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Versetzung – Unwirksamkeit wegen Verletzung billigen Ermessens

Das Arbeitsgericht Nordhausen hat entschieden, dass die Versetzung einer schwerbehinderten Hauswirtschaftskraft in eine andere Abteilung unwirksam ist, da der Arbeitgeber die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die Versetzung wäre für die Klägerin mit massiven gesundheitlichen Problemen verbunden. Der Arbeitgeber muss bei Versetzungen das billige Ermessen wahren und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ca 511/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Versetzungen der Klägerin von der ambulanten zur stationären Pflege in der Einrichtung des Beklagten sind unwirksam, da der Beklagte sein billigem Ermessen bei der Anordnung verletzt hat.
  • Das Arbeitsverhältnis der Klägerin als verantwortliche Hauswirtschaftskraft mit einem Beschäftigungsumfang von 35 Wochenstunden bleibt unverändert bestehen.
  • Die Versetzungen berücksichtigen nicht ausreichend die besondere gesundheitliche Situation der Klägerin als schwerbehinderter Mensch und ihre spezifischen Belastungsgrenzen.
  • Eine stationäre Tätigkeit in geschlossenen Räumen ohne Möglichkeit zur Erholung widerstrebt den dringenden gesundheitlichen Anforderungen der Klägerin.
  • Der Beklagte hat keine überzeugenden betrieblichen Gründe für die Versetzung dargelegt, die die erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin rechtfertigen würden.
  • Die Änderung des Arbeitsortes und der Arbeitsbedingungen ohne angemessene Berücksichtigung des Beschäftigtenschutzes ist unverhältnismäßig.
  • Der Wortlaut der ersten Versetzungsanordnung vom 14.06.2023 war zwar missverständlich, ist aber im Lichte der Konkretisierungen zu verstehen.
  • Das Feststellungsinteresse der Klägerin am ersten Versetzungsschreiben bleibt bestehen, da sich hieraus Rechtsfolgen für die Gegenwart und Zukunft ergeben.

Wichtige Schlüsselwörter wurden in Fettschrift hervorgehoben.

Arbeitgeber versetzt behinderten Mitarbeiter unwirksam – Billiges Ermessen verletzt

Versetzungen von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber sind im deutschen Arbeitsrecht ein häufig diskutiertes Thema. Grundsätzlich besitzt der Arbeitgeber zwar ein Direktionsrecht, das ihm ermöglicht, Arbeitsort und Aufgaben seiner Mitarbeiter einseitig zu ändern. Allerdings unterliegt dieses Recht Beschränkungen zum Schutz der Arbeitnehmer. Vor allem bei Versetzungen, die mit einer wesentlichen Änderung der Arbeitsbedingungen verbunden sind, muss der Arbeitgeber das „billige Ermessen“ wahren.

Das bedeutet, dass er die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen und seine Entscheidung sachgerecht begründen muss. Insbesondere bei Arbeitnehmern mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen sind die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Versetzung besonders hoch. Der Arbeitgeber muss hier sorgfältig prüfen, ob die vorgesehenen Änderungen zumutbar sind und den Beschäftigten nicht unangemessen belasten.

Im Folgenden werden wir uns mit einem konkreten Gerichtsurteil befassen, in dem es um die Unwirksamkeit einer Versetzung wegen Verletzung des billigen Ermessens ging.

Der Fall vor dem Arbeitsgericht Nordhausen im Detail

Versetzung einer schwerbehinderten Hauswirtschaftskraft für unwirksam erklärt

In dem vorliegenden Fall vor dem Arbeitsgericht Nordhausen (Az.: 3 Ca 511/23) stritten die Parteien um die Wirksamkeit von drei Versetzungen, die der Arbeitgeber gegenüber einer langjährig beschäftigten Hauswirtschaftskraft ausgesprochen hatte. Die Klägerin, seit 1998 beim Beklagten als Hauswirtschaftskraft tätig und seit 2009 als verantwortliche Hauswirtschaftskraft mit einem Beschäftigungsumfang von 35 Wochenstunden, war zuletzt in der Sozialstation B im ambulanten Bereich eingesetzt. Im Jahr 2022 erkrankte sie schwer und wurde als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt. Nach einer betrieblichen Wiedereingliederungsmaßnahme sollte sie gemäß Versetzungsanordnung des Arbeitgebers ab Juni 2023 in der Tagespflege B, also im stationären Bereich, eingesetzt werden.

Berücksichtigung der gesundheitlichen Situation der Klägerin

Die Klägerin sah diese Versetzung als nicht gerechtfertigt an und klagte auf Feststellung der Unwirksamkeit. Sie argumentierte, dass die Versetzung ihre gesundheitliche Situation nicht ausreichend berücksichtige. Ihr bisheriger Einsatz im ambulanten Bereich mit wechselnden Einsatzorten und Tätigkeiten ermöglichte ihr, den durch ihre Erkrankung bedingten Einschränkungen besser zu begegnen. Die Fahrzeiten zwischen den Klienten dienten ihr zur Erholung und die frische Luft als Therapie. Eine stationäre Tätigkeit in geschlossenen Räumen mit dauerhafter körperlicher Belastung würde hingegen zu massiven gesundheitlichen Problemen führen.

Billiges Ermessen des Arbeitgebers bei Versetzungen

Das Arbeitsgericht Nordhausen gab der Klage statt und erklärte alle drei Versetzungsanordnungen des Arbeitgebers für unwirksam. Das Gericht betonte, dass der Arbeitgeber zwar grundsätzlich ein Direktionsrecht habe, welches ihm auch Versetzungen erlaube. Allerdings müsse er dabei das billige Ermessen wahren und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen. Insbesondere bei schwerbehinderten Menschen seien die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Versetzung besonders hoch.

Fehlende betriebliche Gründe für die Versetzung

Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber keine überzeugenden betrieblichen Gründe für die Versetzung darlegen, die die erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin rechtfertigen würden. Der bloße Hinweis auf eine nachzubesetzende Stelle und den Fachkräftemangel genügte dem Gericht nicht. Das Gericht betonte, dass der Arbeitgeber die besonderen gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin hätte berücksichtigen müssen. Eine Versetzung in den stationären Bereich widerspreche den dringenden gesundheitlichen Anforderungen der Klägerin und sei daher unverhältnismäßig.

✔ FAQ zum Thema: Versetzung von Arbeitnehmern


Was ist billiges Ermessen und wie wird es im Kontext von Versetzungen angewendet?

Das billige Ermessen ist ein zentrales Prinzip im Arbeitsrecht, das dem Arbeitgeber einen Ermessensspielraum bei der Ausübung seines Weisungsrechts einräumt, diesen aber zugleich begrenzt. Bei Versetzungen bedeutet dies:

Der Arbeitgeber kann grundsätzlich von seinem Direktionsrecht Gebrauch machen und Arbeitnehmer an einen anderen Arbeitsort versetzen, sofern der Arbeitsvertrag keine abweichenden Regelungen enthält. Die Versetzung muss jedoch billigem Ermessen entsprechen.

Dies erfordert eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien und der Umstände des Einzelfalls. Der Arbeitgeber muss die wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigen und darf seine Entscheidung nicht willkürlich treffen. Maßgeblich sind etwa die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer, betriebliche Erfordernisse und branchenübliche Gepflogenheiten.

Entspricht die Versetzung nicht billigem Ermessen, ist sie rechtswidrig und der Arbeitnehmer kann sie ablehnen. Die Beweislast für die Wahrung des billigen Ermessens trägt der Arbeitgeber. Gelingt ihm der Nachweis nicht, ist die Versetzungsanordnung unwirksam.

Das Prinzip des billigen Ermessens dient somit als Korrektiv, um einseitige Weisungen des Arbeitgebers zu begrenzen und die Interessen des Arbeitnehmers angemessen zu berücksichtigen.


Welche Rechte haben schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer Versetzung?

Diese Frage zielt darauf ab, das Bewusstsein und die Kenntnisse über spezielle Schutzrechte für schwerbehinderte Mitarbeiter zu erhöhen. Sie beleuchtet, welche zusätzlichen Anforderungen an die Begründung einer Versetzung gestellt werden, wenn es sich um schwerbehinderte Arbeitnehmer handelt.

Thematischer Zusammenhang: Versetzung – Unwirksamkeit wegen Verletzung billigen Ermessens.


Wie kann ein Arbeitnehmer gegen eine als ungerechtfertigt empfundene Versetzung vorgehen?

Ein Arbeitnehmer hat mehrere Möglichkeiten, gegen eine als ungerechtfertigt empfundene Versetzung vorzugehen:

  • Widerspruch einlegen: Der Arbeitnehmer sollte der Versetzungsanordnung schriftlich widersprechen und seine Gründe darlegen. Damit wahrt er seine Rechte für den Fall einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung.
  • Zustimmung des Betriebsrats einholen: Ist im Betrieb ein Betriebsrat vorhanden, muss dieser jeder Versetzung zustimmen. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, ist die Versetzung unwirksam, sofern der Arbeitgeber die Weigerung nicht gerichtlich ersetzen lässt.
  • Einstweilige Verfügung beantragen: Der Arbeitnehmer kann beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung beantragen, um die Versetzung bis zur Klärung in der Hauptsache auszusetzen.
  • Feststellungsklage erheben: Mit einer Feststellungsklage kann der Arbeitnehmer feststellen lassen, dass die Versetzung rechtswidrig und damit unwirksam ist.
  • Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung geltend machen: Der Arbeitnehmer kann auf Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen klagen. Die Rechtmäßigkeit der Versetzung ist dann Vorfrage.

Es gelten keine speziellen Fristen, die Drei-Wochen-Frist des Kündigungsschutzgesetzes findet keine Anwendung. Bis zur gerichtlichen Klärung sollte der Arbeitnehmer der Versetzung jedoch Folge leisten, um keine Abmahnung oder Kündigung zu riskieren.


Inwiefern müssen die gesundheitlichen Einschränkungen eines Arbeitnehmers bei einer Versetzung berücksichtigt werden?

Die gesundheitlichen Einschränkungen eines Arbeitnehmers müssen bei einer Versetzung zwingend berücksichtigt werden. Dies ergibt sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und dem Grundsatz des billigen Ermessens:

Der Arbeitgeber hat bei Ausübung seines Weisungsrechts, zu dem auch Versetzungen gehören, den Grundsatz des billigen Ermessens nach § 315 BGB zu beachten. Dies bedeutet, dass er die Umstände des Einzelfalls und die berechtigten Interessen beider Vertragsparteien gegeneinander abwägen muss.

Gesundheitliche Einschränkungen des Arbeitnehmers sind dabei zwingend zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber muss prüfen, ob die neue Tätigkeit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen angemessen ist und zumutbar erscheint.

Ist der neue Arbeitsplatz aufgrund der Einschränkungen ungeeignet, stellt dies einen Verstoß gegen das Gebot des billigen Ermessens dar. Die Versetzung wäre dann rechtswidrig und der Arbeitnehmer kann sie ablehnen.

Die Beweislast für die Wahrung billigen Ermessens trägt der Arbeitgeber. Gelingt ihm der Nachweis nicht, dass er die gesundheitlichen Belange hinreichend gewürdigt hat, ist die Versetzungsanordnung unwirksam.

Besonders streng sind die Anforderungen bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern. Hier muss der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis so gestalten, wie es der Behinderung entspricht (§ 164 Abs. 4 SGB IX).


Was versteht man unter einer unverhältnismäßigen Versetzung?

Eine Versetzung ist dann als unverhältnismäßig anzusehen, wenn die Belastungen und Nachteile für den Arbeitnehmer die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers deutlich überwiegen. Es liegt eine Verletzung des Grundsatzes des billigen Ermessens vor. Folgende Faktoren können eine Versetzung als unverhältnismäßig erscheinen lassen:

  • Gesundheitliche Einschränkungen: Wenn die neue Tätigkeit aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers unzumutbar ist, stellt dies einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dar.
  • Erhebliche Mehrbelastungen: Eine deutliche Verlängerung der Arbeitswege, die zu extremen Pendelzeiten führt, kann unverhältnismäßig sein, insbesondere wenn persönliche oder familiäre Gründe vorliegen.
  • Statusverlust: Eine Versetzung auf einen niedrigeren Rang oder eine geringer qualifizierte Tätigkeit kann unverhältnismäßig sein, wenn keine ausreichenden betrieblichen Gründe vorliegen.
  • Finanzielle Einbußen: Führt die Versetzung zu erheblichen Einkommenseinbußen ohne Ausgleich, kann dies eine unverhältnismäßige Belastung darstellen.
  • Soziale Aspekte: Besondere persönliche oder familiäre Umstände wie die Betreuung von Kindern oder Angehörigen können eine Versetzung unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Die Beurteilung erfolgt stets im konkreten Einzelfall. Der Arbeitgeber muss die Umstände sorgfältig gegeneinander abwägen. Überwiegen die Nachteile für den Arbeitnehmer, ist die Versetzung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.



§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 106 Gewerbeordnung (GewO): Dieser Paragraph legt fest, dass der Arbeitgeber das Recht zur Bestimmung des Inhalts, des Ortes und der Zeit der Arbeitsleistung hat, soweit diese Bestimmungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung, Tarifverträge oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dieser Paragraph ist zentral, da er das Direktionsrecht umschreibt, welches auch die Versetzungen beinhaltet, allerdings unter Wahrung des billigen Ermessens.
  • § 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Regelt die Bestimmung der Leistung durch eine Partei und verlangt, dass diese „nach billigem Ermessen“ erfolgen muss. Dies ist relevant, da das Gericht im vorliegenden Fall zu prüfen hat, ob die Versetzungen innerhalb des Rahmens des billigen Ermessens erfolgten.
  • § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): In Bezug auf Versetzungen, die länger als vier Wochen dauern, muss der Betriebsrat beteiligt werden. Dies ist besonders wichtig, wenn die Versetzung signifikante Änderungen für den Arbeitnehmer bedeutet. Im vorliegenden Fall wäre zu klären, ob diese Beteiligung stattgefunden hat.
  • Schwerbehindertenrecht (SGB IX): Spezielle Schutzvorschriften für schwerbehinderte Arbeitnehmer, die eine besondere Berücksichtigung ihrer Belange bei arbeitsplatzbezogenen Entscheidungen wie Versetzungen fordern. Dies ist relevant, da die Klägerin als schwerbehindert anerkannt ist und dies besondere Rücksichtnahme erfordert.
  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Dient dem Schutz vor Diskriminierung aufgrund verschiedener Merkmale, einschließlich Behinderung. Im Kontext des Falles könnte geprüft werden, ob die Versetzung der Klägerin Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung darstellt, besonders wenn diese ihre Arbeitsfähigkeit verschlechtert.
  • Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) oder relevanter Branchentarifvertrag: Während der Tarifvertrag nicht explizit im vorliegenden Text genannt ist, ist davon auszugehen, dass tarifliche Regelungen bezüglich Versetzungen und deren Bedingungen relevant sind. In diesem Fall würde der Tarifvertrag zwischen der AWO Thüringen und dem DHV spezifische Bestimmungen zu Versetzungen enthalten, die über die allgemeinen gesetzlichen Regelungen hinausgehen.


➜ Das vorliegende Urteil vom Arbeitsgericht Nordhausen

ArbG Nordhausen – Az.: 3 Ca 511/23 – Urteil vom 19.12.2023

I. Es wird festgestellt, dass die mit Schreiben vom 14.06.2023 ausgesprochene Versetzung unwirksam ist.

II. Es wird festgestellt, dass die mit Schreiben vom 31.08.2023 ausgesprochene „Weisung/Versetzung“ unwirksam ist.

III. Es wird festgestellt, dass die mit Schreiben vom 01.09.2023 ausgesprochene „Weisung/Versetzung“ unwirksam ist.

IV. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.

V. Der Streitwert wird auf 7.198,29 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier Versetzungen.

Die am 14.09.1967 geborene Klägerin ist seit den Jahre 1998 bei dem Beklagten zunächst als Hauswirtschaftskraft, seit dem Jahre 2009 als verantwortliche Hauswirtschaftskraft bei einer 35-Stunden-Arbeitswoche beschäftigt. Ihr Arbeitsort war zuletzt die Sozialstation in B, wo sie im ambulanten Bereich tätig war. Sie erhält eine tarifvertragliche Vergütung nach der Vergütungsgruppe 4, Vergütungsstufe 4 (= 2399,43 Euro brutto).

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag zwischen den Arbeitgeberverband der AWO Thüringen und dem DHV Anwendung. § 16 des Tarifvertrags 2020/2021 zwischen dem Arbeitsgeberverband er AWO Thüringen e.V. und der DHV-Die Berufsgewerkschaft e.V. vom 30.09.2029 enthält u.a. folgende Regelung:

㤠16 Versetzung

Der Beschäftigte ist im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen vereinbarten Tätigkeit in jedem/r Betrieb, Betriebsteil oder Einrichtung des Arbeitsgebers vorübergehend oder auf Dauer einsetzbar. Bei Versetzung von mehr als 4 Wochen ist § 99 des BetrVG zu beachten …“

Laut § 1 Abs. 3 des Änderungsvertrags vom 12.12.2017 sind sich die Parteien darüber einig, dass Aufgabenbereich und Tätigkeitsort durch den Arbeitgeber geändert werden können, was auch durch eine längere Tätigkeit des Arbeitnehmers in ein und demselben Aufgabenbereich oder an ein und demselben Tätigkeitsort nicht beschränkt wird. § 1 Abs. 4 des vorgenannten Änderungsvertrages bestimmt, dass der Arbeitnehmer Anweisungen und Richtlinien des Arbeitgebers zu befolgen hat.

Die Stellenbeschreibung vom 19.01.2010 bezeichnet die Aufgaben und Tätigkeiten der Klägerin wie folgt:

– für Sauberkeit und Ordnung im Haushalt des Kunden sorgen

– Betten abziehen und beziehen

– Essen zubereiten, bewegungsbeschränkten Kunden das Essen reichen

– Haushaltsführung bei den Kunden nach Absprache mit der verantwortlichen Pflegekraft

– Einkauf von Nahrungs- und Verbrauchsmitteln nach Absprache mit dem Kunden

– Wäscheversorgung

– Bestellung und Kontrolle des Mahlzeitendienstes

– Hilfe bei Ernährungs- und Versorgungsqualität

– Ausfüllen von Ess- und Trinkprotokoll

– Reinigen der Pflegehilfsmittel (Rollstuhl, Toilettenstuhl, Gehwagen, usw.)

– vollständiges und lückenloses Führen der Pflegedokumentationen im eigenen Kompetenzbereich und der unterstellten Mitarbeiter

– Hilfe bei der Krankenbeobachtung und Berichtserstattung und Dokumentation der Daten, interne Kommunikation mit Pflegefachkräften

– Leitung der Dienstbesprechungen der Hauswirtschaft in Absprache mit der Verantwortlichen Pflegekraft

– Qualitätssichernde Tätigkeiten der Mitarbeiter – Anleitung, Beaufsichtigung und Kontrolle

– Einhalten und Überwachung der Hygienemaßnahmen

– Erstellung von Dienst- und Tourenplänen, Leistungsplanung

– Urlaubsplanung der Hauswirtschaft

– Erarbeitung eines prospektiven Fortbildungsplanes.“

Wegen des weiteren Inhalts der Stellenbeschreibung wird auf die Anlage K2 (Blatt 8f der Akte) verwiesen.

Im Jahre 2022 erkrankte die Klägerin schwer und war deshalb bis ins Jahr 2023 hinein arbeitsunfähig. Im Zeitraum vom 06.03.2023 bis 16.04.2023 führte der Beklagte mit ihr eine betriebliche Wiedereingliederungsmaßnahme durch.

Mit Bescheid vom 20.04.2023 stellte der Landkreis N bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung von 70 mit Wirkung ab 29.11.2022 fest. Danach leidet die Klägerin an folgenden Behinderungen:

– chronische Nierenerkrankung bei rapid progressiver Glomerulonephritis bei Granulomatose mit Polyangitis und pulmonaler, rhino-nasaler sowie renaler Beteiligung

– Sjögren-Syndrom

– Bluthochdruck.

Am 31.05.2023 fand in den Geschäftsräumlichkeiten des Beklagten ein Personalgespräch zwischen der Klägerin einerseits und den Mitarbeiterinnen des Beklagten in Form der Pflegedienstleiterin L, der Personalleiterin V und der Mitarbeiterin vom Integrationsfachdienst B statt. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig; allerdings war die spätere Versetzung nicht Gegenstand des Gesprächs.

Die Klägerin nahm nach Genesung ihre Arbeit beim Beklagten wieder auf.

Mit Schreiben vom 14.06.2023 sprach der Beklagte gegenüber der Klägerin folgende „innerbetriebliche Versetzung“ aus:

„Sehr geehrte Frau Sch,

heute informieren wir Sie, dass sie ab dem 19.06.2023, in einem wöchentlichen Umfang von 25,0 Stunden, in der Tagespflege B als Hauswirtschafterin eingesetzt werden.

Für die entsprechende Dienst-/Einsatzplanung ist Frau M B Ihre Ansprechpartnerin.“

Die Klägerin ist seit dem 19.06.2023 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Sie bezog über den 19.06.2023 hinaus ihre bisherige Vergütung nach der VG4/4.

Mit Schreiben vom 31.08.2023 sprach der Beklagte der Klägerin nachfolgende „Weisung/Versetzung“ aus:

„Sehr geehrte Frau Sch,

wir nehmen Bezug auf unsere schriftliche Versetzungsmitteilung vom 14.06.2023, die gegenwärtig vom Arbeitsgericht Nordhausen unter dem Az. 3 Ca 511/23 überprüft wird. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass diese Versetzung missverständlich formuliert ist und konkretisieren sie daher mit diesem Schreiben und mit sofortiger Wirkung wie folgt:

Sobald Sie wieder genesen sind und Ihre Arbeitsfähigkeit hergestellt ist, werden Sie als Hauswirtschafterin in der Tagespflege B eingesetzt. Dieser Aufgabenbereich umfasst einen wöchentlichen Arbeitszeitumfang von 25,0 Stunden verteilt auf 5 Arbeitstage.

Die verbleibende Differenz von 10 Wochenstunden ist auch weiterhin für die Dienst-/ Einsatzplanung des Hauswirtschaftsteams vorgesehen. Dieser Zeitumfang verteilt sich ebenfalls auf 5 Arbeitstage pro Woche.

Eine Reduzierung Ihrer Arbeitszeit oder der Vergütung ist mit dieser Versetzung/Weisung nicht verbunden. Vielmehr bleibt es bei Ihrer Eingruppierung wie folgt: VG4/4.“

Mit Schreiben vom 01.09.2023 sprach der Beklagte der Klägerin eine erneute „Versetzung/Weisung“ aus, die inhaltlich mit derjenigen vom 31.08.2023 identisch ist.

Der Beklagte hat für die Tätigkeit der Klägerin eine neue Stellenbeschreibung gefertigt, die bislang noch nicht von ihm mit einem Datum und von beiden Parteien unterschrieben worden ist. Die Stelle wird darin als „Hauswirtschaftskraft Tagespflege, Disponentin Hauswirtschaft ambulanter Dienst“ beschrieben. Es wird eine Verantwortlichkeit für die Leitung der hauswirtschaftlichen Teams B und H festgelegt. Die Aufgaben der Klägerin werden in betriebs-, personal- und klientenbezogene Aufgaben unterteilt; wegen des weiteren Inhalts der Stellenbeschreibung ohne Datum wird auf die Anlage B2 (Blatt 52-54 der Akte) verwiesen.

Der neue Arbeitsort der Tagespflege B bedeutet für die Klägerin, dass sie stationär tätig sein wird.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzungen vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023. Sie ist der Auffassung, dass die Versetzung vom 14.06.2023 nicht mehr vom Direktionsrecht des Beklagten gedeckt sei, weil dadurch ihre Arbeitszeit von 35 auf 25 Wochenarbeitsstunden und Ihre Tätigkeit der Verantwortlichen Hauswirtschaftskraft zu einer einfachen Hauswirtschaftskraft abgeändert werden sollen. Die Versetzungen vom 31.08.2023 und vom 01.09.2023 seien deshalb unwirksam, weil überhaupt kein Grund für die Veränderung des Arbeitsortes weg von der ambulanten hin zur stationären Pflege ersichtlich sei. Die Klägerin behauptet, dass im Rahmen des Personalgesprächs am 31.05.2023 die Mitarbeiterin B ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass bei ihr erhebliche behinderungsbedingte Leistungseinschränkungen vorlägen, die dazu führten, dass sie Abwechslung in ihren Tätigkeiten benötige und nicht ausschließlich in geschlossenen Räumen arbeiten dürfe. Nach bis zu 2-stündiger körperlicher Belastung benötige sie Pausen und Zeit für Nahrungsaufnahme und reichlich Trinken. Eine Dauerbelastung führe zu Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen. Sie bedürfe, bedingt durch ihre Erkrankungen, regelmäßiger medizinischer Behandlungen. Die Fahrzeiten in der Hauswirtschaft nutze sie zur Regeneration und Erholung und die frische Luft zwischen den einzelnen Hausbesuchen diene ihr als Therapie. Sie benötige in Zukunft innerhalb ihrer Tätigkeit als Verantwortliche Hauswirtschaftskraft zusätzliche Pausen, die sie während der jeweiligen Fahrtstrecke zum nächsten Patienten/Klienten legen könne. Die Stellenbeschreibung ohne Datum zur Versetzung von 31.08.2023 weise ihr geringwertigere Arbeiten zu. Ein Versetzungsgrund liege offensichtlich nicht vor. Mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden sei eine „Verantwortliche Tätigkeit“ nicht nur für B, sondern auch für H, einem weiteren Standort des Beklagten für Hauswirtschaftskräfte, nicht möglich.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass die mit Schreiben vom 14.06.2023 ausgesprochene Versetzung unwirksam ist,

2. festzustellen, dass die mit Schreiben vom 31.08.2023 ausgesprochene „Unterweisung/Versetzung“ unwirksam ist,

3. festzustellen, dass die mit Schreiben vom 01.09.2023 ausgesprochene „Weisung/Versetzung“ unwirksam ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass seine Versetzungen vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 inhaltsgleich und von seinem Direktionsrecht gedeckt seien. Mit den Versetzungen sei nur ein Wechsel der Klägerin von der ambulanten in die stationäre Pflege in B verbunden. Hingegen enthielten die Versetzungen keine Veränderungen der Arbeitstätigkeit als Verantwortliche Hauswirtschaftskraft zur einfachen Hauswirtschaftskraft und der Arbeitszeit von einer 35- zu einer 25-Stunden-Woche. Dies zeige sich auch daran, dass die Klägerin über den 19.06.2023 hinaus ihre bisherige Vergütung nach der VG 4/4 erhalten habe. Der Beklagte behauptet, dass es bei dem Personalgespräch am 31.05.2023 ausschließlich um die Forderung der Klägerin gegangen sei, weiterhin ein Dienstfahrzeug für die Fahrten Wohnung – Arbeitsstätte zur Verfügung gestellt zu bekommen. Auf die inhaltliche Ausgestaltung der Tätigkeiten der Klägerin sei es in diesem Gespräch nicht angekommen. Im Übrigen führe auch die aktuell zugewiesene Position nicht zu den von der Klägerin aufgezeigten Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit ihren Krankheitsleiden. Dass die Fahrtzeiten zwischen den Arbeitsstellen von der Klägerin tatsächlich als Pausenzeiten wahrgenommen würden, sei für ihn völlig neu und arbeitsrechtlich wohl kaum haltbar. Die Klägerin könne zudem auch ohne Überlassung eines Dienstwagens die ihr förderlichen Abwechslungen bzw. Auszeiten in Anspruch nehmen. Die Mitarbeiterin B habe der Klägerin im Personalgespräch lediglich vermittelt, dass seitens des Integrationsamtes eine Förderung von 30 % bis 70 % für die Anschaffung eines Kfz möglich sei. Dieses Kfz stünde dann aber nicht ausschließlich der Klägerin zur Verfügung, sondern würde insgesamt seiner Flotte zugeführt werden. Er selbst habe darauf hingewiesen, dass eine solche Investition, die immerhin mit einem Eigenanteil für ihn bis zu 70 % verbunden sei, auf Grund des Investitionsplanes wirtschaftlich nicht möglich sei, im Übrigen der Vorstand hierüber zu entscheiden habe. Die Versetzungen hätten nicht mit der Forderung der Klägerin nach der auch privaten Nutzung des Dienstwagens im Zusammenhang gestanden. Vielmehr seien die Versetzungen erst erforderlich geworden, nachdem die ab dem 01.06.2023 nachzubesetzende Stelle nicht, wie ursprünglich geplant, einer anderen Mitarbeiterin habe zugewiesen werden können. Dementsprechend habe er sich zur Weisung gegenüber der Klägerin entschieden. Die Versetzung beruhe auch darauf, dass er auf Grund des auch an ihm nicht vorbeigehenden Fachkräftemangels zu disponieren habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die gerichtlichen Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die drei Feststellungsanträge sind zulässig.

1. Entgegen der Auffassung des Beklagten besteht weiterhin ein Rechtschutzinteresse an der Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung vom 14.06.2023. Die Versetzung vom 14.06.2023 war trotz missverständlicher Formulierung im Sinne der Versetzungsschreiben vom 31.08.2023 und 01.09.2023 zu verstehen.

a) Das Feststellungsinteresse muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein. Es ist je nach Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Eine Feststellungsklage ist nur dann zulässig, wenn sich aus der Feststellung Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben. Es ist Sache der Klagepartei, solche Tatsachen darzulegen, aus denen folgt, dass ein hinreichendes Interesse an der alsbaldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses (noch) besteht (vgl. LG Nürnberg, Urteil vom 10.09.2002, Az.: 6 (4) SA 66/01 m.w.N.).

b) Zwar ist dem Beklagten Recht zu geben, dass das Feststellungsinteresse entfiele, wenn das Versetzungsschreiben vom 14.06.2023 im Sinne der Klägerin verstanden würde. Allerdings ist das Versetzungsschreiben vom 14.06.2023 im Lichte der Konkretisierungsschreiben vom 31.08.2023 und 01.09.2023 zu sehen, so dass lediglich eine Veränderung der Arbeit weg von der ambulanten Pflege hin zur stationären Pflege in B ohne Änderung des wöchentlichen Arbeitsumfangs von 35 auf 25 Stunden und ohne Änderung der Tätigkeit als Verantwortliche Hauswirtschaftskraft hin zur einfachen Hauswirtschaftskraft vorgenommen wurde. Der Wortlaut des Versetzungsschreibens vom 14.06.2023 ist missverständlich, zumindest zweideutig formuliert, so dass es auch im Sinne der Klägerin hätte verstanden werden können. Es kann allerdings auch als Ergänzung zum bestehenden Arbeitsvertrag der Klägerin verstanden werden, wonach sie nur in einem Umfang von 25 Stunden/Woche als Hauswirtschaftskraft in der Tagespflege B und in einem weiteren Umfang von 10 Stunden/Woche Tätigkeit als Verantwortliche Hauswirtschaftskraft betraut werden soll. Bei der Auslegung der Versetzungsanordnung des Beklagten vom 14.06.2023 als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung hilft das Personalgespräch am 31.05.2023 nicht weiter, da es hier unstreitig nicht um die geplante Versetzung gegangen ist. Der Beklagte hat aber seine Willenserklärung bereits im Gütertermin und später in den förmlichen Schreiben vom 31.08.2023 und 01.09.2023 in seinem oben angegebenen Sinne konkretisiert. Damit hat sich jedoch die Versetzungsanordnung vom 14.06.2023 nicht überholt, sondern gilt mit den Konkretisierungsschreiben vom 31.08.2023 und 01.09.2023 fort.

c) Für eine in diesem Sinne verstandene Versetzungsanordnung vom 14.06.2023 besteht jedoch ein Feststellungsinteresse der Klägerin.

aa) Nach § 256 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Zwar können nach § 265 Abs. 1 ZPO nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich jedoch nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Sie kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnisses, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf dem Umfang einer Leistungspflicht beschränken. Dies ist der Fall, wenn über die Wirksamkeit einer vom Arbeitgeber unter Berufung auf sein Direktionsrecht getroffene Maßnahme, zum Beispiel eine Versetzung, gestritten wird (vgl. BAG Urteil vom 13.03.2007, Az.: 9 AZR 417/06 m.w.N.).

bb) Hier streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer mit Schreiben vom 14.06.2023 ausgesprochenen Versetzung, so dass ein entsprechendes Feststellungsinteresse der Klägerin zu bejahen ist.

2. Aus den vorgenannten Gründen besteht auch ein Feststellungsinteresse der Klägerin bezüglich der Versetzungen vom 31.08.2023 und 01.09.2023.

Bereits auf Grund der Überschriften der Schreiben vom 31.08.2023 und 01.09.2023 mit „Weisung/Versetzung“ bzw. „Versetzung/Weisung“ liegen lediglich nochmalige Versetzungsanordnungen mit demselben Inhalt des Versetzungsschreibens vom 14.06.2023 vor. Damit unterliegen auch die neuerliche Versetzungen Angriffen durch entsprechende Feststellungsklagen der Klägerin.

II. Die drei Feststellungsanträge der Klägerin sind begründet.

Die inhaltsgleichen Versetzungen des Beklagten vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 sind unwirksam. Der Beklagte hat keine ausreichenden Gründe dargelegt, dass sich seine Versetzungsentscheidungen im Rahmen billigen Ermessens halten.

1) Bei den „Versetzungen“ des Beklagten vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 handelt es sich tatsächlich um Versetzungen im arbeitsrechtlichen Sinne.

a) Für eine Versetzung ist kennzeichnend der dauerhafte Wechsel auf einen Arbeitsplatz in eine andere Dienststelle desselben Arbeitgebers. Dem Versetzungsbegriff ist immanent, dass mit dem Wechsel auch eine Änderung des Tätigkeitbereiches, das heißt der Art, des Ortes oder des Umfangs der Tätigkeit verbunden ist (vgl. BAG, Urteil vom 13.03.2007, Az.: 9 AZR 417/06 m.w.N.).

b) Mit den Versetzungen vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 ändert der Beklagte die Arbeitsbedingungen der Klägerin in der Weise, dass dadurch ihr bisheriger Einsatz in der ambulanten Pflege hin zur stationären Pflege in B verschoben wird.

2. Mit den Versetzungen hält sich der Beklagte im Rahmen seines arbeitgeberseitigen Direktionsrechtes.

a) Kraft seines Direktionsrechts bestimmt der Arbeitgeber die näheren Einzelheiten, zu denen die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen ist, vor allem den Ort, die Zeit und den näheren Inhalt. Das Direktionsrecht kann durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt sein (vgl. BAG, Urteil vom 12.09.1996, AZ.: 5 AZR 30/95 m.w.N.).

b) Hier hält sich der Beklagte mit den Versetzungen vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 sowohl im Rahmen seines arbeitsvertraglichen als auch im Rahmen seines tarifvertraglichen Direktionsrechts.

aa) Laut § 1 Abs. 3 des Änderungsvertrags der Parteien vom 12.12.2017 können Aufgabenbereiche und Tätigkeitsort durch den Beklagten geändert werden. Hier werden lediglich der Arbeitsort und die Art der Tätigkeit der Klägerin von einer ambulanten zu einer stationären Hauswirtschaftskraft hin geändert. Damit hält sich der Beklagte im Rahmen seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts.

bb) Zudem wahrt er damit auch die tarifvertraglichen Vorgaben des § 16 TV AWO Thüringen. Denn darin wird ausdrücklich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit Bezug genommen und eine Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers in jeder Einrichtung des Arbeitgebers auch auf Dauer ermöglicht.

3. Die Versetzungen vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 sind allerdings unwirksam, weil sie nicht billigem Ermessen (§ 106 S.1 GewO, § 315 BGB) entsprechen.

a) Für die umfassende Ausübungskontrolle nach § 106 S. 1 GewO, § 315 BGB in Bezug auf eine Verssetzung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

aa) Den Inhaber des Bestimmungsrecht nach § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt auch im Falle der Versetzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein – ggf. auf betriebliche Gründe beschränkter – nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 3 S.1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat.

bb) Die Leistungsbestimmung nach billigen Ermessen (§ 106 S.1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.

cc) Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser besonderes Gewicht zu. Eine unternehmerische Entscheidung führt allerdings nicht dazu, dass die Abwägung mit den Interessen des Arbeitnehmers von vorneherein ausgeschlossen wäre und sich den Belangen des Arbeitnehmers nur in dem vom Arbeitgeber durch die unternehmerische Entscheidung gesetzten Rahmen durchsetzen könnte. Das unternehmerische Konzept ist zwar nicht auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Arbeitsgerichte können vom Arbeitgeber nicht verlangen, von ihm nicht gewollte Organisationsentscheidungen zu treffen. Wohl aber kann die Abwägung mit den Belangen des Arbeitnehmers ergeben, dass ein Konzept auch unter Verzicht der Versetzung durchsetzbar war (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2016, Az.: 12 SA 1153/15 m.w.N.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte nicht ausreichend dargetan, dass seine Versetzungen mit Schreiben vom 14.06.2023, 31.08.2023 und 01.09.2023 billigem Ermessen entsprechen. Nachdem die Klägerin ausgeführt hatte, dass der geänderte Arbeitsplatz im Hinblick auf ihre Schwerbehinderung und den damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen nicht leidensgerecht sei und die Versetzung als Reaktion auf ihre Forderung nach privater Nutzung eines Dienstwagens erfolgt sei, hat der Beklagte lediglich vorgetragen, dass die Versetzung erst erforderlich geworden sei, nachdem die ab dem 01.06.2023 nachzubesetzende Stelle nicht, wie ursprünglich geplant, einer anderen Mitarbeiterin habe zugewiesen werden können, weshalb er sich zur Weisung gegenüber der Klägerin entschieden habe. Bei dieser Aussage des Beklagten fehlen Angaben dazu, welche Person bis zum 31.05.2023 die Stelle besetzt hatte, welche Person er ursprünglich für diese Stellungsbesetzung eingeplant hatte und weshalb diese nun nicht mit der Aufgabe betraut werden konnte und weshalb allein die Klägerin trotz ihrer ihm bekannten gesundheitlichen Einschränkungen mit dieser Aufgabe betraut werden musste.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Der Beklagte hat als die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Der festgesetzte Streitwert errechnet sich aus dem jeweils einfachen Bruttomonatsentgelt der Klägerin in Höhe von 2399,43 Euro (VG4/4) für jede der drei Versetzungen.

V. Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz lagen nicht vor.

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