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Ordentliche Kündigung – 6 Monatsfrist zur Geltung des KSchG

Kündigung in Wartezeit: Betriebsratsanhörung genügt

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat entschieden, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit rechtens ist. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat zwar anhören, aber nur seine subjektiven Werturteile mitteilen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber substantiierbare Gründe für die Kündigung während der Wartezeit anführt, sofern diese auf subjektiven Werturteilen beruhen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 Sa 20/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Gültigkeit der Kündigung: Die Kündigung innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit ist rechtswirksam.
  2. Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Zum Zeitpunkt der Kündigung war das KSchG aufgrund der Wartezeit nicht anwendbar.
  3. Anhörung des Betriebsrats: Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört.
  4. Subjektive Werturteile: Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine subjektiven Werturteile mitteilt.
  5. Keine Notwendigkeit der Substantiierung: In der Wartezeit muss der Arbeitgeber keine substantiierten Gründe für die Kündigung vorlegen.
  6. Entscheidung des Arbeitsgerichts: Das Arbeitsgericht Münster hatte bereits zuvor zugunsten des Arbeitgebers entschieden.
  7. Berufung des Klägers: Die Berufung des Klägers gegen das Urteil wurde zurückgewiesen.
  8. Endgültigkeit des Urteils: Die Revision wurde nicht zugelassen, was die Endgültigkeit des Urteils bestätigt.

Die Grundlagen der ordentlichen Kündigung im Arbeitsrecht

Das Arbeitsrecht bildet einen wesentlichen Pfeiler des deutschen Rechtssystems. Ein zentrales Thema in diesem Bereich ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Hierbei spielen die gesetzlichen Fristen und spezifische Bestimmungen, wie das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), eine entscheidende Rolle. Die Frage, wann und wie eine ordentliche Kündigung rechtswirksam ist, insbesondere während der 6 Monatsfrist, ist von hoher Bedeutung sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.

In der Praxis ist die Einbindung des Betriebsrats bei der Kündigung eines Mitarbeiters ein unverzichtbarer Aspekt, der die Rechtmäßigkeit der Kündigung maßgeblich beeinflussen kann. Die Rolle des Betriebsrats, seine Rechte und Pflichten in diesem Prozess, sind daher von besonderer Bedeutung. Die nachfolgende Betrachtung eines konkreten Urteils des Landesarbeitsgerichts Hamm bietet tiefe Einblicke in die juristischen Feinheiten und Rahmenbedingungen, die bei einer ordentlichen Kündigung im Arbeitsverhältnis zu beachten sind. Lesen Sie weiter, um ein detailliertes Verständnis dieser wichtigen Thematik zu erlangen.

Der Streitfall: Ordentliche Kündigung und die 6-Monatsfrist

Im Mittelpunkt des Verfahrens vor dem Landesarbeitsgericht Hamm stand die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der seit dem 1. März 2022 bei seinem Arbeitgeber, einem Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten, als Verkäufer tätig war. Der Kläger bezog ein monatliches Bruttogehalt von 2.228,00 EUR. In seinem Arbeitsvertrag war eine dreimonatige Probezeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen festgelegt. Der Kern des Disputs lag in der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), das erst nach einer sechsmonatigen Beschäftigungsdauer greift.

Die Rolle des Betriebsrats in der Kündigungsanhörung

Eine zentrale Rolle in diesem Fall spielte der Betriebsrat. Der Arbeitgeber hörte den Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG zu der beabsichtigten Kündigung an.In diesem Kontext argumentierte der Arbeitgeber, dass das KSchG aufgrund der noch nicht erreichten sechsmonatigen Beschäftigungsdauer keine Anwendung fände und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht im Interesse des Unternehmens läge. Der Betriebsrat äußerte in seiner Stellungnahme Bedenken gegen die Kündigung, vor allem wegen der geringen Besetzung im relevanten Warenbereich.

Juristische Bewertung und Entscheidung des Arbeitsgerichts Münster

Das Arbeitsgericht Münster hatte in erster Instanz entschieden, dass die Kündigung des Klägers unwirksam sei. Es berief sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine sechs Monate bestand und das KSchG somit keine Anwendung fand. Ferner wurde festgestellt, dass die Anhörung des Betriebsrats den gesetzlichen Anforderungen entsprach, da die Beklagte den Betriebsrat über die Sozialdaten des Klägers sowie über das fehlende Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses informierte. Diese Informationen wurden als ausreichend erachtet, um die Kündigung innerhalb der Wartezeit zu begründen.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm und dessen Begründung

Das Landesarbeitsgericht Hamm wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster zurück und bestätigte somit die Wirksamkeit der Kündigung. Das Gericht folgte der Argumentation, dass während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG die Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung bedarf. Zudem sei die Anhörung des Betriebsrats korrekt erfolgt. Der Arbeitgeber habe seine subjektiven Werturteile, die zur Kündigung führten, ausreichend dargelegt, ohne die Notwendigkeit, diese durch substantiierte Fakten zu untermauern. Damit wurde die Kündigung als rechtmäßig erachtet und das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2022 aufgelöst.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des KSchG die Anforderungen an eine Kündigung und die Betriebsratsanhörung weniger streng sind. Es betont die Bedeutung des subjektiven Ermessens des Arbeitgebers bei Kündigungen in dieser Phase und setzt gleichzeitig klare Grenzen hinsichtlich der Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Bedeutung hat die 6 Monatsfrist im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG)?

Die „6 Monatsfrist“ im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) bezieht sich auf die sogenannte Wartefrist, die ein Arbeitnehmer erfüllen muss, bevor er den Schutz des KSchG in Anspruch nehmen kann. Das KSchG tritt erst in Kraft, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). Diese Regelung gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer während dieser Wartezeit von 6 Monaten beispielsweise arbeitsunfähig krank war oder aus sonstigen Gründen (z.B. wegen eines Streiks) am Arbeitsplatz gefehlt hat.

Für die Berechnung der 6-Monats-Frist gelten §§ 186, 187 BGB. Tatsächliche Unterbrechungen sind für den Lauf der Wartefrist unschädlich. Maßgebend für den Beginn der 6-Monats-Frist ist allein der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer.

Es ist zu erwähnen, dass das KSchG nicht für Kleinbetriebe mit weniger als 10 Beschäftigten gilt. Nach Ablauf der 6-Monats-Frist ist eine ordentliche Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses nach § 1 Abs. 2 KSchG nur aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

Falls der Arbeitgeber kurz vor Ablauf der Wartezeit die Kündigung ausspricht, um das Entstehen des Kündigungsschutzes nach dem KSchG zu verhindern, kann dies zur Folge haben, dass die Kündigung so behandelt werden muss, als wäre die Wartezeit erfüllt.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 13 Sa 20/23 – Urteil vom 08.09.2023

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 15.12.2022 – Az. 3 Ca 1033/22 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war seit dem 01.03.2022 bei der Beklagten, die mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, als Verkäufer zu einem monatlichen Bruttogehalt i. H. v. 2.228,00 EUR beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages ist eine dreimonatige Probezeit mit einer zweiwöchigen Kündigungsfrist vereinbart. Wegen des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 4 ff. d.A. verwiesen. Ein Betriebsrat ist gewählt.

Mit Schreiben vom 17.08.2023 (Bl. 56 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Zur Begründung der Kündigung führte die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben aus:

„Auf das Arbeitsverhältnis findet das KSchG noch keine Anwendung. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist nicht in unserem Interesse.“

Der Betriebsrat nahm dazu unter dem 24.08.2022 (Bl. 58 d.A.) abschließend Stellung und wies darauf hin, dass er es aufgrund der geringen Besetzung in diesem Warenbereich nicht für tragbar halte, dem Kläger zu kündigen.

Mit Schreiben vom 25.08.2022 (Bl. 8 d.A.), dem Kläger übergeben am 30.08.2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2022. Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 08.09.2022 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Klage gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, dass sich die Kündigung gemäß § 102 BetrVG als unwirksam erweise, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Es sei auch während der Wartezeit nicht ausreichend, dem Betriebsrat lediglich mitzuteilen, „dass“ eine Kündigung ausgesprochen werden solle, sondern es müsse auch angegeben werden, „warum“ an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse mehr bestehe.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25.08.2022 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, dass die Kündigung wirksam sei. Das Kündigungsschutzgesetz finde auf das Arbeitsverhältnis noch keine Anwendung und die Betriebsratsanhörung werde den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zu Wartezeitkündigungen gerecht. Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung sei bei einer Kündigung während der Wartezeit die Substantiierungspflicht nicht an den Maßstäben des noch nicht anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes zu messen, sondern der Arbeitgeber habe lediglich diejenigen Umstände mitzuteilen, die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich seien. Das habe die Beklagte vorliegend getan. Mit der Formulierung, dass an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse bestehe, habe die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat ausreichend deutlich gemacht, dass die Kündigung allein von subjektiven Wertungen getragen sei.

Das Arbeitsgericht Münster hat mit Urteil vom 15.12.2022 (Az. 3 Ca 1033/22), auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz ergänzend Bezug genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 25.08.2022 beendet worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Da das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden habe, finde das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung. Die Kündigung erweise sich auch nicht gemäß § 102 BetrVG als unwirksam, da der Betriebsrat ausreichend informiert worden sei. Die Beklagte habe dem Betriebsrat die Sozialdaten des Klägers mitgeteilt sowie, dass das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung finde und dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht in ihrem Interesse liege. Dies sei nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließe, ausreichend. Denn bei einer Kündigung innerhalb der Wartezeit sei die Substantiierungspflicht nicht an den Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleite. Das folge aus dem Grundsatz der subjektiven Determination.

Das Urteil ist dem Kläger am 29.12.2022 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 11.01.2023 eingelegte und begründete Berufung. Der Kläger macht geltend, dass sich die Kündigung vom 25.08.2022 entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts gemäß § 102 BetrVG als unwirksam erweise, denn die Beklagte habe gegenüber dem Betriebsrat keine Angaben zu den Kündigungsgründen gemacht. Sie habe lediglich ihren Kündigungsentschluss und damit mitgeteilt, „dass“ sie eine Kündigung aussprechen wolle, nicht hingegen, „warum“ sie an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse mehr habe. Ein solches Interesse habe ein Arbeitgeber, der sich für eine Kündigung entscheide, jedoch nie. Wenn der Arbeitgeber nicht verpflichtet wäre mitzuteilen, warum er kein Interesse mehr an der Fortsetzung habe – zB weil der Arbeitnehmer die Erwartungen nicht erfülle oder kein Beschäftigungsbedarf bestehe -, würde die Beteiligung des Betriebsrates „ad absurdum“ geführt. Nur wenn aber der Betriebsrat auch wisse, warum der Arbeitgeber kein Interesse mehr an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses habe, könne er diesen von seinem Kündigungsentschluss abbringen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 15.12.2022 – Az. 3 Ca 1033/22 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25.08.2022 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands zweiter Instanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.09 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach der Art des Streitgegenstands zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. c) ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und auch fristgerecht gegen das am 29.12.2022 zugestellte Urteil am 11.01. 2023 eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) sowie ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO i.Vm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.

II. In der Sache bleibt die Berufung jedoch ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erklärte Kündigung vom 25.08.2022 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.09.2022 aufgelöst.

1. Der Kläger hat den allgemeinen gesetzlichen Kündigungsschutz gemäß § 1 KSchG noch nicht erworben, weil das Arbeitsverhältnis bei Zugang der Kündigung noch keine sechs Monate bestand. Die Kündigung vom 25.08.2022 bedurfte deshalb nicht der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 KSchG.

2. Die Kündigung erweist sich auch nicht, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und begründet hat, mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG als unwirksam. Der Betriebsrat wurde von der Beklagten am 17.08.2022 ausreichend über die Gründe der beabsichtigten Kündigung im Sinn des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG unterrichtet.

a) Die Kündigung des Klägers ist unstreitig innerhalb der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfolgt. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit 13. Juli 1978 – 2 AZR 717/76 – Rn. 13, juris) der Betriebsrat vor einer beabsichtigten Kündigung zu hören. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat „vor jeder Kündigung“ zu hören ist. Auch wenn ein individual-rechtlicher Kündigungsschutz nicht oder noch nicht besteht, soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, auf den Arbeitgeber einzuwirken, um ihn gegebenenfalls mit besseren Argumenten von seinem Kündigungsentschluss abzubringen. Dafür muss der Betriebsrat die Gründe kennen, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen, sei es auch nur den Umstand, dass der Arbeitgeber sich von seinem „Gefühl“ leiten lassend von seiner Kündigungsfreiheit Gebrauch machen will (BAG, Urteil vom 03. Dezember 1998 – 2 AZR 234/98 – Rn. 16, juris).

b) Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet. Dies folgt aus dem Grundsatz der subjektiven Determination (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 20 mwN.). Nach diesem Grundsatz ist der Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 -, Rn. 21, NZA 2013, 1412 ff; vom 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 26 mwN., AP Nr 2 zu Art 77 LPVG Bayern). Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Schildert der Arbeitgeber dem Betriebsrat den seiner Kündigungsentscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt bewusst irreführend, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam. Eine vermeidbare oder unbewusste Fehlinformation macht die Betriebsratsanhörung hingegen noch nicht unwirksam (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 21 mwN., aaO).

Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei Wartezeitkündigungen zu stellen sind, ist deshalb zu unterscheiden zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen. Im ersten Fall genügt die Anhörung den Anforderungen des § 102 BetrVG nur, wenn dem Betriebsrat die zugrundeliegenden Tatsachen bzw. Ausgangsgrundlagen mitgeteilt werden, im zweiten Fall reicht die Mitteilung allein des Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall nicht verpflichtet, im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG sein Werturteil gegenüber der Arbeitnehmervertretung zu substantiieren oder zu begründen, auch dann nicht, wenn die dem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen bzw. Ansatzpunkte einen substantiierbaren Tatsachenkern haben (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 -, Rn. 27, aaO; Urteil vom 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 27 – aaO). Diese Auslegung der Pflichten des Arbeitgebers im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG bei Kündigungen innerhalb der Wartezeit, die auf subjektive Werturteile gestützt werden, ist Konsequenz des Grundsatzes der subjektiven Determination. Da häufig Werturteile nicht durch Tatsachen belegbar sind, kann vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, sein Werturteil gegenüber dem Betriebsrat zu substantiieren oder zu begründen, wenn er die Kündigungsentscheidung lediglich auf ein subjektives, nicht durch objektivierbare Tatsachen begründbares Werturteil stützt. In der Regel beruhen Werturteile auf einer Vielzahl kleinerer Beobachtungen, Vorfälle oder Verhaltensweisen und damit auf mehr oder minder fundierten, objektiven Tatsachen, die der Arbeitgeber oft nicht abschließend reflektieren kann und will und die oft auch nicht objektivierbar sind. Gleichwohl vermitteln diese Umstände in ihrer Gesamtheit dem Arbeitgeber bzw. dem zuständigen Vorgesetzten das Gefühl, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht sinnvoll erscheint, sondern der Arbeitgeber von seiner Kündigungsfreiheit Gebrauch machen will (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 -, Rn. 29, aaO). Dieses Gefühl manifestiert sich dann in einem Werturteil, etwa dass „der Arbeitnehmer die Probezeit nicht bestanden hat“ oder „eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht im Interesse des Arbeitgebers liegt“ (vgl. zu dieser und weiterer Formulierungen BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 -, Rn. 22 und 29 mwN, aaO). Ist Kündigungsgrund allein ein solches subjektives Werturteil, so ist auch nur dieses, nicht aber die Grundlage der subjektiven Einschätzung dem Betriebsrat mitzuteilen.

c) Diesen von dem Bundesarbeitsgericht aufgestellten Anforderungen genügt die Anhörung des Betriebsrats vom 17.08.2022. Sie enthält die Sozialdaten des Klägers und die Mitteilung, dass das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung findet, ferner den Hinweis, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht im Interesse der Beklagten liegt. Damit hat die Beklagte ihre subjektive Entscheidung als Ergebnis ihrer Abwägungen – das Arbeitsverhältnis nicht über die Wartezeit hinaus fortsetzen zu wollen, weil dies nicht in ihrem Interesse liege – dem Betriebsrat vollständig und hinreichend deutlich mitgeteilt. Auf einzelne diesem Werturteil zugrundeliegenden Vorfälle hat die Beklagte sich zur Rechtfertigung ihrer Kündigung nicht berufen. Ihre Vorüberlegungen, die zu ihrer Entscheidung geführt haben, das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Wartezeit zu kündigen, musste sie dem Betriebsrat entgegen der Auffassung des Klägers deshalb auch nicht mitteilen. In der Zusammenschau mit dem Hinweis darauf, dass das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung findet, ließ die Begründung der Beklagten nur den Rückschluss zu, dass die Kündigung allein von subjektiven Wertungen getragen war (vgl. dazu auch BAG,- 6 AZR 121/12 -, a. a.O.).

Dem Kläger ist nicht darin zuzustimmen, dass eine Betriebsratsanhörung innerhalb der Wartezeit damit „ad absurdum“ geführt wird. Denn auch wenn die Beklagte dem Betriebsrat nur mitgeteilt hat, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht in ihrem Interesse liegt, war es dem Betriebsrat unbenommen, auch zu dem subjektiven Werturteil, das allein für den Kündigungsentschluss maßgeblich war, Stellung nehmen. Das hat er vorliegend am 24.08.2021 auch getan.

Nach alledem erweist sich – da weitere Unwirksamkeitsgründe weder dargetan, noch ersichtlich sind – die Kündigung vom 25.08.2022 als rechtswirksam und hat das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2022 beendet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Münster die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Der Kläger und Berufungskläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

IV. Gründe, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Es handelt sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche Bedeutung. Die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich bereits geklärt. Der zu beurteilende Sachverhalt wirft keine neuen Gesichtspunkte auf. Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist nicht erkennbar.

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