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Kündigung wegen Kopierens dienstlicher Dateien

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 335/11 – Urteil vom 09.01.2012

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 05.04.2011 – 11 Ca 959/10 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26.10.2010 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten beendet worden ist.

Die Klägerin ist seit 2009 beim Beklagten als Reiseverkehrskauffrau gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.750,00 EUR im Reisebüro des Beklagten beschäftigt. Die Klägerin arbeitete in C-Stadt und ist zuletzt im August 2010 nach B-Stadt gezogen. Mitte August 2010 beantragte sie, ihr eine Nebentätigkeit als selbständige Reisevermittlerin zu gestatten; dies hat der Beklagte abgelehnt. In der Folgezeit kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien.

Am 22.10.2010, dem letzten Arbeitstag der Klägerin vor ihrem Urlaubsantritt, entlieh sie sich einen USB-Stick von einer Kollegin und speicherte darauf einen Dateiordner ihres PC, der mit „B.“ nach ihr benannt ist und geschäftliche Dateien enthielt.

Nach Aufforderung durch den Beklagten ging am 26.10.2010 um 14.58 Uhr eine E-Mail der Klägerin an den Mitarbeiter von A. mit zwei anhängenden Dateien mit den Bezeichnungen „Teleliste“ (vgl. Bl. 70 ff. d. A.) und „Agenturnummern“ (vgl. Bl. 80 d. A.) ein.

Mit Schreiben vom 26.10.2010, der Klägerin am 27.10.2010 zugegangen, hat die Beklagte die streitgegenständliche außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.11.2010 ausgesprochen. Auf den Inhalt des Kündigungsschreibens wird Bezug genommen (Bl. 8 d. A.). Den USB-Stick hat der Beklagte zwischenzeitlich auch per Post zurückerhalten.

Gegen diese Kündigungen wendet sich die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit.

Die Klägerin hat vorgetragen, die ihr im Kündigungsschreiben unterstellten Äußerungen habe sie nicht getan. Auch habe sie keine betriebsinterne Daten, die in einem Ordner abgelegt gewesen seien, unterschlagen. Vielmehr habe sie von ihr selbst erstellte Dateien auf den USB-Stick kopiert, um sie während des Urlaubs, wie vom Beklagten gewünscht, zu ordnen. Bislang seien zum Beispiel Hotel- und Busanfragen nach dem Alphabet geordnet worden. Der Beklagte habe ein neues System gewünscht, insbesondere durch Anlegung von Oberbegriffen. Dem sei sie während ihrer Urlaubszeit auch nachgekommen. Es treffe nicht zu, dass sämtliche auf dem Server befind-liche Dateien gelöscht worden seien. Unklar bleibe auch, welche Dateien auf dem Server nicht mehr zu finden gewesen seien. Soweit der Beklagte angebe, ihm sei ein Schaden von mindestens 5.000,00 EUR entstanden, sei dies unsubstantiiert. Wenn dieser zudem meine, die Klägerin habe allein Kenntnis besessen, welche Dateien überhaupt konkret vorhanden gewesen seien, könne er nicht zugleich behaupten, es seien Dateien gelöscht worden. Soweit der Beklagte auf eine Liste verweise, bestreite sie, dass es sich dabei um sämtliche Dateien handele, die auf dem USB-Stick der Klägerin gewesen sein sollten. Sie habe zu keiner Zeit beabsichtigt, Dateien zu löschen bzw. diese nicht zurückgeben zu wollen.

Zur weiteren Darstellung des streitigen Vorbringens der Klägerin im erstinstanzlichen Rechtszug wird auf Seite 3, 4 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 108, 109 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 26.10.2010, zugegangen am 27.10.2010, nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe die im Kündigungsschreiben angegebenen Äußerungen ent-gegen ihrer Darstellung genauso getätigt. Sie sei insgesamt davon ausgegangen, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis beenden werde. Immer wieder habe er ihr erklären müssen, dass sie selbst kündigen müsse, wenn sie gehen wolle.

Am 22.10.2010 habe die Klägerin firmeneigene Daten, die für den Geschäftsbetrieb nötig und auf dem Firmenserver abgelegt worden seien, auf einen USB-Stick – unstreitig – verschoben. Sie seien aber nicht nur kopiert, sondern restlos entfernt worden. Ein Rückführungswille der Klägerin sei nicht gegeben gewesen. Sie habe ihren Kollegen gegenüber erklärt, sie wolle sich „ihren Ordner mitnehmen“ und sie wolle nicht, dass „ihre Arbeiten“ dem Unternehmen zur Verfügung stünden. Auch habe sie dem Mitarbeiter D. gegenüber geäußert, dass sie die Büroschlüssel in eine Schublade legen werde, damit sie, falls sie nicht wiederkomme, keine Sachen mehr bei sich zu Hause hätte. Auch habe sie ihren Arbeitsplatz geräumt, um alle persönlichen Gegenstände mitzunehmen. Es treffe zu, dass er die Klägerin mehrmals aufgefordert habe, die firmeneigenen Daten in eine logische Ordnung zu bringen. Er habe es und hätte es ihr auch nicht gestattet, diese Arbeit außerhalb der Firma zu erledigen. Nach Erhalt des USB-Sticks per Post sei festzustellen gewesen, dass etwa nur ein Drittel der ursprünglichen Dateien auf dem Stick vorhanden gewesen seien. Er schätze den Schaden auf mindestens 5.000,00 EUR ein. Die Wiederherstellung der absolut dringend benötigten Dateien habe ihn bereits 70 durch ihn und andere Mitarbeiter geleistete Arbeitsstunden gekostet. Welche Dateien konkret in dem Ordner „B.“ vorhanden gewesen seien, könne er nicht sagen, da insoweit die Klägerin die alleinige Kenntnis gehabt habe. Es sei auch nicht auszuschließen, dass sich geschäftliche Dateien weiterhin noch im unrechtmäßigen Besitz der Klägerin befänden.

Zur weiteren Darstellung des streitigen Vorbringens des Beklagten wird auf Seite 5 bis 7 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 110 bis 112 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 10.02.2011 durch Vernehmung des Zeugen D.; hinsichtlich des Inhalts des Beweisbeschlusses wird auf Bl. 55 d. A. und hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf Bl. 88 ff. d. A. Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 05.04.2011 – 11 Ca 959/10 – abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 107 bis 117 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 27.05.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am 15.06.2011 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 11.07.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, bereits die Tatsache, dass die Klägerin – unstreitig – den USB-Stick und zuvor bereits einige Dateien per E-Mail an die Beklagte zurückgeleitet habe, zeige, dass sie nie die Absicht gehabt habe, Dateien der Beklagten zu löschen. Zum fraglichen Zeitpunkt sei zudem beabsichtigt gewesen, dass die Klägerin für den Beklagten in C-Stadt weiter arbeite. Auch dies zeige, dass das Verhalten der Klägerin nicht so bewertet werden könne, wie dies durch den Beklagten geschehe.

Zur weiteren Darstellung der Auffassungen der Klägerin wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 11.07.201 (Bl. 135 bis 137 d. A.) sowie ihre Schriftsätze vom 12.09.2011 (Bl. 151, 152 d. A.) und vom 16.11.2011 (Bl. 167 bis 169 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach . vom 05.04.2011, Az: 11 Ca 959/10, der Klägerin zugestellt am 27.05.2011, wird abgeändert. Es wird nach den Schlussanträgen erster Instanz erkannt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 26.10.2010, zugegangen am 27.10.2010, nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Klägerin habe erst am 26.10.2010 Daten per E-Mail an den Beklagten zugeleitet, nachdem sie von diesem sowie ihren Kollegen tags zuvor darum gebeten bzw. dazu aufge-fordert worden sei. Auf dem USB-Stick hätten sich aber nur noch ein Drittel der ursprünglich vorhandenen Dateien befunden. Die Klägerin habe das Arbeitsverhältnis aufgrund der Gesamtumstände zwar nicht fortsetzen wollen, sich aber vor den Nachteilen einer Kündigung gescheut. Das Thema Weiterbeschäftigung der Klägerin in C-Stadt habe sich erledigt, nachdem der Beklagte der Klägerin einen Vertragsentwurf vorgelegt habe. Es sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin durch die Entwendung firmeneigener Daten im Rahmen der beabsichtigten Selbständigkeit einen erheblichen Vorteil habe verschaffen wollen.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Beklagten wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 18.08.2011 (Bl. 146 bis 148 d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 04.11.2011 (Bl. 162, 163 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 09.01.2012.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Arbeitsgerichts ist das vormals zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch außerordentliche Kündigung des Beklagten, sondern erst durch die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung – letzteres unstreitig – beendet worden.

Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB sind vorliegend nicht gegeben.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG AP-Nrn. 4, 42, 63 zu § 626 BGB). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 3. Auflage 2007 (APS-Dörner), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 6. Auflage 2007, 4. Kap. 1155 ff.).

Kündigung wegen Kopierens dienstlicher Dateien
Symbolfoto: Von dotshock/Shutterstock.com

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an. Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein (BAG EzA § 626 BGB Nr. 11, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 7).

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig:

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der – in der Regel – vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner, § 626 BGB a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.).

Entscheidender Zeitpunkt ist der des Ausspruchs der Kündigung.

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). „Absolute Kündigungsgründe“, die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG SAE 1986, S. 5).

Systematisch kann nach Störungen im Leistungsbereich, im betrieblichen Bereich der Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich der Vertragspartner und im Unternehmensbereich unterschieden werden (APS-Dörner, a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.)

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der rechtswidrigen und schuldhaften Entwendung einer Sache auch das arbeitsvertragwidrige und schuldhafte Kopieren der Dateien aus dem Bestand des Arbeitgebers auf einen privaten Datenträger gleichsteht (Landesarbeitsgericht Sachsen, 14.07.1999 – 2 Sa 34/99 -; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz, a. a. O., Kap. 4, Rz. 1204). Zu berücksichtigen ist aber stets, dass die ordentliche Kündigung die übliche und regelmäßige ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer vertraglichen (Neben)Pflicht ist; deshalb kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gericht einer solchen Pflichtverletzung durch erschwerende Gründe verstärkt wird (BAG 12.05.2010, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 31).

Vorliegend kann nach dem Sachvortrag der Parteien in beiden Rechtszügen und der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war.

Unstreitig hat die Klägerin am letzten Tag vor ihrem Urlaub Dateien auf einen USB-Stick übertragen und diesen mit nach Hause genommen. Selbst wenn man zugunsten des Beklagten unterstellt, dass damit die übertragenen Dateien – warum auch immer – vom betriebseigenen Server entfernt worden sind, ist die für die außerordentliche Kündigung notwendige negative Prognose nicht gerechtfertigt. Denn die Klägerin hat auf Aufforderung des Beklagten den USB-Stick mit Daten noch vor Zugang der außerordentlichen Kündigung zurückgeschickt; welche Dateien dort zu diesem Zeitpunkt fehlten, die sie zuvor kopiert hatte, lässt sich nach dem unsubstantiierten Vorbringen des Beklagten nicht feststellen. Des Weiteren hat die Klägerin per E-Mail Anhang Dateien dem Beklagten wiederum zur Verfügung gestellt; auch dies vor Zugang der Kündigung. Hinzu kommt, dass die Klägerin zum fraglichen Zeitpunkt mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten konkret nicht rechnen musste. Denn auch, wenn eine Kündigung durch den Beklagten von ihr gewünscht gewesen wäre, so hatte sich dieser nach seinem eigenen Tatsachenvortrag im vorliegenden Verfahren dazu nicht bereit gefunden, sondern an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses festgehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin durch ihr Verhalten den Beklagten schädigen wollte, bestehen nicht. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin jedenfalls nach ihrem Tatsachenvortrag die Dateien deshalb auf den USB-Stick übertrug, um Arbeiten auszuführen, die der Beklagte unstreitig von ihr – wenn auch nach seiner Darstellung nicht außerhalb der Arbeitszeit im Betrieb – verlangt hatte. Aufgrund dieser Gesamtumstände hätte ein verständiger Arbeitgeber keine außerordentliche Kündigung erklärt.

Hinzu kommt, dass der Sachvortrag des Beklagten nicht erkennen lässt, welche nachteiligen betrieblichen Auswirkungen das von ihm behauptete Fehlverhalten der Klägerin hatte. Zum einen ist weitgehend unklar, welche Dateien die Klägerin auf den USB-Stick übertragen hatte und welche im Einzelnen von dem Server des Beklagten entfernt worden waren. Dass auf dem von der Klägerin zurückgesandten USB-Stick Dateien fehlten, hat der Beklagten zwar behauptet; er hat aber sich nicht in der Lage gesehen, darzulegen, welche Dateien die Klägerin einerseits kopiert, andererseits dann aber zu Hause von dem USB-Stick entfernt haben soll. Wozu die nicht mehr vorhandenen Dateien betrieblich benötigt wurden, bleibt ebenso unklar. Für die Bewertung der betrieblichen Nachteile eines Fehlverhaltens des Arbeitnehmers ist es aber gerade von ausschlaggebender Bedeutung, insbesondere im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung, wie gewichtig die Beeinträchtigung der betrieblichen Tätigkeit ist. Ob die Dateien für das Alltagsgeschäft des Beklagten oder aber zum Beispiel für beabsichtigte Werbemaßnahmen demnächst oder in fernerer Zukunft benötigt wurden, bleibt offen. Nichts anderes gilt für die nach der Darstellung des Beklagten rekonstruierten Dateien. In diesem Zusammenhang wird auch nicht näher erläutert, warum es dieser Rekonstruktion überhaupt bedurfte, nachdem das Verhalten der Klägerin – warum auch immer – nur so zu verstehen war, dass sie bereit war, den vorherigen Zustand im Betrieb des Beklagten wieder herzustellen bzw. zumindest daran mitzuwirken.

Letztlich bleibt auch offen, woraus sich im Einzelnen der vom Beklagten behauptete Schaden ergeben soll und inwieweit dieser nicht durch ein verständigeres Verhalten ohne weiteres insgesamt vermeidbar gewesen wäre.

Mit dem damit als nicht hinreichend angesehenen tatsächlichen Vorbringen des Beklagten in beiden Rechtszügen werden auch keine überhöhten Anforderungen gestellt. Zwar dürfen im Rahmen der Verteilung der gesetzlichen Darlegungs- und Beweislast keine überspannten Anforderungen gestellt werden; von keiner Prozesspartei darf etwa unmögliches verlangt werden. Andererseits besteht eine volle Substantiierungspflicht (§ 139 ZPO). Gelöst wird dieser Konflikt insbesondere durch das Prinzip der Sachnähe, d. h. je näher eine Prozesspartei an den fraglichen Vorfällen unmittelbar beteiligt ist und entsprechende eigene Kenntnisse haben kann, desto konkreter muss ihr Tatsachenvortrag gestaltet sein und letztlich der Wahrheit entsprechen (vgl. BAG 26.06.2008, EzA § 23 KSchG Nr. 32).

Gemessen daran musste der Beklagte ohne weiteres Kenntnis der Dateien im Einzelnen, deren Inhalt und deren betrieblichen Verwendungszweck haben. Durch – wie dargelegt – zu fordernde konkretere Angaben wurde keineswegs etwas unmögliches verlangt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen D.. Das Arbeitsgericht hat insoweit im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die fraglichen Dateien im Eigentum des Beklagten standen und darauf, dass die Klägerin erklärte, dass sie nicht mehr dem Beklagten zur Verfügung stünden. Darauf kommt es, wie zuvor dargestellt, letzten Endes schon deshalb nicht an, weil das Verhalten der Klägerin noch vor Zugang der Kündigung im Hinblick auf die fraglichen Dateien keine negative Prognose für eine gedeihliche Zusammenarbeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zulässt.

Was die vom Beklagten schließlich im Kündigungsschreiben behaupteten Beleidigungen anbelangt, lässt sich seinem tatsächlichen Vorbringen in beiden Rechtszügen nicht entnehmen, in welchem Zusammenhang diese gefallen sein sollen, was die üblichen Umgangsformen im Betrieb des Beklagten sind und dergleichen mehr. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ist deshalb insoweit insbesondere in einem grundsätzlich wegen des Veränderungswunsches der Klägerin konfliktbeladenen Arbeitsverhältnisses davon auszugehen, dass nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Abmahnung ausgereicht hätte, für den Fall, dass diese Äußerungen tatsächlich so gefallen sind, um dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers (§ 314 Abs. 2 BGB) an einer gedeihlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Rechnung zu tragen, dazu aber auch ausgereicht hätten.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festzustellen. Damit ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung beendet, was nach der Darstellung beider Parteien im vorliegenden Rechtsstreit unstreitig der Fall ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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