ArbG Berlin, Az.: 54 Ca 12814/16, Urteil vom 23.02.2017
I.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.09.2016 nicht beendet wird.
II.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als wissenschaftlichen Mitarbeiter weiterzubeschäftigen.
III.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
V.
Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 13.600,00 Euro.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die wirksame Beendigung des zwischen ihnen geschlossenen Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger ist seit dem 1. Februar 1987 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern als wissenschaftlicher Mitarbeiter, zuletzt in der kaufmännischen Sachbearbeitung, mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden und einem Bruttomonatsgehalt von EUR 3.342,93 beschäftigt.
Der Kläger fehlte krankheitsbedingt im Kalenderjahr 2011 an 43 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2012 an 16 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2013 an 45 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2014 an 126 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2015 an 219 Arbeitstagen und im Kalenderjahr 2016 an 170 Arbeitstagen. Wegen der weiteren Einzelheiten in diesem Zusammenhang wird auf Bl. 47 – 48 d. A. verwiesen. Nachdem die Beklagte bereits zuvor mit Schreiben vom 11. Dezember 2014, 10. Juli 2015, 2. September 2015 und 9. September 2016 Kündigungen gegenüber dem Kläger ausgesprochen hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 9. September 2016 das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut mit Wirkung zum Ablauf des 30. April 2017.
Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt und daher unwirksam. Insbesondere sei die Kündigung nicht aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Die erforderliche negative Prognose liege nicht vor. Insbesondere sei hier zu berücksichtigen, dass er seit dem 1. September 2016 wieder arbeitsfähig sei. Seine Erkrankungen seien ausgeheilt. Wegen der Einzelheiten in diesem Zusammenhang wird auf Bl. 69 – 70 d. A. verwiesen. Seit diesem Tag habe der Kläger an keinem Arbeitstag mehr gefehlt. Auch dies zeige, dass der Kläger unproblematisch ab September 2016 wieder hätte in den Betrieb eingegliedert werden können. Der Kläger ist der Auffassung, die Gespräche im Kalenderjahr 2014 seien bereits kein betriebliches Eingliederungsmanagement gewesen. Unabhängig davon seien diese jedoch durch die zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigungen verbraucht worden. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement vor der streitgegenständlichen Kündigung habe unzweifelhaft nicht stattgefunden. Bei den Erkrankungen in der Vergangenheit sei im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass der Kläger als Reaktion auf insgesamt mindestens fünf unberechtigte Kündigungen teilweise in psychotherapeutischer Behandlung war. Wegen der weiteren Einzelheiten in diesem Zusammenhang, insbesondere auch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Beschäftigungsphasen, wird auf Bl. 70 – 71 d. A. Verwiesen. Ebenso seien – anders als die Beklagte meint – in der Vergangenheit auch keine hohen Entgeltfortzahlungskosten entstanden.
Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund eines auf ihn anwendbaren Interessenausgleichs und Sozialplans für die Ausgliederung des Geschäftsfeldes PENTA aus der P. AG vom 19. August 1997 Kündigungsschutz genieße. Wegen der Einzelheiten in diesem Zusammenhang wird auf Bl. 68 – 69 d. A. verwiesen.
Der Kläger beantragt,
1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 9. September 2016 nicht beendet wird,
2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
3.im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung sei wirksam. Sie sei personenbedingt gerechtfertigt wegen häufiger Kurzerkrankungen, zuletzt auch wegen einer krankheitsbedingten Leistungsminderung. Für den Kläger habe eine negative Gesundheitsprognose bestanden. Entgegen der Auffassung des Klägers sei dabei alleine der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entscheidend und nicht eine etwaige spätere störungsfreie Beschäftigung des Klägers ab September 2016. Die Beklagte behauptet, der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt schlecht behandelt worden. Wegen der Einzelheiten in diesem Zusammenhang wird auf Bl. 122 – 123 d.A. verwiesen.
Durch die Fehlzeiten des Klägers seien erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen der Beklagten eingetreten. Insbesondere sei eine korrekte Übergabe der in den Ausfallzeiten aktuell zu erledigenden Aufgaben bei einer spontanen Arbeitsunfähigkeit nicht möglich. Dies gelte insbesondere bei der Verfolgung offener Forderungen gegenüber Kunden, wie es zuletzt die Aufgabe des Klägers gewesen sei. Für vertretende Kollegen sei es sehr zeitaufwändig, sich in die unterschiedlichen Fälle einzuarbeiten. Dies gelte insbesondere für die Zeiten eines Monatsabschlusses. Die Zahlungsvorgänge seien von Kunde zu Kunde unterschiedlich und in der Regel sehr komplex. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe daher zur Folge, dass ein erheblicher Mehraufwand entstehe oder die Bearbeitung seiner Fälle bis zu seiner Rückkehr ruhe. In solchen Fällen würden dann offene Forderungen verspätet eingetrieben.
Ein milderes oder verhältnismäßigeres Mittel habe es ebenfalls nicht gegeben. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden weder im Betrieb noch im Unternehmen. Sie könnten auch nicht durch Ausübung des Direktionsrechts oder Modifikation des Arbeitsplatzes des Klägers geschaffen werden. Der Kläger verrichte eine leichte Bürotätigkeit. Die Krankheitsursachen lägen nicht im betrieblichen Bereich. Es gebe keinen Arbeitsplatz bei der Beklagten und es sei auch kein Arbeitsplatz bei einer etwaigen Umverteilung von Aufgaben vorstellbar, der leidensgerechte wäre. Auch ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei durchgeführt worden aber erfolglos geblieben. Insbesondere habe der Kläger hier nicht ausreichend mitgewirkt. Ein erstes Gespräch habe am 19. Mai 2014 stattgefunden. Dort habe der Kläger aber auch auf Nachfrage Angaben zu den Ursachen seiner Arbeitsunfähigkeit, zur Art seiner Erkrankung oder zu eventuellen Therapiemöglichkeiten verweigert. Im weiteren Gesprächsverlauf habe der Kläger mitgeteilt, bereits mit einem Teil seiner jetzigen Aufgaben voll ausgelastet zu sein. Dadurch zeige sich, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers lediglich 50 % seiner Arbeitszeit abdecke. Gleichwohl habe die Beklagte sich bereit erklärt, zu versuchen, ob sich bei einer vorübergehenden Reduzierung der Aufgaben des Klägers eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes ergeben würde. Gemeinsam sei festgehalten worden, dies über einen Zeitraum von drei Monaten zu versuchen. Auch diese besondere Entlastung des Klägers habe jedoch nicht zu einer Reduzierung seiner Fehlzeiten geführt. In einem weiteren Gespräch am 28. Juli 2014 seien dann weitere Erkenntnisse besprochen worden. Insbesondere habe man verabredet, die Untersuchung des Klägers durch einen Facharzt abwarten zu wollen. Die erwartete Rückmeldung des Klägers sei jedoch unterblieben. Ohne fachärztliche Befunde bzw. die Einschätzung des Vertrauensarztes habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement jedoch keinen Sinn ergeben. Durch sein Verhalten habe der Kläger das Eingliederungsmanagement einseitig beendet.
Schließlich stünde dem Kläger auch kein Kündigungsschutz aufgrund eines Interessenausgleichs oder Sozialplans zu. Diese Regelungen seien auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anzuwenden. Wegen der Einzelheiten in diesem Zusammenhang wird auf Bl. 115 – 117 d. A. Verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
I.Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den vom Kläger geltend gemachten Feststellungsantrag zu 1). Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Vermeidung der Präklusionswirkung nach § 4 S. 1 und § 7 KSchG.
II.Die Klage ist begründet. Die mit der Klage angegriffene Kündigung ist nicht wirksam und wird das Arbeitsverhältnis der Parteien daher nicht mit Wirkung zum Ablauf des 30. April 2017 beenden (dazu im Folgenden 1.). Auch der vom Kläger gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet (dazu im Folgenden 2.).
1.Die mit der Klage angegriffene Kündigung ist nicht wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien daher nicht beendet. Die Beklagte hat keine Gründe vorgetragen, die die streitgegenständliche Kündigung als sozial gerechtfertigt erscheinen ließen.
a.Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes vorliegen. Dementsprechend bedarf die streitgegenständliche Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG zu ihrer Wirksamkeit der sozialen Rechtfertigung. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist eine Kündigung dabei dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Derartige rechtfertigende Gründe liegen nicht vor.
b.Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer lang anhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – erste Stufe – eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – zweite Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen – dritte Stufe – (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 12.; BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 13; BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – BAGE 135, 361, Rn. 11).
aa.Es bedarf dabei keiner Entscheidung der erkennenden Kammer, ob die Beklagte hat annehmen dürfen, im Zeitpunkt der Kündigung habe eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen. Der Kläger war vor dem Kündigungszeitpunkt im Kalenderjahr 2011 an 43 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2012 an 16 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2013 an 45 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2014 an 126 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2015 an 219 Arbeitstagen und im Kalenderjahr 2016 an 170 Arbeitstagen erkrankt. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 14 f.; BAG 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06 – Rn. 27, BAGE 123, 234 ff.; BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – zu II. 5. d. aa. der Gründe, BAGE 101, 39 ff.). Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – zu II. 5. d. aa. der Gründe, BAGE 101, 39 ff.; für den Fall häufiger [Kurz-]Erkrankungen: BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 17). Einen entsprechenden Vortrag hat die Beklagte jedenfalls dargelegt.
bb.Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ist durch die Darlegungen der Beklagten zur Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Bei krankheitsbedingter andauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18; BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 11, BAGE 135, 361 ff.; BAG 19. April 2007 – 2 AZR 239/06 – Rn. 18). Die Beklagte hat zwar nicht behauptet, im Kündigungszeitpunkt habe eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers festgestanden. Die Beklagte hat sich jedoch darauf berufen, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss gewesen. Eine solche Ungewissheit steht – so sie tatsächlich vorliegt – einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18; BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 14). Einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten kann der Arbeitgeber dagegen typischerweise ohne Schwierigkeiten durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG überbrücken (noch zu § 1 Abs. 1 BeschFG vgl. BAG 29. April 1999 – 2 AZR 431/98 – BAGE 91, 271 ff, zu II. 3. A. der Gründe).
cc.Die Kündigung erweist sich jedoch deswegen als unwirksam, weil der Beklagten ein milderes Mittel als eine Beendigungskündigung zur Verfügung gestanden hat, um betrieblichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Insoweit hat die Beklagte nicht zur Überzeugung der erkennenden Kammer vorgetragen, die Weiterbeschäftigung des Klägers – gegebenenfalls unter leidensgerechter Anpassung der Arbeitsbedingungen – ausreichend geprüft zu haben. Dies hätte der Beklagten im Sinne einer erhöhten Darlegungslast jedoch oblegen, nachdem sie das sogenannte betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat.
(1)Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, ist der Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 SGB IX gehalten, ein bEM durchzuführen. Er hat dazu nach Zustimmung und unter Beteiligung der betroffenen Person mit der zuständigen Interessenvertretung iSd. § 93 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen (vgl. nur BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 24).
(2)Die Beklagte war zur Durchführung eines bEM im Falle des Klägers verpflichtet. Die entsprechenden Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen lagen vor. Die Durchführung des bEM soll einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen gerade begegnen (BT-Drs. 14/5074 S. 113; ErfK/Rolfs 17. Aufl. § 84 SGB IX Rn. 4) und das Arbeitsverhältnis erhalten (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32). Die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM trifft den Arbeitgeber nicht nur bei Erkrankungen behinderter Arbeitnehmer, sondern bei allen Arbeitnehmern (BAG 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 19; BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – BAGE 135, 361, Rn. 27) und unabhängig davon, ob im Beschäftigungsbetrieb ein Betriebsrat gewählt ist oder nicht (BAG 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 32; BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 28 ff.). Zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines bEM gehört die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX über die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32; 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 23). Auch eine Weigerung des Arbeitnehmers, Angaben zu seinem Krankheitsbild zu machen, macht die Durchführung eines bEM nicht entbehrlich. Erst wenn dem Arbeitnehmer ein bEM ordnungsgemäß nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX angeboten worden ist und er daraufhin seine Teilnahme bzw. Auskünfte zur Art der bestehenden Beeinträchtigungen verweigert, kann von der Aussichtslosigkeit des bEM ausgegangen und von seiner Durchführung abgesehen werden. Das Unterlassen des bEM ist dann „kündigungsneutral“ (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 26; BAG 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 24).
(3)Nach den zuvor dargestellten Grundsätzen geht die erkennende Kammer nicht davon aus, dass die Beklagte die Anforderungen an die Durchführung des bEM im Fall des Klägers eingehalten hat. Dies gilt bereits deswegen, weil die Beklagte den Kläger zunächst vor dem Ausspruch weiterer Kündigungen angehört hat, dies vor dem Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung zwei Jahre später unterlassen hat. Aber auch hinsichtlich der tatsächlich durchgeführten Gespräche hat die Beklagte vor allem nicht dargelegt, welche Maßnahmen oder Gesprächsansätze sie verfolgt hat, um die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Aus Sicht der Kammer hat sich die Beklagte insoweit auf eine bloße Anhörung des Klägers beschränkt, ohne selbst – im Sinne einer Interaktion – initiativ zu werden. Dazu fordert der Wortlaut von § 84 Abs. 2 SGB IX den Arbeitgeber indes auf („[…] klärt der Arbeitgeber […], wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und […] der Arbeitsplatz erhalten werden kann“). Der Arbeitgeber befindet sich nicht nur wegen der jeweils aktuellen gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers insoweit in einer überlegenen – und damit die Pflicht zur Interaktion begründenden – Position. Sie begründet sich auch deswegen, weil der Arbeitgeber den Prozess der Eingliederung aufgrund seiner betrieblichen Organisationsherrschaft besser zu überblicken und zu steuern vermag und zu Anregungen und Initiativen daher in der Lage ist. Mit Hilfe eines bEM sollen mögliche mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade erkannt und entwickelt werden (grundlegend: BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 38; BAG 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34; BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 34).
(4)Da sie ein bEM pflichtwidrig unterlassen hat, trifft die Beklagte eine erhöhte Darlegungslast im Hinblick auf denkbare, gegenüber dem Ausspruch einer Beendigungskündigung mildere Mittel (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 27). Dieser ist sie bislang nicht nachgekommen.
(a)Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Das bEM ist auch nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 27; BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 38; BAG 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34). Nur wenn auch die Durchführung des bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen. Hierzu hat er umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 28; BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 39; BAG 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34). Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt (zum Ganzen: BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 22 mwN; BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 40).
(b)Zwar hat sich der Kläger in seinem Vortrag bisher nicht konkret auf eine Beschäftigungsalternative berufen. Infolge des Unterlassens eines bEM hätte die Beklagte aber zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten von sich aus vortragen müssen. Ist ein eigentlich erforderliches bEM unterblieben, trägt der Arbeitgeber die primäre Darlegungslast für dessen Nutzlosigkeit. Er hat von sich aus alle denkbaren oder vom Arbeitnehmer gegebenenfalls außergerichtlich genannten Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz in Betracht kommt (BAG 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34; BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 35, BAGE 135, 361; BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 19).
(c)Die Beklagte hat zudem nur behauptet, es hätten keine anderen freien leidensgerechten Arbeitsplätze zur Verfügung gestanden. Dies genügt nicht, um darzulegen, dass ein bEM keine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit hätte aufzeigen können. Der Arbeitgeber ist gegenüber einem von einer krankheitsbedingten Kündigung bedrohten Arbeitnehmer verpflichtet, als mildere Maßnahme den Personaleinsatz umzuorganisieren, wenn er durch Ausübung seines Direktionsrechts einen leidensgerechten Arbeitsplatz freimachen kann (BAG 29. Januar 1997 – 2 AZR 9/96, BAGE 85, 107 ff., zu II. 1. D. der Gründe). Mit Hilfe eines bEM sollen, wie bereits dargestellt, mögliche mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade erkannt und entwickelt werden (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 38; BAG 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34). Die Verpflichtung zur Umsetzung oder Versetzung anderer Arbeitnehmer ist jedenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn dies für den Arbeitgeber und die Betroffenen im Einzelfall nicht von vornherein unzumutbar ist. Aus dem Sachvortrag der Beklagten geht bislang nicht hervor, welche – auch mit anderen Arbeitnehmern besetzten – Arbeitsplätze im Betrieb tatsächlich vorhanden waren und weshalb diese – auch nach ggf. zumutbaren Umorganisationsmaßnahmen – der Klägerin nicht zumindest in Teilzeit oder jedenfalls mit einer ganz geringfügigen Arbeitszeit täglich hätten angeboten werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen wäre, dem Kläger eine solche Tätigkeit auf einem leidensgerechten anderen Arbeitsplatz zuzuweisen. Die Beklagte hätte dem Kläger zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine nach zumutbarer Umorganisation bestehende Beschäftigungsmöglichkeit zu geänderten Arbeitsbedingungen notfalls im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 1001/12 – Rn. 12; BAG 9. September 2010 – 2 AZR 937/08 – Rn. 39; BAG 5. Juni 2008 – 2 AZR 107/07 – Rn. 15).
2.Unter Berücksichtigung dieser Umstände war auch dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers zu entsprechen. Über ihn war zu entscheiden, nachdem die hilfsweise Bedingung – das Obsiegen des Klägers mit dem Klageantrag zu 1) (siehe dazu bereits zuvor II. 1.) – eingetreten war. Einwendungen gegen die Weiterbeschäftigung selbst hat die Beklagte nicht dargelegt.
3.Der allgemeine Feststellungsantrag zu 2) war demgegenüber abzuweisen, nachdem der Kläger keine Anhaltspunkte für andere Beendigungsgründe vorgetragen hatte.
III. Die Kostenentscheidung entspricht § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die zur Zulassung der Berufung für die Beklagte § 64 Abs. 2 c) ArbGG. Der Streitwert war gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 GKG in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern und wegen des Weiterbeschäftigungsantrags in Höhe eines weiteren Bruttomonatsgehalts festzusetzen.