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Fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung vor Gericht geprüft

Kündigung im Kleinbetrieb: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Ansprüche aus Annahmeverzug

Im zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung eines nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallenden Arbeitsverhältnisses beendet wurde, und ob dem Arbeitnehmer Ansprüche auf Annahmeverzugslohn, Abgeltungsansprüche im Zusammenhang mit Überstunden und nicht genommenem Urlaub sowie ein Anspruch auf ein Arbeitszeugnis zustehen.

Der Kläger, ein 1999 geborener Lackierer, war seit Mai 2020 bei der beklagten Firma beschäftigt. Diese stellt einen Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes dar. Die Parteien haben eine dreimonatige Probezeit vereinbart. Im Oktober 2020 verließ der Kläger an einem Montag seinen Arbeitsplatz und war an den folgenden zwei Tagen unentschuldigt abwesend. Am Mittwochnachmittag teilte er dem Prokuristen aufgrund einer Erkrankung per WhatsApp seine Arbeitsunfähigkeit mit.

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Kündigung wegen unentschuldigter Abwesenheit und Krankmeldung per WhatsApp

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum Monatsende. In den Briefkasten des Klägers wurde die Kündigung am Mittwochnachmittag eingeworfen. Am Tag darauf erhielt die Beklagte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die eine Erkrankung vom Dienstag bis zum Samstag bescheinigte. Der Kläger machte geltend, er habe am Montag Urlaub beantragt, um seinen Hund zum Tierarzt zu bringen, was vom Prokuristen abgelehnt worden sei. Die behauptete Absprache, länger zu arbeiten, habe nicht stattgefunden.

Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug und Abgeltung von Überstunden und Urlaub

Der Kläger verlangte unter anderem die Zahlung von Annahmeverzugslohn, Abgeltung von Überstunden und nicht genommenem Urlaub, die in der Kündigung nicht berücksichtigt worden seien. Die Beklagte hatte für Oktober ein Bruttoentgelt abgerechnet und ausgezahlt, jedoch keine Überstunden oder Urlaubsansprüche berücksichtigt. In den Abrechnungen für Juli und August wurden dem Kläger Überstunden gutgeschrieben.

Landesarbeitsgericht entscheidet zugunsten des Arbeitnehmers

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz urteilte am 15.11.2021 unter dem Aktenzeichen 3 Sa 161/21 zugunsten des Klägers. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen und eine Revision nicht zugelassen. Das Arbeitsverhältnis wurde demnach nicht aufgrund der außerordentlichen Kündigung beendet, und die Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugslohn, Abgeltung von Überstunden und Urlaub sowie ein Arbeitszeugnis wurden bestätigt.

Fazit: Fristlose Kündigung unwirksam und Ansprüche des Arbeitnehmers durchgesetzt

Im Ergebnis wurde die fristlose Kündigung als unwirksam erachtet, da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers rechtzeitig angezeigt wurde – auch wenn dies per WhatsApp und erst am dritten Tag der Erkrankung geschehen ist. Zudem wurden die Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugslohn, Abgeltung von Überstunden und Urlaub sowie ein Arbeitszeugnis bestätigt. Dies zeigt, dass auch in Kleinbetrieben, die nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, Kündigungen nicht ohne Weiteres möglich sind und arbeitsrechtlich korrekt abgewickelt werden müssen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 3 Sa 161/21 – Urteil vom 15.11.2021

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 04.03.2021 – 5 Ca 791/20 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung eines nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallenden Arbeitsverhältnisses sein Ende gefunden hat, oder aber nicht, ferner darüber, ob dem Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche aus Annahmeverzugslohn, Abgeltungsansprüche im Zusammenhang mit Überstunden und nicht genommenem Urlaub, sowie ferner darüber, ob ihm ein Anspruch auf Zeugniserteilung gegenüber der Beklagten zusteht.

Der 1999 geborene, ledige Kläger ist seit dem 11.05.2020 bei der Beklagten als Lackierer aufgrund eines schriftlich zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages vom 11.05.2020 gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.000,- EUR beschäftigt. Die Parteien haben gemäß § 2 Nr. 1 ihres Arbeitsvertrages eine dreimonatige Probezeit vereinbart. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 12 – 16 der Akte Bezug genommen. Bei der Beklagten handelt es sich um Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 KSchG).

Der Kläger hat eine tägliche Arbeitszeit von 8:00 Uhr bis 17:00 Uhr. Am 12.10.2020 verließ der Kläger etwa gegen 17:00 Uhr seinen Arbeitsplatz. Am 13. und 14.10.2020 erschien er nicht im Betrieb der Beklagten. Am Nachmittag des 14.10.2020 meldete sich der Kläger per WhatsApp bei dem Prokuristen Z. und teilte diesem mit, er sei arbeitsunfähig.

Mit Datum 14.10.2020, in den Briefkasten des Klägers gegen 16:00 Uhr an diesem Tag eingeworfen, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2020 gekündigt. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 8 d.A. Bezug genommen.

Am 15.10.2020 ging der Beklagten gegen 14:00 Uhr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers vom 15.10.2020 zu, ausgestellt durch Herrn Dr. G., in der eine Arbeitsunfähigkeit vom 13.10. bis zum 17.10.2020 bescheinigt wird. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird auf Bl. 76 d.A. Bezug genommen.

Die Beklagte hat für den Monat Oktober 2020 insgesamt ein Bruttoentgelt in Höhe von 993,33 EUR abgerechnet und 655,16 EUR an den Kläger ausgezahlt; insoweit wird auf Bl. 74 d.A. Bezug genommen. Mit der Abrechnung Juli 2020 hat die Beklagte 67,5 Überstunden und mit Abrechnung August 2020 weitere 41,5 Überstunden, jeweils mit dem Faktor 12,- EUR pro Stunde, abgerechnet; vgl. insoweit Bl. 71, 72 d.A.

Mit Schriftsatz vom 29.10.2020, beim Arbeitsgericht eingegangen am gleichen Tag, hat der Kläger Klage eingereicht, die der Beklagten am 05.11.2020 zugestellt worden ist und mit Schriftsatz vom 22.01.2021 erweitert wurde.

Der Kläger hat vorgetragen, am Montag, dem 12.10.2020 habe er bei dem Prokuristen Z. wegen Urlaub nachgefragt, da er seinen Hund wegen Blutungen zum Tierarzt habe bringen wollen. Dies habe Herr Z. ausdrücklich abgelehnt. Die behauptete Abrede, wonach er mit dem Prokuristen Z. vereinbart habe, länger zu bleiben, habe es nicht gegeben. Unmittelbar nach Arbeitsende sei er gegen 17:30 Uhr mit dem Hund zum Tierarzt gefahren und sein Hund sei notoperiert worden, woraufhin er diesen gegen 0:30 Uhr habe abholen können. Am 13.10.2020 sei er morgens arbeitsunfähig erkrankt und habe bereits vor Arbeitsbeginn drei- oder viermal versucht, im Betrieb anzurufen, um den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Es sei aber niemand an das Telefon gegangen. Darauf habe er sich wieder ins Bett legen müssen und sich bereits am frühen Morgen mehrfach übergeben müssen. Trotz seiner Erkrankung habe er dann am 14.10.2020 die fristlose Kündigung erhalten. Die ordentliche Kündigung zum 31.10.2020 wahrt die gesetzliche Kündigungsfrist nicht im Hinblick darauf, dass eine dreimonatige Probezeit vereinbart worden sei.

Durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14.10.2020 habe somit das Arbeitsverhältnis frühestens zum 15.11.2020 gekündigt werden können. Folglich stehe ihm für den Monat Oktober 2020 der volle Bruttolohnanspruch in Höhe von 2.000,- EUR zu und zusätzlich für November 2020 ein Anspruch in Höhe von 1.000,- EUR brutto. Des Weiteren habe er Anspruch auf Überstundenabgeltung in Höhe von 657,- EUR brutto. Ausweislich des Arbeitsvertrages sei eine Vergütung von 15,- EUR pro Überstunde vereinbart gewesen. Ausweislich seines Stundenzettels habe er erhebliche Überstunden leisten müssen. Die Überstunden bis zum 23.07.2020 in Höhe von 67,5 Überstunden, die mit der Abrechnung Juli 2020 und die 41,5 Überstunden bis zum 28.07.2020, die mit der Augustabrechnung vergütet worden seien, seien zu Unrecht auf der Basis von 12,- EUR pro Stunde abgerechnet worden. Des Weiteren habe er am 22.09.2020 4 Überstunden, am 28.09.2020, 1,5 Überstunden, am 29.09.2020, 1 Überstunde, am 01.10.2020 2 Überstunden, am 02.10.2020 3,5 Überstunden, am 03.10.2020 6 Überstunden, am 07.10.2020 1 Überstunde und am 08.10.2020 4 Überstunden geleistet. Ausgehend davon ergäben sich weitere Zahlungsansprüche in Höhe von 202,50 EUR brutto, 124,50 EUR brutto, sowie schließlich 345,- EUR brutto.

Ausweislich des Arbeitsvertrages sei ein Anspruch auf 25 Tage Urlaub pro Jahr vereinbart gewesen. Ausgehend von einer 6-monatigen Betriebszugehörigkeit stehe ihm ein Anspruch auf 12,5 Urlaubstage und damit einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 1.091,50 EUR zu.

Des Weiteren habe er Anspruch auf ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis. Seine Arbeitsleistungen seien gut gewesen, so dass sich der Anspruch auf eine gute Note richte.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 14.10.2020 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 14.10.2020 zum 15.11.2020 beendet worden ist,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Arbeitslohn für den Monat Oktober 2020 i. H. v. 2.000,00 EUR brutto nebst 5% Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2020 zu zahlen, abzüglich gezahlter 655,16 EUR netto,

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Arbeitslohn für den Monat November 2020 i. H. v. 1.000,00 EUR brutto nebst 5% Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2020 zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Überstundenabgeltung i. H. v. 672,00 EUR brutto nebst 5% Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Urlaubsabgeltung i. H. v. 1.091,50 EUR brutto nebst 5% Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen,

7. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis der Notenstufe „gut“ zu erteilen, welches sich auf Leistung und Führung erstreckt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe fachlich unterdurchschnittliche Leistungen erbracht und seine Lackierarbeiten oft mehrfach wiederholen müssen. Deshalb sei zwischen den Parteien vereinbart gewesen, dass er am Montag, den 12.10.2020 nicht um 17:00 Uhr gehe, sondern länger bleibe, um notwendige Arbeiten zu Ende zu führen. Der Kläger sei damit ausdrücklich einverstanden gewesen. Am 12.10.2020 habe der Kläger nicht nach Urlaub gefragt. Richtig sei lediglich, dass der Kläger im Laufe des 12.10.2020 angefragt habe, ob er eine Stunde früher gehen könne, was Herr Z. aufgrund der liegen gebliebenen Arbeit abgelehnt habe. Stattdessen sei die Absprache getroffen worden, dass er, der Kläger, länger bleibe. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass der Kläger im Anschluss mit seinem Hund zum Tierarzt gefahren und dort eine Notoperation durchgeführt worden sei.

Nachdem der Kläger sich dann am 12.10.2020 unerlaubt um 17:00 Uhr von der Arbeit entfernt habe, habe er bis zum Nachmittag des 14.10.2020 ohne Anzeige oder Entschuldigung gefehlt. Es treffe nicht zu, dass der Kläger versucht habe, sich arbeitsunfähig zu melden. Er habe sich insoweit mehrere Telefonnummern bedienen können, unter anderem der ständig besetzten Festnetznummer des Betriebes der Beklagten. Das Telefon sei ab 7:45 Uhr erreichbar und besetzt. Im Falle der Nichtbesetzung würden Anrufe auf das Handy des Prokuristen Z. umgeleitet. Ersatzweise habe der Kläger die ihm bekannte Handynummer des Herrn Z. anrufen können oder eine WhatsApp-Nachricht am Morgen des 13.10.2020 schicken können, wie er es am 14.10.2020 nachmittags auch tatsächlich getan habe. Herr Z. habe darüber hinaus selbst mehrfach erfolglos versucht, den Kläger im Laufe des 13. und 14.10.2020 telefonisch auf seinem Mobiltelefon zu erreichen. Der Kläger habe damit über drei Kalendertage hinweg seinen Arbeitsplatz absprachewidrig verlassen und sei ohne jede Kommunikation seiner Arbeitsstätte ferngeblieben. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger nicht damit rechnen können, dass sie, die Beklagte, dieses Verhalten hinnehme, so dass es einer Abmahnung nicht bedurft habe. Im Übrigen sei der Kläger von Herrn Z. in den Monaten zuvor oftmals auf seine fehlerhafte Arbeitsleistung und die Gefährdung seines Arbeitsverhältnisses hingewiesen und somit abgemahnt worden, bspw. am 01.10.2020 gegen 13:30 Uhr.

Da die außerordentliche Kündigung vom 14.10.2020 wirksam sei, habe der Kläger auch keinen weiteren Anspruch auf Entgelt für diesen Monat, ebenso wenig für den Monat November 2020.

Dem Kläger stünden keine Ansprüche auf weitere Überstundenabgeltung zu. Soweit es um die in den Monaten Juli und August 2020 abgerechneten Überstunden gehe, treffe es nicht zu, wenn der Kläger von einer Überstundenvergütung von 15,- EUR pro Stunde ausgehe. Die vertragliche Vereinbarung in § 3 Nr. 1 des schriftlich zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages beziehe sich lediglich auf „vereinbarte Überstunden“. Es weder ersichtlich, noch vom Kläger vorgetragen, dass vorliegend eine Vereinbarung über die Überstunden gegeben sei. Vor allem aber hätten sich die Parteien, d.h. der Kläger mit Herrn Z., im August 2020 generell zunächst verständigt, dass Überstunden jeglicher Art nur mit 12,- EUR pro Stunde vergütet würden und im September 2020, dass der Kläger durch seine Fehler verursachte Überstunden unentgeltlich leiste vor dem Hintergrund der unzureichenden fachlichen Qualifikation. Die weiteren 23 Überstunden im September 2020 würden darüber hinaus bestritten.

Ein Urlaubsabgeltungsanspruch bestehe lediglich bis zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung.

Der Kläger habe keinen Anspruch auf ein „gutes“ qualifiziertes Arbeitszeugnis; er habe noch nicht einmal befriedigend gearbeitet, seine Leistungen seien allenfalls ausreichend gewesen.

Das Arbeitsgericht – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – hat daraufhin durch Urteil vom 04.03.2021 – 5 Ca 791/20 – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 14.10.2020 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 15.11.2020 fortbestanden hat und des Weiteren die Beklagte verurteilt, an den Kläger Arbeitslohn für den Monat Oktober 2020 in Höhe von 2.000,- EUR brutto abzüglich 655,16 EUR netto nebst Zinsen, Arbeitslohn für den Monat November 2020 in Höhe von 1.000,- EUR brutto nebst Zinsen, Überstundenabgeltung in Höhe 327,- EUR brutto, Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.091,50 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen und die Beklagte schließlich verurteilt, dem Kläger ein wohlwollendes qualifiziertes ordentliches Arbeitszeugnis zu erteilen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 98 – 117 d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13.04.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 12.05.2021 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 14.07.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 14.06.2021 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 14.07.2021 einschließlich verlängert worden war.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, sie verbleibe bei ihrer Darstellung, dass es am 12.10.2020 zu der von ihr dargestellten Absprache zwischen dem Kläger und Herrn Z. gekommen sei (Bl. 159 d.A.). In der sodann erfolgten „Flucht“ vom Arbeitsplatz des Klägers entgegen ausdrücklicher Absprache liege eine schwere Arbeitsverweigerung, die selbst ohne Abmahnung zur Kündigung berechtige, auch wenn eine solche vorliege. Auch zu mangelhaften Arbeitsleistungen des Klägers werde auf den bisherigen Vortrag verwiesen. Er, der Kläger, sei gegangen in dem Wissen, dass die Beklagte sehr hohen Wert darauflege, dass er an diesem Tag Nachbesserungs- und Korrekturarbeiten erbringe. Dies mache das einseitige Gehen besonders verwerflich. Hinsichtlich der fehlenden „Krankmeldung“ des Klägers bis zum 14.10.2020 bleibe die Beklagte bei ihrem Vortrag und berufe sich ergänzend darauf, dass der Kläger entgegen § 7 Ziffer 1 seines Arbeitsvertrages die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst am 15.10.2020 vorgelegt habe. Schlussendlich aber sei der Kläger tatsächlich weder am 12., noch 13., noch 14., noch 15.10.2020 erkrankt gewesen. Das vorgelegte Attest sei schon dadurch in seinem Beweiswert erschüttert, dass es unmittelbar einer Auseinandersetzung zwischen den Parteien über sein Erscheinen gefolgt sei. Ferner sei die Kündigung dem Kläger am 14.10.2020 zugegangen; sie sei durch Herrn Z. eingeworfen worden. Es habe am Haus zu diesem Zeitpunkt kein „Lebenszeichen“ des Klägers gegeben. Weder sei sein Auto vor seinem Haus geparkt gewesen, noch zeigten sich Personen oder seien Fenster erleuchtet gewesen. Tatsächlich sei der Kläger erkennbar gar nicht zu Hause und auch nicht krank gewesen. Folglich habe er auch noch eine Krankheit vorgetäuscht. Mindestens in der Zusammenschau rechtfertigten die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe die fristlose Kündigung.

Folglich stünden dem Kläger auch keine weiteren Vergütungsansprüche für Oktober und November 2020 zu.

Die vertragliche Differenzierung zwischen „vereinbarten“ und sonstigen Überstunden sei weder intransparent noch sonst unwirksam. Sie sei auch evident sinnvoll. Denn bei Überstunden, die gemeinschaftlich vereinbart worden seien, handele es sich in der Regel um solche, die besonders in die Freizeit des Mitarbeiters eingriffen oder womöglich vom Direktionsrecht allein nicht gedeckt seien. Diese erhöht zu vergüten, sei zielführend. Zudem hätten die Parteien bereits im August 2020 verabredet, jegliche Überstunden nur mit 12,- EUR zu vergüten.

Der Urlaubsanspruch sei jedenfalls um das frühere Ausscheiden mit dem 14.10.2020 zu kürzen.

Insgesamt habe zwischen den Parteien eine Absprache bestanden, wonach der Kläger am 12.10.2020 verpflichtet war, über 17:00 Uhr hinaus zu arbeiten; dieser Verpflichtung sei der Kläger – unstreitig – nicht nachgekommen. Die Mitarbeiterin L. sei bei einem Gespräch, das der Prokurist, Herr Z., geführt habe, nicht anwesend gewesen. Dieses Gespräch mit dem Kläger habe in der Lackiererei stattgefunden, zu diesem Zeitpunkt sei die Zeugin nicht abwesend gewesen. Der Kläger habe den Zeugen Z. nicht darum gebeten, Urlaub nehmen zu dürfen. Es treffe nicht zu, dass der Kläger mehrfach versucht habe, den Prokuristen am 13.10.2020 mehrfach zu erreichen, um ihn über die Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Es sei ausgeschlossen, dass niemand an das Telefon gegangen sei (s. Bl. 247 f. d.A.). Unverständlich sei zudem, dass selbst dann, wenn der Kläger niemand telefonisch erreicht haben sollte, er dann nicht eine WhatsApp-Nachricht an die Beklagte geschickt habe, was ihm am nächsten Tag ohne weiteres möglich gewesen sei. Weiterhin bestünden erhebliche Zweifel an dem Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 14.07.2021 (Bl. 158-163 d.A.) sowie ihren Schriftsatz vom 05.11.2021 (Bl. 244-248 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 4. März 2021 zum Aktenzeichen 5 Ca 791/20 hinsichtlich der Urteilsziffern 1. bis 5. sowie 8. aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen und dem Kläger die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 04.03.2021 – 5 Ca 791/20 – zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, Gründe für eine fristlose Kündigung des Klägers seien nicht gegeben. Eine Abrede zwischen dem Kläger und dem Prokuristen Z., wonach er, der Kläger, verpflichtet gewesen sei, am 12.10.2020 länger zu bleiben und Überstunden abzuleisten, habe es nicht gegeben. Das Vorbringen der Beklagten sei insoweit bewusst vage und unsubstantiiert. Er, der Kläger, habe fast den ganzen Tag mit seiner Arbeitskollegin Frau L. zusammengearbeitet. Dieser habe er, der Kläger, berichtet, dass Herr Z. es abgelehnt habe, dem Kläger vor 17:00 Uhr freizugeben, um mit dem Hund zum Tierarzt gehen zu können. Zu keinem Zeitpunkt sei der Prokurist Z. dann nochmals beim Kläger erschienen und habe ihn angewiesen, Überstunden zu leisten. Am 13.10.2020 sei er arbeitsunfähig erkrankt. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die er, der Kläger, vorgelegt habe, sei durch die unsubstantiierten Angriffe der Beklagten nicht erschüttert worden.

Das Vorbringen der Beklagten, er habe fachlich unterdurchschnittliche Leistungen erbracht, sei unsubstantiiert und wahrheitswidrig. Richtig sei vielmehr, dass er, der Kläger, bis zum 12.10.2020 sorgfältig, schnell und gut gearbeitet habe und er auch deshalb regelmäßig zu Überstunden eingeteilt worden sei. Er, der Kläger, habe stets Überstunden geleistet, wenn ihm dies von Herrn Z. aufgetragen worden sei, ihm sei am Erhalt des Arbeitsplatzes gelegen gewesen. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht betreffend Arbeitsunfähigkeit liege nicht vor; er habe in Gegenwart von zwei Zeugen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 15.10.2020 gegen 14:00 Uhr in den Briefkasten der Beklagten eingelegt (s. Bl. 183 d.A.). Im Übrigen rechtfertige ein solcher Verstoß eine fristlose Kündigung nicht.

Soweit die Beklagte behaupte, es sei zwischen „vereinbarten Überstunden“ und Überstunden „an sich“ zu differenzieren, lasse sich dafür aus dem Arbeitsvertrag keinerlei Anhaltspunkte entnehmen. Im Übrigen unterliege der Arbeitsvertrag als AGB einer Transparenzkontrolle; zudem sei vorliegend eine unangemessene Benachteiligung dadurch gegeben, dass die fragliche Bestimmung nicht klar und verständlich sei.

Schließlich stehe ihm, dem Kläger, auch noch ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 13.08.2021 (Bl. 180-184 d.A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 15.11.2021.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung des Klägers ist zwar form- und fristgerecht eingelegt worden; allerdings genügt die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen, so dass seine Berufung bereits unzulässig ist.

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar.

Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Regelung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt werden. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten sein. Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Jedoch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 23.11.2017 – 8 AZR 458/16; 26.04.2017- 10 AZR 275/16; 27.12.2016 – 2 AZR 613/14; 19.02.2013 – 9 AZR 543/11; 16.05.2012 – 4 AZR 245/10 -; 18.05.2011 – 4 AZR 552/09 -; BAG 15.03.2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11, m. w. N., AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 44; BGH 22.01.2019 – XI ZB 9/18; LAG Rheinl.-Pfalz 25.09.2017 – 3 Sa 249/17, Beck RS 2017, 144194; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, DLW/Dörner 15. Auflage 2019, Kap. 15, Rn. 720 ff.). Erforderlich ist die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der weshalb bekämpft (BGH 22.01.2019 – XI ZB 9/18; 07.06.2018/I ZB 57/17, NJW 2018, 2894; 11.10.2016/XI ZB 32/15 NJW-RR 2017, 365).

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsschrift der Beklagten nicht. Denn die Berufungsbegründung besteht lediglich aus einer teilweisen Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung findet nicht statt, außer dass die Beklagte deutlich zum Ausdruck bringt, dass sie mit dieser nicht einverstanden ist.

Folglich ist die Berufung bereits unzulässig.

II.

Unbeschadet dessen erweist sich die Berufung auch als unbegründet.

Denn das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung der Beklagten vom 14.10.2020 unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB am 15.11.2020 beendet worden ist. Der Kläger kann daher beanspruchen, bis zu diesem Zeitpunkt ordnungsgemäß auf der Grundlage der monatlichen Bruttoentgeltvereinbarung vergütet zu werden; ebenso berechnet sich der Urlaubsabgeltungsanspruch bis zu diesem Beendigungszeitpunkt. Ferner steht dem Kläger ein Differenzanspruch bezüglich der Überstundenvergütung für die Monat Juli und August 2020 zu. Schließlich hat er auch einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten wohlwollenden Arbeitszeugnisses ohne Festlegung auf eine bestimmte Note.

I.

Die Feststellungsklage ist form- und fristgerecht beim Arbeitsgericht eingegangen. Der Kläger richtet sich mit seiner Klageschrift vom 29.10.2020, eingegangen beim Arbeitsgericht am gleichen Tag, gegen die arbeitgeberseitige Kündigung vom 14.10.2020, ihm zugegangen am selben Tag. Die Klage ist am 05.11.2020 der Beklagten zugestellt worden. Die dreiwöchige Klageerhebungsfrist der §§ 4, 7 KSchG ist somit gewahrt.

Das Arbeitsverhältnis unterliegt nicht den Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes, da im Kündigungszeitpunkt der Kläger die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht erfüllt und es sich bei der Beklagten um einen Kleinbetrieb im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG handelt.

Mithin ist das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen jederzeit ordentlich kündbar.

Soweit die Beklagte mit dem 14.10.2020 primär eine fristlose Kündigung ausgesprochen hat, konnte nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen haben.

Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung sind gem. § 626 Abs. 2, Abs. 1 BGB nicht gegeben. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB ist insbesondere ein für die Rechtswirksamkeit des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung zu fordernder wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nicht gegeben; die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Beklagten mit der Klägerin ist aufgrund des vorliegend zu beurteilenden Lebenssachverhalts auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht unzumutbar.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, auf-grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS). Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind (Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 4. Auflage 2012 (APS-Dörner/Vossen), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts (DLW/Dörner), 16. Auflage 2022, Kap. 4. Rn. 1121 ff.).

Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen. Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch eine Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts Anderes (BAG 15.12.1955 NJW 1956, 807; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 3.7.2003 EzA § 626 BGB 202 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12, 484; 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32).

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Dabei ist insbes. nicht auf die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers abzustellen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab („verständiger Arbeitgeber“) entscheidend, also ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters weiterhin hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsste, nicht aber, ob er es tatsächlich hat (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an, die vergangene Pflichtverletzung muss sich noch in Zukunft belastend auswirken (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 23.10.2008 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 25; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG BW 25.3.2009 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297). Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein.

Das kann dann der Fall sein, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind, d. h., wenn davon ausgegangen werden muss, der Arbeitnehmer werde auch künftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen oder sonst von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (LAG BW 25.3.2009 § 626 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297).

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig (vgl. z. B. BAG 24.3.2011 2 AZR 282/10 EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35).

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der – in der Regel – vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner/Vossen, § 626 BGB a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.). In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 24.3.2011 – 2 AZR 282/10- EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 27.09.2012 -2 AZR 646/11 – EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS).

Entscheidend ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung bzw. bis zum Ende der vereinbarten Befristung (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS; LAG Bl. 5.1.2005 – 17 Sa 1308/04 – EzA-SD 8/05, Seite 12 LS; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O.).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegen seiner erheblichen Pflichtverletzung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung des Interesses des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen – einstweiligen – Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013, Seite 6 LS).

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung „Ultima Ratio“, so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS; krit. Stück-mann/Kohlepp RdA 2000, 331 ff.).

Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 – 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 – 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).

Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeit-nehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Das gilt grds. uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA -RR 2012, 353; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356), denn auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (BAG 10.06.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Preis AuR 2010, 242; Schlachter NZA 2005, 433 ff.; Schrader NJW 2012, 342 ff.; s. LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA-RR 2012, 353; Arbeitszeitbetrug; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356: vorzeitiges Arbeitsende ohne betriebliche Auswirkungen).

Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung ist grundsätzlich (ebenso wie bei der ordentlichen Kündigung) der Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. Zugangs der Kündigung. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32 = NZA 2010, 1227; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 15.12.1955 BAGE 2, 245).

Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (BAG 10.6.2010; a. a. O.; 28.10.1971 a. a. O.). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (BAG 10.6.2010 a. a. O; 15.12.1955 a. a. O.). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (BAG 15.12.1955 a. a. O). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (BAG 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 202 Nr. 4 a. a. O.; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12; 3.7.2003 EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2) gilt nichts Anderes.

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). „Absolute Kündigungsgründe“, die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG 15.11.1984 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 95; 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27).

Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gilt Folgendes:

Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich liegt insoweit im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung i.S.v. § 286 ZPO (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027).

Im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungslast trifft jede Prozesspartei eine vollständige Substantiierungspflicht; sie hat sich eingehend und im Einzelnen nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert zu äußern. Andererseits darf von keiner Prozesspartei von Verfassung wegen etwas Unmögliches verlangt werden. Der Konflikt zwischen diesen beiden Positionen wird gelöst durch das Prinzip der Sachnähe, d. h., je näher eine Prozesspartei an dem fraglichen tatsächlichen Geschehen selbst unmittelbar und persönlich beteiligt ist, desto eingehender hat sie substantiiert vorzutragen. Das kann so weit gehen, dass sie auch verpflichtet sein kann, durch tatsächliches Vorbringen oder Vorlage von Unterlagen die Gegenpartei überhaupt erst in die Lage zu versetzen, der ihr obliegenden Darlegungslast nachzukommen. Schließlich muss das tatsächliche Vorbringen wahrheitsgemäß sein (vgl. BAG 26.06.2008, 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32, Nr. 33).

Zu den die Kündigung begründen Tatsachen, die der Kündigende vortragen und gegebenenfalls beweisen muss, gehören auch diejenigen, die Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe (z.B. eine vereinbarte Arbeitsbefreiung, die Einwilligung des Arbeitgebers in eine Wettbewerbstätigkeit; eine „Notwehrsituation“, vgl. LAG Köln 20.12.2000 ARST 2001, 187) für das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers ausschließen (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109; 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06, EzA-SD 8/2009 S. 9: Notwehr bei tätlicher Auseinandersetzung; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607).

Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substantiiert der Gekündigte sich auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Kündigende muss daher nicht von vornherein alle nur denkbare Rechtfertigungsgründe widerlegen.

Es reicht insoweit nicht aus, dass der Gekündigte pauschal und ohne nachprüfbare Angaben Rechtfertigungsgründe geltend macht. Er muss deshalb unter substantiierter Angabe der Gründe, die ihn gehindert haben, seine Arbeitsleistung, so wie an sich vorgesehen, zu erbringen, den Sachvortrag des Kündigenden nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen bestreiten. Gleiches gilt dann, wenn sich der Gekündigte anders als an sich vorgesehen verhalten hat (s. BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06, FA 2009, 221 LS).

Nur dann ist es dem Kündigenden möglich, diese Angaben zu überprüfen und ggf. die erforderlichen Beweise anzutreten (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109). Wenn der gekündigte Arbeitnehmer sich allerdings gegen die Kündigung wehrt und i. S. d. § 138 Abs. 2 ZPO ausführlich Tatsachen vorträgt, die einen Rechtfertigungsgrund für sein Handeln darstellen oder sonst das Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen können, muss der Arbeitgeber seinerseits Tatsachen vorbringen und ggf. beweisen, die die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe erschüttern (LAG Köln 21.04.2004 LAG Report 2005, 64 LS). Will der Arbeitgeber bspw. die außerordentliche Kündigung auf die Behauptung stützen, der Arbeitnehmer habe Beträge aus der Einlösung von Schecks unterschlagen, muss er im Einzelnen diese Unterschlagung darlegen und unter Beweis stellen. Wenn der Arbeitnehmer nachvollziehbar darlegt, wann und wenn er die Beträge abgeliefert hat, kann sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg auf den Standpunkt stellen, der Arbeitnehmer müsse die Ablieferung der Beträge beweisen (LAG Köln 26.06.2006 – 14 Sa 21/06, EzA-SD 19/06, S. 10 LS).

Die dem kündigenden Arbeitgeber obliegende Beweislast geht auch dann nicht auf den gekündigten Arbeitnehmer über, wenn dieser sich auf eine angeblich mit dem Arbeitgeber persönlich vereinbarte Arbeitsbefreiung beruft und er einer Parteivernehmung des Arbeitgebers zu der streitigen Zusage widerspricht.

In diesem Fall sind allerdings an das Bestreiten einer rechtswidrigen Vertragsverletzung hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ortes und des Anlasses der behaupteten Vereinbarung, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen sollen, strenge Anforderungen zu stellen (BAG 24.11.1983 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 88; APS/Dörner/Vossen § 626 BGB Rn. 173 ff.).

Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht zu beweisen, ist die streitgegenständliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam (LAG RhPf 21.05.2010 NZA-RR 2011, 80).

Für das erforderliche Beweismaß der vollen Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO gelten nachfolgende Grundsätze:

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist.

Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien – insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit – als Zielpunkt aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).

Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für – auch nur geringe – Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr „erachten“. Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise eine Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.

Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.

Die Tatsachengerichte haben nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BAG 21.09.2017 – 2 AZR 57/17, EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 101 = NZA 2017, 1524). Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO ist dabei, wie dargelegt, ausreichend, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 17 = NZA 2018, 1405).

Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen – deren Richtigkeit unterstellt – von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Die wesentlichen Grundlagen der Überzeugungsbildung sind nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO nachvollziehbar darzulegen. Dies erfordert keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass überhaupt eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat. Es genügt nicht, allein durch formelhafte Wendungen ohne Bezug zu den konkreten Fallumständen zum Ausdruck zu bringen, das Gericht sei von der Wahrheit einer Tatsache überzeugt oder nicht überzeugt (BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 17 = NZA 2018, 1405).

Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO grundsätzlich auch erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist. Er kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen kann. Hat die erste Instanz ihre freie Überzeugung nach § 286 ZPO auf eine Parteianhörung gestützt, muss das Berufungsgericht sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung mit dem Ergebnis dieser Parteianhörung auseinandersetzen und die informatorische Anhörung nach § 141 ZPO ggf. selbst durchführen (BGH 27.09.2017 – XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249).

Eine beharrliche Arbeitsverweigerung ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die von ihm geschuldete Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will. Maßgebend ist die objektive Rechtslage (BAG 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 66 = NZA 2018, 1259; 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 65 = NZA 2018, 646; 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417; 19.1.2016 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 54 = NZA 2016, 1144). Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grds. er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 65 = NZA 2018, 646; s. DLW/Dörner, a.a.O., Kap. 4 Rdn. 1472 ff.)).

Bei Schlechtleistungen oder unzureichender Arbeitsleistung kommt zwar eine außerordentliche Kündigung nur in Ausnahmefällen in Betracht (BAG 20.3.1969 EzA § 123 GewO Nr. 11; LAG Köln 16.9.2004 – 5 Sa 592/04, EzA-SD 25/04 S. 8 LS; LAG MV12.9.2017 – 5 Sa 258/16, LAGE § 2 KSchG Nr. 10). Denn der Arbeitgeber hat durch eine geeignete Organisation sicherzustellen, dass Arbeitsfehler z.B. im sicherheitsrelevanten Bereich frühzeitig erkannt und alsdann auch beseitigt werden (LAG Düsseld. 25.7.2003 LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; s.a. LAG Hamm 26.11.2004 – 15 Sa 463/04, NZA-RR 2005, 414). Insoweit werden die Interessen des Arbeitgebers und des Betriebes im Allgemeinen durch den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nach vorausgegangener Abmahnung genügend gewahrt (LAG MV12.9.2017 – 5 Sa 258/16, LAGE § 2 KSchG Nr. 10).

Eine Kündigung wegen „beharrlicher Arbeitsverweigerung“ scheidet allerdings dann von vornherein aus, wenn der Arbeitnehmer berechtigt war, Arbeiten abzulehnen, die der Arbeitgeber ihm unter Überschreitung des Direktionsrechts zugewiesen hat (BAG 24.2.2011 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = NZA 2011, 1087). Denn wenn der Arbeitgeber keinen vertragsgemäßen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, entsteht keine Arbeitspflicht (LAG Nds. 8.12.2003 NZA-RR 2005, 22 LS; LAG Hamm 11.12.2008 LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 16). Eine außerordentliche Kündigung wegen Arbeitsverweigerung kommt deshalb z.B. dann nicht in Betracht, wenn die Befolgung der Weisungen des Arbeitgebers zu einer gesetzeswidrigen Überschreitung der Arbeitszeit nach dem ArbZG führen würde (LAG RhPf 25.5.2007 – 6 Sa 53/07, BB 2008, 59 LS).

Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung verweigern, wenn sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift regelt das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer kann sich von der Arbeitsleistung (nur) »befreien«, wenn sie für ihn in hohem Maße belastend ist. Nach § 273 Abs. 1 BGB kann dem Arbeitnehmer das Recht zustehen, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten. Dieses Recht setzt einen fälligen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber voraus. Es kommt insbes. dann in Betracht, wenn dieser seine aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht auf Grund einer ganz bestimmten, konkreten Gegenforderung ausüben (BAG 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417; s.a. BAG 14.6.2017 – 10 AZR 330/16, EzA § 315 BGB 2002 Nr. 5).

Wenn der Arbeitnehmer meint, ihm stehe ein Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrecht zu, hat grds. er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn er seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass der Arbeitnehmer sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn er damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (BAG 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417).

Bei einer sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung kommt also grds. eine außerordentliche, fristlose Kündigung (§ 626 BGB) in Betracht; es ist dabei u.a. zu würdigen, ob zu besorgen ist (Prognoseprinzip; BAG 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 66 = NZA 2018, 1259; 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 65 = NZA 2018, 646; 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417; 19.1.2016 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 54 = NZA 2016, 1144), der Arbeitnehmer werde in Zukunft seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen. Nach dem ultima-ratio-Prinzip schließt dies aber im Einzelfall nicht aus, dass nur eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist (BAG 21. 11. 1996 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50; vgl. auch BAG 5.4.2001 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 186; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG Nbg. 16. 10. 2007 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 12).

Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraus; er muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass der Arbeitnehmer eine – rechtmäßige (s. BAG 24.2.2011 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = NZA 2011, 1087; 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417) – Weisung unbeachtet lässt. Voraussetzung ist vielmehr, dass eine intensive Weigerung des Arbeitnehmers vorliegt.

Auf die Verletzung der Anzeige- und/oder Nachweispflicht des Arbeitnehmers bei Arbeitsunfähigkeit gemäß § 5 EfzG können unter besonderen Umständen ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (s. Hess. LAG 13.07.1999 AuR 2000, 75). Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EfzG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EfzG ergebenden Nebenpflicht zur unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich geeignet, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und kann daher – je nach den Umständen des Einzelfalls – einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen (BAG 07.05.2020 NZA 2020, 1022; s. DLW/Dörner a.a.O., Kap. 4 Rdnr. 1495 ff.). Wegen des regelmäßig geringen Gewichts bedarf es insoweit – auch bei Vorliegen einer einschlägigen Abmahnung – der Feststellung erschwerender Umstände des Einzelfalles, die ausnahmsweise die Würdigung rechtfertigen, dem Arbeitgeber sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar (BAG 15.01.1986 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 100; LAG Köln 07.01.2008 AuR 2008, 276 LS).

Auch das Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung bilden (LAG Rheinland-Pfalz 13.07.2017 LAGE § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung Nr. 123). Die bewusste Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung unter Vorlage eines Attests ist eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages und an sich als Grund zur außerordentlichen Kündigung geeignet (BAG 23.06.2009 EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung Nr. 76). Zur Zerstörung des Beweiswerts der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geeigneter Sachvortrag erfordert allerdings genaueres tatsächliches Vorbringen, um eine Einschätzung zu ermöglichen, inwieweit der Arbeitnehmer zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fähig gewesen wäre oder inwieweit eine Genesung gefährdet oder verzögert werden könnte (LAG Nürnberg 27.11.2013 LAGE § 102 BetrVG 2001 Nr. 18). Insoweit begründet die Vorlage eines ärztlichen Attests in der Regel den Beweis für die Tatsache der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung. Der Arbeitgeber muss dann den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, indem er Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegt und notfalls beweist (s. LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 NZA-RR 2014, 127; 13.07.2017 LAGE § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung Nr. 123; s. DLW/Dörner, a.a.O., Kap. 4 Rn. 1518 ff.).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht seine Entscheidung wie folgt begründet:

“ Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, § 626 Abs. 2 BGB.

Die Beklagte führt zur Begründung der fristlosen Kündigung an, der Kläger habe durch das Verlassen seines Arbeitsplatzes am 12.10.2020 gegen 17:00 Uhr gegen eine explizite Absprache zwischen ihrem Prokuristen Z. und dem Kläger verstoßen, wonach der Kläger seine Arbeitsleistung an diesem Tag hätte länger erbringen sollen.

Der Kläger hat diese Einlassung der Beklagten bestritten. Vielmehr hat der Kläger im Kammertermin behauptet, zu Beginn des Arbeitstages den Prokuristen Z. zunächst gebeten zu haben, schon um 16:00 Uhr gehen zu können, um mit seinem Hund zum Tierarzt fahren zu können, was dieser abgelehnt hätte. Ein dann gestellter Urlaubsantrag des Klägers soll ebenfalls abgelehnt worden sein. Eine Vereinbarung der Gestalt, dass er über die reguläre Arbeitszeit von 17:00 Uhr hinaus arbeiten solle, habe es nicht gegeben.

Es ist bereits fraglich, ob die Beklagte eine schlüssige Darstellung darüber abgegeben hat, was und vor allen Dingen wann die Parteien über den Umfang der Arbeitsleistung des Klägers für den 12.10.2020 vor dem Hintergrund der regulären Arbeitszeit von 8:00 bis 17:00 vereinbart haben sollen. Letztlich lässt die Kammer dies jedoch dahingestellt und verzichtet – sollte man das Vorbringen der Beklagten für eine Beweisaufnahme zugänglich halten – auf eine Vernehmung des seitens der Beklagten benannten Zeugen Z.

Die Beklagte wirft des Weiteren dem Kläger vor, dass er am 13. und 14.10.2020 bis zu seiner WhatsApp Nachricht am Nachmittag ohne Anzeige und Entschuldigung gefehlt habe.

Bis im Kammertermin am 04.03.2021 hatte die Beklagte keine Stellungnahme zu der unstreitig vorhandenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers, ausgestellt am 15.10.2020 durch Herrn Dr. G. abgegeben, die der Beklagten unstreitig am gleichen Tag gegen 14:00 Uhr in den Briefkasten eingeworfen worden ist.

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt eine Privaturkunde dar. Ihr kommt im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ein hoher Beweiswert zu. Mit der Ausstellung einer ordnungsgemäßen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig war.

Vorliegend ist noch von einer ordnungsgemäßen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszugehen, auch, wenn sich dieser entnehmen lässt, dass der den Kläger behandelnde Arzt, Dr. G., der den Kläger am 15.10.2020 untersucht hat, diesen rückwirkend ab dem 13.10.2020 bis zum 17.10.2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben hat (vgl. Blatt 76 d. A.). So ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien ist eine rückwirkende Krankschreibung bis zu drei Tagen zulässig.

Die Beklagte hat in ihrem schriftsätzlichen Vorbringen die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht bestritten. Erst im Rahmen eines Rechtsgesprächs zwischen den Parteien im Kammertermin am 04.03.2021 hat der Beklagtenvertreter zunächst das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestritten und hierfür das Zeugnis des behandelnden Arztes des Klägers angeführt. Darüber hinaus dürfte es über das einfache Bestreiten hinaus einer weiteren Darstellung von Umständen bedürfen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern könnte, die nicht erfolgt ist.

Das Bestreiten erfolgte zudem außerhalb der gemäß § 56 Abs. 2 ArbGG geregelten richterlichen Vortragsfristen, insbesondere liefert die Beklagte keinen Sachvortrag dafür, warum ein Bestreiten erst im Kammertermin erfolgt ist, da ihr die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seit dem 15.10.2020 bekannt gewesen ist.

Ausgehend hiervon steht für die Kammer zunächst fest, dass der Kläger ab dem 13.10.2020 nicht unentschuldigt, sondern krankheitsbedingt seiner Arbeitsleistung ferngeblieben ist.

Allerdings ist festzustellen – und so wurde bislang auch das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten im Rahmen der Darstellung der Kündigungsgründe verstanden – , dass der Kläger gegen seine unverzügliche Anzeigepflicht verstoßen hat. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen.

Der Kläger hat sich diesbezüglich eingelassen, er habe mehrfach am 13.10.2020 vor Arbeitsbeginn versucht, die Beklagte telefonisch zu erreichen, insgesamt drei bis viermal, es sei niemand ans Telefon gegangen. Er habe sich dann wieder ins Bett legen müssen und mehrfach übergeben müssen.

Diese Einlassung des Klägers, die die Beklagte bestritten hat, erscheint fragwürdig.

Selbst, wenn nach Behauptung des Klägers, er drei- bis viermal vor Arbeitsbeginn versucht hätte, am 13.10.2020 seine Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, ist nicht nachvollziehbar, warum im Falle der Erfolglosigkeit dieses Tuns, der Kläger im weiteren Tagesverlauf nicht erneut versucht hat, seine Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen. Der Umstand, dass der Kläger sich habe mehrfach übergeben müssen und wie im Kammertermin behauptet, an einer Magen- und Darmerkrankung gelitten hat, lässt es nicht nachvollziehen, warum die Erkrankung so schwerwiegend gewesen sein soll, dass eine Mitteilung im weiteren Tagesverlauf unmöglich gewesen sein soll. Eine Verletzung der unverzüglichen Anzeigepflicht ist daher festzustellen.

Indem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 15.10.2020 dem Arbeitgeber zugegangen ist, ist die gesetzliche Nachweispflicht des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG gewahrt.

Danach gilt, sollte die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauern, dass der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen des Arbeitsverhältnisses sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen hat. Ob der Kläger dennoch gegen § 7 Ziff. 1 des Arbeitsvertrages verstoßen hat, weil er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht innerhalb von zwei Tagen durch ärztliches Attest nachgewiesen hat, kann dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat sich hierauf nicht berufen. Aber selbst wenn dies zu beachten wäre, sieht die Kammer in Anbetracht der oben genannten Umstände und der im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen Interessenabwägung, die Voraussetzungen für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht für gegeben an. Objektive Vertragsverstöße, wie die oben aufgezählten, sind zwar grundsätzlich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Im konkreten Einzelfall sind aber besondere Umstände, die es der Beklagten unzumutbar machen, zumindest die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten, nicht ersichtlich. Die Beklagte trägt außer den eigentlichen Verstößen des Klägers keine weiteren Umstände vor, die auf eine besondere Schwere des Tuns des Klägers schließen lassen können, insbesondere sind die Folgen des zunächst unentschuldigten Fehlens des Klägers nicht weiter dargestellt worden. Darüber hinaus ist auch nicht feststellbar, dass der Kläger im Zusammenhang mit frühzeitigem Verlassen des Arbeitsplatzes (dieser Vorwurf als wahr unterstellt) und nicht rechtzeitiger Erfüllung der Anzeige- und Nachweispflicht, einschlägig abgemahnt worden ist. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei mehrfach im Zusammenhang mit seiner schlechten Arbeitsleistung, insbesondere am 01.10.2020 abgemahnt worden, kann dahingestellt bleiben. Abgesehen davon, dass die weiteren Umstände hinsichtlich des Inhalts einer Rüge und die Rüge selbst nicht konkret durch die Beklagte darstellt worden sind, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen, dass es sich um einen einschlägigen Verstoß handelt.

In Anbetracht der Kürze der Betriebszugehörigkeit hält es daher die Kammer für angemessen, die zu beachtende vierwöchige Kündigungsfrist zur Monatsmitte, bzw. Monatsende zu wahren.

Das Arbeitsverhältnis hat somit durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.10.2020 zum 15.11.2020 sein Ende gefunden.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollinhaltlich an und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

Da das Arbeitsverhältnis nicht zum 14.10.2020 fristlos, sondern erst zum 15.11.2020 ordentlich beendet worden ist, kann der Kläger die Vergütung bis dahin für die Dauer der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit gemäß §§ 3 ff. EfzG bzw. soweit keine Entgeltfortzahlung zu leisten ist, gemäß § 615 BGB i. V. m. §§293 ff. BGB verlangen.

Nach § 296 Satz 1 BGB ist ein Angebot des Arbeitnehmers überflüssig, wenn der Arbeitgeber zur Erbringung der Arbeitsleistung eine Mitwirkungshandlung vorzunehmen hat, die kalendermäßig bestimmt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dies anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers aufgrund einer arbeitgeberseitigen Kündigung zurückweist, die sich im Nachhinein als rechtsunwirksam herausstellt. Für diesen Fall ist ein tatsächliches oder wörtliches Angebot gemäß § 296 BGB entbehrlich, da dem Arbeitgeber die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung obliegt, dem Arbeitnehmer für jeden Tag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend zu planen und durch Weisungen zu konkretisieren. Unterlässt er dies, weil er – unrechtmäßig – gekündigt hat, steht fest, dass die Mitwirkungshandlung nicht erbracht wurde, so dass ein Angebot des Arbeitnehmers gemäß § 296 BGB überflüssig ist (vgl. Küttner, Personalbuch 2020, Stichwort Annahmeverzug Rd.Ziff. 6).

Im Hinblick auf die unwirksame fristlose Kündigung der Beklagten vom 14.10.2020 ist diese somit nicht ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen, so dass der Kläger auch ohne Angebot seiner Arbeitsleistung seine Vergütung gemäß § 615 BGB i. V. m. § 296 BGB beanspruchen kann.

Mithin ist die Beklagte zu verurteilen gewesen, an den Kläger für den Monat Oktober 2020 insgesamt 2.000,00 EUR brutto abzüglich der bereits gezahlten 655,16 EUR netto zu zahlen, sowie für den Monat November anteilig bis zum 15.11.2020 weitere 1.000,- EUR brutto.

Der Kläger kann für die im Monat Juli und August 2020 jeweils abgerechneten Überstunden, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, eine Nachzahlung in Höhe von insgesamt 327,- EUR brutto verlangen.

Das Arbeitsgericht hat insoweit zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

„Die Beklagte hat im Monat Juli 2020 dem Kläger 67,5 Überstunden mit dem Faktor 12 EUR abgegolten. Im Monat August handelte es sich um 41,5 Überstunden, ebenfalls abgerechnet mit dem Faktor 12 EUR.

Ausweislich § 3 Ziff. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages werden vereinbarten Überstunden mit 15 EUR brutto vergütet.

Mithin ist festzustellen, dass ein Differenzbetrag pro Überstunde i. H. v. 3 EUR besteht.

Soweit die Beklagte sich dahingehend einlässt, die vertragliche Vereinbarung beziehe sich auf „vereinbarte Überstunden“ und der Kläger habe nicht vorgetragen, dass hier eine Vereinbarung über die Überstunden vorliegen solle, ist der Einwand nicht nachvollziehbar, insbesondere die Behauptung der Beklagten, die Parteien hätten mit der erhöhten Vergütungsvereinbarung für „vereinbarte“ Überstunden erkennbar etwas Anderes gemeint als Überstundenbezahlung an sich. Soweit die Beklagte weiter vorträgt, es sei in § 3 Ziff. 1 um Überstunden gegangen, die dem Arbeitgeber zum einen explizit bewusst gewesen seien und zum anderen vielleicht nicht hätten einseitig angeordnet werden können, weil zu diesem Zeitpunkt kein betriebliches Erfordernis bestünde oder die einseitige Anordnung für den Mitarbeiter schwierig gewesen wäre, so dass die erhöhte Vergütung „vereinbarter“ Überstunden eine innerliche Rechtfertigung hätten, wozu der Kläger nichts vorgetragen habe, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte tatsächlich die Vereinbarung § 3 des Arbeitsvertrages so verstanden wissen will.

Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 BGB. Allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen einer Inhaltskontrolle, insbesondere einer Transparenzkontrolle. Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Vorliegend mangelt es an dieser erforderlichen Transparenz. Dem Wortlaut der arbeitsvertraglichen Vereinbarung ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte zwischen „vereinbarten Überstunden“ und Überstunden „an sich“ differenzieren möchte. Das Gegenteil von „vereinbarten Überstunden“ wären allenfalls „nicht vereinbarte Überstunden“. Deren Vergütungspflicht wäre schon darauf zu überprüfen, ob überhaupt eine wichtige Zahlungsvoraussetzung, nämlich eine Anordnung vorliegt, auch wenn geduldete und gebilligte Überstunden auch vergütungspflichtig sein können. Aber warum sollten vereinbarte Überstunden besser vergütet werden als nicht vereinbarte Überstunden. Diese Differenzierung drängt sich für einen Außenstehenden ohne genaue inhaltliche Darstellung im Arbeitsvertrag, was die Beklagte darunter versteht, nicht auf. Diese Differenzierung in der Vergütung ist auch nicht üblich. Die Beklagte genügt jedenfalls mit ihrer Formulierung nicht der erforderlichen Bestimmtheit eines entsprechenden Verständnisses von „vereinbaren Überstunden“.

Auch die Behauptung, die Parteien hätten sich im August generell darauf verständigt, dass Überstunden jeglicher Art nur mit 12 EUR pro Stunde vergütet würden, ist fraglich und im Übrigen unsubstantiiert. Ein Beweisangebot durch Vernehmung des benannten Zeugen, Herrn Z., musste nicht nachgegangen werden. Zum einen ist festzustellen, dass die Beklagte bereits im Juli Überstunden auf der Basis von 12 EUR abgerechnet hat, also bereits vor der angeblichen Vereinbarung. Im Übrigen bleibt unklar, wann genau im August diese Vereinbarung getroffen worden sein soll.

Mithin ist die Beklagte verpflichtet, für die 67,5 Stunden und 41,5 Stunden den Differenzbetrag von 3 EUR, mithin insgesamt 327,00 EUR brutto nachzuzahlen.

Der Zinsanspruch i.H.v. 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2021 ist gem. §§ 288 Abs. 1, 291, 247 BGB begründet.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollinhaltlich an und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

Des Weiteren ist der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.091,50 EUR brutto nebst Zinsen begründet.

Das Arbeitsgericht hat die streitgegenständliche Entscheidung insoweit wie folgt begründet:

„Ausgehend von einer Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, beginnend mit dem 11.05.2020 bis 15.11.2020 ist von sechs vollen Monaten auszugehen, so dass sich der Urlausanspruch gemäß § 5 Abs. 1 BUrlG auf 12,5 Monate (1/2 x 25 Urlaubstage) beläuft. Ausgehend von § 11 BUrlG, wonach sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, bemisst, ergibt sich pro Urlaubstag ein Bruttoentgelt i. H. v. 92,31 EUR. Dies ist rechnerisch ein Gesamtbetrag i. H. v. 1.153,88 EUR, so dass die Klage i. H. v. 1.091,50 EUR brutto begründet ist.

Der Zinsanspruch i. H. v. 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung am 26.01.2021 ist gemäß §§ 288 Abs. 1, 291, 247 BGB begründet.“

Schließlich kann der Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Ausstellung eines wohlwollenden qualifizierten Arbeitszeugnisses beanspruchen (§ 109 GewO); hinsichtlich der Ausführungen des Arbeitsgerichts insoweit, denen die Kammer vollinhaltlich folgt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Bl. 115 d.A. Bezug genommen.

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des insoweit maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es enthält keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligte Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die ein abweichendes Ergebnis begründen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht vielmehr lediglich, wenn auch aus der Sicht der Beklagten heraus verständlich, deutlich, dass die Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung und der damit verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug durch das Arbeitsgericht, der die Kammer vollinhaltlich folgt, nicht einverstanden ist.

Hinsichtlich der vermeintlichen Absprache am 12.10.2020 zwischen dem Kläger und Herrn Z. (s. Bl. 159 f. d.A.) wiederholt die Beklagte ihr nicht hinreichend substantiiertes tatsächliches Vorbringen lediglich, so dass weitere Ausführungen nicht veranlasst sind. Die rechtliche Würdigung, dass im Verhalten des Klägers eine schwere Arbeitsverweigerung zu sehen sei, die ohne Abmahnung zur Kündigung berechtige, kann auf dieser tatsächlichen Grundlage nicht nachvollzogen werden. Davon ist das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Einzelheiten dazu, dass aufgrund einer seit langem mangelhaften Arbeitsleistung Nachbesserungs- und Korrekturarbeiten erforderlich sind, ohne auf den offenkundigen Widerspruch dazu einzugehen, dass sie, die Beklagte selbst umfänglich Überstunden des Klägers abgerechnet und vergütet hat, fehlen vollständig. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wird zwar wiederum in Abrede gestellt, nachvollziehbares tatsächliches Vorbringen der Beklagten, das geeignet wäre, den Beweiswert der vom Kläger unstreitig vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, fehlt freilich wiederum. Soweit die Beklagte insoweit darauf hinweist, bei Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten des Klägers habe es am Haus zu diesem Zeitpunkt „kein Lebenszeichen“ gegeben, weder hätten sich Personen gezeigt, noch seien Fenster erleuchtet gewesen, auch habe das Auto des Klägers nicht vor der Tür gestanden“, erschließt sich nicht, inwieweit dies geeignet sein soll, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Denn Arbeitsunfähigkeit bedeutet, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein, die vertraglich geschuldete Arbeitstätigkeit zu erbringen, nicht aber, sich, für den Arbeitgeber oder Dritte feststellbar, zu Hause unter Parken des Pkw vor der Haustür, aufhalten zu müssen. Entgegen der Auffassung der Beklagten rechtfertigt auch keine Zusammenschau mehrerer nicht substantiiert dargelegter Vorwürfe eine fristlose Kündigung.

Hinsichtlich der Überstunden für die Monate Juli und August 2020 hat das Arbeitsgericht das Vorbringen der Parteien zutreffend gewürdigt; neues, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiertes Tatsachenvorbringen der Beklagten, das zu einer anderen Beurteilung führen könnte, lässt sich im Berufungsverfahren nicht feststellen. Insbesondere fehlt in beiden Rechtszügen eine nachvollziehbare Darlegung für die behauptete Differenzierung zwischen „vereinbarten“ und sonstigen Überstunden, die weder dem schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag entspricht, noch sonst nachvollziehbar ist und hinsichtlich derer auch nicht substantiiert erläutert wird, wie und in welchem konkreten Inhalt sie wann zwischen den Parteien zustande gekommen sein soll.

Soweit schließlich (s. Bl. 246 ff. d.A.) ausführlich zur jederzeitigen telefonischen Erreichbarkeit, u.a. aufgrund einer ständig besetzten betrieblichen Festnetznummer ab 07:45 Uhr, vorgetragen wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsgericht (s. Bl. 109, 110 d.A.) bereits völlig zutreffend darauf hingewiesen hat, dass das Vorbringen des Klägers soweit nicht nachvollziehbar ist und insbesondere, warum er im weiteren Tagesverlauf nicht erneut versucht hat seine Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen. Es ist daher zutreffend von einer Verletzung der unverzüglichen Anzeigepflicht ausgegangen, hat aber gleichwohl zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht für gegeben erachtet (s. Bl. 110, 111 d.A.). Dem ist nichts hinzuzufügen.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

 

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