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Krankheitsbedingte Kündigung – negative Gesundheitsprognose / betriebliche Interessen

Landesarbeitsgericht Hamburg – Az.: 2 Sa 9/19 – Urteil vom 02.10.2019

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17. Januar 2019 – 4 Ca 144/18 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus personenbedingten (krankheitsbedingten) Gründen und um Weiterbeschäftigung.

Die Klägerin ist am … geboren, ledig und kinderlos. Bei ihr ist ein GdB von 30 anerkannt. Gemäß Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (BfA) vom … (Bl. 3 d. A.) ist sie einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Die Beklagte ist ein international tätiges Unternehmen. Sie beschäftigt weit mehr als 10 Arbeitnehmer. In dem Betrieb, in dem die Klägerin arbeitet, ist ein Betriebsrat gebildet. Die Klägerin ist seit dem … bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Administrator. Sie war im Wesentlichen mit der Überprüfung von F. befasst. Die Klägerin erhielt ein monatliches Grundgehalt in Höhe von 5.273,19 Euro brutto, zudem hatte sie Anspruch auf Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Bonuszahlungen.

Die Klägerin war im Jahr … an insgesamt 52 Arbeitstagen, … an insgesamt 33 Arbeitstagen, … an insgesamt 47 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Sie war durchgehend arbeitsunfähig vom … bis einschließlich … (= circa 2 ¼ Jahre). Hinsichtlich der Einzelheiten der Krankheitszeiträume in den Jahren … wird auf die Aufstellungen (Bl. 29 – 33 d. A.) Bezug genommen. Im Jahr … war die Klägerin an insgesamt 112 Arbeitstagen erkrankt. Diese Erkrankung dauerte bis zum … an (und darüber hinaus jedenfalls bis …). Die Krankheitszeiten beruhten auf einem L., an dem die Klägerin leidet, ferner auf p. Störungen und einer A. sowie weiteren Ursachen. Die Beklagte leistete in den Jahren …, … und … insgesamt Entgeltfortzahlung in Höhe von 20.120,00 Euro brutto. In den Jahren … und … fiel aufgrund der Langzeiterkrankung keine Entgeltfortzahlung an. … leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung in Höhe von 10.900,00 Euro brutto. Im Jahr … zahlte die Beklagte an die Klägerin bis zum … keine Entgeltfortzahlung.

Die Beklagte zahlte an die Klägerin für … eine Aufstockung des Krankengeldes in Höhe von insgesamt 3.302,00 Euro brutto auf Grundlage einer bei der Beklagten geltenden Betriebsvereinbarung. Sie erbrachte … zudem Sonderleistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Boni in Höhe von insgesamt 9.360,00 Euro brutto. Im Jahr … erhielt die Klägerin ebenfalls Sonderleistungen, nämlich eine Bonuszahlung in Höhe von 2.425,00 Euro brutto, Urlaubsgeld in Höhe von 1.150,00 Euro brutto und Weihnachtsgeld in Höhe von 5.273,19 Euro brutto, insgesamt 8.848,19 Euro brutto. Die Beklagte bildete in der Zeit von … bis … Pensionsrückstellungen in Höhe von 14.600,00 Euro.

Ab Mitte … wurde im Einvernehmen mit der Beklagten eine Wiedereingliederung der Klägerin angestrebt, die allerdings wegen ihres Gesundheitszustandes immer wieder verschoben werden musste. Die Klägerin nahm vom … an für drei bis vier Wochen an einer Reha-Maßnahme teil. Ab dem … fand auf der Grundlage eines Wiedereingliederungsplanes der Reha-Klinik dann eine Wiedereingliederungsmaßnahme statt. Die Klägerin arbeitete in der Folgezeit zunächst drei, später vier Stunden am Tag. Insbesondere am Jahresende … und im Januar … sah die Klägerin sich an einigen Tagen gesundheitlich nicht in der Lage, dem Wiedereingliederungsplan entsprechend tätig zu sein. Die Klägerin brach die Wiedereingliederung zum … ab und arbeitete ab dem … wieder regulär. Dabei war vereinbart, dass sie jeweils von Dienstag bis Donnerstag in Vollzeit arbeitet und jeweils am Freitag und Montag ihren Resturlaub abbaut. Das wurde dann so praktiziert. Die Klägerin stürzte am … in der Kantine der Beklagten und war deshalb bis … arbeitsunfähig erkrankt, sie erhielt in diesem Zeitraum Entgeltfortzahlung von der Beklagten.

Der Klägerin war die Möglichkeit eingeräumt, einen Tag pro Woche im Home-Office zu arbeiten. Ob ihr darüber hinaus in Abstimmung mit der Vorgesetzten erlaubt war, auch in anderen Fällen – etwa, wenn Ansteckungsgefahr aufgrund von Infekten von Kollegen drohte oder die Klägerin sich nicht gut fühlte – ebenfalls vom Home-Office aus zu arbeiten, ist streitig.

Am … fand ein Gespräch mit der Klägerin statt, an dem neben Mitarbeitern der Personalabteilung und einem Mitglied des Betriebsrats auch die Betriebsärztin teilnahm. Die Beklagte teilte mit, dass sie eine Kündigung in Betracht ziehe. Die Klägerin äußerte, sie wolle nicht mehr in der bisherigen Abteilung arbeiten, sondern sich gern intern verändern. Die Beklagte bot ihr eine Perspektivberatung an. Dieses Angebot nahm die Klägerin wahr. Sie bewarb sich in der Folgezeit auf andere Stellen, allerdings ohne Erfolg.

Mit Schreiben vom … hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung der Klägerin an (Bl. 81 – 85 d. A.). Ergänzend erfolgten mündliche Informationen. Mit Schreiben vom … (Bl. 79 – 80 d. A.) wurde die Schwerbehindertenvertretung angehört und ebenfalls ergänzend mündlich unterrichtet. Mit Antrag vom … beantragte die Beklagte die Zustimmung zur fristgemäßen Kündigung der Klägerin bei dem Integrationsamt. Dieses erteilte mit Bescheid vom … die Zustimmung. Auf den gesamten Inhalt des Bescheids wird ergänzend verwiesen (Bl. 86 – 90 d. A.).

Mit Schreiben vom … hörte die Beklagte erneut den Betriebsrat an (Bl. 92 d.A.). Ein entsprechendes Schreiben sandte die Beklagte an die Schwerbehindertenvertretung (Bl. 91 d. A.).

Mit Schreiben vom …, das der Klägerin am … zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum … (Bl. 4 d. A.).

Die Klägerin bot am … ihre Arbeitskraft an und teilte mit, sie sei arbeitsfähig. Die Beklagte lehnte einen Einsatz der Klägerin ab. Es wurde vereinbart, dass die Klägerin ab dem … zunächst ihren Urlaub abbaut. Ab dem … sollte sie wieder arbeiten. Mit Schreiben vom … teilte die Beklagte der Klägerin dann mit, sie stelle sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflich frei (Bl. 104 d. A.).

Mit der Klage, die bei dem Arbeitsgericht Hamburg am … eingegangen ist, hat die Klägerin die Kündigung angegriffen und Weiterbeschäftigung verlangt.

Sie hat gerügt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Es fehle schon an einer negativen Prognose. Die Klägerin verweist hierzu auf eine ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. med. … vom … (auf Grundlage einer Untersuchung vom …, Bl. 99 d. A.). Danach sei hinsichtlich des L.s von einer Befundverbesserung auszugehen. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) angeboten habe. Ein solches Gespräch habe positive Ergebnisse erzielen können. Dies werde schon daraus deutlich, dass die Klägerin seit … wieder arbeitsfähig sei. Die Kündigung sei daher unverhältnismäßig; die Klägerin habe auch aufgrund der Schwerbehinderung einen Beschäftigungsanspruch.

Die Klägerin hat behauptet, in Gesprächen am … und am … zwischen der Klägerin, dem Betriebsrat, der Vorgesetzten der Klägerin und der Betriebsärztin sei besprochen worden, dass sie, wenn es ihr gesundheitlich nicht so gut geht, die Erlaubnis erhält, vom Home-Office aus zu arbeiten, entsprechend, wenn Ansteckungsgefahr von Kollegen drohe.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom … zum … beendet wird;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Administrator über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die bisherigen Fehlzeiten rechtfertigten die Besorgnis weiterer künftiger Fehlzeiten im bisherigen Umfang. Sie verweist auf die hohen Fehlzeiten der Jahre … bis …. Die Beklagte habe umfangreiche Wiedereingliederungsversuche unternommen, die letztlich nicht erfolgreich gewesen seien.

Die weitere Beschäftigung sei angesichts der bisherigen wirtschaftlichen Belastungen, bei denen auch die Sonderzahlungen, die Rückstellungen für die Pension und die Ergänzungszahlungen zum Krankengeld zu berücksichtigen seien, unzumutbar. Zudem müsse die Arbeitslast wegen der Erkrankungen der Klägerin von den Kollegen getragen werden, dies sei auf Dauer ebenfalls nicht zumutbar.

Die Klägerin habe nur an einem Tag in der Woche im Home-Office arbeiten dürfen. Dies sei schon eine Ausnahmeregelung mit Blick auf die besondere gesundheitliche Situation der Klägerin. Grundsätzlich müssten die Mitarbeiter im Büro arbeiten, da viel über den Austausch mit den Kollegen geregelt werden müsse.

Mit Urteil vom 17. Januar 2019 – 4 Ca 144/18 – hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, denn sei jedenfalls unverhältnismäßig. Die Beklagte habe es versäumt, ein bEM anzubieten. Das Gespräch vom … sei kein bEM-Gespräch gewesen. Die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, dass ein bEM nutzlos gewesen wäre. Die Beklagte habe prüfen müssen, ob ein Einsatz in einer anderen Abteilung in Betracht komme oder eine Erhöhung der Home-Office Tage. Die Beklagte habe die Arbeit im Home-Office der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen an einem Tag ermöglicht. Sie erkläre nicht, warum dies nicht ausgeweitet werden könne, um den Arbeitsplatz der Klägerin leidensgerecht anzupassen. Der pauschale Hinweis, dass der kollegiale Austausch die Anwesenheit im Büro erfordere, lasse nicht erkennen, wie oft dies erforderlich sei und aus welchen Gründen der Austausch nicht per E-Mail oder Telefonkonferenz erfolgen könne. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes entfalte hier keine Indiz Wirkung für die Nutzlosigkeit eines bEM. Die Ausführungen des Integrationsamts ließen nicht erkennen, dass dieses sich mit der Möglichkeit einer erweiterten Tätigkeit im Home-Office befasst habe. Es sei auch nicht erkennbar, für welche betriebliche Einheit und welche konkrete Tätigkeit das Integrationsamt das Vorhandensein eines leidensgerechten Arbeitsplatzes geprüft habe. Die Klägerin könne ihre Weiterbeschäftigung verlangen, da die Kündigung unwirksam sei und die Beklagte ein besonderes Interesse an der Nichtbeschäftigung der Klägerin nicht dargetan habe. Sie könne sich daher auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch stützen.

Das Urteil ist der Beklagten am … zugestellt worden (Postzustellungsurkunde Bl. 135 d. A.). Hiergegen hat die Beklagte am … Berufung eingelegt und diese – nach auf rechtzeitigen Antrag hin erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum … (Beschluss Bl. 160,161 d. A.) – am … begründet.

Die Beklagte wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags gegen das angegriffene Urteil. Sie meint, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt und daher wirksam. Die negative Prognose sei durch die Fehlzeiten indiziert. Die Klägerin habe die Indiz Wirkung nicht erschüttert, auch nicht durch die ärztliche Bescheinigung vom …. Die Bescheinigung des Prof. Dr. med. … treffe nur Aussagen zur Chance einer Zurückbildung des L.s. Sie enthalte aber keine Aussage darüber, dass dies in Zukunft zu einer Wiederherstellung der Arbeitskraft der Klägerin führen werde. Auch beziehe sich die ärztliche Bescheinigung nicht auf die anderen vorgetragenen Krankheitsbilder wie die A., die psychosomatische Störung und die weiteren Krankheitsursachen. Es seien daher auch künftig Fehlzeiten mindestens im bisherigen Umfang zu befürchten.

Die Beklagte habe erhebliche Beeinträchtigungen zu verzeichnen. Aus den von der Beklagten geleisteten Zahlungen (der Entgeltfortzahlung und den Sonderzahlungen), denen keine gleichwertige Arbeitsleistung der Klägerin mehr gegenübergestanden habe, ergebe sich eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung, die auch künftig drohe und nicht weiter hinnehmbar sei. Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen seien zudem darin zu sehen, dass sich die Arbeitslast der Kolleginnen und Kollegen deutlich erhöht habe. Dies sei den anderen Mitarbeitern auf Dauer nicht zuzumuten.

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere auch nicht an einer abschließenden Interessenabwägung. Trotz der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin und ihres Alters sei der Beklagten eine Weiterbeschäftigung der Klägerin vor dem Hintergrund der auch künftig zu erwartenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen, insbesondere der wirtschaftlichen Belastungen, nicht weiter zumutbar. Die Klägerin habe keine Unterhaltspflichten. Auch der Umstand der Gleichstellung führe nicht dazu, dass die Bestandsschutzinteressen der Klägerin überwögen. Die Erkrankungen beruhten nicht auf betrieblichen Ursachen. Hauptursache sei das L., daneben auch die A. und p. Störungen. Zu Gunsten der Beklagten sei zu berücksichtigen, dass sie sich seit Mitte des Jahres … bemüht habe, mit einer Wiedereingliederungsmaßnahme die Rückkehr der Klägerin an den Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Das Arbeitsgericht habe nicht alle relevanten Umstände im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt. Es habe sich rechtsfehlerhaft darauf beschränkt, die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen nicht als bEM anzuerkennen. Das Arbeitsgericht habe sich damit befassen müssen, inwieweit eine Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz der aufgezeigten Maßnahmen und der dennoch wiederholt aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten zumutbar gewesen sei. Es habe nicht erkannt, dass das Austauschverhältnis zwischen der Leistung der Klägerin und der Gegenleistung der Beklagten in einem nicht mehr hinnehmbaren Maße gestört sei.

Zudem habe das Arbeitsgericht verkannt, dass sich bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten die objektive Nutzlosigkeit eines bEM ergeben habe. Das Arbeitsgericht habe die Anforderungen insoweit überspannt. Die Durchführung eines bEM sei keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer Kündigung und auch kein „milderes Mittel“. Es müsse überhaupt die Möglichkeit einer alternativen Weiterbeschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätte. Das Krankheitsbild der Klägerin zeige, dass auch eine Beschäftigung zu anderen Bedingungen nicht zu einer Wiederherstellung der Arbeitskraft geführt hätte. Wie die Vergangenheit gezeigt habe, habe auch die Tätigkeit im Home-Office an einem Arbeitstag pro Woche nicht zu einer Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt. Eine Ausweitung der Home-Office Regelung werde zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Erkrankung der Klägerin sei unabhängig von einer Tätigkeit vor Ort oder der Tätigkeit im Home-Office.

Es sei zudem auch nicht möglich, die Klägerin dauerhaft im Home-Office einzusetzen. Bei den Aufgaben in der Abteilung handele es sich um mehrgliedrige Prozesse, die zeit- und fristgebunden seien und einen direkten Austausch zwischen den Kollegen erforderten. Auch eine Tätigkeit auf einem anderen Arbeitsplatz – ggf. zu geänderten Bedingungen – sei leidensgerecht nicht möglich, zudem bestünden keine anderweitigen geeigneten Einsatzmöglichkeiten. Da bei der Klägerin aufgrund der Erkrankungsdauer, der p. Störung und der A. eine verminderte Belastbarkeit vorliege, die nicht arbeitsplatzbezogen sei, sei auch kein anderer Arbeitsplatz leidensgerecht. Eine Umsetzung hätte daher auch nicht zu einer Verringerung der Fehlzeiten führen können. Dies gelte auch für etwaige Reha-Maßnahmen, zumal die Klägerin bereits erfolglos im Jahr … eine solche Maßnahme durchlaufen habe.

Entgegen den Annahmen des Arbeitsgerichts sei die Zustimmung des Integrationsamtes ein Indiz dafür, dass ein bEM nutzlos gewesen wäre. Das Integrationsamt habe sich explizit in dem Bescheid mit Beschäftigungsalternativen befasst und deren Vorhandensein verneint. Auch habe es weder weitere Reha-Maßnahmen noch Arbeitshilfen erkannt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17. Januar 2019 – 4 Ca 144/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angegriffene Urteil. Sie verweist darauf, dass sie – insoweit unstreitig – nach dem erstinstanzlichen obsiegenden Urteil ab dem … die Arbeit wieder aufgenommen habe, da die Beklagte sie zur Abwendung der Zwangsvollstreckung weiterbeschäftige. Seit dieser Zeit sei die Klägerin – insoweit unstreitig – nur vom … bis … arbeitsunfähig erkrankt. Dies mache deutlich, dass die Durchführung eines bEM nicht nutzlos gewesen wäre. In einem bEM hätte die Beklagte in Erfahrung bringen können, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin – insbesondere der Befund des L.s – deutlich verbessert habe. Weiter hätte in dem bEM Gespräch besprochen werden können, wie künftig durch Vorkehrungen bei der Beklagten Infektionen vermieden werden könnten, ggf. auch durch Ermöglichung einer weitergehenden Home-Office Tätigkeit. Eine leidensgerechte Anpassung des Arbeitsplatzes durch Ausweitung der Home-Office Tätigkeit zur Stabilisierung der Gesundheit der Klägerin sei für die Beklagte durchaus organisatorisch möglich gewesen.

Die Beklagte trägt in der Replik ergänzend vor, es werde weiterhin bestritten, dass die Klägerin voll arbeitsfähig sei. Zwar werde sie seit März … auf Grundlage des ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruchs beschäftigt. Sie erbringe aber – verglichen mit anderen Arbeitnehmern, die früher diese Arbeit leisteten – nur dreißig bis fünfzig Prozent der von diesen erledigten Aufgaben. Die Klägerin arbeite nur deshalb, weil sie auf Grundlage der derzeitigen Tätigkeit bei krankheitsbedingtem Fehlen keine Entgeltfortzahlung beanspruchen könne. Sie sei weiterhin nicht vollständig genesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den gesamten Inhalt der Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gem. § 8 Abs. 2 ArbGG, § 64 Abs. 1, Abs. 2 c) ArbGG statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 519 Abs. 1 und 2, § 520 Abs. 1 und 3, § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Die Kündigung der Beklagten vom … ist unwirksam, denn sie ist sozial ungerechtfertigt gem. § 1 Abs. 1, 2 KSchG. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht zum … beendet worden. Die Klägerin kann daher von der Beklagten Weiterbeschäftigung entsprechend den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag verlangen.

1. Die Kündigung der Beklagten vom … ist nicht aus personenbedingten Gründen gem. § 1 Abs. 1, 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Sie ist unwirksam.

a) Die Wirksamkeit der Kündigung wird nicht gem. §§ 4, 7 KSchG fingiert. Denn die Klägerin hat rechtzeitig innerhalb der Frist gem. § 4 S. 1 KSchG gegen die ihr am … zugegangene Kündigung Klage erhoben. Die Kündigungsschutzklage ist bei dem Arbeitsgericht Hamburg am … eingegangen.

b) Das Kündigungsschutzgesetz findet in persönlicher und betrieblicher Hinsicht Anwendung. Die Klägerin ist seit … bei der Beklagten tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig weit mehr als 10 Arbeitnehmer.

c) Die Kündigung der Beklagten vom … ist rechtsunwirksam, da sie nicht durch Gründe in der Person der Klägerin iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist.

aa) Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 –; BAG, Urteil vom 12.07.2007 – 2 AZR 716/06 –, alle zit. nach Juris) in drei Stufen zu prüfen:

Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indiz Wirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er sodann die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16 mwN; BAG, Urteil vom 08.11.2007 – 2 AZR 292/06 –; BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 –, alle zit. nach Juris). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (BAG, Urteil vom 25.04.2018, 2 AZR 6/18 Rn. 23, Juris). Die prognostizierten, erheblichen Fehlzeiten sind jedoch nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15; Juris). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15; BAG, Urteil vom 01.03.2007 – 2 AZR 217/06 – Rn. 15; BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16, alle zit. nach Juris).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist zwar festzustellen, dass von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen ist. Die Beklagte hat aber nicht dargelegt, dass die zu prognostizierenden Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen führen.

(1) Aus den von der Beklagten dargelegten Fehlzeiten der Vergangenheit ergibt sich – entgegen der Sichtweise der Klägerin – eine negative Zukunftsprognose. Unter Anwendung der oben genannten Grundsätze zur Verteilung von Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der negativen Prognose hat die Klägerin die indizielle Wirkung ihrer erheblichen Fehlzeiten der Vergangenheit nicht ausreichend in Zweifel gezogen.

(a) Erhebliche Fehlzeiten in der Vergangenheit mit indizieller Wirkung liegen vor. Die Klägerin war im maßgeblichen Prognosezeitraum seit Mitte … bis Mitte …– und auch in den Jahren zuvor seit … – jedes Jahr mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt, zum Teil sogar jahrelang.

(b) Der Indiz Wirkung der bisherigen Fehlzeiten und der sich daraus ergebenden negativen Prognose ist die Klägerin nicht ausreichend entgegengetreten. Sie hat sich insoweit auf die Bescheinigung des Herrn Prof. Dr. med … vom … bezogen. Aus dieser ergibt sich allerdings nach Ansicht der Kammer nicht, dass hinsichtlich der durch das L. verursachten Erkrankungszeiträume von einer Ausheilung der Krankheit und daher von einer positiven Prognose auszugehen ist. Dort ist lediglich von einer „Verbesserung der Ausdehnung“ im Vergleich zu früheren Befunden die Rede und von der „Chance, dass sich das Infiltrat zurückbildet“. Nur „insoweit“ sei von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen. Dies bedeutet, dass nur für den Fall, dass es tatsächlich zu einer Rückbildung kommt, eine positive Prognose gestellt wird; dies ist aber nur eine von verschiedenen Möglichkeiten. Zudem beruhten die Krankheitszeiten nicht allein auf Erkrankungen wegen des L.s Die Klägerin hat hinsichtlich der Erkrankungen aufgrund der A. und der p. Störungen keine Ausführungen zu deren Ausheilung gemacht und insofern die indizielle Wirkung der Fehlzeiten insgesamt nicht widerlegt. Soweit die Klägerin darauf verwiesen hat, die indizielle Wirkung der bisherigen Fehlzeiten sei durch die Krankheitsentwicklung nach dem Zugang der Kündigung in Frage gestellt, verkennt sie, dass es auf die Situation zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankommt. Dies ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Prognose (BAG, Urteil vom 29.04.1999 – 2 AZR 431/98 – 3. Leitsatz; BAG; Urteil vom 13.05.2004 – 2 AZR 36/04 – Rn. 27; alle zit. nach Juris).

(2) Die prognostizierten Fehlzeiten sind jedoch nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führen (2. Stufe). Diese Beeinträchtigungen sind Teil des Kündigungsgrundes, nicht Teil der Interessenabwägung. Sie fehlen im Streitfall.

(a) Betriebliche Beeinträchtigungen können einmal darin liegen, dass aufgrund der bisherigen oder der zu erwartenden Fehlzeiten erhebliche Betriebsablaufstörungen eingetreten und zu erwarten sind. Solche Betriebsablaufstörungen hat der Arbeitgeber konkret darzulegen und ggf. zu beweisen (KR/Rachor, 2018, § 1 Rn. 364; Linck, KSchG, 2019, § 1 Rn. 374). Pauschale, schlagwortartige oder stichwortartige Angaben des Arbeitgebers genügen hierbei nicht. Er muss vielmehr die aufgetretenen Störungen genau beschreiben. Er hat auch darzulegen, inwiefern er den Ausfall (nicht) überbrücken kann, auch nicht unter Inanspruchnahme einer ggf. vorhandenen Personalreserve.

Der Arbeitgeber kann sich auch auf erhebliche wirtschaftliche Belastungen mit Entgeltfortzahlungskosten beziehen, ebenso auf angefallene Kosten für den Einsatz von Springern / Aushilfskräften. Erheblich und damit objektiv geeignet, einen Kündigungsgrund zu bilden, sind die Entgeltfortzahlungskosten erst dann, wenn zu erwarten ist, dass sie künftig für mehr als sechs Wochen im Jahr anfallen werden (BAG, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08; BAG, Urteil vom 25 04.2018, 2 AZR 6/18, Juris). Liegen zugleich Störungen des Betriebsablaufs vor, können auch schon jährliche Ausfallzeiten mit Entgeltfortzahlung von weniger als sechs Wochen kündigungsrelevant sein (BAG, Urteil vom 06.09.1989 – 2 AZR 224/89 –; BAG, Urteil vom 29.08.1991 – 2 AZR 220/91 –; Juris).

(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte weder erhebliche Betriebsablaufstörungen dargelegt, noch erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen.

(aa) Die Beklagte hat zu Betriebsablaufstörungen lediglich in allgemeiner Form darauf verwiesen, die zu tragende Arbeitslast treffe die Kollegen der Klägerin, dies sei auf die Dauer nicht zumutbar. Dieser sehr allgemeine Hinweis genügt nicht zur Darlegung erheblicher Betriebsablaufstörungen. Die Beklagte hat keine Ausführungen dazu gemacht, wie sie konkret auf die – zum Teil jahrelangen – Fehlzeiten der Klägerin reagiert hat und welche konkreten Belastungen dadurch eingetreten sind. So gibt es weder Vorbringen zu etwaigen Überbrückungsmaßnahmen, noch zu einer etwaigen Überbeanspruchung der Kollegen mit Mehrarbeit. Ergänzungen hierzu sind auch im Rahmen der Berufungsverhandlung nicht erfolgt; die Beklagte ist vielmehr der in der Berufungsverhandlung geäußerten Einschätzung der Kammer, sie berufe sich konkret ausschließlich auf wirtschaftliche Beeinträchtigungen, nicht entgegengetreten.

(bb) Die Beklagte hat erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen nicht darlegen können. Weder genügt ihr Vortrag zur Höhe der Entgeltfortzahlungskosten in den Jahren … – … hierfür. Noch kann sie sich erfolgreich auf sonstige erhebliche wirtschaftliche Belastungen berufen.

In den Jahren … bis … leistete die Beklagte insgesamt ca. 21.000 Euro brutto an Entgeltfortzahlung. Dies entspricht mit 7.000,00 Euro durchschnittlich pro Jahr einem Betrag, der noch unterhalb der Vergütung für einen 6 Wochen-Zeitraum – ausgehend von dem Bruttomonatsgehalt der Klägerin sind dies ca. 7.300,00 Euro brutto – liegt.

In den Jahren … und … und ebenso im Jahr … fielen aufgrund der lang andauernden Erkrankungen der Klägerin keine Kosten für Entgeltfortzahlung an. Soweit die Beklagte in der Berufungsverhandlung geltend gemacht hat, dies dürfe nicht „zu Gunsten der Klägerin“ berücksichtigt werden, vielmehr müsse bei der Frage der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen davon ausgegangen werden, dass es auch in den Jahren zu erheblichen Entgeltfortzahlungskosten gekommen wäre, wenn die Klägerin nicht durchgehend erkrankt gewesen wäre, ist dem nicht zu folgen. Die Beklagte macht damit fiktive Belastungen geltend, die sie tatsächlich nicht zu tragen hatte und die hier nicht zu Grunde gelegt werden können.

Von den Entgeltfortzahlungskosten, die im Jahr … insgesamt angefallen sind – 10.900,00 Euro brutto – ist nur ein Teil zu berücksichtigen. Die Entgeltfortzahlungskosten, die auf dem Unfallgeschehen im Juni … (Sturz in der Cafeteria der Beklagten) beruhen, sind außer Acht zu lassen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass ein solches Unfallgeschehen auch künftig eintritt und Entgeltfortzahlungskosten versursacht. Diese Erkrankung und die damit verbundenen Entgeltfortzahlungskosten sind somit nicht prognoserelevant. Die Erkrankung aufgrund des Unfalls zog eine Entgeltfortzahlung für 13. Krankheitstage nach sich (= 2,5 Wochen). Ausgehend vom Gehalt der Klägerin (5.273,00 Euro brutto) ist daher ein Betrag in Höhe von ca. 3.300,00 Euro brutto von dem Entgeltfortzahlungsbetrag in 2017 in Abzug zu bringen. Es verbleibt damit ein relevanter, prognosefähiger Betrag von 7.600,00 Euro brutto. Dieser Betrag übersteigt den Betrag, der für 6 Wochen als Entgeltfortzahlung zu leisten ist, nur geringfügig.

Soweit die Beklagte meint, sie könne die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen ergänzend damit begründen, dass sie im Jahr … einen Zuschuss zum Krankengeld aufgrund einer Betriebsvereinbarung an die Klägerin zu zahlen hatte und zudem sowohl … als auch … trotz der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit Sonderzahlungen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Boni) anfielen, ist dies nicht überzeugend. Leistungen wie Sonderzahlungen (Gratifikation, Bonus) oder Urlaubsgeld, die aufgrund arbeitsvertraglicher / tarifvertraglicher Regelungen trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit gleichwohl zu leisten sind, sind nicht geeignet, besondere wirtschaftliche Belastungen, die sich aufgrund der Arbeitsunfähigkeit (künftig) ergeben, zu begründen (KR/Rachor, 2018, § 1 KSchG Rn. 370; offengelassen BAG, Urteil vom 21.05.1992 – 2 AZR 399/91 –; Juris). Denn diese Zahlungen fallen auch an, wenn keine Arbeitsunfähigkeit besteht. Sie können ggf. im Rahmen der Interessenabwägung Beachtung finden. Hinsichtlich des geleisteten Zuschusses zum Krankengeld ist dieser zwar nur aufgrund der Erkrankung der Klägerin angefallen und daher insoweit eine krankheitsbedingte zusätzliche wirtschaftliche Belastung. In einer neuen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht jedoch klargestellt, dass jedenfalls zu erwartende Belastungen des Arbeitgebers mit tariflichen Zuschüssen zum Krankengeld grundsätzlich nicht als „kündigungsbegründende“ Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers anerkannt werden (BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18 –; Juris). Mit der Zusage derartiger Zuschüsse übernehme der Arbeitgeber ein nach dem Gesetz den Arbeitnehmern zugewiesenes Risiko. Verwirkliche es sich, solle dies – in finanzieller Hinsicht – allein zu seinen Lasten gehen und regelmäßig nicht den Bestandsschutz der Arbeitnehmer mindern, sofern nicht die Regelung selbst hierfür Anhaltspunkte biete (BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18 –; Juris). Diese Überlegungen haben auch hier zu gelten. Auch mit der in einer Betriebsvereinbarung vorgesehenen Verpflichtung, einen Zuschuss zum Krankengeld zu leisten, bewirken die Betriebsparteien eine Verlagerung von typischen Arbeitnehmerrisiken auf den Arbeitgeber. Es ist auch insoweit nicht davon auszugehen, dass damit zugleich der Bestandsschutz der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden soll. Soweit die Beklagte sich schließlich auf Pensionsrückstellungen für die Jahre … bis … beruft, gilt auch insoweit, dass diese keine zusätzliche Belastung aufgrund der Krankheit der Klägerin darstellen. Zudem ist die Entscheidung, ob und in welcher Höhe die Beklagte zur Sicherung etwaiger Versorgungsansprüche Rückstellungen bildet, ein Ergebnis der wirtschaftlichen Planungen und nicht unmittelbare Folge der arbeits- oder tarifvertraglichen Ansprüche der Klägerin.

(3) Selbst, wenn man – entgegen den Ausführungen unter (2) – annehmen wollte, die Beklagte habe mit den Ausführungen zu den wirtschaftlichen Belastungen unter Einbeziehung der Sonderzahlungen (Bonus, Weihnachts- und Urlaubsgeld) den Anforderungen zur Darlegung des Kündigungsgrundes auf der 2. Stufe Genüge getan, ist die Kündigung gleichwohl sozial ungerechtfertigt, denn jedenfalls die Interessenabwägung geht hier zu Lasten der Beklagten aus.

(a) Sofern die ersten beiden Prüfungsstufen überwunden sind, ist zu prüfen, ob die betrieblichen Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind, oder ob sie bereits ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie ihm nicht mehr zuzumuten sind (st. Rspr., BAG, Urteil vom 23.04.2008, 2 AZR 1012/06; BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 mwN., Juris). Dabei ist einerseits die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten relevant, ebenso die Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Frage, wie lange das Arbeitsverhältnis ungestört verlaufen ist. Nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen die Lohnfortzahlungskosten „außergewöhnlich“ bzw. „extrem“ hoch sein, um allein die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar machen zu können (BAG, Urteil vom 24.11.1983 – 2 AZR 347/82; BAG, Urteil vom 05.07.1990 – 2 AZR 154/90 – Rn. 54, Juris). Auf Seiten des Arbeitnehmers ist neben seinem Lebensalter und einer ggf. bestehenden Schwerbehinderung insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen und – spiegelbildlich – ebenso die Frage, wie lange das Arbeitsverhältnis ungestört verlaufen ist. Des Weiteren ist von Bedeutung, ob die Erkrankung auf betriebliche Ursachen zurück zu führen ist. Hierbei kann es auch auf die Frage ankommen, welche Ausfallzeiten bei Arbeitnehmern mit vergleichbaren Tätigkeiten anfallen.

(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Interessenabwägung zu Lasten der Beklagten ausgeht. Als betriebliche Beeinträchtigungen hat sie konkret nur die wirtschaftlichen Belastungen angeführt. Diese waren hier allerdings nach Ansicht der Kammer nicht außergewöhnlich hoch, selbst wenn man die Boni, Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld mit einbezieht. Die relevante Entgeltfortzahlung im Jahr … iHv. 7.600,00 Euro brutto (siehe oben) überschreitet den Betrag, der für 6 Wochen Entgeltfortzahlung aufzubringen ist – nämlich ca. 7.300,00 Euro brutto – nur äußerst geringfügig. In den Jahren … – … lagen die Entgeltfortzahlungskosten im Durchschnitt unter dieser Grenze. Selbst wenn man für das Jahr … eine wirtschaftliche Belastung (aufgrund der Sonderzahlungen) iHv. 9.360 Euro und für … mit einem Betrag von 8.848,19 Euro zu Gunsten der Beklagten berücksichtigt, ist diese Belastung nicht als außerordentlich hohe wirtschaftliche Belastung einzustufen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung mit den Interessen der Klägerin am Fortbestand unzumutbar machte. Zwar streitet der Umstand, dass die Klägerin bereits mit einem recht jungen Lebensalter (nämlich ab Ende dreißig) erhebliche Krankheitszeiten aufwies, auf Seiten der Beklagten. Auch ist zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass die Erkrankungen nicht auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind. Jedoch ist auf Seiten der Klägerin – neben dem Umstand der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen – insbesondere zu berücksichtigen, dass sie zum Kündigungszeitpunkt bereits seit 22 Jahren bei der Beklagten beschäftigt war und also eine sehr lange Beschäftigungsdauer aufweist. Die Beklagte hat zudem nur für die Jahre … bis … – also für 6 von 22 Jahren – Störungen durch erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten angeführt; die Kammer geht daher im Übrigen von einem störungsfreien Verlauf aus. Demgegenüber sind die entstandenen wirtschaftlichen Belastungen der letzten Jahre vor Ausspruch der Kündigung nicht sehr hoch (ausgehend davon, dass eine wirtschaftliche Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten für 6 Wochen jährlich zumutbar ist). Aus dem Vorbringen der Beklagten ergeben sich – wie ausgeführt – zudem außer den finanziellen Belastungen keine nennenswerten sonstigen Beeinträchtigungen, insbesondere keine konkreten Betriebsablaufstörungen. Im Ergebnis überwiegt das Interesse der Klägerin am Fortbestand des langjährigen Arbeitsverhältnisses das Interesse der Beklagten, sich letztlich allein aufgrund (nicht einmal sehr hoher) wirtschaftlicher Belastungen von der Klägerin zu trennen.

(4) Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob aufgrund des nicht durchgeführten bEM davon auszugehen ist, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist – so die Klägerin – oder von einer Entbehrlichkeit des bEM auszugehen ist, da dieses zu keinem positiven, die Fehlzeiten der Klägerin verringernden Ergebnis hätte führen können – so die Beklagte – kann unentschieden bleiben, da die Sozialwidrigkeit der Kündigung sich bereits aus anderen Gründen ergibt. Ebenso kann daher offenbleiben, ob einem Zustimmungsbescheid des Integrationsamts im Falle der Unterlassung eines gebotenen bEM grundsätzlich überhaupt eine Indizwirkung für dessen Entbehrlichkeit beigemessen werden kann (ausdrücklich offengelassen in BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 664/13, Rn. 41; krit. Düwell BB 2011, 2485, 2487; Deinert NZA 2010, 969, 974) und ebenso, ob dies auch für den Zustimmungsbescheid im Streitfall mit Blick auf seinen Inhalt anzunehmen ist.

2. Die Klägerin hat Anspruch auf vertragsgemäße Weiterbeschäftigung als Administrator bis zur rechtkräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag. Zu den Grundlagen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs und zum Vorliegen der Voraussetzungen für einen solchen Anspruch wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts hierzu (S. 13 – 14 des Urteils), die sich die Kammer zu eigen macht, Bezug genommen und dies gem. § 69 Abs. 2 ArbGG festgestellt. Auch wenn der Antrag der Klägerin sich dem Wortlaut nach nicht darauf beschränkt, die Weiterbeschäftigung nur bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag zu verlangen, ist er doch entsprechend auszulegen, da sich die Klägerin in der Klageschrift ausdrücklich auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch bezieht. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Klägerin vertragsgemäß zu beschäftigen ist, allein unter dem Aspekt der Wirksamkeit der Kündigung. Wie sich aus der Begründung des Arbeitsgerichts ergibt, hat auch das Arbeitsgericht die Grundlage des Anspruchs im allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gesehen, auch wenn es dies im Tenor nicht durch die entsprechende Beschränkung „bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag“ zum Ausdruck gebracht hat.

III.

Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Für die Zulassung der Berufung besteht kein gesetzlicher Grund gem. § 72 Abs. 2 ArbGG.

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