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Beweiskraft einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Digitale Krankschreibung anerkannt: Telemedizin stärkt Arbeitnehmerrechte bei Infektionen

Das Urteil des ArbG Erfurt, Az.: 4 Ca 32/23, vom 19.07.2023 bestätigt die Beweiskraft einer privatärztlich ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Dauer einer Corona-Infektion. Es stellt klar, dass eine solche Bescheinigung, auch ohne persönlichen Arztkontakt und trotz fehlender Kassenzulassung der ausstellenden Ärztin, grundsätzlich zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung und Urlaubsabgeltung gegenüber dem Arbeitgeber verwendet werden kann. Die Entscheidung stärkt die Position von Arbeitnehmern, die mittels Telemedizin krankgeschrieben werden.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  • Das Arbeitsgericht Erfurt erkennt die Beweiskraft einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an.
  • Eine solche Bescheinigung ist auch ohne persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient gültig, sofern sie von einem approbierten Arzt ausgestellt wurde.
  • Die Entgeltfortzahlung und Urlaubsabgeltung können auf Basis einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingefordert werden.
  • Die telemedizinische Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit, hier speziell durch eine Videokonsultation, wird als ausreichend angesehen.
  • Die Einwände des Arbeitgebers gegen die Glaubwürdigkeit der Bescheinigung wurden abgewiesen.
  • Das Gericht betont, dass die Form der Krankschreibung (online vs. persönlich) keinen Einfluss auf den Anspruch des Arbeitnehmers hat.
  • Es ist irrelevant, ob die Behandlung durch einen Kassen- oder Privatarzt erfolgt, solange die ärztliche Bescheinigung von einem approbierten Mediziner ausgestellt wird.
  • Die Klage des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung und Urlaubsabgeltung wurde insgesamt als begründet angesehen.

Nachweiswert privatärztlicher Krankschreibungen

Im arbeitsrechtlichen Kontext gewinnt die Beweiskraft privatärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zunehmend an Bedeutung. Das Arbeitsgericht Erfurt hat in einem aktuellen Urteil die Gültigkeit solcher Bescheinigungen bekräftigt. Diese Entscheidung stärkt die Position von Arbeitnehmern, die sich bei privatärztlichen Behandlungen befinden.

Obwohl privatärztlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in der Vergangenheit oft angezweifelt wurden, erkennt das Urteil des ArbG Erfurt nun grundsätzlich ihre Beweiskraft an. Die dahinterstehende Begründung ist, dass die Entscheidung eines approbierten Arztes, auch ohne Kassenzulassung, als ärztliche Bescheinigung gilt und somit den Anspruch auf Entgeltfortzahlung rechtfertigt. Dieser Präzedenzfall wirft jedoch gleichzeitig noch weitere Fragen und Herausforderungen im Hinblick auf die Akzeptanz solcher Krankschreibungen auf, die es in Zukunft zu klären gilt.

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Beweiskraft privatärztlicher Krankschreibungen
(Symbolfoto: Andrey_Popov /Shutterstock.com)

Im Mittelpunkt des Falles vor dem Arbeitsgericht Erfurt stand die Frage nach der Beweiskraft einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellt durch eine Videokonsultation, in einem Streit um Entgeltfortzahlung und Urlaubsabgeltung. Der Kläger, seit November 2017 bei der Beklagten beschäftigt, hatte für die Zeit vom 08. bis 21. Oktober 2022 eine solche Bescheinigung vorgelegt, ausgestellt von der Privatärztin Dr. S. Die Beklagte verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung für Teile des genannten Zeitraums sowie die Urlaubsabgeltung für zwei Tage, woraufhin der Kläger gerichtlich gegen die Beklagte vorging.

Der Weg zur digitalen Krankschreibung

Der Kläger führte aus, nach einem positiven Selbsttest auf das Corona-Virus und einer Bestätigung durch ein Testzentrum, aus Sorge um eine verspätete Meldung bei seinem Arbeitgeber, eine Online-Videosprechstunde bei einer ihm unbekannten Privatärztin in Anspruch genommen zu haben. In dieser Sitzung wurde seine Arbeitsunfähigkeit festgestellt und bescheinigt. Die Beklagte zweifelte die Glaubwürdigkeit dieser Bescheinigung an, insbesondere aufgrund des fehlenden persönlichen Kontakts zwischen Arzt und Patient und der Tatsache, dass es sich um eine privatärztliche Leistung handelte.

Rechtliche Bewertung der Beweiskraft

Das Gericht stellte fest, dass die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich Beweiskraft besitzt. Es wies darauf hin, dass die Form der Ausstellung – ob digital oder persönlich – keinen Einfluss auf die Gültigkeit der Bescheinigung hat. Entscheidend sei, dass sie von einem approbierten Arzt ausgestellt wurde. Die Einwände der Beklagten, die unter anderem auf die fehlende Kassenzulassung der Ärztin und die rein digitale Konsultation ohne physischen Kontakt abzielten, wurden vom Gericht nicht als ausreichend erachtet, um die Beweiskraft der Bescheinigung zu erschüttern.

Entscheidungsgründe und Urteilsbegründung

Das Gericht legte dar, dass der Kläger mit der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seiner Nachweispflicht nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz nachgekommen sei. Es betonte, dass die medizinische Beratung und Behandlung durch einen Privatarzt, selbst wenn diese digital erfolgt, die Beweiskraft der Bescheinigung nicht mindert. Die Richter folgten der Argumentation des Klägers, dass eine persönliche Vorstellung beim Hausarzt aufgrund der Corona-Infektion nicht möglich gewesen sei und die Online-Konsultation eine zeitnahe und adäquate Alternative bot.

Folgen für die Praxis

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung digitaler Medizinangebote und bestätigt die Gleichwertigkeit digital ausgestellter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit traditionell ausgestellten. Es zeigt auf, dass im digitalen Zeitalter auch rechtliche Rahmenbedingungen flexibel interpretiert werden müssen, um der Realität der medizinischen Versorgung gerecht zu werden. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Erfurt bekräftigt damit die Position von Arbeitnehmern, die sich aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen digitaler Diagnosewege bedienen.

Im Kern bestätigt das Gericht die Rechtmäßigkeit der Ansprüche des Klägers auf Entgeltfortzahlung und Urlaubsabgeltung, gestützt auf eine digital ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Entscheidung basiert auf der Anerkennung der digitalen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als legitimen Beweis für die Arbeitsunfähigkeit, trotz der Einwände der Beklagten gegen die neue Praxis der Online-Krankschreibung.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird die Beweiskraft einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtlich bewertet?

Die rechtliche Bewertung der Beweiskraft einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) ist in Deutschland durch die Rechtsprechung und gesetzliche Regelungen geprägt. Grundsätzlich kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten AU-Bescheinigung, unabhängig davon, ob sie von einem Kassen- oder Privatarzt ausgestellt wurde, ein hoher Beweiswert zu. Dies bedeutet, dass die Bescheinigung als Nachweis dafür dient, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit nicht in der Lage ist, seine Arbeit zu verrichten.

Arbeitgeber haben jedoch die Möglichkeit, den Beweiswert einer AU-Bescheinigung zu erschüttern, wenn berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Solche Zweifel können beispielsweise dann entstehen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auffällig häufig oder nur für sehr kurze Dauer bescheinigt wird, oder wenn der Beginn der Arbeitsunfähigkeit zeitlich mit bestimmten Ereignissen zusammenfällt, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Krankmeldung aufkommen lassen (z.B. Krankschreibung direkt nach einer Kündigung oder vor bzw. nach Feiertagen).

Um den Beweiswert einer AU-Bescheinigung zu erschüttern, muss der Arbeitgeber konkrete Tatsachen vortragen, die geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Gelingt dies, liegt die Beweislast wieder beim Arbeitnehmer, der dann konkrete Tatsachen darlegen oder beweisen muss, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen.

Eine Besonderheit besteht bei Online-Krankschreibungen ohne persönlichen oder telefonischen Arztkontakt. Diese erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und berechtigen den Arbeitgeber, die Entgeltfortzahlung zu verweigern. Auch bei Krankschreibungen aus dem Ausland oder durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte können Besonderheiten gelten.

Es ist zu beachten, dass seit 2021 die Verantwortung für die rechtzeitige Übermittlung der AU-Bescheinigung an die Krankenkasse allein bei den Ärzten liegt. Dies hat jedoch keinen direkten Einfluss auf die Bewertung der Beweiskraft der AU-Bescheinigung gegenüber dem Arbeitgeber, sondern betrifft primär den Anspruch auf Krankengeld.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich denselben Beweiswert wie eine kassenärztliche Bescheinigung hat. Arbeitgeber können diesen Beweiswert jedoch unter bestimmten Voraussetzungen erschüttern.

Welche Rolle spielt die Art der ärztlichen Konsultation für die Gültigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Die Art der ärztlichen Konsultation spielt eine Rolle für die Gültigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) in Deutschland, insbesondere im Hinblick auf Telemedizin. Eine ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung, die auf einer persönlichen oder telefonischen Konsultation basiert, hat grundsätzlich denselben Beweiswert wie eine Bescheinigung, die nach einer Praxisbesuch stattgefunden hat.

Eine Online-Krankschreibung ohne persönlichen oder telefonischen Arztkontakt erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und berechtigt den Arbeitgeber, die Entgeltfortzahlung zu verweigern. Allerdings sind Krankschreibungen per Videosprechstunde unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, wie etwa bei bekannten Patienten und geeigneten Krankheitsbildern.

Es ist wichtig zu beachten, dass eine Online-Krankschreibung, die ohne direkte Arzt-Patienten-Kommunikation ausgestellt wird, nicht rechtlich gültig ist. Daher sollten Arbeitnehmer, die eine Online-Krankschreibung in Betracht ziehen, sicherstellen, dass diese von einem approbierten Arzt ausgestellt wird und die rechtlichen Vorgaben erfüllt.

Zusammenfassend ist die Art der ärztlichen Konsultation für die Gültigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung relevant, wobei persönliche oder telefonische Konsultationen den höchsten Beweiswert haben. Online-Krankschreibungen ohne persönlichen oder telefonischen Arztkontakt sind nicht rechtlich gültig, während Krankschreibungen per Videosprechstunde unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind.

Welche Anforderungen stellt das Gesetz an eine gültige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Für eine gültige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) in Deutschland sind bestimmte gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. Die AU-Bescheinigung muss von einem Arzt oder einer Ärztin ausgestellt werden, wobei Hausärzte, Fachärzte und Zahnärzte dazu berechtigt sind. Die Bescheinigung dient als offizieller Nachweis der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers und ist die Grundlage für die gesetzlich verpflichtende Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber im Krankheitsfall.

Die AU-Bescheinigung muss folgende Informationen enthalten:

  • Name des/der Beschäftigten
  • Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit
  • Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
  • Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung
  • Angabe, ob Anhaltspunkte für eine Befangenheit des Arztes vorliegen

Die ärztliche Bescheinigung darf nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung ausgestellt werden, und die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit sowie ihre voraussichtliche Dauer sind in der Bescheinigung einzutragen. Eine rückwirkende Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit ist nur ausnahmsweise und in der Regel für bis zu drei Tage zulässig.

Seit Januar 2023 ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) für Arbeitgeber Pflicht, wobei die Übermittlung der relevanten Daten an die Krankenkasse durch den Arzt oder die Ärztin erfolgt. Die Arbeitnehmenden müssen ihre AU-Bescheinigung nicht mehr physisch beim Arbeitgeber vorzeigen, da dieser die Daten bei der zuständigen Krankenkasse abrufen kann. Dennoch bleibt die Papierbescheinigung als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel erhalten, insbesondere für Störfälle wie eine fehlgeschlagene Übermittlung im elektronischen Verfahren.

Arbeitnehmer sind verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, muss eine ärztliche Bescheinigung spätestens am darauf folgenden Arbeitstag vorgelegt werden. Der Arbeitgeber kann die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung auch früher verlangen.

Zusammengefasst müssen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von berechtigten Ärzten ausgestellt werden, die notwendigen Informationen enthalten und auf einer ärztlichen Untersuchung basieren. Die eAU erleichtert die Übermittlung der Daten, wobei die Papierbescheinigung weiterhin als Beweismittel dient.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  1. § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG): Regelt die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer. Im vorliegenden Fall ist dies zentral, da die Beweiskraft einer privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestätigt wurde.
  2. § 3 EFZG: Definiert den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dieser Paragraph unterstreicht die Bedeutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Anspruch des Klägers auf Lohnfortzahlung.
  3. § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Betrifft die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Obwohl in diesem Fall nicht direkt angesprochen, ist der Zusammenhang relevant, da die Glaubwürdigkeit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Einfluss auf Kündigungsentscheidungen haben kann.
  4. § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG): Regelt den Anspruch auf Urlaubsabgeltung bei nicht genommenem Urlaub bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Im Urteil wurde der Kläger zusätzlich zur Entgeltfortzahlung für Urlaubsabgeltung entschädigt.
  5. § 4 Abs. 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie: Spezifiziert die Bedingungen, unter denen eine Arbeitsunfähigkeit per Videosprechstunde festgestellt werden kann. Dieser Paragraph ist besonders relevant, da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers in einer Videosprechstunde ausgestellt wurde.
  6. § 12 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG): Betrifft die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für arbeitsrechtliche Streitigkeiten. Das ArbG Erfurt war demnach zuständig für die Verhandlung und Entscheidung des vorliegenden Falls.


Das vorliegende Urteil

ArbG Erfurt – Az.: 4 Ca 32/23 – Urteil vom 19.07.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.167,04 € brutto zuzüglich Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.12.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung i.H.v. 304,92 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit 20.07.2023 zu zahlen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert beträgt 1.471,96 €.

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger Entgeltfortzahlung und Urlaubsabgeltung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern seit dem 06.11.2017 beschäftigt. Für die Zeit vom 08.10.2022 – 21.10.2022 legte der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die von der Privatärztin Frau Dr. S in L am 10.10.2022 ausgestellt wurde. (Hinsicht des Inhalts wird auf Bl. 12 d. A. verwiesen). Die Beklagte leistete für den Zeitraum 08. – 19.10.2022 keine Entgeltfortzahlung, rechnete für den Zeitraum 20. und 21.10.2022 zwei Urlaubstage ab und zahlte hierfür Urlaubsentgelt. Das Arbeitsverhältnis ist mittlerweile beendet.

Der Kläger trägt u. a. vor, der Kläger habe am 08.10.2022 mittels eines Selbsttestes eine Infektion mit dem Corona-Virus bei sich festgestellt. Um das Ergebnis zu verifizieren, habe er sich am 08.10.2022 in das Testzentrum der G-Apotheke in A begeben. Dort sei ebenfalls ein Schnelltest vorgenommen worden, der die Corona-Infektion bestätigt hätte. Der Kläger hätte die Sprechstunde bei seinem Hausarzt lediglich in der Infektionssprechstunde nach vorheriger Terminvereinbarung besuchen können. Auf Termine hätten die Patienten der Hauspraxis damals mindestens 2 Tage gewartet. Der Kläger hätte befürchtet, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht rechtzeitig bei der Beklagten eingehen würde. Ein Mitarbeiter der G-Apotheke in A habe dem Kläger mitgeteilt, dass er nicht persönlich bei dem Hausarzt vorstellig werden müsse und den Kläger auf die Privatärztin Dr. S verwiesen. Am selben Tag habe sich der Kläger dann online einen Termin zur Videosprechstunde bei Dr. S besorgt. Die Videosprechstunde habe am 10.10.2022 stattgefunden. In dieser Videosprechstunde habe eine Liveübertragung zwischen Dr. S und dem Kläger stattgefunden. Hier hätte der Kläger für Dr. S ersichtlich nochmals einen Corona-Selbsttest vornehmen müssen. Auch dieser Selbsttest am 10.10.2022 wäre positiv gewesen. Für die Ärztin sichtbar hätte der Kläger während der Videosprechstunde noch einmal Fieber messen müssen. Hier sei eine erhöhte Temperatur festgestellt worden. Die Ärztin habe weitere Fragen zum Gesundheitszustand des Klägers gestellt und eine Corona-Infektion diagnostiziert. Im Ergebnis der Videosprechstunde habe Frau Dr. S den Kläger für den Zeitraum 08.10. – 21.10.2022 arbeitsunfähig geschrieben. Der Kläger habe sich dann bei der Beklagten telefonisch arbeitsunfähig gemeldet. Er habe einen durchschnittlichen Krankheitsverlauf gehabt. An 3 – 4 Tagen habe der Kläger unter Fieber gelitten und er hätte durchgehend einen trockenen Reizhusten gab. Der Kläger wäre infolge seiner Corona-Erkrankung verhindert gewesen, seine Arbeitsleistung zu erbringen.

Für den Zeitraum vom 10.10.2022 bis 19.10.2022 habe die Beklagte keine Entgeltfortzahlung geleistet. Der Kläger schulde hier eine tägliche Arbeitszeit von 7 Stunden. Im Oktober 2022 habe die Beklagte einen Grundlohn in Höhe von 12,63 € sowie den Branchenzuschlag in Höhe von 8,21 € stündlich geschuldet. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.167,04 € brutto (56 Stunden x 20,84 €).

Zudem hätte die Beklagte den 20. und 21.10.2022 mit Urlaub belegt und die 2 Tage aus dem Urlaubskonto des Klägers abgezogen. Der Kläger hätte jedoch keinen Urlaub beantragt. Zudem sei er arbeitsunfähig gewesen. Zusammen mit dem Urlaub aus dem Vorjahr habe der Kläger im Jahr 2022 einen Gesamturlaubsanspruch von 37 Tagen gehabt. Hiervon habe er 35 Tage genommen, sodass er noch einen Urlaubsanspruch von zwei Tagen hätte.

Der Anspruch sei gegenüber der Beklagten mit Geltendmachungsschreiben vom 13.12.2022 geltend gemacht worden. Hierin sei eine Frist zur Zahlung bis zum 23.12.2022 gesetzt worden.

Der Kläger beantragt zuletzt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.167,04 € brutto zuzügl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 304,92 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt K l a g e a b w e i s u n g .

Sie trägt u. a. vor, der Kläger habe sich am Montag, den 10.10.22 telefonisch krankgemeldet. Als Nachweis für seine krankheitsbedingte Abwesenheit habe er die vorgelegte AU-Bescheinigung eingereicht, aus der ersichtlich werde, dass es sich hierbei um eine Online-Krankschreibung ohne persönlichen Arztkontakt handele. Der Kläger habe in der Vergangenheit diverse Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausschließlich von der gleichen Ärztin – mutmaßlich seiner Hausärztin – vorgelegt. Ausschließlich in dem beklagten Fall habe er sich eine Online-Krankschreibung gegen ein gewisses Entgelt einer Privatärztin verschafft. Aus der Webseite der Ärztin ergebe sich, dass es sich bei der angebotenen Dienstleistung ausschließlich um Selbstzahler-Leistungen handele. Nach Rücksprache mit der zuständigen Krankenkasse habe diese mitgeteilt, dass auch im Fall einer längeren Erkrankung kein Anspruch auf Krankengeld bei einem Privatrezept entstünde.

Gemäß § 4 Abs. 5 der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung sei festzustellen, dass im Falle einer Videosprechstunde die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für Versicherte, die der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt aufgrund früherer Behandlungen nicht unmittelbar persönlich bekannt seien, über einen Zeitraum von bis zu drei Kalendertagen nicht hinausgehen dürften.

Aufgrund der räumlichen Distanz nach L, der Selbstzahler-Leistungen sowie der vorherigen Einreichung von diversen AU-Bescheinigungen von seiner vermeintlichen Hausärztin unterstelle die Beklagte, dass der Kläger keinen persönlichen Bezug zu der auf der Online- Krankschreibung angegebenen Ärztin besitze. Die Ärztekammer habe auf Anfrage mitgeteilt, dass die Ärztin nicht als Vertragspartnerin gelistet sei.

Aus den vorgenannten Gründen habe die Beklagte erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der eingereichten AU-Bescheinigungen des Klägers und habe deshalb die Entgeltfortzahlung zurückerhalten. Bezüglich des am 20.10. – 21.10.2023 abgerechneten Urlaubs läge kein unterschriebener Urlaubsantrag vor. Deshalb werde angeboten, den Urlaub gutzuschreiben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteienvortrags wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Der Kläger hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den geltend gemachten Zeitraum vom 10.10. – 19.10.2022 in Höhe von 1.167,04 € brutto.

Der Kläger hat eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, die am 10.10.2022 von der Privatärztin Dr. S in L ausgestellt wurde und eine Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum vom 08.10. – 21.10.2022 ausgewiesen hat. Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bietet grundsätzlich Beweis über die mit ihr bescheinigte Arbeitsunfähigkeit.

Die von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen vermögen diese Beweiskraft nicht zu erschüttern.

Der Umstand, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht von der Hausärztin des Klägers, sondern von einer dem Kläger bis dahin unbekannten Ärzten ausgestellt wurde, genügt für sich genommen allein noch nicht, um die Beweiskraft in Abrede zu stellen. Auch der Umstand, dass es sich bei der Ärztin um eine Privatärztin ohne Kassenzulassung handelt, beseitigt die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht. Die Nachweispflicht des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz verlangt eine ärztliche Bescheinigung, also die Bescheinigung eines approbierten Arztes, und verlangt darüber hinaus nicht, dass es sich bei diesem Arzt um einen Kassenvertragsarzt handeln muss. Sicherlich führen Beratung und Behandlung durch einen Privatarzt dazu, dass der Kläger keine Kostenerstattung durch die Krankenkasse und ggf. kein Krankengeld erhält; ein Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs ist jedoch hiermit nicht verbunden.

Nach dem Vortrag des Klägers hatte er mit der ausstellenden Ärztin ein Videogespräch geführt, in dem diese vom Kläger die Durchführung eines weiteren Corona-Schnelltests verlangte sowie des Messens der Körpertemperatur. Während sie daraufhin das Vorliegen einer Corona-Infektion diagnostizierte, erfolgte dies nach Auffassung der Kammer nicht ohne plausible Grundlage. Die Beklagte, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Indizien zur Erschütterung der Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung obliegt, hat diesen Klägervortrag nicht ausgeräumt. Danach fand zwar keine Untersuchung vor Ort, jedoch durch Videokonferenz statt und das Erstellen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgte auch nicht online im Wege eines Automatismus, sondern analog durch die untersuchende Ärztin.

Die von der Beklagten angesprochene Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses dürfte für die ausstellende Privatärztin nicht verbindlich sein, somit ist die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lediglich auf inhaltliche Widerspruchsfreiheit zu überprüfen. Angesichts der diagnostizierten Corona-Infektion, die aus dem ICD-Schlüssel U07.2 ersichtlich wird, erscheint die angegebene voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit bis 21.10.2022, mithin von 2 Wochen, nicht derart außer Verhältnis zu stehen, dass hierdurch der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert würde.

Die von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, warum sich der Kläger nicht innerhalb der streitgegenständlichen 2 Wochen bei seiner Hausärztin nochmals vorgestellt habe, lässt sich plausibel damit begründen, dass der Kläger für diesen Zeitraum bereits eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besaß.

Insgesamt mag zwar die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf den ersten Blick Fragen aufwerfen. Da der vom Kläger geschilderte Ablauf der Ereignisse von der Beklagten jedoch nicht widerlegt werden konnte, werden diese Fragen plausibel beantwortet und begründen insbesondere keine Zweifel an der Beweiskraft der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

2. Der Kläger hat auch Anspruch auf Urlaubsabgeltung für zwei Urlaubstage. Für die Kammer blieb zuletzt unstreitig, dass es sich bei diesen zwei Urlaubstagen um die von der Beklagten für den 20. und 21. Oktober 2022 abgerechneten Tage handelt. Da die Beklagte die Erfüllung dieses Urlaubsanspruchs nicht ausreichend dargelegt und nachgewiesen hat, bestand für den Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein Resturlaubsanspruch im Umfang dieser zwei Tage. Die Berechnungsgrundlage war zwischen den Parteien unstreitig. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses betrug der Gesamtstundenlohn insgesamt 21,78 €. Für 2 Tage à 7 Stunden/Tag ergibt sich damit der errechnete Zahlbetrag. Da der Antrag erstmals in der mündlichen Verhandlung am 19.07.2023 gestellt wurde, trat Rechtshängigkeit zu diesem Zeitpunkt ein. Damit tritt Verzug mit dem Folgetag ein.

3. Die Kosten des Rechtsstreites sind gem. den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO der unterlegenen Beklagten aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 3 ff. ZPO.

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