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Spielraum für die Ausübung des Direktionsrechts im Arbeitsverhältnis

ArbG Lüneburg – Az.: 4 Ca 239/12 Ö – Urteil vom 10.10.2012

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Erzieherin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden zu beschäftigen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 1.767,54 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Beschäftigung als Erzieherin.

Die am … geborene Klägerin ist seit dem 01.08.1992 bei der Beklagten tätig. Zunächst absolvierte sie das für die Ausbildung zur Erzieherin erforderliche einjährige Anerkenntnispraktikum. Zum 01.08.1993 übernahm die Beklagte sie als Erzieherin. Seit dem 01.09.1994 ist der Arbeitsvertrag vom 29.08.1994 Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien (Anlage K1, Bl. 5 d. A.). Danach ist die Klägerin als Erzieherin beschäftigt. Aktuell ist die Klägerin in Teilzeit bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden tätig. Befristet bis zum 31.07.2011 war die wöchentliche Arbeitszeit auf 26 Stunden angehoben (vgl. Anlage K2, Bl. 6 d. A.).

Seit dem 01.08.2010 ist der Arbeitsort der Klägerin die Kindertagesstätte … . Die entsprechende Mitteilung der Beklagten vom 14.07.2010 liegt als Anlage K3 vor (Bl. 7 d. A.). Das durchschnittliche monatliche Bruttoentgelt der Klägerin beträgt 1.767,54 EUR.

Spielraum für die Ausübung des Direktionsrechts im Arbeitsverhältnis
Symbolfoto: Von Jirsak /Shutterstock.com

Ab dem 10.08.2010 kam es zu Beschwerden von Eltern, deren Kinder die Tagesstätte … besuchten. Die Eltern verlangten von der Beklagten, sich von der Klägerin als Erzieherin zu trennen, weil deren Ehemann Mitglied der NPD ist. Die Beklagte stellte die Klägerin zunächst von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei. Seit dem 31.08.2010 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 09.02.2011 fand ein Personalgespräch statt. In diesem Rahmen legte die Beklagte der Klägerin nahe, künftig nicht mehr als Erzieherin tätig zu sein. Es schloss sich ein Schriftwechsel zwischen den Parteien an (vgl. Anlagen K5 – K8, Bl. 9 – 14 d. A.).

Mit Schreiben vom 19.07.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde „mit sofortiger Wirkung in das Familienbüro umgesetzt und auf dem Arbeitsplatz „Tagespflege, Vor Ort-Überprüfung“ in Teilzeit eingesetzt.“ (Anlage K9, Bl. 15 d. A.). Aufgrund der Erkrankung der Klägerin wurde diese Maßnahme bislang nicht tatsächlich umgesetzt. Mit Schreiben vom 12.08.2011 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte zu einer Rücknahme dieser Maßnahme auf (Anlage K10, Bl. 16, 17 d. A.). Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 08.09.2011 und blieb unter Hinweis auf ihre Fürsorgepflicht bei der getroffenen Entscheidung des Einsatzes der Klägerin im Familienbüro (Anlage K11, Bl. 18 d. A.). Im Februar 2012 bot die Beklagte der Klägerin die Teilnahme an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement an, die Klägerin antwortete darauf über ihre Prozessbevollmächtigten (Anlagen K12, K13, Bl. 19 – 23 d. A.).

Die Klägerin hält die Maßnahme der Beklagten, sie in der Tagespflege einzusetzen, für rechtswidrig. Die als Umsetzung bezeichnete Maßnahme, die schon begrifflich weit darüber hinausgehe, sei von dem Direktionsrecht der Beklagten nicht gedeckt. Sie – die Klägerin – habe aufgrund ihres Arbeitsvertrages einen Anspruch auf Beschäftigung als Erzieherin. Ihrer Fürsorgepflicht könne die Beklagte dadurch genügen, dass sie ein klärendes Gespräch mit den sich beschwerenden Eltern herbeiführe. Durch eine sensible Moderation durch einen Dienstvorgesetzten sei es möglich, zu gewährleisten, dass Ehrverletzungen ihr – der Klägerin – gegenüber ausblieben.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie als Erzieherin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden zu beschäftigen, hilfsweise, festzustellen, dass die Versetzung der Klägerin auf den Arbeitsplatz „Tagespflege, Vor-Ort-Überprüfung“ unwirksam und nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die als Umsetzung anzusehende Maßnahme sei unter dem Gesichtspunkt der gegenüber der Klägerin bestehenden Fürsorgepflicht gerechtfertigt. Die Beklagte behauptet, eine beträchtliche Anzahl von Eltern habe gegen den weiteren Einsatz der Klägerin als Erzieherin in der Kindertagesstätte … protestiert. Aufgrund der noch im Raum stehenden Vorwürfe und der langen Zeit der Arbeitsunfähigkeit solle die Klägerin aus Fürsorgegründen und zu ihrem eigenen Schutz vorerst nicht in einer städtischen Kindertagesstätte als Erzieherin eingesetzt werden. Sie – die Beklagte – sei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, die Persönlichkeitsbelange der Klägerin zu schützen. Hierzu gehöre auch der Schutz vor Ehrverletzungen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin, sollte sie ihre Tätigkeit als Erzieherin in einer städtischen Kindertagesstätte wieder aufnehmen, Beschimpfungen und Ehrverletzungen ausgesetzt sein werde. Gerade im Hinblick auf die Erkrankung der Klägerin seit dem 31.08.2010 genieße ihre – der Klägerin – Persönlichkeit einen besonderen Schutz. Die Beklagte behauptet, die zu erwartenden Konflikte zwischen Eltern und der Klägerin führten dazu, dass die Qualität der Arbeit in der Kindertagesstätte leide. Es sei davon auszugehen, dass der Betriebsfrieden im erheblichen Maße beeinträchtigt werde. Auf dem Arbeitsplatz in der Tagespflege könne die Klägerin ihre pädagogischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen einsetzen.

Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Rechtsauffassungen im Übrigen, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG).

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin kann verlangen, dass die Beklagte sie als Erzieherin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden beschäftigt.

Die Anordnung der Beklagten vom 19.07.2011, wonach die Klägerin „mit sofortiger Wirkung in das Familienbüro umgesetzt und auf dem Arbeitsplatz „Tagespflege, Vor-Ort- Überprüfung“ in Teilzeit eingesetzt“ werde, ist rechtsunwirksam. Diese Versetzung ist nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt.

1.

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst sein Recht, die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers durch einseitige Weisungen näher auszugestalten (BAG, Urteil vom 07.12.2000 – 6 AZR 444/99 – NZA 2001, 780). Dies betrifft Zeit, Ort und Inhalt und Art und Weise der zu leistenden Arbeit, vgl. § 106 GewO. Mit Hilfe des Direktionsrechts ist es dem Arbeitgeber möglich, die Arbeitspflicht inhaltlich näher festzulegen. Die Ausübung des Direktionsrechts unterliegt allerdings vielfältigen Begrenzungen. Der Arbeitsvertrag bildet eine erste Grenze für die Ausübung des Direktionsrechts. In inhaltlicher Hinsicht ist der Spielraum für die Ausübung des Direktionsrechts umso kleiner, je konkreter die Arbeitsaufgabe im Arbeitsvertrag umschrieben ist (vgl. Küttner/Griese, 19. Auflage, Weisungsrecht Rd-Nr. 7). Ist eine Tätigkeitsbeschreibung vertraglich vorgenommen, kann das Tätigkeitsfeld nicht durch Weisungen ohne Versetzung geändert werden (vgl. BAG, Urteil vom 02.04.1996 – 1 AZR 743/95 – NZA 97, 112). Soll dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsbereich zugeteilt werden, bedarf dies einer Versetzung. Eine solche ist nur möglich, wenn der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel enthält. Fehlt eine vertragliche Versetzungsklausel, kann der Inhalt der Arbeitsleistung nur durch eine Änderungskündigung geändert werden.

2.

Nach § 1 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 29.08.1994 hat die Beklagte die Klägerin ausdrücklich als Erzieherin eingestellt. Diese arbeitsvertragliche Vereinbarung beschränkt das Direktionsrecht der Beklagten in inhaltlicher Hinsicht. Die Beklagte kann der Klägerin nur Tätigkeiten als Erzieherin zuweisen. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der von der Beklagten vorgesehene Arbeitsplatz im Familienbüro „Tagespflege, Vor-Ort-Überprüfung“ keine Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin darstellt. Es mag sein, dass die Klägerin auf diesem Arbeitsplatz „ihre pädagogischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen als Erzieherin einsetzen kann“, worauf die Beklagte in ihrem Schreiben vom 19.07.2011 hinweist. Das von der Beklagten in diesem Schreiben genannte Aufgabengebiet der Beratung von Tagespflegepersonen, der Überprüfung von Tagespflegestellen, der Prüfung der persönlichen Voraussetzungen und Qualifikationen der Tagespflegepersonen sowie der Prüfung der räumlichen Gegebenheiten für eine kindgerechte Kindertagesbetreuung stellt nicht eine Beschäftigung als Erzieherin dar. Davon geht auch die Beklagte nicht aus.

Da der Arbeitsvertrag der Parteien eine Versetzungsklausel, wonach die Beklagte berechtigt wäre, der Klägerin andere zumutbare, gleichwertige Tätigkeiten zu übertragen, nicht vorsieht, könnte die Beklagte den Inhalt der Arbeitsleistung nur durch eine – sozial gerechtfertigte – Änderungskündigung abändern. Eine solche hat die Beklagte nicht ausgesprochen.

3.

Das Direktionsrecht erfährt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgeverpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin eine Erweiterung.

Es mag sein, dass sich die Beklagte auch von ihrer Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin hat leiten lassen, als sie angeordnet hat, die Klägerin werde zunächst für zwei Jahre in das Familienbüro umgesetzt und auf dem Arbeitsplatz „Tagespflege, Vor-Ort-Überprüfung“ eingesetzt. Es kann aber dahinstehen, ob die von der Beklagten erwarteten Konflikte zwischen Eltern und der Klägerin die befürchteten Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit in der Kindertagesstätte, den Betriebsfrieden und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin haben würden. Diese führten jedenfalls nicht dazu, dass das Direktionsrecht der Beklagten, das durch den dem Arbeitsverhältnis zugrundliegenden Arbeitsvertrag im Hinblick auf die Tätigkeit der Klägerin ausdrücklich beschränkt ist, wieder aufleben würde mit der Folge, dass die Beklagte die Klägerin losgelöst von der arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit anderen Tätigkeiten als denen einer Erzieherin beschäftigen könnte.

4.

Auf die Frage, ob die politische Gesinnung des Ehemanns der Klägerin die Maßnahme der Beklagten rechtfertigen kann, kam es nicht mehr entscheidungserheblich an. Die Versetzung ist bereits unwirksam, weil der Arbeitsvertrag das Direktionsrecht der Beklagten im Hinblick auf die der Klägerin zuzuweisenden Tätigkeiten auf diejenigen einer Erzieherin beschränkt

II.

Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 3 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Kosten des Rechtsstreits waren vollumfänglich der unterlegenen Beklagten aufzuerlegen.

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, weil Gründe hierfür gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorlagen. Die Zulässigkeit ergibt sich bereits aus dem Gesetz.

 

 

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