, juris; Elternzeit EuGH, Urteil vom 04.01.2018, C-12/17, juris; ) Allen diesen Sachverhalten war gemein, dass die Nichtausübung der Arbeitsleistung auf einem freien Entschluss beruhte, der im Fall der Arbeitsunfähigkeit nicht gegeben ist. Allein, dass der Arbeitnehmer dann – insoweit aus freiem Entschluss – zur Gewährleistung des Lebensunterhaltes und zum Bezug von Arbeitslosengeld dieses beantragt und damit faktisch das Arbeitsverhältnis zum Ruhen bringt, steht dem nicht entgegen.

2. Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht erkannt, dass diese urlaubsrechtlichen Grundsätze nicht nur auf den gesetzlichen, sondern ebenso auf den darüber hinausgehenden tariflichen Urlaubsanspruch anzuwenden sind, da insoweit ein Gleichlauf gegeben ist.

a) Insoweit gilt, dass die unionsrechtlichen Vorgaben ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen betreffen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt. Für einen vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Der eigenständige, dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt nicht, wenn in einem Tarifvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen. Ein Gleichlauf mit der Befristung des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Vereinbarungen getroffen haben (BAG, Urteil vom 29. September 2020, 9 AZR 364/19, Rn. 20 – 26, juris; BAG, Urteil vom 14. Februar 2017, 9 AZR 386/16, Rn. 15; BAG Urteil vom 15. Dezember 2015, 9 AZR 747/14 Rn. 14; BAG Urteil vom 22. Mai 2012, 9 AZR 575/10, Rn. 12).

b) Die Auslegung des MTV ergibt eine solche eigenständige Regelung nicht.

Zwar enthält er eine vom BUrlG abweichende Regelung in § 37 Abs. 6 MTV insoweit, als er das Erlöschen des Anspruches drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres vorsieht, soweit dieser aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte, während § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG hierfür das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe erfordert, was das BAG (Urt. vom 29.09.2020, wie vor, Rz. 23) als hinreichend für eine eigenständige Regelung für die Übertragung angesehen hat.

Dieses kann aber vorliegend dahinstehen, da die Tarifvertragsparteien selbst festgelegt haben, dass dann, wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, dieser erst zwölf Monate nach Ablauf des Zeitraums nach § 37.6 Abs. 1 MTV erlischt, somit 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, aus dem der Anspruch erwachsen ist und damit bezogen auf den gesamten Urlaubsanspruch die durch die Rechtsprechung des EuGH und BAG entwickelte Fristenregelung für das Erlöschen von Urlaubsansprüchen bei Krankheit beachtet (siehe grundlegend nur EuGH, Urteil vom 22. November 2011, C-214/10, juris).

Nach dem Inhalt der tarifliche Regelung bezieht sich diese auf den gesamten Urlaubsanspruch, da der gesetzliche Urlaubsanspruch ohnehin erst in diesem Rahmen erlöschen könnte, so dass sich die ausdrücklich abweichende Regelung im Krankheitsfall zwangsläufig (auch) auf den darüber hinausgehenden tariflichen Anspruch bezieht, da es ansonsten keiner ausdrücklichen Regelung bedurft hätte.

3) Der Höhe nach waren sowohl der Tagesbetrag für das zu zahlende Urlaubsentgelt als auch für das zusätzliche Urlaubsgeld unstreitig, die Berechnung des Arbeitsgerichts lässt auch insoweit keine Fehler erkennen. Die Kammer folgt auch den Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Akzessorietät des Urlaubsgeldanspruchs, macht sich diese zu eigen und sieht von einer weiteren Darstellung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Gründe, die Revision nach § 72 Abs.2 ArbGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

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