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Auslegung eines Haustarifvertrags

LAG Sachsen-Anhalt, Az.: 7 Sa 166/09, Urteil vom 28.01.2010

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 25.03.2009 – 2 Ca 537/08 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin ab dem 1.1.2008 Anspruch auf tarifliche Vergütung mit einem Bemessungssatz von 100 % des Tarifgebiets West hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der, die in Europa verschiedene Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Kliniken, betreibt. Die am …. geborene Klägerin ist in dem von der Beklagten in H. betriebenen Krankenhaus seit dem 1.9.1997 als Krankenschwester beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 600 Mitarbeiter. Seit dem 1.1.2008 ist die Klägerin Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Am 31.1.2006 haben die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Beklagte folgenden Haustarifvertrag für die Beschäftigten der Beklagten in H. abgeschlossen:

Auslegung eines Haustarifvertrags
Symbolfoto: RazvanPhotography/Bigstock

§ 1 Geltungsbereich

(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Arbeits- bzw. Berufsausbildungsverhältnisse der

a) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – nachfolgend Beschäftigte genannt -, die im … tätig sind,

b) Auszubildenden, die in einem staatlich anerkannten oder als staatlich anerkannt geltenden Ausbildungsberuf ausgebildet werden,

c) Schülerinnen/Schüler in der Gesundheit- und Krankenpflege.

(2) Dieser Tarifvertrag gilt nicht für

a) Beschäftigte als leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG, wenn ihre Arbeitsbedingungen einzelvertraglich besonders vereinbart sind, sowie Chefärztinnen/Chefärzte und deren Vertreter, Oberärzte, Pflegedirektorin, Pflegedienstleitung und Abteilungsleiter,

b) Beschäftigte, die über ein Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 15 hinausgehendes regelmäßiges Entgelt erhalten oder deren Arbeitsbedingungen einzelvertraglich ausgestaltet werden,

c) geringfügig Beschäftigte im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV,

d) Beschäftigte, für die Eingliederungszuschüsse nach §§ 217 ff. SGB III gewährt werden,

e) Beschäftigte, die Arbeiten nach den §§ 260 ff. SGB III verrichten,

f) Praktikantinnen und Praktikanten

g) Leiharbeitnehmerinnen/Leiharbeitnehmer von Personal-Service-Agenturen sofern deren Rechtsverhältnisse durch Tarifvertrag geregelt sind.

(3) Für Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis sich nach den Vorschriften des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ) vom 05. Mai 1998 in der jeweils geltenden Fassung regelt, finden die Vorschriften des § 3 Abs. 1 Buchstabe a dieses Haustarifvertrages keine Anwendung.

§ 2 Anzuwendende Tarifverträge

(1) Folgende zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und der ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) – Bundesvorstand – abgeschlossenen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in der jeweils geltenden Fassung finden Anwendung auf die Arbeits- bzw. Berufsausbildungsverhältnisse der von § 1 erfassten Personen unter Beachtung der in § 3 vereinbarten Maßgaben:

a) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13. September 2005,

b) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) – Besonderer Teil Krankenhäuser – (BT-K) vom 13.September 2005,

c) Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) vom 13. September 2005,

d) Tarifvertrag zur sozialen Absicherung (TBVsA) vom 13.September 2005,

e) Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) – Allgemeiner Teil – vom 13. September 2005,

f) Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) – Besonderer Teil BBiG – vom 13.September 2005,

g) Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) – Besonderer Teil Pflege – vom 13. September 2005.

(2) Wird in den im Absatz 1 genannten Tarifverträgen auf Vorschriften anderer Tarifverträge verwiesen, gelten diese, soweit in diesem Tarifvertrag keine abweichenden Reglungen vereinbart sind.

(3) Soweit in den zur Anwendung kommenden Tarifverträgen für die Arbeitsbedingungen auf beamtenrechtliche Regelungen verwiesen wird, gelten diese in der jeweiligen Fassung.

§ 3 Besondere Regelungen

(1) Der Tarifvertrag nach § 2 Abs. 1 Buchstabe a (TVöD) gilt mit folgenden Maßgaben:

a) Die regelmäßige Arbeitzeit nach § 6 Abs. 1 Buchstabe b beträgt 35 Stunden wöchentlich.

b) Das Entgelt für Rufbereitschaft wird abweichend von § 8 Abs. 3 einzelvertragliche vereinbart. Die Rahmenbedingungen sind in eine Betriebsvereinbarung zu vereinbaren.

c) Die Beschäftigten erhalten abweichend von § 15 Abs. 2 Entgelt nach der Anlage 1 „Tabelle TVöD“ oder Anlage 2 Kr-Anwendungstabelle“.

d) Anstelle Abs. 5 des § 20 erfolgt die Auszahlung monatlich mit dem Tabellenentgelt mit jeweils 1/12 der Jahressonderzahlung.

e) § 25 „Betriebliche Altersversorgung“ findet keine Anwendung. Der Anspruch auf eine Altersversorgung wird in einem Tarifvertrag vereinbart.

(2) Der Tarifvertrag nach § 2 Abs. 1 Buchstabe b (BT-K) gilt mit folgenden Maßgaben, dass abweichend von § 45 Abs. 6 eigenständig die Aufnahme von Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung nach den Abs. 3 und 4 erfolgen kann.

(3) Der Tarifvertrag nach § 2 Abs. 1 Buchstabe c (TVÜ-VKA) gilt mit folgenden Maßgaben:

a) Der in § 12 benannte Strukturausgleich ist zeitratierlich entsprechend Abs. 1 Buchstabe a zu gewähren.

b) die Tabellenwerte nach § 19 Abs. 1 und 2 sind zeitratierlich entsprechend Abs 1 Buchstabe a zu gewähren.

c) Anstelle der Anlage 5 „Kr-Anwendungstabelle“ für das Tarifgebiet Ost findet Anlage 2 gemäß Abs. 1 Buchstabe c Anwendung.

d) § 20 Abs 3 Satz 1 gilt mit der Maßgabe, dass im Jahr 2006 ab Monat März 2006 monatlich mit dem Tabellenentgelt 1/10 der Jahressonderzahlung auszuzahlen ist.

(4) Für die Beschäftigten gemäß § 1 Abs. 1 beträgt der Bemessungssatz für das Tabellenentgelt und den sonstigen Entgeltbestandteilen der unter § 2 Abs. 1 genannten Tarifverträge 94 v. H. der nach den jeweiligen Tarifvorschriften für Beschäftigte im Bereich der VKA für die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung findenden Beträge.

Dieser Bemessungssatz erhöht sich zum 01.Juli 2006 auf 95,5 v. H. und zum 01. Juli 2007 auf 97 v. H..

§ 4 Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen

Den Beschäftigten, die von § 1 Absatz 1 erfasst sind, kann mit dem Ziel der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Laufzeit dieses Tarifvertrages nicht betriebsbedingt gekündigt werden.

§ 5 In-Kraft-Treten, Laufzeit

(1) Dieser Tarifvertrag tritt am 01. März 2006 in Kraft.

(2) Dieser Tarifvertrag kann mit einer Frist von drei Kalendermonaten zum Schluss eines Kalenderjahres schriftlich gekündigt werden; frühestens jedoch zum 31.Dezember 2010.

(3) Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 Tarifvertragsgesetz ist für § 3 Abs. 1 Buchstabe a ausgeschlossen.

In der Anlage zum Haustarifvertrag befinden sich Entgelttabellen. Die letzte Tabelle weißt die Vergütung nach einem Bemessungssatz 97. v. H. Tarifgebiet West aus. (Wegen des weiteren Inhalts des Haustarifvertrages nebst Anlagen wird auf Bl. 3 bis 10 d. A. Bezug genommen.)

Auf Grund des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 31.3.2008 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) – Besonderer Teil – Krankenhäuser – (BT-K) vom 1.8.2006 erhalten die Beschäftigten, für die die Regelungen des Tarifgebiets Ost Anwendung finden, Entgelt nach der Anlage B (BT-K). Hiernach erhalten die Beschäftigten jedenfalls seit dem 1.4.2008 Tariflohn nach einem Bemessungssatz zu 100 % des Tarifgebiets West. (Wegen des Inhalts des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 31.3.2008 zum TVöD-K nebst Anhängen wird auf Blatt 101 – 123 d. A. Bezug genommen.)

Die Klägerin ist in die Entgeltgruppe 9 a eingruppiert. Die Beklagte zahlt der Klägerin seit dem 1.7.2007 97 v. H. der Vergütung der im öffentlichen Dienst im VKA Beschäftigten des Tarifgebietes West. Eine Anpassung auf 100 % der Vergütung des Tarifgebietes West erfolgte nicht. Die monatliche Einkommensdifferenz liegt bei ca. 80,00 €.

Mit ihrer am 17.7.2008 beim Arbeitsgericht Halberstadt eingegangenen Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte ihr ab 1.1.2008 Vergütung nach einem Bemessungssatz von 100 % des Tarifgebiets West schuldet.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr Anspruch auf Vergütung nach einem Bemessungssatz von 100 % des Tarifgebiets West ergebe sich aus § 2 Haustarifvertrag in Verbindung mit Tarifregelungen aus dem TVÜ-VKA und insbesondere aus § 52 Abs. 1 TVöD-BT-K in Verbindung mit § 15 Abs. 1 TVöD. § 2 Haustarifvertrag enthalte insoweit ein dynamische Verweisung auf die dort genannten Tarifverträge mit der Folge, dass ab dem 1.1. 2008 eine Anpassung auf 100 % des Tarifgebiets West erfolgen müsse. Dem Anspruch stünde auch nicht § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag entgegen. § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag habe rein deklaratorischen Charakter und wiederhole lediglich den damaligen Tarifstand. Eine Festschreibung der Tarifvergütung auf 97,5 v. H. der Westvergütung über den 1.1.2008 hinaus habe nicht dem Willen und der Absicht der tarifvertragschließenden Parteien entsprochen.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 1.1. 2008 nach der Entgeltgruppe 9 a Stufe 5 entsprechend der Anlage B zu § 52 Abs 1 TVöD-BT-K auf der Basis einer 35-Stunden-Woche zu vergüten und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge beginnend mit dem 31.1.2008, ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Anspruch der Klägerin stünde § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag entgegen. Bei dieser tariflichen Regelung handele es sich um eine besondere Regelung, die die unter § 2 Haustarifvertrag getroffene Regelung begrenze. Die Tarifvertragsparteien hätten in § 3 Abs. 4 des Haustarifvertrag eine Reglung getroffen, die eine Erhöhung nach dem 1.1.2008 auf 100 % des Tarifgebiets West gerade ausschließe.

Mit Urteil vom 25.3.2009 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, § 3 Abs 4 Haustarifvertrag stelle gegenüber den in § 2 Abs. 1 Haustarifvertrag getroffene Regelungen eine einschränkende Abrede dar. Dies stünde nach der Auslegung der Bestimmungen des Haustarifvertrages fest. Die Bestimmungen in § 2 und § 3 des Haustarifvertrages stünden in einem Regel-Ausnahme- Verhältnis. Die ergebe sich insbesondere aus dem Wortlaut der Vorschriften. Der von der Klägerin behauptete innere Wille der Unterzeichner sei im Tarifwerk nicht zum Ausdruck gekommen und sei daher zu vernachlässigen.

Gegen das der Klägerin am 9.4.2009 zugestellte Urteil wendet sich die am 5.5.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und am 9.6.2009 begründete Berufung der Klägerin.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, § 3 Haustarifvertrag enthalte keine Regelungen, die der dynamischen Verweisung in Bezug auf die entsprechende Entwicklung der Entgelte, insbesondere der Anpassung der Entgelte im Tarifgebiet Ost an die Entgelte im Tarifgebiet West entgegenstünde. § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag komme lediglich eine deklaratorische Bedeutung zu. Es fehle an einer Regelung, die den tariflich vorgesehenen letzten Anpassungszeitpunkt ausschließe oder hinausschiebe. Soweit eine Abweichung von der dynamischen Verweisung in § 2 Haustarifvertrag auf die entsprechenden tariflichen Regelungen, die zum 1.1.2008 eine Anpassung auf 100 % des Tarifgehalts West vorsehen, gewollt gewesen wäre, hätten dies die Vertragsschließenden auch in § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag ausdrücklich aufgenommen. Hieran fehle es jedoch. Zudem sei es ausgesprochen unüblich, dass ein Tarifvertrag mit einer Laufzeit von fast fünf Jahren eine dynamische Anpassung lediglich für die ersten eineinhalb Jahre in drei Schritten festschreibe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Halberstadt vom 25.März.2009 Az: 2 Ca 537/08 abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.Januar 2008 nach der Entgeltgruppe 9 a Stufe 5 entsprechend der Anlage B zu § 52 TVöD BT-K auf der Basis einer 35-Stunden-Woche zu vergüten und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge, beginnend mit dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt

1. Die Berufung wird zurückgewiesen

2. Die Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt. Das Arbeitsgericht habe völlig richtig festgestellt, dass § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag eine einschränkende Abrede gegenüber der Verweisung des § 2 Abs. 1 Haustarifvertrag darstelle. Gegen eine lediglich deklaratorische Bedeutung des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag spreche auch, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Haustarifvertrags die Anhebung des Bemessungssatzes für einen Teil der Angestellten im Tarifgebiet Ost auch zum 1.1.2008 in Aussicht gestellt wurde. Hätte § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag bloß die Funktion einer Klarstellung oder Wiedergabe eines Entwicklungsstandes gehabt, würde die Vorschrift klarstellend auch erwähnen, dass ab dem 1.1. 2008 der Bemessungssatz 100% des Tarifgebiets West betragen soll. Gerade die Nichterwähnung im Haustarifvertrag, dass ab 1.1.2008 beabsichtigt ist, den Bemessungssatz auf 100 % Tarifgebiet anzuheben, mache deutlich, dass die vertragsschließenden Parteien bewusst eine Abkoppelung vom übrigen Tarifgeschehen gewollt haben.

Wegen der weitern Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

I.

Die statthafte (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG) form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig (§§ 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1; 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 2, 520 Abs. 1 und 3 ZPO).

II.

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

1.

Die Klage ist zulässig. Das besondere Feststellungsinteresse nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 256 Abs. 1 ZPO ist gegeben. Das Feststellungsurteil ist geeignet, die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage abschließend zu klären. Auch steht der Vorrang der Leistungsklage der Feststellungsklage nicht entgegen, da die Beklagte bekundet hat, sich einem rechtskräftigen Feststellungsurteil beugen zu wollen.

2.

Die Klägerin hat keinen Anspruch ab dem 1.1.2008 nach der Entgeltgruppe 9 a Stufe 5 auf der Basis einer 35-Stunden-Woche nach der Anlage B zu § 52 Abs.1 TVöD BT-K in Verbindung mit 15 Abs. 1 TVöD – 100 % Tarifgebiet West – vergütet zu werden.

Die Höhe des Tariflohnes der Klägerin ergibt sich aus den Regelungen des Haustarifvertrages vom 31.1.2006. Die Klägerin hat danach Anspruch auf Vergütung der Entgeltgruppe 9 a Stufe 5 auf der Basis ein 35-Stunden-Woche in Höhe von 97 v. H. der in der Anlage B zu 52 Abs. 1 TVöD BT-K genannten Tabellenentgelte. Diesen Anspruch hat die Beklagte durch Zahlung erfüllt.

Der Bemessungssatz für das Tabellenentgelt und den sonstigen Entgeltbestandteilen beträgt nach § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag auch über den 1.1.2008 hinaus 97 v. H. des Tarifgebiets West. Wie das Arbeitsgericht bei der Auslegung der Bestimmungen des Haustarifvertrages zutreffend herausgearbeitet hat, stellt die Bestimmung des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag gegenüber § 2 Abs. 1 Haustarifvertrag eine einschränkende Abrede dar.

2.1.

Die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 29.8.2001 – 4 AZR 337/00 – juris, Rz. 28) den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der

Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dies Anhaltspunkt für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitsachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

2.2

Bereits der Tarifwortlaut und die Systematik des Haustarifvertrages sprechen eindeutig dafür, dass § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag eine konstitutive Regelung hinsichtlich des Bemessungssatzes für das Tabellenentgelt – 97 v. H. des Tarifgebiets West – für die Laufzeit des Tarifvertrages beinhaltet. So erfolgt die Verweisung in § 2 Haustarifvertrag auf die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst ausdrücklich „ unter Beachtung der in § 3 vereinbarten Maßgaben“. Die Überschrift des § 3 Haustarifvertrag lautet: „Besondere Regelungen“. In den Absätzen 1 – 3 des § 3 Haustarifvertrag werden dann Maßgaben der Anwendung von einzelnen Vorschriften des TVöD gemacht. So beträgt nach § 3 Abs. 1 a Haustarifvertrag die regelmäßige Arbeitszeit 35 Stunden wöchentlich. § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag bezieht sich auf alle in § 2 Abs. 1 Haustarifvertrag genannten Tarifverträge und regelt den Bemessungssatz für das Tabellenentgelt und den sonstigen Entgeltbestandteilen. In § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag wird der Bemessungssatz für das Tabellenentgelt und den Entgeltbestandteilen der unter § 2 Abs. 1 Haustarifvertrag genannten Tarifverträge auf 94 v. H. der nach den jeweiligen Tarifvorschriften für Beschäftige im Bereich der VKA für die Regelung des Tarifgebiet West Anwendung findenden Beträge festgelegt. Dieser Bemessungssatz erhöht sich zum 1. Juli 2006 auf 95,5 v. H. und zum 1. Juli 2007 auf 97 v. H.. Die Höhe des Bemessungssatzes wird demnach nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag, auch für unbeteiligte Dritte objektiv erkennbar, für die Laufzeit des Haustarifvertrages festgelegt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag nicht eine lediglich deklaratorische Bedeutung zu. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die tarifvertragschließenden Parteien unter § 3 Haustarifvertrag „Besondere Regelungen“ dann in dessen Absatz 4 lediglich eine deklaratorische Wiedergabe eines tariflichen Entwicklungsstandes festgehalten haben sollten.

Durch die Verweisung in § 2 Abs. 1 Haustarifvertrag wird auch auf § 15 Abs. 1 TVöD und die Protokollerklärungen hierzu Bezug genommen. Hiernach wird für Beschäftigte im Bereich VKA, für die die Regelungen des Tarifgebietes Ost Anwendung finden, der Bemessungssatz für das Tabellenentgelt und die sonstigen Entgeltbestandteile in diesem Tarifvertrag sowie in den diesen Tarifvertrag ergänzenden Tarifverträgen und Regelungen 94 v. H. nach den jeweiligen Tarifvorschriften für Beschäftigte im Bereich der VKA, für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, geltenden Beträge fest geschrieben. Dieser Bemessungssatz erhöht sich zum 1.Juli 2006 auf 95.5 v. H. und zum 1. Juli 2007 auf 97 v. H. (Protokollerklärung Nr. 2 zu § 15 Abs. 1 TVöD).

Die Regelung des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag wäre – bei der Annahme lediglich deklaratorischer Bedeutung – überflüssig. Der Protokollerklärung Nr. 2 zu § 15 Abs. 1 TVöD kommt Tarifcharakter zu. Die Protokollerklärung entspricht inhaltlich und formal einem Tarifvertrag, sie enthält eine konkrete Regelung und ist schriftlich niedergelegt und von beiden Seiten unterschrieben. Die Protokollerklärung ist in dem Tarifvertragstext des TVöD integriert und trifft Regelungen zur Höhe der Vergütung der Arbeitnehmer. Damit ist der Bemessungssatz von 94 v. H. mit der Erhöhung zum 1. Juli 2006 auf 95,5 v. H. und zum 1. Juli 2007 auf 97 v. H. durch die Verweisung im Haustarifvertrag in dessen § 2 festgelegt. § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag muss – da nicht davon auszugehen ist, dass die tarifvertragschließenden Parteien eine völlig überflüssige Regelung treffen wollten – eine von § 2 Haustarifvertrag abweichende Regelung beinhalten. Diese § 2 Haustarifvertrag einschränkende Regelung kann nur darin bestehen, dass eine abschließende Erhöhung des Bemessungssatzes auf 97 v. H. für die Laufzeit des Haustarifvertrages vereinbart wurde.

Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht dafür, dass die tarifvertragschließenden Parteien des Haustarifvertrages gerade den Bemessungssatz von 97 v. H. auch über den 1.1.2008, also ohne Erhöhung auf 100 %, vereinbart haben. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, war den tarifvertragschließenden Parteien bei Abschluss des Haustarifvertrages bekannt, dass in § 3 des Vergütungstarifvertrages Nr. 7 zum BAT-Ost die Anhebung des Bemessungssatzes für einen Teil der Angestellten im Tarifgebiet Ost zum 31.12.2007 auf 100 % in Aussicht gestellt wurde. Die tarifvertragschließenden Parteien konnten daher davon ausgehen, dass durch die dynamische Verweisung in § 2 des Haustarifvertrages aller Voraussicht nach mit Wirkung zum 1.1.2008 die Anhebung des Bemessungssatzes auf 100 % erfolgen würde. Damit macht aber gerade die Nichterwähnung im Haustarifvertrag, dass ab 1.1.2008 beabsichtigt ist, den Bemessungssatz auf 100 % anzuheben, deutlich, dass bewusst von den vertragschließenden Parteien eine Abkoppelung vom übrigen Tarifgeschehen mit der Regelung des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag gewollt war. Entgegen der Ansicht der Klägerin bedarf es hierzu nicht der Aufnahme eines weiteren Satzes in § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag mit dem Inhalt, dass eine Erhöhung des Bemessungssatzes zum 1.1.2008 auf 100 % ausdrücklich ausgeschlossen ist. Vielmehr ergibt sich aus der Nichterwähnung einer entsprechend § 29 TVÜ-VK in Verbindung mit § 3 Abs. 1 S. 2 des Vergütungstarifvertrages Nr. 7 zum BAT-Ost beabsichtigten Erhöhung des Bemessungssatzes zum 1.1. 2008, dass diese Erhöhung durch die besondere Regelung des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag ausgeschlossen werden soll.

Dass die Tarifvertragsparteien in § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag eine Regelung hinsichtlich der Höhe der Vergütung für die Beschäftigten getroffen haben, ergibt sich auch aus Sinn und Zweck des Haustarifvertrages vom 31.1.2006. Der vertragschließenden Gewerkschaft ging es um den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen während der Laufzeit des Tarifvertrages, was im § 4 des Haustarifvertrages auch erfolgt ist. Im Gegenzug hierzu erfolgte die Absenkung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden. Es liegt aber nahe, dass der Arbeitgeber darüber hinaus eine weitere hinsichtlich der Höhe der Vergütung für die Beschäftigten für ihn günstigere Regelung in den Haustarifvertrag treffen wollte und den Abschluss des Haustarifvertrages auch hiervon abhängig gemacht hat. Die Festschreibung des Bemessungssatzes auf 97 v. H. des Tarifgebiets West während der Laufzeit des Haustarifvertrages bewirkt bei den etwa 450 tarifunterworfenen Beschäftigen bei der Beklagten eine Summe von etwa 1.296.000 € (bei Annahme einer durchschnittlichen monatlichen Differenz in Höhe von 80 €).

Auch eine praktische Tarifübung steht der Auslegung des § 3 Abs. 4 Haustarifvertrag als konstitutive Regelung hinsichtlich der Höhe des Bemessungssatzes auf 97 v. H. des Tarifgebiets West auch über den 1.1. 2008 hinaus nicht entgegen. Bei der Regelung geht es um eine Niveauanpassung, die durchaus mit einem Stichtag auf einen endgültigen Wert festgeschrieben wird.

Wie das Arbeitsgericht weiter zutreffend festgestellt hat, ist der von der Klägerin behauptete abweichende innere Wille der Unterzeichner des Haustarifvertrags im Tarifwerk nicht zum Ausdruck gekommen und ergibt sich auch nicht aus Protokollnotizen oder Anlagen zum Haustarifvertrag und ist daher zu vernachlässigen.

III.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Kammer hat die Revision gemäß 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen, da die Auslegung des Haustarifvertrages für die Höhe der Vergütung von etwa 450 bei der Beklagten beschäftigten tarifunterworfenen Arbeitnehmern maßgeblich ist. Es sind in einer Vielzahl weiterer arbeitsgerichtlicher Verfahren Unterwerfungsvergleiche abgeschlossen worden. Das vorliegende Verfahren soll als „Pilotverfahren“ dienen.

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