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Dringendes betriebliches Erfordernis zur Arbeitnehmerkündigung

ArbG Bonn – Az.: 5 Ca 2292/15 – Urteil vom 06.04.2016

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 25.09.2015 nicht aufgelöst werden wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 10.800 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der am … 1957 geborene, verheiratete, mit einem GdB von 10 behinderte Kläger ist einem – nicht auf seiner Lohnsteuerkarte vermerkten – volljährigen Sohn, der sich in der Berufsausbildung befindet, gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 01.12.1988 ist der Kläger bei der Beklagten, einem Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, bzw. deren Rechtsvorgängerinnen auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 18.11.1988 am Standort C. beschäftigt und zwar, nachdem er als Produktionshelfer angefangen hatte, zuletzt in der Abteilung Presswerk als Pressenfahrer. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die „für den Betrieb geltenden Tarifverträge [ … ] in ihrer jeweils geltenden Fassung“ Anwendung. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt des Klägers, der in die Entgeltgruppe 9 eingruppiert ist, beträgt zuletzt etwa 3.600 EUR.

§ 20 Ziff. 4 des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Einheitlichen Manteltarifvertrags in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (im Folgenden: EMTV) lautet wie folgt:

„Beschäftigten, die das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb / Unternehmen zehn Jahre angehören, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Dies gilt auch bei Änderungskündigungen im Einzelfall zum Zwecke der Entgeltminderung; nicht jedoch

  • bei allen sonstigen Änderungskündigungen oder
  • bei Betriebsänderungen, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist, oder
  • bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien.“

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit. Es besteht ein Betriebsrat. Unter dem 20.07.2015 leitete die Beklagte diesem gegenüber ein Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG ein und forderte ihn zur abschließenden Stellungnahme bis zum 03.08.2015 auf.

Am 09.09.2015 schlossen die Betriebsparteien einen Interessenausgleich (Anlage B3, Bl. 175 ff. GA), auf den Bezug genommen wird sowie einen Sozialplan, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, Anlage B4, Bl. 190 ff. GA.

Mit Schreiben vom 17.09.2015, auf das Bezug genommen wird, Anlage B9, Bl. 230 ff. GA, hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses an.

Am 24.09.2015 erstattete die Beklagte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit eine schriftliche Massenentlassungsanzeige und Mitteilung über die Absicht, nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtige personelle Einzelmaßnahmen vorzunehmen. Zugleich übermittelte die Beklagte eine Kopie des Interessenausgleichs und des Sozialplans als Stellungnahme des Betriebsrats. Eine Kopie der Massenentlassungsanzeige leitete sie dem Betriebsrat zu. Mit Bescheid vom 01.10.2015 verhängte die Bundesagentur für Arbeit die Regelsperrfirst nach § 18 KSchG.

Mit Schreiben vom 25.09.2015, das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „außerordentlich betriebsbedingt unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30.04.2016, hilfsweise ordentlich betriebsbedingt zum 30.04.2016, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin“, nachdem sie eine Sozialauswahl vorgenommen hatte, in die sie nur Mitarbeiter der gleichen Hierarchieebene und Vergütungsgruppe einbezog. Der Kläger wurde in die Gruppe der Pressenfahrer 43+90 MN am Standort C. einbezogen.

Mit seiner am 02.10.2015 bei Gericht eingegangenen Klage, die der Beklagten am 07.10.2015 zugestellt worden ist, wendet sich der Kläger gegen die Kündigung vom 25.09.2015.

Im Jahr 2016 stellte die Beklagte beim Betriebsrat den Antrag auf Genehmigung von Überstunden. Im Betrieb C. der Beklagten besteht eine Stelle als Pförtner (Entgeltgruppe 4), die nicht mit einer konkreten Person besetzt ist.

Der Kläger behauptet, die Beklagte beabsichtige, die Stelle als Pförtner wieder zu besetzen; er selbst sei ziemlich universell einsetzbar und könne die Arbeitsplätze der Tätigkeitsbereiche Reckbank, Säge, Schloss etc. mit kurzer oder sogar ganz ohne Anlernphase sofort besetzen; dort seien weniger schutzbedürftige Arbeitnehmer beschäftigt; auch seine Kollegen L. und H.. seien weniger schutzbedürftig als er. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Vergleichsgruppe der Sozialauswahl sei nicht zutreffend gebildet worden; eine Beschränkung auf die Pressefahrer der Pressen 43 und 90 MN sei zu eng; überdies sei eine Vergleichbarkeit auch mit Arbeitnehmern der Entgeltgruppe 8 gegeben.

Der Kläger beantragt – nach Rücknahme eines zunächst angekündigten allgemeinen Feststellungsantrags – nunmehr, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.09.2015 nicht aufgelöst werden wird.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Auftragslage in ihrem Geschäftssegment sei rückläufig; die Nachfrage ihr gegenüber sei zurückgegangen und damit auch die Auslastung; sie weise am Standort C. negative Zahlen auf; der Betrieb erwirtschafte einen um nicht wiederkehrende Effekte bereinigten EBIT (normalisiert) in Höhe von minus 6,9 Millionen EUR; der Absatzrückgang könne auch nicht durch andere Aufträge kompensiert werden; das abgesetzte Volumen sei über den Zeitraum von 2010 bis 2014 kontinuierlich gesunken; der Rückgang habe zum Stand Ende 2014 bereits bei 23 Prozent gelegen; eine Trendumkehr sei nicht abzusehen; die Kapazität des Betriebs sei daher mittlerweile auf ein höheres Volumen ausgelegt, als am Markt nachgefragt; sie habe sich daher entschlossen, ihre Planung an die verringerte Auftragslage anzupassen; daher habe ihre Geschäftsführung Ende April 2015 durch Beschluss entschieden, den Betrieb am Standort C. zu restrukturieren; die rückläufige Auftragslage habe sich insbesondere in der Abteilung Presswerk bemerkbar gemacht; im Vergleich zum Kalenderjahr 2013 mit einem Auftragsvolumen (Packmenge) von etwa 13.200 t sei für das gesamte Kalenderjahr 2015 hochgerechnet vom Kündigungszeitpunkt nur noch mit einem Auftragsvolumen von 10.200 t zu kalkulieren gewesen; an der Presse 90 MN sei mit einem hochgerechneten Auftragsvolumen von etwa 6.100 t für 2015 gegenüber 9.000 t im Jahr 2013 zu kalkulieren und gleichzeitig eine Produktivitätssteigerung von 13 Prozent festzustellen gewesen; an der Presse 43 MN seien für 2015 hochgerechnet 4.800 t gegenüber 4.400 t für 2013 zu kalkulieren, allerdings sei die erhöhte Menge vorrangig auf ein im Kalenderjahr 2015 neu angelaufenes einfaches Produkt zurückzuführen, das an der Presse kein Richten erfordere und dort sogleich verpackt werde; trotz der höheren Pressmenge sei daher der Aufwand zurückgegangen; die Geschäftsführung habe beschlossen, die Produktpalette signifikant zu verändern; im Vordergrund stehe die Ersetzung komplexer Schienenprofile durch Standardprofile mit höherer Produktivität an Presse und Nachfolge; die Geschäftsführung habe ferner entschieden, dass innerhalb der gesamten Abteilung Presswerk ein Personalabbau zur Anpassung der Personalstärke an den reduzierten Arbeitsaufwand stattfinden solle; so sei die Anzahl der Schichten von vier auf drei reduziert worden; dadurch entfalle proportional die Stelle eines Pressefahrers; bereits aktuell seien einzelne Pressefahrer durch den Schichtrückgang nicht mehr in ihrer Kerntätigkeit beschäftigt worden; durch die Umsetzung der in dem Interessenausgleich niedergelegten Maßnahme sei die Stelle des Klägers bereits mit Wirkung zum 30.09.2015 entfallen; eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem anderen vergleichbaren und zumutbaren Arbeitsplatz sei nicht in Betracht gekommen, da keine entsprechenden freien Arbeitsplätze vorhanden gewesen seien oder werden; soweit tatsächlich Mehrarbeit geleistet worden sei, habe dies auf einer unvorhersehbaren Entwicklung des Krankenstandes der Mitarbeiter im Presswerk beruht, der überdurchschnittlich hoch gewesen sei; die Aufgaben des Pförtners würden derzeit von drei Arbeitnehmern wahrgenommen; diese Stelle sei zudem „nicht im eigentlichen Sinne frei [ … ], sondern nur aus betriebsorganisatorischen Gründen derzeit nicht mit einer konkreten Einzelperson besetzt“; würde sie diese Stelle besetzen müssen, wäre der Kläger nicht derjenige, der sie bekäme.

Die Beklagte ist der Ansicht, der tarifliche Sonderkündigungsschutz greife nicht ein. Hierzu behauptet sie, die streitgegenständliche Kündigung sei im Rahmen einer Betriebsänderung ausgesprochen worden; ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz bestehe nicht. Sie vertritt die Auffassung, den Arbeitsplatz als Pförtner habe sie dem Kläger nicht anbieten müssen, denn ein entsprechendes Angebot hätte beleidigenden Charakter gehabt; der Kläger habe auch nicht ernsthaft Interesse, in der Funktion eines Pförtners beschäftigt zu werden, da er sich erst im Verlauf des vorliegenden Rechtsstreits auf diese Stelle berufe.

Der Kläger entgegnet, die Beklagte kalkuliere zu pessimistisch; in den letzten Wochen und Monaten seien wesentliche neue Aufträge und Kunden akquiriert worden; die Mitarbeiter hätten alle Hände voll zu tun und die Auslastung des Betriebs gerate an ihre Grenzen; die Reduzierung der Schichten von vier auf drei sei personalmäßig bereits in der Vergangenheit durch den Abbau von zehn Mitarbeitern erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird weder durch die unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sieben Monaten zum Monatsende, mithin zum 30.04.2016, ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten noch durch die unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist des § 20 Nr. 3 ERTV, die der gesetzlichen Kündigungsfrist entspricht, ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.09.2015 zum 30.04.2016 oder zu einem anderen Termin beendet.

Weder bestand ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, der die Beklagte zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigt hätte, noch ist die Kündigung der Beklagten vom 25.09.2015 sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG.

I. Bereits die ordentliche Kündigung erweist sich als rechtsunwirksam. Die allgemeinen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes sind hier erfüllt: Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten hat ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). Im Betrieb der Beklagten sind auch regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt. Die Kündigung wurde vom Kläger auch innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang gerichtlich angegriffen, § 4 Satz 1 KSchG. Die streitbefangene Kündigung war daher – ausgehend von der Annahme, der Kläger genieße keinen besonderen Kündigungsschutz – jedenfalls an den Wirksamkeitsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes zu messen. Dieser Überprüfung hat sie nicht standgehalten.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 25.09.2015 ist nicht sozial gerechtfertigt. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

2. Solche Gründe sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insbesondere ist die Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in seinem Beschäftigungsbetrieb entgegenstehen.

Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung liegt nur vor, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der bei Ausspruch der Kündigung bestehenden betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der „Dringlichkeit“ der betrieblichen Erfordernisse konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit („ultima-ratio-Prinzip“), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten muss (vgl. grundlegend BAG, Urteil vom 21. April 2005 – 2 AZR 244/04 -, Rn. 15, juris; zuletzt BAG, Urteil vom 29. August 2013 – 2 AZR 808/12 -, Rn. 21, juris).

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hätte die Beklagte – zu ihren Gunsten unterstellt, die übrigen Voraussetzungen für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung lägen vor – gegenüber dem Kläger statt der streitgegenständlichen Beendigungskündigung eine Änderungskündigung aussprechen und ihm die freie Stelle als Pförtner anbieten müssen.

a. Ausgehend von dem Sachvortrag der Parteien hatte die Kammer davon auszugehen, dass bei der Beklagten in deren Betrieb in C. tatsächlich eine Stelle als Pförtner frei ist. Der entsprechende Tatsachenvortrag des Klägers gilt gem. § 138 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Soweit die Beklagte vorträgt, die mit dieser Stelle einhergehenden Aufgaben würden derzeit von drei Beschäftigten wahrgenommen, die allesamt in die Entgeltgruppe 4 eingruppiert sind, lässt sich hieraus nicht entnehmen, dass die Pförtnerstelle tatsächlich anderweitig besetzt ist. Vielmehr deutet die Verteilung der Aufgaben einer Pförtnerstelle auf drei Arbeitnehmer darauf hin, dass die Stelle vakant ist und die anfallenden Aufgaben vertretungsweise auf drei Arbeitnehmer verteilt werden. Jedenfalls hätte es der für das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten oblegen, klarzustellen, weshalb genau sie der Auffassung ist, die Stelle sei nicht frei. Ihre Ausführung, die Stelle sei „nicht im eigentlichen Sinne frei“, sondern „nur aus betriebsorganisatorischen Gründen derzeit nicht mit einer konkreten Einzelperson besetzt“, vermochte die Kammer nicht als ausreichendes Bestreiten der klägerischen Behauptung, die Stelle sei frei, zu erkennen.

b. Das Angebot der Pförtnerstelle konnte im vorliegenden Fall, ausgehend von den vom Bundesarbeitsgericht für derartige Fallgestaltungen entwickelten Grundsätzen, denen sich die erkennende Kammer in der Sache wie auch aus Gründen der Rechtssicherheit anschließt, nicht unterbleiben. Nach diesen Grundsätzen (vgl. BAG, BAG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 AZR 879/07 -, Rn. 31, juris; BAG, Urteil vom 21. April 2005 – 2 AZR 244/04 -, Rn. 19) kann der Arbeitgeber nur dann davon absehen, dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen anzubieten, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des neuen Vertragsangebots durch den Arbeitnehmer rechnen konnte und ein derartiges Angebot im Gegenteil eher beleidigenden Charakter gehabt hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nur um Extremfälle handeln kann. Das Bundesarbeitsgericht benennt als Beispiel das Angebot einer Pförtnerstelle an den bisherigen Personalchef (vgl. BAG, Urteil vom 21. April 2005 – 2 AZR 244/04 -, Rn. 19, juris).

Ein solcher Extremfall oder ein vergleichbar extremer Fall liegt – entgegen der Auffassung der Beklagten – hier nicht vor. Das Angebot einer Pförtnerstelle hätte gegenüber dem Kläger keinen beleidigenden Charakter gehabt. Der Kläger, der bei der Beklagten als Produktionshelfer angefangen hat, ist nach wie vor als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Vor diesem Hintergrund mag das Angebot einer um fünf Entgeltgruppen niedriger bewerteten Tätigkeit eines Pförtners für den Kläger zunächst nicht besonders attraktiv sein. Gleichwohl hat es keinen beleidigenden Charakter, einem gewerblichen Arbeitnehmer eine Pförtnerstelle anzubieten statt eine Beendigungskündigung auszusprechen.

Die auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat auch keine sonstigen konkreten Umstände dargelegt, die bei vernünftiger Betrachtung hätten erwarten lassen können, dass sie nicht mit einer Annahme eines neuen Vertragsangebots als Pförtner durch den Kläger rechnen konnte. Insbesondere hätte dem Kläger durchaus die Möglichkeit offen gestanden, ein solches Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung (§ 2 Satz 1 KSchG) anzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, der Kläger habe nicht ernsthaft Interesse, in der Funktion eines Pförtners beschäftigt zu werden, da er sich erst im Verlauf des vorliegenden Rechtsstreits auf diese Stelle beruft, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Ob der Kläger ernsthaftes Interesse an der Stelle gehabt hat, hätte die Beklagte erfahren, wenn sie statt einer Beendigungskündigung eine entsprechende Änderungskündigung ausgesprochen hätte. Maßgeblich ist im Übrigen allein, ob der Kläger bereit gewesen wäre, ein entsprechendes Änderungsangebot der Beklagten anzunehmen – und sei es unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung.

Sofern die Beklagte schließlich ausführt, dass wenn sie die Stelle würde besetzen müssen, nicht der Kläger derjenige sein würde, der sie bekäme, fehlt es hierzu an näheren Darlegungen. Für die Kammer war nicht erkennbar, weshalb die Beklagte die Stelle vorrangig einem anderen Arbeitnehmer hätte anbieten müssen. Es kann daher dahinstehen, ob in einem solchen Fall der sofortige Ausspruch einer Beendigungskündigung gegenüber dem Kläger zulässig gewesen wäre oder ob die Beklagte zunächst die Reaktion des Arbeitnehmers hätte abwarten müssen, dem sie die Stelle vorrangig angeboten hätte.

II. Die Kündigung vom 25.09.2015 stellt sich auch nicht als rechtswirksame außerordentliche Beendigungskündigung dar.

Es fehlt an einem zum Ausspruch einer außerordentlichen Beendigungskündigung erforderlichen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB.

Gemäß § 20 Nr. 4 EMTV kann Beschäftigten, die das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb / Unternehmen zehn Jahre angehören, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Ob dieser Sonderkündigungsschutz im Streitfall gemäß § 20 Nr. 4 Satz 2, 2. Spiegelstrich EMTV ausgeschlossen ist, kann dahinstehen.

1. Bestünde der Sonderkündigungsschutz, wäre die Kündigung rechtsunwirksam, weil ein zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB im Streitfall nicht vorliegt. Denn es liegen – wie unter I. ausgeführt – bereits keine dringenden betrieblichen Gründe vor, die die Beklagte zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung hätten berechtigen können. Erst Recht fehlt es daher am Vorliegen eines wichtigen Grundes zum Ausspruch einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2. Bestünde der Sonderkündigungsschutz nicht, wäre die außerordentliche Kündigung unwirksam, weil die Beklagte vorrangig den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung als milderes Mittel hätte in Betracht ziehen müssen. Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung wäre daher von vornherein unverhältnismäßig. Dies gilt umso mehr als bereits die – weniger strengen bzw. jedenfalls nicht strengeren – Voraussetzungen für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung hier nicht erfüllt sind.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Der vom Kläger zurückgenommene allgemeine Feststellungsantrag ist dabei außer Betracht geblieben, da ihm ein eigener Streitwert nicht zukommt. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Sie orientiert sich der Höhe nach an der in § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertentscheidung.

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