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Zahlung Corona-Prämie – Unterbrechung der Tätigkeit im Sinne des § 150a Abs. 5 SGB IX

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 13 Sa 413/22 – Urteil vom 21.10.2022

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 09.03.2022 – Az. 1 Ca 1561/21 – abgeändert und die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Zusammenfassung

Die Klägerin fordert die Zahlung einer Corona-Prämie für das Jahr 2020 von ihrem ehemaligen Arbeitgeber, einem Pflegedienst. Die Beklagte verweigert die Zahlung, da die Klägerin aufgrund von Krankheitsbedingungen nicht die Voraussetzungen erfüllt, um die Prämie zu erhalten. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, da die Klägerin die erforderliche Zeit bei der Beklagten tätig war und die Krankheitsbedingungen nicht länger als 14 Tage andauerten. Die Beklagte legte Berufung ein und behauptet, dass die Klägerin die Voraussetzungen nicht erfüllt hat und nur 20 Wochenstunden gearbeitet hat.

Die  Pflegekraft klagte auf Zahlung einer Corona-Prämie gemäß § 150a Abs. 2 SGB XI, jedoch hat sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, da sie im Bemessungszeitraum nicht mindestens drei Monate tätig war und auch eine Arbeitsunfähigkeit auftrat. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Prämie zu zahlen, da die Arbeitsunfähigkeit keine unbeachtliche Unterbrechung ist und die Prämie an tatsächliche, faktische Arbeitsleistung geknüpft ist. So sieht es das Berliner Landesarbeitsgericht. Die Berufung der Beklagten wurde zugelassen und erfolgreich beendet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Corona-Prämie für das Jahr 2020.

Die Klägerin war bei der Beklagten, die einen Pflegedienst betreibt, aufgrund Arbeitsvertrages vom 07.07.2017 (Bl. 147 ff. d.A) seit dem 17.07.2017 als Krankenpflegehelferin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden beschäftigt. Vollzeitkräfte werden bei der Beklagten mit 40 Wochenstunden beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung mit dem 17.06.2020.

Vom 22.05.2020 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17.06.2020 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hat die Zahlung der Corona-Hilfe für das Jahr 2020 unter Hinweis auf § 150a Abs. 2 SGB XI (idF vom 19.05.2020) verweigert mit der Begründung, dass ein Anspruch nur bestehe für Arbeitnehmer, die zwischen dem 01.03.2020 bis zum 31.10.2020 mindestens drei Monate in einer zugelassenen oder für eine zugelassene Pflegeeinrichtung tätig gewesen seien. Diese Voraussetzung habe die Klägerin aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit ab dem 22.05.2020 nicht erfüllt.

Mit ihrer am 30.08.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung einer Corona-Prämie für das Jahr 2020 weiterverfolgt. Sie hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass sie sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung einer Coronahilfe für das Jahr 2020 erfülle, insbesondere eine dreimonatige Tätigkeit zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.10.2020. Die Beklagte habe zu Unrecht den gesamten Arbeitsunfähigkeitszeitraum ab dem 22.05.2020 bei Berechnung der dreimonatigen Tätigkeitsdauer unberücksichtigt gelassen, denn gemäß § 150a Abs. 5 Nr. 1 SGB XI sei eine Unterbrechung von bis zu 14 Kalendertagen unbeachtlich. Aufgrund dessen seien von den 28 Fehltagen der Klägerin 14 Tage in Abzug zu bringen, so dass die Unterbrechung erst ab dem 04.06.2020 zu berücksichtigen sei mit der Folge, dass die Klägerin die dreimonatige Tätigkeitsdauer im Bemessungszeitraum aufweise. Die begehrte Zahlung setzte sich der Höhe nach zusammen aus einer Corona-Prämie i.H.v. 1.000,00 gemäß § 150a Abs. 2 Nr. 1 SGB XI sowie einer Aufstockung i.H.v. 500,00 gemäß § 150a Abs. 9 Nr. 1 SGB XI iVm Nr. 2 1a des nordrhein-westfälischen Erlasses zur „Aufstockung der Corona-Prämie mit Landesmitteln für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung oder eines Werks- oder Dienstleistungsvertrages in Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden und deren Arbeitgeber Verträge mit Pflegeeinrichtungen innerhalb und Außerhalb Nordrhein-Westfalens geschlossen haben“.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.500,00 netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 150a Abs. 2 Nr. 1 SGB XI nicht erfülle. Die offizielle Festlegung der Art und Weise der Prämienzahlung ergebe sich aus den „Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 150 a Abs.7 SGB VI über die Finanzierung von Sonderleistungen während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen vom 29.05.2020“. Nach dessen Ziffer 2 Abs. 3 seien krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als 14 Tagen (Ausnahme: COVID-19-Erkrankung des Mitarbeiters) insgesamt nicht bei Berechnung der dreimonatigen Tätigkeitsdauer im Bemessungszeitraum zu berücksichtigen. Das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin habe im Bemessungszeitraum gemäß § 150a Abs. 2 Nr. 1 SGB XI nur bis zum 17.06.2020 bestanden. Da die Klägerin ab dem 22.05.2020 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und ihre Arbeitsunfähigkeit in dem maßgeblichen Bemessungszeitraum die zulässige Unterbrechung von 14 Kalendertagen überschritten habe, könne der gesamte Arbeitsunfähigkeitszeitraum von 28 Tagen bei Berechnung der dreimonatigen Tätigkeitsdauer im Bemessungszeitraum nicht berücksichtigt werden.

Das Arbeitsgericht Herne hat der Klage mit Urteil vom 09.03.2022 (Az. 1 Ca 1561/21), auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz ergänzend Bezug genommen wird, stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Corona-Prämie in Höhe von 1.000,00 EUR ergebe sich aus § 150a Abs. 2 Nr. 1 SGB XI. Die Voraussetzungen der Regelung seien bei der Klägerin erfüllt. Insbesondere sei sie im maßgeblichen Bemessungszeitraum mehr als drei Monate bei der Beklagten tätig geworden. Zwar sei sie nur bis zum 21.05.2020 tätig gewesen und danach aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht mehr. Nach § 150 Abs. 5 Nr. 1 SGB XI sei die Unterbrechung aufgrund der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aber erst ab dem 15. Tag beachtlich. Dies ergebe sich aufgrund einer Auslegung der maßgeblichen Vorschriften. Der Wortlaut des § 150 Abs. 5 Nr. 1 SGB XI stelle auf eine Unterbrechung von „bis zu“ 14 Tagen ab und lege damit eine Höchstgrenze fest, die für eine Unterbrechung bezogen auf den dreimonatigen Zeitraum unbeachtlich sei. Das Gesetz verlange damit nicht, dass ein Arbeitnehmer tatsächlich drei Monate tätig gewesen sei. Andernfalls hätte es nahelegen, die Corona-Prämie ausnahmslos von einer dreimonatigen tatsächlichen Beschäftigung während des Bemessungszeitraums abhängig zu machen. Dass dies vom Gesetzgeber so nicht gewollt gewesen sei, verdeutlichten die weiteren in § 150 Abs. 5 SGB XI aufgeführten Tatbestände, wonach – z.B. im Falle eines Arbeitsunfalls – sogar denkbar sei, dass ein Arbeitnehmer im Bezugszeitraum überhaupt keine Arbeitsleistung erbracht habe. § 150 Abs. 5 SGB XI lasse kumuliert sogar mehrere Unterbrechungstatbestände zu, wie das Wort „oder“ verdeutliche. Im Gegensatz zu den weiteren in § 150 Abs. 5 SGB XI aufgeführten Tatbeständen sehe nur Ziff. 1 eine zeitliche Begrenzung vor. Sei die dort vorgesehene Unterbrechung von 14 Tagen unbeachtlich, so könne auch nicht von Bedeutung sein, ob die Ursache für die Unterbrechung auch über diesen Zeitraum hinaus fortbestanden habe. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus den Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes vom 29.05.2020. Deren Ziffer 3 Abs.3 Ziff. 1 lege ausdrücklich fest, dass für die Berechnung des dreimonatigen Zeitraums Unterbrechungen bis zu 14 Tagen unbeachtlich seien; sie stelle damit noch deutlicher den dreimonatigen Zeitraum in den Vordergrund und wiederhole im Übrigen die gesetzlichen Ausschlussgründe.

Schließlich erfülle die Klägerin auch die Voraussetzung einer Vollzeitbeschäftigung. Das habe die Kammer dem Vortrag der Klägerin entnommen, dass sie sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfülle; dies habe die Beklagte nicht bestritten.

Ein Anspruch auf Zahlung weiterer 500,00 EUR ergebe sich aus § 150 Abs. 5 SGB XI i.V.m. der Allgemeinverfügung zur „Aufstockung der Corona-Prämie mit Landesmitteln für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung oder eines Werks- oder Dienstleistungsvertrages in Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden und deren Arbeitgeber Verträge mit Pflegeeinrichtungen innerhalb und Außerhalb Nordrhein-Westfalens geschlossen haben“.

Das Urteil ist der Beklagten am 21.03.2022 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 12.04.2022 eingelegte und mit dem am 23.05.2022 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung. Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend, dass die Klägerin in dem maßgeblichen Bemessungszeitraum keine drei Monate bei der Beklagten tätig gewesen sei. Denn die Privilegierung des § 150a Abs. 2 Nr. 1 SGB XI finde nur statt bei Unterbrechungen von bis zu 14 Tagen. Zudem habe das Arbeitsgericht ohne nähere Prüfung eine Vollzeitbeschäftigung der Klägerin zugrunde gelegt. Die Klage sei insoweit schon nicht unschlüssig gewesen. Wie sich aus dem mit der Berufungsbegründung zur Gerichtskate gereichten Arbeitsvertrag ergebe, sei die Klägerin lediglich mit 20 Wochenstunden tätig gewesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 09.03.2022, Az. 1 Ca 1561/21, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt zweitinstanzlich ergänzend vor: Das erstinstanzliche Urteil sei rechtsfehlerfrei ergangen. Ein Anspruch auf Zahlung von 1.000,00 EUR ergebe sich aus § 150a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB XI. Ein Anspruch auf weitere 500,00 EUR erwachse aus § 150a Abs. 9 SGB XI. Entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin sei die Erkrankung der Klägerin bis zum Ablauf von 14 Tagen unbeachtlich und deshalb zu Recht nicht berücksichtigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands zweiter Instanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG), nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG am 12.04.2022 gegen das am 21.03.2022 zugestellte Urteil innerhalb der Monatsfrist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Frist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auch ordnungsgemäß nach den §§ 520 Abs. 3, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG am 23.05.2022 begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.

II. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das arbeitsgerichtliche Urteil war abzuändern. Die Klage ist, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin steht der eingeforderte Betrag unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

1. Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Zahlung einer Corona-Prämie nicht auf § 150a Abs. 2 SGB XI stützen, da sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt.

a) § 150a SGB in der Fassung vom 19.05.2020 lautet, soweit vorliegend von Bedeutung, wie folgt:

(1) Die zugelassenen Pflegeeinrichtungen werden verpflichtet, ihren Beschäftigten im Jahr 2020 zum Zweck der Wertschätzung für die besonderen Anforderungen während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie eine für jeden Beschäftigten einmalige Sonderleistung nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 und 8 zu zahlen (Corona-Prämie). Gleiches gilt für Arbeitgeber, deren Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer in Einrichtungen nach Satz 1 im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung oder eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags eingesetzt werden.

(2) Die Corona-Prämie ist für Vollzeitbeschäftigte, die in dem Zeitraum vom 1. März 2020 bis einschließlich zum 31. Oktober 2020 (Bemessungszeitraum) mindestens drei Monate in einer zugelassenen oder für eine zugelassene Pflegeeinrichtung tätig waren, in folgender Höhe auszuzahlen:

1. in Höhe von 1 000 Euro für Beschäftigte, die Leistungen nach diesem Buch oder im ambulanten Bereich nach dem Fünften Buch durch die direkte Pflege und Betreuung von Pflegebedürftigen erbringen,

2. …

(4) An Beschäftigte, die im Bemessungszeitraum mindestens drei Monate in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung tätig waren und in dieser Zeit ganz oder teilweise in Teilzeit gearbeitet haben, ist die Corona-Prämie anteilig im Verhältnis zu den in Absatz 2 Satz 1 genannten Höhen zu zahlen. Der jeweilige Anteil entspricht dem Anteil der von ihnen wöchentlich durchschnittlich in dem Bemessungszeitraum tatsächlich geleisteten Stunden im Verhältnis zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit der bei derselben Pflegeeinrichtung Vollzeitbeschäftigten, mindestens jedoch dem Anteil der mit ihnen vertraglich vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit im Verhältnis zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit der bei der Pflegeeinrichtung Vollzeitbeschäftigten. Abweichend von Satz 1 ist die Corona-Prämie nach Absatz 2 ungekürzt an Teilzeitbeschäftigte zu zahlen, wenn sie im Bemessungszeitraum mindestens drei Monate in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung tätig waren und ihre wöchentliche tatsächliche oder vertragliche Arbeitszeit in diesem Zeitraum 35 Stunden oder mehr betrug.

(5) Die folgenden Unterbrechungen der Tätigkeit im Bemessungszeitraum sind für die Berechnung des dreimonatigen Zeitraums, in dem die Beschäftigten im Bemessungszeitraum mindestens in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung tätig sein müssen, unbeachtlich:

1. Unterbrechungen von bis zu 14 Kalendertagen,

2. Unterbrechungen auf Grund einer COVID-19-Erkrankung,

3. Unterbrechungen auf Grund von Quarantänemaßnahmen,

4. Unterbrechungen auf Grund eines Arbeitsunfalls oder

5. Unterbrechungen wegen Erholungsurlaubs.

(9) Die Corona-Prämie kann durch die Länder oder die zugelassenen Pflegeeinrichtungen unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundlagen der Absätze 1 bis 6 über die dort genannten Höchstbeträge hinaus auf folgende Beträge erhöht werden:

1. auf bis zu 1 500 Euro für Vollzeit-, Teilzeit- oder in Kurzarbeit Beschäftigte, die die in Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 genannten Voraussetzungen erfüllen,

2. ….

Gleiches gilt für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Absatz 1 Satz 2. Die Länder regeln ihr Verfahren. Sie können sich dabei an den Verfahrensregelungen dieser Vorschrift, insbesondere an den genannten Fristen, orientieren.“

b) Der Klägerin steht danach ein Anspruch auf Zahlung einer Corona-Prämie für das Jahr 2020 nicht zu. Zwar handelt es sich bei der Beklagten um eine Pflegeeinrichtung i.S.d. § 150a Abs. 1 SGB XI; das steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Klägerin war dort in dem streitgegenständlichen Bemessungszeitraum (01.03.2020 bis 31.10.2020) aber nicht mindestens drei Monate tätig i.S.d. § 150a Abs. 2 SGB IX. Denn ab Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit hat sie keine Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift mehr für die Beklagte erbracht. Auch handelt es sich bei der Arbeitsunfähigkeit ab dem 22.05.2020 nicht lediglich um eine unbeachtliche Unterbrechung nach § 150a Abs. 5 Nr. 1 SGB XI. Deshalb kann der der Zeitraum ab dem 22.05.2020 nicht, auch nicht anteilig, bei der Berechnung des Dreimonatszeitraum berücksichtigt werden. Das ergibt die Auslegung der Norm.

(1) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille des Gesetzgebers und der beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen. Dabei kommen den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelungen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen des Gesetzgebers geben kann. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Verständnis der Bestimmung führt (BVerfG 10. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 – NJW 2013, 1058 ff. zu B II 1 a der Gründe = Rn. 66).

(2) Ausgehend davon ist § 150a Abs. 5 Nr. 1 SGB XI nach Auffassung der Kammer dahingehend zu interpretieren, dass jedenfalls dann kein Anspruch auf Zahlung einer Corona-Prämie besteht, wenn – wie vorliegend – ein Arbeitnehmer vor Ablauf des maßgeblichen Dreimonatszeitraums faktisch keine Tätigkeiten mehr in der Pflege erbringt und aus dem Pflegebereich ausscheidet. Denn dann liegt nicht lediglich eine „Unterbrechung“ iSd Regelung vor. Das ergibt sich schon aus ihrem Wortlaut. „Unterbrechung“ ist fach- und umgangssprachlich bei unbefangener Bewertung eindeutig. Eine Unterbrechung liegt vor, wenn „eine Tätigkeit o.ä., die noch nicht zu Ende geführt ist, vorübergehend nicht mehr weitergeführt wird“ (duden.de) bzw. „eine kurzzeitige Aussetzung einer Handlung, um diese später wieder aufzunehmen“ (wortbedeutung.de). Eine „Unterbrechung“ einer Tätigkeit setzt nach allgemeinem Sprachverständnis somit voraus, dass diese Tätigkeit zunächst aufgenommen worden sein muss (so auch Maximilian Roth in: Hauck/Noftz SGB XI, § 150a Sonderleistung während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie, Rn. 10; BeckOGK/Opolny, SGB XI, Stand 01.08.2022, § 150a Rn. 25) und nach der Unterbrechung – wenn auch nur für einen Tag – noch weitergeführt wird. Deshalb kann entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ein Anspruch auf eine Corona-Prämie nicht schon entstehen, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund eines oder verschiedener der in § 150a Abs. 5 SGB XI genannten Tatbestände im Bemessungszeitraum überhaupt keine Arbeitsleistung erbracht hat. Die Worte „tätig waren“ verlangen eine tatsächliche, faktische Arbeitsleistung bzw. Anwesenheit im Betrieb und nicht nur das bloße Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zur Pflegeeinrichtung mit einer regelmäßigen oder üblichen Arbeitszeit (vgl. Schlegel/Meßling/Bockholdt, Corona-Gesetzgebung, § 15 Pflege Rn. 23, beck-online).

Hätte der Gesetzgeber nicht nur eine bis zu 14 Tagen dauernde Unterbrechung als unbeachtlich festlegen wollen, sondern jede Abwesenheit im Betrieb von bis zu 14 Tagen für die Berechnung des Dreimonatszeitraums, so hätte er eine andere Formulierung gewählt wie z.B. dass „eine Abwesenheit“ des Arbeitnehmers im Bemessungszeitraum unbeachtlich ist, wenn diese(r) 14 Tage nicht überschreitet (oder auf einem der unter Ziffer 2. bis 5. genannten Gründe beruht)“ oder dass die „Tätigkeitsdauer aufgrund einer Abwesenheit von bis zu 14 Tagen nicht erreicht wird“. Das ist jedoch nicht erfolgt. Mit der Formulierung, dass eine „Unterbrechung“ in den unter § 150a Abs. 5 SGB XI aufgeführten Fällen unbeachtlich ist, hat der Gesetzgeber zu Gunsten der in der Pflege Tätigen zwar sichergestellt, dass der Dreimonatszeitraum nicht jeweils wieder neu zu laufen beginnt, wenn der Arbeitnehmer aus einem der unter § 150a Abs. 5 SGB XI genannten Gründe seine Tätigkeit vorübergehend unterbrechen muss (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. März 2022 – 5 Sa 1708/21 -, Rn. 24, juris). Kehrt der Arbeitnehmer aus seiner Abwesenheit aus einer der unter § 150 Abs. 5 Nr. 1 SGB XI genannten Gründe aber überhaupt nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurück, so liegt nicht lediglich eine „Unterbrechung“ vor und die Fehlzeit ist nicht unbeachtlich iSd § 150 Abs. 5 Nr. 1 SGB XI.

Dieses Verständnis entspricht nach Auffassung der Kammer auch dem angeführten Sinn und Zweck der Leistung, die besonderen pandemiebedingten Beschäftigungsbedingungen in Pflegeeinrichtungen unabhängig davon zu prämieren, wann sie im Bemessungszeitraum vorliegen. Der Gesetzgeber hat grundsätzlich eine Tätigkeitsdauer von mindestens drei Monaten im Bemessungszeitraum für erforderlich gehalten, um von einer besonderen Belastung auszugehen. Ausgehend davon kann es zwar nicht von Bedeutung sein, ob diese dreimonatige Arbeitsleistung in einem zusammenhängenden Zeitraum erbracht wird oder aber unterbrochen wird und in mehreren, zeitlich getrennten Beschäftigungszeiträumen anfällt, denn die Belastung ist in beiden Fällen die Gleiche. Anders ist es hingegen, wenn der Beschäftigte im Bemessungszeitraum insgesamt weniger als drei Monate tätig ist und im Anschluss an eine Abwesenheit aus den unter § 150a Abs. 5 SGB XI genannten Gründen nicht mehr in derselben oder einer anderen Pflegeeinrichtung tätig wird und damit auch der besonderen Belastung nicht mehr ausgesetzt ist. In einem solchen Fall kann nicht nur nach dem Wortlaut des § 150a Abs. 5 SGB XI, sondern auch unter Berücksichtigung des Telos der Norm (tatsächliche Belastungen der COVID-19-Pandemie auszugleichen) nicht mehr von einer Unterbrechung i.S.d. § 150a Abs. 5 SGB XI ausgegangen werden.

Da nachdem alledem die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 21.05.2021 nicht lediglich eine unbeachtliche „Unterbrechung“ i.S.d. § 150a Abs. 5 SGB XI darstellt, kann offen bleiben, ob nur der 14 Tage überschreitende Zeitraum oder aber der gesamte Arbeitsunfähigkeitszeitraum für die Berechnung des Dreimonatszeitraums unberücksichtigt bleiben muss.

c) Der Höhe scheitert die begehrte Corona-Prämie auch daran, dass die Klägerin, wie die Parteien im Termin vor der Kammer unstreitig gestellt haben, bei der Beklagten lediglich mit 20 Wochenstunden und nicht vollzeitig beschäftigt war. Dies entspricht der Hälfte der bei der Beklagten üblichen regelmäßigen Arbeitszeit, so dass der Klägerin, auch wenn man ihrer Rechtsauffassung zur Auslegung des § 150 Abs. 5 SGB XI folgen würde, nach § 150a Abs. 4 SGB XI eine Corona-Prämie lediglich in Höhe von 500,00 EUR zustünde.

2. Ein Anspruch auf Zahlung einer Corona-Prämie ergibt sich auch nicht aus den „Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 150a Abs. 7 SGB XI über die Finanzierung von Sonderleistungen während der Coronavirus SARS-CoV-2-Pandemie für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen“ vom 29.05.2020. Dessen Ziffer 2 Abs. 2 formuliert noch klarer als § 150a Abs. 2 SGB XI, dass der Beschäftigte „für mindestens drei Monate … tatsächlich tätig war“ und trifft dann unter Absatz 3 eine dem § 150 Abs. 5 SGB XI gleichlautende Bestimmung zu treffen, wonach

„für die Berechnung des dreimonatigen Zeitraums nach Abs. 2 folgende Unterbrechungen unbeachtlich (sind):

1. von bis zu 14 Kalendertagen

2. …“

Aufgrund dessen ist die Vorschrift genauso zu interpretieren, wie dies oben (II. 1 b)) zu § 150 Abs. 5 SGB XI dargelegt worden ist, und kann den Anspruch der Klägerin nicht begründen.

3. Da der Klägerin aus den dargelegten Gründen schon dem Grunde nach eine Corona-Prämie nicht zusteht, scheidet auch eine Aufstockung nach § 150a Abs. 9 SGB XI aus.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung des § 150a SGB XI haben grundsätzliche Bedeutung.

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