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Angebot alternativer leidensgerechter Arbeit durch Arbeitnehmer – Annahmeverzug Arbeitgeber

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 6 Sa 1084/15, Urteil vom 12.02.2016

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 07.05.2015 – 4 Ca 1363/14 – abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.221,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.12.2014 zu zahlen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Vergütungsanspruch der Klägerin für die Monate Februar bis Mai 2014 – in denen die Klägerin nicht gearbeitet hat – unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges bzw. Schadensersatzes.

Der Beklagte stellte die am ….1966 geborene Klägerin mit Arbeitsvertrag vom 05.12.2002 (Bl. 56 d.A.) für die Zeit ab dem 01.01.2003 als „Altenpflegerin in der stationären Pflege“ ein. Nach § 2 Arbeitsvertrag ist vereinbart: „Der Arbeitgeber ist berechtigt, wenn das Geschäftsinteresse es erfordert, dem Angestellten eine andere, angemessene Tätigkeit – auch an einem anderen Ort – zuzuweisen.“

Die Klägerin wurde zunächst als Altenpflegerin in der stationären Pflege im Altenpflegeheim L. beschäftigt. Sie erkrankte von 2007 bis 2008. Die Klägerin ließ dem Beklagten einen ärztlichen Kurzbericht vom 27.12.2007 (Anlage K6, Bl. 57 d.A.) zukommen, wonach sie die „alte Tätigkeit nicht weiter ausführen“ könne. Mit Schreiben vom 04.01.2008 (Bl. 112 d.A.) bat die Klägerin um eine Umsetzung in einen teilstationären Bereich, z.B. Tagespflege. In der Zeit vom 06.12.2007 bis zum 03.01.2008 nahm die Klägerin an einer Rehamaßnahme teil. Im ärztlichen Rehaentlassungsbericht vom 18.01.2008 (Anlage K 7, Bl. 58 d.A.) wird u.a. festgestellt: „Sie [die Klägerin] ist als Altenpflegerin tätig und kann dies nicht weiter ausführen.“

In der „2. Änderung zum Arbeitsvertrag vom 28.03.2008“ (Anlage Bl. 194 d.A.) wurde vereinbart: „Frau D. wird bis zur Genesung von Frau S. O. als Pflegefachkraft in der ambulanten Pflege Team Wittenberge umgesetzt. Nach Wiedereintritt von Frau S. O. endet die Umsetzung und Frau D. tritt ihre Tätigkeit im Pflegeheim wieder an.“ Im Team Wittenberge war die Klägerin für die ambulante Pflege und dabei auch für die Pflege der Patienten des Beklagten im Rahmen eines „betreuten Wohnens“ in der größeren Seniorenwohnanlage „H.“ tätig. Gemäß den Anlagen K9, K11 betreute die Klägerin am 20.06.12 (im Rahmen der „Tour: D Wittenberge PFK“) 58 Bewohner und am 05.07.12 (im Rahmen der „Tour: SP PFK Wittenberge“) 60 Bewohner. In diesen 118 Fällen „beschränkte“ sich die Arbeit der Klägerin auf „Medikamente verabreichen“, „Kompressionsverband anlegen“, „Injektion, Insulin“, „BZ-Kontrolle“ und „Augen, Gabe v. Salbe u. Tropfen“. Ob in einem Fall am 20.06.12 eine „Erw. Hilfe bei Ausscheidungen, Lagern und Mobilisieren“ vorgenommen wurde, ist der Liste nicht genau zu entnehmen (Bl. 63 d.A.). Davon abweichend war die Klägerin am Sonntag, den 24.06.12, als Ersatz für eine eingeplante Kollegin in einer dreistündigen „Tour: KD Wittenberge“ tätig, betreute dabei 12 Menschen, davon 7 in der Seniorenwohnanlage H. 60 und nahm 4 mal eine „Kleine Körperpflege“ sowie weitere Tätigkeiten aus dem Bereich der Grundpflege vor (2x „03“, 1x „04“, 1x „05“ und 1x „06“ – Einzelheiten Anlage K10, Bl. 65 d.A.).

Im Juli 2012 (Bl. 50 d.A.) erkrankte die Klägerin längerfristig. Der Beklagte kündigte der Klägerin zum 30.11.2012. Mit Schreiben der Beklagten vom 17.10.2012 (Anlage K8, Bl. 59 d.A.) teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass im Fall des Obsiegens der Klägerin das Arbeitsverhältnis über den 30.11.2012 hinaus fortbestehe. Ein Verbleib in der ambulanten Pflege, Team Wittenberge, und am Standort Wittenberge sei dann nicht mehr möglich. Sie werde daher in die stationäre Pflegeeinrichtung des Beklagten in L. umgesetzt. Die Klägerin informierte den Beklagten über eine stationäre Reha-Maßnahme. Die Klägerin erhielt für die Seniorenwohnanlage H. ein Hausverbot (so mündlich). Mit Schreiben vom 08.11.2012 (Anlage K13, Bl. 72 d.A.) erklärte die Beklagte, dass nach Genesung der Klägerin der „Arbeitsort das Altenpflegeheim L.“ sei. Die Reha-Maßnahme fand in der Zeit vom 12.11.2012 bis zum 03.12.2012 statt. In einem ärztlichen Entlassungsbericht einer Rehaklinik der DRV vom 11.12.2012 (Anlage K12, Bl. 71 d.A.) heißt es u.a. (Bl. 71R d.A.): „A. Letzte berufliche Tätigkeit … Altenpflegerin“ und unter B. 3.: „Unter Beachtung der mit funktionellen Einschränkungen verbunden[en] Einschränkungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates ist die Pat. für ihre letzte (teilweise schwere) Tätigkeit als Altenpflegerin nicht mehr leistungsfähig. Zukünftig könnte sie eine leichte körperliche Arbeit … ausüben.“

Mit Schreiben vom 06.02.2013 (Anlage K14, Bl. 73 d.A.) teilt die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ihre Tätigkeit „bzgl. der Grundpflege“ nicht mehr ausüben könne. „Andere leichtere Tätigkeiten, wie die Behandlungspflege oder ein anderer Arbeitsplatz, für Bürotätigkeiten“ wäre möglich. Am 03.06.2013 fand ein BEM-Gespräch statt, das protokolliert (Anlage K15, Bl. 74 d.A. = maschinenschriftliche Transkription Bl. 192 d.A.) und von der Klägerin mit unterschrieben wurde. Zitiert wird die Klägerin mit der Vorstellung: „reine Behandlungspflege, nichts heben“ (Bl. 192 d.A.). In einer internen Mail der Pflegeleitung an die Geschäftsführung des Beklagten vom 17.06.2013 (Bl. 193 d.A.) erklärte die Pflegeleitung, dass aus fachlicher Sicht ein Einsatz der Klägerin in der ambulanten Pflege ausscheide. Mit Schreiben vom 28.11.2013 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass ihre Krankenkasse sie für die Tätigkeit als Altenpflegerin als dauerhaft arbeitsunfähig einstufe.

Für die Zeit nach ihrer bis zum 09.12.2013 andauernden Arbeitsunfähigkeit beantragte die Klägerin Urlaub und bot bei ihrem Urlaubsantrag für die Zeit danach ihre Arbeitsleistung an i.V.m. der Erklärung, dass sie in Zukunft schwere Arbeit ablehnen werde. Nach ihrem Urlaub erschien die Klägerin am 31.01.2014 im Pflegeheim L. und bot ihre Arbeitskraft an. Seitens der Hausleitung wurde die Klägerin nach Klärung ihrer Einsatzmöglichkeiten wieder nach Hause geschickt. Mit Schreiben vom 03.02.2014 erklärte der Beklagte, dass die Arbeitskraft der Klägerin nicht angenommen werde.

Mit Schreiben vom 12.02.2014 (Anlage K16, Bl. 75 d.A.) bot die Klägerin durch ihre Vertreter ihre Arbeitskraft an und bat um Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit, die mit ihrer Leistungsfähigkeit vereinbar sei.

Der Beklagte forderte von der Klägerin die Durchführung einer Eignungsprüfung, der sich die Klägerin unterzog. Mit Schreiben vom 03.04.2014 (Anlage K17, Bl. 76 d.A.) wurde von der behandelnden Ärztin als Ergebnis mitgeteilt, dass im Anschluss an die Einschätzung der DRV für die Klägerin „nur leichte körperliche Tätigkeiten (wie Bürotätigkeiten, Richten von Medikamenten, Beschäftigungstherapie für Heimbewohner, Verbandwechsel, Infusionsvorbereitung)“ zu empfehlen seien.

Daraufhin sprach der Beklagte mit Schreiben vom 28.02.2014 eine personenbedingte Kündigung der Klägerin aus. Der Kündigungsschutzprozess führte am 11.06.2014 zu einem gerichtlichen Vergleich der Parteien (Anlage K1). Das Ergebnis ist, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin seit dem 01.06.2014 als „Verwaltungskraft“ fortgesetzt wird (bei anfänglichen 20 Wochenstunden und einem Verdienst in Höhe von etwa 856,00 € brutto, Bl. 115 d.A.).

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Vergütung für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.05.2014 in Höhe ihrer letzten Arbeitsvergütung als Altenpflegerin in Höhe von 1.805,42 € brutto monatlich. Dies außergerichtlich mit Schreiben vom 07.07.2014 und vom 27.10.2014 unter Fristsetzung bis zum 10.11.2014. Mit der am 17.12.2014 beim ArbG Neuruppin eingegangenen und dem Beklagten am 20.12.2014 zugestellten Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel gerichtlich weiter.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass ihr – wie ihre Tätigkeit seit 2008 belege – trotz ihrer Einschränkungen eine Tätigkeit ohne schweres Heben möglich gewesen sei. Der Beklagte hätte sie schlicht wieder im Bereich ambulanter Pflege einsetzen müssen, wie es unbefristet durch die Änderung des Arbeitsvertrages vereinbart gewesen sei. Der Beklagte habe die Klägerin auch im Bereich des betreuten Wohnens einsetzen können.

Die Klägerin hat behauptet, dass es sich bei der ambulanten Pflege in der Seniorenwohnanlage im H. im Team Wittenberge für die Klägerin fast nur um Behandlungspflege gehandelt habe. Da die Bewohner in der Wohnanlage alle mobil seien, sei ein schweres Heben dort für die Klägerin nicht erforderlich gewesen. Aufgabe der Klägerin sei lediglich die Behandlungspflege gewesen. Auch in Kurztouren sei sie lediglich für die medizinische Versorgung zuständig gewesen (Anziehen von K-Strümpfen, Verabreichen von Medikamenten, kleine Körperpflege). Dies alles ohne schweres Heben. Belegbar exemplarisch durch den Tagestourenplan für den 20. und 24.06. sowie für den 05.07.2012 (Anlagen K9-K11). Der Entlassungsbericht vom 11.12.2012 (Anlage K12) beziehe sich nur auf die Tätigkeit als Altenpflegerin i.V.m. schwerer Tätigkeit. Die Pflegetätigkeiten in der ambulanten Pflege habe sie gut ausüben können. Die Umsetzung in die stationäre Pflege trotz vorheriger leidensgerechte Umsetzung in die ambulante Pflege in Kenntnis der Arbeitseinschränkung der Klägerin im Bereich stationärer Pflege sei nicht nachvollziehbar. Entgegen entsprechender ausdrücklicher Erklärungen der Klägerin habe der Beklagte an der Umsetzung in den stationären Pflegebereich in L. festgehalten. Die ärztliche Eignungsuntersuchung mit Bericht vom 03.04.2014 (Anlage K17) besage, dass die Klägerin ihre Tätigkeit wie zuvor im Team Wittenberge hätte ausüben können. Das Protokoll der Pflegedienstleiterin in L. beziehe sich lediglich auf die stationäre, nicht auf die ambulante Pflege. In Wittenberge sei auch eine Stelle im ambulanten Pflegebereich frei gewesen (Bl. 52 d.A.).

Darüberhinaus hätte der Beklagte die Klägerin im Februar 2014 auf der Stelle einer Teamleiterin in Perleberg einsetzen können. Diese sei mit Frau R. neu besetzt worden. Als ehemalige stellvertretende Teamleiterin im Team Wittenberge wäre die Klägerin dazu ohne Weiteres in der Lage gewesen. Die Tätigkeit einer Teamleiterin sei auch so organisierbar, dass dabei keine schweren körperlichen Tätigkeiten für die Teamleiterin anfielen.

Die vergleichsweise vereinbarte Stelle hätte der Beklagte der Klägerin im Übrigen auch schon vor dem 01.06.2014 zuweisen können, da die Vorgängerin Frau St. der Klägerin seit Februar 2014 nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz gewesen sei. Eine Umsetzung auf die Stelle der erkrankten Frau St. sei daher schon im Februar 2014 zumindest vertretungsweise möglich gewesen, auch nicht nur um Umfang von 20 Wochenstunden.

Nach allem läge ein Annahmeverzug der Klägerin vor, da die Ausübung des Direktionsrechts durch Umsetzung in den nicht leidensgerechten Bereich stationärer Pflege unbillig i.S.d. Rechtsprechung des BAG sei. Jedenfalls sei ein Schadensersatzanspruch gegeben: das Direktionsrecht des Beklagten hätte ihm eine Umsetzung in den ambulanten Pflegebereich erlaubt. Die Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes sei ihm ohne weiteres möglich gewesen.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 7.221,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, dass in der ambulanten Pflege genauso schwer gehoben werden müsse wie im Bereich der stationären Pflege. Zumindest bei der auswärtigen Pflege seien von den Mitarbeitern des Teams Wittenberge alle Leistungen wie auch im Bereich stationärer Pflege zu erbringen. Dies einschließlich das Lagern und Betten von Pflegebedürftigen. Dies gehe auch aus den Anlagen K9-K11 hervor, z.B. aus Nr. 9 der Anlage K10. Die Klägerin sei nicht umgesetzt worden, weil die Arbeit in Wittenberge leichter gewesen sei, sondern weil sich die Klägerin im Altenpflegeheim gemobbt gefühlt habe. Letztlich käme es aber auf die Vorgeschichte vor der erneuten Erkrankung im Juli 2012 nicht an. Im Übrigen habe die Klägerin beim Versuch einer Arbeitsaufnahme am 31.01.2014 gegenüber der Pflegedienstleitung Frau R.-L. gemäß deren Notizen (Bl. 104-107 d.A.) die Möglichkeit von Pflegearbeit ausgeschlossen. Damit sei die Klägerin auch für die ambulante Pflege nicht einsetzbar gewesen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass mangels Leistungsfähigkeit der Klägerin ein Annahmeverzug ausscheide. Ein Schadensersatzanspruch ebenso, da die Klägerin eine Tätigkeit einer Altenpflegerin in der stationären Pflege und ebenso wenig in der ambulanten Pflege ausüben könne. Ersteres ergäbe sich auch aus dem Anforderungsprofil „Stellenbeschreibung Fachkraft“ (Bl. 103 ff. d.A.). Eine Umorganisation zu Lasten anderer Arbeitnehmer sei nicht geschuldet. Der Arbeitsplatz als Verwaltungsfachkraft sei nicht schon im Februar 2014 frei gewesen, da zwischen der am 11.04.2014 gekündigten Vorgängerin der Klägerin und dem Beklagten ein Kündigungsschutzprozess anhängig gewesen (Beweis: ArbG Neuruppin – 3 Ca 574/14), der erst durch einen Vergleich am 21.07.2014 beendet worden sei. Abgesehen davon erledige die Klägerin die Aufgaben ihrer Vorgängerin nur als Teilzeitkraft reduziert auf qualifizierte Zuarbeiten. Hilfsweise sei darauf zu verweisen, dass die Bitte der Klägerin um einen leidensgerechten Arbeitsplatz mit Schreiben vom 06.02.2013 in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin erfolgte und nicht bis zum Jahresende 2013 fortgewirkt habe.

Mit Urteil vom 07.05.2015 hat das ArbG Neuruppin die Klage abgewiesen. Ein Anspruch aus Annahmeverzug scheide aus, da die Klägerin auch für den ambulanten Bereich arbeitsunfähig gewesen sei. Der Entlassungsbericht vom 11.12.2012 beziehe sich auf ihre ambulante Pflege. Im bEM-Gespräch vom 03.06.2013 sei festgestellt worden, dass die Klägerin auch im ambulanten Bereich der Pflege nicht mehr uneingeschränkt einsetzbar gewesen sei. Auch der Bereich der ambulanten Pflege sei mit schweren körperliche Arbeiten verbunden. Auch ein Schadensersatzanspruch scheide aus. Die Rückversetzung in den stationären Pflegebereich sei zwar fraglich, jedoch nicht kausal, da die Klägerin auch die Pflege im ambulanten Bereich nicht hätte ausüben können. Anderweitige Stellen seien der Klägerin nicht schuldhaft vorenthalten worden. Die Teamleiterstelle nicht, da diese eine Beförderungsstelle sei. Dass ihr Arbeitsplatz als Verwaltungskraft schon vor dem 01.06.2014 frei gewesen sei, habe die Klägerin nicht bewiesen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 07.05.2015 – 4 Ca 1363/14 wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 03.06.2015 zugestellt. Diese hat hiergegen mit Schriftsatz vom 25.06.2015, eingegangen bei Gericht per Fax am 25.06.2015, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 24.07.2015, bei Gericht eingegangen am 28.07.2015, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet.

Die Klägerin behauptet, dass die Mutmaßung des ArbG unzutreffend sei, dass die Erkrankungen 2007 und 2012 auf denselben Krankheitsursachen beruht hätten. Die Erkrankung im Jahr 2012 habe auf einem mobbingbedingten Burn-out der Klägerin beruht (Beweis: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 16.07.2012 und 06.08.2012). Die Reha-Maßnahme 2012 sei jedoch aufgrund der Erkrankung aus dem Jahr 2007 erfolgt. Der Entlassungsbericht vom 11.12.2012 beziehe sich entgegen der Auffassung des Gerichts nicht auf die ambulante Pflege. Grundlage und Bezugspunkt des Berichts sei damals die Rückumsetzung in den stationären Bereich gewesen. Der Bericht verhalte sich zur ambulanten Pflege gar nicht. Auch das Schreiben der Klägerin vom 06.02.2013 beziehe sich nur auf die stationäre Pflege. Die Tätigkeit in der ambulanten Pflege sei um Einiges leichter als die in der stationären Pflege. Die Pflegebedürftigen im Bereich ambulanter Pflege bedürften „keiner so intensiven Betreuung“ wie Pflegebedürftige im stationären Bereich. Auch das Eingliederungsmanagementgespräch am 03.06.2013 habe sich nur auf Tätigkeiten in der stationären Pflege bezogen. Die Bemerkung im Protokoll, dass die Klägerin in der ambulanten Pflege nicht ohne Einschränkungen einsetzbar sei, sei von der Klägerin nicht nachvollziehbar. Dies habe die Klägerin so nie erklärt.

Das ArbG habe auch nicht berücksichtigt, dass sich zwischen 2008 und 2012 der Gesundheitszustand der Klägerin nicht verschlechtert habe.

Die Rückumsetzung der Klägerin Ende 2012 in den stationären Bereich habe nicht billigem Ermessen entsprochen und sei in grundgesetzwidriger Weise unverhältnismäßig gewesen.

Zumindest hätte die Klägerin auch als Teamleiterin eingesetzt werden können. Deren Tätigkeit führe auch ausweislich des DRK-Tarifvertrages Land Brandenburg (Bl. 183 ff. d.A.) nicht zu einer höheren Eingruppierung und auch nicht zur Zahlung einer Funktionszulage.

Die Klägerin beantragt: Das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 07.05.2015, AZ: 4 Ca 1363/14 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 7.221,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass die Klägerin im Streitzeitraum die Tätigkeit einer Pflegefachkraft einer Altenpflegerin in der stationären oder ambulanten Pflege nicht habe erbringen können. Der arbeitsvertragliche Einsatz in der stationären Pflege sei aus „Fürsorgegründen“ und aus „haftungsrechtlichen Gründen“ erfolgt. Nach dem langen krankheitsbedingten Ausfall wäre es unverantwortlich gewesen, die Klägerin ohne Beaufsichtigung ambulante Pflege durchführen zu lassen. Es sei auch nicht so, dass die Arbeiten in der ambulanten Pflege grundsätzlich leichter als die der stationären seien. Dies ergebe sich auch aus dem Anforderungsprofil gemäß dem Qualitätsmanagement-Dokument für Pflegefachkräfte (Bl. 195 ff. d.A.). Im Team Wittenberge sei es auch Aufgabe der Klägerin gewesen, allein mit dem Fahrzeug ambulant zu Pflegende aufzusuchen. Wäre den zu Pflegenden etwas passiert, hätte dem Beklagten Schadensersatz und Strafe gedroht. Eine Tätigkeit als Teamleiterin sei höherwertiger als die einer einfachen Pflegefachkraft. Eine Teamleiterin erhalte Gehalt nach einer anderen Lohngruppe (Bl. 206 ff. d.A.).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung behauptete die Klägerin, das Hausverbot sei ausgesprochen worden, weil sie vor Beginn ihrer Reha in der Wohnanlage privat Patienten aufgesucht habe. Für den Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 b) ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

B. Die Berufung ist begründet. Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten für den Zeitraum Februar bis Mai 2014 einen Anspruch auf Zahlung von 7.221,68 Euro brutto nebst Zinsen.

B.I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten den in seiner Höhe unstreitigen arbeitsvertraglichen Zahlungsanspruch auf Grund eines Annahmeverzuges des Beklagten i.V.m. §§ 611 Abs. 1 BGB, 615 Satz 1 BGB. Auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch der Klägerin, insbesondere aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, kommt es nicht an.

B.I. 1. Der Anspruch der Klägerin ist entstanden.

B.I. 1.1 Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Danach setzt ein Annahmeverzug voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbietet (§§ 294 f. BGB), so dies nicht ausnahmsweise entbehrlich (§ 296 BGB) ist, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig und arbeitswillig ist (§ 297 BGB) und der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt.

B.I. 1.2 Angewandt auf den vorliegenden Fall führt dies zur Feststellung eines Annahmeverzuges des Beklagten.

B.I. 1.2.1 Es liegt ein tatsächliches Arbeitsangebot der Klägerin i.S.d. § 294 BGB vor. Dies folgt aus der Auslegung des Verhaltens der Klägerin nach dem objektiven Empfängerhorizont.

Die Klägerin hat durch Ihr Erscheinen im Altenpflegeheim L. am 31.01.2014 nicht nur ihre Arbeit im Alterspflegeheim L., sondern auch in der ambulanten Pflege allgemein und in der Behandlungspflege und damit auch konkret für eine Arbeit im Seniorenwohnanlage im H. 60 tatsächlich i.S.d. § 294 BGB angeboten (vgl. zur Differenzierung zwischen einem Arbeitsangebot nur für einen bestimmten Arbeitsplatz und einem generellen Angebot aller anderen vertragsgemäßen Tätigkeiten BAG vom 27.08.2008 – 5 AZR 16/08 – juris Rn. 14 = NZA 2008, 1410 = AP BGB § 615 Nr. 124 = EzA § 615 BGB 2002 Nr. 26).

Das Erscheinen der Klägerin im Altenpflegeheim L. ist im Lichte ihres Schreibens vom 06.02.2013 (Anlage K14) zu sehen. Darin schloss sie eine Grundpflege, nicht aber die Behandlungspflege aus. Auch im BEM-Protokoll vom 03.06.2013 (Anlage K15) ist als Wunsch der Klägerin „reine Behandlungspflege“ wiedergegeben. Vor diesem Hintergrund war klar, dass die Klägerin durch ihr Erscheinen im Alterspflegeheim L. nur der Weisung des Beklagten Folge leisten, nicht aber ihr Arbeitsangebot auf die von ihr abgelehnte Arbeit als stationäre Altenpflegerin beschränken, sondern auf alle vertragsgerechten leidensgerechten Arbeitsplätze erstrecken wollte.

Es ist unschädlich, dass die Klägerin nicht beweisen kann, dass sie zudem ausdrücklich eine Tätigkeit in der Behandlungspflege in der Seniorenwohnanlage im H. begehrt hat, wie sie streitig und ohne nähere Darlegung und Beweisantritt mündlich behauptet hat. Da die ambulante Pflege Grund- und Behandlungspflege umfasst und eine Pflegefachkraft gewöhnlich auch Grundpflege „miterledigen“ muss (vgl. Anlage K10), besagte der Wunsch der Klägerin, in der Behandlungspflege ohne Grundpflege beschäftigt zu werden in der Sache nichts anderes, als in der Seniorenwohnanlage H. – wie in den Anlagen K9, K11 illustriert – eingesetzt zu werden. Auf die reine Aktenlage angesprochen, erklärte die Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung, dass ihr Verhalten auch vor dem Hintergrund des ihr gegenüber im Jahr 2012 ausgesprochenen Hausverbotes für die Seniorenwohnanlage im H. zu sehen sei. Entsprechend sei es ihr schwer gefallen, eine Arbeit dort ausdrücklich einzufordern.

Im Ergebnis ist die Klägerin daher im Tatsächlichen so zu stellen, dass sie auch eine alleinige (Weiter-/Wieder-) Beschäftigung in der Seniorenwohnanlage H. vom Beklagten angeboten hat.

B.I. 1.2.2 Die Klägerin war zwar nicht für die stationäre Altenpflege im Altenpflegeheim L., möglicherweise auch nicht für die normale ambulante Pflege im Team Wittenberge, jedoch für die Tätigkeit als Altenpflegerin in der Seniorenwohnanlage im H. 60 leistungsfähig i.S.d. § 297 BGB.

Dies steht nicht im Widerspruch zur neuen Rechtsprechung des 5. Senats des BAG (BAG vom 19.05.2010 – 5 AZR 162/09 = NZA 2010, 1119 = NJW 2010, 3112 = AP GewO § 106 Nr. 10), wonach bei einer wirksam konkretisierten Arbeitsleistungspflicht das Angebot einer alternativen leidensgerechten Arbeit nicht zu einem Annahmeverzug des Arbeitgebers, sondern allenfalls zu einem Schadensersatzanspruch führt. Die Prämisse der Entscheidung des 5. Senats: die Wirksamkeit der Konkretisierung der Arbeitspflicht liegt nicht vor. Die Umsetzung der Klägerin im Schreiben vom 17.10.2012 (Anlage K8) ist eine nach § 106 GewO unwirksame Konkretisierung der Arbeitspflicht.

B.I. 1.2.2.-1 Auch die neue Rechtsprechung des 5. Senats zum Annahmeverzug im Fall der Notwendigkeit einer leidensgerechten Arbeit setzt die Wirksamkeit der Ausübung des Direktionsrechts voraus: der Arbeitgeber muss die Arbeit zuvor „nach § 106 Satz 1 GewO wirksam näher bestimmt“ haben, dies „in rechtlich einwandfreier Art und Weise“ (BAG vom 19.05.2010 – 5 AZR 162/09 – juris Rn. 16 = NZA 2010, 1119 = NJW 2010, 3112 = AP GewO § 106 Nr. 10).

B.I. 1.2.2.-2 Hier wurde zwar die rahmenmäßig vereinbarte Arbeitsleistungspflicht durch das Schreiben vom 17.10.2012 (Anlage K8) auf eine Arbeitsleistung im Altenpflegeheim L. konkretisiert. Dies war jedoch nach § 106 Satz 1 GewO unwirksam.

B.I. 1.2.2.-2.1 Das Schreiben des Beklagten vom 17.10.2012 enthielt eine Umsetzung kraft Weisung. Sie war nicht eine Information über einen eingetretenen Bedingungseintritt. Es lag kein bloßer automatischer „Rückfall“ auf die frühere Tätigkeit in der stationären Altenpflege kraft Bedingungseintritt vor. Die Klägerin war zwar mit der 2. Änderungsvereinbarung vom 28.03.2008 nur bis zur Genesung der Frau O. in die ambulante Pflege im Team Wittenberge umgesetzt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung blieb auch streitig, ob die Klägerin über eine Zeit der Genesung der eigentlich nur zu vertretenen Frau O. hinaus gearbeitet hat (so die Klägerin) oder Frau O. nur in Form von Wiedereingliederungsmaßnahmen und letztlich „nie richtig“ bis zu ihrem Ausscheiden während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gearbeitet hat (so der Beklagte). Nach der Version der Klägerin hat sie über den Vertretungsbedarf hinaus gearbeitet, so dass sie nicht auf Grund eingetretener Bedingung, sondern auf Grund einer neuen Weisung des Beklagten in der stationären Pflegeeinrichtung tätig werden sollte. Nach der Version des Beklagten trat eine Genesung der Frau O. nie ein, so dass auch die auflösende Bedingung der Umsetzungsanordnung nicht vorlag.

B.I. 1.2.2.-2.2 Die Umsetzung der Klägerin in die stationäre Pflegeeinrichtung in L. war unwirksam, § 106 GewO.

B.I. 1.2.2.-2.2.1 Nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB muss eine Weisung, hier die „Umsetzung“ der Klägerin durch das Schreiben vom 17.10.2012, „billigem Ermessen“ entsprechen. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG vom 17.08.2011 – 10 AZR 202/10 – juris Rn. 22 = NZA 2012, 265 = AP GewO § 106 Nr. 14). „Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte Arbeiten zuzuweisen, ist die Zuweisung anderer, nicht leidensgerechter Arbeiten unbillig“ (BAG vom 27.08.2008 – 5 AZR 16/08 – juris Rn. 13 = NZA 2008, 1410 = AP BGB § 615 Nr. 124 = EzA § 615 BGB 2002 Nr. 26).

B.I. 1.2.2.-2.2.2 Hier hat der Beklagte die ihm erkennbaren gesundheitlichen Belange der Klägerin nicht berücksichtigt, ohne dass erhebliche Interessen des Beklagten dem entgegengestanden hätten.

Die gesundheitliche Unzuträglichkeit der Arbeit im Altenpflegeheim für die Klägerin war dem Beklagten entweder bekannt oder er hat sich dieser Einsicht bewusst verschlossen.

Die Klägerin hatte dem Beklagten zumindest den ärztlichen Kurzbericht vom 27.12.2007 (Anlage K6) zukommen lassen, wonach sie die alte Tätigkeit (d.h. damals ihre Tätigkeit als Altenpflegerin in der stationären Pflege) nicht weiter ausführen könne. Mit Schreiben vom 04.01.2008 (Bl. 112 d.A.) hatte die Klägerin um eine Umsetzung in den teilstationären Bereich, z.B. Tagespflege gebeten. Ob die Klägerin den Reha-Bericht vom 18.01.2008 (Anlage K7) dem Beklagten zukommen ließ, ist nicht vorgetragen. Jedenfalls ist davon zu auszugehen, dass der Beklagte zumindest von der Durchführung der Reha-Maßnahme in der Zeit vom 06.12.2007 und 03.01.2008 Kenntnis hatte. Damit war dem Beklagten klar, dass die Klägerin gesundheitliche Probleme hatte. Statt dies zu berücksichtigen oder nachzufragen, welche Arbeit der Klägerin zuträglich war, ordnete der Beklagte eine viel schwerere Arbeit als die vorherige an. Die Arbeit in der stationären Pflege war ersichtlich körperlich schwerer als die Arbeit in der ambulanten Pflege in Wittenberge allgemein oder jedenfalls als die Arbeit in der hauptsächlich Behandlungspflege in der Seniorenwohnanlage im H. 60. Hinzu kommt, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Umsetzung länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt war. Statt ein betriebliches Eingliederungsmanagement einzuleiten – jedenfalls ist ein solches nicht vorgetragen – versetzte der Beklagte die Klägerin stattdessen auf einen gesundheitlich belastenderen Arbeitsplatz als den vorherigen. Das Ergebnis war absehbar, wenn nicht geplant: der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung.

Überwiegende Interessen des Beklagten, die Klägerin im Altenpflegeheim einsetzen zu müssen, bestehen im Ergebnis nicht.

Das Umsetzungsschreiben vom 17.10.2012 (Anlage K8) enthält keine Begründung.

Das Haftungsargument des Beklagten überzeugt nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Weiterbeschäftigung der Klägerin in der Seniorenwohnanlage Wittenberge die Klägerin oder die von ihr zu betreuenden Menschen gefährdet hätten. Die Klägerin nicht, weil die Behandlungspflege in der Seniorenwohnanlage im H. nicht mit einer regelmäßigen schweren körperlichen Tätigkeit verbunden ist. Die Patienten nicht, weil das Verbot der regelmäßigen körperlichen Arbeit für die Klägerin nicht bedeutetet, dass die Klägerin in Not- und Einzelfällen nicht physisch in der Lage war, den zu betreuenden Menschen „unter die Arme zu greifen“. Die Aussage der „Fachkräfte vor Ort“ in der Mail vom 17.06.2013 (Bl. 193 d.A.) („Immer wieder treten Vorfälle, z.B. Stürze, Unfälle oder Vitalstörungen, bei den Patienten auf, die Fachkraft hat die Verantwortung und muss im Bedarfsfall reagieren“), ist eine Aussage, die für die vermeintlich „ausschließlich Mischtouren“ der ambulanten Pflege gelten mag, aber im Hinblick auf die Behandlungspflege wie in den Anlagen K9, K11 nicht nachvollziehbar ist.

Das Verschleißargument des Beklagten überzeugt ebenfalls nicht und blieb abstrakt. Konkret wurde nicht aufgezeigt, welche Leistungserschwerung für andere Pflegefachkräfte eintreten würde. Zu berücksichtigen ist, dass mit der Seniorenwohnanlage H. ein Sonderfall vorliegt. Wäre die Klägerin damit privilegiert worden, hätte die dadurch bedingte Mehrbelastung der Kolleginnen durch mehr normale ambulante Pflege lediglich bedeutet, dass diese die Normalbelastung der normalen Pflege gehabt und nicht die Entlastung der bloßen Behandlungspflege genossen hätten. Eine unzumutbare Belastung der übrigen Kolleginnen allein durch eine normale ambulante Pflege ist aber nicht ersichtlich.

Auch das (mündliche) Organisationsargument des Beklagten überzeugt nicht. Sicherlich ist ein Arbeitgeber nur im Rahmen des ihm organisatorisch Zumutbaren und Möglichen zu einer leidensbedingten Privilegierung eines Arbeitnehmers gezwungen. Konkrete organisatorische Schwierigkeiten, die durch einen Einsatz der Klägerin nur in der Seniorenwohnanlage H. aufgetreten wären, hat der Beklagte jedoch nicht aufgezeigt. So blieb das Argument im Allgemeinen. Insofern greift auch das etwas mehr verdeckte Wunschkonzertargument nicht: Wenn Sonderwünsche, Extravaganzen oder Privilegierungen der Arbeitnehmer – und seien sie krankheitsbedingt – für den Einsatzbetrieb des Beklagten nicht zu managen sind, mag eine Grenze des ihm Zumutbaren erreicht sein. Dies ist aber konkret darzulegen, etwa dadurch, dass die Einschränkungen bei anderen Pflegefachkräften aufgezeigt werden und dass auch diese auf die Zuweisung der „leichten“ Touren in der Behandlungspflege in der Seniorenwohnanlage angewiesen waren.

Es überzeugt auch das hier sogenannte Mischtourenargument nicht. Nach der internen Einschätzung mit Mail vom 17.06.2013 (Bl. 193 d.A.) gibt es in der ambulanten Pflege „ausschließlich Mischtouren“. Dies erscheint zwar abstrakt für die normale ambulante Pflege (vgl. auch konkret Anlage K10) nachvollziehbar, nicht aber für den Sonderfall der Seniorenwohnanlage im H. (vgl. Anlagen K9, K11).

Auch das (mündliche) Ersatzkraftargument überzeugt nicht. Gemeint ist damit das Interesse des Beklagten, die Klägerin im Bedarfsfall als Ersatzkraft für andere ausfallende Pflegefachkräfte des Teams Wittenberge einsetzen zu können (vgl. Anlage K10). Auch hier fehlt es an einem konkreten Vortrag dahingehend, dass es dem Beklagten personalwirtschaftlich nicht zumutbar war, auf die Klägerin als Ersatzkraft für andere Pflegefachkräfte zu verzichten.

B.I. 1.2.3 Ein Annahmeverzug des Beklagten durch die Nichtbeschäftigung ist der Klägerin in der Behandlungspflege in der Seniorenwohnanlage im H. steht auch nicht entgegen, dass eine solche Tätigkeit nicht vertragsgerecht gewesen wäre. Eine reine Tätigkeit der Klägerin wie in den Anlagen K9, K11, d.h. mit (so gut wie) ausschließlicher Behandlungspflege, war vom Arbeitsvertrag der Parteien gedeckt. Eine Behandlungspflege ist eine typische Tätigkeit einer Altenpflegefachkraft.

B.I. 1.2.4 Die Klägerin war für die Tätigkeit in der Seniorenwohnanlage H. leistungsfähig. Sie war für die Grundpflege, nicht aber für die reine Behandlungspflege arbeitsunfähig. Die vorgelegten Anlagen K9, K11 besagen, dass jedenfalls in den Touren „D Wittenberge PFK“ und „SP PFK Wittenberge“ bei 118 Patienten entweder keine oder nur in einem einzigen Fall Grundpflege anfiel.

Der Einwand des Beklagten, die Anlagen seien nur eine temporäre Momentaufnahme, überzeugt nicht. Um Leistungen abrechnen zu können, wird bei dem Beklagten jede Leistung für jeden Patienten festgehalten. Es wäre daher möglich gewesen, anhand anderer Tourenpläne aufzuzeigen, dass im Anspruchszeitraum für die jeweils eingesetzte Pflegefachkraft sehr wohl Grundpflege in einem für die Klägerin nicht gesundheitszuträglichen Umfang anfiel bzw. eine entsprechende Einschätzung des Beklagten in etwa gerechtfertigt gewesen wäre.

Der Einwand des Beklagten, dass auf Grund der Altersentwicklung der Bewohner der Seniorenwohnanlage H. mit einem immer stärkeren Anteil an Grundpflege zu rechnen gewesen sei, überzeugt konkret ebenfalls nicht. Zum einen wurde nicht vorgetragen, dass es sich um eine Wohnanlage mit „jungen“ älteren Menschen handelte. Es ist also kein „Neueröffnungseffekt“ erkennbar, der eine Zunahme des Anteils der Grundpflege erwarten ließ. Zum anderen blieb in der mündlichen Verhandlung die Behauptung der Klägerin unwidersprochen, dass der Beklagte in der Seniorenwohnanlage H. neben Pflegefachkräften auch einfache Pflegekräfte einsetzte und diese die typischen Grundpflegeaufgaben wahrnahmen. Dies ist auch plausibel, da die Größe der Seniorenwohnanlage H. es dem Beklagten ermöglicht, die teuereren Pflegefachkräfte ökonomisch sinnvoll insbesondere für die Behandlungspflege einzusetzen. Insofern weicht der Einsatz der Klägerin in der Seniorenwohnanlage auch von einem hier sogenannten „Toureneinsatz“ (die Klägerin sprach von „Kurztouren“) im Rahmen der normalen ambulanten Pflege ab. Im Rahmen der normalen ambulanten Pflege kann vermehrt auch Grundpflege anfallen, da die Möglichkeit der Arbeitsteilung entfällt, da eine Pflegefachkraft bei einem Patienten zu Hause alles erledigen muss und sich nicht auf die bloße Behandlungspflege beschränken kann.

Es liegt auch keine Teilarbeitsunfähigkeit der Klägerin vor, die es rechtlich nicht gibt und die zu einer Gesamtarbeitsunfähigkeit führt. Dies deshalb nicht, weil der Umfang der Arbeitsunfähigkeit auf den vorab zu klärenden Umfang der Arbeitsleistungspflicht zu beziehen ist. Bezogen auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz in der Seniorenwohnanlage H. war die Klägerin im vollen Umfang arbeitsfähig (vgl. auch BAG vom 04.10.2005 – 9 AZR 632/04 – juris Rn. 14 = NZA 2006, 442 = NJW 2006, 1691: „Eine den Annahmeverzug ausschließende Unmöglichkeit ist jedoch nicht schon deshalb anzunehmen, weil der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person nur einen Teil, nicht aber alle Arbeiten verrichten kann, die zum Spektrum der vertraglich vereinbarten Tätigkeit gehören. Andernfalls bliebe außer Acht, dass der Arbeitgeber gemäß § 106 Satz 1 GewO sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben und dabei auch die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat“; vgl. auch BAG vom 09.04.2014 – 10 AZR 637/13 – juris Rn. 30 = NZA 2014, 719).

B.I. 1.2.5 Die Klägerin allein in der Behandlungspflege in der Seniorenwohnanlage H. einzusetzen, war dem Beklagten zumutbar.

Die Argumente des Beklagten (Verschleißargument, Organisationsargument, Ersatzkraftargument, Haftungs- und Wunschkonzertargument) wurden schon im Rahmen der Billigkeit der Umsetzung diskutiert und für nicht durchschlagend bewertet.

B.I. 2. Der Anspruch der Klägerin ist nicht untergegangen. Ihrem Arbeitsvertrag ist keine Ausschlussfrist zu entnehmen. Die Geltung einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist (kraft konkludente Bezugnahme) hat der Beklagte nicht vorgetragen.

B.II. Die Zinsforderung folgt aus Verzug, §§ 286, 288 BGB, geltend gemacht ab Rechtshängigkeit.

C.I. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 ZPO. Die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

C.II. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen. Die Entscheidung ergeht in Abgrenzung zu der Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 19.05.2010 – 5 AZR 162/09 – NZA 2010, 1119 = NJW 2010, 3112 = AP GewO § 106 Nr. 10. Diese Entscheidung des BAG kann den aus hiesiger Sicht falschen Eindruck erwecken, dass die Leistungskonkretisierung durch den Arbeitgeber zunächst unabhängig von einer schon vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigung des Arbeitnehmers vorgenommen werden kann. Des Weiteren bedürfen die Anforderungen an ein tatsächliches Arbeitsangebot nach unwirksamer Zuweisung eines nicht leidensgerechten Arbeitsplatzes in Bezug auf einen zuvor vom Arbeitnehmer nicht spezifiziert geltend gemachten leidensgerechten Arbeitsplatz der Klärung. Dies in Abstimmung mit den Entscheidungen des 2., 6., 9. und 10. Senats des BAG, die der vorgenannten Rechtsprechung des 5. Senats entgegenstehen (vgl. BAG vom 06.12.2001 – 2 AZR 422/00 – NZA 2002, 999; BAG vom 13.08.2009 – 6 AZR 330/08 – juris Rn. 15 = NZA-RR 2010, 420; BAG vom 04.10.2005 – 9 AZR 632/04 – NZA 2006, 442 = NJW 2006, 1691; BAG vom 09.04.2014 – 10 AZR 637/13 – juris Rn. 30 = NZA 2014, 719).

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