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Arbeitsvertragsanfechtung wegen Bestehen einer Schwangerschaft

Das Dilemma der Arbeitsvertragsanfechtung bei Schwangerschaft

Die rechtliche Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezüglich der Wirksamkeit von Kündigungen und Anfechtungen von Arbeitsverträgen ist ein wiederkehrendes Thema im Arbeitsrecht. Besonders heikel wird es, wenn es um den Sonderkündigungsschutz für Schwangere geht. Der vorliegende Fall beleuchtet die rechtlichen Herausforderungen und Konsequenzen, die sich aus einer solchen Situation ergeben können.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ca 1025/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Arbeitsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagtem wurde nicht durch Kündigung vom 28.06.2022 aufgelöst.
  • Arbeitsverhältnis wurde auch nicht durch Anfechtung vom 12.09.2022 beendet.
  • Klägerin wurde während ihrer Schwangerschaft gekündigt.
  • Beklagter argumentierte, Klägerin habe bei Einstellungsgespräch falsche Angaben zur Schwangerschaft gemacht.
  • Frage nach Schwangerschaft bei Einstellung war laut Gericht unzulässig.
  • Klägerin hatte daher Recht, diese Frage falsch zu beantworten.
  • Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung ist unwirksam.

Die Hintergründe des Falles

Sonderkündigungsschutz für Schwangere
(Symbolfoto: PeopleImages.com – Yuri A /Shutterstock.com)

Die Klägerin, eine bulgarische Staatsbürgerin, wurde vom beklagten Unternehmen, das im Bereich der Gebäudereinigung tätig ist, als Reinigungskraft eingestellt. Kurz nach Arbeitsantritt stellte sich heraus, dass die Klägerin schwanger war. Dies führte zu einer sofortigen Kündigung durch den Arbeitgeber, der sich auf falsche Angaben im Vorstellungsgespräch berief. Der Arbeitgeber argumentierte, dass die Klägerin bei der Einstellung bewusst ihre Schwangerschaft verschwiegen habe, obwohl sie wusste, dass sie mit Chemikalien arbeiten müsste, die für Schwangere gefährlich sein könnten.

Die rechtliche Bewertung

Das ArbG Erfurt kam zu dem Schluss, dass die Kündigung des Arbeitgebers unwirksam war. Dies begründete das Gericht mit dem Sonderkündigungsschutz gemäß § 17 Abs. 1 Ziffer 3 MuSchG. Demnach ist eine Kündigung gegenüber einer schwangeren Frau unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Anfechtung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber ebenfalls unwirksam war. Das Gericht stellte klar, dass die Frage nach einer Schwangerschaft im Vorstellungsgespräch unzulässig war und somit die Klägerin berechtigt war, diese Frage falsch zu beantworten. Eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung war daher nicht gerechtfertigt.

Die Tragweite des Urteils

Das Urteil des ArbG Erfurt unterstreicht die Bedeutung des Sonderkündigungsschutzes für Schwangere im Arbeitsrecht. Es betont, dass Arbeitgeber bei der Einstellung keine Fragen zur Schwangerschaft stellen dürfen und dass eine Kündigung aufgrund einer Schwangerschaft unzulässig ist. Das Gericht hat damit ein klares Signal gesendet, dass der Schutz von Schwangeren im Arbeitsverhältnis Vorrang hat und dass Arbeitgeber bei der Einstellung und Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen besondere Sorgfalt walten lassen müssen.

Die Bedeutung für die Praxis

Das Urteil hat weitreichende Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es verdeutlicht, dass der Schutz von Schwangeren im Arbeitsverhältnis ernst genommen werden muss und dass Arbeitgeber bei der Einstellung und Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen besondere Vorsicht walten lassen müssen. Arbeitgeber sollten sich daher stets über die rechtlichen Rahmenbedingungen im Klaren sein und sich im Zweifel rechtlich beraten lassen, um rechtliche Fallstricke zu vermeiden.

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Sonderkündigungsschutz für Schwangere – kurz erklärt


Der Sonderkündigungsschutz für Schwangere beginnt mit dem ersten Tag der Schwangerschaft und besteht während der gesamten Schwangerschaft bis vier Monate nach der Geburt des Kindes nach § 17 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG). Dieser Kündigungsschutz schützt schwangere Arbeitnehmerinnen vor unerlaubten Kündigungen durch den Arbeitgeber. Wenn die Arbeitnehmerin in Elternzeit geht, verlängert sich dieser Kündigungsschutz bis zum Ende der Betreuungszeit. Es gibt eine 3-Wochen-Frist im Zusammenhang mit dem Sonderkündigungsschutz. Wenn diese Frist versäumt wird, gilt die Kündigung als wirksam, selbst wenn sie gegen ein Kündigungsverbot verstoßen hat.



Das vorliegende Urteil

ArbG Erfurt – Az.: 1 Ca 1025/22 – Urteil vom 02.02.2023

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28.06.2022, zugegangen am 28.06.2022, nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Anfechtung vom 12.09.2022 nicht aufgelöst worden ist.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung vom 28.06.2022 und über eine vorsorgliche Anfechtung des Arbeitsvertrages vom 12.09.2022.

Der Beklagte betreibt ein Unternehmen der Gebäudereinigung. Die Klägerin ist Bulgarien. Sie schloss mit dem Beklagten am 22.06.2022 einen Arbeitsvertrag als Reinigungskraft mit einer Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich und einem Stundenlohn von 11,55 EUR brutto.

Am zweiten Tag ihrer Beschäftigung klagte die Klägerin über Rückenschmerzen und begab sich zu ihrer Frauenärztin, Frau Dr. . Diese stellte eine Schwangerschaft in der 14. Schwangerschaftswoche fest und erteilte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 28.06.2022 bis 08.07.2022. Die Klägerin legte dem Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.06.2022 mit sofortiger Wirkung wegen falscher Angaben beim Vorstellungsgespräch. Die Kündigung ging der Klägerin am 28.06.2022 zu.

Am 01.07.2022 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.

Mit Schreiben vom 12.09.2022 erklärte der Beklagte über seinen Prozessbevollmächtigten vorsorglich die Anfechtung des Arbeitsvertrages.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass kein ausreichender Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliege und beruft sich auf den Sonderkündigungsschutz einer Schwangeren.

Die Klägerin stellt folgende Klageanträge:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28.06.2022, zugegangen am 28.06.2022, nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die Anfechtung vom 12.09.2022 nicht beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass die Klägerin im Gespräch zur Einstellung auf die Frage nach einer (erkennbaren) Schwangerschaft unter dem 22.06.2022 angegeben habe, dass sie nicht schwanger, sondern durch die Coronazeit dick geworden sei. Der Beklagte habe im Einstellungsgespräch darauf hingewiesen, dass die Klägerin als Reinigungskraft mit verschiedenen Chemikalien hantieren müsse, was eine Gefahr für eine schwangere Frau darstelle und dies auch deshalb gesetzlich verboten sei.

Der Beklagte schließt aus dem direkten Gang der Klägerin zu ihrer Frauenärztin, dass die Klägerin sehr wohl um ihre Situation gewusst habe und im Vorstellungsgespräch vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe. Es dränge sich der Eindruck auf, dass sie damit zugleich den Zugang zu deutschen Sozialleistungen habe erzwingen wollen.

Der Beklagte sieht durch das Verhalten der Klägerin die Gleichbehandlung seiner Angestellten, gleich ob Mann oder Frau oder Divers, als ausgehebelt an. Durch ihr Verhalten habe die Klägerin bewusst die im Arbeitsvertrag enthaltene Regelung zur Probezeit umgangen. Dem Beklagten sei so die Möglichkeit genommen worden, sich von der Arbeitswilligkeit und Arbeitsfähigkeit der Klägerin im Arbeitsprozess zu überzeugen und gegebenenfalls in der Probezeit vereinfacht kündigen zu können. Damit habe die Klägerin eine Besserstellung gegenüber den anderen Beschäftigten des Beklagten erzwungen. Vorsorglich sei aus diesem Grund der Arbeitsvertrag wegen Arglist der Klägerin angefochten worden.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze der Parteien und die von ihnen vorgelegten Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 28.06.2022 nicht beendet worden.

Die Kündigung ist wegen Verstoßes gegen den Sonderkündigungsschutz des § 17 Abs. 1 Ziffer 3 MuSchG unwirksam. Nach dieser Norm ist die Kündigung gegenüber einer schwangeren Frau unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

Im vorliegenden Fall war dem Beklagten die Schwangerschaft der Klägerin bei Ausspruch der Kündigung bekannt.

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die vorsorglich ausgesprochene Anfechtung mit Schreiben der Beklagtenseite vom 12.09.2022 beendet worden.

Die erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist unwirksam. Die vor der Einstellung an die Klägerin gerichtete Frage nach der Schwangerschaft verstieß gegen § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen. Diese Vorschrift ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Frage nach der Schwangerschaft regelmäßig auch dann unzulässig ist, wenn sich die Bewerberin auf eine Stelle bewirbt, die sie zunächst wegen des Eingreifens gesetzlicher Beschäftigungsverbote nicht antreten kann. Maßgeblich ist, dass die Bewerberin nach Ablauf des Mutterschutzes in der Lage ist, der vertraglich vorgesehenen Tätigkeit nachzugehen. Das in einem unbefristeten Arbeitsvertrag vorausgesetzte langfristige Gleichgewicht ist durch das jedenfalls befristete Beschäftigungsverbot nicht entscheidend gestört. Die erkennbare Zielrichtung der Frage nach der Schwangerschaft besteht dagegen darin, die Bewerberin bei einer Bejahung der Frage schon wegen der Schwangerschaft, folglich wegen des Geschlechts, nicht einzustellen. Eben dies will § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB verhindern (BAG 06.02.2003 – 2 AZR 621/01 – zitiert nach juris).

Auch Probearbeitsverhältnisse sind im Zweifel unbefristete Arbeitsverträge mit vorgeschalteter Probezeit. Lediglich im Falle einer ausdrücklich vereinbarten automatischen Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Ablauf der Probezeit sind stattdessen die Befristungsgrundsätze anwendbar (Erfurter Kommentar / Schlachter, 21. Auflage 2021, § 17 MuSchG Rn. 19 mit weiteren Nachweisen).

Da die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft im vorliegenden Fall somit unzulässig war, war die Klägerin berechtigt, diese Frage falsch zu beantworten. Dies rechtfertigte keine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Danach hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für den Klageantrag zu 1. mit drei Gehältern von jeweils 1.000,00 EUR bewertet und für den Klageantrag zu 2. mit zwei weiteren Gehältern.

 

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