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Altersteilzeitarbeitsverhältnis – Bestand

Altersteilzeitvertrag bleibt trotz unwirksamer Dienstvereinbarung bestehen

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund zurückgewiesen und somit den Bestand eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses zwischen den Parteien auf der Grundlage des Vertrags vom 28. Januar 2022 bestätigt. Die Kündigungen des Vertrags durch die Beklagte wurden als nicht wirksam erachtet, da keine ausreichenden Gründe für eine Störung der Geschäftsgrundlage oder einen wichtigen Kündigungsgrund vorlagen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 9 Sa 693/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung des Bestands eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses durch das Gericht.
  2. Die Berufung der Beklagten wurde aufgrund mangelnder Begründung zurückgewiesen.
  3. Kündigungen des Altersteilzeitvertrags durch die Beklagte sind nicht wirksam.
  4. Die Vorstellung der Steuer- und Beitragsfreiheit bestimmter Leistungen bildete eine Geschäftsgrundlage des Vertrags.
  5. Die Unwirksamkeit der Dienstvereinbarung hat keine Auswirkungen auf den Bestand des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.
  6. Eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) wurde vom Gericht verneint.
  7. Vertragsanpassungen hätten statt einer Kündigung verlangt werden sollen.
  8. Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Beklagte.

Altersteilzeit: Ausstieg in den Ruhestand in zwei Phasen

Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis bietet Arbeitnehmern ab 55 Jahren die Möglichkeit, schrittweise in den Ruhestand überzugehen. Es besteht aus zwei Phasen: In der ersten reduzieren Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit, während ihr Gehalt weitergezahlt wird. In der zweiten beziehen sie eine vorgezogene Rente.

Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis ist für Arbeitnehmer interessant, die ihre Arbeitszeit aus gesundheitlichen oder persönlichen Gründen reduzieren möchten, ohne dabei finanzielle Einbußen zu erleiden. Für Arbeitgeber ist es eine Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer schrittweise aus dem Unternehmen auszuscheiden und gleichzeitig junge Fachkräfte einzustellen.

Dabei wirft dieses Modell zahlreiche Rechtsfragen auf, die im Einzelfall geprüft werden müssen. Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm befasst sich mit der Frage, ob ein Altersteilzeitarbeitsvertrag wirksam gekündigt werden kann, wenn die zugrundeliegende Dienstvereinbarung unwirksam ist.

Im Zentrum des Streits stand die Gültigkeit eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, das zwischen einem langjährigen Mitarbeiter und einer gesetzlichen Krankenkasse vereinbart worden war. Der Kläger, seit dem 1. Juli 2013 bei der Beklagten beschäftigt, hatte mit dieser am 28. Januar 2022 einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen, der ihm ermöglichen sollte, ab dem 1. Februar 2022 bis zum 31. Januar 2025 seine Arbeitszeit zu reduzieren und anschließend bis zum 31. Januar 2028 von der Arbeit freigestellt zu werden, während er weiterhin ein aufgestocktes Teilzeitgehalt erhält.

Streit um die Grundlage eines Altersteilzeitarbeitsvertrags

Die Auseinandersetzung entzündete sich, als die Beklagte dem Kläger mitteilte, dass der Altersteilzeitvertrag „nichtig“ sei. Die Begründung: Eine Überprüfung habe ergeben, dass die mit dem Personalrat geschlossene Dienstvereinbarung, auf der der Altersteilzeitvertrag basierte, mangels Rechtsgrundlage unwirksam sei. Diese Vereinbarung sollte ursprünglich die Rahmenbedingungen für Altersteilzeitregelungen innerhalb der Organisation festlegen.

Die juristische Auseinandersetzung und das Urteil

Die Beklagte argumentierte, dass die Unwirksamkeit der Dienstvereinbarung den Altersteilzeitvertrag hinfällig mache, woraufhin sie eine Rückabwicklung des Arbeitsverhältnisses zum Vollzeitarbeitsverhältnis vornahm. Der Kläger hingegen vertrat die Auffassung, dass der Altersteilzeitvertrag unabhängig von der Wirksamkeit der Dienstvereinbarung Bestand habe und focht für dessen Anerkennung. Das Arbeitsgericht Dortmund gab dem Kläger recht und stellte fest, dass ein wirksames Altersteilzeitarbeitsverhältnis besteht, welches nicht wirksam durch die Beklagte angefochten oder gekündigt worden war.

Rechtliche Bewertung und Gründe der Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Hamm wies die Berufung der Beklagten zurück und bekräftigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dortmund. Die Richter erklärten, dass selbst bei einer Unwirksamkeit der Dienstvereinbarung der Altersteilzeitvertrag seine Gültigkeit behält. Sie betonten, dass eine mögliche Unwirksamkeit der Dienstvereinbarung in den Risikobereich der Beklagten fällt und nicht dazu führen kann, dass sich diese einseitig von dem geschlossenen Vertrag lösen kann. Zudem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Kündigung des Vertrags aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage oder aus wichtigem Grund nicht vorlagen.

Schlussfolgerungen aus dem Urteil

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm verdeutlicht die Bedeutung von klar definierten und rechtskonformen Grundlagen bei der Ausgestaltung von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen. Es unterstreicht zudem die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer, die sich auf solche Vereinbarungen verlassen und deren Lebens- und Finanzplanung darauf aufbauen.

Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass Arbeitgeber bei der Gestaltung von Dienstvereinbarungen sorgfältig vorgehen müssen, um spätere rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Gleichzeitig wird Arbeitnehmern geraten, sich bei Unsicherheiten bezüglich der Rechtsgrundlage von Vereinbarungen rechtlich beraten zu lassen, um ihre Rechte effektiv zu wahren.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was ist ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis und welche gesetzlichen Regelungen sind hierfür maßgeblich?

Ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis ist ein Arbeitszeitmodell, das es Arbeitnehmern ermöglicht, ihre Arbeitszeit in den Jahren vor dem Renteneintritt zu reduzieren, um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu schaffen. Dieses Modell ist durch das Altersteilzeitgesetz (AltTZG) geregelt und setzt eine freiwillige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus, da es keinen gesetzlichen Anspruch auf Altersteilzeit gibt.

Voraussetzungen für Arbeitnehmer

Um für eine Altersteilzeit in Frage zu kommen, müssen Arbeitnehmer verschiedene Voraussetzungen erfüllen:

  • Vollendung des 55. Lebensjahres.
  • Mindestens 1.080 Kalendertage sozialversicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeit.
  • Eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die Reduzierung der Arbeitszeit, die mindestens bis zum frühestmöglichen Beginn einer Altersrente reicht.

Regelungen und Modelle

Die Altersteilzeit kann in verschiedenen Modellen umgesetzt werden, wobei die Arbeitszeit insgesamt auf die Hälfte reduziert wird:

  • Gleichverteilungsmodell: Die Arbeitszeit wird über den gesamten Zeitraum der Altersteilzeit gleichmäßig reduziert.
  • Blockmodell: Die Arbeitszeit wird in eine Arbeitsphase (Vollzeit oder Teilzeit) und eine anschließende Freistellungsphase aufgeteilt, während der Arbeitnehmer nicht arbeitet, aber weiterhin ein reduziertes Gehalt erhält.

Arbeitgeber sind verpflichtet, das reduzierte Gehalt der Arbeitnehmer aufzustocken und zusätzliche Rentenbeiträge zu zahlen, basierend auf 80% des vorherigen Gehalts.

Finanzielle Aspekte und Auswirkungen

Die Altersteilzeit soll die finanziellen Auswirkungen auf die spätere Rente der Arbeitnehmer minimieren. Arbeitgeber zahlen während der Altersteilzeit die vollen Rentenbeiträge auf Basis eines fiktiven Gehalts, das 80% des Vollzeitgehalts entspricht, um die Rentenansprüche der Arbeitnehmer weitgehend zu erhalten.

Die Altersteilzeit bietet Arbeitnehmern die Möglichkeit, ihren Übergang in den Ruhestand flexibel zu gestalten, während sie weiterhin soziale Sicherheit genießen. Die spezifischen Bedingungen und die Ausgestaltung der Altersteilzeit hängen von der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie von geltenden Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen ab.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 9 Sa 693/23 – Urteil vom 29.11.2023

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 17. April 2023 – 8 Ca 3068/22 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Bestand eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.

Der am 27. Juli 1961 geborene Kläger ist seit dem 1. Juli 2013 bei der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 13. Juni 2023 in Verbindung mit einem Nachtrag vom 19. Dezember 2013 als Gruppenleiter im Geschäftsbereich Beiträge angestellt. Die Bruttomonatsvergütung beträgt zuletzt 6.020,53 EUR.

Die Beklagte ist als gesetzliche Krankenkasse eine bundesunmittelbare Körperschaft öffentlichen Rechts. Für die betroffene Dienststelle der Beklagten ist ein Personalrat gewählt.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt keiner Tarifbindung.

Am 29. November 2021 schloss die Beklagte mit dem Personalrat eine „Dienstvereinbarung über die Ausgestaltung von Altersteilzeit“. Die Dienstvereinbarung lautet auszugsweise:

㤠1 Altersteilzeitvereinbarung

(1) […] Im Hinblick auf die Verteilung der während des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses insgesamt geschuldeten Arbeitszeit ist eine Blockbildung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ATG in den jeweils gesetzlich vorgesehenen Höchstgrenzen zulässig. Die Vereinbarungshöchstgrenze beträgt derzeit 6 Jahre.“

Wegen des weiteren Wortlauts der Dienstvereinbarung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die Beklagte wies die Arbeitnehmer in einer Personalversammlung im Dezember 2021 auf die Möglichkeit hin, Altersteilzeitverträge abzuschließen.

Unter dem Datum des 28. Januar 2022 schlossen die Parteien einen Altersteilzeitvertrag. Dieser lautet auszugsweise:

㤠2

Arbeitszeit

(1) Die Arbeitszeit während der Alterstellzeit beträgt die Hälfte der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit.

(2) Während der Gesamtdauer des Altersteilzeitvertrags verbleibt es für die Zeit vom 01.02.2022 bis zum 31.01.2025 bei der bisherigen Tätigkeit im Umfang von 39 Stunden pro Woche. Aufgrund des erworbenen Zeitguthabens wird der/die Arbeitnehmerin vom 01.02.2025 bis zum 31.01.2028 von seiner/ihrer Tätigkeit freigestellt.

[…]

§ 4

Anzuwendende Bestimmungen

Für den Altersteilzeitvertrag gelten in allen Belangen, u.a. hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts, der Altersteilzeitleistungen, des Umgangs mit Sonderzahlungen und Gehaltsanpassungen, die gesetzlichen Bestimmungen des Altersteilzeitgesetzes sowie die Dienstvereinbarung über die Ausgestaltung von Altersteilzeit.

§ 5

Arbeitsentgelt und Aufstockungsleistungen

Aufgrund der anzuwendenden Bestimmungen erhält der/die Arbeitnehmer/in einen gesetzlichen Aufstockungsbetrag in Höhe von 20 % zum Teilzeitgehalt auf Basis von 50 % der bisherigen Arbeitszeit sowie einen zusätzlichen betrieblichen Aufstockungsbetrag, so dass insgesamt 85 % des bisherigen um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts, wie der/die Mitarbeiter/in es bis zum Beginn der Altersteilzeit erhalten hat, erreicht werden.“

Wegen des weiteren Wortlauts des Altersteilzeitvertrags wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Mit Datum vom 22. August 2022 teilte die Beklagte dem Kläger schriftlich mit, dass der geschlossene Altersteilzeitvertrag „nichtig“ sei. Eine Überprüfung habe ergeben, dass die mit dem Personalrat geschlossene Dienstvereinbarung mangels Rechtsgrundlage unwirksam sei. Diese stelle mithin keine geeignete Grundlage für die Vereinbarung eines Altersteilzeitverhältnisses über eine Dauer von sechs Jahren dar. Die Beklagte nahm mit der Abrechnung für den Monat August 2022 für die Zeit seit dem 1. Februar 2022 ein Rückabwicklung vor. Im Rahmen dieser wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien wieder als Vollzeitarbeitsverhältnis abgerechnet. Mit anderen betroffenen Arbeitnehmern in Altersteilzeit einigte sich die Beklagte seinerzeit ohne rechtliche Auseinandersetzung auf eine Reduzierung der ursprünglich vereinbarten Altersteilzeitdauer von sechs Jahren auf drei Jahre mit jeweils hälftiger Arbeits- und Freistellungsphase.

Mit weiterem Schreiben vom 23. August 2023 erklärte die Beklagte „vorsorglich“ die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022.

Mit der am 10. Oktober 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 14. Oktober 2022 zugestellten Klage hat der Kläger den Bestand eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses auf der Grundlage des Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022 geltend gemacht.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, am 28. Januar 2022 sei ein wirksamer Altersteilzeitvertrag geschlossen worden. Dieser gelte unabhängig von der Frage, inwieweit die Dienstvereinbarung vom 29. November 2021 wirksam sei. Die Beklagte sei an die Vereinbarung gebunden.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass der zwischen den Parteien am 28. Januar 2022 abgeschlossene Altersteilzeitvertrag wirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, der am 28. Januar 2022 geschlossene Altersteilzeitvertrag sei unwirksam. Hierzu hat die Beklagte behauptet, sie habe im Rahmen einer Schulung der personalverantwortlichen Arbeitnehmer im Mai 2022 durch den Dozenten erfahren, dass der Abschluss einer Dienstvereinbarung zur Altersteilzeit mit einer Dauer von bis zu sechs Jahren rechtlich nicht möglich gewesen sei. Eine daraufhin im Rahmen eines Mailwechsels mit einem Hochschulprofessor durch diesen erfolgte „Begutachtung“ habe dies bestätigt. Hätte sie von der Rechtsunwirksamkeit der Dienstvereinbarung gewusst, wäre der Altersteilzeitvertrag nicht geschlossen worden.

Mit Urteil vom 17. April 2023 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass zwischen den Parteien, begründet durch Vertrag vom 28. Januar 2022, ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis besteht. Es sei ein wirksamer Altersteilzeitvertrag geschlossen worden. Dieser sei auch nicht durch die Beklagte wirksam angefochten oder gekündigt worden. Ein Kündigungsrecht stehe der Beklagten nicht zu, so insbesondere nicht nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 BGB.

Gegen das der Beklagten am 2. Mai 2023 zugestellte Urteil richtet sich deren am 1. Juni 2023 eingelegte und – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27. Juli 2023 – an diesem Tag begründete Berufung.

Die Beklagte meint zum einen, das Arbeitsgericht habe dem Kläger etwas zugesprochen, was er nicht beantragt habe. Zum anderen ist die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags weiterhin der Auffassung, dass sie den unwirksamen Altersteilzeitvertrag vom 28. Januar 2022 habe kündigen können. Die Parteien hätten mit dem Vertrag vom 28. Januar 2022 ein Altersteilzeitverhältnis im Blockmodell für die Dauer von sechs Jahren vereinbart. Die Gewährung ebenfalls vereinbarter steuer- und beitragsfreier Leistungen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b ATG setze gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ATG bei einem Altersteilzeitverhältnis von länger als drei Jahren eine besondere, von § 2 Abs. 1 Nr. 2 ATG abweichende Rechtsgrundlage voraus, welche vorliegend nicht gegeben sei. Denn die Dienstvereinbarung sei unwirksam. Ohne eine derartige besondere Rechtsgrundlage seien steuer- und beitragsfreie Zahlungen nicht möglich. § 4 des Altersteilzeitvertrags stelle unmissverständlich klar, dass in allen Belangen das Altersteilzeitgesetz sowie die Dienstvereinbarung gelten sollten. Hätten sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden seien, wie hier durch die Erkenntnis der Rechtsunwirksamkeit der Dienstvereinbarung nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so könne Anpassung des Vertrags verlangt werden. Zumindest die Beklagte, wohl aber auch der Kläger hätten bei Kenntnis der Unwirksamkeit der Dienstvereinbarung den Altersteilzeitvertrag nicht abgeschlossen. Diese Erkenntnis folge aus dem Umstand, dass steuer- und beitragsfreie Aufstockungsbeträge nun nicht geleistet werden könnten. Die Beklagte gehe davon aus, dass die vorhandene Störung der Geschäftsgrundlage nicht ohne Anpassung des Altersteilzeitvertrages gelöst werden könne.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 17. April 2023 – 8 Ca 3068/22 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er meint weiterhin, auf die Wirksamkeit der Dienstvereinbarung komme es nicht an. Die Beklagte könne sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Die Verhältnisse hätten sich nicht im Sinne des § 313 BGB geändert. Die Kündigungen des Altersteilzeitverhältnisses durch die Beklagte gingen ins Leere. Ein Kündigungsgrund sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist gemäß §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG am 1. Juni 2023 gegen das am 2. Mai 2023 zugestellte Urteil innerhalb der Monatsfrist form- und fristgerecht eingelegt, sowie innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 und 5 ArbGG ordnungsgemäß im Sinne der §§ 520 Abs. 3 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG am 27. Juli 2023 begründet worden.

II. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der zulässigen Klage zu Recht stattgegeben.

Zwischen den Parteien besteht auf der Grundlage des Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022 ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis.

1. Das Arbeitsgericht hat nicht gegen § 308 ZPO verstoßen, indem es – ohne dies in den Entscheidungsgründen zu thematisieren – abweichend vom Klageantrag tenoriert hat.

a) Gemäß § 308 ZPO darf das Gericht einer Partei nicht etwas zu- oder absprechen, was nicht beantragt worden ist. Es ist an die Anträge gebunden und darf daher weder über ein Mehr noch über etwas Anderes befinden (vgl. statt aller: Bundesarbeitsgericht 20. Februar 2014 – 2 AZR 864/12).

Die Anträge der Parteien sind jedoch als Prozesshandlungen der Auslegung fähig. Die zur Auslegung materiell-rechtlicher Rechtsgeschäfte entwickelten Regeln sind entsprechend heranzuziehen. Danach kann nicht der bloße Wortlaut des Antrags entscheidend sein, sondern der durch ihn verkörperte Wille. Es ist dementsprechend nicht nur darauf zu sehen, ob der Antrag für sich allein betrachtet einen eindeutigen Sinn ergibt, sondern es ist auch die dem Antrag beigegebene Begründung zu beachten (statt aller: Musielak/Voit-Musielak, 20. Auflage 2023, § 308 ZPO, Rn. 3 m.w.N.).

a) Im Rahmen der Auslegung des Klagantrags ergibt sich, dass das Arbeitsgericht dem Kläger nicht etwas zu- oder abgesprochen hat, was er nicht beantragt hat. Das Arbeitsgericht hat entsprechend dem klägerischen Begehren, das Bestehen eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses auf der Grundlage der Vereinbarung der Parteien vom 28. Januar 2022 geltend zu machen, den Klagantrag lediglich – im Ergebnis zutreffend – ausgelegt und dementsprechend tenoriert.

2. Die Kammer folgt im Hinblick auf den wirksamen Abschluss des Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022 sowie einer nicht wirksam erfolgten Anfechtung des Altersteilzeitvertrags durch die Beklagte den Gründen der angefochtenen Entscheidung (lit. A, Ziffern I und II der Entscheidungsgründe) und sieht insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 69 Abs. 2 ArbGG.

3. Der zwischen den Parteien geschlossene Altersteilzeitvertrag vom 28. Januar 2022 ist im Übrigen weder mit Schreiben der Beklagten vom 22. August 2022, noch mit Schreiben der Beklagten vom 23. August 2023 wirksam gekündigt worden.

a) Die Beklagte kann sich nicht aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage durch Kündigung gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB von dem geschlossenen Altersteilzeitarbeitsvertrag vom 28. Januar 2022 lösen.

aa) Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 und 2 BGB sind nicht erfüllt.

(1) Haben sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann nach § 313 Abs. 1 BGB Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Einer Veränderung der Umstände steht es nach § 313 Abs. 2 BGB gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen (Bundesarbeitsgericht 4. Mai 2010 – 9 AZR 184/09; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 9. Juni 2021 – 2 Sa 145/20). Hierunter kann auch ein Rechtsirrtum fallen (hierzu umfassend: MüKoBGB-Finkenauer, 9. Auflage 2022, § 313 BGB, Rn. 285 ff.). Aufgrund einer beiderseitigen Interessenabwägung muss die begehrte Vertragsänderung für beide Parteien zumutbar sein (statt aller: Bundesarbeitsgericht 4. Mai 2010 – 9 AZR 184/09). Nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage darf in die Vereinbarung nicht stärker eingegriffen werden, als es durch die Anpassung an die fälschlicherweise als gegeben angenommenen Umstände geboten ist (Bundesarbeitsgericht 10. Februar 2004 – 9 AZR 401/02).

(2) Im Streitfall kann die Kammer zunächst dahinstehen lassen, inwieweit die Dienstvereinbarung vom 29. November 2021 unwirksam ist, weil eine Gesamtdauer für Altersteilzeitverhältnisse von bis zu sechs Jahren nicht hätte vereinbart werden dürfen.

Zwar dürfte viel für die Rechtsauffassung der Beklagten sprechen, wonach eine Dauer der Altersteilzeit über einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren im vorliegenden Fall nicht die Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 2 ATG erfüllt (vgl. zu den Fallgruppen: Rittweger/Petri/Schweikert-Rittweger, 2. Auflage. 2002, § 2 ATG, Rn. 48 ff.). Dies ist jedoch nicht entscheidungserheblich. Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass dies der Fall ist.

(3) Denn selbst wenn die Dienstvereinbarung unwirksam und im Rahmen des Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022 von einer nicht gegebenen Steuer- und Beitragsfreiheit gemäß §§ 3 Nr. 28 EStG; 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SVeV der durch die Beklagte zu erbringenden Leistungen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit a und b ATG auszugehen ist, handelt es sich um einen Rechtsirrtum, der dem Risikobereich der Beklagten zuzurechnen wäre und wegen dem sich die Beklagte nicht auf die Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB berufen kann. Der Beklagten ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen Risikoverteilung, das Festhalten an dem am 28. Januar 2022 geschlossenen Altersteilzeitvertrag zuzumuten.

(a) Es ist gerade der Sinn eines schuldrechtlichen Vertrags, eine Partei zur Erfüllung zu zwingen, auch wenn sie an dem Vertrag nicht mehr festhalten will. Es ist ihr Risiko, wenn sie der Vertrag später reut. Sie hat das „Risiko der Wirklichkeit“ zu tragen (MüKoBGB-Finkenauer, 9. Auflage 2022, § 313 BGB, Rn. 60 m.w.N.) Die entscheidende Frage ist, wann das eingetretene Risiko noch als vertragskonform angesehen werden kann (Bundesgerichthof 16. Februar 2000 – XII ZR 279/97). Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn die Leistung mühsamer oder wirtschaftlich weniger attraktiv wird, als es vorhersehbar war (MüKoBGB-Finkenauer, 9. Auflage 2022, § 313 BGB, Rn. 60 m.w.N.). Insbesondere die rechtliche Zulässigkeit oder Möglichkeit der versprochenen Leistung fällt regelmäßig in die Risikosphäre des Schuldners (Bundesgerichtshof 4. Oktober 1995 – XII ZR 215/94). Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage ist grundsätzlich kein Raum, soweit es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung schließt für den Betroffenen regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (Bundesgerichtshof 9. März 2010 – VI ZR 52/09).

(b) Zunächst hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Vorstellung, wonach der geschlossene Vertrag hinsichtlich der Leistungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b ATG der Privilegierung gemäß §§ 3 Nr. 28 EStG; 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SVeV unterfällt, ein Umstand ist, der den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages wirtschaftlich attraktiv erscheinen lässt und damit auch als Geschäftsgrundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022 angesehen werden kann.

Ebenso zutreffend hat das Arbeitsgericht herausgestellt, dass und wie – über die steuerliche Progression hinaus – auch der Kläger von steuer- und beitragsrechtlich privilegierten Leistungen der Beklagten in einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis profitiert.

(c) Ungeachtet dessen hat die Beklagte – ohne dass der Kläger darauf hätte Einfluss nehmen können – mit dem Personalrat die Dienstvereinbarung vom 29. November 2021 abgeschlossen, deren Wirksamkeit nun in Frage steht. Weiter war es die Beklagte die den Abschluss von Altersteilzeitverträgen auf der Grundlage der Dienstvereinbarung auf einer Personalversammlung im Dezember 2021 gegenüber den Arbeitnehmern beworben hat. Und es ist die Beklagte, die gemäß § 5 des Altersteilzeitvertrags vom 28. Januar 2022 die Zahlung eines Aufstockungsbetrags in Höhe von 20 Prozent zum Teilzeitgehalt auf der Basis von 50 Prozent der bisherigen Arbeitszeit sowie einen zusätzlichen betrieblichen Aufstockungsbetrag schuldet, so dass insgesamt 85 Prozent des bisherigen um die gesetzlichen Abzüge verminderten (und damit: Netto-) Arbeitsentgelts, wie der Kläger es bis zum Ablauf des 31. Januar 2022 erhalten hat, erreicht werden.

Wenn die Beklagte gemeinsam mit dem Personalrat über die geschlossene Dienstvereinbarung ein rechtliches Konstrukt schafft, zudem mit Arbeitnehmern auf dieser – ggf. unwirksamen – Grundlage Altersteilzeitverträge abschließt, wonach über einen Gesamtzeitraum von sechs Jahren Altersteilzeit im Blockmodell in Anspruch genommen werden kann und sie entsprechende Aufstockungsbeträge sowie zusätzliche Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringen hat, um zugunsten des Klägers einen bestimmten Nettoverdienst sicherzustellen, liegt die Sicherstellung des Vorliegens entsprechender steuer- und beitragsrechtlicher Voraussetzungen außerhalb der Einflusssphäre des Klägers. Auch insoweit folgt die Kammer der zutreffenden Argumentation des Arbeitsgerichts. Vor diesem Hintergrund irritiert, wenn die Beklagte meint, sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen zu können, nachdem sie eher beiläufig im Rahmen intern durchgeführter Schulungen Kenntnis darüber erlangt hat, dass der im Hinblick auf die Dauer möglicher Altersteilzeit von sechs Jahren Bedenken bestehen könnten. Vielmehr hätte es ihr vor Abschluss der Vereinbarungen oblegen, den gesamten rechtlichen Rahmen für den Abschluss von Altersteilzeitverträgen prüfen zu lassen. Unterlies sie dies in ausreichendem Umfang, fällt ein für sie entstehender vermeintlicher steuer- und beitragsrechtlicher Nachteil infolge der zu langen Dauer des vereinbarten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit dem Kläger in ihre Sphäre und ihren Risikobereich. Dies betrifft neben dem Aspekt der Risikoverteilung zugleich den Aspekt der „Vorhersehbarkeit“ im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu: Oberlandesgericht Hamm 5. März 2010 – 19 U 69/09, I-19 U 69/09; MüKoBGB-Finkenauer, 9. Auflage 2022, § 313 BGB Rn. 74).

Nach alledem kann sich die Beklagte im vorliegenden Fall schon mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage des Altersteilzeitvertrags im Sinne des § 313 Abs. 1 und 2 BGB berufen.

bb) Selbst wenn zudem die Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 und 2 BGB gestört wäre, könnte sich die Beklagte zudem auf der Rechtsfolgenseite nicht durch eine Kündigung des Altersteilzeitvertrags gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB von diesem lösen.

(1) Eine Grundlagenstörung entfaltet keine Wirkungen ipso iure. Vielmehr begründen § 313 Abs. 1, 2 und 3 BGB lediglich Rechte der beteiligten Parteien, sodass sie selbst entscheiden können, ob der Vertrag unverändert fortgesetzt werden soll oder ob sie ggf. eine Vertragsanpassung verlangen oder sogar ein Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht ausüben wollen. In diesen Rechtsfolgen einer Grundlagenstörung wird deutlich, dass die Privatautonomie der Parteien möglichst gewahrt bleiben soll und ein Gericht durch § 313 BGB keine Macht zum Eingriff in ihre Dispositionen erhält (BeckOGK-Martens, 1. Dezember 2023, § 313 BGB, Rn. 122 f. m.w.N.).

(2) Eine Vertragsauflösung durch Ausübung eines Rücktritts- bzw. Kündigungsrechts kommt nach § 313 Abs. 3 BGB zudem nur in Betracht, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist (Bundesarbeitsgericht 4. Mai 2010 – 9 AZR 184/09; Landesarbeitsgericht Köln 17. Januar 2023 – 4 Sa 580/22; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 9. Juni 2021 – 2 Sa 145/20; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 25. September 2019 – 7 Sa 93/19). Die Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage begründet eine außerhalb des Vertrags liegende, von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche Möglichkeit, sich von den vertraglich übernommenen Verpflichtungen zu lösen. Die Auflösung eines Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage muss zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweislich erscheinen (Bundesgerichtshof 9. März 2010 – VI ZR 52/09; Bundesgerichtshof 26. September 1996 – I ZR 265/95).

(3) Eine Anpassung kann die verschiedensten Inhalte haben (MüKoBGB-Finkenauer, 9. Auflage 2022, § 313 BGB, Rn. 124). § 313 Abs. 1 BGB gibt dem Berechtigten einen Anpassungsanspruch, weshalb der Anspruchsteller auf Zustimmung zu einer Vertragsänderung im Sinne des § 894 ZPO klagen kann (MüKoBGB-Finkenauer, 9. Auflage 2022, § 313 BGB, Rn. 127).

(4) Es ist die Beklagte selbst, die die ausgesprochenen Kündigungen durchgehend damit begründet, es müsse zur Sicherstellung der Steuer- und Beitragsfreiheit der Aufstockungsbeträge im Sinne der §§ 3 Nr. 28 EStG; § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SvEV eine „Anpassung“ des Altersteilzeitvertrags erfolgen. Dann hätte diese in konkreter Art und Weise verlangt und nicht das Altersteilzeitverhältnis in Gänze in Frage gestellt werden dürfen. Die Beklagte hat den Kläger nach bereits erfolgter sechsmonatiger Inkraftsetzung des Altersteilzeitverhältnisses im Zeitraum vom 1. Februar 2022 bis zum Ablauf des 31. Juli 2022 im August 2022 mit einer vermeintlichen „Nichtigkeit“ des am 28. Januar 2022 geschlossenen Altersteilzeitvertrags konfrontiert und – trotz grundsätzlicher Ex-nunc-Wirkung einer etwaigen Kündigung (vgl. dazu BeckOGK-Martens, 1. Oktober 2023, § 313 BGB, Rn. 148) – mit der Abrechnung für den Monat August 2022 eine Rückabwicklung durchgeführt. Selbst wenn sich der Kläger außergerichtlich geweigert haben sollte, in eine Anpassung einzuwilligen, hätte die Beklagte – ohne den Ausspruch einer Kündigung und bei unterstelltem Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 313 Abs. 1 und 2 BGB – im laufenden Altersteilzeitarbeitsverhältnis die für sie bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen müssen, eine Vertragsanpassung zu verlangen und ggf. im Rahmen der Möglichkeiten gemäß § 894 ZPO durchzusetzen. Denn nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage darf in eine Vereinbarung nicht stärker eingegriffen werden, als es durch die Anpassung an die fälschlicherweise als gegeben angenommenen Umstände geboten ist. Dies würde aber geschehen, könnte die Beklagte ohne weiteres eine Beendigung und – wie erfolgt – Rückabwicklung des Altersteilzeitverhältnisses durchsetzen.

Die Beklagte hat auf ausdrückliche Nachfrage der Kammer im Rahmen der Berufungsverhandlung am 29. November 2023 erklärt, sich mit anderen ebenfalls betroffenen Arbeitnehmern auf eine kürzere Dauer der Altersteilzeitverhältnisse verständigt zu haben. Dieser Vortrag verdeutlicht – ohne dass die Kammer dies von sich aus ohne ein Verlangen der Beklagten hätte bestimmen können und ohne dass dies vom Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits umfasst gewesen wäre -, dass die Beklagte eine Anpassung des Altersteilzeitvertrags hätte verlangen können, welche unterhalb der Schwelle der Kündigung gelegen hätte.

b) Die Beklagte kann sich im Hinblick auf die Kündigungserklärungen vom 22. August 2022 und 23. August 2023 schließlich nicht auf einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB oder aber § 314 Abs. 1 BGB berufen.

aa) Eine Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB scheidet bereits deshalb aus, weil die Beklagte nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien in Gänze in Frage stellt (vgl. ErfK-Niemann, 24. Auflage 2024, § 626 BGB, Rn. 1, 3; vgl. im Übrigen die Abgrenzung zur Teilkündigung: Bundesarbeitsgericht 18. Mai 2017 – 2 AZR 721/16; ErfK-Müller-Glöge, 24. Auflage 2024, § 620 BGB, Rn. 49).

bb) Gemäß § 314 Abs. 1 BGB kann ein Dauerschuldverhältnis durch jeden Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt dabei dann vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Für die Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Rahmen des § 314 BGB und insbesondere für Abgrenzungsfragen kann dabei auf die Dogmatik zu § 313 BGB zurückgegriffen werden (LG Offenburg 26. September 2022 – 5 O 21/22 KfH; zum Verhältnis der Regelungen in § 313 BGB und § 314 BGB: MüKoBGB-Gaier, 9. Auflage 2022, § 314 BGB, Rn. 29-35).

Die entsprechenden Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Auf die vorstehenden Ausführungen unter Ziffer 3 lit. a bb wird Bezug genommen. Für eine Kündigung gemäß § 314 BGB als „Ultima Ratio“ kann von vornherein kein wichtiger Grund vorliegen, wenn eine Vertragsanpassung an die veränderten Umstände möglich und den Parteien die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zumutbar ist (vgl. hierzu: MüKoBGB-Gaier, 9. Auflage 2022, § 314 BGB, Rn. 35).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Die Kammer hatte über einen konkreten Einzelfall der Anwendung insbesondere der Regelung des § 313 BGB zu entscheiden und hat sich insoweit vollständig in den Grenzen der bereits ergangenen und in Bezug genommenen höchstinstanzlichen Rechtsprechung bewegt.

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