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Betriebsbedingte Kündigung – Sozialauswahl

Betriebsbedingte Kündigung: Sozialauswahl als Schlüssel zur Rechtfertigung bei vergleichbarer Schutzbedürftigkeit

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung des Klägers gegen eine betriebsbedingte Kündigung abgewiesen. Das Gericht bestätigte, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war, da eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt wurde und der Kläger nicht als deutlich schutzbedürftiger gegenüber einem vergleichbaren Kollegen angesehen wurde. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer korrekten Anwendung der Sozialauswahlkriterien bei betriebsbedingten Kündigungen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 123/14 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Die Berufung des Klägers wurde auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die betriebsbedingte Kündigung wurde als sozial gerechtfertigt betrachtet.
  3. Die Anforderungen der Sozialauswahl nach § 1 Absatz 3 KSchG wurden erfüllt.
  4. Beide Arbeitnehmer, der Kläger und sein Kollege, waren annähernd gleich sozial schutzbedürftig.
  5. Die Beklagte hatte rechtlich die Möglichkeit, im Rahmen der Sozialauswahl Entscheidungen zu treffen, die von einem Punktesystem abweichen.
  6. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass keine Sozialauswahl durchgeführt werden musste, wurde vom Berufungsgericht nicht abschließend bewertet.
  7. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
  8. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Betriebsbedingte Kündigung: Die Herausforderung der Sozialauswahl

Bei einer betriebsbedingten Kündigung steht der Arbeitgeber vor der Herausforderung, eine Sozialauswahl durchzuführen, um die zu kündigenden Arbeitnehmer auszuwählen. Dabei müssen soziale Gesichtspunkte wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung berücksichtigt werden. Die Sozialauswahl ist ein komplexer Prozess, bei dem es darum geht, die betroffenen Arbeitnehmer vorrangig zu entlassen, die am wenigsten schutzbedürftig sind.

Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zeigt, wie wichtig eine korrekte Anwendung der Sozialauswahlkriterien ist. In dem Fall ging es um eine betriebsbedingte Kündigung, bei der der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchgeführt hatte. Trotz einer nahezu gleich hohen sozialen Schutzbedürftigkeit der beiden betroffenen Arbeitnehmer entschied sich der Arbeitgeber für die Kündigung des Klägers. Das Gericht bestätigte jedoch, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war, da der Kläger nicht als deutlich schutzbedürftiger gegenüber seinem Kollegen angesehen wurde. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer korrekten Anwendung der Sozialauswahlkriterien bei betriebsbedingten Kündigungen.

In dem weiteren Verlauf des Artikels werden wir uns detailliert mit dem oben genannten Urteil auseinandersetzen und die wichtigsten Aspekte und Lehren aus diesem Fall für Arbeitgeber und Arbeitnehmer herausarbeiten.

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Wenn Sie Fragen zu betriebsbedingten Kündigungen und der korrekten Anwendung der Sozialauswahlkriterien haben, fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

Im Zentrum eines arbeitsrechtlichen Disputs stand die betriebsbedingte Kündigung eines langjährig beschäftigten Kfz-Schlossers durch seinen Arbeitgeber, nachdem eine Betriebsstätte geschlossen wurde. Der Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern unter dem Aktenzeichen 2 Sa 123/14 verhandelt wurde, beleuchtet die komplexe Materie der Sozialauswahl, die bei betriebsbedingten Kündigungen eine zentrale Rolle spielt.

Der Weg zur Kündigungsschutzklage

Nach der Schließung der Betriebsstätte in A-Stadt, in der der Kläger seit Mai 1988 tätig war, kündigte die Beklagte sämtliche dort beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich des Klägers. Dieser Schritt folgte auf eine Phase, in der die Auslastung der Kfz-Schlosser bereits zurückgegangen war. Die Beklagte, die den Betrieb im Jahr 2007 übernommen hatte, bot dem Kläger und seinen Kollegen vorübergehend eine Beschäftigung in einem befreundeten Autohaus an, was der Kläger auch annahm. Diese Übergangslösung endete jedoch mit der betriebsbedingten Kündigung des Klägers zum 31. Mai 2014, gegen die er Kündigungsschutzklage erhob.

Sozialauswahl als rechtliche Herausforderung

Die Sozialauswahl, die Arbeitgebern bei betriebsbedingten Kündigungen abverlangt wird, soll sicherstellen, dass die soziale Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt wird. Im vorliegenden Fall führte die Beklagte eine Sozialauswahl durch, die auf einem Punkteschema basierte. Dabei wurden das Alter, die Betriebszugehörigkeit sowie Unterhaltspflichten als Kriterien herangezogen. Der Kläger erhielt aufgrund seiner Lebensumstände eine hohe Punktzahl, die jedoch nicht ausreichte, um seine Kündigung abzuwenden. Die Beklagte argumentierte, dass trotz der Punktevergabe alle Arbeitnehmer der geschlossenen Betriebsstätte gekündigt wurden und dass bei ähnlicher sozialer Schutzbedürftigkeit eine individuelle Bewertung zu Gunsten eines anderen Mitarbeiters erfolgte.

Die Urteilsbegründung des Gerichts

Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Es erklärte, dass die durchgeführte Sozialauswahl keinen Rechtsfehlern unterlag. Das Gericht betonte, dass dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Ermessensspielraum zusteht und dass nur eine deutlich höhere Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmers die Sozialauswahl infrage stellen könnte. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keinen ausreichenden Grund, die Entscheidung des Arbeitgebers zu beanstanden, da der Unterschied in der sozialen Schutzbedürftigkeit zwischen dem Kläger und dem letztlich nicht gekündigten Kollegen nicht signifikant war.

Die Rolle des Arbeitsortes im rechtlichen Kontext

Ein interessanter Aspekt des Falles ist die Diskussion um den im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitsort des Klägers. Das Gericht ließ die Frage offen, ob die arbeitsvertragliche Bindung an den Standort A-Stadt eine Versetzung und damit eine Umgehung der Kündigung rechtlich möglich gemacht hätte. Der Kläger hatte argumentiert, durch seine Bereitschaft, temporär in einem anderen Autohaus zu arbeiten, habe er signalisiert, dass der vertraglich festgelegte Arbeitsort für ihn keine bindende Wirkung mehr habe. Das Gericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht explizit in seiner Urteilsfindung.

Fazit: Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern bestätigt die Notwendigkeit einer sorgfältigen und rechtlich fundierten Durchführung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Es verdeutlicht zudem, dass der Ermessensspielraum des Arbeitgebers zwar vorhanden, aber nicht grenzenlos ist und dass die sozialen Kriterien in einem angemessenen und nachvollziehbaren Verhältnis gewichtet werden müssen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen durchgeführt?

Die Sozialauswahl ist ein Prozess, der bei betriebsbedingten Kündigungen durchgeführt wird, um zu bestimmen, welcher Arbeitnehmer gekündigt wird. Dieser Prozess berücksichtigt verschiedene soziale Aspekte und ist immer dann erforderlich, wenn in dem Betrieb des Arbeitgebers Kündigungsschutz besteht, was in der Regel der Fall ist, wenn mehr als zehn Arbeitnehmer in dem Betrieb beschäftigt sind.

Die Sozialauswahl basiert auf vier Hauptkriterien, die alle gleich gewichtet werden: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Bei der Durchführung der Sozialauswahl muss der Arbeitgeber denjenigen Arbeitnehmer auswählen, der am wenigsten sozial schutzbedürftig ist.

Es ist wichtig zu beachten, dass bestimmte Arbeitnehmergruppen nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden. Dazu gehören Arbeitnehmer, die noch keinen Kündigungsschutz genießen, sowie Arbeitnehmer, die aufgrund von Sonderkündigungsschutz nicht ordentlich gekündigt werden können, wie zum Beispiel Schwerbehinderte, Betriebsratsmitglieder oder Schwangere.

Die Sozialauswahl muss innerhalb des Betriebs durchgeführt werden, in dem die betriebsbedingten Kündigungen anstehen. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat frühzeitig informieren und anhören, bevor er eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht. Der Betriebsrat hat dann die Möglichkeit, sich zum Kündigungsgrund und zur Sozialauswahl zu äußern.

Fehler bei der Durchführung der Sozialauswahl können dazu führen, dass die betriebsbedingte Kündigung unwirksam ist. In solchen Fällen kann der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage einreichen.

Welche Rolle spielt das Lebensalter bei der Sozialauswahl?

Das Lebensalter ist eines der vier Hauptkriterien, die bei der Sozialauswahl im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen berücksichtigt werden müssen. Die anderen drei Kriterien sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Alle vier Kriterien haben das gleiche Gewicht und sollen eine objektive Entscheidung ermöglichen, welcher Arbeitnehmer am wenigsten sozial schutzbedürftig ist und daher gekündigt werden kann.

Das Lebensalter wird in der Sozialauswahl herangezogen, weil es pauschalierend die künftigen Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt abbildet. Jüngere Arbeitnehmer haben tendenziell bessere Chancen, eine neue Stelle zu finden als ältere Kollegen. Daher kann ein höheres Lebensalter eines Arbeitnehmers zu seinen Gunsten in der Sozialauswahl berücksichtigt werden. Es ist jedoch nicht zulässig, das Lebensalter zur Begründung gesundheitlicher Faktoren heranzuziehen.

Bei der Gewichtung des Kriteriums Lebensalter darf auch ein „rentennahes Alter“ zulasten des Arbeitnehmers gewertet werden, was bedeutet, dass ältere Arbeitnehmer, die kurz vor dem Renteneintritt stehen, unter Umständen eher gekündigt werden können als jüngere Arbeitnehmer, die noch eine längere Erwerbsphase vor sich haben.

Die Berechnung von Alter und Betriebszugehörigkeit erfordert die Festlegung eines Stichtages, der nicht willkürlich gewählt werden darf. In Betracht kommt beispielsweise der Tag der Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers.

Inwiefern beeinflussen Unterhaltspflichten die Sozialauswahl?

Unterhaltspflichten spielen eine wichtige Rolle bei der Sozialauswahl, die im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen durchgeführt wird. Das Kündigungsschutzgesetz gibt vor, dass eine Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung erfolgen muss, legt aber nicht klar fest, wie diese durchzuführen ist. Die vier gesetzlich vorgegebenen Auswahlkriterien sind Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen und Schwerbehinderungen.

Arbeitnehmer mit Unterhaltspflichten, beispielsweise gegenüber Kindern oder einem Ehepartner, werden im Arbeitsrecht besonders geschützt. Der Arbeitgeber muss bei einer betriebsbedingten Kündigung berücksichtigen, welcher von mehreren Arbeitnehmern am wenigsten von der Kündigung betroffen wäre. Unterhaltszahlungen auf freiwilliger Basis außerhalb gesetzlicher Verpflichtungen sind jedoch nicht zu berücksichtigen.

Es ist wichtig zu beachten, dass die tatsächlichen Unterhaltspflichten maßgeblich sind, nicht die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Informationen. Daher muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmer vor einer betriebsbedingten Kündigung fragen, ob sie Unterhaltspflichten haben.

Einige Unternehmen verwenden Punktesysteme, um die Sozialauswahl zu erleichtern. In solchen Systemen können beispielsweise Punkte für jedes unterhaltsberechtigte Kind oder für den verheirateten Status vergeben werden.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Sozialauswahl immer auf den Einzelfall ankommt und die Rechtsprechung nicht eindeutig ist. Bei Fehlern in der Sozialauswahl kann eine Kündigung rechtsunwirksam sein.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern  – Az.: 2 Sa 123/14 – Urteil vom 18.11.2014

1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Rahmen einer Kündigungsschutzklage streiten die Parteien insbesondere um Fragen der Sozialauswahl.

Der im November 1965 geborene verheiratete Kläger ist seit Mai 1988 als Kfz-Schlosser in einer Autowerkstatt in A-Stadt beschäftigt, die seit Anfang der 90er Jahre von der Firma B. als markengebundene Werkstatt fortgeführt wurde. Die Beklagte, die auch schon viele Jahre in C-Stadt ein markengebundenes Autohaus betreibt, hat diesen Betrieb im Jahre 2007 erworben und hat die dort beschäftigten Arbeitnehmer einschließlich des Klägers weiter beschäftigt. Bei der Beklagten sind mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt.

Maßgebend war bis zum Ausspruch der Kündigung noch der ursprüngliche Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1988 (Kopie hier Blatt 9 f). In Ziffer 1 des Arbeitsvertrages heißt es wörtlich „Als Arbeitsort wird A-Stadt vereinbart“. Das Arbeitsentgelt des Klägers betrug zuletzt 1.745,00 EUR brutto monatlich.

Die Beklagte hat sich entschlossen, die Betriebsstätte in A-Stadt zum 30. November 2013 zu schließen und hat daher alle dort beschäftigten Arbeitnehmer gekündigt bzw. ihnen – wie dem Kläger – eine Änderungskündigung ausgesprochen. Das Mietverhältnis über die Betriebsräume ist inzwischen gelöst. In den ehemaligen Betriebsräumen ist inzwischen ein Unternehmen der Landtechnik tätig.

Schon im Vorfeld der Schließung des Standortes A-Stadt waren die dort beschäftigten drei Kfz-Schlosser nach Angaben der Beklagten nicht mehr voll ausgelastet. Die Beklagte hatte daher ihre in A-Stadt beschäftigten Kfz-Schlosser – also auch den Kläger – gebeten, in eine befristete Beschäftigung bei einem befreundeten Autohaus in S. einzuwilligen. Dies sollte – so die Beklagte im Rechtsstreit – auch dazu dienen, dort einen guten Eindruck zu hinterlassen, da das befreundete Autohaus seinerzeit auf der Suche nach Kfz-Schlossern gewesen sei. Vor diesem Hintergrund war der Kläger von Oktober bis einschließlich Dezember 2013 bei dem Autohaus in S. tätig.

Obwohl die Beklagte meint, eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen, da alle Arbeitnehmer der Betriebsstätte gekündigt worden seien, hat sie vorsorglich anhand eines Punkteschemas die soziale Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer unter Einschluss der in C-Stadt tätigen Arbeitnehmer bewertet. Danach wird jedes vollendete Lebensjahr mit 1 Punkt bewertet und jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit mit 1,5 Punkten. Für Unterhaltspflichten gegenüber Kindern oder Ehegatten werden pro Unterhaltspflicht weitere 2 Punkte vergeben. In der mündlichen Verhandlung hat sich herausgestellt, dass für Ehegatten nur dann Punkte angesetzt wurden, wenn sie nicht selber berufstätig sind. Daher sind beim Kläger, allerdings auch bei seinen Sozialkonkurrenten, für die Ehefrauen keine Punkte vergeben worden.

Der Kläger hat nach dem Punkteschema unter Berücksichtigung seiner beiden Kinder insgesamt 89,5 Punkte erhalten; dabei hat er für sein Lebensalter 48 Punkte zugeschrieben bekommen, obwohl er erst kurz nach Ausspruch der Kündigung das 48. Lebensjahr vollendet hat. Der Kollege L. – geboren im Februar 1953, verheiratet, beschäftigt als Kfz-Mechaniker seit Oktober 1994 im Stammhaus in C-Stadt – hat danach 88 Punkte erhalten.

Trotz der nach Punkten größeren sozialen Schutzbedürftigkeit des Klägers hat sich die Beklagte entschlossen, ihn und nicht den Kollegen L. zu kündigen, wobei sie sich im Rechtsstreit darauf berufen hat, dass von einem sozialen Gleichstand auszugehen sei und sie bei der abschließenden Bewertung Herrn L. aufgrund seines deutlich höheren Lebensalters und der damit deutlich geringeren Erwerbschancen im Ergebnis als schutzbedürftiger angesehen habe. Außerdem wohne Herr L. betriebsnah und sei daher in der Lage, den Abschleppwagen außerhalb der regulären Arbeitszeiten bei Notwendigkeit schnell zum Einsatz zu bringen.

Mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 hat die Beklagte daher das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Mai 2014 gekündigt und ihm im gleichen Schreiben angeboten, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen ab dem 1. Juni 2014 als Kfz-Aufbereiter im Autohaus der Beklagten in C-Stadt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden bei einem monatlichen Entgelt in Höhe von 872,50 EUR brutto fortzusetzen. Dieses Angebot hat der Kläger nicht angenommen.

Die Kündigungsschutzklage, die der Kläger mit einem Weiterbeschäftigungsantrag verbunden hat, ist beim Arbeitsgericht Rostock am 13. November 2013 eingegangen. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. März 2014 abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit der Berufung, die keinen formalen Bedenken unterliegt, verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel in vollem Umfang weiter. Der Kläger meint, die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Sozialauswahl nach § 1 Absatz 3 KSchG hätten vor dem Gesetz keinen Bestand.

Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, der Kläger wäre wegen der arbeitsvertraglichen Festlegung des Arbeitsortes auf A-Stadt nicht mit den am Stammsitz in C-Stadt tätigen Arbeitnehmern vergleichbar. Schon durch seine freiwillige Beschäftigung bei dem befreundeten Unternehmen in S. sei es zu einer konkludenten Abänderung des Arbeitsvertrages in diesem Punkt gekommen. Jedenfalls habe die Beklagte dadurch Kenntnis davon erlangt, dass er auf den Fortbestand dieser Vertragsklausel zum Arbeitsort keinen Wert lege.

Da der Kläger mit den Beschäftigten am Standort in C-Stadt vergleichbar sei, fehle der Kündigung die soziale Rechtfertigung, denn der Kollege Langer sei sozial weniger schutzbedürftig als der Kläger und hätte daher statt des Klägers gekündigt werden müssen. Dies ergebe sich schon nach der Punktetabelle. Die Punktetabelle spiegele die soziale Schutzbedürftigkeit auch zutreffend wieder. Angesichts des demographischen Wandels sei es spekulativ zu sagen, ein gut ausgebildeter Arbeitnehmer im Alter von Herrn L. habe am Arbeitsmarkt deutlich weniger Chancen auf neue Arbeit als der Kläger, der auch schon fast 50 Jahre alt ist. Demgegenüber liege die soziale Schutzbedürftigkeit des Klägers wegen seiner Kinder geradezu auf der Hand. Im Übrigen sei auch er – der Kläger – in der Lage, den Abschleppwagen zu fahren und könne ähnlich schnell auf Anforderungen reagieren, wenn ihm erlaubt werde, den Abschleppwagen mit nach Hause zu nehmen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 30.10.2013 nicht zum 31.05.2014 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 31.05.2014 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das ergangene Urteil. Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagten vorliegend keine Sozialauswahl habe durchführen müssen. Aber selbst dann, wenn man vorliegend alle fachlich vergleichbaren Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einbeziehe, bleibe die Kündigung sozial gerechtfertigt. Man müsse davon ausgehen, dass der Kläger und Herr L. nach dem Punkteschema annähernd gleich sozial schutzbedürftig seien. Bei gleicher oder annähernd gleicher sozialer Schutzbedürftigkeit bei Anwendung eines Punkteschemas sei der Arbeitgeber berechtigt und verpflichtet, eine umfassende Bewertung der sozialen Schutzbedürftigkeit jenseits des Punkteschemas unter Berücksichtigung aller nach dem Gesetz relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Daher sei es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte vorliegend mit Rücksicht auf das Lebensalter Herrn L. als schutzbedürftiger bewertet habe als den Kläger.

Im Übrigen habe die Beklagte berücksichtigt und auch berücksichtigen dürfen, dass Herr L. nahe am Arbeitsort wohnt und so kurzfristig für Abschleppaufträge zur Verfügung stehe. Selbst wenn man es dem Kläger erlauben würde, den Abschleppwagen mit zu sich nach Hause zu nehmen, was aber ohnehin schon verschiedenen Bedenken begegne, wäre der Standort des Wagens in A-Stadt am Wohnsitz des Klägers nicht so gut wie der Standort auf dem Betriebshof in C-Stadt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zurecht hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Damit ist auch das übrige Begehren des Klägers nicht begründet.

Die streitige betriebsbedingte Kündigung vom 30. Oktober 2013 hat vor dem Gesetz Bestand. Insbesondere fehlt ihr nicht die nach § 1 KSchG notwendige soziale Rechtfertigung. Im Berufungsrechtszug steht zwischen den Parteien nicht mehr in Streit, dass der Arbeitsplatz des Klägers durch die Schließung des Autohauses in A-Stadt weggefallen ist und damit im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG ein Anlass bestanden hat, Personal zu reduzieren. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist aber auch unter Berücksichtigung der Anforderungen der Sozialauswahl nach § 1 Absatz 3 KSchG sozial gerechtfertigt.

I.

Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass es vorliegend keiner Sozialauswahl bedurfte, weil im Arbeitsvertrag des Klägers A-Stadt als Arbeitsort festgelegt sei und er daher nicht einseitig per Weisung auf einen Arbeitsplatz eines fachlich vergleichbaren weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers in C-Stadt hätte versetzt werden können (Seite 7 des Urteilsabdrucks).

Das Berufungsgericht lässt offen, ob sich die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf diese Überlegung stützen lässt. Immerhin hat der Kläger im Rahmen des Einsatzes bei dem befreundeten Autohaus in S. sich ohne weiteres freiwillig bereit erklärt, Arbeit für die Beklagte auch außerhalb von A-Stadt aufzunehmen. Das deutet darauf hin, dass er selbst die Arbeitsvertragsklausel zum Arbeitsort nicht mehr als gültig ansieht oder er jedenfalls auf der Einhaltung dieser Verabredung keinen besonderen Wert legt. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass der Arbeitsvertrag der Parteien noch unter Geltung des Arbeitsgesetzbuchs der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 371 – AGB DDR) abgeschlossen wurde und nach § 40 AGB DDR die Regelung des Arbeitsortes zum notwendigen Inhalt des Arbeitsvertrages gehörte. Die Regelung dürfte also weniger einem Regelungsbedürfnis der Vertragsparteien geschuldet gewesen sein, als vielmehr dem Willen, dem Gesetz zu genügen. Sollte die Regelung tatsächlich nur dem Willen geschuldet gewesen sein, dem Gesetz zu genügen, spricht viel dafür, dass die Regelung mit dem Außerkrafttreten des AGB DDR im Rahmen des Einigungsvertrages im Oktober 1990 ohnehin entfallen ist.

II.

Die Frage kann auf sich beruhen. Selbst wenn man hier zu Gunsten des Klägers annimmt, im Arbeitsverhältnis der Parteien gäbe es keine Festlegung auf den Arbeitsort A-Stadt, wäre die vorliegende Kündigung sozial gerechtfertigt, da Fehler im Rahmen der Sozialauswahl nicht erkennbar sind. Das hat das Arbeitsgericht in einer zusätzlichen Überlegung, der sich das Berufungsgericht ausdrücklich anschließt, zutreffend festgestellt.

Nach § 1 Absatz 3 KSchG fehlt einer Kündigung auch dann die soziale Rechtfertigung, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (Sozialauswahl).

Nach dem Gesetzeswortlaut sind die sozialen Gesichtspunkte „ausreichend“ zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber kommt damit bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss sozial vertretbar sein, muss aber nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen sollen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 167/11 – NZA 2012, 1040 = AP Nr. 99 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG 31. Mai 2007 – 2 AZR 276/06 – BAGE 123, 1 = AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 2008, 1106; BAG 18. Januar 2007 – 2 AZR 796/05 – AP Nr. 89 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 2007, 2097). Gerade bei einer ähnlich hohen sozialen Schutzbedürftigkeit verschiedener vergleichbarer Arbeitnehmer kann es daher mehrere unterschiedliche Entscheidungen im Rahmen der Sozialauswahl geben, die alle den gesetzlichen Anforderungen genügen.

Gemessen an diesem Maßstab fehlt der Auswahlentscheidung zu Lasten des Klägers vorliegend die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 Absatz 3 KSchG nicht, denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger gegenüber seinem Kollegen L. deutlich schutzbedürftiger ist.

Zum einen ergibt sich dies nicht aus der Rangfolge unter Zugrundelegung des Punkteschemas, nach dem beide Arbeitnehmer auf nahezu 90 Punkte kommen. Der Unterschied zwischen beiden beträgt nur 1,5 Punkte. Das ist kein Unterschied, der den Kläger deutlich schutzbedürftiger macht.

Die Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht schon allein aus dem Umstand, dass die Beklagte eine Auswahlentscheidung getroffen hat, die von der nach dem Punktesystem sich ergebenden Rangfolge abweicht. Insoweit trifft es zwar zu, dass das Bundesarbeitsgericht zu der jetzt gültigen Gesetzesfassung von § 1 Absatz 3 KSchG mehrfach entschieden hat, dass eine abschließende umfassende Einzelfallbetrachtung nicht mehr notwendig sei, der Arbeitgeber also berechtigt ist, seine Auswahl allein nach der Rangfolge aufgrund des Punktestands vorzunehmen (BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 854/11 – BAGE 146, 234 = AP Nr. 12 zu § 125 InsO = DB 2014, 66; BAG 9. November 2006 – 2 AZR 812/05 – BAGE 120, 137 = AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 2007, 1087). Daraus kann aber nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, es sei nach der heutigen Gesetzeslage gar nicht mehr erlaubt, im Grenzbereich bei vergleichbar hoher sozialer Schutzbedürftigkeit im Einzelfall eine Entscheidung zu treffen, die vom reinen Punktewert abweicht.

Eine deutlich höhere Schutzbedürftigkeit des Klägers ergibt sich auch nicht bei Betrachtung der Faktoren, die hier die Schutzbedürftigkeit der beiden Arbeitnehmer begründen. Die soziale Schutzbedürftigkeit des Klägers resultiert insbesondere aus seinen beiden unterhaltsbedürftigen Kindern und seiner langen Betriebszugehörigkeit. Die Schutzbedürftigkeit von Herrn L. ergibt sich aus seinem hohen Lebensalter. Keiner dieser drei Gesichtspunkte hat einen eindeutigen Vorrang vor den anderen. Die Rechtsprechung verlangt vielmehr nur, dass diese drei Gesichtspunkte wie alle gesetzlich genannten Gesichtspunkte überhaupt berücksichtigt werden. Dabei hat der Arbeitgeber einen Spielraum, wie er die Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander gewichtet. Unter diesem Blickwinkel ist die starke Betonung des hohen Lebensalters und damit der schlechten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt durch die Beklagte zumindest noch vertretbar. Jedenfalls sieht sich das Gericht außer Stande, den Kläger angesichts seiner sozialen Situation als deutlich schutzbedürftiger anzusehen.

III.

Da das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet ist, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf weitere Beschäftigung (Klageantrag zu 2). Aus demselben Grund kann auch offen bleiben, welche nähere Bedeutung der letzte Halbsatz im klägerischen Kündigungsschutzantrag („sondern darüber hinaus fortbesteht“) hat.

IV.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger, da sein Rechtsmittel keinen Erfolg hatte (§ 97 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

 

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