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Kündigungsschutz für Lkw-Fahrer: Drogentest nicht automatisch Kündigungsgrund

Außerordentliche Kündigung wegen Drogenkonsums: Arbeitsgericht Weiden entscheidet zugunsten des Arbeitnehmers

Das Arbeitsrecht bildet den Rahmen für das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Kern dieses Rechtsgebiets ist der Schutz der Parteien vor ungerechtfertigten Handlungen, wie beispielsweise einer Kündigung ohne triftigen Grund. Hierbei spielt die Abwägung der Interessen beider Seiten eine entscheidende Rolle. Die Rechtsprechung sieht vor, dass eine Kündigung nur dann rechtmäßig ist, wenn sie auf einem wichtigen Grund basiert und das Verhalten des Arbeitnehmers keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zulässt.

In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die Fragen, wann eine Verhaltensänderung nach einer Abmahnung erwartet werden kann und unter welchen Umständen ein Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Diese Grundsätze finden insbesondere Anwendung, wenn es um Vertragspflichtverletzungen geht, die außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, wie etwa ein Drogentest, der zu einem Fahrverbot führt. Hierbei müssen die Umstände des Einzelfalls sorgfältig geprüft und beurteilt werden, um eine gerechte Entscheidung zu treffen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Ca 699/14 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Arbeitsgericht Weiden hat entschieden, dass die fristlose Kündigung eines Berufskraftfahrers wegen eines einmaligen Drogenkonsums in der Freizeit und darauffolgenden Verlusts des Führerscheins nicht rechtmäßig ist. Die Kündigung wurde jedoch in eine ordentliche Kündigung umgedeutet, wodurch das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2014 endete.

Zentrale Punkte des Urteils:

  1. Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung: Die außerordentliche Kündigung wurde nicht als rechtlich haltbar angesehen, da kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorlag.
  2. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 30.11.2014: Trotz der ursprünglich ausgesprochenen fristlosen Kündigung blieb das Arbeitsverhältnis bis zum genannten Datum bestehen.
  3. Fehlende Abmahnung: Das Gericht sah eine Abmahnung als notwendigen Schritt vor einer außerordentlichen Kündigung, die im vorliegenden Fall fehlte.
  4. Einstellung des Ermittlungsverfahrens: Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vergehens nach § 29 BtMG wurde eingestellt, was ihm zugutekam.
  5. Drogenkonsum außerhalb der Arbeitszeit: Der Drogenkonsum fand an einem Wochenende statt und war nicht direkt mit der Arbeitsleistung verknüpft.
  6. Kein Verstoß gegen das Fahrverbot: Der Kläger verletzte kein Fahrverbot, da die Polizei lediglich auf die Rechtsfolgen eines möglichen Verstoßes hinwies.
  7. Verhaltensänderung möglich: Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sein Verhalten auch nach einer Abmahnung nicht ändern würde.
  8. Kosten des Rechtsstreits: Die Kosten wurden gegeneinander aufgehoben, da beide Parteien teilweise obsiegten bzw. unterlagen.

Eskalation eines privaten Vorfalls zum arbeitsrechtlichen Problem

Im Zentrum des rechtlichen Disputs stand ein Lkw-Fahrer, angestellt bei einem Transportunternehmen, dessen Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung seitens des Arbeitgebers beendet werden sollte. Der Vorfall, der zu dieser arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung führte, ereignete sich am 14. Oktober 2014, als der Kläger in seiner Freizeit bei einer privaten Autofahrt von der Polizei angehalten und einem Drogentest unterzogen wurde. Dieser private Vorfall eskalierte zu einem arbeitsrechtlichen Problem, als der Kläger seinen Arbeitgeber über den Verlust seines Führerscheins und das darauf folgende, von der Polizei verhängte Fahrverbot informierte. In der Folge erklärte er sich dennoch bereit, die ihm zugewiesene Frühschicht zu fahren, was zusätzliche Fragen hinsichtlich der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten aufwarf.

Rechtliche Herausforderung und Entscheidung des Arbeitsgerichts

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall ergab sich aus der Frage, ob eine einmalige, privat begangene Pflichtverletzung – der mutmaßliche Drogenkonsum und das Fahren unter Drogeneinfluss – eine fristlose Kündigung eines Berufskraftfahrers rechtfertigen kann. Die Beklagte, der Arbeitgeber, argumentierte, dass der Drogenkonsum und das anschließende Fahren ohne Führerschein die Sicherheit im Straßenverkehr und die Zuverlässigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer in Frage stellen würden. Dieser Meinung stand jedoch entgegen, dass das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren bezüglich des Vergehens nach § 29 BtMG eingestellt wurde und somit keine hinreichenden Beweise für eine fortlaufende Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit oder eine Gefährdung Dritter vorlagen.

Das Arbeitsgericht Weiden entschied, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, weil kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Das Gericht betonte, dass eine außerordentliche Kündigung eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfordert und dass die Interessen beider Vertragsparteien zu berücksichtigen sind. Im konkreten Fall war das Gericht der Auffassung, dass der Kläger hätte abgemahnt werden müssen, bevor eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird. Die Kündigung wurde somit in eine ordentliche Kündigung umgedeutet und das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. November 2014 beendet.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Möglichkeit der Verhaltensänderung

Die Entscheidung des Gerichts beruht auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Möglichkeit einer Verhaltensänderung nach einer Abmahnung. Die vorangegangenen Abmahnungen wurden vom Gericht nicht als solche anerkannt, da ihnen die erforderliche Warnfunktion fehlte. Dies deutet darauf hin, dass das Gericht eine faire Chance für den Arbeitnehmer sieht, sein Verhalten zu ändern, bevor eine endgültige Kündigung gerechtfertigt ist.

Auswirkungen des Urteils und Fazit

Die Auswirkungen dieses Urteils sind vielschichtig. Sie betreffen nicht nur die unmittelbar beteiligten Parteien, sondern setzen auch einen Präzedenzfall für ähnliche Fälle, in denen die private Lebensführung eines Arbeitnehmers zu berufsrechtlichen Konsequenzen führt. Es zeigt die Notwendigkeit für Arbeitgeber, die Voraussetzungen und Formen einer Kündigung sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls zunächst eine Abmahnung auszusprechen.

Das Fazit des Urteils unterstreicht die Bedeutung der Abwägung aller relevanten Umstände und der Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Es macht deutlich, dass die Gerichte eine strenge Prüfung anstellen, wenn es um die Beendigung von Arbeitsverhältnissen geht, insbesondere in Fällen, in denen private Handlungen berufliche Konsequenzen haben.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wann ist eine fristlose Kündigung unwirksam?

Eine fristlose Kündigung in Deutschland kann aus verschiedenen Gründen unwirksam sein. Hier sind einige der wichtigsten Punkte, die dazu führen können, dass eine fristlose Kündigung ihre Wirksamkeit verliert:

  • Kein erheblicher Pflichtverstoß / wichtiger Kündigungsgrund: Wenn der Gekündigte nicht in starkem Maße gegen seine Pflichten verstoßen hat, die im Arbeitsvertrag festgehalten wurden, oder kein dringender Verdacht auf solch eine Pflichtverletzung besteht, kann eine fristlose Kündigung nicht wirksam werden.
  • Milderes Mittel ist noch eine mögliche Option: Wenn noch andere Wege als die fristlose Kündigung möglich sind, wie eine ordentliche Kündigung, eine Änderungskündigung, eine Versetzung oder eine Abmahnung, kann die fristlose Kündigung ungerechtfertigt sein.
  • Der begangene Pflichtverstoß ist nicht rechtswidrig: Wenn es Umstände gibt, welche die betreffende Handlung rechtfertigen würden, gilt das Fehlverhalten zumeist nicht mehr als rechtswidrig und würde damit auch keine fristlose Kündigung begründen.
  • Keine Abwägung der beiderseitigen Interessen: Wenn der Kündigende vor dem Einreichen einer fristlosen Kündigung nicht ausreichend überlegt hat, ob er wirklich ausschließlich eine Kündigung ohne Frist in Betracht zieht oder ob nicht vielleicht doch eine ordentliche Kündigung zur Debatte steht, kann die fristlose Kündigung unwirksam sein.
  • Die zweiwöchige Frist wurde nicht eingehalten: Ab Bekanntwerden des fristlosen Kündigungsgrundes hat der Kündigende vierzehn Tage Zeit, die fristlose Kündigung einzureichen. Wird dieser Zeitraum überschritten, kann der Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht mehr genutzt werden.

Wenn Sie der Meinung sind, dass die fristlose Kündigung ungerechtfertigt war, können Sie eine Kündigungsschutzklage anstreben. Sie haben normalerweise drei Wochen Zeit, um dieser Kündigung zu widersprechen.


Das vorliegende Urteil

ArbG Weiden – Az.: 4 Ca 699/14 – Endurteil vom 04.02.2015

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis 30.11.2014 fortbestanden hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Streitwert wird auf 4.800 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten u. a. um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 1984 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 05.11.2013 als Lkw-Fahrer mit einer Bruttomonatsvergütung von 1600 € beschäftigt.

Am 14.10.2014 wurde der Kläger bei einer Privatfahrt mit seinem Pkw von der Polizei angehalten und einem Drogentest unterzogen. Er rief am Abend desselben Tages den Inhaber der Beklagten an und sagte, dass er die morgige Frühschicht nicht fahren könne, weil er seinen Führerschein nicht finde. Er sei von der Polizei angehalten worden und dürfe jetzt nicht mehr fahren, weil er seinen Führerschein verloren hätte. Der Inhaber der Beklagten wies den Kläger daraufhin, dass er einen Ersatzfahrer für die Tour des Klägers nicht finden könne und eine rechtzeitige Auslieferung sehr wichtig sei. Der Kläger erklärt sich schließlich dazu bereit, die Fahrt durchzuführen.

Am 27.10.2014 sprach der Inhaber der Beklagten den Kläger noch einmal auf das Telefonat vom 14.10.2014 an und fragte, weshalb ihm die Polizei untersagt habe, einen Lkw zu führen. Der Inhaber der Beklagten hielt dem Kläger vor, dass es nicht sein könne, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht finden könne. Der Kläger gestand, dass er von der Polizei angehalten worden sei und ein Drogentest vorgenommen worden sei. Der weitere Verlauf des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Bl. 30 d. A.).

Mit Schreiben vom 28.10.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage wurde der Beklagten am 13.11.2014 zustellt.

Der Kläger ist der Ansicht, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Er wisse nicht, ob illegale Substanzen in seinem Blut nachzuweisen seien. Das Ermittlungsverfahren sei immerhin eingestellt worden. Im Übrigen habe sich der gesamte Vorfall im Privatbereich zugetragen.

Der Kläger beantragt daher festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht aufgelöst worden ist,

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger habe eingeräumt, dass er von der Polizei angehalten und ein Drogentest durchgeführt worden sei. Bei dem Drogentest könne auch etwas herauskommen, da er am Samstag, den 11.10.2014, Drogen konsumiert habe. Der Inhaber der Beklagten habe den Kläger darauf hingewiesen, dass sich alle Fahrer einmal im Jahr einer Gesundheitsuntersuchung bei der Berufsgenossenschaft unterziehen müssten. Der Kläger habe gebeten, diese Untersuchung nicht absolvieren zu müssen, weil er Drogen eingenommen habe. Eigene Recherchen der Beklagten hätten ergeben, dass dem Kläger nach der Kontrolle durch die Polizei ein 48-stündiges Fahrverbot auferlegt worden ist. Auch davon habe der Kläger bei seinem Anruf am 14.10.2014 nichts erwähnt.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei wegen seines Drogenkonsums als Berufskraftfahrer ungeeignet und eine Gefahr für die Allgemeinheit. Eine anderweitige Verwendung habe sie für den Kläger nicht. Zudem sei der Kläger bereits dreimal abgemahnt worden (Bl. 21 ff d. A.).

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vom 21.03.2013 sowie 11.07.2013 Bezug genommen.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die Klage hat zum Teil Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet. Die Kündigung wirkt jedoch als ordentliche Kündigung und beendet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.11.2014.

I.

Die Klage ist zulässig.

1. Das Arbeitsgericht Weiden ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen.

Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG.

2. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem im Bereich des angerufenen Arbeitsgerichts gelegenen Sitz der Beklagten (§§ 12, 13 ZPO).

3. Das nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich für den Klageantrag schon daraus, dass die Kündigung als rechtswirksam gelten würde, wenn der Kläger auf einen entsprechenden Kündigungsschutzantrag verzichten würde (§§ 4, 7, 13 KSchG).

Im Übrigen bestehen an der Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.

II.

In der Sache ist der Klage nur zum Teil Erfolg beschieden. Die außerordentliche Kündigung vom 28.10.2014 erweist sich als rechtsunwirksam. Sie ist jedoch in eine ordentliche Kündigung umzudeuten und beendet das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2014.

1) Der Kündigung liegt kein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zugrunde.

a) Die Kammer hatte das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu prüfen, da der Kläger rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG (i. V. m. § 13 KSchG) Klage gegen die streitgegenständliche Kündigung erhoben hat. Unter Berücksichtigung des Zugangs der Kündigung am 28.10.2014 erfolgte die Klageerhebung durch Zustellung am 13.11.2014 ohne weiteres fristgerecht.

b) Die von der Beklagten vorgetragenen Verfehlungen des Klägers rechtfertigen die fristlose Kündigung nicht und stellen keinen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB dar.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (st. Rspr.; vgl. BAG v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer der Überzeugung, dass eine Privatfahrt unter Drogeneinfluss zwar ein wichtiger Grund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers sein kann. Unter Abwägung der Besonderheiten des hiesigen Falls war die Beklagte dennoch gehalten, den Kläger vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzumahnen.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG v. 20.11.2014, Az. 2 AZR 651/13, zitiert nach juris).

Zugunsten des Klägers spricht, dass das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren betreffend ein Vergehen nach § 29 BtMG eingestellt worden ist. Die Einstellung erfolgte nach § 170 Abs. 2 StPO, so dass davon auszugehen ist, dass ein intensiver Kontakt des Klägers mit Betäubungsmitteln, der über § 29 BtMG verfolgt wird, nicht bestand, zumindest nicht nachzuweisen war. Zudem erstreckte sich das Ermittlungsverfahren weder auf § 316 StGB, noch auf § 315c StGB, so dass offenbar keinerlei Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der klägerischen Fahrtüchtigkeit oder eine Gefährdung von Dritten vorlagen.

Ebenfalls zugunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass der behauptete Drogenkonsum an einem Samstag – also unstreitig außerhalb der Arbeitszeit – stattgefunden haben soll. Für den Kläger war ggf. nicht zu erkennen, dass sich ein Drogenkonsum in der Freizeit über einen längeren Zeitraum leistungsmindernd und -einschränkend auswirken kann und damit auch die vertragsgemäße Erbringung der Arbeitsleistung gefährdet.

Auch ein Verstoß des Klägers gegen ein von der Polizei verhängtes „Fahrverbot“ hat die Pflichtwidrigkeit des klägerischen Handelns nicht maßgeblich verstärkt. Indem der Kläger der Aufforderung der Beklagten nachgekommen ist und seine Fahrt am 15.10.2014 durchgeführt hat, hat er sich nicht eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) schuldig gemacht. Das Verfahren und die Voraussetzungen für die Verhängung von Fahrverboten (§ 44 StGB) und die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 3 StVG, § 69 StGB) ist gesetzlich abschließend geregelt. Besondere Befugnisse der Polizei, kurzzeitige Fahrverbote auszusprechen, bestehen nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Polizei den Kläger lediglich angehalten hat, auf das Führen eines Fahrzeugs innerhalb der nächsten 48 Stunden – bis zum Abbau der Drogenstoffe – zu verzichten. Andernfalls könnte der Kläger eine (weitere) Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG begehen. Mit einer derartigen Anweisung veranschaulicht die Polizei dem Drogenkonsument nachdrücklich, dass er sich erneut strafbar machen könnte, wenn er im Straßenverkehr weiterhin ein Fahrzeug führt. Sie weist damit lediglich auf die bestehende Gesetzeslage hin, ohne durch ein „Fahrverbot“ dem Kläger zusätzliche Einschränkungen aufzuerlegen.

Letztlich ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger nicht willens oder fähig gewesen wäre, sein Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung zukünftig zu ändern. Umstände, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Eine einmalige, für Dritte folgenlos gebliebene Fahrt unter Drogeneinfluss im Privatbereich stellt weder die grundsätzliche Eignung des Klägers als Kraftfahrer in Frage, noch lässt sie den Schluss zu, der Kläger sei nach Ausspruch einer Abmahnung zu keiner Verhaltensänderung bereit.

Auf die als Abmahnungen bezeichneten Schreiben kann sich die Beklagte nicht erfolgreich berufen. Ungeachtet der Zweifel, ob die in den Schreiben aufgeführten Pflichtverletzungen denselben Pflichtenkreis betreffen und damit als einschlägige Abmahnungen zu werten wären, sind alle drei „Abmahnungen“ nicht als Abmahnungen im Rechtssinne zu verstehen. Mangels Kündigungsandrohung kommt ihnen keine Warnfunktion zu.

3. Die Kündigung vom 28.10.2014 vermag das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht fristlos zu beenden, sie löst das Arbeitsverhältnis jedoch als ordentliche Kündigung zum 30.11.2014 auf.

Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist (BAG v. 12.05.2010, Az. 2 AZR 845/08, zitiert nach juris).

Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 28.10.2014, das mit „Fristloser Kündigung“ überschrieben ist und die Erklärung enthält, die Beklagte kündige „das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung“, lässt den unbedingten Beendigungswillen der Beklagten ohne weiteres erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es der Beklagten darauf ankam, sich schnellstmöglich von ihm zu trennen.

Umstände, die andere Auslegung des Kündigungsschreibens zulassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Nachdem das Arbeitsverhältnis nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt und andere Unwirksamkeitsgründe nicht bestehen, hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB zum 30.11.2014 beendet. Da die Kündigungsschutzklage auf den zeitlich uneingeschränkten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, war die Klage im Übrigen abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht im Hinblick auf das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO). Nachdem sich die außerordentliche Kündigung als unwirksam erwiesen hat, das Arbeitsverhältnis dennoch gut einen Monat nach Ausspruch der Kündigung beendet worden ist, sind die Kosten des Rechtsstreits zu teilen bzw. gegeneinander aufzuheben. Den Streitwert setzt die Kammer nach den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 4 GKG auf den Betrag von drei Monatsgehältern fest.

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