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Fortsetzungserkrankung – Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles

Arbeitsunfähigkeit nach Arbeitsunfall: Fortsetzungserkrankung oder neue Krankheit?

Im Zentrum arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen steht häufig die Frage der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ein wesentliches Element dabei ist die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, besonders wenn es um wiederkehrende oder anhaltende Gesundheitsprobleme geht. Ein Schlüsselaspekt in solchen Fällen ist der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles, der besagt, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei anhaltender Arbeitsunfähigkeit begrenzt ist, auch wenn während dieser Zeit neue Krankheiten auftreten. Dieser Grundsatz, geprägt von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wirft oft die Frage auf, ob und inwieweit eine neue Krankheit als Fortsetzung der ursprünglichen Erkrankung angesehen werden kann oder als eigenständige Erkrankung mit Anspruch auf erneute Entgeltfortzahlung. Dies führt zu komplexen rechtlichen Diskussionen, in denen sowohl medizinische Diagnosen als auch arbeitsrechtliche Bewertungen eine zentrale Rolle spielen. In diesem Kontext ist die Beurteilung, ob es sich bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit um eine Fortsetzungserkrankung handelt oder um einen neuen, unabhängigen Krankheitsfall, entscheidend. Diese Thematik bildet den Kern vieler arbeitsrechtlicher Verfahren und stellt sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer eine bedeutende rechtliche Herausforderung dar.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Ca 1452/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Klage abgewiesen, Kläger trägt Kosten des Rechtsstreits.
  • Streit um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom 10.08.22 bis 20.09.22.
  • Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles diskutiert.
  • Kläger hatte Arbeitsunfall am 14.12.2021 und war danach durchgehend arbeitsunfähig.
  • Neue Erstbescheinigung vom 09.08.2022 stellte Arbeitsunfähigkeit ab 10.08.2022 fest.
  • Keine einzigen Arbeitstag des Klägers zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeiten.
  • Mögliche Fortsetzungserkrankung diskutiert, aber kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung festgestellt.
  • Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
  • Wert des Streitgegenstandes auf € 2.194,50 festgesetzt.

Der komplexe Fall der Fortsetzungserkrankung: Arbeitsunfähigkeit im Fokus des Arbeitsgerichts Gera

Im Zentrum des Falles, der vor dem Arbeitsgericht Gera verhandelt wurde, steht ein Lagerarbeiter/Gabelstaplerfahrer, dessen langwierige Arbeitsunfähigkeit nach einem Arbeitsunfall zur gerichtlichen Auseinandersetzung führte. Der Kläger, seit Oktober 2013 im Unternehmen beschäftigt, erlitt am 14. Dezember 2021 einen schweren Arbeitsunfall. Dieser Unfall führte zu mehreren Verletzungen, darunter eine Handgelenksverletzung, eine offene Wunde am Unterarm und eine Prellung im Beckenbereich. Besonders signifikant war eine Fraktur des Steißbeins, die erst später diagnostiziert wurde.

In der Folge war der Kläger kontinuierlich arbeitsunfähig, was durch mehrere ärztliche Atteste bestätigt wurde. Diese Situation wurde komplexer, als die gesetzliche Unfallversicherung die weitere Finanzierung der Behandlung aufgrund einer anderslautenden Diagnose ablehnte. Der behandelnde Arzt stellte weiterhin Arbeitsunfähigkeit fest, jetzt jedoch mit einer neuen Diagnose, die sich auf die Sakrokokzygeal-Region bezog.

Kern der rechtlichen Auseinandersetzung: Der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles

Der rechtliche Streitpunkt in diesem Fall konzentrierte sich auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles. Dieser Grundsatz, entwickelt von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), besagt, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf sechs Wochen beschränkt ist, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

In diesem speziellen Fall argumentierte die Beklagte, es liege eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit vor und keine neue Erkrankung, und berief sich dabei auf den genannten Grundsatz. Der Kläger hingegen behauptete, es handle sich um eine neue Erkrankung, da eine neue Diagnose gestellt wurde, die unabhängig vom ursprünglichen Arbeitsunfall sei.

Die rechtliche Herausforderung: Abgrenzung von Fortsetzungserkrankung und neuer Krankheit

Das rechtliche Problem in diesem Fall liegt in der Abgrenzung zwischen einer Fortsetzung der ursprünglichen Erkrankung und dem Auftreten einer neuen Krankheit. Dies ist entscheidend, da es direkte Auswirkungen auf den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung hat. Nach deutschem Arbeitsrecht hat ein Arbeitnehmer bei unterschiedlichen Krankheitsursachen für jede Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung von bis zu sechs Wochen. Ist die neue Erkrankung jedoch eine Fortsetzung der früheren Erkrankung, bleibt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur dann bestehen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

In diesem speziellen Fall war der Kläger seit dem Arbeitsunfall im Dezember 2021 ununterbrochen arbeitsunfähig. Das Gericht musste daher prüfen, ob die nachfolgenden Krankschreibungen eine Fortsetzung der ursprünglichen Arbeitsunfähigkeit darstellten oder ob eine neue, unabhängige Erkrankung vorlag.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Gera: Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung

Das Arbeitsgericht Gera entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 10. August 2022 bis zum 20. September 2022 hat. Das Gericht stellte fest, dass zwischen den verschiedenen Phasen der Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang bestand, was auf einen einheitlichen Verhinderungsfall hindeutet.

Die Entscheidung basierte auf der Überlegung, dass trotz der neuen Diagnose ein direkter Zusammenhang zwischen der ursprünglichen und der nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit besteht. Das Gericht berücksichtigte auch die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, die einen solchen Zusammenhang bestätigten. Infolgedessen wurde der Anspruch auf weitere Entgeltfortzahlung verneint, und der Kläger wurde zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits verpflichtet.

Dieser Fall unterstreicht die Komplexität des deutschen Arbeitsrechts, insbesondere im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Er zeigt auf, wie entscheidend die medizinische Einschätzung und die rechtliche Interpretation von Arbeitsunfähigkeit und Krankheitsverlauf in solchen Fällen sind.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist eine gesetzlich geregelte Leistung in Deutschland, die Arbeitnehmern zusteht, wenn sie aufgrund von Krankheit arbeitsunfähig sind. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994.

Ein Arbeitnehmer kann die Entgeltfortzahlung beanspruchen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Eine Krankheit allein begründet noch keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Sie muss auch die Ursache sein, dass der Arbeitnehmer nicht arbeiten konnte, obwohl er wollte.

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses, auch als Wartezeit bezeichnet. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht für die Dauer von sechs Wochen. Bei erneuter Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit, die sechs Wochen übersteigt, wenn er innerhalb von zwölf Monaten mehrmals an der Fortsetzungskrankheit erkrankt. Dies gilt nicht, wenn er seit der letzten Erkrankung sechs Monate arbeitsfähig war.

Die Entgeltfortzahlung endet grundsätzlich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie bleibt aber bestehen, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Krankheit gekündigt hat oder dem Arbeitnehmer einen Grund zur außerordentlichen Kündigung gibt.

Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Entgeltfortzahlung zu verweigern, solange der Arbeitnehmer seinen Nachweispflichten (Krankmeldung) nicht nachkommt oder wenn er den Übergang eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Dritten auf den Arbeitgeber verhindert.

Arbeitgeber, die nicht mehr als 30 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden haben, erhalten von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Höhe von 80 Prozent der Aufwendungen für Entgeltfortzahlung erstattet.

Die Entgeltfortzahlung beträgt 100 % des bisherigen üblichen Arbeitsentgelts. Berechnungsgrundlage ist das gesamte Arbeitsentgelt mit Zulagen. In Tarifverträgen kann die Grundlage für die Bemessung der Entgeltfortzahlung abweichend von den gesetzlichen Regelungen bestimmt werden.

Wenn ein Betrieb eine Entgeltfortzahlung trotz unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit verweigert, muss von der Krankenkasse Krankengeld gezahlt werden. Die Krankenkasse hat dann in der Regel einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Betrieb.


Das vorliegende Urteil

ArbG Gera – Az.: 4 Ca 1452/22 – Urteil vom 16.08.2023

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 2.194,50 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum Mittwoch 10.08.22 bis Dienstag 20.09.22 (= 6 Wochen).

Streitgegenstand ist, ob der von der Rechtsprechung des BAG entwickelte Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles greift.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist verheiratet und hat keine Unterhaltspflichten. Seine Betriebszugehörigkeit seit dem 21.10.2013 wurde von der Beklagten anerkannt. Mit Arbeitsvertrag vom 28.08.2014 wurde er ab dem 01.09.2014 als Lagerarbeiter/Gabelstaplerfahrer weiterbeschäftigt (Bl. 5 ff. d.A.). Seine Arbeitszeit betrug 35 Stunden wöchentlich. Die Vergütung betrug zuletzt € 10,45 brutto pro Stunde.

Der Kläger erlitt am 14.12.2021 einen Arbeitsunfall. Infolge eines Zusammenstoßes fiel er vom Gabelstapler. Er zog sich eine Verletzung des Handgelenks, eine offene Wunde am linken Unterarm sowie eine Prellung der Lumbosakralgegend und des Beckens zu. Auf die Erstbescheinigung der Arbeitsunfähigkeit vom 14.12.2021 (Bl. 47 d.A.) wird Bezug genommen.

In der Folgezeit war der Kläger ununterbrochen arbeitsunfähig. Auf die Folgebescheinigungen vom 17.12.2021 (Bl. 46 d.A.), 22.12.2021 (Bl. 46 d.A), 31.12.2021 (Bl. 45 d.A.) und 07.01.2022 (Bl. 45 d. A.) wird Bezug genommen.

Im Januar 2022 wurde durch ein MRT festgestellt, dass der Kläger sich eine Fraktur des Os coccygis zugezogen hat. Auf die Folgebescheinigung vom 21.01.2022 (Bl. 44 d.A. wird Bezug genommen.

Der Kläger war weiterhin durchgehend arbeitsunfähig. Auf die Folgebescheinigungen vom 11.02.2022 (Bl. 44 d.A.), vom 11.03.2022 (Bl. 43 d.A.), vom 07.04.2022 (Bl. 43 d.A.), vom 06.05.2022 (Bl. 42 d.A.), vom 18.05.2022 (Bl. 42 d.A.), vom 02.06.2022 (Bl. 41 d.A.), vom 24.06.2022 (Bl. 41 d.A.) und vom 13.07.2022 (Bl. 40 d.A.) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 22.07.2022 (Bl. 24 d.A.) bat die gesetzliche Unfallversicherung BG V. den behandelnden Arzt, Herrn Dr. med. H. die zu ihren Lasten eingeleitete Heilbehandlung mit dem Tage des Zugangs dieses Schreibens zu beenden und die bis zum Ablauf der aktuellen AU-Bescheinigung entstandenen Kosten mit ihr abzurechnen. Der behandelnde Arzt wurde gebeten, keine neue AU-Bescheinigung mehr zu ihren Lasten aus zu stellen. Zur Begründung wies die BG daraufhin, dass die Gesundheitsbeschwerden im Bereich des Steißbeins nicht Folge des Unfalles sind. Laut dem Kontroll-MRT vom 13.07.2022 sei die Steißbein Fraktur knöchern fest verheilt und das Knochenödem vollständig regredient.

Ihres Erachtens stünden allein die degenerativen Veränderungen im Bereich der LWS im Vordergrund.

Der behandelnde Arzt bescheinigte dem Kläger weiterhin Arbeitsunfähigkeit mit neuer Erstbescheinigung vom 09.08.2022 (Bl. 40 d.A.). Die begründende Diagnose lautete M53.3 G (Krankheiten der Sakrokokzygeal-Region = Veränderung von Kreuzbein oder Steißbein).

Der Kläger war weiterhin dauerhaft arbeitsunfähig. Die weitere Behandlung wurde von seinem Hausarzt Herrn Dipl. med. S. übernommen. Auf die Folgebescheinigung vom 02.09.2022 (Bl. 39 d.A.), vom 30.09.2022 (Bl. 39 d.A.), vom 24.10.2022 (Bl. 38 d.A.), vom 30.11.2022 (Bl. 38 d.A.), vom 04.01. 2023 (Bl. 37 d.A.), vom 01.02.2023 (Bl. 37 d.A.), vom 28.02.2023 (Bl. 36 d.A.) und vom 28.03.2023 (Bl. 36 d.A.) wird Bezug genommen.

Mit Mail vom 19.09.2022 (Bl. 54 d.A.) an die A. vertrat die Beklagte die Auffassung, dass der Kläger keinen erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von 6 Wochen hat.

Mit Antwortmail vom 19.09.2022 (Bl. 53 d.A.) vertrat die A. die Auffassung, der behandelnde Arzt habe eine neue Krankschreibung „Erstbescheinigung“ mit neuer Diagnose ausgestellt (Arbeitsunfall ist nicht mehr angegeben). Die Beklagte sei zur Lohnfortzahlung verpflichtet.

Seit dem 21.09.2022 bezieht der Kläger Krankengeld.

Mit der Klage vom 14.11.2022, die am 16.11.2022 beim Arbeitsgericht Gera eingegangen ist, begehrt der Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum 10.08.22 – 20.09.22.

Im weiteren Mail-Verkehr vom 01.12.2022 (Bl. 52 d.A.) hielten die Beklagte und die A. an ihren jeweiligen Rechtsauffassungen fest.

Im Gütetermin am 19.12.2022 (Bl. 23 d.A.) konnte eine gütliche Einigung nicht erzielt werden.

Im Frühjahr 2023 haben zwei Wiedereingliederungsversuche des Klägers stattgefunden, einmal für die Dauer von 4 Wochen und dann noch einmal für die Dauer von 6 Wochen. Die Wiedereingliederungsversuche wurden jeweils abgebrochen. Der Kläger konnte keinen Gabelstapler fahren. Er konnte nicht länger als 3 Stunden schmerzfrei sitzen ohne Schmerzmittel zu nehmen.

Unter dem 22.02.2023 hat der Kläger seine behandelnden Ärzte, den Durchgangsarzt Dr.med. H. sowie seinen Hausarzt Dipl. med. S. von der Schweigepflicht entbunden (Bl. 30 d.A.).

Im März 2023 wurde der Kläger rückwirkend als schwerbehindert mit GdB 40 eingestuft.

In seiner Stellungnahme vom 25.04.2023 (Bl. 58 d.A.) hat der Hausarzt Dipl. med. S. einen Zusammenhang zwischen der durch den Arbeitsunfall bedingten Arbeitsunfähigkeit und der neuen Arbeitsunfähigkeit ab 10.08.2022 bestätigt.

Wegen der Stellungnahme des Durchgangsarztes Dr.med. H. wird auf Bl. 59 d.A. Bezug genommen.

Im sozialmedizinischen Kurzgutachten vom 01.06.2023 (Bl. 73 ff. d.A.) hat der Medizinische Dienst eingeschätzt, es handele sich nicht um die selbe Krankheit im ursächlichen Sinne eines einheitlichen Krankheitsgeschehens.

Der Kläger vertritt die Auffassung, er habe Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von 6 Wochen für den Zeitraum 10.08.2022 – 20.09.2022.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 2.194,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB i.V. mit § 288 II BGB hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei nicht gegeben. Eine neue Erkrankung werde bestritten. Es liege eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit vor. Die Beklagte beruft sich auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles (BAG Urteil vom 11.12.2009 – fünf AZR 505/18).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen dazugehörenden Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 19.12.2022 und 12.07.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum Mittwoch 10.08.2022 bis Dienstag 20.09.2022.

Dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung steht der von der Rechtsprechung des BAG entwickelte Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles entgegen.

Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von 6 Wochen begrenzt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinander folgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt (BAG-Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18).

Bei Anwendung dieses Maßstabes ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch zu verneinen.

Der Kläger war seit dem Arbeitsunfall vom 14.12.2021 ununterbrochen arbeitsunfähig bis einschließlich zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 12.07.2023. Die zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung BG V. ausgestellten AU-Bescheinigungen liefen bis einschließlich 09.08.2022. Mit der neuen Erstbescheinigung vom 09.08.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit ab dem 10.08.2022 festgestellt. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten folgten damit lückenlos aufeinander. Zwischen ihnen lag kein einziger Arbeitstag des Klägers. Damit ist kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegeben.

Bei seiner Entscheidung hat das Gericht berücksichtigt, dass auch eine Fortsetzungserkrankung vorliegen dürfte.

Wird der Arbeitnehmer nach dem Ende einer Arbeitsunfähigkeit erneut krank, ist für das Entstehen eines neuen Anspruchs auf Entgeltfortzahlung maßgeblich, ob die Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit beruht oder eine andere Krankheit Auslöser der Arbeitsverhinderung ist. Hat die Arbeitsunfähigkeit unterschiedliche Krankheitsursachen, hat der Arbeitnehmer für jede Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung von bis zu 6 Wochen. Stellt sich die neue Erkrankung dagegen als eine Fortsetzung der früheren Erkrankungen dar, weil – trotz verschiedener Krankheitssymptome – die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf dem selben nicht behobenen Grundleiden beruht, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor. In diesem Fall behält der Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von 6 Wochen nur dann, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens 6 Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von 12 Monaten abgelaufen ist.

Auch bei Anwendung dieses Maßstabes hat der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Die 1. Arbeitsunfähigkeit beruhte auf dem Arbeitsunfall und der dadurch entstandenen Verletzung des Steißbeins. Dass das Steißbein gebrochen war, wurde erst im Januar 2022 festgestellt. Der Bruch mag, wie im Kontroll-MRT festgestellt, ausgeheilt sein. Gleichwohl ist der Kläger mit der neuen Erstbescheinigung weiterhin wegen einer krankhaften Veränderung des Steißbeins arbeitsunfähig. Dieser Zusammenhang wurde auch von seinem Hausarzt Dipl. med. S. bestätigt.

Die Stellungnahme des Durchgangsarztes Dr.med. H. war sehr zurückhaltend formuliert. Gleichwohl hat auch der Durchgangsarzt einem Fortsetzungszusammenhang nicht widersprochen.

Die von der A. und dem Medizinischen Dienst vertretene Rechtsauffassung kann das Gericht nicht nachvollziehen. Beide stellen lediglich formal darauf ab, dass eine neue Diagnose gestellt worden ist. Ein anderer Diagnoseschlüssel allein kann den offensichtlichen Fortsetzungszusammenhang jedoch nicht aus der Welt schaffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Kläger hat als unterliegende Partei die Kosten zu Rechtsstreits zu tragen.

Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Wert des Streitgegenstandes folgt aus der Höhe des eingeklagten Betrages.

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