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Auslegung einer Urlaubsregelung – Altersgrenze

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 18 Sa 81/17, Urteil vom 13.07.2017

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. Januar 2017 – 54 Ca 8593/16 – abgeändert:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger im Jahre seines Ausscheidens bei der Beklagten aufgrund Inanspruchnahme der Rente für besonders langjährige Versicherte gemäß Nr. 3.4 Satz 3 des Urlaubstarifvertrages für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (UTV) Anspruch auf den vollen Jahresurlaub und mithin Anspruch auf Abgeltung von 22 Urlaubstagen in unstreitiger Höhe von 7.108,42 EUR brutto hat.

Wegen des diesem Streit zugrunde liegenden unstreitigen Sachverhaltes und des streitigen Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 44 – 46 d. A.) sowie auf die zwischen den Parteien in der Eingangsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Durch Urteil vom 04. Januar 2017 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Urlaubsanspruch des Klägers sei im Jahre seines Ausscheidens nicht zu kürzen gewesen, da mit Ausscheiden „wegen Erreichung der Altersgrenze“ in Nr. 3.4 UTV nicht die „Regelaltersgrenze“ i.S.d. § 235 SGB VI gemeint sei.

Auslegung einer Urlaubsregelung - Altersgrenze
Symbolfoto: style-photographs/Bigstock

Vielmehr sei der verwendete Begriff „Altersgrenze“ der Oberbegriff mit größerem Begriffsumfang, so dass auch andere Altersgrenzen umfasst seien. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung der Entscheidung wird auf die dortigen Gründe (Bl. 46 – 48 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 18. Januar 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 19. Januar 2017 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 16. März 2017 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie vertritt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter die Meinung, ein Anspruch des Klägers sei nicht gegeben und verweist auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, in der bei Auslegung einer ähnlichen Formulierung insbesondere auf die verwendete Einzahl („der“ Altersgrenze) abgestellt worden sei, so dass nur eine für alle Arbeitnehmer gleich geltenden Altersgrenze, nämlich die Regelaltersgrenze gemeint sein könne.

Ferner verweist sie darauf, dass die Ziele der Bundesregierung bei Einführung der Rente für besonders langjährig Beschäftigte im Jahre 2014 für die Auslegung der aus dem Jahre 2006 stammenden Tarifnorm irrelevant seien.

Auch sei die Abschlagsfreiheit der Rente kein geeignetes Auslegungskriterium, da der Tarifvertrag an den Rentenbezug anknüpfe. Schließlich seien Versicherte, die bereits mit 63 Rente beziehen, auch in der Sozialversicherung nicht den Versicherten gleichgestellt, die erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze Rente beziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 13. März 2017 und den Schriftsatz vom 30. Mai 2017 verwiesen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils der ersten Instanz die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt den Ausführungen der Beklagten in der Berufungsinstanz entgegen.

Er verweist darauf, dass der MTV keine Regelung enthalte, wonach das Arbeitsverhältnis bei Bezug einer Altersrente automatisch ende, was ein entscheidendes Auslegungskriterium des Bundesarbeitsgerichts gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbeantwortungsschriftsatz vom 27. März 2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG statthaft und frist- und formgerecht i. S. d. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache auch Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 7.108,42 EUR brutto nebst Zinsen gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG i.V.m. Nr. 5 UTV, denn der Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2016, dem Jahr seines Ausscheidens bei der Beklagten, ist erfüllt.

Der Kläger hatte für 2016 keinen Anspruch auf den vollen Jahresurlaub gemäß Nr. 3.4 Satz 3 UTV, denn diese Regelung (“ Scheiden Beschäftigte innerhalb des Urlaubsjahres wegen Erreichung der Altersgrenze aus, so haben sie Anspruch auf den vollen Jahresurlaub“) erfasst nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer lediglich das Ausscheiden wegen Erreichung der Regelaltersgrenze.

Nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift schuldet der Beklagte nur dann den vollen Urlaub, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Erreichung „der“ Altersgrenze endet. Bereits diese Formulierung, nämlich der Gebrauch der Einzahl, spricht dafür, dass Anspruchsvoraussetzung nicht das Erreichen irgendeiner der Altersgrenzen ist, die nach Maßgabe der §§ 35 ff. SGB VI zum Bezug einer Altersrente berechtigen.

Gemeint ist vielmehr eine Altersgrenze, die für alle Arbeitnehmer in gleicher Weise gilt. Das ist nach § 35 SGB VI das 65. Lebensjahr.

(BAG, Urteil vom 21. November 2000 – 9 AZR 654/99 –, zitiert nach juris)

Der Wortlaut der Regelung, die unter Verwendung des Singulars von „der“ Altersgrenze und nicht von „einer“ Altersgrenze spricht, ist demnach ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien, bei denen als bekannt vorausgesetzt werden darf, dass es im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages verschiedene Altersgrenzen gab, die die Möglichkeit eröffnen, die unterschiedlichen Arten der Altersrente in Anspruch zu nehmen, hiermit lediglich die Altersgrenze in Bezug auf die Regelaltersrente gemeint haben.

§ 35 SGB VI in der zum Zeitpunkt des Abschlusses des UTV geltenden Fassung lautet: „Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.“ Diese Vorschrift kennt zwar noch nicht den Begriff der Regelaltersgrenze, die erst im Jahre 2007 eingeführt worden ist. Allerdings enthält die Vorschrift in der seinerzeit geltenden Fassung gleichwohl unter Nr. 1 gesetzlich geregelt eine Altersgrenze für den Bezug der Regelaltersrente.

Daneben gab es bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages weitere Altersgrenzen, die erfüllt sein mussten, um vorgezogene Altersrenten in Anspruch zu nehmen, beispielsweise die vorgezogene Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 SGB VI oder die Altersrente für schwerbehinderte Menschen, § 37 SGB VI.

Jede vorgezogene Altersrente benennt auch Altersgrenzen als Voraussetzung für ihren Bezug. Es gibt also nicht nur eine, sondern mehrere Altersgrenzen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Hätten die Tarifvertragsparteien hier sämtliche Arten der verschiedenen Altersgrenzen im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung erfassen wollen, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die tarifliche Regelung so zu formulieren, dass nicht auf die Erreichung der Altersgrenze, sondern auf den Bezug einer Altersrente abgestellt wird.

(LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 08. Juli 2016 – 9 Sa 16/16 –, zitiert nach juris)

Auch der Umstand, dass der Begriff der „Regelaltersgrenze“ erst nach Inkrafttreten des UTV im Jahre 2006 – der im Übrigen soweit ersichtlich seitdem auch nicht mehr geändert worden ist –, nämlich im Jahre 2007, überhaupt erst in der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt worden ist, spricht für die hier gefundene Auslegung.

Denn die Tarifvertragsparteien hatten noch keine Veranlassung, diesen Begriff zu verwenden, sondern konnten lediglich durch die Verwendung der Einzahl oder Mehrzahl eine Differenzierung herbeiführen.

Dass die Tarifvertragsparteien mit der streitigen Regelung die Altersgrenze für den Bezug der Regelaltersrente gemeint haben, ergibt sich nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer auch aus dem Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlung für Arbeiter und Angestellte der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg vom 07. Januar 1997.

Dessen Nr. 2.6 Abs. 2 differenziert nämlich zwischen dem Ausscheiden wegen Erreichens der Altersgrenze und der Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes.

Diese Norm zeigt, dass die Tarifvertragsparteien genau zwischen der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung als Grundlage des Bezugs der Regelaltersrente und sonstigen vorgezogenen Altersruhegelder oder flexiblen Altersgrenzen unterschieden haben.

Da innerhalb ein und desselben Tarifwerkes ein bestimmter Rechtsbegriff einheitlich auszulegen ist, ist auch aufgrund dieses Umstandes davon auszugehen, dass Nr. 3.4 Satz 3 UTV die Altersgrenze für den Bezug einer Regelaltersrente der gesetzlichen Rentenversicherung meint.

(vgl. auch LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 08. Juli 2016 – 9 Sa 16/16 –, zitiert nach juris)

Aus diesem Grunde gehen auch die Bedenken des Klägers gegen eine Übertragung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.11.2000 (9 AZR 654/99) auf den vorliegenden Sachverhalt fehl.

Zutreffend ist zwar, dass in dem dortigen Tarifwerk entgegen dem Tarifwerk für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin keine zwingende Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Altersgrenze enthalten ist.

Nr. 3.4 Satz 3 UTV kann nach seinem Zweck deshalb zwar nicht der Kompensation einer zwangsweisen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze dienen.

Der Zweck der Regelung in der hier gefundenen Auslegung kann aber auch darin bestehen, die Arbeitnehmer zu privilegieren, die (erst) mit Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, also die Arbeitnehmer zu honorieren, die gewissermaßen bis zum Schluss durchgehalten haben und nicht das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet haben, um in den Genuss einer vorgezogenen Altersrente zu gelangen.

(vgl. auch LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 08. Juli 2016 – 9 Sa 16/16 –, zitiert nach juris)

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil erster Instanz abzuändern und die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.

III.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG gegen die am Einzelfall orientierte und unter Beachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung ergangene Entscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung bestand kein rechtlich begründeter Anlass.

Der Kläger wird auf die Möglichkeit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen.

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