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Streit- und Gegenstandswert bei mehreren Kündigungen – Haupt- und Hilfsantrag

Das Landesarbeitsgericht München hat die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg abgewiesen, welcher den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf 10.530,00 € festgesetzt hatte. Trotz der Auseinandersetzung beider Parteien mit zwei Kündigungen wurde der Gegenstandswert nicht auf 21.060,00 € erhöht, da über den Hilfsantrag bezüglich der zweiten Kündigung nicht entschieden wurde. Die Bewertung des Streitwerts folgte den gesetzlichen Vorgaben und den Empfehlungen des Streitwertkatalogs.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ta 170/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Beschwerde des Beklagtenvertreters gegen Wertfestsetzungsbeschluss wurde zurückgewiesen.
  2. Arbeitsgericht Regensburg setzte Gegenstandswert auf 10.530,00 € fest.
  3. Beschwerdeziel war eine Erhöhung auf 21.060,00 €, begründet durch zwei Kündigungen.
  4. Erste Kündigung vom 27.10.2021 wurde mit drei Bruttomonatsgehältern bewertet.
  5. Zweite Kündigung vom 25.01.2022 führte nicht zur Erhöhung des Gegenstandswerts, da über sie nicht entschieden wurde.
  6. Auslegung des Hilfsantrags gemäß BAG-Rechtsprechung und Streitwertkatalog.
  7. Streitwertkatalog 2018 dient als Orientierung für die Wertfestsetzung bei mehreren Kündigungen.
  8. Rechtliche Grundlagen für die Beschwerde und Wertfestsetzung sind § 23 Abs. 1 S. 1 RVG und § 45 GKG.

Streitwert bei mehreren Kündigungen: Rechtliche Herausforderungen und Bewertung

Bei mehreren Kündigungen stellt sich die Frage nach dem Streit- und Gegenstandswert. Dieser ist von Bedeutung für die Gerichtsgebühren sowie die Gebühren des Rechtsanwalts. Die Bewertung erfolgt differenziert, da jeder eigenständige Kündigungsschutzantrag einen eigenen Streitwert erhält. Die Differenzierung zwischen Haupt- und Hilfsantrag gemäß dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Die rechtlichen Herausforderungen liegen in der Abgrenzung zwischen Haupt- und Hilfsantrag sowie in der Bewertung des Streitwerts bei mehreren Kündigungen. Eine korrekte Bewertung ist wichtig, um die Gebühren richtig zu berechnen und um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Wenn Sie rechtliche Herausforderungen bei mehreren Kündigungen haben, zögern Sie nicht und fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

Im Zentrum einer rechtlichen Auseinandersetzung stand die Bewertung des Streit- und Gegenstandswerts bei mehreren Kündigungen innerhalb eines Arbeitsverhältnisses. Die Kontroverse begann, als die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zunächst außerordentlich fristlos und anschließend hilfsweise ordentlich kündigte. Gegen diese Kündigungen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, um feststellen zu lassen, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigungen nicht aufgelöst worden sei.

Mehrfachkündigungen im Fokus des Arbeitsrechts

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall ergab sich aus der Frage, wie der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit bei mehreren Kündigungen zu berechnen ist, insbesondere wenn diese Kündigungen sowohl Haupt- als auch Hilfsanträge betreffen. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zu zwei unterschiedlichen Terminen, worauf der Kläger jeweils mit Kündigungsschutzklagen reagierte. Die Komplexität erhöhte sich, als der Kläger einen Auflösungsantrag stellte und das Gericht über die Unwirksamkeit der hilfsweise ordentlichen Kündigungen entscheiden musste.

Landesarbeitsgericht München setzt Maßstäbe

Das Landesarbeitsgericht München wies die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg zurück. Dieses hatte den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf 10.530,00 € festgesetzt, basierend auf der Annahme, dass für die Bewertung des Streitwerts die erste Kündigung mit einem Vierteljahreseinkommen des Klägers anzusetzen sei. Die Beschwerde zielte darauf ab, den Gegenstandswert in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf 21.060,00 € zu verdoppeln, da zwei Kündigungen streitgegenständlich waren.

Die rechtlichen Grundlagen der Wertfestsetzung

Die rechtliche Problematik lag in der Anwendung und Auslegung der relevanten gesetzlichen Bestimmungen zur Wertfestsetzung. Das Gericht stützte sich auf §§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG, 32 Abs. 1 RVG und § 45 Abs. 1 S. 2 GKG. Besonders bemerkenswert ist die Auslegung des Hilfsantrags im Lichte der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die Anwendung des Streitwertkatalogs 2018. Das Urteil verdeutlicht die differenzierte Betrachtung von Haupt- und Hilfsanträgen bei der Berechnung des Gegenstandswerts und setzt damit klare Richtlinien für die rechtliche Praxis.

Wirtschaftliche Betrachtungsweise und prozessuale Fairness

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München reflektiert eine wirtschaftliche Betrachtungsweise und prozessuale Fairness. Indem nur über den Hauptantrag entschieden wurde und der Hilfsantrag, der sich auf die zweite Kündigung bezog, unbehandelt blieb, wurde der Gegenstandswert nicht einfach verdoppelt. Dieses Vorgehen trägt der Tatsache Rechnung, dass zwar erheblicher anwaltlicher Aufwand in die Auseinandersetzung mit beiden Kündigungen geflossen sein mag, aber letztlich nur über eine Kündigung im Sinne des Hauptantrags entschieden wurde.

Fazit

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts München im Fall 3 Ta 170/23 vom 09.11.2023 liefert eine fundierte Grundlage für die Bewertung von Streit- und Gegenstandswerten bei mehrfachen Kündigungen in einem Arbeitsverhältnis. Es betont die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung von Haupt- und Hilfsanträgen und unterstreicht die Notwendigkeit, die rechtlichen Vorgaben präzise zu interpretieren und anzuwenden.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter dem Streit- und Gegenstandswert in arbeitsrechtlichen Verfahren?

Der Streitwert und der Gegenstandswert sind Begriffe, die im Kontext von gerichtlichen Verfahren verwendet werden und den finanziellen Wert des Streitgegenstandes bezeichnen. Sie sind entscheidend für die Berechnung der Anwalts- und Gerichtskosten.

Der Gegenstandswert ist das in Geld ausgedrückte Interesse des Auftraggebers an der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Jeder Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist gesondert zu bewerten. Bei einem gerichtlichen Verfahren wird der Gegenstandswert als Streitwert bezeichnet.

In arbeitsrechtlichen Verfahren kann die Bestimmung des Streit- oder Gegenstandswertes je nach Art des Falles variieren. Bei Verfahren, die auf Zahlung von Arbeitsvergütung, Auslösung, Urlaubsentgelt bzw. –abgeltung, Schadenersatz und dergleichen gerichtet sind, entspricht der Streitwert der Höhe des eingeklagten Betrages. Wird über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gestritten, ist für die Streitwertberechnung in der Regel der Betrag des für die Dauer eines ¼ Jahres zu zahlenden Arbeitsentgelts maßgeblich.

Es gibt jedoch Fälle, in denen der Gegenstandswert höher ausfallen kann. So kann der Arbeitnehmer neben dem Kündigungsschutzantrag noch den sogenannten Weiterbeschäftigungsantrag stellen, der vom Arbeitsgericht in der Regel mit einem Brutto-Monatslohn mehr bewertet wird.

Die Höhe der Anwaltsgebühren und der Gerichtskosten ergeben sich meist aus dem Gegenstands- oder Verfahrenswert. Die Gebühren für anwaltliche Leistungen sind in Deutschland gesetzlich festgelegt, nämlich im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Welche Rolle spielen Haupt- und Hilfsanträge in einem Kündigungsschutzprozess?

Der Streitwert und der Gegenstandswert sind Begriffe, die im Kontext von gerichtlichen Verfahren verwendet werden und den finanziellen Wert des Streitgegenstandes bezeichnen. Sie sind entscheidend für die Berechnung der Anwalts- und Gerichtskosten.

Der Gegenstandswert ist das in Geld ausgedrückte Interesse des Auftraggebers an der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Jeder Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist gesondert zu bewerten. Bei einem gerichtlichen Verfahren wird der Gegenstandswert als Streitwert bezeichnet.

In arbeitsrechtlichen Verfahren kann die Bestimmung des Streit- oder Gegenstandswertes je nach Art des Falles variieren. Bei Verfahren, die auf Zahlung von Arbeitsvergütung, Auslösung, Urlaubsentgelt bzw. –abgeltung, Schadenersatz und dergleichen gerichtet sind, entspricht der Streitwert der Höhe des eingeklagten Betrages. Wird über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gestritten, ist für die Streitwertberechnung in der Regel der Betrag des für die Dauer eines ¼ Jahres zu zahlenden Arbeitsentgelts maßgeblich.

Es gibt jedoch Fälle, in denen der Gegenstandswert höher ausfallen kann. So kann der Arbeitnehmer neben dem Kündigungsschutzantrag noch den sogenannten Weiterbeschäftigungsantrag stellen, der vom Arbeitsgericht in der Regel mit einem Brutto-Monatslohn mehr bewertet wird.

Die Höhe der Anwaltsgebühren und der Gerichtskosten ergeben sich meist aus dem Gegenstands- oder Verfahrenswert. Die Gebühren für anwaltliche Leistungen sind in Deutschland gesetzlich festgelegt, nämlich im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht München – Az.: 3 Ta 170/23 – Beschluss vom 09.11.2023

Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg – Kammer Landshut – vom 19.06.2023 – 3 Ca 741/21 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger seit 0000 bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.10.2021 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage mit dem Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.10.2021 nicht aufgelöst sei. Mit Schreiben vom 25.01.2022 kündigte die Beklagte ein eventuell noch bestehendes Arbeitsverhältnis „vorsorglich, jedoch unbedingt“ außerordentlich/fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Mit Schriftsatz vom 01.02.2022 kündigte der Kläger daraufhin den Antrag an, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung vom 25.01.2022 nicht aufgelöst werde. Später erweiterte er die Klage um einen Auflösungsantrag auf das Datum der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27.10.2021. In der Kammerverhandlung wies der Vorsitzende den Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.10.2018 – 2 AZR 381/18 – darauf hin, dass davon ausgegangen werde, die angekündigte Antragstellung in Bezug auf die Kündigung vom 25.01.2022 sei entsprechend dieser Rechtsprechung auszulegen. Der Kläger erklärte sich mit dieser Auslegung einverstanden (vgl. Bl. 125 d. Akte).

Durch Urteil vom 16.08.2023 stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.10.2021 aufgelöst worden sei, löste es aber zum 27.10.2021 unter Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung auf. Hinsichtlich des höheren Abfindungsbetrags, wies es den Antrag des Klägers zurück. In den Entscheidungsgründen führte das Arbeitsgericht aus, dass aufgrund des Auflösungsantrags die Anträge des Klägers, die auf die Feststellung der Unwirksamkeit der hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 27.10.2021 und der außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 24.01.2022 gerichtet gewesen seien, nicht zur Entscheidung angefallen seien. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht München einigten sich die Parteien auf einen gerichtlichen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 27.10.2021 mit Ablauf des 31.01.2022 geendet hat. Die Kostenentscheidung wurde vollumfänglich, einschließlich der Kostenentscheidung zu den Gerichtskosten der ersten Instanz, der Vorsitzenden übertragen. Mit Beschluss vom 26.05.2023 setzte das Landesarbeitsgericht den Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren auf 21.060,00 € fest. Es seien für jede der beiden Kündigungen drei Bruttomonatsgehälter in Ansatz zu bringen, da die jeweiligen Beendigungstermine mehr als drei Monate auseinanderlägen.

Auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat das Arbeitsgericht den „Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit“ mit Beschluss vom 19.06.2023 (Bl. 258 ff. der Akte) auf 10.530,00 € festgesetzt. Eine Rechtsgrundlage war nicht genannt; der Rechtsmittelbelehrung war eine Beschwerdefrist von zwei Wochen zu entnehmen.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat gegen diesen Beschluss, der ihm am 20.06.2023 zugestellt worden ist, mit am 03.07.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Der Gegenstandswert sei in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf 21.060,00 € festzusetzen. Letztlich seien zwei Kündigungen streitgegenständlich gewesen. Es sei mit den gesetzlichen Vorgaben zur Wertfestsetzung der anwaltlichen Tätigkeit nicht vereinbar, wenn sich beide Parteivertreter „fast schon kiloweise“ mit der Kündigung vom 25.01.2022 auseinandersetzen würden, um sich anschließend „sagen lassen zu müssen, dass es hierfür kein Honorar gebe“, weil über die diese Kündigung betreffenden Feststellungsanträge nicht entschieden worden sei.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Als Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren seien lediglich drei Bruttomonatsgehälter anzuerkennen, nämlich gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i. V. m. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG für die vom Kläger begehrte Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.10.2021 nicht aufgelöst worden sei. Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 25.01.2022 sei im Anschluss an BAG 18.10.2018 – 2 AZR 381/18 – Rn. 14 im Einverständnis des Klägers als Hilfsantrag ausgelegt worden. Für weitere im Wege von Hilfsanträgen angegriffene Kündigungen sei der Gegenstandswert nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG nur dann zu erhöhen, wenn über sie entschieden oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt würden. Aufgrund des Erfolgs des Auflösungsantrags – und damit des Eintritts der auflösenden Bedingung – seien die Feststellungsanträge bzgl. der weiteren Kündigungen vom 25.01.2022 im Verfahren vor dem Arbeitsgericht nicht zur Entscheidung angefallen. Es sei auch anders als im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht erstinstanzlich kein Vergleich geschlossen worden, der diese Anträge miterfasst hätte.

Der Beklagten wurde bis zum 17.10.2023 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben; sie äußerte sich nicht. Dem Klägervertreter wurde der Wertfestsetzungsbeschluss vom 19.06.2023 am 20.06.2023 zugestellt. Auch wurde er am Beschwerdeverfahren beteiligt. Weder von ihm noch vom Kläger ist eine Stellungnahme erfolgt.

II.

Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hatte keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist statthaft.

a) Für den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts bestimmt sich der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG grundsätzlich nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist nach § 32 Abs. 1 RVG die Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. Dementsprechend räumt § 32 Abs. 2 S. 1 RVG dem Rechtsanwalt aus eigenem Recht das Recht ein, Wertfestsetzung zu beantragen. Der subsidiäre Weg nach § 33 RVG steht dem Rechtsanwalt nur offen, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen oder es an einem solchen Wert fehlt (vgl. BAG, Beschluss vom 30.11.1984 – 2 AZN 572/82 (B) – unter B I.1 der Gründe zur Vorgängerbestimmung; BGH, Beschluss vom 26.04.2023 – VIII ZR 136/22 – Rn. 9; LAG Hamburg Beschluss vom 16.9.2022 – 7 Ta 19/22 – Rn. 12; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 41 ff).

Danach hätte das Arbeitsgericht den Antrag des Beklagtenvertreters, „den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren I. Instanz festzusetzen“, als Antrag nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG auslegen (vgl. hierzu BAG, Beschluss vom 30.11.1984 – 2 AZN 572/82 (B) – unter B I.1 der Gründe zur Vorgängerbestimmung) und den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert i. S. d. § 63 Abs. 2 GKG festsetzen müssen. Denn im vorliegenden Rechtsstreit wurden infolge der Entscheidung mit Urteil vom 16.08.2022 Gerichtsgebühren ausgelöst. Da sich die anwaltliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf die Vertretung der Beklagten im Kündigungsschutzverfahren mit den dort gestellten Anträgen beschränkt hat, war daneben nicht noch eine Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG in Betracht zu ziehen.

b) Demgegenüber hat das Arbeitsgericht einen Wertfestsetzungsbeschluss nach § 33 Abs. 1 RVG erlassen.

Zwar nennt der angefochtene Beschluss keine Rechtsgrundlage für die Wertfestsetzung. Die Formulierung „Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit“ deutet jedoch darauf hin, dass das Arbeitsgericht nicht den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert nach § 32 Abs. 1 RGV i. V. m. § 63 Abs. 2 GKG, den § 3 Abs. 1 GKG als Streitwert bezeichnet, sondern den Gegenstandswert nach § 33 Abs. 1 RVG festgesetzt hat (vgl. in diesem Sinne auch LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.11.2022 – 26 Ta (Kost) 6057/22 -). Auch die in der Rechtsmittelbelehrung genannte zweiwöchige Beschwerdefrist findet sich nur in § 33 Abs. 3 S. 3 RVG, während für die Beschwerdefrist nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 1 S. 3 GKG die in § 63 Abs. 3. S. 3 GKG bestimmte Frist maßgeblich ist und sechs Monate beträgt.

c) Die Beschwerde des Beklagtenvertreters, die sich gegen diesen Beschluss des Arbeitsgerichts nach § 33 Abs. 1 RVG richtete, ist deshalb als Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG auszulegen. Sie ist aber nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung statthaft. Denn verlautbart das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form oder liegt ein Verfahrensfehler des Gerichts vor, der – bei objektiver Betrachtungsweise – die von der Entscheidung Betroffenen in Unsicherheit über die Art des zulässigen Rechtsmittels versetzen, steht ihnen sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch dasjenige, das bei einer in der richtigen Form ergangenen Entscheidung zulässig wäre (vgl. BAG, Urteil vom 26.03.1992 – 2 AZR 443/91 – unter II. 2. b) der Gründe; BGH, Beschluss vom 03.11.1998 – VI ZB 29/98 unter II. 2. b) bb) der Gründe). Entscheidet ein Gericht also nach § 33 RVG statt nach § 32 RVG oder umgekehrt, stehen dem Beschwerdeführer sowohl die Beschwerde nach § 33 Abs. 3 S. 1 RVG als auch die Beschwerde nach § 32 Abs. 2. S. 1 RVG i. V. m. § 68 GKG zu (vgl. auch Holthau in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht 4. Auflage, Edition 3 2023, Stichwort „Streitwert“ Rn. 30).

2. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig.

a) Die Beschwerde ist in der gesetzlichen Form und Frist bei dem dafür zuständigen Arbeitsgericht eingelegt worden, § 33 Abs. 3 S. 1 und 3 RVG i. V. m. § 569 ZPO. Gegen den am 20.06.2023 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einen am 03.07.2023 beim Arbeitsgericht Regensburg eingegangenen Schriftsatz eingereicht, der den angefochtenen Beschluss bezeichnet sowie die Erklärung enthalten hat, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt werde.

b) Der Beschwerdewert übersteigt den gem. § 33 Abs. 1 S. 1 RVG erforderlichen Wert von 200,00 €. Der erstrebte Wert von 21.060,00 € würde gegenüber dem vom Arbeitsgericht festgesetzten Wert von 10.530,00 € zu einer um mehr als 200,00 € höheren anwaltlichen Gesamtvergütung führen.

3. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Der Wert für die Gerichtsgebühren (Streitwert), der gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Beklagtenvertreters maßgebend ist, ist gem. § 63 Abs. 2 GKG auf 10.530,00 € festzusetzen.

a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).

b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2018, abgedruckt in NZA 2018, 497 ff.; ebenso LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe, LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.). Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.

c) Nach Ziff. I Nr. 20 i. V. m. Nr. 21.3 Streitwertkatalog 2018 wird – wenn mehrere Kündigungen streitgegenständlich sind – die erste Kündigung mit der Vergütung für ein Vierteljahr bewertet, es sei denn, unter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung ist nur der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit. Die erste Kündigung ist stets die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt, auch wenn sie später ausgesprochen und später angegriffen wird. Für die Folgekündigungen ist jeweils die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal die Vergütung für ein Vierteljahr anzusetzen. Nach Ziff. I Nr. 21.1 Streitwertkatalog 2018 ist eine außerordentliche Kündigung, die hilfsweise als ordentliche erklärt wird (einschließlich ihrer Umdeutung nach § 140 BGB), höchstens mit der Vergütung für ein Vierteljahr zu bewerten, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Schreiben erklärt werden. Diese Grundsätze für die Wertfestsetzung bei mehreren Kündigungen rechtfertigen sich aus der Überlegung, dass nach der (erweiterten) punktuellen Streitgegenstandstheorie jeder Feststellungsantrag, der sich auf eine konkrete Kündigung bezieht, einen eigenen Streitgegenstand darstellt, es andererseits bei allen Anträgen um wirtschaftlich das gleiche Ziel geht, nämlich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus (GMP/Künzl, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 12 Rn. 108; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.11.2019 – 26 Ta (Kost) 6086/19 – Rn. 5 ff.; vom 05.08.2022 – 26 Ta (Kost) 6047/22 – Rn. 20 ff.).

Stehen mehrere Kündigungen im Streit und macht die klagende Partei ihre Unwirksamkeit in einem Verfahren gerichtlich geltend, ist für die Wertfestsetzung weiter zu ermitteln, ob und welche Kündigungsschutzanträge als Haupt- oder als unechte Hilfsanträge gestellt sind (zur Antragstellung vgl. Niemann, Antragstellung und Tenorierung im Kündigungsschutzprozess, NZA 2019, 65 ff.; zum Antragsverständnis bei mehreren Kündigungsschutzanträgen: BAG, Urteil vom 21.11.2013 – 2 AZR 598/12 – Rn. 18 ff., 23.10.2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 63 und 8.10.2018 – 2 AZR 374/18 – Rn. 14; zur Hinweispflicht zur Klärung des Verhältnisses von Haupt- und Hilfsantrag: Greger In Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 139 ZPO, Rn. 15). Denn ein hilfsweise geltend gemachter Kündigungsschutzantrag ist nach § 45 Abs. 1 S. 2 GKG mit dem Hauptantrag nur zusammenzurechnen, soweit über ihn eine Entscheidung ergeht (BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 2 AZR 304/15 – Rn.30, zit. BeckRS 2016, 67910) und prozessrechtlich ergehen durfte (vgl. BAG, Urt. vom 10.12.2020 – 2 AZR 308/20 – Rn. 9: Verstoß gegen § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO bei Abweisung des unechten Hilfsantrags nach Erfolglosigkeit des Hauptantrags; BGH, Beschluss vom 14.04.1999 – IV ZR 253/98 -; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.05.2021 – 26 Ta (Kost) 6058 -) oder er durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 S. 2 GKG.

d) In Anwendung dieser Grundsätze ist die erste Kündigung die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 27.10.2021, die mit einem Vierteljahreseinkommen des Klägers i. H. v. 10.530,00 € zu bewerten ist. Die zweite Kündigung ist die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 25.01.2022, deren zwischen den Beendigungszeitpunkten 27.10.2021 und 25.01.2022 liegende Entgeltdifferenz eine weitere Vergütung für ein Vierteljahr i. H. v. 10.530,00 € ausmacht.

Nach § 45 Abs. 1 S. 2 GKG waren die beiden Kündigungsschutzanträge jedoch nicht zusammen zu rechnen. Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag gegen die Kündigung vom 25.01.2022 als Hilfsantrag ausgelegt und über ihn ausweislich der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils nicht entschieden.

Der aus § 45 Abs. 1 S. 2 GKG folgende Wert ist auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend (vgl. BAG, Beschluss vom 30.08.2011 – 2 AZR 668/10 (A) -). Hierfür spricht bereits der Wortlaut von § 23 Abs. 1 S. 1 RVG, der für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren auf die für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften und damit auf § 45 GKG verweist, soweit sich die Gerichtsgebühren – wie bei dem hier vorliegenden Kündigungsschutzverfahren – nach dem Wert richten (vgl. MüKo-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 5 Rn. 7). Mit dieser Verweisung wird die Absicht des Gesetzgebers deutlich, nicht jedweden anwaltlichen bzw. richterlichen Vorbereitungsaufwand wertmäßig zu berücksichtigen, sondern nur den erhöhten Arbeitsaufwand bei einer Entscheidung über den Hilfsantrag (vgl. Toussaint/Elzer, 53. Aufl. 2023, GKG § 45 Rn. 1 unter Bezugnahme auf die Normgeschichte), wobei dies nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG zudem auf den Wert des höheren Anspruchs beschränkt wird, wenn Haupt- und Hilfsanspruch denselben Gegenstand betreffen, also wirtschaftliche Identität vorliegt. Den hiervon abweichenden Auffassungen (vgl. insb. Müller in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 2. Auflage 2022, § 45 GKG Rn. 17 m. w. Nachw.), die zugunsten der tatsächlich erbrachten anwaltlichen Leistungen auf das Entscheidungserfordernis nach § 45 Abs. 1 S. 2 GKG verzichten wollen, steht nicht nur der klare Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 1 RVG entgegen, sondern auch Umstand, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der Kontroverse § 45 Abs. 1 S. 2 GKG seine heutige Form durch das KostRMoG vom 05.05.2004 (BGBl. I 718) gegeben hat. Insoweit ergibt sich ein klarer gesetzgeberischer Wille im Sinne der vertretenen Auslegung (vgl. GK-ArbGG/Schleusener, Nov. 2020, § 12 ArbGG Rn. 172).

III.

Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

Eine Beschwerde an das Bundesarbeitsgericht findet nicht statt, § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1. S. 5, 66 Abs. S. 3 GKG.

 

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