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Anfechtung Arbeitnehmerkündigung – widerrechtliche Drohung mit fristloser Kündigung

Eigenkündigung erfolgreich angefochten: Feuerwehrmann darf weiterarbeiten

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern zurück. Der Kläger hatte seine Eigenkündigung angefochten, die er unter dem Verdacht der Vorlage eines falschen COVID-19-Impfzertifikats ausgesprochen hatte. Das Gericht befand, dass keine widerrechtliche Drohung seitens der US-Streitkräfte vorlag und die Eigenkündigung somit wirksam war.

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Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Rückweisung der Berufung: Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Kaiserslautern.
  2. Streit um Eigenkündigung: Im Kern ging es um die Wirksamkeit der Eigenkündigung des Klägers.
  3. Vorwurf falsches COVID-19-Impfzertifikat: Der Kläger stand unter Verdacht, ein unechtes Impfzertifikat vorgelegt zu haben.
  4. Anhörung und Kündigung: Nach einer Anhörung durch die US-Streitkräfte und dem Vorschlag einer Eigenkündigung entschied sich der Kläger für letztere.
  5. Anfechtung der Kündigung: Der Kläger focht die Kündigung wegen angeblicher widerrechtlicher Drohung an.
  6. Gerichtliche Bewertung: Das Gericht sah keine widerrechtliche Drohung durch die US-Streitkräfte.
  7. Bestätigung der Eigenkündigung: Folglich wurde die Eigenkündigung als wirksam angesehen.
  8. Keine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns: Das Gericht erkannte auch keinen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns.

Kündigung im Arbeitsrecht: Ein Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeit

Im Arbeitsrecht nehmen Kündigungen eine zentrale Rolle ein. Sie sind nicht nur ein Instrument der Personalpolitik, sondern bergen auch ein hohes Konfliktpotential. Im Fokus steht dabei oft die Anfechtung einer Kündigung, insbesondere wenn sie unter dem Verdacht der widerrechtlichen Drohung steht. Dieses Thema berührt grundlegende Fragen der Vertragsfreiheit und des Arbeitnehmerschutzes. Es geht um das sensible Gleichgewicht zwischen den Interessen des Arbeitgebers und denen des Arbeitnehmers, insbesondere im Kontext einer fristlosen Kündigung.

Der vorliegende Fall beleuchtet die Komplexität solcher Situationen und die Rolle der Justiz bei der Klärung strittiger Kündigungen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat sich mit der Berufung eines Arbeitnehmers auseinandergesetzt, der seine Eigenkündigung anfocht. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Kündigung unter dem Einfluss einer widerrechtlichen Drohung zustande kam und welche Rolle das Gericht bei der Aufdeckung und Bewertung solcher Vorfälle spielt. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie das Gericht in diesem komplizierten Geflecht aus Anschuldigungen und Beweisen navigiert und welche Schlussfolgerungen es daraus zieht.

Die Anfechtung einer Arbeitnehmerkündigung: Eine rechtliche Gratwanderung

Die Frage der Wirksamkeit einer Eigenkündigung eines Feuerwehrmanns bei den US-Stationierungsstreitkräften stand im Mittelpunkt eines Rechtsstreits vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz. Der Kläger, seit November 2010 in dieser Position tätig, hatte eine schriftliche Eigenkündigung unterzeichnet, die er später wegen widerrechtlicher Drohung anfocht. Diese Anfechtung basierte auf § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, einer Norm, die es ermöglicht, eine Willenserklärung bei Vorliegen einer widerrechtlichen Drohung anzufechten.

Ein Impfzertifikat im Zentrum des Streits

Ausgangspunkt des Konflikts war die Vorlage eines digitalen COVID-19-Impfzertifikats durch den Kläger am Arbeitsplatz. Die Echtheit des Zertifikats wurde von der Dienststelle angezweifelt, was zu einer Anhörung und später zur Erstattung einer Strafanzeige führte. Während der Anhörung schlug der Vorsitzende der Betriebsvertretung dem Kläger vor, eine Eigenkündigung zu erklären, um einer drohenden außerordentlichen Kündigung zuvorzukommen. Der Kläger unterzeichnete diese Kündigung, focht sie aber später an, da er sie unter dem Einfluss einer widerrechtlichen Drohung abgegeben habe.

Die juristische Auseinandersetzung und ihre Komplexität

Der Kläger bestritt die Rechtmäßigkeit der Eigenkündigung und verlangte die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses sowie seine Weiterbeschäftigung. Er argumentierte, dass ihm lediglich die Wahl zwischen einer fristlosen Kündigung und der Eigenkündigung gelassen wurde, was eine widerrechtliche Drohung darstelle. Die Beklagte hingegen verteidigte die Wirksamkeit der Kündigung und verwies auf die Zweifel an der Echtheit des Impfzertifikats sowie auf die Ergebnisse der Ermittlungen, die gegen den Kläger geführt wurden.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz

Das Gericht wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte damit das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern. Es wurde festgestellt, dass keine widerrechtliche Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB vorlag und die Eigenkündigung somit wirksam war. Das Gericht betonte, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass die US-Streitkräfte als verständiger Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durften. Zudem wurde festgestellt, dass die angedrohte Kündigung, selbst wenn sie erklärt worden wäre, nicht notwendigerweise in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig hätte erwiesen müssen.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz in diesem Fall spiegelt die Komplexität wider, die entsteht, wenn arbeitsrechtliche und strafrechtliche Aspekte in einem Rechtsstreit aufeinandertreffen. Die Abwägung zwischen den Rechten des Arbeitnehmers und den Interessen des Arbeitgebers, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht einer Straftat besteht, erfordert eine sorgfältige juristische Analyse und Bewertung der Umstände. Dieses Urteil zeigt, dass nicht jede unangenehme Situation, die zu einer Kündigung führt, zwangsläufig eine widerrechtliche Drohung darstellt, und betont die Bedeutung einer genauen Prüfung der Einzelfallumstände.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet die Anfechtung einer Arbeitnehmerkündigung im Arbeitsrecht?

Die Anfechtung einer Arbeitnehmerkündigung im deutschen Arbeitsrecht bezieht sich auf die Situation, in der ein Arbeitnehmer seine eigene Kündigung rückgängig machen möchte. Dies kann unter bestimmten Umständen möglich sein, insbesondere wenn die Kündigung unter Druck oder aufgrund von Täuschung erfolgt ist.

Voraussetzungen

Die Anfechtung einer Arbeitnehmerkündigung ist in den §§ 119, 123 BGB geregelt. Eine Anfechtung kann beispielsweise dann erfolgen, wenn der Arbeitnehmer seine Kündigung unter dem Einfluss einer rechtswidrigen Drohung des Arbeitgebers abgegeben hat. Eine solche Drohung könnte beispielsweise darin bestehen, dass der Arbeitgeber mit einer fristlosen Kündigung droht, obwohl kein ausreichender Grund für eine solche Kündigung vorliegt.

Es ist jedoch zu beachten, dass eine Drohung nicht als rechtswidrig angesehen wird, wenn ein verständiger Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Betracht gezogen hätte.

Fristen

Für die Anfechtung einer Arbeitnehmerkündigung gelten nach dem BGB eigene Fristen, die nicht durch die Drei-Wochen-Frist des § 4 S.1 KSchG verdrängt werden. Diese Frist gilt nur, wenn Arbeitnehmer die Rechtsunwirksamkeit einer Arbeitgeber-Kündigung geltend machen wollen.

Folgen

Wenn die Anfechtung erfolgreich ist, wird die Kündigung rückgängig gemacht und das Arbeitsverhältnis besteht weiterhin. Der Arbeitnehmer ist dann weiterhin zu den unveränderten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Anfechtung einer Arbeitnehmerkündigung in der Praxis oft schwierig ist, da der Arbeitnehmer alle für die Anfechtung relevanten Umstände darlegen und beweisen muss.

Was versteht man unter einer widerrechtlichen Drohung im Kontext einer Kündigung?

Eine „widerrechtliche Drohung“ im Kontext einer Kündigung bezieht sich auf die Situation, in der ein Arbeitgeber mit einer Kündigung droht, obwohl ein vernünftiger Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte.

Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist beispielsweise widerrechtlich, wenn der Arbeitgeber selbst nicht an ihre Berechtigung glaubt oder seinen Rechtsstandpunkt nicht mehr vertretbar ist. Es ist nicht erforderlich, dass sich die in Aussicht gestellte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte.

Die Widerrechtlichkeit einer Drohung wird nicht dadurch beseitigt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit einräumt. Die Androhung einer Kündigung ist widerrechtlich, wenn der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert ist, sondern nur ein Anfangsverdacht dafür besteht, dass der Arbeitnehmer die Erkrankung vorgetäuscht haben könnte.

Es ist jedoch zu beachten, dass Drohungen mit einer Strafanzeige oder einer fristlosen Kündigung nicht widerrechtlich sind, wenn erhebliche Pflichtverletzungen im Raum stehen.

Wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer widerrechtlichen Drohung eine Willenserklärung abgibt, beispielsweise einen Aufhebungsvertrag unterschreibt, kann er diese Willenserklärung gemäß § 123 Abs.1 BGB anfechten.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 318/22 – Urteil vom 20.07.2023

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15. November 2022, Az. 3 Ca 398/22, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Klägers.

Der im Oktober 1971 geborene Kläger (ledig, kinderlos) war seit 1. November 2010 bei den US-Stationierungsstreitkräften zu einer Monatsvergütung von zuletzt € 3.383,71 brutto als Feuerwehrmann in H. beschäftigt. Er gehört nicht zum Personenkreis der schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung ua. der Tarifvertrag für die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften (im folgenden TVAL-II) Anwendung. In der Beschäftigungsdienststelle des Klägers (USAG-K) werden regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt; es besteht eine Betriebsvertretung.

Während der Corona-Pandemie waren besondere Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz vorgeschrieben, um das Infektionsrisiko zu senken. Nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) idF. vom 22. November 2021 durften Beschäftigte ab dem 24. November 2021 Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden konnten, nur betreten, wenn sie geimpft, genesen oder getestet waren und einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis mit sich führten, zur Kontrolle verfügbar hielten oder beim Arbeitgeber hinterlegten (sog. 3G-Regel am Arbeitsplatz). Der Testnachweis durfte nicht älter als 24 Stunden sein. Bis einschließlich 22. Dezember 2021 legte der Kläger der Dienststelle negative Testergebnisse vor. Die Tarifvertragsparteien des TVAL-II beschlossen in der Tarifrunde 2021/2022 die Zahlung einer Impfprämie von € 100,00. Alle vollständig geimpften Beschäftigten konnten diese Prämie bis 28. Februar 2022 mit einem entsprechenden Impfnachweis einfordern. Am 24. Dezember 2021 legte der Kläger der Dienststelle ein digitales COVID-19-Impfzertifikat vor, das durchgeführte Impfungen mit vollständigem Impfschutz bereits seit dem 28. Mai 2021 auswies. Die Dienststelle bezweifelte die Echtheit des vorgelegten Zertifikats. Am 7. Januar 2022 wurde der Kläger von der US-Militärpolizei angehört. Er erklärte, dass er im Impfzentrum Alzey geimpft worden sei und legte auf Nachfrage am 18. Januar 2022 eine Kopie seines Impfausweises vor. Die Dienststelle erstattete Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, das noch nicht abgeschlossen ist. Ende März 2022 fand eine Wohnungsdurchsuchung statt, der Impfausweis des Klägers wurde sichergestellt.

Am 16. Mai 2022 erfolgte eine Anhörung des Klägers wegen des Verdachts, dass er der Dienststelle ein unrichtiges COVID-19-Impfzertifikat vorgelegt habe. An der Anhörung nahmen neben dem Kläger der stellvertretende Leiter der Abteilung und übergeordnete Vorgesetzte (P.) in Begleitung eines Dolmetschers sowie ein Sergeant der US-Militärpolizei (Sgt. L.), eine Mitarbeiterin der Personalabteilung (M.), der Vorsitzende der Betriebsvertretung (G.) und ein stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung (N.) teil. Die Beklagte bestreitet, die vom Kläger behauptete Teilnahme von vier US-Militärpolizisten in Uniform. Der Kläger beteuerte bei seiner Anhörung, er sei vollständig geimpft, das vorgelegte Impfzertifikat sei echt. Nach einer Unterbrechung zur Beratung eröffnete der Vorgesetzte P. dem Kläger, dass er sich entschieden habe, dem kündigungsberechtigten stellvertretenden Dienststellenleiter zu empfehlen, eine außerordentliche Verdachtskündigung zu erklären; bis dahin stelle er ihn frei. Der Kläger solle mit Sgt. L. nach H. zurückkehren, dort seine persönlichen Sachen packen, die Kaserne verlassen und seine ID-Karte abgeben. Der Vorsitzende der Betriebsvertretung schlug als Alternative eine Eigenkündigung des Klägers mit anschließender Freistellung vor. Die Mitarbeiterin der Personalabteilung fertigte am Computer eine schriftliche Eigenkündigung vom 16. Mai zum 30. Juni 2022, die der Kläger unterschrieb. In den Text wurde als Kündigungsgrund „aus medizinischen Gründen“ aufgenommen. Mit Anwaltsschreiben vom 2. Juni 2022 focht der Kläger die Eigenkündigung aus allen erdenklichen Gründen, insbesondere wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB an.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen ihm und den US-Streitkräften bestehende Arbeitsverhältnis über den 30. Juni 2022 hinaus fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzverfahrens als Feuerwehrmann weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger habe in der Vergangenheit wiederholt gegenüber Kollegen und Vorgesetzten erklärt, dass er ein Gegner des Impfens gegen COVID-19 sei. Dem Vorsitzenden der Betriebsvertretung seien entsprechende Informationen sowohl von Kollegen als auch vom Kläger persönlich per E-Mail oder WhatsApp zugespielt worden. Die Dienststelle habe die Unrichtigkeit des am 24. Dezember 2021 überraschend vorgelegten Impfzertifikats vermutet und den Sachverhalt am 27. Dezember 2021 der US-Militärpolizei weitergegeben. Am 5. Januar 2022 sei bei der Kreisverwaltung Kaiserslautern nachgefragt worden, ob das Impfzertifikat echt sei. Am 11. Januar 2022 habe die Kreisverwaltung geantwortet, dass nach Auskunft des Landesimpfkoordinators die Nummern 00X0-XXX0-XXXX und X00X-XX0X-XXXX zwar registriert, in beiden Fällen aber kein Termin und keine Impfung hinterlegt seien. Die Termine seien storniert worden, weil der Impfling nicht erschienen sei. Am 10. Mai 2022 sei der Personalabteilung der US-Streitkräfte über die ADD Einsicht in die Ermittlungsakte gewährt worden. Man habe der Akte entnommen, dass die im Impfausweis angegebenen Chargen XX0000 und 0X000 mittels Chargen-Checker des Paul-Ehrlich-Instituts überprüft worden seien. Beide Chargennummern seien unauffällig gewesen und im angegebenen Zeitraum verimpft worden. Die im Impfausweis angegebene Ärztin Dr. R. habe der Polizei erklärt, sie gehe davon aus, dass sie am fraglichen Tag im Impfzentrum Alzey Dienst verrichtet habe. Auf Nachfrage der Kriminalpolizei habe die Kreisverwaltung Alzey-Worms mitgeteilt, der Kläger sei nicht im Impfzentrum Alzey geimpft worden. Daraufhin sei ein Durchsuchungsbeschluss beantragt, am 26. Januar 2022 vom Amtsgericht Kaiserslautern erlassen und Ende März 2022 vollstreckt worden.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 15. November 2022 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt, die Eigenkündigung des Klägers sei wirksam. Die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB greife nicht durch, weil ein verständiger Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung wegen des objektiv dringenden Verdachts, dass der Kläger der Dienstelle ein unrichtiges Impfzertifikat vorgelegt habe, um die Impfprämie zu erhalten, in Erwägung gezogen hätte. Die US-Streitkräfte hätten auch keine Verhandlungsposition ausgenutzt und gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 15. November 2022 Bezug genommen.

Gegen das am 15. November 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 24. November 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 15. Februar 2023 verlängerten Frist mit einem am 15. Februar 2023 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht geltend, ihm sei im Gespräch vom 16. Mai 2022 eine fristlose Kündigung angedroht worden. Nach dem Vortrag der Beklagten habe sein Vorgesetzter P. erklärt, dass „die Entscheidung getroffen worden sei, mit einer außerordentlichen Kündigung fortzufahren“. Er habe keine Eigenkündigung oder die Aufnahme des Kündigungsgrundes „aus medizinischen Gründen“ vorgeschlagen. Er bestreite mit Nichtwissen, dass die Idee der Eigenkündigung von der Betriebsvertretung gekommen sei. Im Ergebnis sei ihm vom Arbeitgeber nur die Möglichkeit geboten worden, eine fristlose Kündigung zu akzeptieren oder eine Eigenkündigung zu erklären. Selbst wenn der Vorschlag von der Betriebsvertretung gekommen sein sollte, sei jedenfalls unstreitig, dass sich die US-Streitkräfte diese Idee zu eigen gemacht haben, indem sie ihm ermöglichten, der fristlosen Kündigung durch die Eigenkündigung auszuweichen. Daher sei auch irrelevant, wenn er noch Änderungswünsche („aus medizinischen Gründen“) geäußert haben sollte. Entscheidend sei, dass ihm von den US-Streitkräften nur zwei Optionen zur Verfügung gestellt worden seien. Allein die zeitliche Nähe zwischen der Drohung mit einer fristlosen Kündigung und der Eigenkündigung belege die Kausalität.

Die Drohung sei widerrechtlich gewesen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Drohung am 16. Mai 2022 habe kein dringender Verdacht bestanden, dass er seinen Impfausweis gefälscht habe, um die tarifliche Impfprämie zu erschleichen. Das Arbeitsgericht habe zur Begründung des angeblich dringenden Verdachts lediglich ausgewählte Auffälligkeiten und die erfolgte Hausdurchsuchung angeführt. Es habe verkannt, dass einer Impfbescheinigung, genauso wie einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert beizumessen sei. Es hätte daher prüfen müssen, ob dieser hohe Beweiswert durch objektive Tatsachen erschüttert worden sei. Der Umstand, dass er trotz der Impfung der Dienststelle weiterhin negative Tests statt eines Impfausweises vorgelegt habe, genüge zur Erschütterung des Beweiswerts nicht. Er habe dargelegt, dass er seine (weiteren) Gesundheitsdaten nicht habe preisgeben wollen, so dass er der Dienststelle erst das digitale Impfzertifikat vorgelegt habe, das keine weiteren Gesundheitsdaten enthalte. Auch die erfolgte Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Fälschung des Impfausweises, sei kein Indiz, um den Beweiswert des Impfzertifikats zu erschüttern. Ein dringender Tatverdacht sei für eine Hausdurchsuchung nicht erforderlich. Wegen einer Hausdurchsuchung bestehe auch keine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Tatbegehung. Das Arbeitsgericht hätte würdigen müssen, dass die Hausdurchsuchung aufgrund einer „ins Blaue“ hinein erstatteten Strafanzeige der US-Streitkräfte erfolgt sei. Die Ermittlungsbehörden hätten auf Basis dieser falschen Beschuldigung eine Hausdurchsuchung eingeleitet. Ferner hätte ein verständiger Arbeitgeber nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz am 16. Mai 2022 keine fristlose Kündigung in Erwägung ziehen dürfen, sondern mildere Maßnahmen ergreifen müssen. Die US-Streitkräfte hätten etwa anordnen können, dass er bis zur Klärung im Strafverfahren täglich negative Coronatests vorlegen müsse. Damit wäre, selbst wenn man einen Verdacht annehmen wollte, auch dem Argument, es habe der Dauertatbestand einer Gesundheitsgefährdung vorgelegen, ausreichend Rechnung getragen worden. Im Übrigen sei erwiesen, dass die COVID-19-Impfung dazu diene, sich selbst und nicht andere zu schützen. Dass das Strafverfahren noch nicht eingestellt worden sei, könne nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden, weil es auf den Zeitpunkt 16. Mai 2022 ankomme. Dass er sich angeblich, was nicht zutreffe, bedeckt gehalten und im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht zum Ermittlungsverfahren nichts gesagt habe, dürfe ebenfalls nicht zu seinen Lasten gehen; es gelte die Unschuldsvermutung. Die Unterstellung, er habe sich finanzielle Vorteile erschleichen wollen, entbehre jeder Grundlage. Er habe dargelegt, warum er erst im Dezember 2021 das digitale COVID-19-Impfzertifikat vorgelegt habe. Die Vermutung des Arbeitsgerichts, er habe das Zertifikat am Heiligabend in der Hoffnung vorgelegt, dass aufgrund von Personalengpässen, die er bestreite, „manche Sachen einfach durchgewunken“ werden, sei nicht gerechtfertigt. Hierfür gebe es keinen Anhaltspunkt.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15. November 2022, Az. 3 Ca 398/22, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und den US-Streitkräften über den 30. Juni 2022 hinaus fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und den US-Stationierungsstreitkräften durch die Eigenkündigung des Klägers vom 16. Mai mit Ablauf des 30. Juni 2022 sein Ende gefunden hat.

Entgegen der Ansicht der Berufung hat der Kläger die am 16. Mai 2022 erklärte Kündigung nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung gem. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB angefochten. Die Eigenkündigung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns unwirksam.

1. Der Kläger hat die Eigenkündigung nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB angefochten. Es fehlt mangels Nötigungswillen bereits an einer Drohung der Vertreter der US-Streitkräfte im Gespräch vom 16. Mai 2022. Selbst wenn eine Drohung im Rechtssinne erfolgt sein sollte, wäre diese nicht widerrechtlich gewesen.

a) Gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Willenserklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten.

aa) Eine Drohung iSd. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB setzt die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig dargestellt wird. Der Bedrohte muss einer Zwangslage ausgesetzt sein, die ihm subjektiv das Gefühl gibt, sich nur noch zwischen zwei Übeln entscheiden zu können (vgl. etwa BAG 24.02.2022 – 6 AZR 333/21 – Rn. 13 mwN).

Zum Begriff der Drohung iSd. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB gehört in subjektiver Hinsicht der Nötigungswille des Drohenden. Die Drohung muss bewusst darauf gerichtet sein, den Bedrohten zu der Einschätzung zu verleiten, nur zwischen zwei Übeln wählen zu können, von denen die Abgabe der empfohlenen Erklärung nach der Einsicht des Drohenden als das geringere Übel gegenüber der sonst zu erwartenden Maßnahme erscheinen soll. Dieser Nötigungswille fehlt, wenn die Ankündigung eines Übels keine „nötigende Funktion“, sondern nur eine „Mitteilungsfunktion“ hat (vgl. BAG 26.11.1981 – 2 AZR 664/79 – Rn. 47, 48 mwN; OLG Stuttgart 07.04.2022 – 2 U 63/21 – Rn. 101 mwN).

bb) Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht erforderlich ist allerdings, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie erklärt worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von einem verständigen Arbeitgeber kann nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“. Nur wenn er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihrer Erklärung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er sie nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung oder zum Ausspruch einer Eigenkündigung zu veranlassen (vgl. etwa BAG 24.02.2022 – 6 AZR 333/21 – Rn. 14 mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen handelten die Vertreter der US-Streitkräfte im Gespräch vom 16. Mai 2022 nicht mit dem für die Drohungsanfechtung erforderlichen Nötigungswillen. Selbst wenn man das anders sehen wollte, wäre die Drohung mit einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht widerrechtlich gewesen. Ein verständiger Arbeitgeber durfte am 16. Mai 2022 eine außerordentliche (Verdachts)-Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen.

aa) Entgegen der Ansicht der Berufung lag keine Drohung vor, weil der Vorgesetzte des Klägers P. nach einer Unterbrechung des Anhörungsgesprächs erklärt hat, er habe die Entscheidung getroffen, mit einer außerordentlichen Kündigung fortzufahren, der Kläger werde sofort freigestellt, er solle in Begleitung von Sgt. L. nach H. zurückkehren, seine persönlichen Sachen packen und die ID-Karte abgeben. Diese Erklärung hatte nur die Funktion, dem Kläger mitzuteilen, dass ihm im Anschluss an die Anhörung von einer kündigungsberechtigten Person fristlos gekündigt werden soll und er bis dahin freigestellt werde. Der Vorgesetzte P. hat dem Kläger keine Eigenkündigung nahegelegt und wollte ihn auch nicht dazu veranlassen. Nach dem Vortrag der Beklagten erklärte der Vorgesetzte nach der Gesprächsunterbrechung, er habe sich entschieden, dem kündigungsberechtigten stellvertretenden Dienststellenleiter zu empfehlen, eine außerordentliche Kündigung zu erklären. Er ließ dem Kläger keine Wahl zwischen zwei Übeln. Vielmehr schlug der Vorsitzende der Betriebsvertretung eine Eigenkündigung des Klägers vor, um die fristlose Arbeitgeberkündigung abzuwenden. Der Kläger, der an dem Gespräch teilgenommen hat, kann den Vortrag der Beklagten nicht mit Nichtwissen iSv. § 138 Abs. 4 ZPO bestreiten. Er kann auch nicht mit Nichtwissen bestreiten, dass auf seinen Wunsch als Kündigungsgrund „aus medizinischen Gründen“ in den Text der Kündigungserklärung vom 16. Mai zum 30. Juni 2022 aufgenommen wurde. Eine Partei darf sich weder „blind stellen“ noch „mauern“. Eigene Handlungen oder Wahrnehmungen darf sie nicht mit Nichtwissen bestreiten (vgl. Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 138 Rn. 14 mwN). Entgegen der Ansicht der Berufung liegt eine Drohung auch nicht darin, dass die US-Streitkräfte auf den Vorschlag des Vorsitzenden der Betriebsvertretung, den der Kläger akzeptiert hat, eingegangen sind. Wer durch eigene Überlegung dahin kommt, zur Vermeidung eines größeren Übels eine Erklärung abzugeben, ist er nicht durch Drohung dazu bestimmt worden.

bb) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine Drohung, wenn sie im anfechtungsrechtlichen Sinne vorliegen sollte, jedenfalls nicht widerrechtlich gewesen wäre. Ein verständiger Arbeitgeber hätte am 16. Mai 2022 eine außerordentliche Verdachtskündigung ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen. Entgegen der Ansicht der Berufung lagen gewichtige objektive Verdachtstatsachen gegen den Kläger vor.

Die Vorlage eines falschen COVID-19-Impfzertifikats, um sich entweder unbefugten Zutritt zum Arbeitsplatz zu verschaffen oder eine tarifliche Impfprämie zu erschleichen, ist als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Tat-, aber auch Verdachtskündigung zu rechtfertigen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 23.05.2023 – 8 Sa 310/22 – Rn. 28 ff mit zahlreichen Nachweisen). Der Verdacht, der Vertragspartner könne eine strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden (vgl. ErfK/Niemann 23. Aufl. § 626 BGB Rn. 173 ff). Der Zulässigkeit der Verdachtskündigung steht die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung nicht entgegen (vgl. BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 25 mwN).

Entgegen der Ansicht der Berufung bestand gegen den Kläger am 16. Mai 2022 ein dringender Verdacht, dass er der Dienststelle am 24. Dezember 2021 ein falsches digitales COVID-19-Impfzertifikat vorgelegt hat. Der Verdacht beruhte auf konkreten Tatsachen. Den US-Streitkräften lag am 16. Mai 2022 über die zuständige Kreisverwaltung die Auskunft des Landesimpfkoordinators vor, wonach die personalisierten Impfnummern 00X0-XXX0-XXXX und X00X-XX0X-XXXX zwar für den Kläger registriert, in beiden Fällen aber kein Termin und keine Impfung hinterlegt worden sei. Die Termine seien storniert worden, weil der Impfling – also der Kläger – nicht erschienen sei. Weiterhin lag den US-Streitkräften die Information der Kreisverwaltung Alzey-Worms vor, dass der Kläger nicht im Impfzentrum Alzey geimpft worden sei. Damit bestand der dringende Verdacht, dass der Kläger der Dienststelle zu Täuschungszwecken ein falsches Impfzertifikat vorgelegt hat, um die tarifliche Impfprämie zu erschleichen. Gegen eine Fälschung spricht weder, dass die im Impfausweis angegebenen Chargen XX0000 und 0XX00X unauffällig waren und im angegebenen Zeitraum verimpft wurden noch der Umstand, dass die Ärztin Dr. R. gegenüber der Polizei erklärt hat, sie gehe davon aus, am fraglichen Tag im Impfzentrum Alzey Dienst verrichtet zu haben. Dass die angegebenen Chargennummern von dieser Ärztin im Impfzentrum Alzey verimpft wurden, beweist nicht, dass der Kläger die Impfungen erhalten hat. Nach Auskunft des Landesimpfkoordinators und der Kreisverwaltung ist er nicht im Impfzentrum Alzey erschienen. Gerichtsbekannt gab es Wartelisten für Restimpfungen, damit keine angebrochenen Impfdosen ungenutzt verfallen. Ist ein Impfling nicht erschienen, wurde eine andere Person geimpft. Eine Fälschung kann auch dadurch erfolgen, dass ein echter Impfausweis zu Täuschungszwecken mit einer falschen Namenangabe versehen wird (Verfälschung einer echten Urkunde). Die Verimpfung der angegebenen Chargennummern beseitigt daher nicht den Fälschungsvorwurf. Da der Kläger aus Sicht der Vertreter der US-Streitkräfte im Gespräch vom 16. Mai 2022 die gegen ihn bestehenden Verdachtsmomente nicht entkräften konnte, durften sie mit dem Ausspruch einer fristlosen Verdachtskündigung drohen. Es kommt nicht darauf an, ob die angedrohte Kündigung, wenn sie erklärt worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte.

Soweit der Kläger den Vortrag der Beklagten mit Nichtwissen bestreitet, verkennt er die Darlegungs- und Beweislast. Der Anfechtungsprozess ist nicht wie ein fiktiver Kündigungsschutzprozess zu führen. Der anfechtende Arbeitnehmer trägt vielmehr die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen des Anfechtungstatbestandes. Er hat daher die Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen, die die angedrohte Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (vgl. BAG 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 55 mwN). Der Kläger hätte deshalb darlegen und beweisen müssen, dass die US-Streitkräfte als verständiger Arbeitgeber nicht annehmen durften, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei ihnen unzumutbar. Dies ist ihm nicht gelungen.

Die von der Berufung herangezogene Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ist im Streitfall nicht einschlägig. Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsprechung auf ein digitales COVID-19-Impfzertifikat übertragen werden kann. Der hohe Beweiswert kommt nur einer „ordnungsgemäß ausgestellten“ Bescheinigung zu (vgl. BAG 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 – Rn. 12 mwN). Liegt aber keine „ordnungsgemäß ausgestellte“ Bescheinigung vor, stellt sich die Rechtslage so dar, als habe der Arbeitnehmer kein ärztliches Attest eingereicht (vgl. BAG 17.06.2003 – 2 AZR 123/02 – Rn. 38). Im Streitfall ist gerade streitig, ob der Kläger der Dienststelle am 24. Dezember 2021 ein digitales COVID-19-Impfzertifikat vorgelegt hat, das er sich unter Vorlage eines gefälschten Impfausweises verschafft hat. Bei der Frage, ob am 16. Mai 2022 der dringende Verdacht der Vorlage eines Zertifikats bestand, das auf einer Fälschung fußt, hilft dem Kläger die „Erschütterungsrechtsprechung“ nicht.

Auch das Argument der Berufung, die durchgeführte Hausdurchsuchung habe den Verdacht der US-Streitkräfte nicht verdichten können, verfängt nicht. Die Durchsuchung der Wohnung des Klägers ist insbesondere nicht aufgrund einer „ins Blaue“ hinein erstatteten Strafanzeige der US-Streitkräfte erfolgt. Voraussetzung jeder Hausdurchsuchung ist das Vorliegen eines auf Tatsachen basierenden Verdachts, dass eine Straftat begangen wurde. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen angestellt, insbesondere durch eigene Nachforschungen herausgefunden, dass der Kläger nicht im Impfzentrum Alzey geimpft wurde.

Entgegen der Ansicht der Berufung hätte ein verständiger Arbeitgeber in der konkreten Situation auf den gegen den Kläger bestehenden Verdacht, ein falsches COVID-19-Impfzertifikat vorgelegt zu haben, nicht damit reagiert, dem Kläger als mildere Maßnahme lediglich aufzugeben, weiterhin negative Coronatests vorzulegen. Die US-Streitkräfte verdächtigten den Kläger, durch Vorlage eines falschen Impfzertifikats versucht zu haben, die tarifliche Impfprämie zu erhalten. Das durch den Täuschungsverdacht zerstörte Vertrauen lässt sich nicht durch tägliche Coronatests wiederherstellen. Es ist unerheblich, dass der Kläger meint, eine Täuschung über den Impfstatus habe keine Gesundheitsgefahren für andere Personen verursachen können, weil die COVID-19-Impfung nicht dem Fremdschutz gedient habe. Die Einhaltung der 3G-Regel am Arbeitsplatz war gesetzliche Pflicht; § 28b Abs.1 IfSG in der damaligen Fassung stand insbesondere mit dem Grundgesetz im Einklang (vgl. BVerfG 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21 – Rn. 123 ff). Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse ist eine Straftat (§ 279 StGB). Ein verständiger Arbeitgeber hätte vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung keine milderen Mittel erwogen.

cc) Am 16. Mai 2022 durften die US-Streitkräfte davon ausgehen, dass die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB noch nicht abgelaufen war. Maßgeblich für den Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist erst die Kenntnis von sämtlichen Tatsachen, die eine Entscheidung dahin erlauben, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann oder nicht. Zu den in diesem Sinne maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Es muss alles in Erfahrung gebracht sein, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses anzusehen ist (vgl. BAG 05.05.2022 – 2 AZR 483/21 – Rn. 22, 23 mwN). Vorliegend konnten die US-Streitkräfte über die ADD erst am 10. Mai 2022 Einsicht in die Ermittlungsakte nehmen, so dass die Zweiwochenfrist jedenfalls nicht vorher zu laufen begann. Mit Einsicht in die Ermittlungsakte haben die US-Streitkräfte davon erfahren, dass beim Kläger ein Durchsuchungsbeschluss vollstreckt wurde. Aus ihrer Sicht war der Verdacht damit „dringend“ genug, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen (vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 – Rn. 18 mwN). Dies ist nicht zu beanstanden.

2. Der Kläger macht zweitinstanzlich nicht mehr geltend, die Vertreter der US-Streitkräfte hätten im Verlauf des Gesprächs vom 16. Mai 2022 gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen.

Es kann deshalb offenbleiben, ob das Gebot fairen Verhandelns, das die Entscheidungsfreiheit bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags schützt (vgl. BAG 24.02.2022 – 6 AZR 333/21 – Rn. 21 ff mwN), generell auf Gespräche Anwendung findet, die in eine Eigenkündigung münden. Jedenfalls kann eine Drohung iSv. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, die mangels Widerrechtlichkeit nicht zur Anfechtbarkeit der Eigenkündigung führt, bei der im Rahmen des Gebots fairen Verhandelns vorzunehmenden Bewertung der konkreten Situation nicht als Pflichtverletzung angesehen werden (vgl. BAG 24.02.2022 – 6 AZR 333/21 – Rn. 32 mwN).

Hinzu kommt, dass die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist (vgl. BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17 – Rn. 32 ff). Der erforderliche Umfang und damit auch die Ausgestaltung der Anhörung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die US-Streitkräfte haben vorliegend zum Abschluss des Anhörungsgesprächs – obwohl der Kläger aus ihrer Sicht die Verdachtsmomente nicht ausräumen konnte – eine Eigenkündigung zu einem „geraden“ Beendigungstermin aus „medizinischen Gründen“ akzeptiert. Dies ist nicht unfair.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass auch die vorliegende Gesprächssituation nicht als unfair bezeichnet werden kann. Die US-Streitkräfte haben sowohl den Vorsitzenden der Betriebsvertretung als auch die stellvertretende Vertrauensperson der Schwerbehinderten hinzugezogen, so dass dem Kläger zwei Arbeitnehmervertreter zur Seite standen. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann auch das Thema der Anhörung für den Kläger nicht überraschend gewesen sein. Er war bereits von der US-Militärpolizei angehört worden, die deutschen Strafverfolgungsorgane haben gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Der Kläger hätte die Situation durch ein schlichtes „Nein“ beenden können, zumal er im Verlauf der Anhörung beteuert hat, das von ihm der Dienststelle am 24. Dezember 2021 vorgelegte digitale COVID-19-Impfzertifikat sei nicht falsch gewesen. Für seine bestrittene Behauptung, während des Gesprächs seien vier US-Militärpolizisten in Uniform anwesend gewesen, hat der darlegungs- und beweispflichtige Kläger keinen Beweis angetreten. Eine „psychische Drucksituation“ oder „besonders unangenehme Rahmenbedingungen“ wären bei deren Anwesenheit im Streitfall eher fernliegend, weil der Kläger aufgrund seiner jahrelangen Tätigkeit als Feuerwehrmann bei den US-Streitkräften an den Anblick von Uniformträgern gewohnt gewesen sein dürfte.

3. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist unbegründet. Zwar kommt ein Anspruch auf (vorläufige) Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits grundsätzlich auch bei Streit über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers in Betracht. Entscheidend ist die besondere Interessenlage während des Streits über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Dies gilt unabhängig davon, aufgrund welchen Beendigungstatbestands der Fortbestand streitig ist (vgl. BAG 21.09.2017 – 2 AZR 57/17- Rn. 53 mwN). Vorliegend überwiegt wegen der festgestellten Wirksamkeit der Eigenkündigung das Interesse der US-Streitkräfte an der Nichtbeschäftigung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung.

III.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

 

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