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Soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung

Krankheitsbedingte Kündigung: Unwirksamkeit wegen fehlender sozialer Rechtfertigung

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein (Az.: 3 Sa 74/23) bekräftigt die Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn wird abgewiesen, womit die Kündigung der Klägerin rechtlich nicht standhält. Zentrale Punkte sind die nicht ausreichend begründete negative Gesundheitsprognose, unzureichend dargelegte betriebliche Beeinträchtigungen und eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats. Das Gericht betont die Wichtigkeit einer korrekten und umfassenden Betriebsratsanhörung sowie die Notwendigkeit, bei einer Kündigung alle relevanten Aspekte präzise zu prüfen und zu dokumentieren.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Sa 74/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung der Beklagten abgewiesen: Das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn bleibt bestehen.
  2. Unwirksamkeit der Kündigung: Mangels sozialer Rechtfertigung ist die krankheitsbedingte Kündigung nicht rechtens.
  3. Negative Gesundheitsprognose: Diese war nicht ausreichend belegt.
  4. Betriebliche Beeinträchtigungen: Die Darlegung erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen durch die Beklagte war unzureichend.
  5. Anhörung des Betriebsrats: Die Anhörung war fehlerhaft, da wesentliche Informationen nicht mitgeteilt wurden.
  6. Vertretung der Klägerin: Die Entscheidung für eine dauerhafte Nachbesetzung ihrer Position war nicht gerechtfertigt.
  7. Kostenentscheidung: Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
  8. Keine Revision zugelassen: Das Urteil ist somit rechtskräftig.

Die Herausforderungen der sozialen Rechtfertigung bei krankheitsbedingten Kündigungen

Die krankheitsbedingte Kündigung ist ein sensibles Thema im Arbeitsrecht, bei dem sowohl die Interessen des Arbeitgebers als auch die des Arbeitnehmers berücksichtigt werden müssen. Um eine personenbedingte Kündigung wegen Krankheit als sozial gerechtfertigt zu betrachten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu zählen Langzeiterkrankungen, eine negative Gesundheitsprognose und eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers.

Die sogenannte „Dreistufenprüfung“ stellt sicher, dass die Kündigung nicht nur aufgrund der Krankheit des Arbeitnehmers erfolgt, sondern auch auf einer fundierten Einschätzung der betrieblichen Situation basiert. Dabei müssen die negativen Auswirkungen der Krankheit auf das Unternehmen ausreichend belegt werden, um eine sozial gerechtfertigte Kündigung zu rechtfertigen.

Die korrekte Anhörung des Betriebsrats und die genaue Dokumentation der Gründe für die Kündigung sind dabei von entscheidender Bedeutung. Fehler in diesem Prozess können dazu führen, dass die Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Daher ist es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen wichtig, sich über die rechtlichen Herausforderungen und Anforderungen bei krankheitsbedingten Kündigungen im Klaren zu sein.

„Wenn Sie Fragen zu einem ähnlichen Fall haben, bei dem es um die Herausforderungen der sozialen Rechtfertigung bei krankheitsbedingten Kündigungen geht, fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.“

Im Mittelpunkt des Streits stand eine krankheitsbedingte Kündigung, ausgesprochen von einem Arbeitgeber aus der Ventilatorenbaubranche gegenüber einer langjährigen Bilanzbuchhalterin. Der Fall erreichte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein nachdem die Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn Berufung eingelegt hatte. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin führte zu einer intensiven juristischen Auseinandersetzung über die soziale Rechtfertigung einer solchen Kündigung.

Der Verlauf bis zur krankheitsbedingten Kündigung

Die Klägerin, seit August 2020 bei der Beklagten beschäftigt, fiel ab Dezember 2021 dauerhaft krankheitsbedingt aus. Vor diesem Hintergrund lud die Beklagte die Klägerin zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ein, welche die Teilnahme jedoch ablehnte. Nach einem Klinikaufenthalt und weiterer Arbeitsunfähigkeit sprach die Beklagte schließlich die Kündigung aus, begründet durch die langanhaltende Krankheit und die damit einhergehenden betrieblichen Beeinträchtigungen.

Kernprobleme und rechtliche Herausforderungen

Das rechtliche Problem drehte sich um die Frage, ob die dauerhafte Erkrankung der Klägerin eine sozial gerechtfertigte Kündigung nach sich ziehen könne. Hierbei spielten die negative Gesundheitsprognose, die betrieblichen Beeinträchtigungen durch die Abwesenheit der Klägerin sowie die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats eine zentrale Rolle. Die Beklagte argumentierte, dass die langfristige Erkrankung der Klägerin zu erheblichen betrieblichen Einschränkungen geführt habe, welche die Kündigung rechtfertigten.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein wies die Berufung der Beklagten zurück und bestätigte damit das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn. Die Richter fanden, dass die Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam sei. Insbesondere wurde bemängelt, dass die Beklagte keine ausreichenden Beweise für eine negative Gesundheitsprognose oder betriebliche Beeinträchtigungen vorlegen konnte. Zudem wurde die Anhörung des Betriebsrats als nicht ordnungsgemäß eingestuft, da wesentliche Informationen nicht übermittelt wurden.

Juristische Feinheiten und ihre Bedeutung

Die Entscheidung des Gerichts verdeutlicht die hohen Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung. Insbesondere die Notwendigkeit einer sorgfältigen und umfassenden Dokumentation der negativen Gesundheitsprognose und der betrieblichen Auswirkungen wurde betont. Darüber hinaus unterstreicht der Fall die Bedeutung der Anhörung des Betriebsrats als essentiellen Bestandteil des Kündigungsprozesses.

Fazit: Die Kündigung war unwirksam, da die soziale Rechtfertigung nicht nachgewiesen werden konnte.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter einer sozialen Rechtfertigung im Arbeitsrecht?

Unter einer sozialen Rechtfertigung im Arbeitsrecht versteht man die Notwendigkeit, dass eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) auf gesetzlich anerkannte Gründe gestützt werden muss. Diese Gründe können personenbedingt, verhaltensbedingt oder betriebsbedingt sein. Personenbedingte Gründe liegen beispielsweise vor, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit nicht mehr in der Lage ist, seine Arbeit zu verrichten. Verhaltensbedingte Gründe beziehen sich auf Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, wie wiederholtes unentschuldigtes Fehlen oder Straftaten gegenüber dem Arbeitgeber. Betriebsbedingte Gründe können etwa eine notwendige Rationalisierung oder der Wegfall von Arbeitsplätzen sein.

Das KSchG schützt Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen. Eine Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Der Arbeitgeber muss bei einer Kündigung auch soziale Aspekte berücksichtigen und eine Interessenabwägung vornehmen. Kann der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen weiterbeschäftigt werden, ist eine Kündigung ebenfalls sozial ungerechtfertigt.

Möchte ein Arbeitnehmer gegen eine Kündigung vorgehen, muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Andernfalls wird die Kündigung rechtswirksam, es sei denn, der Arbeitnehmer hat die Frist ohne eigenes Verschulden versäumt.

Wie ist der Ablauf eines betrieblichen Eingliederungsmanagements?

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren, das darauf abzielt, die Arbeitsfähigkeit von langzeiterkrankten Mitarbeitern zu erhalten oder wiederherzustellen. Der Ablauf eines BEM ist nicht gesetzlich festgelegt, jedoch gibt es empfohlene Schritte, die sich in der Praxis etabliert haben. Hier eine Zusammenfassung des Ablaufs in mehreren Schritten:

1. Analyse des Krankenstands im Unternehmen

Zunächst wird der Krankenstand im Unternehmen analysiert, um festzustellen, welche Mitarbeiter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank waren.

2. Erste Kontaktaufnahme

Der Arbeitgeber nimmt Kontakt mit dem betroffenen Mitarbeiter auf, um ihn über das BEM zu informieren und seine Zustimmung einzuholen.

3. Einladung zum BEM-Gespräch

Der Mitarbeiter wird zu einem BEM-Gespräch eingeladen, in dem die Ziele des BEM erläutert und die Zustimmung des Mitarbeiters eingeholt wird.

4. Durchführung des BEM-Gesprächs

Im BEM-Gespräch werden die Ausgangssituation und mögliche Maßnahmen zur Wiedereingliederung besprochen. Hierbei können auch externe Berater wie Arbeitsmediziner oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit hinzugezogen werden.

5. Entwicklung eines Maßnahmenplans

Basierend auf dem Gespräch wird ein individueller Maßnahmenplan entwickelt, der auf die Bedürfnisse des Mitarbeiters abgestimmt ist.

6. Umsetzung der Maßnahmen

Die vereinbarten Maßnahmen werden umgesetzt. Dies kann beispielsweise eine stufenweise Wiedereingliederung, eine Anpassung des Arbeitsplatzes oder Qualifizierungsmaßnahmen umfassen.

7. Evaluation und Abschluss des BEM

Nach Umsetzung der Maßnahmen wird deren Wirksamkeit bewertet. Das BEM ist abgeschlossen, wenn die Ziele erreicht wurden oder keine weiteren Maßnahmen möglich sind.

Wichtige Aspekte des BEM-Prozesses

  • Freiwilligkeit: Die Teilnahme am BEM ist für den Mitarbeiter freiwillig.
  • Datenschutz: Die persönlichen Daten des Mitarbeiters sind besonders zu schützen.
  • Beteiligung des Betriebsrats: Bei der Durchführung des BEM ist der Betriebsrat einzubeziehen.
  • Dokumentation: Der gesamte BEM-Prozess sollte dokumentiert werden, um Transparenz zu gewährleisten und die Maßnahmen nachvollziehbar zu machen.

Das BEM ist ein wichtiger Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements und dient der Prävention sowie der Wiedereingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 3 Sa 74/23 – Urteil vom 10.01.2024

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 5. April 2023 – 3 Ca 1330 d/22 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch ordentliche, mit Krankheit der Klägerin begründete Kündigung seitens der Beklagten vom 10. November 2022 zum 31. Dezember 2022.

Die am … 1969 geborene, verheiratete und einer Tochter zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. August 2020 als Bilanzbuchhalterin für ein Bruttomonatsgehalt iHv. EUR 4.150,64 bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt.

Die Beklagte beschäftigt weit mehr als 10 Mitarbeiter iSd. Kündigungsschutzgesetzes und ist im Bereich des Ventilatorenbaus ua. für die Industrie, Schiffbau, Kraftwerke, Tunnelbau tätig. Sie unterhält Fertigungsstandorte in D… sowie in G… und der S…. Firmensitz ist P…. Dort arbeitet die Klägerin, und dort besteht auch ein Betriebsrat.

Die Klägerin ist seit dem 6. Dezember 2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Bereits ab Oktober 2021 fiel die Klägerin mehrfach vorübergehend wegen Erkrankung arbeitsunfähig aus. Die letzte Arbeitsunfähigkeit vor der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit begann am 22. November 2021 und endete am 3. Dezember 2021. Am Wochenende 4./5. Dezember 2021 hat die Klägerin nicht gearbeitet.

Unter dem 3. Juni 2022 hat die Beklagte die Klägerin zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX eingeladen. Dazu ist sie über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements unter Beifügung der bei der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement vom 31. Mai 2022 sowie einer Einwilligungserklärung zum Datenschutz nebst Informationsblatt über die gesetzlichen Grundlagen des betrieblichen Eingliederungsmanagements aufgeklärt worden.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2022 hat die Klägerin ihre Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement abgelehnt.

Der Klinikaufenthalt der Klägerin in der C… Klinik war kein REHA-Aufenthalt. Vielmehr wurde die Klägerin vom 24. August 2022 bis zum 14. Oktober 2022 akut stationär behandelt und arbeitsunfähig entlassen.

Unter dem 26. Oktober 2022 hat die Beklagte die Klägerin erneut zum betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen. Diese hat unter Hinweis auf die noch bestehende Arbeitsunfähigkeit mit Schreiben vom 2. November 2022 die Einladung nicht angenommen.

Die Beklagte hat den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 4. November 2022 zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung gemäß § 102 BetrVG angehört. Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 7. November 2022 der beabsichtigten Kündigung zugestimmt. Das Anhörungsschreiben der Beklagten lautet auszugsweise wie folgt:

„1.

26 Tage im Oktober 2021 krank; seit 22.11.2021 langzeitkrank bis einschließlich

15.11.2022, weiter krank nach Reha-Maßnahme im Oktober 2022. Die vorliegenden Fehlzeiten rechtfertigen die Besorgnis, dass auch zukünftig nicht mit einer

Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. Dies wird insbesondere

dadurch gestützt, dass auch der durchgeführten Reha-Maßnahme eine

Arbeitsaufnahme nicht möglich gewesen ist.

Zwar sind die Krankheitsursachen nicht bekannt, aber es besteht auch keine

Verpflichtung eigene Nachforschungen darüber anzustellen, zumal eine

Auskunftspflicht seitens Frau H… darüber nicht besteht.

Die Einladung zum BEM-Gespräch erfolgte im Juni 2022, diese Einladung hat Frau H… abgelehnt.

2.

Durch den langfristigen Ausfall von Frau H… sind erhebliche betriebliche

Beeinträchtigungen entstanden. Dieses Modell funktioniert so nicht mehr. Die

Mehrarbeit ist nicht mehr zumutbar.

Es wurde versucht alle Aufgaben von Frau H… auf andere Mitarbeiter*innen zu verteilen. Zunächst wurden die Mitarbeiter*innen intensiv in diese Aufgabengebiete eingearbeitet.

Die Aufgaben wurden wie folgt verteilt:

· Einkauf: Rechnungen vorerfassen -> ca. 5 Stunden

· Sekretariat: Eingangsrechnungen buchen, Mahnungen bearbeiten, Zahlplan erstellen -> ca. 10 Stunden

· Buchhaltung: Bankauszüge verbuchen, Liquiditätsplan wöchentlich, Kontenabstimmung, Saldenbestätigungen -> ca. 10 Stunden

Die Arbeitsabläufe können aus unternehmerischer Sicht nicht mit der gewohnten

Sorgfalt ausgeführt werden.

Die konstant erhöhte Arbeitslast ist für unsere Mitarbeiter dauerhaft nicht tragbar.

Der Arbeitsplatz muss zumindest teilweise ersetzt werden.

3.

Auch eine abschließende Interessenabwägung hat zu keinem anderen Ergebnis

geführt. Vorliegend sind als Kündigungsgrund die negative Prognose und die

deshalb zu erwartenden betrieblichen Auswirkungen zu Grunde zu legen.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Frau H… das im Juni 2022

angebotene betriebliche Eingliederungsmanagement abgelehnt hat (Einladung vom 03.06.2022 zum Gespräch am 22.06.2022; die Ablehnung erfolgte am 15.06.2022 bei uns eingehend). Aus diesen Gründen sieht die Firma sich gezwungen, das Arbeitsverhältnis mit Frau S… H… zum nächstmöglichen Termin, spätestens am 14.11.2022, ordentlich zu kündigen. …“

Mit Schreiben vom 10. November 2022, der Klägerin per Einwurfeinschreiben am 12. November 2022 zugegangen, sprach die Beklagte eine ordentliche, fristgerechte Kündigung zum 31. Dezember 2022, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus.

Unter dem 24. November 2022, beim Arbeitsgericht am gleichen Tag per Elektronischem Rechtsverkehr ordnungsgemäß eingegangen, erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Kündigung von 10. November 2022 mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam sei. Es bestehe schon keine negative Prognose hinsichtlich einer psychischen Erkrankung. Die sie behandelnden Ärzte hätten ihr gesagt, dass sie sicher bis Oktober 2024 wieder arbeitsfähig sein werde. Diese würden von ihrer Schweigepflicht entbunden. Die von der Beklagten vorgetragenen betrieblichen Beeinträchtigungen würden bestritten. Dies beziehe sich sowohl auf die Überlastung der anderen Mitarbeiter als auch auf die dauerhafte interne Nachbesetzung ihrer Stelle durch Frau C…. Diese sei schon nicht hinreichend qualifiziert. Eine bis zur Gesundung der Klägerin vorübergehende Besetzung sei nicht versucht worden. Die Einladungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement seien zur Unzeit erfolgt. Die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß, weil der dort beschriebene Klinikaufenthalt ein Akutaufenthalt gewesen sei und nicht der Rehabilitation gedient habe. Dem Betriebsrat sei nicht mitgeteilt worden, dass die Stelle der Klägerin mit der nicht qualifizierten Mitarbeiterin C… besetzt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche ordentliche, fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 10. November 2022, der Klägerin am 12. November 2022 per Einwurfeinschreiben zugestellt, nicht zum 31. Dezember 2022 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die krankheitsbedingte Kündigung vom 10. November 2022 beendet worden sei. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Es bestehe angesichts der bisherigen Dauer der Erkrankung eine negative Prognose. Dass die Kläger im Oktober 2024 wieder arbeitsfähig sein werde, werde mit Nichtwissen bestritten. Durch den langfristigen Ausfall der Klägerin seien erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen bei der Beklagten entstanden. Die Beklagte habe die Aufgaben umverteilt, die Mitarbeiterinnen würden den Anforderungen jedoch nicht gerecht. Eine befristete Neueinstellung gäbe der Arbeitsmarkt nicht her und sei mit der Bedeutung der Tätigkeit nicht vereinbar. Man habe sich für die interne Nachbesetzung der Stelle durch Frau C… entschieden. Unter Berücksichtigung der kurzen Betriebszugehörigkeit gehe eine Abwägung der Interessen zulasten der Klägerin aus. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß. Die Beklagte sei von einem Reha-Klinikaufenthalt ausgegangen. Dass es sich um einen Akut-Klinikaufenthalt gehandelt habe, sei für die Wirksamkeit der Kündigung ohne Bedeutung.

Das Arbeitsgericht Elmshorn hat der Klage mit Urteil vom 5. April 2023 stattgegeben. Die Kündigung vom 10. November 2022 habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet, da diese mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam sei. Die Beklagte habe für die zweite Prüfungsstufe einer ordnungsgemäßen krankheitsbedingten Kündigung keine hinreichenden betrieblichen Beeinträchtigungen vorgetragen. Es habe sich nicht erschlossen, dass der krankheitsbedingte Ausfall der Klägerin Ursache für die Beeinträchtigungen gewesen sei, zumal zwischenzeitlich auch ein weiteres Arbeitsverhältnis geendet habe und Mitarbeiter versetzt worden seien. Auch der Vortrag der Beklagten, die zusätzliche Arbeitsbelastung der Mitarbeiter aufgrund des Ausfalls der Klägerin habe dazu geführt, dass die Arbeit nicht mit der gewohnten Sorgfalt ausgeführt werden konnte, sei nicht substantiiert hinsichtlich des Umfangs etwaiger Überstunden und der Darstellung aufgetretener Fehler der Mitarbeiter. Mit der vorübergehenden Versetzung der Mitarbeiterin C…, sei zudem ein milderes Mittel zur Kündigung der Klägerin aufgezeigt. Mit der Rückkehr der Klägerin könne diese Versetzung wieder aufgehoben werden.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn – 3 Ca 1330 d/22 – vom 5. April 2023 wurde der Beklagten am 27. April 2023 zugestellt.

Mit der am 25. Mai 2023 eingegangenen und nach gerichtlicher Verlängerung der Berufungsbegründungfrist bis zum 27. Juli 2023 am 26. Juli 2023 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein begründeten Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn.

Dieses sei rechtsfehlerhaft. Zum einen habe die Beklagte entgegen der Auffassung des Gerichts substantiiert vorgetragen, welcher Mitarbeiter mit welchem Zeitanteil welche Tätigkeiten der Klägerin übernommen habe und wie es konkret zu welchen Überforderungen gekommen sei. Zu den Fehlern trägt die Beklagte in der Berufungsbegründung erstmals konkrete Sachverhalte vor. Die andere in der Buchhaltung freigewordene Stelle sei durch eine Neueinstellung besetzt worden. Im Oktober 2022 habe die Mitarbeiterin Frau C… die Tätigkeit der Klägerin übernommen. Sie sei seit Januar 2022 in diese Tätigkeit eingearbeitet worden. Auf ihre Stelle im Sekretariat sei erst eine Mitarbeiterin für Oktober 2022 bis März 2023 und dann ab Juni 2023 eine weitere Mitarbeiterin eingestellt worden. Frau C… habe die Stelle der Bilanzbuchhalterin dauerhaft übernehmen müssen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 5. April 2023 – Aktenzeichen 3 Ca 1330 d/22–, zugestellt am 27. April 2023, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig, zumindest für unbegründet. Es sei nach wie vor nicht nachvollziehbar, wie die Verteilung der Aufgaben der Klägerin erfolgt sei und weshalb dies zur Überlastung bzw. zu Fehlern geführt habe. Im Übrigen sei der neue Sachvortrag verspätet. Es werde bestritten, dass Frau C… die Arbeiten der Klägerin übernommen habe. Diese weise diesbezüglich keine Ausbildung auf und sei damit nicht hinreichend qualifiziert. Ebenso werde bestritten, dass für die ursprüngliche Stelle von Frau C… Ersatzeinstellungen vorgenommen worden seien.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Sach- und Streitstands auf die Schriftsätze, Unterlagen und Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige (A.) Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 5. April 2023 ist unbegründet (B.).

A. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig. Die Berufungsbegründung entspricht § 64 Abs. 6 Satz 1 ZPO iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

1. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (vgl. zuletzt BAG 15. Dezember 2022 – 2 AZR 117/22 – Rn. 5, juris).

2. Diesen Vorgaben entspricht die Berufungsbegründung, wobei es im Rahmen der Zulässigkeit nicht darauf ankommt, ob die Ausführungen der Beklagten auch inhaltlich überzeugen: Die Beklagte macht deutlich, dass aus ihrer Sicht das Arbeitsgericht überzogene Anforderungen an die Substantiierung der betrieblichen Beeinträchtigungen gestellt und ihren Sachvortrag nicht in vollem Umfang berücksichtigt habe. Im Übrigen ergänzt die Beklagte ihren Vortrag zu den durch die Vertretungssituation aufgekommenen Fehlern, um dem gerichtlichen Einwand fehlender Substantiierung zu entgegnen. Hinsichtlich des gerichtlichen Einwands, Frau C… könne die Tätigkeiten der Klägerin befristet für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit übernehmen, weist die Beklagte auf ihren bereits erstinstanzlich erfolgten Vortrag hin, dass die Tätigkeiten der Klägerin arbeitsmarktbedingt und aufgrund deren Spezifik von einer Ersatzkraft nur dauerhaft erbracht werden könnten.

B. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, sie ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet, da die Kündigung vom 10. November 2022 mangels sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam ist und damit das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat (I.). Die Kündigung ist auch aufgrund mangelhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam (II.).

I. Die Kündigung vom 10. November 2022 ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, da sie nicht sozial gerechtfertigt ist.

1. Die Kündigungsschutzklage ist rechtzeitig innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung bei Gericht eingegangen. Insofern ist die Kündigung nicht gemäß § 7 KSchG von Anfang an rechtswirksam.

2. § 1 KSchG findet aufgrund der Betriebsgröße der Beklagten (mehr als 10 Beschäftigte iSv. § 23 KSchG) und der Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin (bereits über zwei Jahre Beschäftigung) Anwendung.

3. Die Kündigung vom 10. November 2022 ist nicht sozial gerechtfertigt.

a) Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer lang anhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – zweite Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen – dritte Stufe – (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 12, juris).

b) Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Eine Ungewissheit hinsichtlich Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin steht – so sie tatsächlich vorliegt – einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann. Einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten kann der Arbeitgeber dagegen typischerweise ohne Schwierigkeiten durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG überbrücken (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18, juris).

c) Der bestrittene Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt reicht im Zusammenspiel mit den von der Beklagten gemachten Angaben in der Betriebsratsanhörung für die Annahme erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen iSd. zweiten Prüfungsstufe nicht aus.

aa) Die Beklagte kann sich im arbeitsgerichtlichen Prozess nicht mit Erfolg darauf berufen, dass mit einer Genesung der Klägerin in den nächsten 24 Monaten ab Zugang der Kündigung nicht gerechnet werden könne. Hierzu fehlen nämlich konkrete Angaben in der erforderlichen Betriebsratsanhörung zur beabsichtigten Kündigung.

(1) Der Inhalt der Unterrichtung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 26, juris).

(2) In der Betriebsratsanhörung heißt es – und nicht einmal im Zusammenhang mit den erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen – lediglich, dass „die Besorgnis bestehe, dass auch zukünftig nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei.“ Dies indiziert allein – auch im Aufbau der Anhörung an zutreffender Stelle befindlich – die negative Prognose auf erster Stufe, nicht jedoch die spezifische langfristige (24 Monate), die betrieblichen Beeinträchtigungen indizierende Ungewissheit hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit auf zweiter Stufe. Hieraus lässt sich aus dem Grundsatz der subjektiven Determination der Betriebsratsanhörung ableiten, dass diese langfristige Ungewissheit gerade nicht Teil der Kündigungsentscheidung der Beklagten war. Dass die Berücksichtigung des Umstands nach anwaltlicher Beratung im Nachhinein sinnvoll gewesen wäre, lässt sich nach Ausspruch der Kündigung aber nicht mehr ändern. Es würde sich um eine neue Kündigungsentscheidung handeln, die auf einem anderen Sachverhalt basierte und eine neue Betriebsratsanhörung erforderte.

bb) Soweit sich die Beklagte auf die Mehrbelastung von Mitarbeitern und nicht hinnehmbare Fehler bei der Vertretungsarbeit beruft, kann dies die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen allein nicht begründen. Die Beklagte macht in ihrer Begründung erst- und zweitinstanzlich und auch in der Betriebsratsanhörung klar, dass das Vertretungsmodell aus ihrer Sicht schon vor Ausspruch der Kündigung gescheitert sei und deshalb eine andere Lösung angestrebt werde, nämlich die dauerhafte Übernahme der Arbeitstätigkeiten der Klägerin durch eine dritte Person und die Kündigung der Klägerin. Selbst unterstellt, dass das Vertretungsmodell durch Verteilung der Arbeiten tatsächlich nicht – mehr – praktikabel sei, rechtfertigt dies nicht den Schluss, dass die Klägerin dauerhaft durch eine andere Arbeitskraft ersetzt werden muss. Insofern kommt es nicht darauf an, ob der Vortrag der Beklagten zum Scheitern des Vertretungssystems hinreichend konkret ist bzw. überhaupt als Teil der unternehmerischen Freiheit im Detail belegt werden muss.

cc) Der eigentliche Grund für die betrieblichen Beeinträchtigungen ist nach dem Vortrag der Beklagten die angeblich erforderliche dauerhafte Beschäftigung der Frau C… auf dem Arbeitsplatz der Klägerin. Damit würde eine unbefristete Doppelbesetzung auf einem Arbeitsplatz einhergehen, was in der Tat eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung darstellte. Der Vortrag der Beklagten hierzu ist aber erkennbar nicht ausreichend.

(1) Grundsätzlich ist mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18, juris) schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Kündigung als ultima ratio) davon auszugehen, dass für einen Zweijahreszeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einzustellen ist, um genau die zuvor beschriebene erheblich beeinträchtigende dauerhafte Doppelbesetzung zu vermeiden. Dies mag im Einzelfall arbeitsmarkt- oder aufgabenbedingt nicht in Betracht kommen, ist aber durch konkrete erfolglose Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt oder konkrete Ausführungen zur Spezifik der geschuldeten Arbeitsleistung, die eine überbrückende Vertretung bis zur wieder dauerhaften Übernahme der Tätigkeiten durch die dann wieder arbeitsfähige Vertretene ausschließt, zu belegen (vgl. Oetker/ErfKomm KSchG § 1 Rn. 130; Krause in Linck/Krause/Bayreuther KSchG § 1 Rn. 396; Hergenröder/MünchKomm BGB 9. Aufl. KSchG § 1 Rn. 214; Denecke in Gallner/Mestwerdt/Nägele KSchR 7. Aufl. KSchG § 1 Rn. 561; Kerwer in Boecken/Düwell/Diller/Hanau KSchG § 1 Rn. 513).

(2) Dem wird der Vortrag der Beklagten nicht gerecht.

(a) Es bleibt offen, weshalb die Mitarbeiterin Frau C… – deren von Klägerseite bestrittene hinreichende Qualifikation zur Bilanzbuchhalterin die Beklagte nicht weiter dargelegt hat – zwingend dauerhaft die Tätigkeiten der Klägerin übernehmen muss. Insbesondere dann, wenn sich Frau C… aus Sicht der Beklagten als derartig vielseitig einsetzbar erweist, könnte ihr nach Gesundung eine andere Position zugewiesen werden, zumal wie die Beklagte selbst vorträgt, bei ihr in der Verwaltung eine gewisse Personalfluktuation besteht.

(b) Es ist weiter unklar, weshalb die Beklagte auf eine angeblich dauerhafte interne Lösung setzen musste, statt eine externe befristete Lösung zu versuchen. Es mag ggf. zutreffen, dass bzgl. der Position einer Bilanzbuchhalterin der Arbeitsmarkt dies nicht hergibt. Es fehlt aber jeder Vortrag, dass die Beklagte diesbezüglich erfolglos Anstrengungen unternommen hätte. Warum die Stelle als Bilanzbuchhalterin nicht für maximal zwei Jahre durch eine Vertretungskraft besetzt werden kann, wird nicht erklärt.

(c) Auch fehlt jeder Vortrag der Beklagten dazu, weshalb die ursprüngliche Stelle von Frau C… nicht durch befristete Einstellungen für deren Rückkehr hätte freigehalten werden können.

(d) Schließlich bleibt auch völlig offen, warum die Beklagte der Klägerin zur Vermeidung einer unzumutbaren dauerhaften Doppelbesetzung der Ausgangsstelle nach deren Rückkehr nicht eine andere Stelle per Direktionsrecht oder eine veränderte Stelle per Änderungskündigung (Vorrang der Änderungskündigung) hätte zuweisen können.

II. Die Kündigung ist im Übrigen auch gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine Kündigung ist dabei nach Satz 3 nicht erst unwirksam, wenn eine Unterrichtung ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 25, juris).

2. Die Beklagte hat den bei ihr gebildeten Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört.

a) Nach eigenem Vortrag der Beklagten war für die die Kündigung rechtfertigende betriebliche Beeinträchtigung entscheidend, dass die Stelle der Klägerin dauerhaft durch Frau C… besetzt werden soll, die Arbeitsleistung der Klägerin damit dauerhaft überflüssig werden würde und ihr deshalb gekündigt werden müsse. Diese Entscheidung für Frau C… hatte die Beklagte schon vor Anhörung des Betriebsrats und damit vor Ausspruch der Kündigung im Oktober 2022 getroffen.

b) Genau dieser Vortrag fehlt aber in der Betriebsratsanhörung komplett, obwohl dies aus subjektiver Sicht der Beklagten für die Bestimmung zur Kündigung entscheidend war. Damit ist schon der allgemeine und im Übrigen nichtsagende Satz in der Betriebsratsanhörung, dass der Arbeitsplatz der Klägerin zumindest teilweise zu ersetzen sei, falsch, da der Arbeitsplatz konkret vollständig ersetzt werden sollte. Der Betriebsrat konnte die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe nicht überprüfen und sich über sie auch keine eigene Meinung bilden, weil die Beklagte den ihr bekannten und für sie entscheidenden Baustein (interne dauerhafte Nachbesetzung der Stelle der Klägerin) nicht mitgeteilt hat.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Beklagte unterliegt auch zweitinstanzlich mit dem Klagabweisungsantrag und hat deshalb die Kosten zu tragen.

D. Für die Zulassung der Revision liegen keine Gründe iSv. § 72 Abs. 2 ArbGG vor. Die Entscheidung hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch weicht sie hinsichtlich der Obersätze von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder anderer Landesarbeitsgerichte ab.

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