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Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Änderungskündigung

Relevanz der krankheitsbedingten Änderungskündigung im Arbeitsrecht

Die krankheitsbedingte Änderungskündigung ist ein zentrales Thema im Arbeitsrecht, das Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen betrifft. Der vorliegende Fall beleuchtet die Wirksamkeit einer solchen Kündigung und die damit verbundenen rechtlichen Herausforderungen. Der Kläger, ein Mitarbeiter, wurde aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen in einen sogenannten „Integrationspool“ versetzt, der durch eine Betriebsvereinbarung geregelt ist. Dieser Pool dient dazu, Mitarbeiter, die aufgrund von Restrukturierungsmaßnahmen oder gesundheitlichen Problemen ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, weiterhin im Unternehmen zu beschäftigen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 83/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Änderungskündigung wurde diskutiert.
  • Der Kläger hatte eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker und war lange Zeit vor dem Vorfall bei der Beklagten tätig.
  • 2016 erlitt der Kläger nach einem Überfall eine posttraumatische Belastungsstörung und war bis 2020 arbeitsunfähig.
  • Es gibt eine Betriebsvereinbarung „Integrationspool“, die Mitarbeitern bei Arbeitsplatzverlust aufgrund von Restrukturierungen oder gesundheitlichen Einschränkungen eine Zuordnung ermöglicht.
  • 2020 wurde dem Kläger eine Vertragsänderung angeboten, die er nicht annahm.
  • Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis trotz der Änderungskündigung unverändert fortbesteht.
  • Das Arbeitsgericht gab der Klage größtenteils statt, da die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt war.

Der Integrationspool und seine Funktion

Krankheitsbedingte Änderungskündigung
Krankheitsbedingte Änderungskündigung: Balance zwischen Arbeitnehmerrechten und betrieblichen Herausforderungen. (Symbolfoto: simon jhuan /Shutterstock.com)

Der Integrationspool ist organisatorisch dem Bereich Personalentwicklung zugeordnet, welcher die Weisungsbefugnis hat. Jeder Mitarbeiter, der diesem Pool zugeordnet wird, erhält einen neuen Arbeitsvertrag, der seine Rolle im Integrationspool klar definiert und einen multifunktionalen Einsatz ermöglicht. Interessanterweise hat die Betriebsvereinbarung auch eine Regelung, die den Pool als eine Art interne Zeitarbeitsfirma beschreibt. Diese „Firma“ nimmt Aufträge entgegen und erfüllt diese mit den Mitarbeitern des Pools. Freie Stellen im Unternehmen sollen vorrangig mit diesen Mitarbeitern besetzt werden.

Kern des Rechtsstreits

Der Kläger begehrte die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Änderungskündigung der Beklagten nicht beendet wurde. Die Beklagte argumentierte, dass die Kündigung aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt sei, da der Kläger seine vertraglich vereinbarte Tätigkeit nicht mehr ausführen könne. Sie behauptete weiterhin, dass es keine anderen offenen Stellen im Unternehmen gebe, insbesondere keine für Kfz-Handwerker. Der Kläger hingegen argumentierte, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei, da mildere Mittel zur Verfügung stünden, um seinen gesundheitlichen Einschränkungen zu begegnen.

Das Urteil und seine Tragweite

Das Gericht entschied, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei. Ein milderes Mittel, nämlich die Weiterbeschäftigung des Klägers im Lager, hätte zur Verfügung gestanden. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, warum die fehlende Berufsausbildung des Klägers als Lagerfachkraft seiner Weiterbeschäftigung entgegenstehen sollte. Zudem hatte die Beklagte den Kläger bereits seit März 2020 im Lager beschäftigt, was darauf hindeutet, dass ein Arbeitsplatz vorhanden war. Die Beklagte konnte auch nicht darlegen, dass es aufgrund der Arbeit des Klägers zu Problemen gekommen sei.

Bedeutung für das Arbeitsrecht

Dieser Fall unterstreicht die Wichtigkeit, dass Arbeitgeber bei der Aussprache von krankheitsbedingten Änderungskündigungen sehr sorgfältig vorgehen müssen. Sie müssen sicherstellen, dass alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und dass keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Der Fall zeigt auch, wie wichtig es ist, dass Arbeitnehmer ihre Rechte kennen und in der Lage sind, diese vor Gericht durchzusetzen.

➨ Krankheitsbedingte Änderungskündigung: Was nun?

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Krankheitsbedingte Änderungskündigung – kurz erklärt


Eine krankheitsbedingte Änderungskündigung tritt in Kraft, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuführen, aber die Möglichkeit besteht, dass er in einer anderen Position im Unternehmen weiterarbeiten kann. Bei einer solchen Änderungskündigung wird der ursprüngliche Arbeitsvertrag gekündigt und gleichzeitig ein neuer Vertrag mit geänderten Arbeitsbedingungen angeboten. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bleibt dabei unverändert. Es ist wichtig zu beachten, dass eine krankheitsbedingte Änderungskündigung sozial gerechtfertigt sein muss. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nachweisen muss, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Arbeit auszuführen und dass keine anderen zumutbaren Alternativen zur Änderungskündigung vorhanden sind.



Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 83/22 – Urteil vom 29.09.2022

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.11.2021 – 11 Ca 7094/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Änderungskündigung.

Der am 08.02.1977 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 29.09.2009 als Busfahrer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag findet sich keine Regelung, die die Zulässigkeit von Versetzungen betrifft. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Lange Zeit vor Aufnahme der Tätigkeit bei der Beklagten, nämlich im Jahre 1998, hatte er eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker und Kfz-Servicetechniker abgeschlossen. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N NNV) Anwendung. Die zuletzt gezahlte Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.035,00 EUR entspricht der Entgeltgruppe 5 des einschlägigen Entgelttarifvertrages.

Am 21.06.2016 wurde auf den Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit ein Überfall verübt. In der Folge dieses Überfalls erlitt der Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund derer er bis zum Jahr 2020 vollständig arbeitsunfähig war. In der Zeit danach war er zwar grundsätzlich arbeitsfähig, weiterhin kann er aber aufgrund der besagten Belastungsstörung nicht als Busfahrer zur Personenförderung eingesetzt werden.

Im Betrieb der Beklagten gilt die Betriebsvereinbarung „Integrationspool“ (Bl. 64 d.A.). Nach dieser Betriebsvereinbarung werden Mitarbeitende, denen aufgrund von Restrukturierungsmaßnahmen ein Arbeitsplatzverlust droht, diesem Pool zugeordnet; Mitarbeitenden, denen aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ein solcher Verlust droht, können diesem zugeordnet werden. Ziel des Pools ist eine weitere Beschäftigung der Mitarbeitenden entsprechend der jeweiligen fachlichen Anforderungen und nach gegebenenfalls erforderlichen Qualifikationsmaßnahmen. Auszugsweise heißt es in der Betriebsvereinbarung:

§ 2 Zuordnung zum Pool

(1) Mitarbeiter, die infolge von Restrukturierungsmaßnahmen ihren Arbeitsplatz dauerhaft verlieren, werden grundsätzlich dem Pool zugeordnet, sofern eine einvernehmliche Beendigung durch den Mitarbeiter abgelehnt wurde. […]

(2) Mitarbeiter, die durch gesundheitliche Einschränkung ihren Arbeitsplatz dauerhaft verlieren, können dem Pool ebenfalls zugeordnet werden.

§ 3 Organisation des Pools

(1) Der Pool wird organisatorisch dem Bereich Personalentwicklung unterstellt, dem damit die Weisungsbefugnis obliegt.

(2) Jeder Mitarbeiter erhält einen neuen Arbeitsvertrag, der seine Funktion als Beschäftigter des Integrationspools klarstellt und einen multifunktionalen Einsatz ermöglicht. […]

§ 4 Einsatz der Mitarbeiter / Pool als interne Zeitarbeitsfirma

(1) […]

(2) Um möglichst vielen Poolmitarbeitern eine adäquate Tätigkeit zu vermitteln, wird eine interne Zeitarbeitsfirma vom Bereich Personalentwicklung eingerichtet, die Aufträge entgegennimmt, akquiriert und mit Mitarbeitern des Pools gegen Vergütung erfüllt.

(3) Freie Planstelen sollen bei entsprechender Qualifikation vorrangig mit Mitarbeitern des Pools besetzt werden. […]

Ab dem ersten Quartal des Jahres 2020, wobei der genaue Beginn zwischen den Parteien streitig ist, wurde der Kläger von der Beklagten diesem Integrationspool zugewiesen und war seitdem bei weiterer Vergütung nach der Entgeltgruppe 5 im Lager tätig.

Mit Schreiben vom 14.02.2020 bot die Beklagte dem Kläger eine Vertragsänderung an. Nach dem Angebot sollte er im Integrationspool bei einer Vergütung nach der Entgeltstufe 3 (2.577,00 EUR brutto) beschäftigt werden. Der Kläger lehnte dieses Angebot ab, arbeitete aber weiter weisungsgemäß im Lager.

Mit Schreiben vom 06.10.2020, also knapp 8 Monate später, sprach die Beklagte eine Änderungskündigung zum 31.03.2021 aus, verbunden mit dem Angebot einer Weiterbeschäftigung im Integrationspool nach der Entgeltgruppe 3. Sie hörte vorher, nach Zustimmung des Integrationsamtes, den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung an. Der Kläger nahm das Änderungsangebot nicht an, auch nicht unter Vorbehalt.

Der Kläger hat vorgetragen, er könne in seinem erlernten Beruf in den diversen Werk- und Betriebsstätten beschäftigt werden. Auf insgesamt fünf intern ausgeschriebene Stellen habe er sich in der Zeit vom 30.06.2020 bis zum 04.12.2020 beworben. Er sei zu einem Einstellungsgespräch eingeladen worden. Eine letzte Bewerbung sei bis heute nicht beschieden. Er sei auch ohne jede gesundheitliche Einschränkung in der Lage, im Lager zu arbeiten. Dort sei er auf Weisung der Beklagten bereits seit dem 13.01.2020 tätig, also bereits knapp neun Monate bis zum Zugang der hier streitigen Änderungskündigung.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 06.10.2020 zum 31.03.2021 nicht beendet ist, sondern unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, nach ihrer Ansicht sei die Kündigung aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt, da der Kläger seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit dauerhaft nicht mehr ausüben könne. Es gebe keine anderweitigen offenen Stellen im Betrieb. Insbesondere gebe es keine offenen Stellen für Kfz-Handwerker. Zwar seien Kfz-Mechaniker-Stellen in letzter Zeit im Betrieb ausgeschrieben und neu besetzt worden. Der Kläger habe sich aber auf die Stellenausschreibungen – bis auf eine Ausnahme – nicht gemeldet. Bei dieser Ausnahme sei aber seine Eignung weit hinter dem Nächstplatzierten bewertet worden. Im Übrigen sehe sie sich nicht verpflichtet, den Kläger auf einer dieser Stellen zu beschäftigen, da alle ausgeschriebenen Stellen mit der Entgeltgruppe 6 bewertet und daher höherqualifiziert seien. Nur die ausgeschriebene Stelle für einen Lageristen sei gleichwertig. Für diese Stelle fehle es dem Kläger aber an der einschlägigen Ausbildung.

Mit Wirkung ab dem 01.03.2020 habe sie den Kläger dem Integrationspool zugewiesen und ihn in diesem Rahmen im Lager eigesetzt. Damit sei dessen Beschäftigung gesichert. Das Änderungsangebot sei angemessen. Der Kläger sei mit der Zuweisung zum Integrationspool nicht einverstanden gewesen, insbesondere nicht mit der damit verbundenen Herabgruppierung zur Entgeltgruppe 3. Mangels einer Lageristen-Ausbildung komme der Einsatz des Klägers im Lager – außerhalb des Integrationspools – nicht in Betracht.

Nachdem der Kläger die einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages abgelehnt habe, verfolge sie nun mittels der streitgegenständlichen Änderungskündigung ihr Ziel weiter, den Kläger dem Integrationspool zuzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 09.12.2021 größtenteils stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei mit Ausnahme des bereits unzulässigen allgemeinen Feststellungsantrags zulässig und begründet. Die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Zwar bestünde zum Nachteil des Klägers eine negative Gesundheitsprognose und die betrieblichen Interessen der Beklagten seien erheblich beeinträchtigt, die Änderungskündigung sei jedoch unverhältnismäßig, da ein milderes Mittel, nämlich die weisungsgemäße Weiterbeschäftigung im Lager, zur Verfügung gestanden habe, um den gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers zu begegnen, jedenfalls aber eine Änderungskündigung mit dem gleichen Ziel. Eine Änderungskündigung, die darüber hinaus den Kläger dem Integrationspool zuordne, sei ein nicht gerechtfertigter schwererer Eingriff, da der Integrationspool eine geringere Sicherheit mit Blick auf den konkreten Arbeitsplatz biete. Hinzukomme, dass der Kläger gemäß § 164 Abs. 4 S. 1 Nr.1 SGB IX einen Anspruch auf Beschäftigung habe, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können müsse. Da der Kläger jedenfalls seit März 2020 unstreitig im Lager beschäftigt gewesen sei, existiere bereits ein Arbeitsplatz. Es sei an der Beklagten gewesen darzulegen, warum das Fehlen der Berufsausbildung zur Lagerfachkraft der Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehe und warum ihr eine weitere Beschäftigung nach einer Vielzahl von Monaten nunmehr nicht mehr zumutbar sei. Die Beklagte habe auch nicht vorgetragen, dass es in Folge der Arbeit des Klägers zu Ausfällen oder Fehlern gekommen sei, die dafür sprechen könnten, dass eine Nichteignung vorliege.

Gegen dieses ihr am 26.01.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.02.2022 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 26.04.2022 begründet.

Sie trägt vor, nach ihrer unveränderten Auffassung komme für den Kläger nur eine Beschäftigung im Integrationspool in Betracht, nicht aber im Lager. Dort gebe es nämlich keinen freien Arbeitsplatz für ihn. Es sei zwar richtig, dass der Kläger nicht bereit gewesen sei, einen Änderungsvertrag mit dem Ziel der Zuweisung zum Integrationspool abzuschließen. Tatsächlich sei er dann aber einvernehmlich ab dem 01.03.2020 so eingesetzt worden, als sei er dem Pool zugeordnet worden. In dieser Zeit sei der Kläger nämlich über den betrieblichen Bedarf hinaus beschäftigt worden. Er habe einfache Hilfsarbeiten durchgeführt, die nicht dem Leistungsbild eines Lagermitarbeiters der Entgeltgruppe 3 entsprächen, er habe aber weiterhin Entgelt nach der Entgeltgruppe 5 erhalten. Im Lager seien 14 Arbeitsplätze vorhanden. Diese Arbeitsplätze seien besetzt durch einen Lagerleiter, einen Vorarbeiter, vier kaufmännische Angestellte, fünf Fachlageristen und drei Lageristen.

Für die Beschäftigung als Fachlagerist setze sie seit dem Jahr 2012 eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus. Eine Einstellung auf einen solchen Posten ohne entsprechende Berufsausbildung komme für sie nur als Übergangslösung in Betracht, wenn sie trotz entsprechender Bemühungen keine Fachkraft für den Arbeitsplatz finde. Genau dies sei aber nicht der Fall. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei im Lager nur die Stelle des stellvertretenden Lagerleiters frei gewesen. Diese Stelle sei zum 01.12.2020 mit dem Zeugen S besetzt worden, der zuvor Fachlagerist mit entsprechender Ausbildung gewesen sei. Die Stelle von Herrn S sei sodann mit dem Zeugen G besetzt worden, ebenfalls ein Fachlagerist (Fachkraft für Lagerlogistik). Herr G sei zum 31.07.2021 wieder ausgeschieden. Die somit wieder freigewordene Stelle sei ab dem 01.11.2021 durch den Zeugen L besetzt worden, der ebenfalls eine ausgebildete Fachkraft für Lagerlogistik sei. Die Arbeitsplätze der Lageristen seien für Mitarbeiter*innen des Integrationspools reserviert. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung seien vier Mitarbeiter*innen als Lageristen beschäftigt gewesen, die allesamt aus dem Integrationspool gekommen seien. Der Kläger sei nicht auf einem der vier Plätze beschäftigt worden, sondern über den Bedarf hinaus.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 09.12.2021 abzuweisen,

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, er sei weiterhin in der Lage alle mit einem Bus in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten mit Ausnahme der Personenbeförderung durchzuführen. Er habe einen Anspruch auf behindertengerechte Beschäftigung und sei in der Lage, die regelmäßig anfallenden Wartungsarbeiten durchzuführen. Die Organisation eines Einsatzes auf einem der diversen Betriebshöfe des Unternehmens sei der Beklagten nicht unzumutbar. Hilfsweise mache er sich die Rechtsauffassung des Gerichts zu eigen, wonach er jedenfalls im Lager beschäftigt werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils kann daher Bezug genommen werden. Die folgenden Ausführungen erfolgen nur zur Vertiefung und soweit sie durch den Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz veranlasst sind.

1. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG, denn sie ist wegen eines zur Verfügung stehenden milderen Mittels unverhältnismäßig. Wie schon vom Arbeitsgericht festgestellt, stellt sich der Einsatz des Klägers im Lager ohne gleichzeitige Zuordnung zum Integrationspool als milderes Mittel gegenüber der ausgesprochenen Änderungskündigung dar, die die besagte Zuordnung zum Gegenstand hatte.

Der Kläger ist aufgrund seines Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 611 a BGB und unter Berücksichtigung seiner Schwerbehinderung gemäß § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX im Lager jedenfalls als Lagerist einsetzbar. Dem steht weder die Darlegung der Beklagten entgegen, die Lageristen-Stellen seien nach ihrer Organisationsentscheidung den Angehörigen des Integrationspools vorbehalten, noch ihre Behauptung, es bestehe im Lager gar kein Beschäftigungsbedürfnis also keine freie Stelle, auf der sie den Kläger beschäftigen könne.

a. Die Zuweisung der Tätigkeit eines Lageristen an den Kläger – und dies ggfls. im Rahmen einer einvernehmlichen Änderung des Arbeitsvertrages oder einer entsprechenden Änderungskündigung – ist nicht aufgrund einer Organisationsentscheidung der Beklagten, nur Mitarbeiter*innen des Integrationspools auf den Lageristen-Stellen zu beschäftigen, ausgeschlossen. Denn die Beklagte selbst hat einen Beschäftigten, der nicht Mitarbeiter des Integrationspools war, nämlich den Kläger, über Monate hinweg im Lager mit dort anfallenden Arbeiten betraut. Die einseitige „Zuweisung“ des Klägers zum Integrationspool im März 2020 war nicht wirksam, denn die Zugehörigkeit zum Integrationspool setzt gemäß § 3 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung den Abschluss eines entsprechenden „neuen“ Arbeitsvertrages voraus, dessen Gegenstand ein „multifunktionaler Einsatz“ sein muss. Einen solchen (Änderungs-)Arbeitsvertrag abzuschließen hatte sich der Kläger aber geweigert. Die Beklagte, die den Kläger also seit Beginn des Jahres 2020 monatelang im Lager beschäftigt hatte, ohne dass er wirksam dem Integrationspool zugewiesen worden wäre, konnte sich im Oktober 2020 ohne Hinzutreten weiterer Tatsachen nicht darauf berufen, ab April 2021 seien auf den Lageristen-Stellen nur noch Mitarbeiter des Integrationspools einsetzbar. Eine solche Entscheidung, die die weitere Beschäftigung des schwerbehinderten Klägers nicht etwa ermöglichte, sondern im Gegenteil ausschlösse, wäre als Verletzung der Pflichten aus § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und 4 SGB IX unwirksam. Im Übrigen fehlt es auch an einer Darlegung der Beklagten, wer wann diese Organisationsentscheidung gefällt haben soll.

b. Der Weiterbeschäftigung des Klägers im Lager steht auch nicht die Behauptung der Beklagten entgegen, es gebe im Lager kein Beschäftigungsbedürfnis für ihn. Dabei kann offenbleiben, welche konkreten Tätigkeiten der Kläger über Monate hinweg im Lager ausgeführt hat. Jedenfalls wurde er dort während eines längeren Zeitraums beschäftigt, nämlich mindestens für umgerechnet ca. 1200 Stunden. Der Vortrag der Beklagten, der Kläger sei während dieser Zeit „über den betrieblichen Bedarf hinaus“ beschäftigt worden, ist mangels einer weiteren Konkretisierung unerheblich. Wenn sich ein Arbeitnehmer an einem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz 1200 Stunden aufhält und dort dem Direktionsrecht der Arbeitgeberin folgend Arbeitsleistung erbringt, bestand in diesem Zeitraum auch ein Beschäftigungsbedürfnis. Behauptet die Arbeitgeberin das Gegenteil, so muss sie konkretisieren, welche bedarfsüberschreitende Tätigkeiten sie dem Kläger zugewiesen hat. Dafür ist das Schlagwort „bloße Hilfstätigkeiten“ nicht ausreichend, denn auch für Hilfstätigkeiten besteht regelmäßig ein Beschäftigungsbedürfnis.

Auch die Darlegung der Beklagten, dem Kläger fehle für die Tätigkeit die erforderliche Qualifikation ist nach monatelanger Arbeitsleistung auf dem Arbeitsplatz konkretisierungsbedürftig, denn der Kläger hat eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker erfolgreich abgeschlossen und damit eine Ausbildung die der in den Fallgruppen 5.1 bis 5.3 des einschlägigen TV-N NW geforderten Qualifikation entspricht.

2. Da die streitgegenständliche Kündigung mithin schon deshalb unwirksam ist, weil ein milderes Mittel als das tatsächlich erklärte Änderungsangebot zur Verfügung stand, kann es offenbleiben, ob ihrer Wirksamkeit nicht auch eine konkludente Vertragsänderung durch den einvernehmlich erfolgten mehrmonatigen Einsatz im Lager entgegenstehen könnte. Diese hätte eine Änderung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht dergestalt zur Folge, dass der Kläger nun nicht mehr die Tätigkeit eines Busfahrers schuldete, sondern die Tätigkeit eines Lageristen. Die Wirksamkeit einer Kündigung, die mit krankheitsbedingtem Unvermögen begründet würde, würde in diesem Fall bereits auf der ersten Prüfungsstufe, der negativen Zukunftsprognose, scheitern. Denn der dann vertraglich geschuldeten Leistung stünde die Gesundheit des Klägers nicht entgegen.

III. Nach allem bleibt es somit bei der weitgehend klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat die Berufungsführerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

 

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