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Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen bei langjährigem Arbeitsverhältnis

Kündigung bei Kurzerkrankungen: Berücksichtigung langjähriger Arbeitsverhältnisse

Das vorliegende Urteil beleuchtet die Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses aufgrund häufiger Kurzerkrankungen. Hierbei wird deutlich, dass trotz einer negativen Gesundheitsprognose bezüglich diverser Erkrankungen, das Interesse des Klägers am Erhalt des Arbeitsplatzes im Vordergrund steht und über das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 Ca 328/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Kündigung wegen Kurzerkrankungen: Ein langjähriges Arbeitsverhältnis wurde aufgrund häufiger Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers gekündigt.
  • Negative Gesundheitsprognose: Aufgrund wiederkehrender Kurzerkrankungen in der Vergangenheit besteht eine negative Gesundheitsprognose für den Arbeitnehmer.
  • Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Die Fehlzeiten des Arbeitnehmers führen zu erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Abläufe und wirtschaftlichen Belastungen für den Arbeitgeber.
  • Sozial ungerechtfertigte Kündigung: Trotz negativer Gesundheitsprognose ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, da das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes überwiegt.
  • Interessenabwägung: Die Interessenabwägung berücksichtigt die lange Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, seine Unterhaltspflichten, Alter, fehlende Qualifikationen und körperliche Einschränkungen.
  • Rentennahe Jahrgänge: Der Arbeitnehmer gehört zu den rentennahen Jahrgängen, was in die Interessenabwägung einfließt.
  • Erhebliche finanzielle Belastung für Arbeitgeber: Trotz der erheblichen finanziellen Belastung für den Arbeitgeber durch Entgeltfortzahlungen überwiegen die Interessen des Arbeitnehmers.

Personenbedingte Kündigung und Prognoseprinzip

Kündigung bei Kurzerkrankungen
Kündigungsschutz bei Kurzerkrankungen: Langjährige Arbeitsverhältnisse und negative Gesundheitsprognosen im Fokus. (Symbolfoto: Antonio Guillem /Shutterstock.com)

Eine personenbedingte Kündigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglichen Pflichten aufgrund persönlicher Fähigkeiten oder Eigenschaften zu erfüllen. Das Prognoseprinzip spielt hierbei eine zentrale Rolle, wobei nicht die aktuelle, sondern die zukünftige Erfüllung der Pflichten im Fokus steht. Krankheitsbedingte Kündigungen, insbesondere aufgrund häufiger Kurzerkrankungen, langandauernder Krankheiten oder dauerhafter Leistungsunfähigkeit, sind in diesem Kontext relevant.

Negative Gesundheitsprognose: Ein Detaillierter Blick

Im vorliegenden Fall wird eine negative Gesundheitsprognose insbesondere für Erkrankungen des Bewegungsapparats und des Augenlids festgestellt. Mehrere Kurzerkrankungen in den Jahren vor der Kündigung weisen indiziell auf eine negative Zukunftsprognose hin. Die Fehlzeiten des Klägers, der seit über 30 Jahren im Unternehmen tätig ist, wurden über einen Vierjahreszeitraum betrachtet. Hierbei zeigt sich, dass der Kläger vor allem an Krankheiten des Bewegungsapparats leidet, die auf degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule zurückzuführen sind. Die vom Kläger angeführten Therapiemaßnahmen können die negative Gesundheitsprognose nicht entkräften.

Interessenabwägung: Arbeitnehmer vs. Arbeitgeber

Die Interessenabwägung spielt eine entscheidende Rolle im Kontext der krankheitsbedingten Kündigung. Im vorliegenden Fall muss der Arbeitgeber mit erheblichen Entgeltfortzahlungskosten rechnen, was für ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern eine signifikante finanzielle Belastung darstellt. Dennoch überwiegen die Interessen des Klägers, der eine erhebliche Betriebszugehörigkeit und typische Verschleißerscheinungen älterer, körperlich tätiger Arbeitnehmer aufweist. Diese Verschleißerscheinungen sind auch eine Folge der langjährigen Tätigkeit des Klägers.

Schlussbetrachtung: Bestandsinteresse überwiegt

Unter Berücksichtigung aller Umstände überwiegt das Bestandsinteresse des Klägers das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Kündigung bei Kurzerkrankungen ist somit sozial ungerechtfertigt, und das langjährige Arbeitsverhältnis des Klägers darf nicht aufgrund der prognostizierten Fehlzeiten und der damit verbundenen betrieblichen Beeinträchtigungen beendet werden.

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✔ Kündigung bei Kurzerkrankungen – kurz erklärt


Kündigungen aufgrund häufiger Kurzerkrankungen sind zulässig, wenn diese zu einer negativen Gesundheitsprognose führen. Eine negative Gesundheitsprognose liegt vor, wenn aufgrund der bisherigen Fehlzeiten zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht oder nur eingeschränkt erfüllen kann. Arbeitnehmer können eine negative Gesundheitsprognose jedoch widerlegen, indem sie durch ärztliche Gutachten nachweisen, dass ihre Krankheiten ausgeheilt sind und keine zukünftigen Auswirkungen haben.

Eine Kündigung wegen Kurzerkrankungen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Fehlzeiten betriebliche Abläufe erheblich beeinträchtigen. Dies ist oft der Fall, wenn die Kurzerkrankungen über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig auftreten.

Es ist wichtig zu beachten, dass eine Kündigung nicht automatisch zulässig ist, sobald ein Arbeitnehmer eine bestimmte Anzahl von Fehltagen erreicht hat. Vielmehr muss der Arbeitgeber in jedem Einzelfall prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen vorliegen.

Arbeitnehmer, die weniger als sechs Wochen (oder 30 Arbeitstage) pro Jahr krank sind, sind in der Regel vor einer krankheitsbedingten Kündigung geschützt. Dieser Zeitraum entspricht der gesetzlich garantierten Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.


Das vorliegende Urteil

ArbG Heilbronn – Az.: 8 Ca 328/22 – Urteil vom 21.03.2023

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 22.12.2022 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR 8.700,00.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten.

Der am …. 1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 2. Mai 1989 als Gießereihilfskraft beschäftigt. Der aktuelle Bruttomonatsverdienst des Klägers beträgt 2.900,00 EUR. Der Kläger ist verheiratet, weitere Unterhaltsverpflichtungen bestehen nicht.

Die Beklagte ist ein Spezialist für Aluminiumsandguss … .

Die Beklagte beschäftigt rund 100 Arbeitnehmer, ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht eingerichtet. Ein Tarifvertrag ist auf das Arbeitsverhältnis nicht anzuwenden.

Nachdem es in den Jahren 2017 und 2018 zu jeweils 37 entgeltfortzahlungspflichtigen Krankheitstagen des Klägers kam, fehlte der Kläger in den Kalenderjahren 2019 bis 2022 krankheitsbedingt wie folgt:

…………….

Mitte 2019 reagierte die Beklagte auf die zunehmenden Fehlzeiten des Klägers und versetzte den Kläger auf einen Arbeitsplatz mit geringerer körperlicher Belastung in der Kernmacherei. Im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements fanden mehrere Gespräche statt, nämlich am 29. Oktober 2019 und am 13. April 2022. Die Parteien einigten sich darauf, dass sich der Kläger vom Betriebsärztlichen Dienst auf seine betriebsbezogene Arbeitsfähigkeit untersuchen lassen würde. Der Betriebsärztliche Dienst hat mit Schreiben vom 18. November 2022 (Anl. B2) mitgeteilt, dass seinerseits eine Stellungnahme nicht möglich sei, da der Kläger die notwendigen ärztlichen Unterlagen seiner Behandler dem betriebsärztlichen Dienst nicht zur Verfügung gestellt habe.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 ordentlich zum 31. Juli 2023 gekündigt.

Mit seiner bei Gericht am 29. Dezember 2022 eingegangenen Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend.

Der Kläger beantragt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22.12.2022, zugegangen am 24.12.2022, nicht zum 31.07.2023, noch zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufgelöst werden wird.

Die Beklagte beantragt: Klagabweisung.

Die Beklagte trägt vor, dass von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen sei. Die Kündigung sei nach den Grundsätzen der personenbedingten Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen gerechtfertigt. Der Kläger weise in der Tendenz zunehmende Fehlzeiten auf, wodurch es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen komme. Zum einen seien die wirtschaftlichen Belastungen relevant, da die Beklagte allein in den letzten vier Kalenderjahren 32.918,81 EUR brutto an Entgeltfortzahlung habe aufwenden müssen. Zudem müsse an den Fehltagen des Klägers an der Kernschießmaschine ein Ersatz gesucht werden. Am ersten Fehltag des Klägers sei die Maschine auf jeden Fall unbesetzt, während sie idealerweise zu 100 % ausgelastet sein könnte. Im weiteren Produktionsprozess komme es dadurch zu Verzögerungen.

Der Kläger behauptet, die Erkrankungen in der Vergangenheit seien durch die Einnahme von Medikamenten, aufgrund physiotherapeutischer Maßnahmen und weiterer therapeutischer Maßnahmen im Wesentlichen ausgeheilt. Im Juni 2019 habe ein operativer Eingriff zur Behebung eines Meniskusschadens geführt und im Sommer 2022 eine Operation im Bereich der Nasenscheidewand zur Beseitigung der chronischen Sinusitis.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger greift mit dem punktuellen Bestandsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG eine genau bezeichnete Kündigung an. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage folgt aus den Wirkungen von § 7 KSchG.

II.

Die Klage ist auch begründet, da die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist. Zwar besteht hinsichtlich einer Reihe von Erkrankungen eine negative Zukunftsprognose, jedoch ergibt die Interessenabwägung, dass das Interesse des Klägers am Erhalt des Arbeitsplatzes gegenüber dem Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt.

1. Eine personenbedingte Kündigung hat zur Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften nicht mehr in der Lage ist, künftig seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Gerade bei der Fallgruppe der personenbedingten Kündigung kommt dem Prognoseprinzip eine besondere Bedeutung zu. Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt der Kündigung nicht in der Lage war, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, sondern es müssen objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer zukünftig seine Pflichten nicht mehr oder nicht mehr im ausreichenden Maß erfüllen kann.

Der Hauptfall der personenbedingten Kündigung ist der Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers. Die Krankheit bzw. die durch Krankheit bedingte eingeschränkte oder dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers kann eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.

Die Rechtsprechung hat folgende Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung herausgebildet: die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen, wegen langandauernder Krankheit und die Kündigung wegen dauerhafter Leistungsunfähigkeit.

Eine Kündigung wegen Krankheit ist immer nur dann sozial gerechtfertigt, wenn dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden kann, die von der Krankheit ausgehenden Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen länger hinzunehmen. Solche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen stellen z. B. erhebliche Entgeltfortzahlungskosten dar, aber auch Störungen im Arbeitsablauf.

2. Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen (zweite Stufe). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe), BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18.

3. Vorliegend ist eine negative Gesundheitsprognose im Hinblick auf die Krankheiten des Bewegungsapparats, insbesondere der Wirbelsäule, sowie des Augenlids gegeben.

a) Treten während der dem Kündigungszeitpunkt vorausgehenden Jahre jährlich mehrere Kurzerkrankungen auf, spricht dies indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13). Der Arbeitgeber darf sich deshalb zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seinen Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Danach ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war bzw. dass es sich um ausgeheilte Erkrankungen handelt. Der Arbeitnehmer genügt seiner prozessualen Mitwirkungspflicht dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt und wenn er sie von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose, beispielsweise durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu führen (BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05; BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13).

b) Unter Berücksichtigung der Fehlzeiten in der Vergangenheit besteht im vorliegenden Fall die Prognose, dass den Kläger zukünftig fast ebenso häufig erkrankt sein wird, wie dies in der Vergangenheit der Fall war.

aa) Hinsichtlich der Fehlzeiten konnte vorliegend auf die letzten vier Jahre vor Ausspruch der Kündigung zurückgegriffen werden, was einen repräsentativen Zeitraum darstellt. Angesichts der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis bereits seit über 30 Jahren besteht und der Kläger wenigstens seit sechs Jahren nennenswerte Fehlzeiten aufweist, ist die Kammer hinsichtlich des prognostisch relevanten Zeitraums bewusst über den vom Bundesarbeitsgericht bevorzugten Dreijahreszeitraum (zB BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13) hinausgegangen, um die Relevanz einzelner Schwankungen zu vermindern.

bb) Betrachtet man die letzten vier zwölf Monatszeiträume vor Ausspruch der Kündigung, so zeigt sich, dass der Kläger vor allem an Krankheiten des Bewegungsapparats leidet. Hierzu zählen die Radikulopathien im Lumbal- sowie Thorakalbereich, die nicht näher bezeichneten Krankheiten der Wirbelsäule/des Rückens, die Spinalkanalstenose im Bereich der Halswirbelsäule, der Kreuzschmerz, der Gelenkschmerz im Bereich des Unterschenkels sowie die Kniearthrose und die Zervikalneuralgie. Bei diesen Erkrankungen handelt es sich um Folgen pathologischer, degenerativer Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule. Angesichts des immer wiederkehrenden Auftretens derartiger Erkrankungen beim Kläger ist in Zukunft von einer diesbezüglich negativen gesundheitlichen Zukunftsprognose auszugehen. Soweit der Kläger vorträgt, die erfolgten Behandlungen mit Schmerzmitteln, Massagen und Physiotherapie hätten zur Ausheilung des jeweiligen Krankheitsbildes geführt, kann dies die beklagtenseits dargelegte Negativprognose nicht entkräften. Vielmehr stellen diese Therapiemaßnahmen möglicherweise zu einer kurzfristigen gesundheitlichen Besserung beitragende Behandlungen der jeweiligen Symptome dar. Sie sind jedoch nicht geeignet, die für die Schmerzen ursächlichen degenerativen Veränderungen auf Dauer zu beheben. Vielmehr ist auch in Zukunft damit zu rechnen, dass der Kläger immer wieder an Schmerzen der Wirbelsäule und der Knie sowie anderer Gelenke leiden wird. Bei der Spinalkanalstenose liegt eine Verengung des Nervenkanals der Wirbelsäule vor, welche beim Kläger offenbar im Bereich der Halswirbelsäule regelmäßig zu Beschwerden führt. Hiermit dürfte auch zukünftig zu rechnen sein, da der Kläger selber nicht vorträgt, die Spinalkanalstenose sei beispielsweise durch eine Operation behoben worden. Hinsichtlich des Knies hat der Kläger zwar behauptet, infolge der Meniskusoperation 2019 seien die Beschwerden ausgeheilt. Allerdings zeigt die Diagnoseausstellung, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Gonarthrose, also eine degenerative Veränderung im Bereich des Kniegelenks vorgelegen hat, welche durch eine Meniskusoperation nicht behoben wird. So weist die Diagnoseaufstellung auch später noch die Diagnose Gonarthrose aus, zB im November 2021. Auch die Erkrankung des Hordeolums (Gerstenkorns) sieht die Kammer als prognostisch relevant an, da der Kläger offenbar eine Anfälligkeit im Hinblick auf diese Erkrankung besitzt. Bereits 2019 fehlte er wegen eines Gerstenkorns am rechten Augenlid acht Tage und sodann im Jahr 2021 mehrfach an einzelnen Tagen aufgrund eines Gerstenkorns am linken Augenlid. Hinsichtlich des Krankheitszeitraums Ende Februar/Anfang März 2022 liegt kein Vortrag des Klägers vor, welcher geeignet wäre, die anhand der Art der Erkrankung zu stellende negative Prognose zu erschüttern. Hier erfolgte eine Krankschreibung jedenfalls auch aufgrund Diabetes mellitus sowie Bluthochdruck. Beides sind Erkrankungen, die typischerweise fortbestehen.

Nicht berücksichtigt hat die Kammer hinsichtlich der Gesundheitsprognose die Krankheitsbilder Leistenbruch, Konjunktivitis, chronische Sinusitis sowie die Krankheit der Zähne und des Zahnhalteapparats. Diese Erkrankungen sind zum Teil nur einmalig aufgetreten bzw. nach dem Vortrag des Klägers im Hinblick auf die chronische Sinusitis durch operative Maßnahmen aller Voraussicht nach ausgeheilt. Mit einem Auftreten von Fehltagen aufgrund dieser Erkrankungen ist daher in Zukunft prognostisch nicht zu rechnen.

4. Die aufgrund der Fehlzeiten in der Vergangenheit zu stellende negative Gesundheitsprognose wird zukünftig prognostisch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten führen (zweite Stufe). Zusammengefasst liegen in den letzten vier Jahren insgesamt 167 prognostisch relevante Fehltage vor, was einen Durchschnitt von 42 Entgeltfortzahlungstagen pro Kalenderjahr ergibt. Hiermit ist auch zukünftig zu rechnen.

Grundsätzlich sind erhebliche Entgeltfortzahlungskosten geeignet, einen Kündigungsgrund darzustellen, wenn sie für jeweils mehr als sechs Wochen im Kalenderjahr aufzuwenden sind (BAG 45 April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 36). Im vorliegenden Fall wird die Beklagte prognostisch Entgeltfortzahlung für mehr als acht Wochen im Jahr für den Kläger leisten müssen.

5. Die Kündigung scheitert nach Auffassung der Kammer jedoch auf der dritten Prüfungsstufe, da die anzustellende Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausfällt.

a) Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist (LAG Berlin Brandenburg 8. Dezember 2011 – 26 Sa 1437/10). Je länger ein Arbeitsverhältnis ohne krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit verlaufen ist, desto mehr sind künftige Fehlzeiten hinzunehmen (BAG 15. Februar 1984 – 2 AZR 573/82). Ferner sind das Alter, der Familienstand und gegebenenfalls eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05). Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt sind zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG 22. August 1980 – 2 AZR 295/78).

b) Der Kläger ist verheiratet und somit seiner Ehefrau jedenfalls potentiell unterhaltsverpflichtet. Unterhaltspflichten sind gerade bei einer krankheitsbedingten Kündigung, die der Arbeitgeber allein auf bisher aufgelaufene und in Zukunft zu erwartende Entgeltfortzahlungskosten stützt, zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99). Vorliegend hat die Kammer jedoch entscheidend berücksichtigt, dass der Kläger eine enorme Betriebszugehörigkeit aufweist. Er war zum Zeitpunkt der Kündigung mehr als 33 Jahre im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Zudem stellen die beim Kläger vorrangig bestehenden Krankheitsbilder ganz überwiegend Verschleißerscheinungen dar, die typischerweise bei älteren Arbeitnehmern auftreten, welche körperlich anspruchsvolle Arbeiten ausüben. Die Verschleißerscheinungen sind damit auch Folge der jahrzehntelangen Arbeit. Die Vermittlungschancen des Klägers auf dem Arbeitsmarkt dürften aufgrund des Lebensalters von mittlerweile 60 Jahren und der Tatsache, dass er keine fachliche Qualifizierung aufweist, als sehr gering einzuschätzen sein. Eine weitere Verschlechterung der Chancen ergibt sich auch daraus, dass der Kläger körperliche Einschränkungen aufweist, weshalb er nicht für jede gewerbliche Arbeit in Betracht kommen dürfte. Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass der Kläger zu den rentennahen Jahrgängen zählt. Zwar hat die Kammer auch berücksichtigt, dass der Kläger keinesfalls verpflichtet ist, vorgezogene Altersrente mit 63 Jahren in Anspruch zu nehmen. Gleichwohl stellt sich diese Möglichkeit als naheliegend dar, was in die Interessenabwägung einzubeziehen ist. Zugunsten der Beklagten war zu sehen, dass sie zukünftig weiterhin mit deutlich mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Jahr rechnen muss, was für einen Betrieb mit 100 Mitarbeitern eine erhebliche Belastung finanzieller Art darstellt. Gleichwohl überwiegen aus Sicht der Kammer die zugunsten des Klägers zu berücksichtigenden Gesichtspunkte.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände überwiegt dessen Bestandsinteresse das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Als unterliegende Partei hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Streitwertfestsetzung gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG ergibt sich aus §§ 3 ff. ZPO.

Die Kammer hat das Interesse des Klägers mit dem Vierteljahresverdienst bewertet.

Ein Grund zur Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG ist nicht gegeben. Die Berufung ist gleichwohl für die Beklagte statthaft gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG.

 

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