Skip to content

Zweifel an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Erschütterung des Beweiswertes

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bleibt trotz zeitlicher Nähe zur Kündigung Beweiswert

Das Gericht wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln zurück, das der Klägerin Entgeltfortzahlung für den Zeitraum ihrer Arbeitsunfähigkeit zusprach. Die Beklagte hatte die Glaubwürdigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund verschiedener Umstände angezweifelt, konnte jedoch den hohen Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung nicht erschüttern. Die Entscheidung bestätigt, dass der Arbeitnehmer durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Regel den Beweis für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erbringt, es sei denn, der Arbeitgeber kann stichhaltige Zweifel vorbringen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 Sa 728/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts Köln, das der Klägerin Entgeltfortzahlung zusprach.
  • Die Beklagte konnte den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttern.
  • Die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gilt in der Regel als ausreichender Beweis für die Arbeitsunfähigkeit.
  • Die vom Arbeitgeber vorgetragenen Zweifel, u.a. wegen der zeitlichen Nähe zur Kündigung und der Diagnose „Migräne“, wurden als nicht ausreichend betrachtet.
  • Auch die Tatsache, dass die Klägerin am Tag vor ihrer Krankmeldung persönliche Gegenstände aus dem Büro mitnahm, begründete keine ernsthaften Zweifel an ihrer Arbeitsunfähigkeit.
  • Die ärztliche Bescheinigung, die auf Aussagen der Klägerin beruhte, wurde nicht infrage gestellt, obwohl die Beklagte keine Anspannungen am Arbeitsplatz wahrnahm.
  • Soziale Medienaktivitäten der Klägerin führten nicht zur Erschütterung des Beweiswertes ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
  • Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls, und eine Revision wurde nicht zugelassen.

Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz, dass eine vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert für die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers hat. Dieser Beweiswert kann jedoch durch den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen erschüttert werden.

Hierfür muss der Arbeitgeber konkrete Tatsachen darlegen, die begründete Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung aufkommen lassen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Arbeitsunfähigkeit zeitlich auffällig nahe an der Kündigung oder vor Urlaubsbeginn liegt oder wenn die attestierte Erkrankung Unvereinbarkeiten mit anderen ärztlichen Befunden oder dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitnehmers aufweist.

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits am Landesarbeitsgericht Köln stand die Frage, ob eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die unmittelbar nach Erhalt einer Kündigung ausgestellt wurde und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses reichte, ihren Beweiswert behält. Die Beklagte, ein Arbeitgeber, zweifelte die Echtheit der Erkrankung ihrer ehemaligen Mitarbeiterin an, da die Arbeitsunfähigkeit exakt für den Zeitraum zwischen der Kündigungsmitteilung und dem letzten Arbeitstag bescheinigt wurde.

Streit um die Glaubwürdigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Die Auseinandersetzung begann, als die Beklagte die Entgeltfortzahlung für die Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin verweigerte. Der Arbeitgeber vermutete, dass die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht sein könnte, um eine Entgeltfortzahlung für die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses zu erhalten. Besonders verdächtig erschien die Tatsache, dass die Arbeitsunfähigkeit direkt nach einer Kündigung einsetzte und genau bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses andauerte. Zudem wurden weitere Indizien vorgebracht, wie die Mitnahme persönlicher Gegenstände aus dem Büro vor Ankündigung der Krankheit und Aktivitäten in sozialen Medien, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit nähren sollten.

Die rechtliche Herausforderung der Beweisführung

Die juristische Kernfrage dieses Falles drehte sich um den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die Möglichkeiten eines Arbeitgebers, diesen zu erschüttern. Nach geltendem Recht gilt eine ärztlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich als hinreichender Beweis für das Vorliegen einer Erkrankung, die den Arbeitnehmer an der Erbringung seiner Arbeitsleistung hindert. Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert allerdings erschüttern, indem er plausible Gründe vorbringt, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen.

Gerichtliche Bewertung der vorgebrachten Zweifel

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied, dass die von der Beklagten vorgebrachten Indizien nicht ausreichten, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Insbesondere wurde betont, dass eine zeitliche Übereinstimmung von Kündigung und Arbeitsunfähigkeit allein keinen hinreichenden Grund darstellt, um von einer vorgetäuschten Krankheit auszugehen. Auch die weiteren von der Beklagten angeführten Umstände, wie das Verhalten der Klägerin vor und nach der Krankschreibung, reichten nicht aus, um den gesetzlich verankerten Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern.

Gründe für die richterliche Entscheidung

Das Gericht stützte seine Entscheidung darauf, dass die Klägerin durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den gesetzlichen Beweis für ihre Erkrankung erbracht hatte. Die Beklagte konnte keine ausreichend stichhaltigen Beweise vorlegen, die den Beweiswert der Bescheinigung ernsthaft in Frage stellten. Zudem wurde hervorgehoben, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, bei begründeten Zweifeln ein medizinisches Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einzuholen, was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist.

Das Landesarbeitsgericht Köln wies die Berufung der Beklagten zurück und bestätigte damit die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln zur Entgeltfortzahlung an die Klägerin. Die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung behielt ihren vollen Beweiswert.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie kann ein Arbeitgeber Zweifel an der Echtheit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung äußern?

Ein Arbeitgeber in Deutschland, der Zweifel an der Echtheit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) hat, kann verschiedene Schritte unternehmen, um diese Zweifel zu äußern und zu überprüfen. Hier sind die wichtigsten Maßnahmen:

Direktes Gespräch suchen

Der Arbeitgeber sollte zunächst das direkte Gespräch mit dem Arbeitnehmer suchen. Obwohl der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, Auskünfte zur Krankheit zu erteilen, können oft schon aus der direkten Reaktion viele Informationen abgeleitet werden.

Frühzeitige Vorlage einer AU-Bescheinigung verlangen

Der Arbeitgeber kann von dem Arbeitnehmer verlangen, die AU-Bescheinigung früher als gesetzlich vorgesehen vorzulegen. Dies ist nach § 5 Abs. 1a S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 EFZG möglich.

Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse

Bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern kann der Arbeitgeber von der Krankenkasse verlangen, dass diese eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Dies ist jedoch nur bei begründeten Zweifeln möglich und muss unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit erfolgen.

Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern

Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern, indem er Tatsachen darlegt und beweist, die geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Dies kann beispielsweise durch das Vorbringen von Indizien geschehen, die gegen die Glaubwürdigkeit der Krankschreibung sprechen.

Rechtliche Konsequenzen ableiten

Wenn der Arbeitgeber die Richtigkeit eines ärztlichen Attests anzweifelt und den Beweiswert erschüttern kann, hat er die Möglichkeit, arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen, wie beispielsweise die Verweigerung der Entgeltfortzahlung.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Arbeitgeber nicht den Beweis der Arbeitsfähigkeit erbringen muss, sondern lediglich den Beweiswert der festgestellten Arbeitsunfähigkeit erschüttern kann. Zudem sollte der Arbeitgeber immer gut abwägen, ob er gegen eine AU vorgeht, da es sich um ein sensibles Thema handelt.

Welche Beweislast trägt der Arbeitnehmer bei der Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen?

Der Arbeitnehmer trägt die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfall. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer nicht nur die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch deren konkreten Beginn und Ende nachweisen muss.

Wenn ein Arbeitnehmer nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums erneut arbeitsunfähig wird, muss er beweisen, dass die neue Erkrankung erst nach dem Ende der ursprünglichen Krankheit eingetreten ist, um einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für weitere sechs Wochen geltend machen zu können.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, wann seine frühere Erkrankung geendet hat und wann die darauf folgende andere Erkrankung begonnen hat.

Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war, bevor die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit führt. Dies ist dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder zumindest arbeitsfähig war, auch wenn dies nur für wenige Stunden außerhalb der Arbeitszeit war.

Sollte der Arbeitgeber substantiierte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben und Indizien vorbringen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, muss der Arbeitnehmer den Beginn der neuen krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung konkret darlegen und beweisen.

Welche rechtlichen Folgen ergeben sich aus der erfolgreichen Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Wenn der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgreich erschüttert, hat dies rechtliche Folgen für den Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer muss dann den Beweis erbringen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig krank ist. Gelingt ihm dies nicht, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern.

Die Erschütterung des Beweiswertes bedeutet, dass der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegen und beweisen kann, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Arbeitsunfähigkeit zeitlich genau mit der Kündigungsfrist übereinstimmt oder wenn es Anzeichen gibt, dass die Krankmeldung strategisch erfolgt ist, etwa nach einer abgelehnten Urlaubsanfrage.

Wenn der Arbeitgeber solche Umstände nachweisen kann, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Dies kann unter Umständen durch die Vernehmung des behandelnden Arztes erfolgen, nachdem der Arbeitnehmer diesen von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat.

Sollte der Arbeitnehmer den Beweis nicht erbringen können, hat er keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der behaupteten Arbeitsunfähigkeit. Darüber hinaus kann der Arbeitgeber auch weitere arbeitsrechtliche Schritte einleiten, wie zum Beispiel eine Abmahnung oder im schlimmsten Fall eine Kündigung, wenn sich herausstellt, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hat.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  1. § 611a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) – Definition des Arbeitsvertrags: Legt die rechtliche Grundlage und die wesentlichen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses fest, einschließlich der Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
  2. § 626 BGB – Fristlose Kündigung: Regelt die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund für beide Vertragsparteien und setzt voraus, dass das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.
  3. §(Kündigungsschutzgesetz) – Sozial ungerechtfertigte Kündigungen: Schützt Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen und legt fest, unter welchen Bedingungen eine Kündigung als sozial gerechtfertigt gilt.
  4. §(Bundesurlaubsgesetz) – Urlaubsanspruch: Regelt den Anspruch von Arbeitnehmern auf bezahlten Jahresurlaub und legt die Mindestdauer des Urlaubs fest.
  5. §(Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) – Rechtsbehelfe: Gibt Betroffenen von Diskriminierung das Recht, sich zu beschweren und gegebenenfalls Klage zu erheben, und legt die möglichen Rechtsbehelfe fest.

Diese Paragraphen und Gesetze stellen eine grundlegende rechtliche Rahmenstruktur dar, die in vielen arbeitsrechtlichen Urteilen relevant sein kann. Ihre spezifische Anwendung hängt vom Einzelfall ab.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 8 Sa 728/22 – Urteil vom 16.03.2023

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.09.2022 – 17 Ca 2239/22 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 22.09.2022 Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von Entgeltfortzahlung für den Monat Januar 2022 in Höhe von 1.371,43 Euro brutto nebst Zinsen sowie zur Zahlung einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 147,69 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils vom 22.09.2022 Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 29.09.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.10.2022 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Beklagte wendet gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Arbeitsgericht habe der Klage hinsichtlich der geltend gemachten Entgeltfortzahlung zu Unrecht stattgegeben. Denn die Beklagte habe Umstände vorgetragen, aus denen sich Zweifel an der Erkrankung der Klägerin im Zeitraum vom 05.01.2022 bis 17.01.2022 ergäben. Zweifel seien bereits auf Grund der Dauer der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet, die vom 05.01.2022, d.h. zwei Tage nach Übergabe der Kündigung, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17.01.2022 reiche und somit passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecke. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit sei auch vor dem Hintergrund der Diagnose „Migräne“ zweifelhaft, da ein Migräneanfall regelmäßig nur ein bis drei Tage dauere. Erhebliche Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ergäben sich auch daraus, dass die Klägerin am 04.01.2022 ihre I -Tasse, die sie normalerweise in der Teeküche aufbewahrt habe, bereits am 04.01.2022, und somit noch vor der Krankmeldung, mit nach Hause genommen habe und augenscheinlich selbst davon ausgegangen sei, dass sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen werde. Die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung vom 04.02.2022 führe zu einer Verstärkung der Zweifel, da der Klägerin bescheinigt werde, dass sie nach eigenen Angaben bereits seit vier Tagen an schweren Kopfschmerzen litt, obwohl die Klägerin am 03.01.2022 und 04.01.2022 noch zur Arbeit erschienen sei, ohne über Beschwerden zu klagen und entsprechende Beschwerden auf Nachfrage sogar verneint habe. Weitere Zweifel seien begründet, weil die Klägerin am Abend des 04.01.2022 noch ein Video auf I eingestellt habe, in dem sie über Unwohlsein auf Grund einer „Saftkur“, nicht aber über Kopfschmerzen geklagt habe und am gleichen Abend noch einen Chat mit ihren Followern durchgeführt habe. Dafür, dass der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine tatsächliche Erkrankung zu Grunde gelegen habe spreche auch die Aussage der Klägerin gegenüber ihrer Ärztin, wonach die Arbeitsplatzsituation angespannt gewesen sei, obwohl tatsächlich keinerlei Konflikte oder auch nur angespannte Situationen am Arbeitsplatz aufgetreten seien. Angesichts dieser Umstände sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert; weitere Umstände dafür, dass die Klägerin tatsächlich erkrankt gewesen sei, habe diese nicht dargelegt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.09.2022 – 17 Ca 2239/22 – teilweise abzuändern und die Klage hinsichtlich des Urteilstenors zu 1. (Verurteilung zur Zahlung von 1.371,43 Euro brutto an die Klägerin) abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.

Wegen den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung hinsichtlich der geltend gemachten Entgeltfortzahlungsansprüche stattgegeben.

Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 05.01.2022 bis zum 17.01.2022 einen Anspruch auf Zahlung von Entgeltfortzahlung gem. § 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 EFZG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB in Höhe von 1.371,43 Euro brutto, da sie durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass sie ein Verschulden traf.

1. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG v. 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 16, BAGE 169, 117). Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Darum kann der Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit regelmäßig als erbracht angesehen, werden, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 -, Rn. 12, juris m.w.Nw.). Allerdings kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt (BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 -, Rn. 13, juris). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine – unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten – überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind (BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 -, BAGE 175, 358-366, Rn. 14); ernsthafte Zweifel können sich auch aus einer zeitlichen Koinzidenz zwischen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit sowie Beginn und Ende der Kündigungsfrist ergeben (BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 -, BAGE 175, 358-366, Rn. 19).

2. Diesen Grundsätzen folgend hat die Klägerin durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 06.01.2022 den Beweis für ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum erbracht. Die von der Beklagten dargelegten Umstände sind nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

a) Ernsthafte Zweifel an der Erkrankung der Klägerin ergeben sich nicht bereits aus der teilweisen zeitlichen Überschneidung zwischen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit (05.01.2022 bis 17.01.2022) und Kündigungsfrist (02.01.2022 bis 17.01.2022). Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass – anders als in Fällen, in denen die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf der Kündigungsfrist endet und der Arbeitnehmer am folgenden Tag „gesundet“ eine neue Beschäftigung aufnimmt – im Falle der Klägerin gerade keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass sie am 18.01.2022 (wieder) arbeitsfähig war. Die Klägerin hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bis zu 17.01.2022 vor dem Hintergrund erfolgte, dass für den Zeitraum ab 18.10.2022 kein Bedarf für die Ausstellung einer weitergehenden Arbeitsunfähigkeit bestand bzw. insoweit an einem Adressaten fehlte, da sich unmittelbar kein neues Arbeitsverhältnis anschloss und sie auch keine Leistungen der Agentur für Arbeit oder anderer öffentlicher Stellen bezog. Zudem hat sich die Klägerin nicht bereits mit Ausspruch der Kündigung vom 02.01.2022 krankgemeldet, sondern war bis einschließlich 04.01.2022 noch für die Beklagte tätig.

b) Hinreichende Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ergeben sich ferner nicht aus der Diagnose „Migräne“ in Verbindung mit der Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit von 12 Tagen. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass – wie es die Beklagte behauptet – ein Migräneanfall „regelmäßig ein bis drei Tage“ dauert, kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass im Einzelfall nicht auch Anfälle über längere Zeiträume auftreten und einschließlich ihrer Folgewirkungen Arbeitsunfähigkeitszeiten der hier streitgegenständlichen Dauer begründen können. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich insoweit nicht um ein neues Krankheitsbild handelt, sondern die Klägerin, bei der bereits am 10.08.2020 fachärztlich eine gesicherte Migräne mit Aura (Klassische Migräne) diagnostiziert worden war, hinsichtlich der von der Beklagten angegriffenen Diagnose eine längere Krankheitsgeschichte nachweisen konnte.

c) Erhebliche Zweifel sind weiter nicht auf Grund der Tatsache begründet, dass die Klägerin am 04.01.2022 ihre I -Kaffeetasse mit nach Hause genommen hat. Denn die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung plausibel geschildert, dass sie die Tasse mit nach Hause genommen habe, da sie im Laufe des Arbeitsverhältnisses festgestellt habe, dass die Tasse im Büro ungenutzt bleibe, weil sie dort keinen Kaffee konsumiere, und sie ihr zu Hause gefehlt habe. Für die Annahme, dass die Klägerin die Tasse am 04.01.2022 tatsächlich mitgenommen hat, weil sie nicht vorhatte, hiernach noch einmal zu Arbeit zu erscheinen, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

d) Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ergeben sich auch nicht aus der ärztlichen Bescheinigung vom 04.02.2022 bzw. der dortigen Angabe, dass die Klägerin bei Aufsuchen der Praxis am 06.01.2022 bereits seit vier Tagen an schwerer Kopfschmerzsymptomatik gelitten habe, in Verbindung mit der Tatsache, dass die Klägerin am 03.01.2022 und 04.01.2022 ihrer Tätigkeit bei der Beklagten nachgegangen ist, ohne über Beschwerden zu klagen. Denn die Klägerin war, soweit sie vor der Krankschreibung mit bereits bestehenden Kopfschmerzen, die aber die Erbringung ihrer Arbeitsleistung noch zuließen, weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber Kolleginnen oder Kollegen verpflichtet, diese zu offenbaren.

Die ärztliche Bescheinigung vom 04.02.2022 begründet auch vor dem Hintergrund keine Zweifel, dass in ihr eine – von der Beklagten bestrittene – angespannte Arbeitsplatzsituation angegeben wird. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass weder Personalgespräche geführt wurden, es zu keinen offenen Konflikten kam und auch keine anderweitigen angespannten Situationen von der Beklagten wahrgenommen wurden nicht abgeleitet werden, dass sich die Arbeitsplatzsituation für die Klägerin subjektiv nicht als angespannt dargestellt hat. Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung hierzu nachvollziehbar angegeben, sie habe sich, ohne dass hierzu ein Anlass von Dritten begründet worden oder es zu Konflikten gekommen sei, selbst „Stress gemacht“ und „unter Druck gesetzt“, was schließlich, ohne dass sie eine neue Beschäftigung gefunden hatte, zur Eigenkündigung geführt habe. Dass sich solchermaßen inneren Vorgänge, ebenso wie Kopfschmerzen, nicht nach außen manifestieren und der Wahrnehmung von Dritten entziehen, liegt in der Natur der Sache begründet.

e) Schließlich ist auch das am 04.01.2022 auf der Social-Media-Plattform

I gepostete Video der Klägerin nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn das fragliche Video erst am selben Tag produziert worden ist, da die Klägerin am 04.01.2022 – auch wenn sie nach eigenen Angaben schon an Kopfschmerzen litt – unstreitig noch nicht arbeitsunfähig erkrankt war und auch ihrer Tätigkeit bei der Beklagten nachgekommen ist.

2. Der Anspruch beläuft sich der Höhe nach auf rechnerisch unstreitige 1.371,43 Euro brutto.

3. Der Zinsanspruch ist aus den §§ 286 Abs. 1 Satz 1 und 2, Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB begründet.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO; als unterliegende Partei hat die Beklagte die Kosten ihrer Berufung zu tragen.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!