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Krankheitsbedingte Kündigung – Rechtmäßigkeit

Neue Dimensionen der krankheitsbedingten Kündigung

Das Gericht musste die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung betrachten. Der Kläger hatte u. a. geltend gemacht, dass er gesundheitliche Beschwerden hätte, die auf spezifische Arbeitsbedingungen zurückzuführen seien. Dabei stand insbesondere die Frage im Mittelpunkt, inwieweit sein Arbeitseinsatz in verschiedenen Stationen und insbesondere bei Überkopf-Arbeiten diese Gesundheitsbeeinträchtigungen verursacht haben könnte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Sa 196/22>>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Der Arbeitnehmer litt unter Beschwerden nach „Über-Kopf-Arbeiten“. Ein Wiedereingliederungsversuch wurde nach zwei Tagen abgebrochen.
  • Ein Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen gegen den Arbeitnehmer wurde in der Berufung verteidigt.
  • Die Kündigung des Arbeitnehmers wurde als sozialgerechtfertigt und rechtmäßig betrachtet, weil alle Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung gegeben waren.
  • Eine Kündigung dient nicht als Strafe für vergangenes Fehlverhalten, sondern soll lediglich wirtschaftlich untragbare Besetzungen von Arbeitsplätzen in der Zukunft begegnen.
  • Wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer in der Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, handelt es sich um eine Kündigung wegen dauernder Unmöglichkeit.
  • Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwog im Einzelfall das Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses.
  • Insgesamt wird deutlich, dass das Arbeitsgericht in diesem Fall streng rechtliche Normen und Anforderungen im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen angewendet hat.

Arbeitsplatzbedingte Gesundheitsgefahren und Kausalitätsfrage

Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung
(Symbolfoto: 3rdtimeluckystudio /Shutterstock.com)

Im konkreten Fall wies der Gerichtshof darauf hin, dass im Regelfall ein stärkeres Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsverhältnisses besteht, wenn die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit im betrieblichen Bereich liegen. Hier stellte sich jedoch die Frage, ob tatsächlich eine kausale Beziehung zwischen der betrieblichen Tätigkeit und den gesundheitlichen Beschwerden des Klägers bestand. Das Gericht hielt die medizinische Beurteilung des Klägers für zweifelhaft, insbesondere vor dem Hintergrund, dass andere Mitarbeiter gleichen Alters keine vergleichbaren Beschwerden aufwiesen. Somit wurden Zweifel an der Kausalität zwischen den dargestellten Arbeitstätigkeiten und den Beschwerden des Klägers aufgeworfen.

Die Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements

Ein zentraler Aspekt dieses Falles war das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber bei längerer Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters ein BEM durchzuführen. In diesem Kontext wies das Gericht darauf hin, dass auch wenn die krankheitsbedingten Fehlzeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen, sie eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses darstellen können, welcher das BEM entgegenwirken soll.

Konsequenzen bei Nicht-Durchführung eines BEM

Eine Nicht-Durchführung eines BEMs hat Folgen für die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Falle einer Kündigung wegen erheblicher Fehlzeiten. Dann muss der Arbeitgeber umfassend darlegen und beweisen, warum es nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Der Arbeitgeber darf sich ohne BEM nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine alternativen, der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten bekannt.

Beweislast und Substantiierungspflicht des Klägers

Das Gericht legte jedoch auch dar, dass das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren nicht ausreichend war, um eine andere Beurteilung des Sachverhalts zu rechtfertigen. Hier beklagte das Gericht insbesondere das Fehlen substantiierter Tatsachenbehauptungen.

Beurteilung der Kündigung und Ausblick

Insgesamt hat das Gericht entschieden, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial gerechtfertigt und damit rechtswirksam war. Entsprechend wurde die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.06.2022 – 10 Ca 185/21 – zurückgewiesen. Diese Entscheidung verdeutlicht anschaulich die hohe Komplexität und die strengen rechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen und dem BEM.

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Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung – kurz erklärt


Eine krankheitsbedingte Kündigung erfordert einige spezifische Voraussetzungen, um rechtmäßig zu sein. Zum einen muss eine negative Gesundheitsprognose vorliegen. Damit ist gemeint, dass entweder aufgrund der bisherigen Krankheitsgeschichte davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft erheblich fehlzeitenbedingt ausfallen wird oder es steht aufgrund einer ärztlichen Prognose fest, dass der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig sein wird.

Außerdem muss eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung durch die Krankheitsbedingte Fehlzeiten des Arbeitnehmers vorliegen. Dies kann betriebliche Ablaufstörungen oder hohe Kosten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall umfassen. Die Interessensabwägung muss darüber hinaus ergeben, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden kann.

Es ist auch zu beachten, dass eine Kündigung während einer Krankschreibung grundsätzlich zulässig ist. Falls der Arbeitnehmer dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt, muss jedoch ein Kündigungsgrund vorliegen. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Kündigung ist oft Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, daher sollten Arbeitnehmer bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit einer Kündigung Rechtsberatung suchen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz-  Az.: 3 Sa 196/22 – Urteil vom 16.01.2023

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.06.2022 – 10 Ca 185/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen, krankheitsbedingten Arbeitsgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.

Der 1982 geborene, nicht unterhaltsverpflichtete Kläger ist gelernter Tischler. Er wurde nach vorangegangener, auf die Betriebszugehörigkeit wohl angerechneter Zeitarbeit ab 01.05.2007 bei der Beklagten in Schichtarbeit unter Anwendung der „jeweiligen tariflichen Bestimmungen“ (s. Bl. 3 d.A.) und damit wohl des betriebsüblich angewendeten ERA-Tarifwerks eingestellt; hinsichtlich des weiteren Inhalts des schriftlich zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 3 – 6 d.A. Bezug genommen. Der Kläger war zuletzt als Montagearbeiter im Bereich TE-OWF rollierend eingesetzt in den Stationen Fahrerhaus auf Rahmen setzen und verschrauben, Lenkung einstellen, d.h. Lenkrad mit Vorderachse verbinden, Kotflügel an Vorderachse montieren, Einstiege und Innenkotflüge montieren und Betriebsbremsventile anschließen. Das monatliche Bruttoeinkommen lag bei ca. 3600,- EUR. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig weit mehr als 10,0 Arbeitnehmer in Vollzeit; ein Betriebsrat ist gebildet.

Der Kläger fehlte 2016 an 40 Arbeitstagen wegen Krankheit, jeweils mit Entgeltfortzahlung, und 2017 an 30 Arbeitstagen mit Entgeltfortzahlung. Die Beklagte nahm ein betriebliches Eingliederungsmanagement gegenüber dem Kläger auf und lud ihn zum Gesprächstermin am 25. April 2017. Der Kläger erschien hierzu in Begleitung eines Betriebsratsmitglieds, sah sich jedoch außer Stande eine Einwilligungs-erklärung zur bEM-Durchführung zu erteilen, wollte umgekehrt aber auch keine Ablehnung des Verfahrens unterzeichnen; der Termin blieb mithin unergiebig (Gesprächsvermerk Anl. 1 Beklagtenschriftsatz 25.06.2021).

Im Jahr 2018 fehlte der Kläger krankheitsbedingt an 28 Arbeitstagen mit Entgeltfortzahlung bis einschließlich 6. April 2018. Die Beklagte lud ihn zum betrieblichen Eingliederungsmanagement mit Gesprächstermin vom 7. Juni 2018. Diesen nahm der Kläger in Betriebsratsbegleitung wahr. Er verwies auf Einschränkungen an der Wirbelsäule mit spontan immer wiederkehrenden Schmerzen: Die bisher ergriffene medizinische Behandlung habe noch nicht angeschlagen, und nach der Arbeit sei er zu müde, um noch Präventionsmaßnahmen oder physiotherapeutische Übungen durchzuführen. Diese riet ihm die Beklagte indes an, auch damit sich die Schmerzen nicht chronisch entwickelten (Gesprächsvermerk Anl. 2 Beklagtenschriftsatz 25.06.2021).

Ab 18. Juni 2018 war der Kläger dann durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Im August/ September 2018 absolvierte er eine Reha-Maßnahme.

Die Beklagte lud den Kläger zum nächsten bEM-Gespräch für den 28. Mai 2019 ein. Der Kläger bekundete hier in Betriebsratsbegleitung, dass es ihm nicht gut gehe: Die Schmerzen würden kommen und gehen. Er verbinde seine Krankheit mit häufigem Bücken bzw. Über-Kopf-Arbeiten an der Station Innenkotflügel. Angesichts vieler männlicher Mitarbeiter gleichen Alters ohne solche Einsatzbeschwerden und wegen des – qualifikationsmatrix-entsprechend – rollierenden Klägereinsatzes an fünf Stationen hält die Beklagte diese Ursacheneinschätzung für zweifelhaft. Der Kläger verwies gesprächsweise darauf, sich im Nachgang der Rehabilitation angewöhnt zu haben, spazieren zu gehen, Rad zu fahren und Physiotherapie wahrzunehmen. Vereinbart wurde, dass im Zusammenwirken mit dem Werksarzt eine Überprüfung des klägerischen Fähigkeitsprofils stattfindet und nach einem leidensgerechten Arbeitsplatz Ausschau gehalten wird (Gesprächsvermerk Anl. 3 Beklagtenschriftsätze 25.06.2021, 12.07.2021).

Der im Juli 2019 wahrgenommene Werksarzttermin erbrachte indes kein verändertes Fähigkeitsprofil. Anlässlich ihres Krankenbesuchs vom August 2019 boten der bisherige und der künftige Meister im angestammten Kläger-Arbeitsbereich an, dass ggf. nach Wiedereingliederung verschiedene Arbeitsplätze im Team ausprobiert werden könnten. Der Kläger war indes weiterhin krankgeschrieben.

Am 8. Oktober 2019 fand das nächste bEM-Gespräch bei wesentlich gleicher Besetzung statt. Der Kläger gab die fachärztliche Behandlung und die Durchführung der Übungen aus der Rehabilitation an; eine Wiedereingliederung wolle er erst in Angriff nehmen, wenn er sich dazu voll in der Lage fühle. Es wurde vereinbart, dass sich der Kläger um einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan bemüht (Protokoll Anl. 4 Beklagtenschriftsatz 25.06.2021). Nach dessen Eingabe und befürwortender Stellungnahme des Werksarzts begann der Kläger am 4. November 2019 eine auf 25 Kalendertage angelegte Wiedereingliederung. Nachdem am ersten Tag organisatorische Dinge verhandelt waren, und der zweite Tag mit Anlernen an der vorgesehenen ALB-Station (Band 1 – nach Beklagtenansicht einer der einfachsten Bereichsstationen) verging, brach der Kläger den Arbeitsversuch schon am 6. November 2019 nach zwei Arbeitsstunden wegen zu großer Beschwerden ab.

Am 30. Juni 2020 gab es wieder ein bEM-Gespräch (Einladung 24.06.2022 in Anl. Beklagtenschriftsatz 06.08.2021). Der Kläger verwies hierin auf seine inzwischen anerkannte Schwerbehinderung im Grad von 20. Er laboriere an unterschiedlichen Einschränkungen und wolle nach abgeschlossener Behandlung beim Orthopäden einen Kardiologen aufsuchen; ein zeitgleiches Aufsuchen von Ärzten erscheine ihm indes zu stressig. Auch psychische Themen seien hinzugekommen – er bekomme Stress, wenn er nur an seinen Arbeitsplatz denke (Einstieg links/rechts, Innenkotflügel und Lenkungsstation). Der Werksarzt habe ihm psychologische Hilfe auch empfohlen.

Im Juli 2020 wurde der Kläger vom Werksarzt erneut, aber ohne neue Erkenntnisse begutachtet. Der Kläger gab seinem Meister anschließend noch ein Schreiben der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Frau R., das für ihn einen Wechsel in der Arbeitsgruppe als angebracht ausführte (wohl Anl. K5 Klägerschriftsatz 31.08.2021). Der Meister bot daraufhin die Herausnahme aus der Stammgruppe am Band 1 an, was der Kläger aber ablehnte – wenn er nur den einen oder anderen Kollegen sehe, könne er für nichts mehr garantieren.

Am 18. Dezember 2020 fand nochmals ein bEM-Gespräch statt. Der immer noch krankgeschriebene Kläger gab an, dass er mit den Anforderungen nicht zurechtkäme und psychische Probleme habe. Er meinte, dass seine Krankheiten betrieblich bedingt seien. Ideen für einen anderen Arbeitsplatz konnte er hierbei nicht aufzeigen. Es sei ein Antrag auf Rehabilitation gestellt. Hierauf wurde vereinbart, dass der Kläger den Reha-Antrag mit Angaben, inwieweit er bereits ausgesteuert sei, bis Ende Januar 2021 einreichte. Nachdem jedoch kein Eingang zu verzeichnen war – erst ein Reha-Antrag vom 7. Mai 2021 mit Ablehnung der Deutschen Rentenversicherung vom 17. Mai war der Beklagte nachgehend übermittelt (Anl. 11/12 Beklagtenschriftsatz 03.12.2021) -, schrieb die Beklagte dem Kläger am 9. März 2021, das betriebliche Eingliederungsmanagementverfahren als beendet ansehen zu wollen.

Mit Schreiben vom 11. März 2021 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung des Klägers unter Nennung von Sozial und Betriebsdaten, von Fehlzeiten sowie in Darlegung des Entwicklungsprozesses anhand der Stadien im betrieblichen Eingliederungsmanagement an (Anl. 6 Beklagtenschriftsatz 25.06.2021). Der Betriebsrat antwortete am 18. März 2021, der Kündigung nicht widersprechen zu wollen (Anl. 6 Beklagtenschriftsatz 25.06.2021).

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis alsdann „krankheitsbedingt fristgerecht“ mit Schreiben vom 19. März 2021 zum 31. August 2021 (Anl. K2 Klageschrift).

Der Kläger hat dagegen mit Gerichtseingang vom 31. März und Zustellung am 14. April 2021 die vorliegende Klage erhoben.

Mit Schreiben vom 10. Mai 2021 attestierte das Versorgungsamt dem Kläger anschließend die Zuerkennung eines Schwerbehinderungsgrads von 30 ab (23. Februar 2021). Möglicherweise bei Abgabe dieses Bescheids an den bEM-zuständigen Beklagtenmitarbeiter Lange verneinte der Kläger die Frage, über die zwei in 2020 wahrgenommenen Psychologentermine noch in weiterer Behandlung zu sein, ohne zum „warum?“ etwas sagen zu können. Mit Bescheid vom 27. Juli 2021 stellte die Bundesagentur für Arbeit den Kläger ab 19. Mai 2021 einem schwerbehinderten Menschen gleich (Anl. K3 Klägerschriftsatz 31.08.2021). Der Kläger verlangte von der Beklagten am 28. Juli 2021 daraufhin eine, ab 2. August 2021 dann auf 27 Kalendertage in Angriff genommene Wiedereingliederung. Zum anfänglichen Einsatz in der Station „Lenkungseinstellung“ monierte der Kläger am 3. August 2021 Schmerzen im Arm; er könne hier nicht arbeiten. Mit dem Bereichsmeister wurde die Station „Einstiegsmontage“ vereinbart. Bereits zu Schichtbeginn des 5. August 2021 teilte der Kläger jedoch mit, dass auch diese Einheit keine Option für ihn sei; er habe überall Schmerzen. Vereinbart wurde fortan ein Platz in der „Montage Kotflügel Vorderachse und Einsetzen der Führungsebene“, wo der Kläger angesichts davor und danach liegender Kurzarbeitsschließungstage am 9. und 10. August 2021 eingesetzt war. Am 16. August 2021 kam es hier jedoch zu einem verbalen Schlagabtausch mit Kollegen, darin gipfelnd, dass der Kläger diesen Prügel androhte und den Meister in aggressivem Ton anschrie, das Ganze nicht zu können und nicht zu wollen, weil er psychisch krank sei. Vom 19. August bis 27. August 2021 herrschte im Betrieb wieder Kurzarbeit. Auf ein am 12. August 2021 angebotenes Prozessbeschäftigungsverhältnis ab 1. September 2021 ließ sich der Kläger nicht fristgerecht ein (Anl. 7 Beklagtenschriftsatz 30.11.2021). Als er stattdessen bei dem bEM-zuständigen Beklagtenmitarbeiter, Herrn G., am 8. September 2021 nochmals eine Wiedereingliederung verlangte, wurde er auf die inzwischen abgelaufene Kündigungsfrist hingewiesen.

Der Kläger hat vorgetragen, die streitbefangene ordentliche Kündigung der Beklagten sei nicht sozialgerechtfertigt. Eine Ursache für seine Arbeitsunfähigkeit liege im orthopädischen Bereich (s. fachärztliche Bescheinigung Dr. K., Anlage K 4 zum Schriftsatz des Klägers vom 31.08.2021). Hinzukämen aber auch psychische Probleme wegen Zukunftsängsten in Bezug auf den Arbeitsplatz. Wegen der außergewöhnlichen Situation habe er den verschiedenen BEM-Gesprächen nicht betreffend deren Hintergrund und Tragweite folgen können, was der Beklagten habe auffallen müssen. Er sei allerdings zuversichtlich, mit Ablauf einer Wiedereingliederung seine volle Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen. Die psychische Situation habe in der Vergangenheit keine an sich geplante REHA-Maßnahme zugelassen. Außerdem seien die gesundheitlichen Einschränkungen auf seine Tätigkeit bei der Beklagten zurückzuführen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben vom 19.03.2021 ausgesprochene Kündigung beendet worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis unverändert über den mit Schreiben vom 19.03.2021 erklärten Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei völlig ungewiss. Angesichts der die bloße Selbsteinschätzung des Klägers referierenden psychologischen Bescheinigung bestimmten Zweifel an deren Aussagekraft in Bezug auf entsprechende Klägerbeschwerden. Sie, die Beklagte, fahre in der aktuellen Lage erhebliche wirtschaftliche Belastungen z.B. auch noch aus dem sukzessiven Erwerb von Urlaubs-, Betriebsrenten- und Tarifansprüchen (T-Zug, Sonderzahlungen) durch den Kläger.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 28.06.2023 – 10 Ca 185/21 – abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 143 – 155 d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 04.07.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 25.07.2022 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 27.09.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nach dem zuvor auf seinen begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 22.08.2022 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 30.09.2022 einschließlich verlängert worden war. Die Beklagte hat darauf mit Schriftsatz vom 15.11.2022 schriftsätzlich erwidert, nach dem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 21.10.2022 die Frist zur Einreichung der Berufungserwiderung für die Beklagte bis zum 30.11.2022 einschließlich verlängert worden war.

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, er könne seine volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangen. Zudem seien seine gesundheitlichen Einschränkungen alleine auf die Tätigkeit bei der Beklagten zurückzuführen. Die Bedeutung des BEM sei ihm zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst gewesen. Die Beklagte habe ihn, den Kläger, nicht darauf hingewiesen, dass sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwäge (s. Bl. 190 d.A.), nur so könne sich der Arbeitnehmer der Bedeutung des BEM bewusst sein. Werde das BEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, trage der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass ihm keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Dazu habe die Beklagte nichts vorgetragen. Nach dem Arbeitsvertrag sei der Kläger als Mitarbeiter im Schichtbetrieb in allen Standorten in Deutschland einsetzbar. Es hätte der Beklagten oblegen, vorzutragen, dass ihr eine Umbesetzung nicht möglich oder zumutbar gewesen sei. Auch wenn die unstreitig erfolgten Umbesetzungen innerhalb der Gruppe am selben Band in der Lkw-Fertigung am Standort H. gescheitert seien, bleibe die Beklagte dennoch verpflichtet, alternative Arbeitsstellen, ggfls. auch an anderen Standorten zu prüfen. Im Rahmen des BEM sei dies nicht geschehen. Selbst der Werksarzt der Beklagten habe eine Umbesetzung in eine andere Gruppe empfohlen. Alternativen zur Umbesetzung innerhalb derselben Montagegruppe seien im BEM nicht einmal angesprochen worden. In H. existierten die Abteilung KLG und KLG 2 für Mitarbeiter, die aus gesundheitlichen Gründen am Band nicht mehr eingesetzt werden könnten.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 27.09.2022 (Bl. 189 – 191 d.A.) sowie seinen Schriftsatz vom 12.01.2023 (Bl. 217, 218 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 28.06.2022 aufzuheben und festzustellen,

1. dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben vom 19.03.2021 ausgesprochene Kündigung beendet worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis unverändert und über den mit Schreiben vom 19.03.2021 erklärten Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.06.2022 – 10 Ca 185/21 – zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, der Kläger habe nicht vorgetragen, dass und unter welchen Bedingungen innerhalb des Zeitraums von 24 Monaten eine Besserung wahrscheinlich eintreten werde. Er habe auch keine konkreten Erkenntnisse bzw. Aussagen der behandelnden Ärzte vorgetragen, aus denen in absehbarer Zeit die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu erwarten gewesen sei. Der Kläger habe nicht einmal die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Er habe lediglich vorgetragen, dass die Ursache seiner Arbeitsunfähigkeit im orthopädischen Bereich liege, er zusätzlich psychische Probleme, bedingt durch die Zukunftsängste in Bezug auf seinen Arbeitsplatz habe und er in Behandlung wegen seiner psychischen Erkrankung sei, die durch verschiedene Konflikte mit unterschiedlichen Mitarbeitern an seinem Arbeitsplatz bedingt sei. Näheres Vorbringen zu konkreten Heilungsmöglichkeiten fehle, insbesondere auch unter Berücksichtigung der wiederholten missglückten Arbeitsversuche des Klägers im Rahmen von Wiedereingliederungsmaßnahmen. Entgegen der Auffassung des Klägers sei das BEM ordnungsgemäß vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung durchgeführt worden; weitere Einsatzmöglichkeiten bestünden bei der Beklagten nicht. Der Kläger sei umfassend auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der dafür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen worden (s. Bl. 205 f. d.A.). Der Kläger habe zudem eine Einwilligungserklärung unterzeichnet (30.06.2020, Bl. 214 f. d.A.), in der ausdrücklich der Zweck eines BEM-Gespräches erläutert worden sei. Zudem sei der Kläger stets in Begleitung eines Betriebsratsmitglieds gewesen, so dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass ihm der Zweck eines solchen Gespräches nicht erkennbar gewesen sei. Der Kläger sei ausweislich der Protokolle zu den BEM-Gesprächen auch ausdrücklich auf die kündigungsrelevanten Fehlzeiten hingewiesen worden, d.h. darauf, dass die Möglichkeit bestünde, dass diese für eine Kündigung herangezogen werden könnten. Nach dem BEM-Protokoll vom 08.10.2019 habe das Betriebsratsmitglied Herr O. erklärt, dass der Kläger mehr Einsatz zeigen solle, da ansonsten Arbeitslosigkeit drohe. Insgesamt sei das BEM-Verfahren folglich korrekt durchgeführt worden. Im BEM-Gespräch vom 18.12.2020 habe der Kläger auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, keine Ideen für einen anderen Platz zu haben. In allen BEM-Gesprächen habe der Kläger nie geäußert, an anderen Standorten eingesetzt werden zu wollen, ansonsten wäre dort eine Nachfrage erfolgt. Unklar sei zudem, was sich mit einer Anfrage an einem anderen Standort an der gesundheitlichen Situation des Klägers habe ändern können. Eine Empfehlung des Werksarztes, den Kläger in eine andere Gruppe umzubesetzen, habe es nicht gegeben. Der Hinweis auf KLG und KLG 2 sei wenig konkret. Unzutreffend sei, dass es sich um Plätze für Mitarbeiter handele, die in der Montage nicht eingesetzt werden könnten. Arbeitsversuche in anderen Bereichen würden nach Erstellung eines Fähigkeitsprofils durchgeführt, das der Werksarzt erstelle, nach dem der Mitarbeiter aktuelle Befunde seiner behandelnden Ärzte vorgelegt habe. Zum letzten sei der Kläger mehrfach aufgefordert worden (s. Bl. 208 f. d.A.). Trotz mehrerer Bemühungen der Beklagten, entsprechende Unterlagen zu erhalten, habe der Kläger keine Befunde vorgelegt, sondern stattdessen unzutreffende offenbar nicht belegte Angaben gemacht (s. Bl. 209, 210 d.A.). Der Beklagten sei keinerlei Interesse am Arbeitsplatz und keinerlei Eigenverantwortung und Eigeninitiative des Klägers erkennbar.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 15.11.2022 (Bl. 202 – 210 d.A.) nebst Anlagen (Bl. 211 – 215 d.A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 16.01.2023.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung des Klägers ist zwar form- und fristgerecht eingelegt worden; allerdings genügt die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen, so dass seine Berufung bereits unzulässig ist.

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar.

Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Regelung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt werden. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten sein. Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Jedoch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 23.11.2017 – 8 AZR 458/16; 26.04.2017- 10 AZR 275/16; 27.12.2016 – 2 AZR 613/14; 19.02.2013 – 9 AZR 543/11; 16.05.2012 – 4 AZR 245/10 -; 18.05.2011 – 4 AZR 552/09 -; BAG 15.03.2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11, m. w. N., AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 44; BGH 22.01.2019 – XI ZB 9/18; LAG Rheinl.-Pfalz 25.09.2017 – 3 Sa 249/17, Beck RS 2017, 144194; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, DLW/Dörner 15. Auflage 2019, Kap. 15, Rn. 720 ff.). Erforderlich ist die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der weshalb bekämpft (BGH 22.01.2019 – XI ZB 9/18; 07.06.2018/I ZB 57/17, NJW 2018, 2894; 11.10.2016/XI ZB 32/15 NJW-RR 2017, 365).

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsschrift des Klägers nicht. Denn die Berufungsbegründung besteht lediglich aus einer teilweisen Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung findet nicht statt, außer dass deutlich wird, dass der Kläger mit dieser nicht einverstanden ist.

Folglich ist die Berufung bereits unzulässig.

II.

Unbeschadet dessen erweist sich die Berufung auch als unbegründet.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kündigungsschutzklage des Klägers zwar zulässig, aber unbegründet ist. Die streitbefangene ordentliche Arbeitgeberkündigung erweist sich entgegen der Auffassung des Klägers als rechtswirksam, weil sozialgerechtfertigt, denn die gesetzlichen Voraussetzungen einer personen-, krankheitsbedingten Kündigung sind vorliegend gegeben.

Insoweit gilt:

Nach der Rechtsprechung des BAG (7.11.2002 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 50; 19. 4. 2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53; 8.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54; s. LAG Rheinland-Pfalz 17.6.2019, 3 Sa 32/19; 10.7.2017, 3 Sa 153/17) ist eine krankheitsbedingte Kündigung im Rahmen einer dreistufigen Überprüfung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn aufgrund

-objektiver Umstände (insbes. bisheriger Fehlzeilen) bei einer lang anhaltenden Erkrankung mit einer weiteren Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit bzw. bei häufigeren Kurzerkrankungen auch weiterhin (»Wiederholungsgefahr«) mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gerechnet werden muss (negative Gesundheitsprognose):

-die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen (erhebliche betriebliche Auswirkungen haben) und

-sich im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt (s. DLW/Dörner, a.a.O., Rdrn. 2121 ff.).

Zu beachten ist des Weiteren das das gesamte Kündigungsrecht beherrschende Verhältnismäßigkeitsprinzip: Auch eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann (z. B. durch Qualifikation des Arbeitnehmers zur Bedienung neu angeschaffter Maschinen: LAG Hamburg 3. 4. 2009 – 6 Sa 47/08. AuR 2009. 319). d. h. wenn die Kündigung zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (BAG 10. 6. 2010 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 25).

Auch bei personenbedingten Kündigungen ist also unter Anwendung des Ultima-Ratio-Prinzips nach milderen Mitteln zur Erreichung künftiger Vertragstreue zu suchen; hierfür kommen sowohl eine Abmahnung bei steuerbarem Verhalten als auch eine Versetzungsmöglichkeit in Betracht (LAG Berlin-Brandenburg 12.8.2014 LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 28).

Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung ist zunächst eine begründete negative Gesundheitsprognose. Denn eine Kündigung stellt keine Sanktion für vergangenheitsbezogenes Fehlverhalten dar, sondern ist nur ein Instrument, um betriebswirtschaftlich unvertretbaren Besetzungen von Arbeitsplätzen für die Zukunft zu begegnen.

Dafür muss der Arbeitnehmer Fehlzeiten infolge Krankheit in voraussichtlich so großem Umfang aufweisen, dass diese zu erheblichen und deshalb dem Arbeitgeber letztlich nicht mehr zumutbaren betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Störungen führen würden. Beide Komponenten (Prognose krankheitsbedingter Pohlzeiten und die Prognose erheblicher betrieblicher und/oder wirtschaftlicher Belastungen) bilden den Kündigungsgrund (BAG 25. 11.1982 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10).

Eine negative Gesundheilsprognose liegt dann vor. wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (BAG 25. 11.1982 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10) aufgrund objektiver Tatsachen damit zu rechnen ist. dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft seinem Arbeitsplatz krankheitsbedingt in erheblichem Umfang (aufgrund häufiger Kurzerkrankungen oder aufgrund einer lang anhaltenden Erkrankung) fernbleiben wird (s. BAG 20.11. 2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015. 931). Trotz §§ 3 ff. EFZG kommt es nicht auf eine Überschreitung von 30 Arbeitstagen pro Jahr an; eine Prognose von 12 Arbeitstagen jährlich kann folglich genügen: a.A. unzutr. ArbG Stuttgart Kammer Ludwigsburg 2.3 2004 AuR 2004. 356 LS); ob die Grenze von 30 Arbeitstagen (§§ 3 ff. EFZG) überschritten wird, ist erst in der zweiten Stufe von Belang. Die negative Gesundheitsprognose muss in diesem Sinne eine objektive sein (zutr. LAG München 29.11. 2007 LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 41).

Für diese Prognose spielen die bisherigen, objektiv feststellbaren Krankheitszeiten keine unmittelbare, allerdings eine mittelbare Rolle. Insoweit können auch vergangenheitsbezogene Fehlzeiten eine negative Gesundheitsprognose begründen.

Insoweit ist es nicht stets erforderlich, die Sechs-Wochenfrist des EFZG vor dem Ausspruch einer Kündigung abzuwarten. Die negative Gesundheitsprognose ist auch dann begründet, wenn der Arbeitnehmer erst kurze Zeit erkrankt ist. und die konkreten Umstände (etwa unfallbedingte schwere Verletzungen) die Prognose einer lang andauernden Erkrankung dennoch rechtfertigen.

Eine danach begründete negative Gesundheitsprognose des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer dadurch entkräften, dass er darlegt, aufgrund welcher Umstände (etwa eine bevorstehende Operation, der fortgeschrittene Heilungsprozess, ggf. die Entdeckung eines neuartigen Heilmittels) mit seiner alsbaldigen Genesung und der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist (BAG 6.9.1989 NZA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26: LAG Schleswig-Holstein 11.3. 2008 NZA-RR 2008. 518 oder inwieweit eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht, die keine Fehlzeiten erwarten lässt (s. BAG 19.4.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53). Dem wird er allerdings kaum nachkommen können, wenn er selbst seinen Gesundheitszustand und die weitere gesundheitliche Entwicklung negativ einschätzt (unklar LAG München 29.11.2007 LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 41).

Nach der Rechtsprechung des BAG (10.11.2005 – 2 AZR 44/05. NZA 2006. 655: 8.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54; 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015. 931) ist die krankheitsbedingte Kündigung wie auch die personenbedingte Kündigung im Übrigen nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich im Einzelfall nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund der prognostizierten Belastung eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt, so dass die prognostizierten betrieblichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht (mehr) hinzunehmen sind (s. Betz-Rehm/Schiepel/Kanne ZTR 2016. 239 ff.).

Diese Interessenabwägung muss also insbes. alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigen. Sie muss vollständig sein, sie darf keine Widersprüche aufweisen.

Welche Umstände gegeneinander jeweils abzuwägen sind, richtet sich u. a. nach der Art des Kündigungsgrundes. Es ist daher nicht möglich, einen Katalog von wesentlichen Umständen aufzustellen, der in jedem Einzelfall der Interessenabwägung zugrunde zu legen ist (BAG 15.1.1970 AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 4.11.1981 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 9; 8.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54; 20. 11. 2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015. 931).

Von maßgeblicher Bedeutung sind allerdings auch bei der personenbedingten Kündigung jedenfalls die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, das Ausmaß der Unterhaltsverpflichtungen sowie die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers (BAG 20. 1. 2000 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47: 8.11.2007 EzA § I KSchG Krankheit Nr. 54: 20. 11. 2014 EzA §1 KSchG Krankheit Nr. 60: vgl. dazu Lingemann BB 2000. 1835 ff.: Lepke Kündigung bei Krankheit Rn. 144 ff.).

Im Rahmen einer krankheilsbedingten Kündigung können bei der Interessenabwägung die Krankheitsursachen von Bedeutung sein. In aller Regel ist dem Arbeitgeber die Hinnahme einer Beeinträchtigung seiner betrieblichen Interessen eher zuzumuten, wenn die Gründe für die Arbeitsunfähigkeit im betrieblichen Bereich liegen. Das schließt es in Fällen dauerhafter Leistungsunfähigkeit oder völliger Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht aus, im Einzelfall das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses höher zu bewerten, auch wenn die Leistungsunfähigkeit z. B. im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall steht (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015. 931).

Zugunsten des Arbeitgebers sind insbes. die betrieblichen Beeinträchtigungen, die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten und die Kosten für eine Personalreserve zu berücksichtigen (BAG 16.2.1989 – 2 AZR 299/88. NZA 1989. 923; 29 7.1993 – 2 AZR 155/93, NZA 1994. 67; s. Betz- Rehm/Schiepel Kanne ZTR 2016. 239 ff.).

Ob die finanzielle Belastung des Arbeitgebers – insbes. durch die nach der negativen Gesundheitsprognose in Zukunft aufzuwendenden Entgeltfortzahlungskosten – dem Arbeitgeber noch zumutbar sind, hängt insbes. von der Dauer des ungestörten Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab.

Je länger das Arbeitsverhältnis ungestört i. S. d. Nichtvorliegens krankheitsbedingter Fehlzeiten bestanden hat, desto mehr Rücksichtnahme ist vom Arbeitgeber zu erwarten (BAG 15. 2. 1984 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15; 8.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54) und desto eher sind dem Arbeitgeber die nunmehr durch Fehlzeiten entstehenden betrieblichen Belastungen zuzumuten.

Besonderheiten gelten dann, wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer dauernd unfähig ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (s. BAG 19.04.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53; 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 93; DLW/Dörner, a.a.O., Kap. 4 Rz. 2294 ff.).

Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt dann jedenfalls ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose insoweit zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (BAG 13.05.2015 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 61 = NZA 2015, 1249).

Nach Auffassung des BAG (29.04.1999 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; s. Gitter SAE 2000, 18 ff.) muss der Arbeitgeber in diesen Fällen nicht noch eine über die nachgewiesene dauernde Arbeitsunfähigkeit hinausgehende erhebliche Betriebsbeeinträchtigung darlegen; von ihrem Vorliegen ist vielmehr i. d. R. ohne Weiteres auszugehen (BAG 19.04.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53; 13.05.2015 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 61 = NZA 2015, 1249).

Denn wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, dann handelt es sich nicht um eine Kündigung wegen Leistungsminderung infolge Krankheit, sondern um eine Kündigung wegen dauernder Unmöglichkeit.

Ein derartiges Arbeitsverhältnis ist schon aus diesem Grund auf Dauer ganz erheblich gestört (BAG 12.04.2002 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 49).

Die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogene unzumutbare betriebliche Beeinträchtigung besteht darin, dass der Arbeitgeber damit rechnen muss, dass der Arbeitnehmer auf Dauer außerstande ist, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

Die dauerhafte Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen indiziert also eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands. Sie führt des Weiteren – sofern es an alternativen, leidensgerechteren Beschäftigungsmöglichkeiten fehlt – regelmäßig zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und ist damit geeignet, eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 931).

Die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach Möglichkeit zur Vermeidung einer Kündigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, schließt in Krankheitsfällen die Pflicht des Arbeitgebers ein, eine entsprechend geeignete Stelle – falls möglich – durch Ausübung des Direktionsrechts (§ 106 GewO) „freizumachen“ und sich ggf. um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen. Demgegenüber ist der Arbeitsgeber allein aufgrund des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht verpflichtet, für den erkrankten Arbeitnehmer einen besetzten leidensgerechten Arbeitsplatz im Wege einer Kündigung „freizumachen“ Auch eine Schwerbehinderung des erkrankten Arbeitnehmers vermag eine solche Verpflichtung jedenfalls dann nicht zu begründen, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle seinerseits allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG genießt. Fehlt es daran, kommt eine Pflicht zur „Freikündigung“ – soweit überhaupt – allenfalls dann in Betracht, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer darlegt und ggf. beweist, dass der betroffene Stelleninhaber seinerseits nicht behindert ist und eine Kündigung für diesen keine besondere Härte darstellt. An dieser Darlegungslast ändert sich auch dadurch nichts, dass der Arbeitgeber – obwohl erforderlich – ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt hat (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 931; s. DLW/Dörner, a.a.O. Kap. 4 Rz. 2303).

Ist der Arbeitnehmer bereits längere Zeit arbeitsunfähig krank (z B. 21 Monate) und ist im Zeitpunkt der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit noch völlig ungewiss, so kann diese Ungewissheit wie eine feststehende dauernde Arbeitsunfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60; 13.05.2015 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 61 = NZA 2015, 1249). Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsfähigkeit aber nur dann gleich, wenn – ausgehend vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (BAG 29.04.1999 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46; 13.05.2015 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 61 = NZA 2015, 1249; s. DLW/Dörner, a.a.O. Kap. 4 Rz. 2307 ff.).

Für die Prognose kommt es auf den Zeitpunkt der Kündigung an. Vor der Kündigung liegende Krankheitszeiten können in den Prognosezeitraum (24 Monate) nicht eingerechnet werden (BAG 12.04.2002 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 49). Diese Voraussetzungen sind dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer mehr als elf Monate wegen Krankheit fehlte und dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die Nachricht der Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente für drei Jahre zuging, sodass er von einer noch über zwei Jahre hinaus andauernden Arbeitsunfähigkeit ausgehen musste (Hessisches LAG 13.03.2001 NZA-RR 2002, 21).

Auch die Möglichkeit, bei einer lang andauernden Erkrankung eines Arbeitnehmers gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG eine Ersatzkraft auch für einen längeren Zeitraum als zwei Jahre befristet einzustellen, führt nach LAG Nürnberg (21.06.2006 NZA-RR 2007, 75) nicht dazu, bei der Prüfung der negativen Gesundheitsprognose und der betrieblichen Störungen auf einen längeren als zweijährigen Zeitraum ab Ausspruch der Kündigung abzustellen, innerhalb dessen nicht mit einer Rückkehr des erkrankten Mitarbeiters gerechnet werden kann.

Hinsichtlich der notwendigen Interessenabwägung ist dann zu berücksichtigen, dass sie zwar als letzte Prüfungsstufe systematisch auch bei einer Kündigung wegen dauernder oder diesem Tatbestand gleichstehender Arbeitsunfähigkeit auf unabsehbare Zeit erforderlich ist.

Sie kann aber nur bei Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers ausnahmsweise zu dem Ergebnis führen, dass der Arbeitgeber trotz der erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses auf nicht absehbare Zeit dessen Fortsetzung billigerweise weiter hinnehmen muss.

Maßgeblich zu berücksichtigen ist neben betrieblichen Ursachen für die Fehlzeiten (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 931).

Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (BAG 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, EzA § 626 BGB 2002 Krankheit Nr. 5 = NZA 2018, 1056).

Hinsichtlich der Verpflichtung des Arbeitgebers, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung regelmäßig ein BEM-Verfahren durchzuführen, gilt:

Die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 84 Abs. 2 SGB IX gegenüber Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken, ein BEM durchzuführen, besteht unabhängig von der Art und den Ursachen der Erkrankung. Auch wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich aus ihnen zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten – eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das BEM entgegenwirken soll (BAG 20.11.2014 EZA § 1 KSchG Krankheit Nr. 59; DLW/Dörner, a. a. O. Rdrn. 835 ff.).

Damit sieht das Gesetz einen frühen Beginn der Präventionspflicht des Arbeitgebers bei Krankheit vor. Sind Beschäftigte länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung, insbes. dem Betriebsrat, bei schwer behinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, ggf. unter Hinzuziehung von Betriebs- oder Werksarzt, den örtlichen gemeinsamen Servicestellen und des Integrationsamtes mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Personen die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement: s. Kempter/Steinat NZA 2015, 840 ff.; Hoffmann-Remy NZA 2016. 267 ff.). Dafür genügt es, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten insgesamt, ggf. in mehreren Abschnitten, mehr als sechs Wochen betragen haben. Nicht erforderlich ist. dass es eine einzelne Krankheitsperiode von durchgängig mehr als sechs Wochen gab (BAG 24.3.2011 EZA § 84 SGB IX Nr. 8 = NZA 2011, 992).

Nach Auffassung des BAG (12. 7. 2007 EzA § 84 SGB IX Nr. 3: 23.4.2008 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55; 24.3.2011 EzA § 84 SGB IX Nr. 8 = NZA 2011, 992; BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 59) gilt allerdings Folgendes:

Kündigt der Arbeitgeber, ohne zuvor dieses Präventionsverfahren durchzuführen. so führt dies für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung: die Einhaltung des Verfahrens gem. § 167 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für Kündigungen gegenüber Schwerbehinderten (ebenso LAG Nürnberg 21.6.2006 NZA-RR 2007. 75 = ZTR 2007, 108; a. A. LAG Nürnberg 29. 3. 2005 NZA-RR 2005, 523) und begründet auch keine Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Behinderung (BAG 28. 4. 2011 EzA § 22 AGG Nr. 4). Die Vorschrift stellt lediglich eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 59: s. LAG Hamm 19.7.2016 LAGE § 84 SGB IX Nr. 9): danach ist eine Kündigung unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere mildere Mittel vermieden werden kann. d. h. wenn die Kündigung nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung geeignet oder nicht erforderlich ist (BAG 23. 4.2008 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55). Es handelt sich damit also keineswegs nur um eine bloße Ordnungsvorschrift mit Appellativcharakter, deren Missachtung in jedem Fall folgenlos bliebe (a. A. SPV-Preis Rn. 1230a; LAG Nürnberg. 31.5.2006 – 4 |9| Sa 933/05, ZTR 2007, 108). Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist zwar für sich gesehen kein milderes Mittel i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Durch es können aber solche milderen Mittel, z. B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen -ggf. durch Umsetzungen »freizumachenden« – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 23.4.2008 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55 = NZA-RR 2008, 515; 24.3.2011 EzA § 84 SGB IX Nr. 8 = N/Z 2011, 992; LAG Düsseldorf 30.1.2009 LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 1).

Führt der Arbeitgeber kein BEM durch, so hat dies Folgen für die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Auswirkungen von erheblichen Fehlzeiten (s. Betz/Rehm/Schiepel/Kanne ZTR 2016, 239 ff.: Rupp NZA 2017, 361 ff.). Der Arbeitgeber hat dann von sich aus darzulegen, weshalb denkbare oder vom Arbeitnehmer aufgezeigte Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsbedingungen mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeiten nicht in Betracht kommen, Er muss deshalb dann umfassend darlegen und beweisen, warum es in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 59; 13.5.2015 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 61 = NZA 2015, 1249: LAG BB 11.1.2017, 4 Sa 900/16 – NZA-RR 2017, 297). Dabei obliegt es ihm nicht nur. die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG aufzuzeigen. Vielmehr hat er schon nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG auf im Kündigungszeitpunkt bestehende außerbetriebliche Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Dem Ziel, solche Möglichkeiten zu erkennen, dient wiederum das BEM (BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 59: LAG Hamm 19.7.2016 LAGE § 84 SGB IX Nr. 9; LAG Schleswig-Holstein 22.9.2015 NZA-RR 2016, 250; s.a. BAG 22.10.2015 EzA Art. 30 EGBGB Nr. 12 = NZA 2016, 473; das KSchG muss anwendbar sein; s. Joussen RdA 2017, 57).

Der Arbeitgeber kann sich ohne BEM nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine alternativen, der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten bekannt. Denn der Arbeitgeber darf aus seiner dem Gesetz widersprechenden Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile ziehen, Es bedarf vielmehr eines umfassenden konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz und einer nicht durchführbaren leidensgerechten Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes bzw. eines alternativen Einsatzes auf einem anderen Arbeitsplatz (BAG 12. 7. 2007 EzA § 84.SGB IX Nr. 3; LAG Hamburg 22. 9. 2011 – 1 Sa 34/11, AuR 2012, 137 LS: LAG Köln 13.4.2012 LAGE §81 SGB IX Nr. 10a).

Allerdings kann eine Kündigung nicht allein deshalb wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des BEM überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten. Folglich steht ein unterlassenes BEM einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte verhindert werden können (BAG 23.4.2008 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55; 24.3.2011 EzA § 84 SGB IX Nr. 8 = NZA 2011, 992).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht in der streitbefangenen Entscheidung ausgeführt:

“ aa) Im Falle langanhaltender Krankheiten – wie vorliegend – ist eine Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – zweite Stufe -, und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung der Arbeitgeberseite führen – dritte Stufe – (BAG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 12).

bb) Diesen Erfordernissen ist im gegebenen Fall genügt.

(1) Auf erste Stufe kann von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen werden.

(a) Arbeitgebende genügen der ihnen obliegenden Darlegungslast zur noch fortwährenden Krankheit, indem sie die bisherige Erkrankungsdauer und die ihnen dazu bekannten Krankheitsursachen schildern (BAG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 14). Das hat die Beklagte hier ausführlich getan, indem sie die Klägerkrankheitszeiten und den begleitenden Eingliederungsmanagementprozess im Einzelnen dartat. Schon mehrjährig vor Kündigungsausspruch war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und bis zuletzt auch nicht wiederhergestellt. Die Frage, ob und wann die zuletzt auch nicht absehbar Reha-behandelbaren orthopädischen Wirbelsäulen- und Schmerzprobleme, die anscheinend nicht nur gebückt oder über-Kopf arbeitend – wie vom Kläger moniert -, sondern – wie die gescheiterten Arbeitsversuche ergaben – ganz allgemein im industriellen Produktionsprozess bei der Beklagten vorherrschten, Linderung erfahren könnten, blieb vollkommen offen. Gleiches galt auch für ggf. zudem noch aufgetretene psychische oder gar kardiologischen Einschränken, auf die der Kläger sich ergänzend im bEM oder/und vorliegend bezog.

(b) Sache des arbeitnehmenden Klägers war es, prozessual diese negativen Heilungsindizien zu entkräften und seinerseits Umstände vorzutragen, die für eine Genesungsmöglichkeit binnen 24 Monate auf die Kündigung sprachen – dies anhand konkreter Therapiemaßnahmen und in Erläuterung ärztlicher Einschätzung (allein deren Benennung und Entbindung von der Schweigepflicht reichte nicht; BAG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 15; Rachor, in: Bubach/u.a., KR – Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 13. Aufl. 2021, § 1 KSchG Rn. 395).

(aa) Der Kläger legte in seiner Replik vom 31. August 2021 zwar eine befundreferierende Bescheinigung des behandelnden Orthopäden Dr. K. an die Deutsche Rentenversicherung vom 27. Mai 2021 vor (Anl. K4). Dies ersetzte jedoch keinen Vortrag zu konkreten Heilungsgesichtspunkten. Diese waren bei 15 Einzelbefunden auch nicht aus sich selbst heraus schon erklärlich, zumal sie – umgekehrt – den Rentenversicherungsträger zunächst anscheinend ja noch nicht zu einer vorfristigen (stationären) Rehabilitation veranlasst hatten.

(bb) Der Kläger meinte weiter, dass ein Wiedereingliederungsversuch zeitnahen Erfolg zeitigen würde, sodass er wieder vollständig einsetzbar wäre. Sowohl der Arbeitsversuch vom 4.-6. November 2019, als auch der ab 2. August 2021 hatte an jedem Einsatzort akutes Schmerz- und Unerfüllbarkeitsbekunden des Klägers nach sich gezogen, sodass letzten Endes von Fortsetzungen der Wiedereingliederung abgesehen werden musste. Der letzte Arbeitsversuch fand in derselben Zeit statt, in der die Klägerreplik erging, sodass unerfindlich bleibt, was dem Kläger als erfolgversprechende Wiedereingliederung hier noch vorgeschwebt haben könnte.

(cc) Die Bescheinigung der zweimalig im August 2020 konsultierten Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, auf die sich der Kläger alsdann stützte, ergab jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt ein Dreivierteljahr später auch noch keinen konkreten Anhalt für eine völlige Wiederherstellung. Der Kläger war auch zum Zeitpunkt der Attestierung bereits über zwei Jahre aus dem vermeintlich belastenden Kollegialumfeld herausgelöst. Er hatte zudem – soweit ersichtlich – keine auf akut psychischen Umgebungsbelastungen beruhenden Arbeitsunfähigkeitszeiten aufzuweisen. Während des „normalen“ Arbeitsverhältnisvollzugs bis Mitte Juni 2018 sind Störfälle zwischen ihm und Kollegen außerdem nicht ersichtlich. Die Frage, was etwaige Neurosen tatsächlich zum Gegenstand gehabt haben könnten, war mithin gleichermaßen offen, wie die, auf welche Weise ihnen beizukommen wäre; auch war unerfindlich, dass wie und warum mit erfolgreicher psychischer Begleitung die anscheinend primär belastenden orthopädischen Probleme zu lösen sein könnten.

(dd) Soweit noch kardiologische Belastungen des Klägers krankheitsbedingend gewirkt haben könnten, wie möglicherweise anlässlich des bEM-Gesprächs vom 30. Juni 2020 klägerseits angedeutet, fehlte es erst Recht an etwaigen Anknüpfungspunkten für eine Heilung. Weder die ärztliche Behandlung noch etwaige Therapien ließen sich hierzu mit dem Klägervorbringen verbinden.

(2) Auf zweiter Stufe verbindet sich mit der Ungewissheit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit binnen 24 Monate auf Kündigungsausspruch – wie hier – eine grundsätzlich nicht weiter zu belegende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Arbeitgebende sind insofern nämlich auf unabsehbare Zeit gehindert, ihr vertragswesentliches Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung der Arbeitnehmenden abzurufen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 14).

(3) Auf dritter Stufe erweist sich eine Kündigung als durch Krankheit „bedingt“ einerseits, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder zur Verringerung künftiger Fehlzeiten nicht gibt; so wie hier.

(a) Wurde arbeitgeberseits ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX durchgeführt, können Arbeitgebende sich prozessual unter Hinweis auf die unergiebig gebliebene Suche mit dem Hinweis begnügen, es gebe keine dem reduzierten Gesundheitszustand noch entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit mehr (vgl. BAG, Urteil vom 18. November 2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 12 f.). Das hat die Beklagte vorliegend so gehalten. Dem Kläger war, seitdem es krankheitsbedingte Fehlzeiten im Ausmaß des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ab 2016/17 gegeben hatte, das betriebliches Eingliederungsmanagement unter Teilnahme der gesetzlich vorgeschriebenen Stellen und – angesichts der eingereichten Schriftsatzanlage des 6. August 2021 – auch unter Beachtung der erforderlichen Zweck- und Datenschutzhinweise angeboten. Soweit der Kläger dem entgegenhielt, über Hintergrund und Tragweite des Verfahrens im Unklaren geblieben zu sein, bleibt das mangels Einzelheiten unglaubwürdig. Weder welches Einzelgespräch bzw. welche Inhalte hiervon unklar geblieben sein könnten, noch wie sich dazu die immerhin ja aufgegriffene Befassung behandelnder Ärzte wegen den Wiedereingliederungen, die mehrfachen Konsultationen des Werksarztes und die auch im Übrigen geschehene Befolgung von Vereinbarungen verhielten, erschloss sich. Der Kläger hatte durchgehend auch den Betriebsrat dabei, die Sitzungen fanden in Präsenz statt, und es war bis zuletzt immer wieder auch ein begleitender persönlicher Kontakt vom Kläger mit dem Bereichsmeister und dem beklagtenseits für bEM-Angelegenheiten zuständigen Herrn G. gesucht worden, sei es um Unterlagen abzugeben, sei es sich in den Prozess einzubringen oder zu sonstigem. All das wäre ohne wenigstens laienhaftes Verständnis des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX unerklärlich. Der Kläger nennt außerdem auch keinen einzigen Gesichtspunkt, den er bei besserem bEM-Verständnis anders oder ergänzend noch eingebracht hätte. Die Beklagte hat umgekehrt das Verfahren transparent und konstruktiv gestaltet, auf naheliegende therapeutische Hilfen (körperliche Ertüchtigung, Physiotherapie usw.) oder unterstützende Hilfe (Fachärzte etc.) aufmerksam gemacht, Anpassungen der Arbeitsumgebung an etwaige Leiden unter Fachprofilanpassungen mit Einbindung des Werksarztes erwogen, getroffene Vereinbarungen befolgt und auch die Arbeitsversuche des Klägers begleitet. Nachdem annähernd vier Jahre seit Beginn des Prozesses aber anfangs 2021 immer noch keine Besserung absehbar blieb und der Kläger mit den versprochenen Dokumenten schon über einen Monat in Rückstand geraten war, konnte dem Verfahren zuletzt zweckgerechterweise keine Ergiebigkeitschance mehr beigemessen werden (vgl., Urteil vom 18. November 2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 23 ff.).

(b) Es ist Sache gekündigter Arbeitnehmender, deren Beschäftigungsmöglichkeit im angestammten Umfeld entfallen ist, im Einzelnen darzulegen, wie sie sich eine Fortbeschäftigung an anderer Stelle vorstellen (vgl. BAG, Urteil vom 29. August 2013 – 2 AZR 809/12 – Rn. 24). Die Klägerreplik verweist auf erfolgversprechend aufzunehmende Wiedereingliederungsversuche. Jedoch findet die Wiedereingliederungsbeschäftigung nicht im regulären Arbeitsverhältnis, sondern auf Basis eines Vertrags eigener Art statt (vgl. § 74 SGB V; BAG, Urteil vom 6. Dezember 2017 – 5 AZR 815/16 – Rn. 12). Sie war zudem auch hier bis zuletzt nicht so erfolgreich, dass der Klägererwägung nähergetreten werden könnte (zur nachgehenden Prognosebestätigung etwa BAG, Urteil vom 13. Mai 2004 – 2 AZR 36/04 – zu III der Gründe). Selbst wenn die avisierte 27 Tagesdauer wegen Kurzarbeit zum Teil unrealisierbar blieb, hatte der Kläger an allen durchlaufenen Stationen die schmerz- und krankheitsbedingte Unerfüllbarkeit bekundet, und auch im Verfahren keinen weiteren Platz angeführt, an dem sich die Lage anders hätte darstellen können. Daneben war mit Bezug auf das eher schon betagte Attest vom August 2020 eine Umsetzungsalternative in den Raum gestellt. Der Kläger war wenigstens beim Arbeitsversuch vom November 2019 mit der Umgebung ALB (Band 1) in erleichtertes Umfeld eingestellt, ohne dass sich hier gesundheitliche Stabilisierungen abzeichneten. Er hatte seines Meisters Umsetzungsangebot vom Sommer 2020 damit verworfen, dass er überhaupt schon beim Anblick bestimmter Kollegen für nichts mehr garantieren könne. Der letzte Arbeitsversuch hatte im August 2021 nicht nur mit Androhung von Prügeln für Kollegen, sondern auch lautstarker Klägeraggression gegenüber dem Meister geendet. Ohne dass der Kläger – all dies aufgreifend – erläuterte, wie ein gleichwohl stabiler Arbeitsplatz in der geschuldeten tariflichen Anforderung ausgestaltet sein könnte, sodass er ihn dauerhaft auszufüllen vermochte, ließ sich seinen Erwägungen zu milderen Alternativen als der Kündigung nicht folgen.

(4) Auf dritter Prüfungsstufe ist sodann eine Interessenabwägung vorzunehmen. Auch sie fällt zulasten des Klägers aus.

(a) In Fällen unabsehbar langer Erkrankungen fällt diese bei langem Zuwarten unter begleitendem bEM – wie hier – regelmäßig nicht mehr zulasten Arbeitgebender aus (vgl. Rachor, KR, a.a.O., § 1 KSchG Rn. 402). Es müssen schon besondere Umstände vorliegen, die gleichwohl noch die billigerweise Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. August 2010 – 9 Sa 115/10 – zu II 1 der Gründe). Allein dadurch, dass Zusammenhänge zwischen dem Krankenstand und betrieblichen Umständen existieren – die der Kläger hier unterstellt -, werden diese noch nicht erfüllt; es muss vielmehr eine besondere Schutzsituation gegeben sein, die Arbeitgebenden größere Opfer abverlangt (vgl. Rachor, KR, a.a.O., § 1 KSchG Rn. 405).

(b) Der Kläger ist unter 40 Jahre alt, nicht unterhaltspflichtig und verfügt über eine abgeschlossene handwerkliche Berufsausübung. Die aktuelle Arbeitsmarktlage dürfte nicht befürchten lassen, dass ihm anstelle der anscheinend körperlich und/oder seelisch zu belastenden Arbeit in der Industriemontage keine Berufstätigkeit mehr zeitnah offensteht. Auch der annähernd zehnjährig unbelastete Vertragsbestand verpflichtete die Beklagte nicht, das Arbeitsverhältnis sinnentleert auf unabsehbare Zeit noch aufrechtzuerhalten. Soweit der Kläger pauschal von zu belastender Arbeitsumgebung handelt, verweist die Beklagte – unangegriffen – auf die fehlende alters-, geschlechts- und/oder umgebungsbezogene Betriebstypik des zutage getretenen Krankenstands. In der orthopädischen Befundübersicht nach Anlage K5 Klägerschriftsatz 31. August 2021 ist keiner der 15 Einzelbefunde erkennbar mit Arbeits- oder Betriebsverursachung verbunden. Dem Kläger ist – wie allgemein – auch abzuverlangen, alltäglichen kollegialen Spannungen am Arbeitsplatz Stand halten zu können (vgl. BAG, Urteil vom 22. Juli 2010 – 8 AZR 1012/08 – Rn. 90 m.w.N.).

d) Der Betriebsrat war vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört, § 102 Abs. 1, 2 BetrVG. Auf die Ausgangsrüge des Klägers hat die Beklagte im Detail dargelegt, dass und wie das Verfahren zur Gremienbeteiligung stattgefunden hatte (BAG, Urteil vom 34. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 49). Mit Schreiben vom 11. März 2021 war hier über die ordentliche (krankheitsbedingte) Kündigung mit sämtlichen Sozial- und Betriebsdaten in ausführlicher Darstellung von Fehlzeiten und vielfältigen – bis zuletzt aber unergiebigen – Versuchen zur Wiederintegration über alles kündigungswesentliche unterrichtet (vgl. Koch, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrechts, 6. Aufl. 2021, § 102 BetrVG Rn. 119 f.). Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 18. März 2021 auch abschließend Stellung genommen, ehe die Kündigung dann am Folgetag erging.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollinhaltlich an und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 abs. 2 ArbGG fest.

Auch das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des insoweit maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es beschränkt sich auf die teilweise Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens und enthält keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht vielmehr lediglich, wenn auch aus der Sicht des Klägers heraus verständlich, deutlich, dass der Kläger mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug durch das Arbeitsgericht, der die Kammer vollinhaltlich folgt, nicht einverstanden ist.

So enthält das Berufungsvorbringen (Bl. 189 – 191 d.A., 217, 218 d.A.) keinerlei Ausführungen zur Ordnungsgemäßheit der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG (s. Bl. 157 d.A.), so dass weitere Ausführungen insoweit nicht veranlasst sind. Des Weiteren beruht das Vorbringen des Klägers auf der aus Rechtsgründen unzutreffenden Annahme, ein fehlerhaftes BEM führe zur Rechtsunwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung. Substantiiertes Vorbringen des Klägers zu seiner Behauptung, der Werksarzt der Beklagten habe eine Umbesetzung in eine andere Gruppe empfohlen (Bl. 190 d.A.) fehlt vollständig; vor diesem Hintergrund ist insoweit nicht einmal ein substantiiertes Bestreiten durch die Beklagte möglich. Insgesamt bleibt auch im Berufungsverfahren offen, welche gesundheitlichen Einschränkungen beim Kläger tatsächlich vorliegen einerseits und wie sich diese andererseits auf die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit bzw. auf ein von der Beklagten zu erstellendes Anforderungsprofil auswirken, dem der Kläger genügen könnte. Nur danach lässt sich feststellen, ob anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen wären. Orthopädische Beschwerden beziehen sich auf Bewegungsabläufe im Rahmen der jeweiligen Arbeitsvorgänge, die unsubstantiiert behaupteten psychischen Beschwerden eher auf das Arbeitsumfeld. Psychische Beschwerden infolge Zukunftsangst beziehen sich nicht auf ein spezifisches betriebliches Umfeld. Psychische Beschwerden aufgrund des Verhaltens konkreter Arbeitskollegen dagegen schon, so dass dem möglicherweise durch eine Beschäftigung in einem anderen Betrieb Rechnung getragen werden könnte. Da das Vorbringen des Klägers insoweit allerdings mangels Vorlage etwaiger Befunde und mangels nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiertem Tatsachenvortrag trotz langwierige Bemühungen im Rahmen eines BEM-Verfahrens nicht erkennen lassen, wie denn eine den gesundheitlichen Einschränkungen (welchen?) des Klägers genügende Arbeitstätigkeit inhaltlich (Arbeitsabläufe, Arbeitsort, Arbeitsumfeld) beschaffen sein müsste, erschließt sich nicht, wie vor diesem Hintergrund weiteres substantiiertes tatsächliches Vorbringen der Beklagten zu vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten hätte möglich sein können. Soweit der Kläger – nicht näher substantiiert – behauptet, er habe aufgrund psychischer Probleme den Zweck der BEM-Gespräche nicht verstanden und diesen nicht folgen können, vermag die Kammer dies mangels näheren Vorbringens und insbesondere im Hinblick auf den tatsächlichen Geschehensablauf (Wiedereingliederungsversuche) nicht nachvollziehen. Gleiches gilt für die Behauptung, er habe den BEM-Gesprächen nicht folgenden können. Vielmehr wurde bereits durch das Einladungsschreiben dem Kläger verdeutlicht, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung ging und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden sollte, in das auch er, der Kläger, Vorschläge einbringen konnte. Zudem hat der Kläger nicht bestritten, stets in Begleitung eines Betriebsratsmitglieds an diesen Gesprächen teilgenommen zu haben, so dass ohne nähere Erläuterung nicht nachvollziehbar ist, dass ihm der Zweck eines solchen Gesprächs nicht erkennbar gewesen sein sollte. Insgesamt hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass Arbeitsversuche in anderen Bereichen nach Erstellung eines Fähigkeitsprofils durchgeführt werden, was durch den Werksarzt geschieht, nachdem der Mitarbeiter aktuelle Befunde seiner behandelnden Ärzte vorgelegt hat. Wie der Werksarzt dazu hätte in der Lage sein sollen, wenn, wie vorliegend, der Kläger mehrfach Aufforderungen zur Vorlage entsprechender Befunde ohne Angabe von Gründen nicht nachgekommen ist, erschließt sich nicht.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Berufung des Klägers als vollumfänglich unbegründet.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

 

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