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Vertragliche Ausschlussfrist bei sittenwidrigem Lohn

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verurteilt Arbeitgeber zur Zahlung von rückständigem Lohn

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Az.: 6 Sa 1343/14 6 Sa 1953/14) vom 09.01.2015 befasst sich mit der Frage der Sittenwidrigkeit eines extrem niedrigen Lohns. Die Klägerin, eine Leistungsempfängerin der Sozialleistungen, wurde von ihrem Arbeitgeber, einem Kurzwarengeschäft, mit einem Stundenlohn von 2,– € bei einer vertraglichen Arbeitszeit von 50 Stunden pro Monat entlohnt. Das Gericht urteilte, dass diese Entlohnung sittenwidrig ist und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rückständigem Lohn in Höhe von 5.836,92 €.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 1343/14 6 Sa 1953/14 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Sittenwidrigkeit des Lohns: Der extrem niedrige Lohn von 2,– € pro Stunde bei 50 Arbeitsstunden im Monat wurde als sittenwidrig angesehen.
  2. Rückständiger Lohn: Die Beklagte wurde zur Zahlung des rückständigen Lohns von 5.836,92 € verurteilt.
  3. Tariflohn als Referenz: Obwohl der Tariflohn nicht als übliche Vergütung im Wirtschaftsgebiet angenommen wurde, diente er als Referenzpunkt.
  4. Arbeitsvertragliche Ausschlussfrist: Die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist wurde aufgrund der Sittenwidrigkeit der Lohnvereinbarung nicht angewendet.
  5. Vorsätzliche Handlung: Das Gericht stellte fest, dass die Sittenwidrigkeit der Lohnvereinbarung eine vorsätzliche Handlung der Beklagten implizierte.
  6. Üblicher Lohn: Der übliche Lohn im Wirtschaftsgebiet wurde mit 6,– € pro Stunde angenommen.
  7. Keine Anwendung der Verjährungsfrist: Die Verjährungsfrist fand aufgrund der Sittenwidrigkeit des Vertrages keine Anwendung.
  8. Keine Revision zugelassen: Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Sittenwidriger Lohn und vertragliche Ausschlussfristen: Eine rechtliche Herausforderung

Sittenwidriger Lohn
(Symbolfoto: Bernd Leitner Photography /Shutterstock.com)

Die Frage, ob vertragliche Ausschlussfristen bei sittenwidrigem Lohn anwendbar sind, beschäftigt immer wieder die Arbeitsgerichte. Im Fokus steht dabei die Feststellung, ob der Wert der Arbeitsleistung den Wert der Vergütung in sittenwidriger Weise übersteigt. Laut dem Bundesarbeitsgericht (BAG) unterliegen Ansprüche aus sittenwidrigem Lohn nicht den vertraglichen Ausschlussfristen. Arbeitnehmer können auch nach Ablauf der Frist Ansprüche geltend machen, wie beispielsweise aus §§ 611, 612 Abs. 2 BGB.

Ein Beispiel für die Nichtanwendbarkeit von vertraglichen Ausschlussfristen bei sittenwidrigem Lohn ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf. In diesem Fall wurde festgestellt, dass Ansprüche aus sittenwidrigem Lohn nicht durch vertragliche Ausschlussfristen ausgeschlossen werden können. Die rechtlichen Herausforderungen in diesem Bereich sind vielfältig und betreffen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Um mehr über ein konkretes Urteil zu diesem Thema zu erfahren, lesen Sie weiter.

Sittenwidriger Lohn im Fokus des LAG Berlin-Brandenburg

Im Zentrum des Falls steht ein Arbeitsverhältnis, bei dem die Klägerin als Verkäuferin in einem Kurzwarengeschäft der Beklagten zu einem auffällig niedrigen Lohn beschäftigt war. Der Arbeitsvertrag, abgeschlossen im April 2003, sah eine monatliche Arbeitszeit von 50 Stunden bei einer Vergütung von 100 Euro vor, was einem Stundenlohn von 2 Euro entspricht. Diese ungewöhnliche Lohnstruktur rückte in den Mittelpunkt des Rechtsstreits, als die Klägerin Leistungen nach dem SGB II erhielt und die Sozialleistungsträgerin, die Klägerin, den Lohnanspruch der Arbeitnehmerin gegenüber der Beklagten geltend machte.

Ausschlussfrist und Wuchervorwurf im Arbeitsverhältnis

Eine Schlüsselrolle im Verfahren spielte die im Arbeitsvertrag vereinbarte Verfallsklausel. Diese Klausel besagt, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die Klägerin argumentierte, diese Frist finde bei sittenwidrigen Lohnvereinbarungen keine Anwendung. Das Gericht stellte fest, dass die Entgeltvereinbarung der Beklagten mit der Leistungsempfängerin sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Dies basiert auf dem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und einer verwerflichen Gesinnung der Beklagten.

Tariflohn als Vergleichsmaßstab

Das Gericht setzte sich auch mit der Frage auseinander, inwiefern der Tariflohn als Maßstab für die übliche Vergütung herangezogen werden kann. Die Klägerin legte dar, dass der Tariflohn im Einzelhandel deutlich über dem von der Beklagten gezahlten Lohn liegt. Allerdings konnte sie nicht nachweisen, dass der Tariflohn die übliche Vergütung im relevanten Wirtschaftsgebiet darstellt. Das Gericht entschied daher, den von der Beklagten angegebenen üblichen Lohn von 6 Euro pro Stunde als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.

Rechtliche Konsequenzen und Urteil

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgte der Argumentation der Klägerin weitgehend und stellte die Sittenwidrigkeit der Lohnvereinbarung fest. Es verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rückständigem Lohn in Höhe von insgesamt 5.836,92 Euro. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Lohnanspruch der Leistungsempfängerin auf die Klägerin übergegangen war, da diese Sozialleistungen erhalten hatte. Die Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag fand keine Anwendung, da die Lohnvereinbarung als sittenwidrig eingestuft wurde.

Fazit: Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg markiert einen bedeutenden Fall im Arbeitsrecht, in dem die Sittenwidrigkeit einer Lohnvereinbarung und die Anwendbarkeit einer Ausschlussfrist zentral waren. Das Gericht stärkte damit die Rechte von Arbeitnehmern in Fällen von unverhältnismäßig niedriger Entlohnung.

✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

Was bedeutet Sittenwidrigkeit im Kontext von Arbeitsentgelt?

Sittenwidrigkeit im Kontext von Arbeitsentgelt bezieht sich auf eine Situation, in der das Gehalt eines Arbeitnehmers in einem auffälligen Missverhältnis zur erbrachten Leistung steht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist dies der Fall, wenn das Gehalt eines Arbeitnehmers weniger als zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblichen Gehalts beträgt.

Ein solches Missverhältnis kann auch als Lohnwucher bezeichnet werden und ist nach § 138 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sittenwidrig. Sittenwidrigkeit ist ein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

Wenn ein Arbeitslohn als sittenwidrig eingestuft wird, ist nicht der gesamte Arbeitsvertrag nichtig, sondern nur die Lohnvereinbarung. Anstelle der nichtigen Lohnvereinbarung tritt gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung, die sich in der Regel an der tariflichen Referenzvergütung im jeweiligen Wirtschaftsgebiet orientiert.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass der Mindestlohn als Anhaltspunkt für den objektiven Mindestwert einer bestimmten Arbeitsleistung dient. Wenn eine Vergütung als sittenwidrig eingestuft wird, wird sie mindestens auf das Niveau des Mindestlohns angehoben. Ein Arbeitslohn kann jedoch auch dann als sittenwidrig eingestuft werden, wenn er über dem Mindestlohn liegt.

Es ist nicht erforderlich, dass der Vertragspartner sich der Sittenwidrigkeit bewusst ist oder mit der Absicht handelt, Schaden zuzufügen.

Wie wird ein Lohn als sittenwidrig eingestuft?

Ein Lohn wird als sittenwidrig eingestuft, wenn er in einem auffälligen Missverhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung steht. Dies ist in Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unter § 138 Abs. 1 und 2 geregelt.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat hierzu einige Leitlinien entwickelt. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung weniger als zwei Drittel eines vergleichbaren Tariflohns beträgt. Wenn der vereinbarte Lohn die geltenden Sätze der Sozialhilfe unterschreitet, ohne in einem auffälligen Missverhältnis zu vergleichbaren Tariflöhnen zu stehen, besteht nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts noch kein ausreichender Grund, Lohnwucher annehmen zu können.

Die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs sind in der Regel der Ausgangspunkt zur Bestimmung des objektiven Werts der Arbeitsleistung. Wenn der Tariflohn jedoch nicht der verkehrsüblichen Vergütung entspricht, sondern diese unterhalb des Tariflohns liegt, ist von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen.

Es ist auch zu beachten, dass nicht nur das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern auch die Ausnutzung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers zur Annahme von Lohnwucher führen kann.

In der Praxis kann die Einigungsstelle bei gescheiterten Verhandlungen über Grundsätze der betrieblichen Lohngestaltung angerufen werden.

Sollte ein Lohn als sittenwidrig eingestuft werden, kann dies sowohl strafrechtliche als auch arbeitsrechtliche Folgen haben.


Das vorliegende Urteil

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 6 Sa 1343/14 6 Sa 1953/14 – Urteil vom 09.01.2015

I. Auf die Berufung des Klägers wird – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen und unter vollständiger Zurückweisung der Berufung der Beklagten – das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Mai 2014 – 5 Ca 433/14 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.836,92 EUR (fünftausendachthundertsechsunddreißig 92/100) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2014 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 72% und die Beklagte zu 28% zu tragen.

Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben der Kläger zu 49% und die Beklagte zu 51% zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Sittenwidrigkeit des von der Beklagten gezahlten Lohns aus übergegangenem Recht.

Die Klägerin hat in der Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 20. Januar 2014 im Rahmen ihrer Leistungsverwaltung Leistungen nach dem SGB II an die Arbeitnehmerin der Beklagten, Frau Ute S., erbracht. In den Monaten Januar 2011 bis einschließlich September 2011 erhielt die Leistungsempfängerin von der Klägerin jeweils 364,– € ohne Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. In der Folgezeit bis einschließlich Januar 2014 erhöhten sich die geleisteten Beträge. Hinsichtlich der Höhe der monatlichen Leistungen wird auf die zum Schriftsatz der Klägerin vom 27. März 2014 angefügte Anlage A9, Bl. 40 f. d. A., Bezug genommen.

Die Leistungsempfängerin ist ausgebildete Verkäuferin und war auf Grundlage eines mit der Beklagten am 1. April 2003 geschlossenen Arbeitsvertrages für diese in der Zeit vom 1. April 2003 bis zum 20. Januar 2014 tätig. Laut Arbeitsvertrag wurde die Leistungsempfängerin als Verkäuferin zur Aushilfe eingestellt. Unter Ziff. 2 a des Arbeitsvertrages wurde eine monatliche Arbeitszeit von 50 Stunden bei einer Vergütung in Höhe von monatlich 100,– €, Ziff. 6 a des Arbeitsvertrages, vereinbart. Fällig war die Vergütung nach Ziff. 6 b des Arbeitsvertrages jeweils zum 15. des Folgemonats. Unter Ziff. 11 des Vertrages wurde eine Verfallsklausel vereinbart, die wie folgt lautet:

„11. Verfall von Ansprüchen, Verjährung

a) Alle Ansprüche der Vertragsparteien aus oder in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten schriftliche gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden. Dies gilt nicht bei Haftung wegen Vorsatzes. Die Ausschlussfrist beginnt, wenn der Anspruch entstanden ist und der Anspruchssteller von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder grob fahrlässig keine Kenntnis erlangt hat. Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zum Verlust des Anspruchs.

b) Lehnt der Anspruchsgegner den Anspruch ab oder äußert er sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach schriftlicher Geltendmachung gemäß Abs. a verfallen die Ansprüche, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder nach dem Ablauf der Äußerungsfrist gerichtlich geltend gemacht werden.

c) Die Verjährungsfrist für alle Ansprüche der Vertragsparteien aus oder in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis beträgt ein Jahr. Dies gilt nicht bei Haftung wegen Vorsatzes. Im Übrigen bleiben die gesetzlichen Vorschriften über den Eintritt der Verjährung unberührt.“

Die Beklagte betreibt ein Kurzwarengeschäft, in dem sie überwiegend Handarbeitsartikel vertreibt. Die regelmäßigen Öffnungszeiten von Montag bis Freitag liegen in der Zeit zwischen 09:00 und 18:00 Uhr und an Samstagen von 09:00 bis 12:00 Uhr. Im Jahr 2010 erzielte die Beklagte einen Umsatz von 32.864,91 €, 2011 von 30.822,– €, 2012 von 27.852,99 € und 2013 von 29.728,36 €.

In Einkommensbescheinigungen für die Leistungsempfängerin hat die Beklagte, von ihr jeweils handschriftlich unterzeichnet, für den September 2010 eine vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 12 Stunden, für den Februar 2011 von 13 Stunden, für den März 2012 von 14 Stunden, für den September 2012 von 10 Stunden und für den März 2013 von 14 Stunden angegeben. Gegenüber der Klägerin hat die Beklagte auf ebenfalls von ihr handschriftlich unterzeichneten Arbeitszeiterfassungsbögen unter Angabe der konkreten Arbeitszeit und der erledigten Arbeitsaufgaben für den Monat August 2013 eine Arbeitszeit der Leistungsempfängerin von 50 Stunden, für den September 2013 von 46 Stunden und für die Monate Oktober bis einschließlich Dezember 2013 wiederum jeweils von 50 Stunden monatlich angegeben.

Der Tariflohn im Einzelhandel des Landes Brandenburg betrug gemäß des Tarifvertrages über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Einzelhandel im Bundesland Brandenburg vom 6. Juli 2009, geschlossen zwischen dem Handelsverband Berlin-Brandenburg e. V. und ver.di, in der Gehaltsgruppe K 2, u. a. Verkäuferinnen mit Tätigkeiten, für die in der Regel eine abgeschlossene zwei- oder dreijährige Ausbildung im Beruf erforderlich ist, nach dem 7. Berufsjahr im Januar 2011 bis zum August 2011 2.108,– € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden. Entsprechend betrug der Tariflohn nach dem Entgelttarifvertrag vom 20. Juli 2011 beginnend mit dem 1. September 2011 2.171,– € und ab dem 1.September 2012 2.214,– €.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2014 an die Beklagte mit dem Betreff „Anspruchsübergang gem. § 115 SGB X“ hat die Klägerin die Beklagte darauf hingewiesen, dass die von ihr der Leistungsempfängerin gezahlte Vergütung nicht dem Tariflohn des Einzelhandels entspreche und diese daher noch eine Gesamtforderung über 20.649,16 € habe. Verbunden ist das Schreiben mit der Aufforderung, den Lohnanspruch der Leistungsempfängerin nachzuzahlen und der Klägerin gegenüber entsprechend nachzuweisen.

Mit einem Schreiben „Zur Vorlage“ mit dem Betreff: „ Richtigstellung der Arbeitsnachweise August – Dezember 2013“ vom 03.02.2014 gab die Leistungsempfängerin an, in den Arbeitszeiterfassungsbögen für die Monate August 2012 bis Dezember 2013 irrtümlich 50 Std./Monat erfasst zu haben. Tatsächlich habe sie lediglich 18 – 20 Stunden im Monat gearbeitet.

Mit der am 18. März 2014 beim Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) eingegangen und der Beklagten am 20. März 2014 zugestellten Klage hat die Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 20. Januar 2014 von der Beklagten anfänglich die Zahlung von insgesamt 20.649,16 € verlangt.

Die Klägerin hat behauptet, die Leistungsempfängerin sei mit Ausnahme des September 2013, in dem sie lediglich 46 Stunden gearbeitet habe, für die Beklagte 50 Stunden im Monat tätig. Der daraus resultierende Stundenlohn von 2,– € sei sittenwidrig. Dabei legt die Klägerin für die Monate Januar 2011 bis August 2011 einen tariflichen Stundenlohn von 12,62 €, für die Monate September 2011 bis August 2012 von 13,19 € und für die Monate September 2012 bis Februar 2014 von 13,46 € zugrunde. Die Vergütungsvereinbarung der Beklagten mit der Leistungsempfängerin sei daher nichtig und diese verpflichtet, den üblichen Lohn zu zahlen. Zwar wäre die Leistungsempfängerin auch unter Zugrundelegung der Zahlung des Tariflohnes noch bedürftig gewesen, jedoch wäre ihr Anspruch gegenüber der Klägerin geringer ausgefallen. Die Beklagte sei daher verpflichtet, die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten ALG II und dem, was die Leistungsempfängerin ansonsten unter Berücksichtigung der Zahlung des Tariflohnes zu beanspruchen gehabt hätte, was die Beklagte mit insgesamt 11.466,17 € beziffert, zu zahlen. Bzgl. der Berechnung wird auf die zum Schriftsatz der Klägerin vom 27. März 2014 als Anlage A9 eingereichte Abrechnung, Bl. 40 d. A., Bezug genommen.

Auf die arbeitsvertraglichen Verfallsfristen könne sich die Beklagte wegen deren unredlichen Verhaltens nicht berufen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.466,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Leistungsempfängerin habe beginnend mit dem 1. Juli 2010 lediglich 20 Stunden im Monat als Aushilfe gearbeitet. Sie habe mit ihr eine entsprechende schriftliche Vereinbarung getroffen, die die Beklagte als Anlage B1 zur Klageerwiderung eingereicht hat, Bl. 33 d. A. Dabei habe man die Lohnabrede in Höhe von 100,– € monatlich beibehalten, da sich ansonsten die Anfahrt der Leistungsempfängerin zum Geschäft der Beklagten für diese nicht mehr gelohnt hätte. Die Klägerin habe erstmals nach Vorlage des Zuverdienstnachweises für den Monat August 2013 die Angabe der von der Leistungsempfängerin gearbeiteten Stunden verlangt. Die Angaben zur Arbeitszeit in den vorgelegten Erfassungsbögen beruhten ganz überwiegend auf der Phantasie der Leistungsempfängerin. Entsprechendes ergebe sich auch aus der Bestätigung der Leistungsempfängerin vom 3. Februar 2014. Auch die in den Einkommensbescheinigungen angegebene wöchentliche Arbeitszeit sei nicht zutreffend, sondern von der Leistungsempfängerin fehlerhaft angegeben worden.

Der Tariflohn sei im Übrigen nicht der übliche Lohn. Im Jahre 2011 seien lediglich 27 % der Einzelhandelsbetriebe in Ostdeutschland an einem Branchentarifvertrag gebunden gewesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) hat die Beklagte mit Urteil vom 28. Mai 2014 zur Zahlung von 1.238,82 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat die Behauptung der Beklagten, die Leistungsempfängerin habe in dem streitgegenständlichen Zeitraum lediglich 20 Wochenstunden gearbeitet, als Schutzbehauptung zurückgewiesen und den sich unter Berücksichtigung einer Arbeitszeit von 50 Monatsstunden ergebenden Stundenlohn von 2,– € brutto für sittenwidrig erachtet. Zwar sei der Tariflohn in der Region Märkisch-Oderland nicht der übliche Lohn, jedoch könne er gleichwohl als Anhaltspunkt für einen angemessenen Lohn herangezogen werden, den das Arbeitsgericht mit rund 2/3 des Tariflohnes und damit 9,– € brutto die Stunde angenommen hat. Allerdings sei ein Großteil der Forderung der Klägerin aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist verfallen, so dass sie auf Grundlage der Geltendmachung mit Schreiben vom 23. Januar 2014 allein Ansprüche für die letzten 6 Monate habe.

Wegen der weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Bl. 105 ff. d. A., verwiesen.

Gegen das der Klägerin am 18. Juni 2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Juli 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und mit am 11. September 2014, nach gewährter Fristverlängerung, begründete Berufung.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Anwendung der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist auf den geltend gemachten Anspruch. Diese fände bei übergegangenen Vergütungsansprüchen im Zusammenhang mit § 138 BGB generell keine Anwendung bei übergegangenem Recht. Auch sei es der Beklagten nach § 242 BGB verwehrt, einen rechtlichen Vorteil aus ihrem eigenen unredlichen Verhalten zu ziehen. Schließlich sei die Ausschlussfrist nach der vertraglichen Regelung bei Haftung wegen Vorsatzes ausgeschlossen. Das nach § 138 BGB nichtige Wuchergeschäft begründe eine unerlaubte Handlung in diesem Sinne.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht auch nicht den Tariflohn als Referenzvergütung herangezogen. Da der Tarifvertrag, anders als der streitgegenständliche Arbeitsvertrag, darüber hinaus noch Sondervergütungen vorsehe, sei er ungeachtet der Frage seiner Üblichkeit als Maßstab heranzuziehen. Im Übrigen sei die Berechnung des Arbeitsgerichts fehlerhaft erfolgt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28.05.2014 – 5 Ca 433/14 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 10.227,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte wiederholt ihre erstinstanzlich bereits vorgetragene Behauptung, die Leistungsempfängerin habe im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich 18 bis 20 Wochenstunden gearbeitet. Auch fehle es der Beklagten an einer verwerflichen Gesinnung. Sie bestreite ihren eigentlichen Lebensunterhalt aus Rentenleistungen und betreibe das Geschäft eigentlich als Hobby. Auch die Leistungsempfängerin betrachte Handarbeiten als ihr Hobby, so dass sie in der Tätigkeit bei der Beklagten nicht eine abhängige Beschäftigung gesehen habe, sondern vielmehr die Verknüpfung ihres Hobbies mit der Möglichkeit, der Abgeschiedenheit ihres Heimes zu entfliehen. Die Beklagte wiederholt ihr Vorbringen, dass es sich bei dem Tariflohn nicht um die übliche Vergütung handele. Vielmehr werden in Bad Freienwalde und näherer Umgebung Verkäuferinnen in Einzelhandelsgeschäften zu Stundenlöhnen zwischen 6,– € und 7,– € beschäftigt, was sie bereits erstinstanzlich vorgetragen hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

Die Berufung ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).

II.

Die Berufung ist nur im tenorierten Umfang begründet.

1. Die Klägerin hat aus § 611 Abs. 1, § 612 Abs. 2 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 SGB X gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Arbeitsentgelts von 4.598,10 € und damit unter Berücksichtigung des erstinstanzlich bereits ausgeurteilten Betrages einen Anspruch in Höhe von insgesamt 5.836,92 € brutto aus übergegangenem Recht.

Die Leistungsempfängerin hatte aus ihrer Beschäftigung bei der Beklagten unter Zugrundelegung einer monatlichen Arbeitszeit von 50 Stunden und des von der Beklagten eingeräumten üblichen Lohns von 6,– € die Stunde einen monatlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 300,– € brutto, fällig gemäß der Ziff. 6 b des Arbeitsvertrages jeweils am 15. des Folgemonats, den die Beklagte durch Zahlung von 100,– € brutto monatlich jeweils nur in dieser Höhe erfüllt hat.

Unter Berücksichtigung des Freibetrages von 100,– € monatlich gem.§ 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II und weiteren 40,– € monatlich gem. § 11 b Abs. 3 Ziff. 1 SGB II verbleiben als auf die Klägerin übergegangener Lohnanspruch der Leistungsempfängerin für die Jahre 2011 bis 2013 bei einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 300,– € monatlich 160,– €. Für den Januar 2014 hatte die Leistungsempfängerin bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 20. Januar 2014 einen anteiligen Vergütungsanspruch in Höhe von 196,15,– € bei einem Freibetrag von 119,23 €, so dass ein verbliebener übergegangener Anspruch in Höhe von 76,92 € verbleibt.

1.1 Die Vergütungsvereinbarung der Beklagten mit der Leistungsempfängerin unter Ziff. 6 a des Arbeitsvertrages über monatlich 100,– € bei 50 Monatsstunden, Ziff. 2 a des Arbeitsvertrages vom 1. April 2003, ist sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.

Nach § 138 Absatz 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen, § 138 Absatz 2 BGB (Wucher). Liegen die besonderen Voraussetzungen des § 138 Absatz 2 BGB insbesondere die dort geforderte Ausnutzung einer Zwangslage nicht vor, so kann das Rechtsgeschäft gleichwohl als wucherähnliches Rechtsgeschäft auch nach § 138 Absatz 1 BGB sittenwidrig sein.

Ein wucherähnliches Geschäft im Sinne von § 138 Absatz 1 BGB liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände, z. B. eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten, hinzutreten (BAG 22. April 2009 – 5 AZR 436/08 – NZA 2009, 837). Ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht im Regelfall ohne weiteres für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten (BAG a.a.O.; vom 27.06.2012 – 5 AZR 496/11, AP Nr. 67 zu § 138 BGB).

Ob ein auffälliges oder gar ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, richtet sich nach dem jeweiligen objektiven Wert der erbrachten Arbeitsleistung im Vergleich mit der dafür erhaltenen Vergütung. Auffällig ist ein Missverhältnis, wenn das Ungleichgewicht ins Auge springt und nicht mehr hinnehmbar ist. Das trifft auf Löhne zu, die die übliche Vergütung dieser Arbeitsleistung in der Branche und an dem jeweiligen Ort um mehr als 1/3 unterschreiten. Von einem besonders auffälligen und krassen Missverhältnis im Sinne des wucherähnlichen Geschäftes nach § 138 Absatz 1 BGB ist auszugehen, wenn die gezahlte Vergütung nicht einmal 50 Prozent des Wertes der Arbeitsleistung erreicht (BAG vom 22. April 2009 a.a.O., m. w. N.).

Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs. Sie drücken den objektiven Wert der Arbeitsleistung aus, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlt werden. Entspricht der Tariflohn dagegen nicht der verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen (BAG vom 24.03.2004 – 5 AZR 303/03, NZA 2004, 971; BAG a. a. O.). Üblich ist der Tariflohn im Wirtschaftsgebiet, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen (BAG a.a.O., Rn. 24; vom 16.05.2012 – 5 AZR 268/11 – Rn. 32, NZA 2012, 974).

1.1.1 Der vereinbarte Lohn von 100,– € bei 50 Monatsstunden und damit 2,– € je Stunde, steht bei einer üblicherweise im Wirtschaftsgebiet gezahlten Vergütung von 6,– € die Stunde in einem auffälligen Missverhältnis zu der Arbeitsleistung der Leistungsbezieherin als Gegenleistung.

1.1.1.1 Darlegungs- und beweispflichtig für die Sittenwidrigkeit ist derjenige, der sich auf diese beruft und damit vorliegend die Klägerin. Diese legt jedoch nicht dar, dass der von ihr zugrunde gelegte Tariflohn nach dem Entgelttarifvertrag für das Einzelhandelsgewerbe im Lande Brandenburg der in der Branche in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlte Lohn ist.

Hierzu hat die Klägerin, obwohl die Üblichkeit von der Beklagten bestritten wurde, keine näheren Ausführungen getätigt. Sie hat weder dargelegt, dass mehr als 50 % der Arbeitgeber des betreffenden Wirtschaftsgebietes tarifgebunden sind, noch dass die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen. Auch etwaige statistische Werte hat die Klägerin nicht dargelegt.

Legt die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Klägerin weder die Üblichkeit des Tariflohnes im Wirtschaftsgebiet noch sonstige Umstände für eine Üblichkeit eines wie auch immer zu bemessenden Lohnes dar, so kann der Tariflohn auch nicht als Referenzlohn herangezogen werden.

Soweit das Arbeitsgericht seine Entscheidung, ausgehend von dem Tariflohn, 2/3 des Lohnes als die übliche Vergütung angenommen hat, beruht diese Schätzung auf keinen tatsächlichen Anhaltspunkten, und ist damit auch nicht als der übliche Lohn und damit Vergleichsmaßstab zu dem von der Beklagten gezahlten Lohn heranzuziehen.

Vielmehr ist als der übliche Lohn der von der Beklagten vorgetragene Lohn von 6,– € zugrunde zu legen. Die Beklagte selbst hat vorgetragen, dass im Einzelhandelsgewerbe in dem betroffenen Wirtschaftsgebiet ein Stundenlohn von 6,– € bis 7,– € üblich sei. Damit hat sie die Behauptung der Klägerin, der Tariflohn sei der übliche Lohn zumindest in einer Höhe von 6,– € unstreitig gestellt, so dass im Weiteren dieser Stundenlohn zugrunde zu legen ist.

1.1.1.2 Zu Recht ist das Arbeitsgericht bei der Berechnung des Stundenlohnes von 50 Monatsstunden entsprechend der vertraglichen Vereinbarung vom 1. April 2003 ausgegangen.

Bei der Beurteilung des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung kommt es auf den jeweils streitgegenständlichen Zeitraum an (BAG vom 22.04.2009, a.a.O.). So wie eine Entgeltvereinbarung bei Vertragsschluss noch wirksam sein kann, jedoch im Laufe der Zeit, wenn sie nicht an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung angepasst wird, gegen § 138 BGB verstoßen kann, so kann eine ehemals sittenwidrige Lohnvereinbarung durch Anpassung des Lohns oder auch durch Reduzierung der Stundenzahl zu einem nicht mehr als sittenwidrig zu beurteilenden Verhältnis von Leistung und Gegenleistung führen.

Soweit hierzu die Beklagte behauptet, sie habe mit der Leistungsempfängerin, beginnend zum 1. Juli 2010, eine Reduzierung der Stundenzahl auf 20 pro Monat bei gleichbleibendem Lohn und daraus resultierend einem Stundenlohn von 5,– € vereinbart, schließt sich die Kammer der zutreffenden Beurteilung des Arbeitsgerichts dieser Behauptung als unbeachtliche Schutzbehauptung im Sinne von § 286 ZPO an.

Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses etwaiger Beweisaufnahmen nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Die Behauptung der Stundenreduzierung steht im Widerspruch zu den von der Beklagten später gegenüber der Klägerin erteilten Auskünften hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung sowie ihrer selbst ausgestellten Stundenabrechnungen. Die Beklagte hat diese Unterlagen handschriftlich unterzeichnet, so dass dies als Privaturkunden im Sinne von § 416 ZPO den vollen Beweis für die darin enthaltenen Erklärungen und damit die Stundenangaben erbringen. Es ist auch nicht glaubhaft, dass die Beklagte zusammen mit der Leistungsempfängerin die arbeitsvertraglich ursprünglich vereinbarte Stundenzahl auf deren Wunsch hin um mehr als 50 % reduziert, ohne dass sich dieses auf der Gehaltsseite widerspiegelt und sie damit ohne Gegenleistung eine Gehaltssteigerung in Höhe von 150 % weitergegeben haben will.

Ist danach von einem Stundenlohn von 2,– € auszugehen, so liegt die Vergütung offensichtlich und auch nach eigenem Vorbringen der Beklagten sogar mit mehr als 50% unterhalb des allgemeinen Lohnniveaus im Wirtschaftsgebiet für vergleichbare Tätigkeiten, so dass

1.1.2 Liegt damit der objektive Tatbestand des Lohnwuchers vor, so bedarf es darüber hinaus auf der subjektiven Seite eines weiteren sittenwidrigen Elements. Der „Wucherer“ muss sich in Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Lage die Schwächesituation des anderen Vertragspartners bewusst zunutze gemacht haben (BAG vom 22. April 2009 a.a.O., Rn. 26). Ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht im Regelfall ohne weiteres für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten (BAG vom 27.06.2012 a.a.O.).

Für den subjektiven Tatbestand des Lohnwuchers trägt die Klägerin die volle Darlegungs- und Beweislast. Diese wird jedoch indiziert, bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das anzunehmen ist, wenn der Wert der Leistung (mindestens) doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Zur Behauptung der verwerflichen Gesinnung genügt in diesem Fall die Berufung des Anspruchsstellers auf die tatsächlich Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Arbeitgebers ohne das an diesen Vortrag hohen Anforderungen zu stellen sind. Es genügt, dass die benachteiligte Vertragspartei sich auf die tatsächliche Vermutung einer verwerfliche Gesinnung der anderen Vertragspartei beruft (BAG vom 27.06.2012 a.a.O., Rn. 13; vom 16.05.2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974 Rn. 36).

1.1.2.1 Vorliegend liegt der Stundenlohn von 2,– € bei lediglich 1/3 des durch den üblichen Lohn definierten Werts der Gegenleistung, so dass ohne weiteres von einem besonders groben Missverhältnis und damit einer verwerflichen Gesinnung der Begünstigten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB auszugehen ist.

1.1.2.2 Die mit einem besonders groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung begründete tatsächliche Vermutung der verwerflichen Gesinnung des begünstigten Vertragsteils kann im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert werden. Insoweit trägt die Begünstigte Vertragspartei und damit vorliegend die Beklagte, die Darlegungs- und Beweislast (BAG vom 16.05.2012, a. a. O. Rn. 37).

Die verwerfliche Gesinnung wird nicht bereits durch den Umstand widerlegt, dass die Beklagte mit Abschluss des Vertrages ihr Einverständnis mit dem vereinbarten Stundenlohn bezahlt hat, da ein Geschäft seinen wucherähnlichen Charakter nicht dadurch verliert, dass das Anerbieten vom Benachteiligten ausgeht (BGH vom 31.10.2001 – 12 ZR 159/99, vom 24. Mai 1995 – VZR 47/84, BM 1985, 1269).

Auch wird die verwerfliche Gesinnung der Beklagten nicht durch deren Behauptung widerlegt, die Leistungsempfängerin hätte die Arbeitsleistung nicht primär als Erbringung einer Leistung im Beschäftigungsverhältnis, sondern als Ausübung ihres Hobbies verstanden. Die von der Leistungsempfängerin erbrachten Arbeitsleistungen sind Tätigkeiten, die regelmäßig in einem Handelsgeschäft anfallen. Die Beklagte hat mithin durch die Entgegennahme der Arbeitsleistung den Aufwand an eigener Arbeitsleistung oder an anderweitig einzukaufender Arbeitsleistung erspart und hierdurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt.

Auch hätte die Leistungsempfängerin, wenn es sich bei der erbrachten Tätigkeit lediglich entsprechend der Behauptung der Beklagten um die Ausübung eines „Hobbies“ hätte handeln sollen, diesem nachgehen können, ohne hierzu durch eine vertragliche Verpflichtung, wie sie im Rahmen des Arbeitsvertrages erfolgt ist, zu entsprechen.

1.2 Verstößt damit die Entgeltabrede gegen § 138 Abs. 1 BGB und ist nichtig, schuldet die Beklagte als Arbeitgeberin gem. § 612 Abs. 2 BGB dies übliche Vergütung, die von ihr selbst mit 6,– € je Stunde angegeben ist.

Der Anspruch auf die übliche Vergütung besteht für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses (BAG vom 18.03.2014 – 9 AZR 694/12; vom 21.11.2001 – 5 AZR 87/00 zu II. 1. b) cc) d. Gr.). Mithin stand der Leistungsempfängerin für den streitgegenständlichen Zeitraum ein Bruttomonatsverdienst in Höhe von 300,– € brutto zu, auf den die Beklagte lediglich 100,– € monatlich mit erfüllender Wirkung nach § 362 BGB geleistet hat, so dass der Leistungsempfängerin grundsätzlich ein Lohnanspruch in Höhe von 160,– € monatlich verblieb. Dabei war dieser aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 20. Januar 2014 für den Januar 2014 anteilig zu berechnen.

1.3 Der Lohnanspruch der Leistungsempfängerin ist gem. § 115 SGB X auf die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum übergegangen, für den die Klägerin der Leistungsempfängerin Leistungen nach dem SGB II erbracht hat.

Nach § 115 SGB X gehen die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers auf den Leistungsträger über, soweit dieser dem Arbeitnehmer als Leistungsempfänger Leistungen erbringt, weil der Arbeitgeber den Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt.

Da vorliegend nach obigen Ausführungen die Leistungsempfängerin und Arbeitnehmerin der Beklagten Leistungen der Klägerin in dem streitbefangenen Zeitraum erhalten hat, die durchgehend über dem der Leistungsempfängerin gegen die Beklagte zustehenden Lohnanspruch lagen, ist dieser auf die Klägerin übergegangen. Aufgrund der für den Anspruchsübergang geforderten Kausalität zwischen der fehlenden Leistung des Arbeitgebers und der Leistungserbringung durch den Leistungsträger wir Übergang begrenzt durch die der Leistungsempfängerin gem. § 11 b Abs. 2 u. 3 SGB II verbleibenden Freibeträge und damit eines Freibetrages in Höhe von monatlich 140,– € sowie des für den Januar 2014 zu berücksichtigenden anteiligen Freibetrages. Diese Freibeträge wären der Leistungsempfängerin auch verblieben, hätte die Beklagte als Arbeitgeberin deren Lohnansprüche in voller Höhe erfüllt (vgl. Maul-Satori, Übergang von Arbeitsentgeltansprüchen infolge Arbeitslosengeld II-Zahlungen, BB 2010, 3021, 3024; LAG Berlin-Brandenburg vom 07.11.2014 – 6 Sa 1149/14). Auch könnte anderenfalls der Lohnanspruch in Höhe des anrechnungsfreien Betrages, der nach § 11b Abs. 2 u. 3 SGB II der Leistungsempfängerin verbleiben soll, von dieser nicht mehr geltend gemacht werden.

1.4 Die Ansprüche der Klägerin sind entgegen der Ansicht der Beklagten und des Arbeitsgerichts nicht aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist unter Nr. 11 des Arbeitsvertrags verfallen.

1.4.1 Nach der Regelung unter Ziffer 11 a des Arbeitsvertrages findet die Ausschlussfrist keine Anwendung bei Haftung wegen Vorsatzes.

Damit umfasst die Ausschlussklausel keine Ansprüche, die infolge einer unerlaubten Handlung bestehen, da eine Haftung wegen Vorsatzes nur Ansprüche wegen rechtswidriger und damit unerlaubter Handlungen erfasst. Der Abschluss eines Wuchergeschäftes nach § 138 BGB ist eine unerlaubte Handlung weswegen das Rechtsgeschäft nichtig ist. Erfasst die Ausnahmeregelung der Ausschlussfrist Ansprüche aus unerlaubten Handlungen, erfasst sie nicht nur Schadensersatzansprüche, sondern auch die aus §§ 611 Abs. 1, 612 Abs. 2 iVm 138 BGB resultierenden Primäransprüche zum Schutz des Arbeitnehmers (LAG Hamm vom 18.03.2009 – 6 Sa 1284/08, juris).

Ein vorsätzliches Handeln ist im Übrigen auch gegeben, da das sittenwidrige Geschäft nach § 138 Abs. 2 BGB verlangt, dass jemand sich für eine Leistung Vermögensvorteile unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen versprechen lässt oder das für das Wuchergeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB weitere sittenwidrige Umstände, z. B. eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten, hinzutreten. Dies bedingt regelmäßig ein vorsätzliches Handeln.

1.4.2 Im Übrigen wäre der Beklagten auch die Berufung auf die Verfallsklausel aus Treu und Glauben, § 242 BGB, verwehrt.

Die §§ 138 BGB und 242 BGB ergänzen einander als Außenschranke und Innenschranke der Rechtsausübung (Ermann/Böttcher/Hohloch, BGB, 14. Aufl., § 242 Rn 23). Der Rechtserwerb der Beklagten kraft unredlichen Verhaltens, den Wuchervorteil, ist sittenwidrig. Es widerspricht Treu und Glauben, diesen Vorteil bei der Beklagten zu belassen, da ansonsten die Sittenwidrigkeit der Lohnvereinbarung im Wesentlichen aufrechterhalten bliebe. Deshalb sind Restlohnforderungen aufgrund der Anwendung des in § 138 BGB festgestellten Mindestlohns aus dem Geltungsbereich von Ausschlussfristen auszunehmen (vgl. LAG Hamm a.a.O.; Beppler, Festschrift Richardi, 189, 203).

4. Soweit die Klägerin ihren geltend gemachten Anspruch auf einen 6,–€ übersteigenden tariflichen Lohn als übliche Vergütung stützt, war die Berufung aus den oben unter Pkt. 1.1.1.1 genannten Gründen zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Kosten sind nach dem Grad des jeweiligen Unterliegens zu verteilen gewesen. Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, hat sie gem. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu tragen.

4. Gesetzlich begründete Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Das Berufungsgericht ist der aufgezeigten höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage mitgrundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor. Soweit das Berufungsgericht die Verjährung verneint hat, beruht dies in Pkt. 1.4.1 auf der Besonderheit der einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist und damit auf einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung.

 

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