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Arbeitszeiterfassung – Kündigung wegen Manipulation

ArbG Brandenburg, Az.: 1 Ca 528/15, Urteil vom 05.04.2016

1. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 15.05.2015 aufgelöst ist.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.

3. Streitwert: 10.768,44 Euro.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der am … 1978 geborene, ledige und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger, war bei der Beklagten, die ein Logistikunternehmen betreibt, seit dem 15.01.2007 zunächst in B. und, zuletzt seit dem 20.01.2014 in der Betriebsstätte W. mit einer wöchentlichen durchschnittlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden und einem Bruttoentgelt von zuletzt 2.692,11 Euro als Kraftfahrer beschäftigt.

In der Betriebsstätte in W. stellte die Beklagte dem Kläger zur Erledigung seiner Arbeitsaufgaben den Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen …. Zur Verfügung. Neben dem Kläger fuhr ein weiterer Arbeitnehmer, Herr M. M., ebenfalls regelmäßig mit diesem Fahrzeug. Zur Aufzeichnung der Lenk- und Ruhezeiten sowie Lenkzeitunterbrechungen war in dem Zeitpunkt, als der Kläger den Lkw nutzte, noch ein mechanischer Tachograph installiert, der die Lenk- und Ruhezeiten sowie Lenkzeitunterbrechungen auf einer Tachoscheibe aufzeichnete.

Bei der Beklagten existiert eine zwischen ihr und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung 118/009 zur Regelung der Arbeitszeit für alle als Kraftfahrer eingesetzten Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter, die im Auftrag der Beklagten mit einem Firmen-Lkw fahren. Dort ist u.a. in § 2 Folgendes geregelt:

„…

§ 2 Arbeitszeit

1. Als Arbeitszeitnachweis gilt der R. Tourenschein.

2. Zum Nachweis der Sozialvorschriften (Lenk + Ruhezeit) gilt die Diagrammkarte oder die Fahrerkarte bei dem digitalen Tachographen.

3. Die Daten des Tachographen (analog oder digital) müssen zwingend mit dem Tourenschein übereinstimmen. Verantwortlich hierfür ist der jeweilige Fahrer.

4. Arbeitsbeginn ist für die Fahrer der auf dem Tourenplan zu entnehmende Tourbeginn, dieser muss mit dem Tourbeginn auf dem Tourenschein übereinstimmen.

5. …

6. Die Fahrer sind in Schichten Früh/Spät eingeteilt. Zum Arbeitsende liegt in der Disposition der Tourenplan aus. Diesem ist der Arbeitsbeginn zu entnehmen, bei Unklarheiten ist nachzufragen. Dabei berücksichtigt ist die Aufrüstzeit von 15 Minuten. Diese gilt nur für die erste Tour am Tag bei Doppel- oder Mehrfachtouren. (Unterschied Tourbeginn/Abfahrtszeit). Außerdem ist evtl. Ladezeit / je nach Tour hier enthalten.

7. -10. …

11. Der Fahrer ist für die gesetzlichen Sozialvorschriften verantwortlich. Die Tachographen sind entsprechend einzustellen.

12. Arbeitsende ist das tatsächliche Tourende der letzten Tour am Tage, d. h. nach dem Entladen und auftanken des Fahrzeuges, bzw. mit Übergabe an einen Be- oder Entlader. Als Arbeitsende ist also die letzte Bewegung des Fahrzeugs, die zum Bereitstellen des Fahrzeuges dient, festgelegt. Hinzu kommt eine 15minütige Abrüstzeit die ausschließlich vom Disponenten zu den Tourenden einzutragen ist.

Eine Eintragung durch den Fahrer ist untersagt.

13. Die abzurechnende und zu bezahlende Arbeitszeit sind Rüsten (auf und ab), die vom Tachographen erfasste Arbeitszeit (Lenkzeit und Auf- bzw. Abladen) sowie sonstige Arbeitszeiten zu denen der Fahrer vom Disponenten eingeteilt ist.

14. Pausen sind keine Arbeitszeit. Die Pause beträgt, soweit gesetzlich keine längeren Pausen vorgesehen sind, 45 Minuten pro Schicht.

…“

Arbeitszeiterfassung - Kündigung wegen Manipulation
Symbolfoto: hadrian/Bigstock

Zu Beginn jeder Schicht erhält jeder Kraftfahrer an der Pforte des Betriebseingangs vom Pförtner gegen Quittung in einer Schlüsselübergabeliste die Fahrzeugschlüssel für den Lkw. Bei Schichtende übergibt der jeweilige Fahrer wiederum die Schlüssel an der Pforte. Der jeweilige Pförtner quittiert mit Uhrzeit den Empfang des Schlüssels. Unter anderem verrichtete der Kläger im Monat April 2015, am 01.04, 09.04 und 10.04. seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung für die Beklagte. Hierzu begab er sich regelmäßig nach W., wo auch jeweils nach Beendigung der Tour seine Arbeit endete.

Für den 01.04.2015 trug der Kläger auf seinem Tourenschein als Dienstende 11:25 Uhr ein. Auf der Fahrtenschreiberscheibe vom 01.04.2015 ist zwischen 11:05 Uhr und 11:10 Uhr eine durchgehende gerade Linie als letzte Eintragung erkennbar. Nach dem Schlüsselübergabeprotokoll wurde durch den Pförtner die Schlüsselabgabe des Klägers um 10:30 Uhr dokumentiert.

Am 09.04.2015 vermerkte der Kläger auf seinem Tourenschein als Arbeitsende 20:40 Uhr. Auf der Tachoscheibe des 09.04.2015 ist um 20:30 Uhr wiederum ein gerader durchgezogener Strich erkennbar. Nach dem Schlüsselübergabeprotokoll vom 09.04.2015 vermerkte der an diesem Tag tätige Pförtner als Zeitpunkt der Schlüsselübergabe 19:52 Uhr.

Am 10.04.2015 trug der Kläger in seinen Tourenschein als Tourende 23:45 Uhr ein. Die Fahrtenschreiberscheibe vom 10.04.2015 enthält bei der Uhrzeit 23:30 Uhr wiederum wieder einen geraden durchgehenden Strich. Entsprechend dem Schlüsselübergabeprotokoll von diesem Tag gab der Kläger seinen Lkw-Schlüssel um 22:35 Uhr an der Pforte ab.

Wegen der Unregelmäßigkeiten gelangte die Beklagte zu der Auffassung, der Kläger habe die Tourenscheine und die Fahrtenschreiberscheiben im Hinblick auf das Arbeitszeitende manipuliert. Deshalb hörte die Beklagte am 27.04.2015 den Kläger gegen 13:10 Uhr hierzu an. Während der Anhörung erklärte der Kläger, dass er wisse, dass die Entgeltabrechnung auf den Zeiten beruhe, die er auf seinem Tourenschein eintrage. Gleichzeitig verwies der Kläger während des Gesprächs aber auch auf seine Tachoscheiben.

Weiterhin bemerkte er, er könne sich die Zeitdifferenzen nicht erklären und schlug vor, dass gegebenenfalls anhand der Aufzeichnungen der Kamera, die sich an der Pforte befindet, geprüft werden könne, wann er an diesen Tagen jeweils das Betriebsgelände verlassen habe.

Nach Zustimmung der Datenschutzbeauftragten der Beklagten wurden dann am 30.04.2015 im Beisein der Betriebsratsvorsitzenden Frau F. und dem Betriebsratsmitglied Frau V. die Kameraaufzeichnungen überprüft. Der Kläger war während der Inaugenscheinnahme nicht anwesend.

Nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 07.05.2015 und der Mitteilung des Betriebsrates vom 11.05.2015, dass er keine Stellung nehmen werde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 15.05.2015 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.08.2015.

Der Kläger, der sich gegen die außerordentliche sowie auch hilfsweise ordentlich ausgesprochene Kündigung mit seiner beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel am 05. Juni 2015 eingereichten Klage wendet, meint, sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei unwirksam. Die von der Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen habe der Kläger nicht begangen. Die Zwei-Wochenfrist für die außerordentliche Kündigung sei nicht eingehalten.

Der Kläger bestreitet, dass die Zeugin B. den Tourenschein nebst Fotokopie der Fahrtenschreiberscheibe des Klägers am 01.04.2015 bereits um 11:07 Uhr aus dem Briefkasten des Fuhrparks entnommen habe. Es werde bestritten, dass er das Betriebsgelände bereits um 10:30 Uhr nach Abgabe des Fahrzeugschlüssels verlassen habe. Dies sei deshalb nicht möglich, weil der Kläger entsprechend den Aufzeichnungen des Fahrtenschreibers erst um 10:30 Uhr Auf dem Betriebsgelände der Beklagten zum Abladen des Leergutes angekommen sei. Nach Abschluss des Ladevorganges habe er sein Lieferfahrzeug zuletzt um 11:00 Uhr zur Laderampe gefahren. Das Fahrzeug lasse sich jedoch ohne Schlüssel nicht starten. Es werde weiter bestritten, dass er die Fahrtenschreiberscheibe manipuliert haben solle.

Der Kläger bestreitet weiter, dass er am 09.04.2015 bereits um 19:35 Uhr den Fahrzeugschlüssel an der Pforte abgegeben und das Betriebsgelände verlassen haben solle. Entsprechend der Fahrtenschreiberscheibe habe er diese erst um 20:25 Uhr aus dem Fahrtenschreiber entnommen. Dies sei durch die feine durchgezogene Linie auf der Scheibe zu erkennen. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe er an diesem Tag das Fahrzeug zur Laderampe zuletzt um 20:12 Uhr bewegt. Tatsächlich habe der Kläger an diesem Abend den Schlüssel erst knapp zwei Stunden nach dem auf den Tourenschein angegebenen Ende an der Pforte abgegeben. Denn der Kläger habe festgestellt, dass das Vorderlicht seines Lkw defekt gewesen sei und er es habe austauschen müssen. Zugunsten der Beklagten habe er diese Zeit nicht als Arbeitszeit eingetragen.

Am 10.04.2015 habe er wie auf dem Tourenschein und der Fahrtenschreiberscheibe dokumentiert bis einschließlich 23:45 Uhr gearbeitet. Es werde bestritten, dass er bereits um 22:35 Uhr den Fahrzeugschlüssel an der Pforte abgegeben und das Betriebsgelände verlassen habe. Ausweislich der Fahrtenschreiberscheibe habe er diese erst um 23:30 Uhr aus dem Fahrtenschreiber entnommen. Dies sei wiederum durch die feine durchgezogene Linie auf der Scheibe zu erkennen. Das Fahrzeug habe der Kläger an diesem Tag zuletzt um 23:13 Uhr zur Laderampe bewegt. Der Kläger bestreitet weiter, dass der benannte Zeuge Z. am 10.04.2015 gegen 23:30 Uhr die Uhr im Lkw des Klägers kontrolliert habe. Zu dem gemeinsamen Sichtungstermin der Videoaufzeichnungen am 30.04.2015 sei er weder eingeladen noch informiert worden. Insofern werde bestritten, dass die Videoaufzeichnungen der Überwachungskamera vom 09. und 10.04.2015 gezeigt hätten, dass er das Betriebsgelände am 09.04.2015 gegen 19:53 Uhr und am 10.04.2015 gegen 22:35 Uhr verlassen habe.

Mangels nachgewiesener Pflichtverletzung und wegen des fehlenden dringenden Tatverdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung sei auch die hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam. Schließlich sei auch der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Kläger beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis vom 04.01.2007 durch die ausgesprochene fristlose Kündigung vom 15.05.2015, zugegangen am 15.05.2015, nicht aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 15.05.2015 hinaus fortbesteht.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis vom 04.01.2007 durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 15.05.2015, zugegangen am 15.05.2015, nicht aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.08.2015 hinaus fortbesteht.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Kraftfahrer zu unveränderten Bedingungen entsprechend des Arbeitsvertrages vom 04.01.2007 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden und einem monatlichen Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 2.692,11 Euro bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiter zu beschäftigten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sei wirksam. Die Beklagte trägt vor, sie habe das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus verhaltensbedingten Gründen, die in dem dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetruges durch den Kläger liegen, gekündigt.

Zu dem Ergebnis sei die Beklagte im Ergebnis der Befragung des Klägers am 27.04.2015 im Beisein der Betriebsratsvorsitzenden gekommen.

Da sich am 01.04.2015 der Tourenschein bereits um 11:07 Uhr inklusive der auf dessen Rückseite vom Kläger fotokopierten Tachoscheibe befunden habe, könne sich die Tachoscheibe zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Fahrtenschreiber befunden haben. Woher die letzte Linie stammt, sei nicht nachvollziehbar. Der neben dem Kläger für dieses Fahrzeug eingeteilte Fahrer M. M. müsse auch regelmäßig seine Tachoscheiben kopieren. Dessen Tachoscheiben, die aus demselben Fahrtenschreiber stammen, wiesen keine fein durchgezogene Linie zum Arbeitszeitende auf. Auch die Schlüsselübergabezeiten des Herrn M. passten an beiden Tagen zum jeweiligen Tourende. Herr M. protokollierte das Tourende auf 10:00 Uhr. Die anschließende Schlüsselübergabe habe um 10:18 Uhr stattgefunden. Am 10.04.2015 dokumentierte Herr M. als Tourende 11:00 Uhr. Der Schlüssel sei durch Herrn M. um 11:40 Uhr übergeben worden.

Der Verdacht des Arbeitszeitbetruges sei bei der Beklagten ohnehin erst am 01.04.2015 aufgekommen, denn an diesem Tage habe Frau B, die im Lager W. als Kommissioniererin tätig ist und aufgrund ihrer kaufmännischen Ausbildung bei Bedarf in der Disposition aushelfe, um 11:07 Uhr den Fuhrparkbriefkasten geleert. Dabei habe sie den Tourenschein des Klägers mit der entsprechenden Uhrzeit vorgefunden. Am 09.04.2015 könne Herr M. nicht als Zeuge für eine spätere Schlüsselübergabe infrage kommen. Denn Herr M. habe am 09.04.2015 in der Zeit von 1:03 bis 10:00 Uhr am Vormittag seine Tour absolviert und um 10:18 Uhr den Fahrzeugschlüssel an der Pforte abgegeben.

Auch auf den Kameraüberwachungsbildern sei zu erkennen, dass der Kläger am 09. und 10.04.2015 das Betriebsgelände zu den Zeiten verlassen habe, wie sich diese aus dem Schlüsselübergabeprotokoll ergeben.

Es gäbe auch keinen Fehler im Schlüsselübergabeprotokoll. Dieses sei fortlaufend geführt worden.

Über die Behauptung der Beklagten, dass sich am 01.04.2015 um 11:07 Uhr im Fuhrparkbriefkasten der Tourenschein des Klägers befunden habe, dass am 10.04.2015 der Zeuge Z. um 23:30 Uhr den Fahrtenschreiber des Klägers auf dessen korrekte Uhrzeit überprüft habe und dass laut den Kameraaufzeichnungen der Außenkamera der Kläger am 09.04.2015 das Betriebsgelände um 19:53 Uhr und am 10.04.2015 um 22:36 Uhr verlassen habe, erhob das Gericht Beweis durch Einvernahme der Zeugen B., Z., F. und L.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokollniederschriften ausdrücklich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Zu Recht begehrt der Kläger die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten am 15.05.2015 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst ist. Wegen des dringenden Verdachts des Arbeitszeitbetruges am 01., 09. und 10.04.2015 ist jedoch die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung wirksam.

I.

Die von der Beklagten am 15.05.2015 ausgesprochene außerordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Denn die Beklagte hat die Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten.

1. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der maßgebenden Kündigungstatsachen durch den Kündigungsberechtigten erfolgen.

Dies gilt sowohl für eine außerordentliche Tat- als auch für eine außerordentliche Verdachtskündigung. Da anders als bei der Tatkündigung bei der Verdachtskündigung der Arbeitgeber bei Vorliegen eines Verdachts auch prüfen muss, ob dieser hinreichend ist und damit alle be- und entlastenden Umstände, die gegen oder für den Arbeitnehmer sprechen, zu berücksichtigen hat, beginnt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erst in dem Zeitpunkt, in dem sich der Arbeitgeber nach Anhörung des Arbeitnehmers davon überzeugt hat, dass tatsächlich ein hinreichender Verdacht gegeben ist. Allerdings darf sich der Arbeitgeber für die Ermittlung des dringenden Tatverdachts nicht unerheblich lange Zeit lassen. Ist der Kündigungsgegner anzuhören, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf in der Regel nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13 – Rn 40, 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12, zitierte nach Juris). Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann diese kurze Frist überschritten werden (BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13 –Rn 40, zitierte nach Juris).

Die Beklagte hatte den Kläger trotz Kenntnis von den aus ihrer Sicht fehlerhaften Eintragungen in den Tourenscheinen am 01., 09. und 10.04.2015 erst am 27.04.2015 zu ihrem Verdacht angehört. Besondere Umstände aufgrund derer die Sachverhaltsermittlung sich äußerst schwierig gestaltete, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Vielmehr hat sie selbst dargelegt, dass aufgrund der gleich am 01.04.2015 festgestellten fehlerhaften Eintragung in den Tourenschein sie die Entscheidung traf, den Kläger nunmehr verstärkt zu kontrollieren, um zu prüfen, ob es sich bei dem 01.04.2015 um ein einmaliges Versehen handelte.

Die außerordentliche Kündigung ist deshalb gemäß § 626 Abs. 2 BGB bereits rechtsunwirksam.

II.

Die von der Beklagten hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Denn der Kläger hat am 01., 09. und 10.04.2015 die Arbeitszeit im Hinblick auf das Arbeitsende bewusst falsch angegeben.

1. Gemäß § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz ist eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die in dem Verhalten des Arbeitsnehmers liegen und einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

1.1. Auch eine gegenüber dem Arbeitgeber begangene schwere Arbeitspflichtverletzung kann ein verhaltensbedingter Grund sein, der einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen kann. Insbesondere bewusst vorgenommene Manipulation in der Arbeitszeiterfassung sind solche schwerwiegenden Pflichtverletzungen, die den Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung berechtigen können. In jedem Fall ist neben dem Vorliegen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes eine Interessenabwägung durchzuführen.

1.2. Im Ergebnis der am 05.04.2016 in der Kammersitzung durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger jeweils am 01.04., 09.04. und 10.04.2015 bewusst das jeweilige Arbeitszeitende falsch in den Tourenschein eingetragen hat. Durch die Falscheintragungen hat er gegenüber der Beklagten das Arbeitszeitende jeweils in erheblichem Umfang später dokumentiert als er tatsächlich die Arbeit beendete. Es besteht deshalb nicht nur der dringende Verdacht, sondern die behaupteten Pflichtverletzungen sind tatsächlich vom Kläger begangen worden.

Dies steht im Ergebnis der am 05.04.2016 in der Kammersitzung durchgeführten Beweisaufnahme und nach Würdigung aller vorgelegten Dokumente sowie Sachverhaltsdarstellungen fest. Im Hinblick auf den 01.04.2016 hat die Zeugin B. den Vortrag der Beklagten bestätigt, dass sie an diesem Tage um kurz nach 11:00 Uhr den Tourenschein des Klägers aus dem Briefkasten des Fuhrparks entnahm. Dabei hat sie festgestellt, dass als Tourende 11:20 oder 11:25 Uhr eingetragen wurde.

Zu den vorgeworfenen Arbeitszeitpflichtverletzungen am 09. und 10.04.2015 bestätigte zunächst der Zeuge Z., der für die Firma G. als Sicherheitsmitarbeiter auf dem Gelände für die Beklagte tätig ist, dass er am 10.04.2015 die Uhrzeit des Tachographen des vom Kläger genutzten Lkw vor seinem Schichtende auf ihre Richtigkeit überprüfte und dabei keine Abweichungen feststellte.

Schließlich hat die Betriebsratsvorsitzende Frau F. als Zeugin bestätigt, auf den Videoaufzeichnungen für den 09. und 10.04.2015 war jeweils zu erkennen, dass der Kläger das Betriebsgelände jeweils zu den Zeiten verließ, die auf den Schlüssellisten vermerkt waren.

Der Zeuge L. konnte sich zu dem von der Zeugin F. bestätigten Sachverhalten nicht erklären. Denn am 30.04.2015 sei er nicht in der Betriebsstätte in W. zugegen gewesen.

Das Gericht hatte keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der von den Zeugen gemachten Aussagen. Auch im Hinblick auf die von der Zeugen F. getätigte Aussage bestehen keine Bedenken, weil sie den von ihr geschilderten Sachverhalt durch Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen wahrnahm.

Die Videoaufzeichnung selbst unterliegt keinem generellen Beweisverwertungsverbot. Ein solches kennt die Zivilprozessordnung nicht. Aus § 286 ZPO in Verbindung mit Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen (BVerfG 09. Oktober 2002 – 1 BvR 1611/96, Rn. 60, BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08 – Rn. 30, zitiert nach Juris).

Vorliegend kommt hinzu, dass es sich bei der Videoaufzeichnung nicht um eine heimliche Videoaufzeichnung handelt. Denn die Videokamera überwacht nicht etwa nicht nur den Zugang der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Beklagten. Sondern mit ihr werden sämtliche Bewegungen von Menschen und Fahrzeugen aufgezeichnet. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst der Videoauswertung zustimmte und auch die Datenschutzbeauftragte hierzu ihr Einverständnis gab. Schließlich handelte es sich bei der Aussage der Zeugin F. nicht etwa um einen mittelbaren Zeugen. Denn die Zeugin F. hat ihre eigenen Wahrnehmungen, die sie im Zusammenhang mit dem Anschauen des Videomaterials gemacht hat, wiedergegeben.

Unter Berücksichtigung der weiteren von der Beklagten eingereichten Unterlagen ergibt sich damit, dass der Kläger am 01.04.2015 das Betriebsgelände 55 Minuten vor dem eingetragenen Dienstende auf dem Tourenschein verließ. Am 09.04.2015 verließ er 48 Minuten vor dem angegebenen Arbeitsende das Betriebsgelände. Schließlich verließ er am 10.04.2015 eine Stunde und zehn Minuten früher das Betriebsgelände, als er es im Tourenschein angab.

Damit hat der Kläger gegenüber der Beklagten im Zeitraum vom 01.04. bis einschließlich 10.04.2015 insgesamt fast drei Stunden früher das Arbeitsgelände verlassen, als er die entsprechende Arbeitszeit hierfür gegenüber der Beklagten auf dem Tourenschein abrechnete.

Nicht unberücksichtigt bei der Würdigung der Gesamtumstände blieben vom Kläger eingereichte Fahrtenschreiberscheiben für die drei Tage. Alle drei weisen zu den Zeiten, die der Kläger für die Tage jeweils im Tourenschein angab, eine durchgehende gerade Linie auf.

Allerdings stimmen insoweit die Fahrtenschreiberzeiten weder mit den Zeiten der Videoüberwachung noch mit den Zeiten der Schlüsselübergabeprotokolle und mit den Wahrnehmungen der verschiedenen Zeugen der Beklagten überein.

Deshalb sah es das Gericht auch unter Berücksichtigung der eingereichten Kopien der Fahrtenschreiberscheiben und unter Würdigung aller Umstände als erwiesen an, dass der Kläger tatsächlich an den drei Tagen zu den von der Beklagen behaupteten Zeit das Betriebsgelände früher verließ als er es in den Tourenscheiben angab.

1.3 Auch im Rahmen der Interessenabwägung war das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stärker zu bewerten, als die zugunsten des Klägers zu berücksichtigende Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Kind und die Betriebszugehörigkeit. Die Manipulation der Arbeitszeiten durch den Kläger stellen schwere Pflichtverletzungen dar, die im Wege der Interessenabwägung sich zu Lasten des Klägers auswirken. Hinzu kommt, dass es sich bei den falsch erfassten Arbeitszeiten nicht nur um unerhebliche Arbeitszeiten handelte, sondern umfasst insgesamt drei Stunden der geschuldeten Arbeitszeit. Deshalb ist die Schwere der Pflichtverletzungen und damit das Interesse der Arbeitgeberin auch im Hinblick auf eine Zukunftsprognose höher zu bewerten als die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers und seine bisherige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten.

2. Die Beklagte hat auch den bei ihr gebildeten Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß beteiligt. Die Beklagte hat dem Betriebsrat zunächst sämtliche Sozialdaten des Klägers benannt und auch die von ihr ermittelte Kündigungsfrist mitgeteilt. Darüber hinaus hat sie sämtliche Tatsachen, die für sie für den Ausspruch der beabsichtigten Kündigung für erheblich hielt, dem Betriebsrat mitgeteilt.

III.

Wegen der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung, ist auch der allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag unbegründet.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, wonach bei teilweisem Unterliegen und Obsiegen die Kosten des Verfahrens zu quoteln sind. Die Festsetzung des Streitwertes im Urteil ergeht gem. § 61 Abs. 1 ArbGG.

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