Skip to content

Haftungsausschluss bei Infektion mit Covid-19-Virus am Arbeitsplatz

Kein Arbeitgeber-Haftung für Covid-19-Infektion am Arbeitsplatz

Das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts (Az.: 1 Sa 91/23) bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz, wonach der Beklagte nicht für den Tod einer Arbeitnehmerin durch Covid-19 am Arbeitsplatz haftet. Das Gericht sieht keinen Nachweis für eine vorsätzliche Verletzung von Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber, die zu der Infektion geführt haben könnte.

Zudem greift das sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivileg nach § 104 SGB VII, das den Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten von der Haftung freistellt, sofern kein vorsätzliches Handeln vorliegt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Sa 91/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  • Das Gericht weist die Berufung des Klägers ab und bestätigt die Vorinstanz.
  • Kein Nachweis einer vorsätzlichen Verletzung von Hygieneschutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber.
  • Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII greift, da kein vorsätzliches Handeln des Arbeitgebers festgestellt werden kann.
  • Kausalität zwischen der Arbeitstätigkeit und der Covid-19-Infektion nicht belegt.
  • Der Arbeitsplatz stellt unter Umständen ein erhöhtes Infektionsrisiko dar, doch fehlt es an Beweisen für eine Infektion genau dort.
  • Infektionsschutzkonzepte und Maßnahmen des Arbeitgebers zur Pandemiebekämpfung wurden berücksichtigt.
  • Grob fahrlässiges Handeln des Arbeitgebers reicht für eine Haftung nicht aus.
  • Entscheidung basiert auf der Anwendung höchstrichterlicher Grundsätze; kein Anlass für Revision.

Rechtliche Rahmenbedingungen für Haftungsausschlüsse bei Corona-Infektionen am Arbeitsplatz

Haftung bei Corona-Infektion am Arbeitsplatz
(Symbolfoto: True Touch Lifestyle /Shutterstock.com)

Die Corona-Pandemie hat auch im Arbeitsrecht zu neuen Herausforderungen geführt. Eine davon ist die Frage, inwieweit Arbeitgeber für Infektionen ihrer Mitarbeiter mit dem Covid-19-Virus am Arbeitsplatz haften. Grundsätzlich gilt nach § 104 Sozialgesetzbuch (SGB) VII, dass der Arbeitgeber für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nicht haftet, es sei denn, es liegt eine vorsätzliche Herbeiführung vor.

Dies bedeutet, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber nicht für eine mutmaßliche Infektion mit Covid-19 am Arbeitsplatz haftbar machen kann, wenn der Arbeitgeber die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergriffen hat. Jedoch ist die genaue Auslegung und Anwendung dieser Regelungen in der Praxis nicht immer einfach und führt zu zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen.

Interessiert an einer unverbindlichen Ersteinschätzung zu Ihren Haftungsfragen bei Corona-Infektionen am Arbeitsplatz? Kontaktieren Sie uns jetzt!

Im Mittelpunkt eines juristischen Streits stand die Frage der Haftung für eine Infektion mit dem Covid-19-Virus am Arbeitsplatz. Der Fall, der vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht verhandelt wurde, betrifft eine Klage gegen einen Arbeitgeber nach dem Tod einer Arbeitnehmerin an Covid-19. Die Verstorbene war als Küchenhilfe in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung tätig, wo sie zusammen mit zwei weiteren Küchenmitarbeiterinnen an Corona erkrankte. Der Kläger, Ehemann der verstorbenen Arbeitnehmerin, machte geltend, dass die Infektion am Arbeitsplatz aufgrund fehlender oder unzureichender Hygieneschutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber erfolgt sei.

Der Weg zur rechtlichen Auseinandersetzung

Die tragischen Umstände führten zu einer rechtlichen Auseinandersetzung, in der Schmerzensgeld und Schadensersatz gefordert wurden. Der Kläger argumentierte, dass der Arbeitgeber die erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz nicht eingehalten habe, was letztlich zur Infektion und dem Tod seiner Ehefrau führte. Besonders strittig war die Frage, ob der Arbeitgeber die Sicherheit am Arbeitsplatz vernachlässigt und damit die Gesundheit der Mitarbeiterinnen gefährdet habe.

Hygieneschutzmaßnahmen und die Rolle der Berufsgenossenschaft

Der Beklagte wies die Vorwürfe zurück und betonte, alle notwendigen Hygieneschutzmaßnahmen ergriffen zu haben. Er stellte zudem infrage, ob die Covid-19-Erkrankung tatsächlich auf eine Infektion am Arbeitsplatz zurückzuführen sei. Dazu wurde eine chronologische Übersicht der Covid-Verläufe der Mitarbeiterinnen vorgelegt, um zu zeigen, dass kein direkter Kontakt zwischen der zuerst infizierten Mitarbeiterin und der verstorbenen Ehefrau des Klägers bestanden habe. Der Beklagte verwies auch auf umfangreiche Hygienekonzepte, die im Einklang mit den Vorgaben der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege standen.

Gerichtliche Entscheidung und Begründung

Das Thüringer Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte somit das Urteil der Vorinstanz, welches bereits die Klage abgewiesen hatte. Das Gericht stellte fest, dass kein Nachweis für eine vorsätzliche Verletzung der Hygieneschutzmaßnahmen durch den Beklagten vorlag. Zudem wurde betont, dass für eine Haftung des Arbeitgebers das sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivileg des § 104 SGB VII nicht durchbrochen werden könne, da kein vorsätzliches Handeln des Arbeitgebers nachgewiesen wurde. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten generell nicht haftet, es sei denn, es liegt ein vorsätzliches Herbeiführen des Versicherungsfalls vor.

Kausalität und Beweislast

Ein weiterer entscheidender Punkt in der Urteilsbegründung war die Frage der Kausalität zwischen der Arbeitstätigkeit und der Infektion. Das Gericht fand keine ausreichenden Belege dafür, dass die Ansteckung der Ehefrau des Klägers am Arbeitsplatz erfolgt sei. Auch die Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers führte nicht zum Erfolg, da die Beweise nicht ausreichten, um eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers klar zu belegen.

Fazit

Das Urteil unterstreicht die hohen Anforderungen an den Nachweis einer Haftung des Arbeitgebers bei Covid-19-Infektionen am Arbeitsplatz. Es zeigt auf, dass die reine Anwesenheit am Arbeitsplatz und das allgemeine Infektionsrisiko nicht ausreichen, um eine Haftung des Arbeitgebers zu begründen, insbesondere wenn dieser nachweislich Hygieneschutzmaßnahmen umgesetzt hat.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter dem Haftungsprivileg des § 104 SGB VII?

Das Haftungsprivileg des § 104 SGB VII ist eine Regelung im deutschen Sozialgesetzbuch, die die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für Personenschäden ihrer Beschäftigten oder sonstiger für das Unternehmen tätiger Personen einschränkt.

Gemäß § 104 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind, zum Ersatz von Personenschäden nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1-4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber in der Regel von der zivilrechtlichen Haftung befreit ist, es sei denn, er hat den Schaden vorsätzlich verursacht oder der Schaden ist auf dem Weg zur oder von der Arbeit entstanden (sogenannter Wegeunfall).

Die Haftungsprivilegierung bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts und umfasst auch Schmerzensgeldansprüche. In bestimmten Ausnahmefällen, insbesondere bei vorsätzlichem Handeln, kann der Arbeitgeber jedoch auch auf Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden.

Die Regelung dient dazu, eine Doppelbelastung des Arbeitgebers zu vermeiden, da der betroffene Arbeitnehmer bereits Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhält. Gleichzeitig wird der Arbeitnehmer durch die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sozial abgesichert.

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutzrecht?

Eine Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutzrecht ist ein systematischer Prozess, der dazu dient, alle relevanten Gefährdungen zu ermitteln und zu bewerten, denen Beschäftigte bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind. Ziel ist es, präventive Maßnahmen zu ergreifen, um Unfälle und Berufskrankheiten zu verhindern und die Sicherheit sowie Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu gewährleisten.

Die rechtliche Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung bildet das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das in Deutschland im Jahr 1996 in Kraft trat. Nach §§ 5 und 6 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, Gefährdungen zu beurteilen und entsprechende Schutzmaßnahmen abzuleiten. Die Gefährdungsbeurteilung muss alle Aspekte der Arbeitstätigkeit berücksichtigen, einschließlich psychischer Belastungen.

Der Prozess der Gefährdungsbeurteilung umfasst mehrere Schritte, beginnend mit der Vorbereitung, der Ermittlung von Gefährdungen, der Beurteilung dieser Gefährdungen, dem Festlegen von Maßnahmen, deren Umsetzung und der Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen. Abschließend wird die Gefährdungsbeurteilung fortgeschrieben, um sicherzustellen, dass sie aktuell bleibt und neue Gefährdungen berücksichtigt werden.

Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung kann vom Arbeitgeber selbst oder von fachkundigen Personen, die damit beauftragt werden, durchgeführt werden. Es ist empfehlenswert, die Beschäftigten in den Prozess einzubeziehen, da sie ihren Arbeitsplatz am besten kennen und dies die Akzeptanz für sicherheitsgerechtes Verhalten erhöht.

Betriebe mit zehn oder mehr Beschäftigten sind verpflichtet, die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren. Die Dokumentation dient als Nachweis, dass die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde, und als Grundlage für die Ableitung von Schutzmaßnahmen.

Die Gefährdungsbeurteilung ist somit ein zentrales Element des betrieblichen Arbeitsschutzes und eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber, die der Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten dient.


Das vorliegende Urteil

Thüringer Landesarbeitsgericht – Az.: 1 Sa 91/23 – Urteil vom 07.11.2023

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 23.02.2023 – Az. 3 Ca 752/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Der Kläger ist der Ehemann der am xx.xx.2021 verstorbenen Arbeitnehmerin A… B…. Diese war seit 01.01.1991 als Küchenhilfe in der Kantine der vom Beklagten betriebenen Werkstatt für Menschen mit Behinderung in C… gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 1.788,00 € beschäftigt. In der Küche arbeitete sie mit zwei weiteren Küchenmitarbeiterinnen zusammen. Alle drei Mitarbeiterinnen erkrankten im Februar 2021 an Corona. Bei der verstorbenen Ehefrau des Klägers wurde die Covid-19-Infektion am 02.03.2021 diagnostiziert. Sie verstarb am xx.xx.2021 nach einer Pneumonie und schließlich an einem septischen Multiorganversagen. Der Kläger und die Tochter D… E… haben die verstorbene A… B… ausweislich des Erbscheins (Bl. 262 der Akte) beerbt.

Mit Schreiben vom 15.03.2021 (Bl. 87 der Akte) zeigte der Beklagte gegenüber der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege Anhaltspunkte für eine Berufskrankheit bei der Verstorbenen an.

Mit seiner Klage hat der Kläger erstinstanzlich behauptet, der Beklagte habe die erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz seiner Ehefrau jedenfalls bedingt vorsätzlich nicht eingehalten. Aus diesem Grund sei es am Arbeitsplatz zu einer Infektion mit dem Covid-19-Virus gekommen. Der Beklagte habe auch in Bezug auf den Tod seiner Ehefrau bedingt vorsätzlich gehandelt, so dass das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII nicht greife.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihm ein Schmerzensgeld i. S. v. § 844 BGB für den Verlust der Ehefrau, A… B…, geboren am xx.xx.1962, zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird, das jedoch den Betrag von 10.000,00 € nicht unterschreiten sollte;

2. den Beklagten zu verurteilen, den Unterhaltsschaden zu erstatten, der dadurch entstanden ist, dass ihm eine potentielle unterhaltspflichtige Person, A… B…, geboren am xx.xx.1962, verlustig wurde,

3. den Beklagten zu verurteilen, ihm sämtliche materiellen Schäden zu erstatten, die auf das Ableben der unter dem xx.xx.2021 verstorbenen A… B… zurückzuführen ist;

4. den Beklagten zu verurteilen, ihm beginnend zum 01.06.2021 einen monatlichen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 508,58 € zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat angeführt, erforderliche Hygieneschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz der Ehefrau des Klägers eingehalten zu haben. Er hat mit Nichtwissen bestritten, dass die Covid-19-Erkrankung der Mitarbeiterin überhaupt auf eine Infektion am Arbeitsplatz zurückzuführen sei. Jedenfalls habe er hinsichtlich des Todeseintritts nicht vorsätzlich gehandelt. Zu seinen Gunsten gelte daher das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII.

Der Beklagte hat zudem angeführt, es sei unbekannt, wann und wo genau die Infektion übertragen worden sei. Er hat hierzu eine chronologische Übersicht der Covid-Verläufe der Mitarbeiterinnen der Küche im fraglichen Zeitraum vorgelegt (Bl. 87 der Akte) und hierzu ausgeführt, mit der zuerst positiv auf das Covid-Virus getesteten Mitarbeiterin sei die Ehefrau des Klägers gar nicht in Kontakt gekommen. Denn diese Mitarbeiterin habe sich an dem Tag krankgemeldet, an dem die Klägerin nach 14-tägiger Krankheit erstmalig wieder auf der Arbeit erschienen sei.

Im Übrigen hat sich der Beklagte darauf berufen, umfangreiche Hygienekonzepte gegenüber den Mitarbeitern kommuniziert, sich dabei an die Vorgaben der für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft gehalten und jeweils nach Bekanntwerden einer Infektion die Betroffenen sowie Kontaktpersonen sofort in Absonderung geschickt zu haben.

Das Arbeitsgericht Nordhausen hat mit Beschluss vom 18.02.2022 das Verfahren gemäß § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ausgesetzt und dem Kläger bis zum 30.08.2022 die Möglichkeit gegeben, ein Verfahren gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII einzuleiten. Mit Schriftsatz vom 04.07.2022 hat der Kläger das Verfahren wieder aufgerufen. Ob ein sozialversicherungsrechtliches Verfahren im Sinn von § 108 Abs. 1 SGB VII eingeleitet wurde und ggf. mit welchem Ergebnis, ist nicht bekannt.

Mit Urteil vom 23.02.2023 (Bl. 217 ff. der Akte) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, in Bezug auf sämtliche geltend gemachten Schadensersatzpositionen greife das sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII ein. Der Beklagte habe den Versicherungsfall jedenfalls nicht in vorsätzlicher Weise herbeigeführt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei Voraussetzung für den Ausschluss des Haftungsprivilegs, dass sich der Vorsatz nicht nur auf die Verletzungshandlung selbst, sondern auch auf den Verletzungserfolg beziehen müsse. Ein solch doppelter Vorsatz sei im vorliegenden Fall nicht feststellbar. Wegen der weiteren Ausführungen des Urteils erster Instanz wird auf die Urteilsgründe verwiesen.

Gegen das ihm am 12.04.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 17.04.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.

Im Wesentlichen wiederholt der Kläger seine erstinstanzliche Argumentation und führt an, der Versicherungsfall sei durch die Nichteinhaltung von Sicherungsmaßnahmen passiert. Der Beklagte habe Arbeitsschutzregeln, wie sie sich aus den Standards der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe ergeben (Bl. 263 ff. der Akte), nicht eingehalten. Insbesondere sei der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten worden, kontaminiertes Geschirr benutzt und die Belüftung nur defizitär durchgeführt worden. Da auch die weiteren Mitarbeiter im Küchenbereich erkrankten, sei die Kausalität gegeben. Der Beklagte habe die Risikoerhöhung bewusst in Kauf genommen und etwa trotz Empfehlung des RKI keine Impfung durchgeführt. Der Beklagte hafte, da er vorsätzlich, jedenfalls aber grob fahrlässig vorgegangen sei.

Nach Hinweisen der Berufungskammer im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger klargestellt, dass es sich bei seinen Klageanträgen zu 2. und 3. um Feststellungsanträge handelt und beantragt daher, in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 23.02.2023, Az. 3 Ca 752/21,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld i. S. v. § 844 BGB für den Verlust der Ehefrau, A… B…, geboren am xx.xx.1962, zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird, das jedoch den Betrag von 10.000,00 € nicht unterschreiten sollte;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Unterhaltsschaden zu erstatten, der dadurch entstanden ist, dass dem Kläger eine potenzielle unterhaltspflichtige Person, A… B…, geboren am xx.xx.1962, verlustig wurde;

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu erstatten, die auf das Ableben der unter dem xx.xx.2021 verstorbenen A… B… zurückzuführen sind;

4. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger beginnend zum 01.06.2021 einen monatlichen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 508,58 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Es bleibe dabei, dass der Beklagte einen möglichen Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt habe. Ein doppelter Vorsatz läge nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts indiziere allein der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften den Vorsatz im Hinblick auf den Verletzungserfolg nicht. Im Übrigen habe der Beklagte nicht gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen. Vielmehr seien sowohl ein umfassendes Hygiene- und Infektionsschutzkonzept erstellt als auch die Mitarbeiter zur Einhaltung desselben verpflichtet worden. Der Verweis des Klägers auf die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe nebst deren Arbeitsschutzstandards verfange nicht, da der Betrieb des Beklagten – insoweit unbestritten – nicht in die Zuständigkeit dieser Berufsgenossenschaft falle. Im Übrigen habe der Kläger den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen einer behaupteten Verletzung der Schutzvorschriften und einer Infektion der Verstorbenen nicht nachgewiesen. Es sei nicht erwiesen, dass sich die Verstorbene tatsächlich am Arbeitsplatz infiziert habe. Allein die zeitliche Nähe zu den Erkrankungen der anderen Mitarbeiter im Küchenbereich stelle angesichts der allgemeinen Inzidenzwerte im maßgeblichen Zeitraum kein aussagekräftiges Kriterium für einen Kausalzusammenhang dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz am 07.11.2023 (Blatt 298 der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.

Insbesondere wurde die Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO.

II. Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Denn die zwar zulässige, aber unbegründete Klage wurde vom Erstgericht zu Recht abgewiesen.

1. Die Klage ist bezüglich aller vier Anträge zulässig.

a) Dies gilt insbesondere für die Feststellungsanträge zu 2. und 3.

Nach Hinweisen durch die Kammer hat der Kläger in zweiter Instanz klargestellt, dass es sich hierbei um Feststellungsanträge handelt. Auch das Erstgericht hatte die Anträge offenbar bereits so verstanden, aber den Wortlaut der gestellten Anträge unverändert gelassen.

Für die Anträge ist auch ein Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen. Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist bei einer Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden dann gegeben, wenn Schadensfolgen in der Zukunft möglich sind, auch wenn ihre Art, ihr Umfang und sogar ihr Eintritt noch ungewiss sind. Es muss allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt bestehen (vgl. BAG 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 12; BAG 28.04.2011 – 8 AZR 769/09 – Rn. 26). So liegt der Fall hier. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Unterhaltsschäden sowie weitere materielle Schäden noch in Zukunft zeigen. Der Eintritt solcher Schäden durch (Spät)Folgen des Ablebens der verstorbenen Ehefrau des Klägers erscheint nicht unmöglich. Dies hat auch die erste Instanz in Ziffer I. des Urteils (wenn auch nur bezogen auf den Antrag zu 3.) richtigerweise festgestellt. Die Verklammerung mit etwaigen bereits eingetretenen Schäden ist unschädlich.

b) Auch der Antrag zu 4. ist zulässig. Er bezieht sich auf den Ersatz eines monatlichen Haushaltsführungsschadens und damit auf wiederkehrende Leistungen. Die Zulässigkeit einer solchen Leistungsklage (auch) mit Blick auf erst zukünftig fällig werdende Zahlungen ergibt sich aus § 258 ZPO.

2. Die Klage ist jedoch mit Blick auf sämtliche Klageanträge unbegründet.

Hierbei kann dahinstehen, ob sich die Ehefrau des Klägers tatsächlich am Arbeitsplatz infiziert hat. Hätte sie dies nicht, läge bereits keine haftungsbegründende Kausalität vor und eine Haftung des Beklagten wäre von vornherein ausgeschlossen. Hätte sie sich am Arbeitsplatz angesteckt, würde es sich um einen Versicherungsfall handeln, bei dem zur Überzeugung der Kammer jedoch der Haftungsausschluss des § 104 SGB VII greift.

a) Mit dem Beklagten ist die erkennende Kammer allerdings der Auffassung, dass die Behauptung des Klägers, die Ansteckung seiner Ehefrau sei am Arbeitsplatz erfolgt, nicht erwiesen ist. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit und der Infektion der Verstorbenen ist nicht belegt. Es fehlt an der haftungsbegründenden Kausalität, die für alle denkbaren Anspruchsgrundlagen – sowohl vertraglicher als auch deliktischer Natur – für eine Haftung des Beklagten als Arbeitgeber erforderlich ist.

Zu Recht rügt der Beklagte in seiner Berufungserwiderung, der Kläger habe lediglich pauschal behauptet, die Ehefrau des Klägers habe sich am Arbeitsplatz angesteckt. Aufgrund welcher Umstände der Kläger zu dieser Annahme kommt, legt er nicht dar. Angesichts der weltweiten Pandemie ist ein alternativer Geschehensablauf – eine Ansteckung außerhalb des Arbeitsplatzes – trotz etwaiger erhöhter Risiken am Arbeitsplatz nicht unwahrscheinlich.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beklagte zur Chronologie der Ansteckungen und insbesondere zu einem Nichtzusammentreffen der Ehefrau des Klägers mit der zuerst infizierten Mitarbeiterin Vortrag gehalten hat. Angesichts dieses Vortrags wäre es am Kläger gewesen, hierzu zu erwidern und darzustellen, auf welcher Tatsachengrundlage der Kläger gleichwohl davon ausgeht, seine Ehefrau habe sich am Arbeitsplatz angesteckt. Aufgrund der vom Beklagten vorgetragenen engmaschigen Testung und der regelmäßigen unmittelbaren Absonderung bei positiver Testung ist es aus Sicht der erkennenden Kammer nicht zulässig, aus dem bloßen zeitlichen Zusammenhang mit den Ansteckungen auch anderer Mitarbeiter auf eine Infektion am Arbeitsplatz zu schließen.

Auch im Rahmen eines auf § 280 Abs. 1 BGB gestützten Schadensersatzanspruchs ist der Kläger vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet für alle den Kausalzusammenhang begründenden Tatsachen ist. Die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich alleine auf das „Vertreten müssen“, nicht jedoch auf die Kausalität.

b) Allerdings liegt es nahe, in Bezug auf die Arbeitsschutzpflichten in § 618 Abs. 1 BGB eine Erleichterung für den klagenden Arbeitnehmer anzuerkennen. Dem Schutzzweck des § 618 Abs. 1 und Abs. 2 BGB entsprechend und wegen § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB braucht der Arbeitnehmer, der durch die Schutzpflichtverletzung des Arbeitgebers ein Personenschaden erlitten hat, nur zu beweisen, dass ein ordnungswidriger Zustand vorgelegen hat, der geeignet war, den eingetretenen Schaden herbeizuführen (vgl. ErfK-Roloff, 23. Auflage 2023, § 618 BGB Rn. 19; so auch Kibler/Wittek DB 2020, 2296, 2299). Es ist dann Sache des Arbeitgebers zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft.

Auch diese Beweiserleichterung würde dem Kläger vorliegend jedoch nicht zum Erfolg verhelfen. Denn für die Kammer ist aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, gegen welche Sicherungsmaßnahmen bzw. Hygienekonzepte der Beklagte verstoßen haben soll.

Zwar ist der Arbeitgeber nach Arbeitsschutzrecht (§§ 5 bis 3 ArbSchG) verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen vorzunehmen und Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Der Kläger irrt jedoch, wenn er meint, der Beklagte sei im Zusammenhang mit der Vermeidung von Corona-Infektionen zur Einhaltung von Arbeitsschutzregeln verpflichtet, wie sie durch die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe festgelegt wurden (Bl. 263 ff. der Akte). Denn nach den unbestrittenen Angaben des Beklagten ist die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe für den Betrieb, in dem die Ehefrau des Klägers eingesetzt war, nicht zuständig. Zuständige Berufsgenossenschaft ist vielmehr die Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, was auch der Kläger in seiner Klageschrift bestätigt.

Der wiederholte Hinweis des Klägers darauf, der Mindestabstand von 1,5 m zur Vermeidung von Ketteninfektionen sei im Betrieb des Beklagten nicht eingehalten worden, greift ebenfalls nicht durch. Dies ergibt sich bereits daraus, dass in dem von ihm selbst vorgelegten Arbeitsschutzkonzept der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe verschiedene – nachrangige – Maßnahmen vorgesehen sind, die dann greifen sollen, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. In einem solchen Fall ist etwa mit Hilfe von medizinischen Gesichtsmasken oder FFP2-Masken zu arbeiten. Dies zeigt, dass die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m nicht absolut gilt. Die Nichtwahrung des Mindestabstandes alleine kann sich vor diesem Hintergrund nicht als eine gegen den Arbeitsschutz verstoßende Pflichtverletzung darstellen.

Weitere Angriffe des Klägers – etwa die Behauptungen, kontaminiertes Geschirr werde benutzt und es werde nur defizitär gelüftet – bleiben unkonkret. Diese Behauptungen stehen auch in Widerspruch zu den diversen Hygienekonzepten, die von Seiten des Beklagten zur Akte gereicht sind. So sieht etwa das Infektionsschutzkonzept des Beklagten vom 12.01.2021 (Bl. 72 ff. der Akte) unter 5.4.2 Maßnahmen zur ausreichenden Belüftung vor. Vor dem Hintergrund des zur Akte gereichten Infektionsschutzkonzepts reichen die pauschalen Behauptungen des Klägers, es sei nur defizitär gelüftet worden, nicht aus. Trennwand-Vorgaben und große Raumvolumina lassen sich als feste Vorgaben ebenfalls nicht finden. Auch hierzu bleiben die Behauptungen des Klägers zu pauschal. Auch die Behauptung, dass keine Handschuhe bzw. Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt worden seien, lässt sich vor dem Hintergrund der Vorgaben in Ziffer 5.9 des Infektionsschutzkonzepts des Beklagten (Bl. 79 der Akte) nicht nachvollziehen. Dort ist angegeben, dass in allen Eingangsbereichen Desinfektionsspender zur Händehygiene angebracht wurden. Der Vorwurf, Händedesinfektionsmittel seien von Seiten des Berufungsbeklagten im Küchenbereich nicht zur Verfügung gestellt worden, kann daher eine Pflichtverletzung nicht belegen. Vielmehr ist es so, dass die allgemeine Hygiene – bestehend aus Hände waschen, Niesetikette und erforderlichenfalls Desinfizierung – in Ziffer 5.4.3 als allgemeine persönliche Hygienemaßnahmen (Bl. 76 der Akte) ebenfalls Teil des Infektionsschutzkonzeptes des Beklagten ist.

Der Vorwurf des Klägers, der Beklagte habe trotz Empfehlung des RKI nicht für eine Impfung seiner Mitarbeiter gesorgt, ist für die erkennende Kammer nicht nachvollziehbar. Eine Pflicht des Arbeitgebers, seine Mitarbeiter einer Impfung zuzuführen, besteht nicht.

c) Selbst eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt und ebenfalls unterstellt, diese hätte zu einer Infektion der Ehefrau des Klägers geführt, schiede eine Haftung des Beklagten aus. Denn für diesen Fall greift nach Auffassung der Kammer der Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 SGB VII.

Völlig zu Recht hat das Erstgericht in Bezug auf sämtliche geltend gemachten Klageansprüche das Eingreifen der Haftungsprivilegierung in § 104 Abs. 1 SGB VII zugunsten des Beklagten angenommen. Die Kammer verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts in den Entscheidungsgründen der angegriffenen Entscheidung. Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer zweiter Instanz an und macht sich diese zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Die Berufungsangriffe geben lediglich Anlass zu den nachfolgenden ergänzenden Ausführungen:

aa) Von dem Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 SGB VII werden zunächst sämtliche geltend gemachten Schadenspositionen erfasst. § 104 Abs. 1 SGB VII erstreckt sich auf den Ersatz des Personenschadens insgesamt. Ein Personenschaden ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, der Schaden, den der Verletzte in seiner körperlichen oder seelischen Unversehrtheit erleidet und der zu einer zivilrechtlichen Entschädigungspflicht führt. Gleichzeitig muss ein Gesundheitsschaden als ein den Versicherungsfall konstituierendes Merkmal eingetreten sein. Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art sind alle Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Natur, die auf Ersatz des Personenschadens gerichtet sind und auf ein Geschehen gestützt werden, das einen Versicherungsfall darstellen kann. Da der Haftungsausschluss bezweckt, den Arbeitgeber von der Haftung wegen Personenschäden insgesamt freizustellen, fallen unter die Personenschäden nicht nur immaterielle Schäden (Schmerzensgeld), sondern auch Heilbehandlungskosten und Vermögensschäden wegen der Verletzung oder Tötung des Versicherten (BAG 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 20–23).

Erfasst werden daher nicht nur Schmerzensgeldansprüche gestützt auf § 844 BGB im Sinne des Klageantrags zu 1., sondern auch sämtliche materiellen Schäden, wie sie in den Klageanträgen 2. bis 4. geltend gemacht werden. Sämtliche Schadenspositionen führt der Kläger auf den Gesundheitsschaden seiner Ehefrau zurück.

bb) Unterstellt, die Ansteckung der Ehefrau des Klägers mit dem Covid-19-Virus wäre auf der Arbeitsstelle erfolgt, stellt sich dieses Geschehen auch als Versicherungsfall im Sinne des § 104 SGB VII dar.

Die Kammer folgt diesbezüglich allerdings nicht der erstinstanzlichen Auffassung, es könne dahinstehen, ob es sich bei dieser Infektion und dem späteren Todeseintritt um einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII und damit um einen Versicherungsfall gemäß § 7 SGB VII handelt. Denn nur für den Fall, dass es sich bei der Infektion um einen Versicherungsfall handelt, käme die vom Erstgericht bejahte Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 SGB VII in Betracht.

Im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion wurde allerdings teilweise bezweifelt, ob diese einen Versicherungsfall im Sinne des § 7 SGB VII darstellen kann. So hatte etwa der Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) als Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen zu Beginn der Pandemie den Standpunkt vertreten, bei einer Covid-19-Infektion handele es sich nicht um einen Arbeitsunfall, weil die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 zur Pandemie erklärt hat und Covid-19 somit eine Allgemeingefahr darstelle. Erkranke ein Versicherter an einer Gefahr, von der er zur selben Zeit und mit gleicher Schwere auch außerhalb seiner versicherten Tätigkeit betroffen gewesen wäre, stelle dies keinen Arbeitsunfall dar (vgl. dazu Kibler/Wittek DB 2020, 2296, 2297–2298).

Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht. Für die Annahme eines Versicherungsfalles ist maßgeblich, ob der Mitarbeiter im Wesentlichen wegen seiner versicherten Tätigkeit einer Infektionsgefahr ausgesetzt ist. Denn die gesetzliche Unfallversicherung schützt die Versicherten gerade gegen solche Gefahren. Dies umfasst typischerweise auch die Infektion mit Krankheitserregern am Arbeitsplatz. Die reine Anwesenheit am Arbeitsplatz bedeutet häufig ein erhöhtes Infektionsrisiko. Typischerweise treffen am Arbeitsplatz mehrere Personen, die nicht dem selben Haushalt angehören, für eine längere Zeitdauer auf begrenztem Raum aufeinander, sprechen und interagieren miteinander. Eine Infektion lässt sich auch bei Einhaltung der aktuell geltenden Sicherheitsstandards nicht gänzlich vermeiden (vgl. Kibler/Wittek DB 2020, 2296, 2297–2298). Insbesondere das Zusammentreffen am Arbeitsplatz sorgt dafür, dass sich mit einer Infektion am Arbeitsplatz das typischerweise erhöhte Infektionsrisiko realisiert und es sich daher nicht nur um die Realisierung einer allgemeinen Gefahr handelt. Es realisiert sich vielmehr genau das Risiko, vor dem die gesetzliche Unfallversicherung schützen soll. Auch der DGUV hat mittlerweile anerkannt, dass eine aus einer am Arbeitsplatz erfolgten Corona-Infektion resultierende Covid-19-Erkrankung einen Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII darstellen kann (https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_arbeitsunfall/index.jsp – Abruf 03.11.2023).

cc) Zwar ist für die Anerkennung als Arbeitsunfall der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen versicherter Tätigkeit und Unfall, hier der Covid-19-Erkrankung, erforderlich. Dies lässt sich dem Wort „infolge“ in § 8 SGB VII unschwer entnehmen. Zugunsten des Klägers kann allerdings unterstellt werden, dass der spätere Tod seiner Ehefrau auf eine Corona-Infektion im Betrieb zurückzuführen ist.

dd) Selbst bei unterstellter Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften und angenommener Kausalität ließe sich ein vorsätzliches Vorgehen des Beklagten mit Blick auf die Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht feststellen, so dass der Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 SGB VII greift.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, folgt aus dem Zweck des § 104 SGB VII, dass für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich ist. Der Vorsatz des Schädigers muss daher nicht nur die Verletzungshandlung an sich, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen (BAG 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 46; BAG 20.06.2013 – 8 AZR 471/12 – Rn. 23). Dabei indiziert allein der Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten oder etwa Unfallverhütungsvorschriften keinen Vorsatz im Hinblick auf den Verletzungserfolg. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will regelmäßig nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde (BAG 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 51; BAG 20.06.2013 – 8 AZR 471/12 – Rn. 28). Der Kläger irrt daher, wenn er meint, aus der von ihm behaupteten Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften und Hygienekonzepten auf die billigende Inkaufnahme einer Ansteckung der Beschäftigten und eines darauf basierenden Gesundheitsschadens schließen zu können.

Zwar gibt es umgekehrt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt. Hieraus folgt jedoch nicht das Gegenteil. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an (vgl. hierzu BAG 20.06.2013 – 8 AZR 471/12 – Rn. 28; BAG 19.02.2009 – 8 AZR 188/08 – Rn. 50). So kann es etwa naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (vgl. BAG 20.06.2013 – 8 AZR 471/12 – Rn. 29; BGH 20.12.2011 – VI ZR 309/10 – Rn. 11).

Von einem „dem Zufall überlassen“ in diesem Sinne kann im vorliegenden Fall jedoch nicht die Rede sein. Der Beklagte hat vielmehr durch die diversen zur Akte gereichten Infektionsschutzkonzepte ausreichend belegt, dass er während der Corona-Pandemie auf das Wohlergehen seiner Mitarbeiter bedacht war. Die E-Mails, mit denen auf diese Infektionsschutzkonzepte hingewiesen wurde, erreichten ausweislich der jeweiligen Verteiler auch die Ehefrau des Klägers. Der Beklagte hat Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen und entsprechende, auf seinen Betrieb zugeschnittene Hygienekonzepte erstellt. Ebenfalls ist unbestritten vorgetragen worden, dass im Falle einer Infektion bzw. eines positiven Testergebnisses der betroffene Mitarbeiter und sämtliche Kontaktpersonen sofort nach Hause geschickt wurden. Selbst wenn die ergriffenen Maßnahmen nicht den geltenden Arbeitsschutzvorgaben entsprochen haben sollten – was vorliegend vom Kläger nicht dargetan ist – vermag die Kammer angesichts dieser Maßnahmen Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte eine Infektion seiner Mitarbeiter billigend in Kauf nahm, nicht zu erkennen.

ee) Schließlich irrt der Kläger, wenn er meint, die Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 SGB VII sei bereits bei grober Fahrlässigkeit ausgeschlossen. Diese Rechtsansicht klingt auf Seite 13 der Berufungsschrift vom 17.04.2023 (Bl. 245 der Akte) an. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 104 Abs. 1 SGB VII kommt eine Haftung des Arbeitgebers bei Vorliegen eines Versicherungsfalls nur dann in Betracht, wenn ihm hinsichtlich der Herbeiführung des Versicherungsfalls Vorsatz vorgeworfen werden kann. Zwar reicht hierfür auch bedingter Vorsatz aus. Bedingter Vorsatz ist jedoch mit grober Fahrlässigkeit nicht gleichzusetzen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Anlass für eine Zulassung der Revision bestand nicht. Vielmehr handelt es sich um die Entscheidung in einem Einzelfall unter Anwendung der höchstrichterlich entwickelten Grundsätze.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!