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Behinderter – Nichteinstellung – nachträgliche Ergänzung der Ausschreibung

ArbG Osnabrück, Az.: 4 Ca 395/15 Ö, Urteil vom 10.02.2016

1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 5.157,42 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2015 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 15 % und das beklagte Land zu 85 %.

4. Der Streitwert wird auf 6.029,– Euro festgesetzt.

5. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers wegen Diskriminierung bei der Bewerbung aufgrund einer Behinderung.

Der am 08.04.1969 geborene Kläger ist Volljurist. Er hat die 1. Juristische Staatsprüfung mit sehr gut (14 Punkte) und die 2. Juristische Staatsprüfung mit voll befriedigend (9,64 Punkte) bestanden. Der Kläger ist seit 2010 mit einem GdB 60 schwerbehindert.

In der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 04.07.2015 wurde von der Niedersächsischen Landesschulbehörde für die Regionalabteilung Osnabrück die Stelle einer Volljuristin/eines Volljuristen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,9 Stunden befristet für die Zeit bis 31.07.2018 und einer Eingruppierung nach EG 13 TV-L ausgeschrieben. Im Weiteren wurde in dieser Anzeige auf die ausführliche Ausschreibung im Internet hingewiesen. Diese hat u.a. folgenden Wortlaut:

„Erwartet werden gute Examina, d.h. die 1. und 2. Staatsprüfung sollten mindestens mit „befriedigend“ benotet sein. Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung – insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts – sind erwünscht.

Gesucht wird eine belastbare Persönlichkeit mit Führungs- und Sozialkompetenz, insbesondere Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft, Kommunikationsfähigkeit sowie Konfliktlösungsfähigkeit.

Die Niedersächsische Landesschulbehörde strebt an, Unterrepräsentanzen i.S. des Nds. Gleichberechtigungsgesetzes in allen Bereichen und Positionen abzubauen. Bewerbungen von Männern werden daher besonders begrüßt.

Schwerbehinderte Bewerberinnen/Bewerber werden bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt.“

Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle. Er wurde für den 09.09.2015 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen gem. Schreiben der Nds. Landesschulbehörde vom 25.08.2015 (Bl. 20 Rs.). Neben dem Kläger wurden drei Bewerberinnen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.

Am 02.10.2015 wurde dem Kläger telefonisch mitgeteilt, es sei eine andere Bewerberin für die Besetzung der Stelle ausgewählt worden. Entsprechendes wurde dem Kläger mit Schreiben der Nds. Landesschulbehörde vom 02.10.2015 (Bl. 21 Rs. d.A.) mitgeteilt.

Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 04.10.2015 und 06.10.2015 (Bl. 21+22 d.A.) die Mitteilung des Namens der erfolgreichen Bewerberinnen sowie die wesentlichen Auswahlgesichtspunkte unter Berücksichtigung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung.

Die Nds. Landesschulbehörde teilte dem Kläger unter dem 07.10.2015 (Bl. 22 Rs. d.A.) u.a. folgendes mit:

Behinderter - Nichteinstellung - nachträgliche Ergänzung der Ausschreibung
Symbolfoto: Wavebreak Media Ltd/Bigstock

„Den Namen der ausgewählten Bewerberin kann ich Ihnen aus datenschutz-rechtlichen Gründen im derzeitigen Verfahrensstand nicht mitteilen. Die wesentlichen Auswahlkriterien waren gute Examina, die Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung und die Erkenntnisse, die im Rahmen des strukturierten Auswahlgesprächs gewonnen wurden. Die ausgewählte Bewerberin bleibt zwar hinsichtlich ihrer Examensnoten hinter Ihren Examina zurück (2. Staatsexamen befriedigend). Sie hat aber langjährige, einschlägige Erfahrungen im öffentlichen Dienst, insbesondere auch in einer Leitungsfunktion.

Weiterhin konnte die ausgewählte Bewerberin im Auswahlgespräch – auch im Vergleich zu dem mit Ihnen durchgeführten Auswahlgespräch – außerordentlich überzeugen.

Im direkten Vergleich zwischen Ihnen und der ausgewählten Bewerberin führten somit die einschlägigen Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung und das durchgeführte strukturierte Auswahlgespräch zu der Auswahl der Mitbewerberin.“

Nachdem der Kläger ausweislich seines Schreibens vom 11.10.2015 (Bl. 23 d.A.) diese Begründung als nicht ausreichend ansah, nahm die Nds. Landesschulbehörde mit Schreiben vom 20.10.2015 (Bl. 23 Rs.+24 d.A.) ergänzend Stellung. Auf dieses Schreiben wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Mit seiner am 28.10.2015 bei Gericht eingegangenen Klage, die dem Beklagten am 03.11.2015 zugestellt wurde, verlangt der Kläger Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 6.027,– €. Der Kläger macht geltend, die vorgenommene Auswahlentscheidung verstoße gegen § 7 I AGG, da sie den Kläger aufgrund seiner Behinderung benachteilige. Sie verstoße überdies gegen das Nieders. Gleichberechtigungsgesetz (NGG). Die Auswahlentscheidung sei nicht nach den Grundsätzen von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung getroffen worden. Die ausgewählte Bewerberin bleibe offenkundig hinter der Qualifikation des Klägers zurück. Augenfällig sei, dass nur die Note des 2. Staatsexamens mitgeteilt worden sei, obwohl in der Ausschreibung auf beide Staatsprüfungen Bezug genommen worden sei.

Das Kriterium der Erfahrung in der öffentlichen Verwaltung sei in der Stellenausschreibung nicht als zwingendes Kriterium, sondern lediglich als „erwünscht“ gekennzeichnet worden und könne deshalb erst nachrangig Berücksichtigung finden.

Der Kläger behauptet, er habe ebenfalls Erfahrungen im öffentlichen Dienst, wobei dazu wegen der Einzelheiten auf das Vorbringen des Klägers in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 19.01.2016 Bezug genommen wird.

Bezüglich des Vorstellungsgesprächs behauptet der Kläger, es sei auch nach seiner Befähigung zum Führen eines Dienstkraftfahrzeuges gefragt worden. Nach der Stellenausschreibung sei aber nicht Voraussetzung gewesen, dass der Bewerber im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sei. Durch diese Frage seien die Anforderungen nachträglich zu seinen Lasten als schwerbehinderter Bewerber verschärft worden. Auch die Frage, ob der Kläger zu einer ganztägigen Tätigkeit bereit sei, könne nicht mit der vorgenommenen Ausschreibung in Einklang gebracht werden. Sofern unregelmäßige Arbeitszeiten vorgesehen gewesen sein sollten, hätte darauf in der Ausschreibung hingewiesen werden müssen. Es handele sich um Fragen, die gestellt worden seien, ohne dass deren Zielrichtung eindeutig gewesen sei oder vom Beklagten in der Gesprächssituation erläutert worden sei, warum diese Fragen gestellt worden seien. Damit seien Indizien für eine Diskriminierung gesetzt worden.

Nachdem das beklagte Land im Termin zur Güteverhandlung auf Fragen des Gerichts die Examensnote der eingestellten Bewerberin im 1. Juristischen Staatsexamen mit 6,05 Punkten angegeben hat, macht der Kläger geltend, die erfolgreiche Bewerberin habe die Voraussetzungen der Ausschreibung nicht erfüllt und hätte daher auch nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden dürfen. Nach der Stellenausschreibung seien mindestens befriedigende Examina „erwartet“ worden.

Zur Höhe der von ihm geforderten Entschädigung legt der Kläger 3 halbe Bruttomonatsgehälter nach Entgeltgruppe 13 TV-L Erfahrungsstufe 3 zu jeweils 2.009,– € zugrunde.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger immateriellen Schadensersatz in angemessener Höhe, mindestens von 6.027,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2015 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung besteht der vom Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch nicht, da eine Benachteiligung des Klägers aus Gründen einer Behinderung oder des Geschlechts nicht vorliege. Der Kläger sei aus einem Kreis von insgesamt 23 Bewerbungen mit 3 weiteren Bewerberinnen zu Vorstellungsgesprächen geladen worden. Zwar habe der Kläger die erwünschten Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung nicht erfüllt. Aufgrund seiner hervorragenden Examensergebnisse und (nachrangig) aufgrund seiner Schwerbehinderung sei er jedoch zu den Auswahlgesprächen eingeladen worden.

Das mit dem Kläger geführte Auswahlgespräch sei sachgerecht und in keiner Weise diskriminierend in Bezug auf seine Schwerbehinderung gewesen. Die Tätigkeit eines Juristen/Dezernenten im Fachbereich Service der Nds. Landesschulbehörde sei u.a. dadurch geprägt, dass Prüfungen und Beratungen in Schulen aller Schulformen vor Ort stattfinden würden. An diesen Beratungen nähmen die Dezernentinnen und Dezernenten mit ihren Teams (zugeordnete Sachbearbeiter des ehemals mittleren und gehobenen Dienstes) in Einzelfällen teil. Die zu beratenden Schulen befänden sich verteilt im gesamten Landesschulbehördenbezirk der Regionalabteilung Osnabrück und seien in vielen Fällen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand mit dem öffentlichen Personennahverkehr erreichbar. Allein aus diesem Grund sei der Kläger – wie alle anderen Bewerberinnen auch – nach seiner Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges gefragt worden. Voraussetzung für eine Einstellung sei diese Befähigung oder die entsprechende Bereitschaft jedoch nicht gewesen. Entsprechende Äußerungen seien auch nicht gemacht worden. Eine nachträgliche Verschärfung der Anforderungen zu Lasten des Klägers liege darin nicht. Die Frage habe auch dem Zweck gedient, die örtlichen Zuständigkeiten der im Fachbereich Service tätigen Dezernentinnen und Dezernenten abzustimmen.

Die Frage, ob im Einzelfall auch eine ganztägige Tätigkeit möglich sei, sei bei der großen Ausdehnung des Bezirks der Regionalabteilung Osnabrück nachvollziehbar. Voraussetzung für eine Einstellung sei eine entsprechende Bereitschaft aber ebenfalls nicht gewesen.

Die Auswahlentscheidung sei auch unter Beachtung des Gebotes von Leistung, Eignung und Befähigung vorgenommen worden. Es seien keine Prädikatsexamina als Voraussetzung für eine Einstellung gefordert worden. Der Hinweis darauf, dass mindestens befriedigende Examina erwartet würden, berücksichtige den Leistungsaspekt, wobei aufgrund der wahrzunehmenden verwaltungspraktischen Tätigkeiten dem Ergebnis des 2. Juristischen Staatsexamens eine größere Bedeutung zukomme. Aufgrund der besonderen Herausforderungen, Führungsaufgaben wahrzunehmen, sei es jedoch kein zwingendes, konstitutives Auswahlkriterium.

Der Kläger weise keine Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung auf, die nach der Ausschreibung erwünscht seien. Die ausgewählte Bewerberin habe als einzige aller 23 Bewerberinnen und Bewerber über mehrjährige Erfahrungen als Dezernentin im höheren Verwaltungsdienst, hier im höheren kirchlichen Verwaltungsdienst der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, verfügt. Nach dem vom Landeskirchenamt Dresden erteilten Zeugnis (Bl. 50+51 d.A.) habe die ausgewählte Bewerberin auf diesem Dienstposten ganz überwiegend und sehr erfolgreich Aufgaben wahrgenommen, die in großen Teilen auch auf dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz im Fachbereich Service der Nds. Landesschulbehörde wahrzunehmen seien. Die ausgewählte Bewerberin habe als stellvertretende Dienststellenleiterin der Kirchenamtsratsstelle Chemnitz in der Zeit von April 2004 bis September 2008 auch Leitungsfunktionen mit Personalverantwortung wahrgenommen. Die ausgewählte Bewerberin habe mit Ausnahme der Ergebnisse im 1. Juristischen Staatsexamen die Anforderungen der Ausschreibung zum Teil in ganz hervorragender Weise und in Bezug auf die Erfahrungen in der Verwaltungspraxis deutlich besser als die weiteren 22 Bewerber erfüllt. Der Nachteil bei den Examensergebnissen werde wegen der besonderen Anforderungen des zu besetzenden Arbeitsplatzes dadurch ausgeglichen. Die ausgewählte Bewerberin sei insoweit zu Recht zum strukturierten Vorstellungsgespräch geladen worden.

Der Beklagte nimmt im Übrigen Bezug auf einen von ihm als Anlage 2 vorgelegten Auswahlvermerk über die hier vorgenommene Stellenbesetzung (Bl. 52-55 d.A.).

Hilfsweise bestreitet der Beklagte die Höhe des vom Kläger gemachten Entschädigungsanspruchs, da insoweit die Erfahrungsstufe 1 zugrunde zu legen wäre.

Es sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Schwerbehindertenvertretung beteiligt worden sei und der Beklagte auch die bestehende Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen mit einer Quote von durchschnittlich 8 % in den letzten Jahren erfülle. Es bedürfe insoweit keiner besonderen Maßnahme zur Abschreckung oder zur Sanktion des Beklagten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

Der Kläger hat Anspruch gegen das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 5.157,42 € gem. § 15 II AGG.

1.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. § 15 II AGG enthält nur eine Rechtsfolgenregelung, für die Anspruchsvoraussetzungen ist auf § 15 I AGG zurückzugreifen (BAG v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11 – NZA 2013 498 ff. unter Rdnr. 30).

2.

Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger gilt als Bewerber gem. § 6 I S. 2 AGG als Beschäftigter. Das beklagte Land ist Arbeitgeberin i.S.v. § 6 II AGG. Denn Arbeitgeber eines Bewerbers ist der, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis gebeten hat (BAG aaO. unter Rdnr. 26).

3.

Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht. Gem. § 15 IV AGG muss ein Anspruch aus § 15 II AGG innerhalb einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden, wobei im Falle einer Bewerbung die Frist mit dem Zugang der Ablehnung beginnt (§ 15 IV S. 2 AGG). Ferner muss gem. § 61 b I ArbGG eine Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb von 3 Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden.

Vorliegend hat die Landesschulbehörde dem Kläger mit Schreiben vom 02.10.2015 seine Nichtberücksichtigung bei der Stellenbesetzung mitgeteilt. Die am 28.10.2015 bei Gericht eingegangene und dem Beklagten am 03.11.2015 zugestellte Klage wahrt die Fristen für die schriftliche bzw. gerichtliche Geltendmachung.

4.

Im Streitfall liegen Indizien vor, die eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen dessen Schwerbehinderung vermuten lassen (§§ 1, 3 I, 7 I, 22 AGG). Gem. § 3 I S. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also u.a. wegen einer Behinderung, eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

a.

Der Kläger hat vorliegend eine weniger günstige Behandlung erfahren, weil er bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt worden ist. Denn auch die Nichteinstellung kann eine Benachteiligung i.S.v. § 3 I im Sinne einer weniger günstigen Behandlung darstellen (Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 4. Aufl., § 3 Rdnr. 8).

b.

Der Kläger hat sich in einer vergleichbaren Situation befunden, was sich schon daraus ergibt, dass er zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Der Kläger besaß eindeutig die objektive Eignung für die ausgeschriebene Stelle.

c.

Es liegen nach Auffassung der Kammer auch Indizien für die Vermutung vor, dass der Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt worden ist. Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat (BAG v. 17.08.2010 – 9 AZR 839/08 – NZA 2011, 153 ff. unter Rdnr. 31).

Nach der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregel muss grundsätzlich derjenige, der einen Anspruch geltend macht, die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen. Dazu gehört auch die Kausalität zwischen Nachteil und Behinderung. Der Beschäftigte genügt gem. § 22 AGG seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht nach allgemeiner Lebenserfahrung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen der Behinderung erfolgte. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Seite die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (so BAG v. 17.08.2010 – aaO. unter Rdnr. 32). In § 22 AGG ist mithin hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Das ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität erfordern, die aber die Annahme rechtfertigen, dass Kausalität gegeben ist. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG v. 24.01.2013 – aaO. unter Rdnr. 39).

aa.

Nach diesen Grundsätzen ist nach Auffassung der Kammer eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung zu vermuten. Dafür spricht als Anhaltspunkt zunächst die im Auswahlgespräch gestellte Frage nach der Bereitschaft und/oder Befähigung zum Führen eines Dienst-Kfz. Ausgehend von der Stellenausschreibung (Bl. 5 Rs. d.A.) gehörte dieser Punkt nicht zum Anforderungsprofil. Die Stellenausschreibung enthält darüber keine Aussage; sie hat die Bereitschaft und/oder Fähigkeit zum Führen eines Dienst-Kfz also nicht zum Bewerbungskriterium gemacht. Für das Auswahlverfahren bleibt aber die Ausschreibung verbindlich. Eine nachträgliche Ergänzung oder Verschärfung sind ebenso unzulässig wie der spätere Verzicht auf einzelne Merkmale (BAG v. 07.04.2011 – 8 AZR 679/09 – NZA-RR 2011, 494 ff. unter Rdnr. 44).

Im Bereich des öffentlichen Dienstes sind die in Artikel 33 Abs. 2 GG genannten Gesichtspunkte der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung, die allein maßgeblichen Kriterien für die Bewerberauswahl; andere Kriterien sind nicht zulässig. Über die Einrichtung und nähere Ausgestaltung von Dienstposten entscheidet grundsätzlich der Dienstherr nach seinen organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Es obliegt daher auch seinem organisatorischen Ermessen, wie er einen Dienstposten zuschneiden will und welche Anforderungen demgemäß der Bewerberauswahl zugrunde zu legen sind. Erst aus diesem Zuschnitt des zu vergebenden Amtes oder Dienstpostens werden daher die Anforderungen bestimmt, an denen konkurrierende Bewerber zu messen sind. Mit der Bestimmung eines Anforderungsprofils für die zu vergebende Stelle legt der Dienstherr gleichzeitig die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest, an ihm werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber gemessen. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, für die zu besetzende Stelle ein Anforderungsprofil festzulegen und nachvollziehbar zu dokumentieren, da nur so eine Auswahlentscheidung nach den Kriterien des Artikel 33 Abs. 2 GG gerichtlich überprüft werden kann (BAG v. 07.04.2011 aaO. unter Rdnr. 41 ff.). Abgesehen davon, dass die Bereitschaft und/oder Befähigung der einzustellenden Person zum Führen von Dienst-Kfz nicht zum Anforderungsprofil der hier ausgeschriebenen Stelle gehörte, gab es für diese Frage auch deshalb keinen Anlass, weil bei auswärtigen Terminen an Schulen der Dezernent die Dienstreise nicht alleine antritt, sondern mit seinem Team. Gründe dafür, warum gerade ein Dezernent die Person sein muss, die dann das Dienst-Kfz lenkt, sind bei dieser Sachlage nicht ersichtlich, da andere Team-Mitglieder das Dienst-Kfz führen können.

Dass gerade der Kläger, dessen Behinderung auf einen Schlaganfall zurückzuführen ist, diese Frage als benachteiligend ansehen konnte und durfte, liegt für die Kammer auf der Hand. Aber auch bei objektiver Betrachtung begründet diese in der Sache nicht erforderliche Frage ein Indiz für eine Benachteiligung wegen einer Behinderung. Der Umstand, dass nach dem Vorbringen des Beklagten an alle Bewerber diese Frage gestellt wurde, ändert daran nichts.

bb.

Ein weiteres Indiz für eine Benachteiligung stellt es nach Auffassung der Kammer dar, dass im Rahmen des Auswahlverfahrens das Anforderungsprofil aus der Stellenausschreibung nicht beachtet wurde. Nach der Stellenausschreibung wurden nämlich gute Examina erwartet, was im weiteren Text dahingehend konkretisiert wurde, dass die 1. und 2. Staatsprüfung mit mindestens „befriedigend“ benotet sein sollten. Diese Anforderung einer bestimmten „guten“ Abschlussnote trägt dem Gesichtspunkt der Bestenauslese hinsichtlich Leistung und Befähigung in besonderer Weise Rechnung. Das beklagte Land hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es für die zu besetzende Stelle von vornherein nur solche Bewerber in den Blick nehmen will, die aufgrund ihrer Examensergebnisse in besonderem Maße befähigt erscheinen. Eine Differenzierung oder Abstufung zwischen dem 1. und 2. Juristischen Staatsexamen im Hinblick darauf, dass dem Ergebnis im 2. Staatsexamen eine stärkere Bedeutung zukommen soll, ergibt sich aus dem Anforderungsprofil der Stellenausschreibung insoweit nicht. Eine Abwertung des Begriffs „gute Examina“ ist auch nicht durch den Begriff „mindestens mit befriedigend benotet“ im Zusammenhang mit dem Wort „sollten“ erfolgt. Ein mit „ausreichend“ benotetes Juristisches Staatsexamen stellt kein „gutes“ Examen dar, zumal gleich 2 Noten (voll befriedigend und befriedigend) dazwischen liegen.

Im Hinblick auf die zum Auswahlgespräch eingeladenen Bewerber wird deutlich, dass das beklagte Land sich nicht an die Stellenausschreibung und das dortige Anforderungsprofil gehalten hat, weil es auch Bewerberinnen eingeladen hat, die nicht über 2 gute Examina i.S.d. Anforderungsprofils (mindestens befriedigend) verfügten.

cc.

Schließlich stellt auch das Verhalten des beklagten Landes im Rahmen der Beantwortung der Fragen des Klägers nach Mitteilung dessen Nichtberücksichtigung eine Benachteiligung i.S.d. § 1 AGG dar. Die Nichtbeantwortung einer Stellenbewerbung kann in Verbindung mit anderen Indizien eine Indiztatsache für eine Diskriminierung i.S.d. § 1 AGG darstellen (LAG Schleswig-Holstein v. 13.11.2012 – 2 Sa 217/12 – juris unter Rdnr. 64). Dies gilt nach Auffassung der Kammer in gleicher Weise, wenn Fragen eines abgelehnten Bewerbers jedenfalls nicht vollständig beantwortet werden. Dies ist hier der Fall, weil die Nds. Landesschulbehörde mit Schreiben vom 07.10.2015 hinsichtlich der ausgewählten Bewerberin lediglich deren Examensnote im 2. Staatsexamen mitgeteilt hatte, allerdings verschwiegen hatte, dass die ausgewählte Bewerberin im 1. Juristischen Staatsexamen mit ausreichend benotet worden war.

d.

Da nach alledem bei einer Gesamtbetrachtung nach Auffassung der Kammer hinreichend Indizien vorliegen, die eine Benachteiligung des Klägers aufgrund seiner Behinderung vermuten lassen, trägt das beklagte Land gem. § 22 AGG die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Der Arbeitgeber muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht – auch – auf der Schwerbehinderung beruht. Damit muss er Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren, als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten, und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war (BAG v. 17.08.2010 aaO. unter Rdnr. 45).

Nach Auffassung der Kammer hat das beklagte Land im Streitfall die Vermutung der Benachteiligung des Klägers nicht widerlegt. Der Schriftsatz des beklagten Landes vom 15.12.2015 enthält außer der Vorlage des Arbeitszeugnisses der ausgewählten Bewerberin keinen Beweisantritt. Die Bezugnahme auf den Auswahlvermerk der Beklagten vom 09.09.2015 ersetzt insoweit weder einen konkreten Sachvortrag noch handelt es sich dabei um einen Beweisantritt im Sinne der Zivilprozessordnung.

5.

Die Klage ist der Höhe nach allerdings nur mit einem Betrag von 5.157,42 € begründet, nämlich in Höhe von 3 halben Monatsgehältern der Entgeltgruppe 13 Erfahrungsstufe 1 TV-L. Da es sich bei der zu besetzenden Stelle um eine halbe Stelle gehandelt hat, beläuft sich auch der Entschädigungsanspruch gem. § 15 II S. 2 AGG auf 3 halbe Monatsgehälter. Für eine Einstufung in die Erfahrungsstufe 3 hat der Kläger keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen. Vielmehr werden gem. § 16 II S. 1 TV-L bei der Einstellung die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Eine einschlägige Berufserfahrung auf dem hier ausgeschriebenen Posten weist der Kläger nicht auf.

Die Monatsvergütung nach Entgeltgruppe 13 Erfahrungsstufe 1 beläuft sich auf 3.438,28 € brutto, so dass 3 halbe Monatseinkommen ausgehend davon die zuerkannte Forderung i.H.v. 5.157,42 € ergeben.

6.

Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 286, 288, 247 BGB, wobei auf „Prozentpunkte über dem Basiszinssatz zu erkennen war.

II.

Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 I S. 1 ZPO.

Der Streitwert ist gem. § 61 I ArbGG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt worden.

Gründe i.S.v. § 64 III ArbGG, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Unabhängig davon kann gem. § 64 II b ArbGG Berufung eingelegt werden.

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