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Betriebsratsersetzung – verweigerte Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung

Das ArbG Gießen entschied am 26.07.2023 im Fall Az.: 2 BV 1/23, dass die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds nicht ersetzt wird. Die Kündigung wurde als unbegründet betrachtet, da kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Der Antrag der Arbeitgeberin wurde zurückgewiesen, da der betroffene Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit ordnungsgemäß gemeldet hatte und keine Pflichtverletzung begangen hat.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Antrag der Arbeitgeberin zur Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung wurde zurückgewiesen.
  2. Es fehlte an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung.
  3. Der Arbeitnehmer hatte sich ordnungsgemäß krankgemeldet; keine Pflichtverletzung vorliegend.
  4. Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers wurde nicht hinreichend widerlegt durch die Arbeitgeberin.
  5. Teilnahme am Bürgerdialog stellt keine genesungswidrige Handlung dar.
  6. Kein Beweis für eine nicht vorhandene Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitgeberin.
  7. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Arbeitsunfähigkeit wurde bekräftigt.
  8. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei gemäß § 2 Abs. 2 GKG.

Zustimmung des Betriebsrats zu Kündigungen

Die Zustimmung des Betriebsrats zu personellen Maßnahmen wie Kündigungen ist ein wichtiges Instrument der Mitbestimmung im Arbeitsrecht. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kommt es auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verweigerung an. Dabei sind sowohl die Rechte des Arbeitgebers als auch die des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Die Verweigerung der Zustimmung kann weitreichende Folgen haben und zum Scheitern beabsichtigter Maßnahmen führen.

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Verweigerte Betriebsrat-Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung
Betriebsrat-Zustimmung zu Kündigung verweigert(Symbolfoto: Spitzi-Foto /Shutterstock.com)

Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds durch das Arbeitsgericht ersetzt werden kann. Die Auseinandersetzung entzündete sich an der beabsichtigten Entlassung eines Mitarbeiters, der zugleich Mitglied des Betriebsrats war, durch die Arbeitgeberin, eine GmbH, die Kundenservice-Dienstleistungen über Medienkanäle erbringt.

Der Anlass der juristischen Auseinandersetzung

Die rechtliche Kontroverse begann, als der betroffene Betriebsratsmitglied seine Arbeitsunfähigkeit am Tag eines wichtigen Bürgerdialogs meldete, an dem er später jedoch teilnahm. Diese Teilnahme nutzte die Arbeitgeberin als Anlass, eine außerordentliche Kündigung anzustreben, woraufhin der Betriebsrat seine Zustimmung verweigerte. Die Arbeitgeberin argumentierte, dass das Verhalten des Mitarbeiters keinen triftigen Krankheitsgrund darstelle und somit eine Pflichtverletzung vorliege, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertige.

Kernprobleme und rechtliche Herausforderungen

Das Kernproblem dieses Falls lag in der Bewertung, ob die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds am Bürgerdialog während gemeldeter Arbeitsunfähigkeit eine hinreichende Pflichtverletzung darstellt, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Die rechtliche Herausforderung bestand darin, die Grenzen der Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat auszuloten und festzustellen, inwiefern das Arbeitsgericht befugt ist, diese Zustimmung zu ersetzen.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen

Das Arbeitsgericht Gießen stellte fest, dass die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung nicht ersetzt werden kann, da die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nicht gegeben waren. Es fehlte an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Die Argumentation der Arbeitgeberin, der Mitarbeiter habe sich genesungswidrig verhalten, fand keine ausreichende Beweisgrundlage. Zudem betonte das Gericht, dass Arbeitsunfähigkeit nicht bedeutet, dass ein Arbeitnehmer zu keiner Aktivität fähig ist, sondern lediglich, dass er seine arbeitsvertraglichen Aufgaben nicht erfüllen kann.

Rechtliche Einordnung und Begründung

Die rechtliche Einordnung des Falls berücksichtigte insbesondere die Definition und Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung. Das Gericht folgte der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers für den gesamten Arbeitstag gilt, selbst wenn eine Besserung des Gesundheitszustandes im Laufe des Tages eintritt. Die Entscheidung unterstrich, dass ohne eine eindeutige Pflichtverletzung oder ein gesundheitswidriges Verhalten die Grundlagen für eine außerordentliche Kündigung nicht gegeben sind.

Das Gericht wies den Antrag der Arbeitgeberin zurück und entschied, dass die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände nicht gerechtfertigt ist. Diese Entscheidung verdeutlicht die hohen Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds und stärkt die Schutzmechanismen für Arbeitnehmervertretungen im Konfliktfall.

Das Arbeitsgericht Gießen bestätigte die Notwendigkeit eines wichtigen Grundes für die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds und unterstrich die Bedeutung der arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei einer außerordentlichen Kündigung?

Der Betriebsrat spielt bei einer außerordentlichen Kündigung eine wesentliche Rolle. Vor dem Ausspruch einer solchen Kündigung muss der Arbeitgeber den Betriebsrat anhören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung sowie die Sozialdaten des betroffenen Arbeitnehmers mitteilen. Der Betriebsrat hat dann je nach Art der Kündigung eine bestimmte Frist, um seine Stellungnahme abzugeben. Bei einer außerordentlichen Kündigung beträgt diese Frist drei Tage.

Für Mitglieder des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern ist eine außerordentliche Kündigung nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, diese zu ersetzen. Nach Beendigung der Amtszeit eines Betriebsratsmitglieds besteht ein nachwirkender Kündigungsschutz von einem Jahr, währenddessen eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Für eine außerordentliche Kündigung ist in diesem Zeitraum keine Zustimmung des Betriebsrats erforderlich, jedoch muss eine Anhörung stattfinden.

In Fällen, in denen eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ausgesprochen wird, muss dem Arbeitnehmer ein Schutzstandard gewährt werden, der dem der ordentlichen Kündigung entspricht. Dies bedeutet unter anderem, dass dem Betriebsrat bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht zusteht.

Zusammenfassend ist die Anhörung des Betriebsrats ein unverzichtbarer Schritt im Prozess einer außerordentlichen Kündigung, und der Betriebsrat hat das Recht, seine Bedenken gegen die Kündigung zu äußern. Bei Betriebsratsmitgliedern und anderen geschützten Personenkreisen ist zudem die Zustimmung des Betriebsrats oder eine gerichtliche Entscheidung erforderlich.

Unter welchen Umständen kann die Zustimmung des Betriebsrats zu einer Kündigung verweigert werden?

Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zu einer Kündigung unter bestimmten Umständen verweigern. Diese Umstände sind im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und in der Rechtsprechung geregelt. Generell muss der Betriebsrat vor jeder Kündigung angehört werden, wobei seine Zustimmung nicht zwingend erforderlich ist, damit eine Kündigung wirksam wird. Es gibt jedoch Ausnahmen, insbesondere bei der außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern und anderen geschützten Personenkreisen, bei denen die Zustimmung des Betriebsrats oder eine gerichtliche Entscheidung erforderlich ist.

Zustimmungsverweigerung bei außerordentlichen Kündigungen

Bei der außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern ist die Zustimmung des Betriebsrats zwingend erforderlich. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, diese zu ersetzen. Das Gericht ersetzt die Zustimmung, wenn es die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt hält.

Gründe für die Zustimmungsverweigerung

Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zu einer Kündigung verweigern, wenn er Bedenken gegen die Kündigung hat. Diese Bedenken können sich auf die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe, die Einhaltung von Verfahrensvorschriften oder die soziale Rechtfertigung der Kündigung beziehen. Der Betriebsrat muss seine Bedenken dem Arbeitgeber schriftlich mitteilen. Rechtliche Folgen hat die Verweigerung der Zustimmung in den meisten Fällen jedoch nicht, es sei denn, es handelt sich um eine der oben genannten Ausnahmen.

Widerspruchsrecht des Betriebsrats

Bei ordentlichen Kündigungen hat der Betriebsrat das Recht, der Kündigung zu widersprechen, wenn er der Meinung ist, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist oder bestimmte soziale Auswahlkriterien nicht beachtet wurden. Ein solcher Widerspruch kann den Arbeitgeber dazu verpflichten, den gekündigten Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.

Die Zustimmung des Betriebsrats zu einer Kündigung ist in der Regel nicht erforderlich, damit diese wirksam wird. Ausnahmen bestehen bei der außerordentlichen Kündigung bestimmter geschützter Personenkreise. Der Betriebsrat kann seine Zustimmung verweigern, wenn er Bedenken gegen die Kündigung hat, wobei diese Verweigerung meist keine unmittelbaren rechtlichen Folgen hat. In Fällen, in denen die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich ist und verweigert wird, kann der Arbeitgeber versuchen, die Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen.

Was geschieht, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Kündigung verweigert?

Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Kündigung verweigert, hat dies in den meisten Fällen keine unmittelbaren rechtlichen Folgen für die Wirksamkeit der Kündigung. Allerdings gibt es Ausnahmen, insbesondere bei der außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern und anderen geschützten Personenkreisen. In diesen Fällen ist die Zustimmung des Betriebsrats zwingend erforderlich, und eine ohne Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

Der Betriebsrat kann seine Zustimmung verweigern, wenn er Bedenken gegen die Kündigung hat, beispielsweise weil die Kündigungsgründe nicht ausreichend sind oder die soziale Rechtfertigung fehlt. Eine solche Verweigerung hat keine rechtlichen Konsequenzen, außer in den genannten Ausnahmefällen.

Bei Betriebsratsmitgliedern, Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern kann der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats beim Arbeitsgericht ersetzen lassen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist.

In Fällen, in denen der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert und der Arbeitgeber keine gerichtliche Entscheidung zur Zustimmungsersetzung anstrebt, kann der Arbeitgeber die Kündigung dennoch aussprechen. Die Kündigung ist jedoch wirksam, solange sie nicht gegen andere gesetzliche Vorschriften verstößt, wie beispielsweise bei einer ordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, die ausgeschlossen ist.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 103 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz): Regelt das Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats bei außerordentlichen Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern. Im vorliegenden Fall wollte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ersetzen lassen, was jedoch abgelehnt wurde.
  • § 626 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Definiert die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit sofortiger Wirkung. Im Urteil wurde festgestellt, dass kein wichtiger Grund für eine solche Kündigung vorlag, da der betroffene Arbeitnehmer seine Pflichten nicht verletzt hatte.
  • § 102 BetrVG: Beschreibt die Anhörung des Betriebsrats vor Kündigungen. Dieser Paragraph ist relevant, da der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung verweigerte, nachdem die Arbeitgeberin den Betriebsrat angehört hatte.
  • § 5 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz): Beinhaltet Regelungen zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Im Kontext des Urteils wurde angeführt, dass der Arbeitnehmer am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit keine solche Bescheinigung vorlegen musste, was die Argumentation der Arbeitgeberin schwächte.
  • BAG-Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13: Wird zitiert, um die Rechtsauffassung zu stärken, dass Arbeitsunfähigkeit den Arbeitnehmer für den gesamten Arbeitstag von der Arbeitspflicht befreit, auch wenn sich sein Zustand im Laufe des Tages verbessert. Dieses Urteil unterstützt die Entscheidung des Gerichts, dass der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheinen musste.
  • § 2 Abs. 2 GKG (Gerichtskostengesetz): Legt fest, dass bestimmte arbeitsgerichtliche Verfahren gerichtskostenfrei sind. Im vorliegenden Fall wurde die Entscheidung ohne Erhebung von Gerichtskosten getroffen, was für Verfahren nach § 103 BetrVG üblich ist.


Das vorliegende Urteil

ArbG Gießen – Az.: 2 BV 1/23 – Beschluss vom 26.07.2023

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer arbeitgeberseitig beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds.

Die Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist eine GmbH mit Sitz in A, die am Standort B Kundenservice-Dienstleistungen über Medienkanäle erbringt. Der Beteiligte zu 2) ist der im Betrieb B gebildete Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat). Der am XX.XX.XXX geborene Beteiligte zu 3) ist seit dem 29. Februar 2016 bei der Arbeitgeberin als Kundenbetreuer tätig. Er ist Mitglied des Betriebsrates in B.

Am 2. Februar 2023 war die für den Beteiligten zu 3) vorgesehene Arbeitszeit von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Vor Arbeitsbeginn, um 7.30 Uhr, meldete sich der Beteiligte zu 3) bei der Arbeitgeberin und teilte telefonisch seine Arbeitsunfähigkeit für den 2. Februar 2023 mit.

Am 2. Februar 2023 fand in B mit einer Live- Übertragung ab 18.30 Uhr im sog. C ein Bürgerdialog mit dem Bundeskanzler statt. Für diesen Bürgerdialog konnte man sich zuvor bewerben. 150 Personen wurden ausgelost und konnten am Bürgerdialog teilnehmen.

Der Beteiligte zu 3) nahm um 18.30 Uhr am vorgenannten Bürgerdialog teil. Er stellte hierbei auch Fragen an den Bundeskanzler, was live im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Am 5. Februar 2023 erhielt die Arbeitgeberin Kenntnis von der Teilnahme des Beteiligten zu 3) am Bürgerdialog am 2. Februar 2023.

Die Arbeitgeberin hörte mit Schreiben vom 6. Februar 2023 den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an und bat ihn um Zustimmungserteilung. Am 9. Februar 2023 teilte der Betriebsrat mit, dass er keine Zustimmung erteile.

Die Arbeitgeberin trägt vor, der Beteiligte zu 3) habe sich noch vor Ablauf seiner vorgesehenen Arbeitszeit zum C begeben und dann in der aufgezeichneten XX. Minute konzentriert Fragen gestellt und hierbei sogar etwas Humor an den Tag gelegt. Der Beteiligte zu 3) sei am 2. Februar 2023 nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Da er am 2. Februar 2023 bis 18.00 Uhr zur Arbeit eingeteilt gewesen sei, habe er bei gesundheitlichen Verbesserungen im Tagesverlauf jedenfalls auch noch zur Arbeit erscheinen können.

Es sei offensichtlich, dass der Beteiligte zu 3) am 2. Februar 2023 auch seiner täglichen Arbeit als Kundenbetreuer habe nachgehen können. Wäre der Beteiligte zu 3) zur Arbeit erschienen und hätte wie vorgesehen bis 18.00 Uhr gearbeitet, wäre es ihm nicht möglich gewesen, rechtzeitig zur Live-Übertragung des Bürgerdialogs im C zu erscheinen. Hinsichtlich der Darlegungen der Arbeitgeberin zum Weg und zur Wegezeit wird auf ihre Ausführungen auf Seite 2 (Bl. 27) im Schriftsatz vom 19. April 2023 Bezug genommen. Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, dass das Verhalten des Beteiligten zu 3) einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung begründe, so dass die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung hierzu vom Arbeitsgericht zu ersetzen sei.

Sie beantragt wie folgt zu erkennen:

Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wird ersetzt.

Der Betriebsrat sowie der Beteiligte zu 3) beantragen, den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 3) trägt vor, bei ihm habe sich in der Nacht vom 1. Februar 2023 auf den 2. Februar 2023 ein Magen-Darm-Infekt mit einer starken Durchfallsystematik eingestellt. Er habe aufgrund dessen den wesentlichen Teil der Nacht auf der Toilette verbracht und sei daher am nächsten Morgen aufgrund des Flüssigkeitsverlustes, wie auch des Schlafdefizits stark geschwächt und nicht in der Lage gewesen, die Toilette und damit die Wohnung zu verlassen. Eine Arbeitsaufnahme sei aufgrund seiner Erkrankung daher am 2. Februar 2023 nicht möglich gewesen. Nachdem die Apotheken am 2. Februar 2023 geöffnet hatten, habe seine Ehefrau für ihn geeignete Arzneimittel beschafft und er habe diese sodann eingenommen. Hierdurch habe sich bei ihm im Laufe des Nachmittags eine Besserung seines Gesundheitszustandes eingestellt, so dass er von der bereits ins Auge gefassten Absage seiner Teilnahme am Bürgerdialog wieder Abstand genommen habe und am Bürgerdialog habe teilnehmen können. Er ist der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung lägen nicht vor.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26. Juli 2023 sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag der Arbeitgeberin gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auf Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer von ihr beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) ist unbegründet. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung kann vom erkennenden Gericht nicht ersetzt werden, da die außerordentliche Kündigung nicht unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Es fehlt bereits an einem wichtigen Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB für die beabsichtigte verfahrensgegenständliche außerordentliche Kündigung. Im Einzelnen:

Soweit sich die Arbeitgeberin zur Begründung des von ihr gesehenen wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung auf eine Pflichtverletzung des Beteiligten zu 3) stützen will, kann dem nicht gefolgt werden.

Indem der Beteiligte zu 3) am 2. Februar 2023 nicht zur Arbeit erschienen ist, hat er keine Pflichtverletzung gegenüber der Arbeitgeberin begangen. Denn nach Aktenlage ist der Beteiligte zu 3) hierzu am 2. Februar 2023 nicht verpflichtet gewesen. Dass der Beteiligte zu 3) am 2. Februar 2023 während der vorgesehenen Arbeitszeit von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu keiner Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist, hat die Arbeitgeberin im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nicht ausreichend dargelegt und sie hat im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht insoweit auch keinen tauglichen Beweis angeboten. Dies ist nach den detaillierten Darlegungen des Beteiligten zu 3) im Übrigen auch nicht im Ansatz naheliegend. Da die Arbeitgeberin vom Beteiligten zu 3) für den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit nicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangt hat, kann sie über die erfolgten Darlegungen des Beteiligten zu 3) hinaus auch keine weiteren Nachweise, wie zum Beispiel die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, verlangen. Soweit die Arbeitgeberin die Ansicht vertritt, dass der Beteiligte zu 3), sollte er am 2. Februar 2023 zunächst arbeitsunfähig erkrankt gewesen sein, jedenfalls wieder im Laufe des Tages gesundet sein, mit der Folge, dass er dann verpflichtet gewesen sei, noch zur Arbeit zu erscheinen, ist dies rechtlich nicht zutreffend. Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, führt die Arbeitsunfähigkeit für einen Teil der Arbeitszeit zur Arbeitsunfähigkeit im rechtlichen Sinne für den gesamten Arbeitstag. Arbeitsunfähigkeit wird ausdrücklich nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise zu erbringen vermag. Eine Teilarbeitsunfähigkeit mit teilweiser Arbeitspflicht und teilweisem Entgeltfortzahlungsanspruch soll es nämlich nicht geben; jedenfalls braucht sich weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer auf eine Teilleistung einzulassen (vgl. BAG, Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13, Rn. 24 mwN., bei Juris). Sollte der Beteiligte zu 3) also nach 9.00 Uhr und vor 18.00 Uhr am 2. Februar 2023 für einen gewissen Zeitraum wieder arbeitsfähig geworden sein, so ist er nicht verpflichtet gewesen, noch zur Arbeit zu erscheinen.

Der Beteiligte zu 3) hat auch keine sonstigen Pflichtverletzungen gegenüber der Arbeitgeberin verletzt. Er hat sich am 2. Februar 2023 um 7.30 Uhr, also vor Arbeitsbeginn, ordnungsgemäß bei der Arbeitgeberin arbeitsunfähig gemeldet. Dass sich der Beteiligte zu 3) durch seine Teilnahme am Bürgerdialog um 18.30 Uhr genesungswidrig verhalten haben könnte, ist weder vorgetragen noch ist es im Ansatz ersichtlich. Im Übrigen könnte hierin auch, jedenfalls ohne vorherige einschlägige Abmahnung, grundsätzlich kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB zu sehen sein.

Ob die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG noch aus anderen Gründen nicht ersetzt werden kann, etwa weil die Anhörung des Betriebsrates in diesem Zusammenhang nicht ausreichend gewesen ist (der Anhörungsbogen vom 6. Februar 2023 ist vor Verkündung des Beschlusses nicht zur Akte gereicht worden und kann daher keine Berücksichtigung finden – vgl. das Sitzungsprotokoll vom 26. Juli 2023), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.

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