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Wirksamkeit einer Abmahnung

Neutralitätsgebot vs. Religionsausübung im Arbeitsrecht

Das Spannungsfeld zwischen individuellen Grundrechten und den Pflichten im Arbeitsverhältnis bildet einen zentralen Diskussionspunkt im Arbeitsrecht. Besonders brisant wird diese Auseinandersetzung, wenn es um die Ausübung von Glaubens- und Bekenntnisfreiheit am Arbeitsplatz geht. Die Frage, inwieweit Arbeitnehmer ihre religiösen Überzeugungen im beruflichen Umfeld ausleben dürfen, ist dabei von großer Bedeutung. Sie berührt nicht nur das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch das Neutralitätsgebot des Staates, insbesondere in öffentlichen Institutionen wie Schulen.

Hierbei muss die Glaubensfreiheit der Beschäftigten gegen die Interessen des Arbeitgebers und die Rechte Dritter, wie beispielsweise Schüler und deren Eltern, abgewogen werden. Die Wirksamkeit einer Abmahnung, die in diesem Kontext ausgesprochen wird, kann daher ein komplexes rechtliches Problem darstellen, das eine sorgfältige juristische Bewertung erfordert.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ca 3699/15  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die Abmahnung einer Lehrerin wegen der Thematisierung religiöser Inhalte im Sportunterricht wurde als rechtmäßig bestätigt, da sie die negative Glaubensfreiheit der Schüler und das staatliche Neutralitätsgebot verletzt hat.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Rechtmäßigkeit der Abmahnung: Die Abmahnung enthält keine unrichtigen Tatsachen und basiert auf einer korrekten rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Lehrerin.
  2. Glaubens- und Bekenntnisfreiheit: Die Lehrerin kann sich zwar auf ihr Grundrecht berufen, jedoch muss dieses Recht im schulischen Kontext hinter das Neutralitätsgebot und die Rechte der Schüler zurücktreten.
  3. Eingriff in Grundrechte: Die Abmahnung greift in die Glaubensfreiheit der Lehrerin ein, ist aber durch kollidierende Verfassungsrechte gerechtfertigt.
  4. Negative Glaubensfreiheit der Schüler: Die Schüler haben das Recht, von religiösen Bekundungen fernzubleiben, die nicht ihrem Glauben entsprechen.
  5. Recht der Eltern: Eltern haben das Recht, ihre Kinder vor Einflüssen zu schützen, die ihren eigenen Glaubensüberzeugungen widersprechen.
  6. Staatliche Neutralitätspflicht: Der Staat muss in der Schule weltanschaulich-religiöse Neutralität wahren und darf sich nicht mit bestimmten Glaubensrichtungen identifizieren.
  7. Verletzung staatlicher Neutralität: Die Lehrerin hat durch ihr Verhalten die staatliche Neutralität gefährdet und den Schulfrieden gestört.
  8. Pflichten der Lehrkraft: Lehrkräfte müssen ihre persönlichen Glaubensüberzeugungen zurückhalten und dürfen im Unterricht nicht für diese werben.

Abmahnung im Arbeitsrecht: Ein komplexer Fall

Im Zentrum des rechtlichen Disputs steht eine Lehrerin, die während des Sportunterrichts wiederholt religiöse Inhalte thematisierte. Dieses Verhalten führte zu einer Abmahnung durch den Arbeitgeber, die die Lehrerin als ungerechtfertigt ansah und deren Entfernung aus ihrer Personalakte forderte. Die rechtliche Auseinandersetzung dreht sich um die Frage, inwieweit die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit einer Lehrkraft im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit an einer öffentlichen Schule ausgeübt werden darf und wie dies mit dem Neutralitätsgebot des Staates und den Rechten der Schüler und deren Eltern in Einklang zu bringen ist.

Glaubensfreiheit vs. staatliche Neutralität: Die rechtliche Gratwanderung

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall liegt in der Abwägung zwischen der individuellen Glaubensfreiheit der Lehrkraft und dem staatlichen Auftrag, eine neutrale Bildungsumgebung zu gewährleisten. Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ist ein im Grundgesetz verankertes Recht, das jedoch dort seine Grenzen findet, wo die Rechte anderer und übergeordnete staatliche Pflichten berührt werden. Im schulischen Kontext bedeutet dies, dass Lehrkräfte zwar ihre Religion ausüben dürfen, jedoch nicht in einer Weise, die die negative Glaubensfreiheit der Schüler beeinträchtigt oder das Neutralitätsgebot des Staates verletzt.

Gerichtsentscheidung: Die Abmahnung als rechtliches Instrument

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Abmahnung rechtmäßig war. Es stellte fest, dass die Lehrerin mit ihrem Verhalten die Grenzen der positiven Glaubensfreiheit überschritten hatte, indem sie versuchte, die Schüler für ihre religiösen Überzeugungen zu gewinnen. Dies beeinträchtigte die negative Glaubensfreiheit der Schüler und das Recht der Eltern auf eine neutrale Erziehung ihrer Kinder. Darüber hinaus wurde das staatliche Neutralitätsgebot als verletzt angesehen, da die Lehrerin in ihrer Funktion als Staatsbedienstete agierte und somit eine neutrale Position einnehmen muss.

Auswirkungen und Fazit: Neutralität im Bildungswesen

Die Auswirkungen dieses Urteils sind weitreichend. Es bestätigt die Bedeutung des Neutralitätsgebots des Staates und stärkt die Rechte der Schüler und Eltern in Bezug auf eine weltanschaulich neutrale Bildung. Für Lehrkräfte bedeutet es, dass sie ihre persönlichen religiösen Überzeugungen im Unterricht zurückhalten müssen, um die Neutralität zu wahren und alle Schüler unabhängig von deren religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund gleich zu behandeln.

Das Fazit des Urteils ist, dass die Abmahnung als ein rechtmäßiges Mittel zur Durchsetzung des Neutralitätsgebots und zum Schutz der Rechte der Schüler und Eltern angesehen wird. Es verdeutlicht die Grenzen der Glaubensfreiheit im beruflichen Kontext des öffentlichen Dienstes und betont die Verantwortung der Lehrkräfte, eine neutrale Lernumgebung zu schaffen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Rolle spielt das Neutralitätsgebot des Staates im Konflikt zwischen individueller Glaubensfreiheit und schulischer Bildungsaufgabe?

Das Neutralitätsgebot des Staates spielt eine entscheidende Rolle im Konflikt zwischen individueller Glaubensfreiheit und schulischer Bildungsaufgabe. Es stellt sicher, dass der Staat und seine Institutionen, einschließlich Schulen, keine bestimmte Religion oder Weltanschauung bevorzugen oder benachteiligen. Dieses Prinzip ist in der deutschen Verfassung verankert und wird durch verschiedene Gerichtsentscheidungen interpretiert und angewendet.

Die Glaubensfreiheit ist in Artikel 4 des Grundgesetzes geschützt und gewährleistet die Freiheit zur ungestörten Religionsausübung auch in der Schule. Dieses Recht ist umfassend zu verstehen und bezieht sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten.

Das Neutralitätsgebot des Staates gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes verpflichtet Lehrerinnen und Lehrer, im Unterricht eine neutrale Position einzunehmen und keine politischen oder religiösen Positionen zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Sie sind jedoch auch verpflichtet, für die Menschenrechte und damit gegen Rassismus und Rechtsextremismus einzutreten.

In der Praxis kann es jedoch zu Konflikten zwischen dem Neutralitätsgebot und der Glaubensfreiheit kommen. Beispielsweise kann die Frage, ob Lehrerinnen und Lehrer in der Schule ihre Religion durch das Tragen religiöser Symbole ausüben dürfen, zu Kontroversen führen. Ebenso kann die Frage, ob Schülerinnen und Schüler in der Schule außerhalb der Unterrichtszeit beten dürfen, zu Konflikten führen.

In solchen Fällen müssen die Gerichte eine Abwägung zwischen dem Neutralitätsgebot und der Glaubensfreiheit vornehmen. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel die Wahrung des Schulfriedens und die Rechte anderer Schülerinnen und Schüler.

Die Gerichte haben in verschiedenen Entscheidungen klargestellt, dass eine Privilegierung einer bestimmten Form der Religionsausübung in der Schule nicht stattfinden darf. Äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen können zur Wahrung des Schulfriedens untersagt werden, aber nur, wenn dies für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich unterschiedslos geschieht.

Die Anwendung und Auslegung des Neutralitätsgebots in der Praxis kann komplex und herausfordernd sein. Es erfordert eine sorgfältige Abwägung der Rechte und Interessen aller Beteiligten und eine ständige Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Bedingungen und Normen.


Das vorliegende Urteil

Arbeitsgericht Nürnberg – Az.: 3 Ca 3699/15 – Endurteil vom 23.11.2015

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 5.300,–.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Abmahnung.

Die am 18.03.1952 geborene, ledige Klägerin ist seit 15.09.1980 zunächst in Teilzeit und ab 12.10.1981 in Vollzeit als Lehrkraft bei der Beklagten beschäftigt. Das monatliche Bruttogehalt betrug zuletzt ca. € 5.300,-. Die Klägerin ist Lehrkraft für Biologie und Sport und hat zuletzt ausschließlich Sportunterricht erteilt.

Mit Schreiben vom 20.01.2015 (Bl. 10 ff. d. A.) hat die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung erteilt. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2014 zu den ihr gegenüber erhobenen Vorwürfen Stellung genommen hatte, ist zwischen den Parteien im Kern unstreitig, dass die Klägerin im Rahmen einer Sportstunde am 17.10.2014 sowie in weiteren Sportstunden zu einem späteren Zeitpunkt mehrfach religiöse Inhalte in ihren Unterricht aufgenommen hat. Auf Nachfrage von Schülern hat die Klägerin am 17.10.2014 unter anderem gegenüber Schülern erklärt, dass Homosexualität eine Sünde sei, dass sie die Sünde verurteile, aber nicht den Sünder. Um die Schüler von der Richtigkeit der benannten Aussage zu überzeugen, hat die Klägerin in der folgenden Sportunterrichtsstunde mehrere Schriftstellen der Bibel den Schülern ausgehändigt.

Mit ihrer am 10.07.2015 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Abmahnung und begehrt festzustellen, dass diese aus der Personalakte zu entfernen ist.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr Verhalten von ihrer Glaubensfreiheit gedeckt sei. Sie sei ihrem Glauben verpflichtet und habe daher nicht anders handeln können. Die Beklagte verkenne insbesondere, dass sie von den Schülern gefragt worden sei, darauf habe sie antworten dürfen. Ihr Verhalten stünde in Einklang mit ihrem auf die Verfassung geleisteten Eid. Die Gendermainstreaming-Politik sei abzulehnen. Ergänzend wird Bezug genommen auf die umfangreiche Stellungnahme der Klägerin (Bl. 78 ff. d. A.).

Die Klägerin beantragt, die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 20.01.2015 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften der öffentlichen Verhandlungen vom 10.08.2015 und vom 23.11.2015 verwiesen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

i. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG eröffnet.

Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Nürnberg ergibt sich aus § 48 Abs. 1 a Ar-bGG sowie aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 18 ZPO. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen im Übrigen nicht.

II.

Die Klage ist unbegründet.

1. Ein Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung vom 20.01.2015 aus ihrer Personalakte kann sich sowohl aus §§ 611, 241 Abs. 2 BGB als auch aus dem quasi-negatorischen Beseitigungsanspruch entsprechend der §§ 1004, 242 BGB ergeben (BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 675/07). Bei der in § 314 Abs. 2 BGB gesetzlich verankerten Abmahnung handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rügefunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen. Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung alternativ formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 675/07).

2. Hiernach besteht kein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 20.01.2015 aus der Personalakte, weil die Abmahnung weder unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält noch auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Klägerin beruht. Das unstreitige Verhalten der Klägerin wurde rechtlich zutreffend durch Ausspruch der streitgegenständlichen Abmahnung sanktioniert.

Die Klägerin kann sich auf den Schutz ihres Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit berufen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Die Abmahnung vom 20.01.2015 greift in den Schutzbereich des Grundrechts der Klägerin ein. Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin hat im Rahmen der gebotenen Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen aber zurückzutreten.

a. Auf Grundlage des Vortrages der Klägerin hat die Kammer zunächst keinen Zweifel, dass die Klägerin sich hinsichtlich des streitgegenständlichen Verhaltens auf ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit berufen kann (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Die Grundrechtsberechtigung der Klägerin wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt. Der Staat bleibt zudem auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn er sich zur Aufgabenerfüllung zivilrechtlicher Instrumente bedient, wie das hier durch den Abschluss eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages der Fall ist. Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten sowie für seinen Glauben zu werben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben (vgl. insgesamt BVerfGE v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10).

b. Die Kammer hat auch keinen Zweifel daran, dass die streitgegenständliche Abmahnung für die Klägerin in schwerwiegender Weise in den Schutzbereich der grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 4 GG eingreift.

c. Der Eingriff in den Schutzbereich der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit ist aber durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehene Grundrechte können durch kollidierendes Verfassungsrecht, nämlich durch Grundrechte Dritter oder durch sonstige verfassungsrechtlich geschützte Güter, beschränkt werden (BVerfGE v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10).

Der für die Klägerin streitenden positiven Glaubensfreiheit stehen die Grundrechte der negativen Glaubensfreiheit der Schulkinder und das Recht der Eltern zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht ebenso entgegen wie das Verfassungsgut der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates.

i. Die Schulkinder sind durch die von der Klägerin getätigten in ihrer durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten negativen Glaubensfreiheit betroffen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die negative wie die positive Äußerungsform der Glaubensfreiheit gleichermaßen schützt, gewährleistet auch die Freiheit, religiösen Bekundungen eines nicht geteilten Glaubens fern zu bleiben. Art. 4 GG überlässt es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Bekundungen er anerkennt und welche er ablehnt. Der Staat ist dabei gerade weil er den Bereich der Schule in Vorsorge genommen und nicht der Gesellschaft in Selbstorganisation überlassen hat, in besonderem Maße verpflichtet, die freiheitssichernde Wirkung der Gewährleistungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu schützen; dies bekräftigt Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV, wonach es verboten ist, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen (BVerfG v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02).

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist zwar beispielsweise das Tragen eines Kopftuchs nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen. Wenn allerdings Lehrkräfte, wie vorliegend die Klägerin, verbal für ihre religiöse Überzeugung oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich beeinträchtigt.

ii. Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen. Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl. insgesamt BVerfGE v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10).

Aus diesen Vorgaben ist wiederum ein Anspruch der Eltern abzuleiten, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die verbal für ihre religiöse Überzeugung oder für ihren Glauben werben und dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigt.

iii. Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der im Rahmen der Vorgaben des Art. 59 Abs. 2 BayEUG unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Betätigung der positiven Glaubensfreiheit der Klägerin entgegen. Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist. Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten poli tischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden. Dies gilt auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren. Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist beispielsweise für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte – unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist – durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität. Grenzen sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn durch dem Staat zurechenbares Handeln von Lehrkräften eine hinreichend konkrete Gefahr für eine Verletzung der staatlichen Neutralität oder den Schulfrieden belegbar ist (vgl. insgesamt BVerfGE v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10).

d. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass das streitgegenständliche Verhalten der Klägerin die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Schulkinder, das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und das durch den Staat zu achtende Neutralitätsgebot in derart schwerwiegender Weise konkret verletzt hat, dass deren Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit hinter diesen zurücktreten muss. Die Klägerin hat unstreitig im Rahmen eines Sportunterrichts und außerhalb jeglicher Verpflichtungen zur Erteilung des Lehrplans versucht, die betroffenen Schüler von der Richtigkeit ihres Glaubens zu überzeugen. Dies ist mit den der Klägerin als Lehrkraft obliegenden Pflichten unvereinbar.

e. Im Ergebnis gilt nichts anderes für das in Betracht kommende allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und die ihr als Deutsche zustehende Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Auch diesen Grundrechten der Klägerin stehen die negative Glaubensfreiheit der betroffenen Kinder nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 GG und die religiösweltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates entgegen und verdrängen die vorgenannten Grundrechte.

Daher war die Klage abzuweisen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten begründet sich gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO mit dem Unterliegen der Klägerin.

Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzen. Das Gericht hat insoweit ein Bruttomonatsgehalt in Ansatz gebracht.

Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung war gemäß § 64 Abs. 3 a ArbGG in den Tenor aufzunehmen. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG zulässig. Es liegen keine Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG vor.

 

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