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Zugangsverhinderung einer Kündigung durch Manipulieren des Namensschildes

ArbG Hamburg – Az.: 4 Ca 300/20 – Teilurteil vom 11.03.2021

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 31.08.2020 (in Gestalt zweier Ausfertigungen, jeweils datiert auf denselben Tag) nicht zum 30.04.2021 aufgelöst werden wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger entsprechend seinem Arbeitsvertrag vom 12.04.2019 zu unveränderten Bedingungen als Personalleiter bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anträge zu 1 und 2 aus der Klageschrift weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt.

4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger

a) Auskunft zu erteilen über die Höhe des Handelsgewinns der Beklagten für das Geschäftsjahr 2019, welcher sich nach dem Betriebsergebnis laut Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zuzüglich Gewinnanteil HBG, Tantiemen, gewährte Skonti und Firmenwert-AFA abzüglich Skonti-, Delkredere- und Zentralregulierungserträgen errechnet,

b) über den Handelsgewinn der Beklagten für das Jahr 2019, welcher sich nach dem Betriebsergebnis laut Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zuzüglich Gewinnanteil HBG, Tantiemen, gewährte Skonti und Firmenwert-AFA abzüglich Skonti-, Delkredere- und Zentralregulierungserträgen errechnet, einen Buchauszug zu erteilen.

5. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 29.09.2020 aufgelöst worden ist.

6. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung vom 30.09.2020 aufgelöst werden wird.

7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 63.218,35 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 4.466,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 12.643,67 € brutto seit dem 01.11.2020, auf 12.643,67 € brutto seit dem 01.12.2020, auf 12.643,67 € brutto seit dem 01.01.2021, auf 12.643,67 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.233,44 € seit dem 01.02.2021 sowie auf 12.643,67 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.233,44 € seit dem 01.03.2021 zu zahlen.

8. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 21.12.2020 aufgelöst worden ist.

9. Die Anträge zu 2 und 11 aus dem Schriftsatz vom 19.02.2021 werden abgewiesen.

10. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird abgewiesen.

11. Die Entscheidung über die Tragung der Kosten des Rechtsstreits bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

12. Der Wert des Streitgegenstandes für dieses Teilurteil wird auf 310.330,00 € festgesetzt.

13. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Zugangsverhinderung einer Kündigung durch Manipulieren des Namensschildes
(Symbolfoto: Worldpics/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer arbeitgeberseitiger Kündigungen ihres Arbeitsverhältnisses, allgemein über dessen Fortbestand, über einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag, über die Weiterbeschäftigung des Klägers, über Entgeltansprüche einschließlich eines im Wege der Stufenklage geltend gemachten Anspruchs auf Zahlung einer Tantieme und über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Die Beklagte ist ein Großhandelsunternehmen für XXXX. Sie beschäftigt etwa 830 Arbeitnehmer, davon an ihrem Sitz in Hamburg etwa 320.

Der am 18.08.19XX geborene Kläger ist gegenüber zwei in Ausbildung befindlichen Kindern unterhaltspflichtig und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Er begann seine Tätigkeit als Personalleiter der Beklagten am 01.05.2019 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 12.04.2019 (Bestandteil des Anlagenkonvoluts K 1, Bl. 20 f. d. A.) und der „Sondervereinbarung Geschäftsleitung“ vom selben Tag (Bl. 22 f. d. A.), die unter anderem Folgendes regelt:

„Herr R. B. ist Mitglied der Geschäftsleitung der Gesellschaft. Unter Berücksichtigung seiner besonderen Branchenkenntnisse wird folgendes vereinbart:

4. Tantieme

Der Geschäftsführer hat Anspruch auf Zahlung einer Tantieme. Die Tantieme wird nach der folgenden Staffel auf den „Handelsgewinn“ der Gesellschaft vergütet.

  • über 1,5 % = 0,25 %
  • über 1,6 % = 0,30 %
  • über 1,7 % = 0,35 %
  • über 1,8 % = 0,40 %
  • über 1,9 % = 0,45 %
  • über 2,0 % = 0,50 %
  • über 2,2 % = 0,55 %
  • über 2,4 % = 0,60 %
  • über 2,6 % = 0,65 %
  • über 2,8 % = 0,70 %
  • über 3,0 % = 0,75 %
  • über 3,2 % = 0,80 %
  • über 3,4 % = 0,85 %
  • über 3,6 % = 0,90 %
  • über 3,8 % = 0,95 %
  • über 4,0 % = 1,00 %

Die Bemessungsgrundlage „Handelsgewinn“ errechnet sich nach dem Betriebsergebnis laut Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zuzüglich Gewinnanteil HBG, Tantiemen, gewährte Skonti und Firmenwert-AFA abzüglich Skonti-, Delkredere- und Zentralregulierungserträgen. Die Tantieme selbst mindert nicht die Bemessungsgrundlage.

Die Tantieme wird nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung zur Zahlung fällig. Soweit der Mitarbeiter innerhalb eines Geschäftsjahres nur zeitweilig für die Gesellschaft tätig ist, wird die Tantieme nur zeitanteilig gezahlt. …“

Der Bruttomonatsverdienst des Klägers betrug zuletzt 12.000,00 €. Der geldwerte Vorteil des ihm auch für Privatfahrten zur Verfügung gestellten Dienstwagens beläuft sich auf 643,67 € monatlich. In Bezug auf die dem Kläger nach der Sondervereinbarung Geschäftsleitung zustehende Tantieme teilte der Geschäftsführer der Beklagten P. J. dem Kläger im Vorfeld des Vertragsschlusses mit, er könne durchaus mit einer Tantieme zwischen 80.000,00 und 100.000,00 € brutto jährlich rechnen. Der Jahresabschluss für das Jahr 2019 ist festgestellt.

Der Begriff „Geschäftsleitung“, den der Kläger auch in seiner E-Mail-Signatur neben dem Begriff „Personalabteilung“ verwendete, umfasst eine Personengruppe, der neben den fünf Geschäftsführern einige Führungskräfte (Vertriebsleiter, Facility Manager und Personalleiter) angehören und die inhaltlich verschiedene Themen besprechen. In der Regel werden die wesentlichen Entscheidungen auf der Ebene der Geschäftsführung der Beklagten getroffen. Der Kläger war nicht zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern befugt.

Er war in seiner Funktion als Personalleiter sehr erfolgreich. Seit Ende November 2019 war klar, dass es bei der Beklagten neue Geschäftsführer geben und der Kläger einer davon werden sollte. Im Juni 2020 sah die Planung vor, dass der Kläger als zukünftiger Geschäftsführer für die Geschäftsbereiche Personal, IT und Project Management Office verantwortlich werden sollte, für den zuletzt genannten Geschäftsbereich ab August 2020 und in Bezug auf die beiden anderen Geschäftsbereiche ab Januar 2021. Eine entsprechende Verlautbarung sollte den Führungskräften und Mitarbeitern des Unternehmens am Ende des Monats August 2020 mitgeteilt werden. In der Zwischenzeit sollten die Verträge für die neuen Geschäftsführer erstellt und verhandelt werden.

Die Planungen wurden im Zuge der Corona-Krise vorübergehend auf Eis gelegt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits ein sehr lukratives Wechselangebot von einem Mitbewerber der Beklagten wegen der ihm zugesagten Anstellung als Geschäftsführer ausgeschlagen.

In dem Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 03.06.2020 (Anlage B 1, Bl. 196 d. A.) heißt es:

„Die Geschäftsführung hat am 03.06.2020 beschlossen, das Personalwesen in der P. J. GmbH neu zu organisieren. Die Position des angestellten Personalleiters (derzeit R. B.) wird ersatzlos gestrichen und wird wie auch zu vor, von Herrn P. J. verantwortlich geleitet.“

Am 22.06.2020 teilte P. J. dem Kläger mit, man nehme von der Planung, ihn zum Geschäftsführer zu bestellen, Abstand; man wolle sich von ihm trennen. Am 23.06.2020 wurde der Kläger widerruflich von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt. Auf eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigten sich die Parteien nicht.

Mit Schreiben vom 26.06.2020 (Anlage B 2, Bl. 197 f. d. A.) beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Ferner hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat und die bei ihr bestehende Schwerbehindertenvertretung zu der beabsichtigten Kündigung an. Mit Bescheid vom 27.08.2020 (Anlage B 3, Bl. 199 bis 203 d. A.) erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Betriebsrat erklärte sich für nicht zuständig und gab in der Sache keine Erklärung ab. Die Schwerbehindertenvertretung gab keine Stellungnahme ab.

Am 31.08.2020 versuchte die Beklagte, dem Kläger das Kündigungsschreiben vom 31.08.2020 (Anlage K 6, Bl. 38 d. A.) mit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2021 unter seiner Anschrift XXXX XXXX 108, 20XXX Hamburg zuzustellen. Das misslang, weil der Name des Klägers an der Klingelanlage nicht angebracht war. Bei einem weiteren Zustellversuch brachte die Beklagte das Kündigungsschreiben an der Eingangstür zum Mehrfamilienhaus an. Bei einem vorsorglichen nochmaligen Zustellungsversuch am 09.09.2020 war der Name des Klägers an der Klingelanlage angebracht. Die Beklagte warf das Kündigungsschreiben daher an diesem Tag in den Hausbriefkasten des Klägers.

Mit E-Mail vom gleichen Tag (Anlage K 9, Bl. 42 bis 49 d. A.) hörte die Beklagte den Kläger zu dem dringenden Verdacht an, dass der Kläger durch das Verdecken seines Namens und das Anbringen eines anderen Namens auf der Klingelanlage die Zustellung der Kündigung noch im August 2020 vorsätzlich zu vereiteln versucht habe. Mit Schreiben vom 13.09.2020 (Anlage B 7, Bl. 207 d. A.) und mit einer inhaltsgleichen E-Mail vom 14.09.2020 (Anlage K 10, Bl. 50 d. A.) erklärte der Kläger unter anderem, er sei seit dem 29.08.2020 bis zum 01.09.2020 nicht in Hamburg gewesen; wenn es tatsächlich dazu gekommen sein sollte, dass am 31.08.2020 die Namensschilder an der Klingelanlage und / oder am Briefkasten und / oder an der Wohnungstür entfernt bzw. in sonstiger Weise unkenntlich gemacht wurden, sei dies weder mit seinem Wissen noch mit seiner Zustimmung geschehen; gleiches gelte für seine Lebenspartnerin.

Mit seiner am 15.09.2020 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und der Beklagten am 28.09.2020 zugestellten Klage macht der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 31.08.2020, allgemein den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, seine Weiterbeschäftigung, die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses, im Wege der Stufenklage seinen Tantiemeanspruch für das Jahr 2019 und jeweils hilfsweise die Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses sowie die Feststellung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung erst mit Wirkung zum 31.05.2021 geltend.

Am 16.09.2020 teilte die Mitarbeiterin der Beklagten C. K. dem Kläger mit, sie habe am 31.08.2021 nach 12:00 Uhr versucht, dem Kläger die Kündigung vom 31.08.2020 persönlich unter seiner Wohnanschrift zuzustellen.

Mit Schreiben vom 14.09.2020 (Anlage B 8, Bl. 208 bis 213 d. A.) beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu der beabsichtigten fristlosen und hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Mit Schreiben vom 16.09.2020 (Anlage B 9, Bl. 214 bis 220 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen an. Mit weiterem undatiertem Schreiben (Anlage B 9, Bl. 221 bis 227 d. A.) hörte die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung zu den beabsichtigten Kündigungen an. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung gaben mit Verweis auf die Position des Klägers als leitendem Angestellten keine inhaltliche Stellungnahme ab. Mit Bescheid vom 23.09.2020 (Anlage K 13, Bl. 100 bis 104 d. A., und Anlage B 10, Bl. 228 bis 232 d. A.) erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses und mit Bescheid vom 28.09.2020 (Bl. 233 bis 237 d. A.) die Zustimmung zur hilfsweisen ordentlichen fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Zustimmungsbescheid zur außerordentlichen Kündigung ging den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 26.09.2020 zu. Mit Schreiben vom 29.09.2020 (Anlage K 14, Bl. 105 d. A.), das dem Kläger am selben Tag um etwa 09:20 Uhr in den Briefkasten gelegt wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 30.09.2020 (Anlage K 15, Bl. 106 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien hilfsweise ordentlich zum 31.05.2021. Post erreicht den Kläger normalerweise zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr morgens. Am 30.09.2020 war die ordentliche Kündigung jedenfalls bis etwa 13:30 Uhr noch nicht im Hausbriefkasten des Klägers.

Mit seiner Klageerweiterung vom 08.10.2020 (Bl. 60 f. d. A.) macht der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29.09.2020 und der hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 30.09.2020 geltend sowie hilfsweise die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 30.09.2020 erst zum 30.06.2021 aufgelöst wird.

Am 05.10.2020 gab der Kläger seinen Dienstwagen an die Beklagte zurück. Dabei unterhielt er sich mit der Mitarbeiterin der Beklagten C. K.. Diese teilte ihm mit, die Beklagte habe am 01.09.2020 eine neue Personalreferentin eingestellt.

Mit seiner Klageerweiterung vom 11.11.2020 (Bl. 113 d. A.) macht der Kläger Annahmeverzugslohn für den Monat Oktober 2020 geltend. Mit seiner Klageerweiterung vom 27.11.2020 (Bl. 121 f. d. A.) macht der Kläger hilfsweise einen Wiedereinstellungsanspruch geltend. Mit seiner Klageerweiterung vom 10.12.2020 (Bl. 137 d. A.) macht der Kläger Annahmeverzugslohn abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds für die Monate Oktober 2020 bis Februar 2021 geltend.

In dem Schriftsatz vom 27.11.2020 trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dessen Lebenspartnerin habe ihn am 19.11.2020 angerufen und mitgeteilt, sie habe am 31.08.2020 die Namensschilder an der Eingangstür des Hauses XXXX XXXX 108 umgedreht. Der Kläger wisse hiervon nichts. Sie habe sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden. Insbesondere sei kurz vor diesem Vorfall ihre langjährige „Zweitmutter“ verstorben. Dann sei es zum Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung gekommen. Das sei zu viel für sie gewesen. Auf entsprechende Bitte des Prozessbevollmächtigten fertigte die Lebenspartnerin des Klägers eine eidesstattliche Versicherung vom 25.11.2020 (Anlage K 17, Bl. 129 bis 131 d. A.) zu diesem Vortrag.

Mit Schreiben vom 07.12.2020 (Anlage K 19, Bl. 155 d. A.) hörte die Beklagte den Kläger zu dem dringenden Verdacht an, er habe, eventuell auf Anraten, aber zumindest in Absprache mit seinem anwaltlichen Vertreter die Manipulation des Namensschildes durch seine Lebenspartnerin veranlasst. Mit E-Mail vom 09.12.2020 (Anlage K 20, Bl. 156 d. A.) erklärte der Kläger, das Umdrehen des Namensschildes sei weder mit seinem Wissen noch mit seiner Zustimmung erfolgt. Mit undatiertem Schreiben (Anlage B 12, Bl. 238 bis 240 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten vorsorglichen außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Die Beklagte hörte auch die Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung an. Der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung gaben mit Verweis auf die Position des Klägers als leitender Angestellter keine inhaltliche Stellungnahme ab.

Mit Bescheid vom 17.12.2020 (Anlage B 13, Bl. 241 bis 246 d. A.) stimmte das Integrationsamt der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zu. Mit Schreiben vom 21.12.2020 (Anlage K 22, Bl. 173 d. A.), das dem Kläger am 22.12.2020 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien nochmals außerordentlich fristlos. Mit seiner Klageerweiterung vom 06.01.2021 (Bl. 150 d. A.) macht der Kläger die Rechtsunwirksamkeit dieser Kündigung geltend.

Der Kläger trägt vor, er sei kein leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und § 14 Abs. 2 KSchG. Er habe seine Entscheidungen nicht im Wesentlichen frei getroffen. Diese seien maßgeblich von der Geschäftsführung der Beklagten beeinflusst worden. Die arbeitsvertraglichen Aufgaben des Klägers als Personalleiter seien unmittelbar nach seiner Freistellung im Juli 2020 auf die Personalleiterin C. K. übergegangen. Mit der Einstellung des Mitarbeiters J. K. zum 01.10.2020 verantworte gemäß dem aktuellen Organigramm der Beklagten (Anlage K 23, Bl. 268 d. A.) nunmehr dieser den Personalbereich der Beklagten. Die Kündigung vom 31.08.2020 sei daher eine unzulässige Austauschkündigung. Zumindest hätte die Beklagte dem Kläger die zum 01.09.2020 neu geschaffene Personalreferentenstelle anbieten müssen. Selbst wenn das Namensschild am 31.08.2020 nicht manipuliert gewesen wäre, hätte dies auf den Ablauf der Kündigungsfrist keine Auswirkung gehabt, weil die Beklagte den Zustellversuch erst nach 12:00 Uhr und damit nach der üblichen Postzustellungszeit unternommen habe, sodass die Kündigung als erst am 01.09.2020 zugegangen zu behandeln gewesen wäre.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 31.08.2020 (in Gestalt zweier Ausfertigungen, jeweils datiert auf denselben Tag) nicht zum 30.04.2021 aufgelöst werden wird,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.04.2021 hinaus fortbesteht,

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger entsprechend seinem Arbeitsvertrag vom 12.04.2019 zu unveränderten Bedingungen als Personalleiter bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anträge zu 1 und 2 aus der Klageschrift weiter zu beschäftigen,

4. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt,

5. die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen, dem Kläger

c) Auskunft zu erteilen über die Höhe des Handelsgewinns der Beklagten für das Geschäftsjahr 2019, welcher sich nach dem Betriebsergebnis laut Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zuzüglich Gewinnanteil HBG, Tantiemen, gewährte Skonti und Firmenwert-AFA abzüglich Skonti-, Delkredere- und Zentralregulierungserträgen errechnet,

d) über den Handelsgewinn der Beklagten für das Jahr 2019, welcher sich nach dem Betriebsergebnis laut Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zuzüglich Gewinnanteil HBG, Tantiemen, gewährte Skonti und Firmenwert-AFA abzüglich Skonti-, Delkredere- und Zentralregulierungserträgen errechnet, einen Buchauszug zu erteilen,

e) die Richtigkeit der erteilten Auskunft und des Buchauszugs erforderlichenfalls an Eides statt zu versichern,

f) nach Auskunftserteilung den zu beziffernden Tantiemebetrag zu zahlen,

6. für den Fall, dass den Anträgen zu 1, 2, 8, 9 oder 14 nicht stattgegeben wird: die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, dass sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt,

7. für den Fall, dass den Anträgen zu 1 oder 2 nicht stattgegeben wird: festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 31.08.2020 (in Gestalt zweier Ausfertigungen, jeweils datiert auf denselben Tag) erst mit Wirkung zum 31.05.2021 aufgelöst worden ist,

8. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 29.09.2020 aufgelöst worden ist,

9. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung vom 30.09.2020 aufgelöst werden wird,

10. für den Fall, dass den Klageanträgen zu 9 und 12 nicht stattgegeben wird: festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung vom 30.09.2020 erst zum 30.06.2021 aufgelöst werden wird,

11. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.642,67 € brutto, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins, seit dem 31.10.2020 zu zahlen,

12. für den Fall, dass den Klageantrag zu 8 und/oder dem Klageantrag zu 9 nicht stattgegeben wird: die Beklagte zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines (neuen) Arbeitsvertrags gemäß den bisherigen Bedingungen im Sinne des Arbeitsvertrags vom 12.04.2019 nebst „Sondervereinbarung Geschäftsleitung“ mit einem Grundgehalt in Höhe von monatlich 12.000,00 € brutto anzunehmen,

13. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 63.218,35 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 4.466,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 12.643,67 € brutto seit dem 01.11.2020, auf 12.643,67 € brutto seit dem 01.12.2020, auf 12.643,67 € brutto seit dem 01.01.2021, auf 12.643,67 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.233,44 € seit dem 01.02.2021 sowie auf 12.643,67 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.233,44 € seit dem 01.03.2021 zu zahlen,

14. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 21.12.2020 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hilfsweise für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine der streitgegenständlichen Kündigungen beendet wurde oder beendet wird, beantragt die Beklagte,  das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Der Kläger beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, es könne dahinstehen, ob die Beklagte im September 2020 eine neue Mitarbeiterin in der Personalabteilung eingestellt habe. Eine derartige Tätigkeit mit einer üblichen monatlichen Vergütung von weniger als 3.000,00 € brutto monatlich sei für den Kläger unzumutbar. Es bestehe auch nach den Einlassungen des Klägers der dringende Verdacht, dass er die Namensschilder an der Klingelanlage entweder selbst ausgetauscht oder dies veranlasst habe, um den Zugang der ordentlichen Kündigung noch im August 2020 zu vereiteln. Ferner bestehe der dringende Verdacht, dass er seine Lebensgefährtin zu einer falschen eidesstattlichen Versicherung angestiftet habe. Dies alles habe zu einem vollständigen Vertrauensverlust geführt, ebenso die Tatsache, dass der Kläger sich trotz nachgewiesener Türschildmanipulation weiterhin auf den Zugang des Kündigungsschreibens erst im September 2020 berufe. Die vom Kläger geltend gemachten Auskunftsansprüche seien offensichtlich unbegründet oder erfüllt. Vergütungsansprüche aus dem Gesicht des Annahmeverzugs bestünden wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht. Der Auflösungsantrag bedürfe keiner Begründung, weil der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe sich im Alltag und zum Beispiel in seiner E-Mail-Signatur zumindest als leitender Angestellter geriert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien und ihrer Beweisangebote wird gemäß § 313 Abs. 2 Satz 2, § 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu Protokoll gegebenen Erklärungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist bis auf die der Auskunftsstufe folgenden Stufen der Stufenklage zur Endentscheidung reif, sodass nach § 301 Abs. 1 ZPO insoweit durch Teilurteil zu entscheiden war. In diesem Rahmen ist die Klage überwiegend zulässig und begründet. Unzulässig sind nur der allgemeine Feststellungsantrag zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und die doppelte Geltendmachung des Vergütungsanspruchs für den Monat Oktober 2020. Im Übrigen ist die Klage, soweit sie zur Endentscheidung reif ist, zulässig und begründet. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet.

1. Der allgemeine Feststellungsantrag zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist unzulässig. Für ihn besteht nicht das erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO. Andere Beendigungstatbestände als die bereits punktuell mit dem Kündigungsschutzantrag angegriffenen Kündigungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, ebenso wenig die Gefahr, dass sich die Beklagte auf andere Beendigungstatbestände berufen könnte.

2. Unzulässig ist nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO auch die doppelte Geltendmachung der Vergütung für den Monat Oktober 2020 in den Klageanträgen zu 11 und 13. Sie ist daher nur einmal im Rahmen des Klageantrags zu 13 zulässig.

3. Die Kündigungsschutzanträge sind zulässig und begründet.

a) Die Anträge sind zulässig. Das Feststellungsinteresse für diese Anträge folgt daraus, dass der Kläger § 4 Satz 1, § 7, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG gehalten war, die Rechtsunwirksamkeit der Kündigungen innerhalb von drei Wochen seit deren Zugang durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage geltend zu machen.

b) Die Kündigungsschutzanträge sind auch begründet.

aa) Die Kündigungen gelten nicht nach § 4 Satz 1, § 7, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG als rechtswirksam, denn der Kläger hat die Rechtsunwirksamkeit der Kündigungen jeweils rechtzeitig innerhalb von drei Wochen seit ihrem Zugang durch Erhebung seiner Kündigungsschutzklage bzw. mit seinen Klageerweiterungen geltend gemacht. Die Zustellung der Klage bei der Beklagten erfolgte auch noch „demnächst“ iSd. § 167, § 253 Abs. 1 ZPO.

bb) Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.09.2020.

(1) Die Beklagte hat die Kündigung rechtzeitig erklärt. Bei der Kündigung schwerbehinderter Menschen wird § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch § 174 Abs. 2, Abs. 5 SGB IX ersetzt (BAG 11.06.2020 – 2 AZR 442/19 – Rn. 28 mwN).

(a) Die Einhaltung der Antragsfrist nach § 174 Abs. 2 SGB IX hat das Integrationsamt in seinem Bescheid vom 23.09.2020 auf Seite 3 unten und Seite 4 oben (Bl. 230 f. d. A.) bejaht. Daran ist das Arbeitsgericht im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess gebunden (BAG 11.06.2020 – 2 AZR 442/19 – Rn. 31).

(b) Die Beklagte hat die Kündigung nach § 174 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt erklärt.

(aa) Entsprechend der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 174 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“. Schuldhaft ist ein Zögern, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist. Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an. Nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben (BAG 27.02.2020 – 2 AZR 390/19 – Rn. 17).

(bb) Danach hat die Beklagte die Kündigung nach § 174 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt erklärt. Der Bescheid des Integrationsamts vom 23.09.2020 ging der Beklagten am 26.09.2020 zu. Mit Schreiben vom 29.09.2020 (Anlage K 14, Bl. 105 d. A.), das dem Kläger am selben Tag um etwa 09:20 Uhr in den Briefkasten gelegt wurde und ihm daher innerhalb einer Woche seit dem Bescheiddatum und innerhalb von drei Tagen seit dem Zugang des Bescheids bei der Beklagten zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

(2) Die Kündigung ist nicht als sog. Verdachtskündigung aus wichtigem Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) gerechtfertigt.

(a) Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG 02.03.2017 – 2 AZR 698/15 – Rn. 22 mwN). Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG 24.05.2012 – 2 AZR 206/11 – Rn.41 mwN). Im Kündigungszeitpunkt objektiv vorliegende entlastende Tatsachen sind auch dann zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber sie unverschuldet nicht hat kennen können (BAG aaO Rn. 42).

(b) Danach besteht im Streitfall der erforderliche dringende Verdacht nicht. Das Manipulieren eines Namensschildes mit dem Ziel, den Zugang einer Kündigung zu verhindern, kann zwar geeignet sein, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Die Beklagte hat mit der Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung auch alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen. Es besteht aber keine überwiegend große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Verdacht einer vom Kläger durchgeführten oder veranlassten Manipulation des Namensschildes zutrifft. Die Manipulation lässt sich ebenso gut durch das vom Kläger vorgetragene Geschehen erklären, wonach seine Lebenspartnerin, mit der zusammen er in der gemeinsamen Wohnung lebt, die Manipulation während seiner Abwesenheit ohne seine Kenntnis vorgenommen habe. Sie hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung nachvollziehbar ausgeführt, sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden zu haben, nachdem ihre sogenannte Zweitmutter verstorben war, sie keine Einladung zur Seebestattung erhalten hatte und nach dem Verfahren vor dem Integrationsamt der Zugang der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers – ihres Lebenspartners – in dessen Abwesenheit drohte, nachdem sie selbst beim Kläger für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten trotz eines lukrativen anderweitigen Beschäftigungsangebots geworben habe angesichts der in Aussicht gestellten Aufnahme in die Geschäftsführung.

(3) Die Kündigung ist auch nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, denn es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BetrVG ordnungsgemäß angehört hat.

(a) Der Anhörung bedurfte es, weil der Kläger kein leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 BetrVG ist. Dem Vortrag der Parteien ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG erfüllt. Dass der Kläger Personalleiter ist, er in der Sondervereinbarung Geschäftsleitung als Mitglied der Geschäftsleitung genannt wird und in seiner E-Mail-Signatur den Begriff der Geschäftsleitung verwendet, reicht dafür nicht aus. Zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern war er nicht berechtigt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er Generalvollmacht oder Prokura hatte und die Prokura auch im Verhältnis zur Beklagten nicht unbedeutend war oder er regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnahm, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wobei er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen traf oder sie maßgeblich beeinflusste, sind nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

(b) Die Beklagte hat dem Betriebsrat zwar mit Schreiben vom 16.09.2020 die Gründe für die Kündigung mitgeteilt. Sie hat aber nicht vorgetragen, wann dieses Schreiben dem Betriebsrat zugegangen ist und wann der Betriebsrat mit Verweis auf die Position des Klägers als leitender Angestellter auf eine inhaltliche Stellungnahme verzichtet hat. Die Einhaltung der Äußerungsfrist von drei Tagen nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG kann vor diesem Hintergrund nicht festgestellt werden.

(4) Die Kündigung ist schließlich auch nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam. Die Beklagte hat die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung mit undatiertem Schreiben (Bestandteil der Anlage B 9, Bl. 221 bis 227 d. A.) angehört, aber nicht vorgetragen, wann dieses Schreiben der Schwerbehindertenvertretung zugegangen ist und wann die Schwerbehindertenvertretung mit Verweis auf die Position des Klägers als leitender Angestellter auf eine inhaltliche Stellungnahme verzichtet hat. Die Einhaltung der Äußerungsfrist analog § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG (dazu BAG 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 – Rn. 23 mwN) kann vor diesem Hintergrund nicht festgestellt werden.

cc) Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht durch die fristlose Kündigung vom 21.12.2020.

(1) Die Beklagte hat die Kündigung rechtzeitig erklärt.

(a) Die Einhaltung der Antragsfrist nach § 174 Abs. 2 SGB IX hat das Integrationsamt in seinem Bescheid vom 17.12.2020 auf Seite 4 (Bl. 244 d. A.) bejaht. Daran ist das Arbeitsgericht gebunden.

(b) Die Beklagte hat die Kündigung nach § 174 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt mit dem dem Kläger am 22.12.2020 zugegangenen Schreiben vom 21.12.2020 erklärt.

(2) Es besteht aber kein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1.

a) Die Beklagte stützt die fristlose Kündigung vom 21.12.2020 in ihrem Schriftsatz vom 15.01.2021 (Bl. 190 d. A.) einerseits darauf, dass er sich trotz zwischenzeitlich nachgewiesener Türschildmanipulation weiterhin auf den Zugang der Kündigung vom 31.08.2020 erst im September 2020 berufe, was zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um einen Monat mit der Folge entsprechender weiterer Vergütungsansprüche führen würde. Weiterhin stützt die Beklagte die Kündigung in ihrem schriftsätzlichen Vortrag auf den dringenden Verdacht, dass der Kläger seine Lebenspartnerin zu einer falschen eidesstattlichen Versicherung angestiftet habe.

Auf den letztgenannten Kündigungsgrund kann sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil sie den Betriebsrat ausweislich des vorgelegten undatierten Anhörungsschreibens gemäß Anlage B 12 dazu nicht angehört hat (vgl. zu dieser Rechtsfolge BAG 13.05.2004 – 2 AZR 329/03 – Rn. 20 bei juris mwN). Auch dem Integrationsamt hat sie zur Begründung ihrer Kündigung offenbar nur den im vorstehenden Absatz zuerst genannten Kündigungsgrund mitgeteilt. Sie hat zwar im vorliegenden Rechtsstreit ihren Antrag an das Integrationsamt nebst Begründung nicht vorgelegt. Das Integrationsamt hat aber in seinem Bescheid vom 17.12.2020 (Anlage B 13) nur auf die vorstehend angesprochene Kündigungsbegründung Bezug genommen.

b) Die Berufung des Klägers auf den Zugang der Kündigung vom 31.08.2020 erst im September 2020 begründet keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vom 21.12.2020.

aa) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15 mwN).

bb) Die Berufung des Klägers auf den Zugang der Kündigung vom 31.08.2020 erst im September 2020 begründet schon „an sich“ keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Der Kläger trägt vor, dass auch das Unterlassen der Namensschildmanipulation durch seine Lebenspartnerin auf den Ablauf der Kündigungsfrist keine Auswirkung gehabt hätte, weil die Beklagte den Zustellversuch erst nach 12:00 Uhr und damit nach der üblichen Postzustellungszeit unternommen habe, sodass die Kündigung als erst am 01.09.2020 zugegangen zu behandeln gewesen wäre. Das ist die Äußerung einer Rechtsauffassung, die im Rahmen eines Rechtsstreits legitim und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Zugang von Kündigungen (vgl. BAG 22.08.2019 – 2 AZR 111/19) auch zumindest vertretbar ist.

(3) Die Kündigung ist auch nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam, denn die Beklagte hat nicht substantiiert vorgetragen, den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört zu haben. Sie hat lediglich als Anlage B 12 ein undatiertes Schreiben an den Betriebsrat vorgelegt, aber nicht vorgetragen, wann dieses Schreiben dem Betriebsrat zugegangen ist und wann der Betriebsrat mit Verweis auf die Position des Klägers als leitender Angestellter auf eine inhaltliche Stellungnahme verzichtet hat. Die Einhaltung der Äußerungsfrist nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG kann vor diesem Hintergrund nicht festgestellt werden. Ein Anhörungsschreiben an die Schwerbehindertenvertretung hat die Beklagte nicht vorgelegt.

dd) Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht durch die ordentliche Kündigung vom 31.08.2020.

(1) Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam.

(a) § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist auf die Kündigung anzuwenden, denn bei Zugang der Kündigung bestand das Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate (§ 1 Abs. 1 KSchG) und die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG.

(b) Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb entgegenstehen.

(aa) Dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 32 mwN).

Ein kündigungsrechtlich relevanter Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann auch aus einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers folgen, die ökonomisch nicht zwingend geboten war. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur daraufhin, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung faktisch umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer wirklich entfallen ist (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 33 mwN).

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf eine Streichung von Stellen hinaus, die mit einer Umverteilung der den betroffenen Arbeitnehmern bisher zugewiesenen Aufgaben auf andere Arbeitnehmer einhergeht, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 34 mwN).

Entsprechende Grundsätze gelten, wenn der Arbeitgeber bisher durch den Arbeitnehmer verrichtete Tätigkeiten selbst übernimmt. Auch in diesem Fall muss der Arbeitgeber nachvollziehbar darlegen, dass er in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit neben seinen bisherigen Arbeiten weitere Aufgaben erfüllen kann (Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Aufl. 2021, § 1 KSchG Rn. 522).

(bb) Danach ist ein betrieblicher Grund, der eine Beendigungskündigung rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich. Es kann nicht festgestellt werden, dass bei Zugang der Kündigungserklärung die Prognose berechtigt war, spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.04.2021 werde ein Bedarf an einer Beschäftigung des Klägers nicht mehr bestehen.

Die Beklagte hat zwar mit Hinweis auf das Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 03.06.2020 vorgetragen, ihr Personalwesen neu organisiert zu haben, indem die Position des angestellten Personalleiters ersatzlos gestrichen und wie schon vor der Einstellung des Klägers von dem Geschäftsführer P. J. verantwortlich geleitet werde. Sie hat aber nicht dargelegt, dass Herr J. auch alle bisher vom Kläger erledigten Tätigkeiten übernimmt und ihm die Durchführung dieser Tätigkeiten in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit neben seinen bisherigen Tätigkeiten möglich ist. Sie ist dem Vortrag des Klägers, seine arbeitsvertraglichen Aufgaben als Personalleiter seien unmittelbar nach seiner Freistellung im Juli 2020 auf die Mitarbeiterin C. K. und mit der Einstellung des Mitarbeiters J. K. zum 01.10.2020 gemäß dem aktuellen Organigramm der Beklagten (Anlage K 23, Bl. 268 d. A.) auf diesen übergegangen, nicht substantiiert entgegengetreten.

(2) Die Kündigung ist auch nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam, denn die Beklagte hat nicht substantiiert vorgetragen, den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört zu haben. Sie hat dies lediglich pauschal behauptet. Die von ihr auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 15.01.2021 (Bl. 185 d. A.) angesprochene Anlage B 2 enthält nur ihren Antrag an das Integrationsamt.

ee) Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2020.

(1) Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam, weil sie nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt ist. Eine Verdachtskündigung ist stets eine personenbedingte Kündigung (BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 24). Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden, gegenläufigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung gleichwohl der besonderen Legitimation. Die verfassungskonforme Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG ergibt, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (BAG aaO Rn. 26 ff. mwN). Das ist – wie bereits zur fristlosen Kündigung vom 29.09.2020 ausgeführt – nicht der Fall.

(2) Die Kündigung ist auch nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam, denn es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört hat. Die diesbezüglichen Erwägungen zur fristlosen Kündigung vom 29.09.2020 gelten hier entsprechend. Die Anhörungsschreiben der Beklagten beziehen sich sowohl auf die fristlose als auch auf die hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung. Die Äußerungsfrist für den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung beträgt nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG (für die Schwerbehindertenvertretung in analoger Anwendung) für die ordentliche Kündigung eine Woche. Dass diese gewahrt worden ist, kann nach dem Vortrag der Beklagten nicht festgestellt werden.

4. Der zulässige Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet.

(a) Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Ein arbeitgeberseitiger Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 2 Satz 2 KSchG setzt voraus, dass die Kündigung ausschließlich wegen der fehlenden sozialen Rechtfertigung und nicht auch aus anderen Gründen iSd. § 13 Abs. 3 KSchG unwirksam ist (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 – Rn. 35 mwN). Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG bedarf der Antrag keiner Begründung in Bezug auf Geschäftsführer, Betriebsleiter oder ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind.

(b) Danach ist der Auflösungsantrag der Beklagten unbegründet.

(aa) Die streitgegenständlichen Kündigungen sind nicht nur mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam, sondern auch mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung.

(bb) Der Kläger ist auch kein Geschäftsführer, Betriebsleiter oder ähnlicher leitender Angestellter iSd. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Insbesondere ist er nicht zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt. Die Auffassung der Beklagten, sie müsse den Auflösungsantrag nicht näher begründen, ist daher unzutreffend.

5. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist zulässig und begründet.

a) Der Antrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSd. 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er bezieht sich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit des Klägers als Personalleiter.

b) Der Antrag ist auch begründet. Für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses besteht der sogenannte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn wie hier gerichtlich die Unwirksamkeit der Kündigung(en) festgestellt worden ist (BAG 27.02.1985 – GS 1/84). Dem können nur ausnahmsweise im Einzelfall überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen (BAG aaO Rn. 94 bis 98). Solche ausnahmsweise überwiegenden schutzwürdigen Interessen der Beklagten sind nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

6. Der Kläger kann von der Beklagten die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verlangen. Nach § 109 GewO kann der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein (Abschluss-)Zeugnis verlangen. Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses beanspruchen kann, sind gesetzlich nicht geregelt. Soweit tarifliche Regelungen nicht bestehen, kann sich die Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses als vertragliche Nebenpflicht ergeben. Eine solche Verpflichtung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer aus einem triftigen Grund auf ein Zwischenzeugnis angewiesen ist. Das ist unter anderem dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer das Zwischenzeugnis wegen der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Bewerbungszwecken benötigt. Nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Ende der Laufzeit eines befristeten Vertrags kann der Arbeitnehmer grundsätzlich nur ein (Abschluss-)Zeugnis beanspruchen. Streiten die Parteien aber wie im Streitfall gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, besteht ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Der Anspruch hierauf entfällt erst mit rechtskräftigem Abschluss des Beendigungsrechtsstreits (BAG 04.11.2015 – 7 AZR 933/13 – Rn. 39).

7. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung der der Höhe nach unstreitigen Beträge gemäß dem Klageantrag zu 13 für die Monate Oktober 2020 bis Februar 2021 verlangen.

a) In Höhe von 12.000,00 € brutto monatlich abzüglich des an den Kläger für die Monate Januar und Februar 2021 gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von monatlich 2.233,44 € netto folgt der Anspruch aus § 615 Satz 1 iVm. § 611a Abs. 2 BGB. Da sich die Beklagte auf die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29.09.2020 beruft, befindet sie sich seitdem im Verzug mit der Annahme der Dienste des Klägers, denn sie hat seitdem die nach § 296 Satz 1 BGB erforderliche Mitwirkungshandlung, dem Kläger an jedem Tag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm Arbeit zuzuweisen (vgl. BAG 09.08.1984 – 2 AZR 374/83; 11.01.2006 – 5 AZR 98/05 Rn. 11 bei juris mwN), nicht vorgenommen.

b) In Höhe von monatlich 643,67 € hat der Kläger Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für die entgangene private Nutzung des Dienstwagens gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 283 Satz 1 BGB.

Kommt der Arbeitgeber seiner Vertragspflicht, dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienstwagens zu Privatzwecken weiter zu ermöglichen, nicht nach, wird die Leistung wegen Zeitablaufs unmöglich, sodass der Arbeitgeber nach § 275 Abs. 1 BGB von der Leistungspflicht befreit wird. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall nach § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 283 Satz 1 BGB Anspruch auf Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens (BAG 21.03.2012 – 5 AZR 651/10 – Rn. 24 mwN).

Nach § 249 Abs. 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger gemäß § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung richtet sich auf das positive Interesse. Demgemäß ist der Kläger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die Beklagte den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Zur Berechnung ist eine Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit mit monatlich 1 % des Listenpreises des Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung anerkannt (BAG 21.03.2012 – 5 AZR 651/10 – Rn. 26 mwN). Dieser Betrag beläuft sich unstreitig auf 643,67 €.

c) Die ausgeurteilten Zinsansprüche beruhen auf § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. der Regelung im Arbeitsvertrag, wonach das Gehalt am Monatsende zu zahlen ist.

8. Die Stufenklageanträge zu 4 sind – soweit sie zur Endentscheidung reif sind, also in Bezug auf die Auskunftsstufe – nach § 254 ZPO zulässig und begründet.

a) Die Stufenklage ist zulässig. Nach § 254 ZPO kann mit der Klage auf Rechnungslegung eine Zahlungsklage verbunden werden. Der Begriff der Rechnungslegung in § 254 ZPO ist nicht auf die im bürgerlichen Recht ausdrücklich geregelten Rechenschaftspflichten beschränkt. Als Rechnungslegung im Sinne dieser Vorschrift gilt „jede Auskunftserteilung, die auf entsprechender, durch Gesetz oder durch Vertrag begründeter Rechtspflicht beruhend, in verständlicher, der Nachprüfung zugänglicher Kundgebung der Tatsachen … besteht, nach denen sich die Ansprüche … bemessen“ (BAG 21.11.2000 – 9 AZR 665/99 – Rn. 40 bei juris mit Verweis auf RG 09.01.1903 – III 316/02 – RGZ 53, 252, 254). Das Gesetz lässt somit in Abweichung von dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Vorbehalt zu, die Angabe der herauszugebenden Leistung nach Rechnungslegung zu bestimmen. Maßgebend für diesen Vorbehalt ist allein, ob der Kläger ohne Erteilung der geforderten Auskünfte die nähere Bestimmung nicht vornehmen kann (BAG aaO).

Diese Voraussetzung ist erfüllt. Ohne die begehrte Auskunft ist der Kläger nicht in der Lage festzustellen, ob und in welchem Umfang die Beklagte ihm nach Ziffer 4 der Sondervereinbarung Geschäftsleitung vom 12.04.2019 eine Tantieme für das Geschäftsjahr 2019 zahlen muss.

b) Die zur Endentscheidung reifen Auskunftsanträge auf der ersten Stufe der Stufenklage sind begründet. Der Kläger kann nach § 242 BGB die begehrten Auskünfte verlangen.

aa) Außerhalb der gesetzlich oder vertraglich besonders geregelten Rechnungslegung besteht ein Auskunftsrecht dann, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderlichen tatsächlichen Angaben unschwer machen kann (BAG 21.11.2000 – 9 AZR 665/99 – Rn. 42 bei juris mwN).

bb) So ist es im Streitfall. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger die einzelnen für die Berechnung seines Tantiemeanspruchs gemäß Ziffer 4 der Sondervereinbarung Geschäftsleitung maßgeblichen Parameter bekannt sind. Die Beklagte kennt diese und kann daher die für die Berechnung des Tantiemeanspruchs erforderlichen tatsächlichen Angaben unschwer machen.

cc) Die Auskunftsansprüche sind nicht nach § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen. Die Beklagte hat dies nur pauschal behauptet, aber nicht substantiiert vorgetragen.

II.

Die Entscheidung über die Tragung der Kosten des Rechtsstreits bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes für dieses Urteil war gemäß § 61 Abs. 1, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 3 ZPO in Höhe von insgesamt 310.330,00 € festzusetzen. Davon entfallen nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG insgesamt neun Bruttomonatsverdienste des Klägers auf die Bestandsschutzanträge, wobei als Bruttomonatsverdienst neben der monatlichen Festvergütung und dem geldwerten Vorteil für die private Nutzung des Dienstwagens 1/12 einer möglichen Tantieme in Höhe von jährlich 90.000,00 € zu berücksichtigen ist. Je ein Bruttomonatsverdienst entfällt nach § 3 ZPO auf den Weiterbeschäftigungsantrag und auf den Zeugnisantrag. Die bezifferten Zahlungsanträge sind mit ihren Nennwerten zu berücksichtigen. Die Auskunftsanträge sind nach § 3 ZPO mit 50 % der möglichen Tantieme für das Geschäftsjahr 2019 zu berücksichtigen. Die mögliche Tantieme für das Geschäftsjahr 2019 beträgt wegen des unterjährigen Eintritts des Klägers in die Dienste der Beklagten 8/12 von 90.000,00 €, mithin 60.000,00 €.

Für den Fall, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € nicht übersteigt, war die Berufung nach § 64 Abs. 3a ArbGG nicht gesondert zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG vorliegt. Im Übrigen ist die Berufung bereits aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 64 Abs. 2 b und c ArbGG zulässig.

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