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Kündigung während der Probezeit – Maßregelungsverbot

LAG Hamm, Az.: 11 Sa 68/16, Urteil vom 28.04.2016

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 03.12.2015 – 3 Ca 1048/15 O – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung während der Probezeit.

Die 1967 geborene und verheiratete Klägerin war seit dem 01.03.2015 als Verwaltungsfachkraft bei der Beklagten beschäftigt. Sie war in der Flüchtlingsunterkunft „S“ in P tätig und erzielte einen monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 2.073,00 EUR. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat eingerichtet.

Kündigung während der Probezeit - Maßregelungsverbot
Symbolfoto: ilixe48/Bigstock

Innerhalb der Flüchtlingsunterkunft hatte die Klägerin mehrfach ihre Meinung kundgetan und auf Missstände intern hingewiesen. Nach der Freistellung des ursprünglichen Einrichtungsleiters T Mitte Juni 2015 hatten die Klägerin und eine Kollegin nach entsprechender Aufforderung durch den Prokuristen der Beklagten für einen Zeitraum von einigen Tagen Verantwortung für die Unterkunft, bis der neue Leiter, Herr N, seine Stelle antrat. Dieser hatte die Klägerin am 21.06.2015 angerufen und gebeten, selbständig dafür Sorge zu tragen, dass ein Transfer mit Flüchtlingen ordnungsgemäß ablaufe. Die Klägerin arbeitete immer eng mit Polizeisicherheitsdiensten und der Bezirksregierung Arnsberg zusammen. Aufgrund massiver Verstöße gegen Vorschriften kam es zu erheblichen Beschwerden an die Bezirksregierung Arnsberg wie auch an das Innenministerium.

In der 26. Kalenderwoche des Jahres 2015 machte die Klägerin den Einrichtungsleiter darauf aufmerksam, dass sich ein Mitarbeiter aus dem Sozialdienst sein Auto von Bewohnern waschen ließ und diese Stunden über gemeinnützige Arbeit abgerechnet wurden.

In der 27. Kalenderwoche des Jahres 2015 machte die Klägerin den Einrichtungsleiter darauf aufmerksam, dass sich nachts auf Veranlassung der Sozialarbeiter Bewohner gemeinsam mit dem Sozialdienst in der Küche aufhielten und so die Gefahr von Hygienemängeln auftreten könnte.

Am 01.07.2015 bekam die Klägerin eine telefonische Meldung von einem Arzt in P, dass ein Bewohner bei ihm gewesen sei und der Patient die Windpocken hätte. Der Arzt bat die Klägerin, den Vorgang dem Gesundheitsamt zu melden. Nach Rücksprache mit dem Einrichtungsleiter erklärte dieser, dass sie das Gesundheitsamt nicht informieren solle, damit die Unterkunft nicht geschlossen werde. Die Klägerin rief dennoch den Arzt an und verblieb mit ihm so, dass er das Gesundheitsamt selbst informiere. Kurz darauf meldete sich das Gesundheitsamt bei der Klägerin und verlangte die Ausfertigung von Listen der Bewohner, darunter insbesondere Schwangere und Frauen, die gerade entbunden hatten. Herr N warf der Klägerin vor, dass sie es zu verantworten habe, dass man die Unterkunft für weitere Transfers sperren werde. Das Gesundheitsamt wies unter anderem an, infizierte Zimmerbewohner klar von anderen Bewohnern zu trennen. Herr N sperrte sich zunächst dagegen, die Bewohner im Hinblick auf durchzuführende Impfungen zu isolieren, gab dann aber widerwillig sein Einverständnis. Am 02.07.2015 arbeitete die Klägerin 16 Stunden. Der Einrichtungsleiter hatte die Unterkunft gegen 16 Uhr verlassen.

Am 03.07.2015 warf Herr N der Klägerin mit aufbrausender und lauter Stimme vor, was ihr einfalle, die Bewohner eigenmächtig zu isolieren. Er erklärte ihr, dass keine Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst und mit der Bezirksregierung gewünscht sei und dass er hoffe, dass das Gespräch nicht an die Bezirksregierung weitergegeben werde und sie darüber nachdenken solle, wann ihre Probezeit ende. Er machte ihr lautstark Vorwürfe, dass sie für die Situation verantwortlich sei, weil sie das Gesundheitsamt informiert hätte.

In der 28. Kalenderwoche des Jahres 2015 wies die Klägerin den Einrichtungsleiter darauf hin, dass Stundenzettel der Bewohner manipuliert worden seien.

Am 13.07.2015 fand eine Besprechung in der Einrichtung teil. Dazu war der Prokurist und Personalleiter I aus N1 in die Einrichtung gekommen. Der Inhalt des Gespräches ist zwischen den Parteien streitig.

In der 29. Kalenderwoche (=13.07.2015 – 19.07.2015) teilte sie dem Einrichtungsleiter mit, dass in der Küche bei der Essenausgabe eine Bewohnerin helfe, deren Tochter eine schwere und hochansteckende Pilzinfektion habe. Sie machte auf die Gefahr für andere Bewohner aufmerksam. Herr N erwiderte, dass dies nicht Aufgabe der Klägerin sei.

Die Klägerin konfrontierte den Einrichtungsleiter damit, dass zwei Mitarbeiter des Sozialdienstes eine Familie nachts aus ihren Zimmern geworfen hätten, um Landsleuten des Sozialarbeiters ein besseres Zimmer zur Verfügung zu stellen. Herr N wies auf verschiedene Nationalitäten im Hause hin und dass man es nicht allen recht machen könne.

In der gleichen Woche teilte die Klägerin Herrn N mit, dass der Sozialdienst bei ihr gewesen sei und mitgeteilt habe, dass eine minderjährige, schwangere Frau von ihrem Mann verprügelt worden sei. Herr N antwortete, dass er hiervon bereits Kenntnis habe, dass es aber in anderen Ländern so wäre, dass die Frau als Eigentum des Mannes behandelt werde. Auf Frage der Klägerin, warum er versucht habe, dies vor ihr zu vertuschen, antwortete Herr N, dass dies nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehöre. Die Klägerin fragte dennoch, ob auch die Polizei informiert und Anzeige erstattet worden sei. Herr N entgegnete, dass Schlagen in anderen Ländern ganz normal sei. Es würde nur Negativschlagzeilen in der Presse geben und die beiden vertrügen sich ohnehin wieder. Er hatte das Jugendamt informiert und meinte damit „aus der Sache raus zu sein“.

Einige Mitarbeiter aus dem Sozialdienst hatten die Anweisung erhalten, keine Informationen mehr an die Verwaltung weiterzuleiten.

Am 22.07.2015 erschien ein Betriebsratsmitglied in der Unterkunft. Die Klägerin und ihre Kollegin sprachen mit ihm über die wichtigsten Vorfälle in der Flüchtlingsunterkunft. Dabei wurde ihm unter anderem auch mitgeteilt, dass die Polizei P eine Beschwerde bei der Bezirksregierung gegen den Einrichtungsleiter und seine Vorgehensweise vorgelegt hatte. Es war ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Schließlich wurde beim Betriebsrat nachgefragt, ob die Abrechnung von Krankenfahrten richtig sei, wenn bei einer Fahrt mit mehreren Personen für jede einzelne Person ein Abrechnungsschein ausgestellt werde.

Noch am Abend des 22.07.2015 kam es zu einer schweren Auseinandersetzung unter den Bewohnern. Die Klägerin musste am 23.07.2015 dann den beiden Männern, die am Vortag verhaftet worden waren, erklären, dass sie die Unterkunft verlassen müssten. Dies wollte Herr N nicht übernehmen.

Am 30.07.2015 informierten Mitarbeiter des Sozialdienstes die Klägerin davon, dass bei einem sieben Jahre alten Mädchen vaginale Verletzungen festgestellt worden waren. Die Klägerin fragte Herrn N, warum er sie und die Bezirksregierung hiervon nicht in Kenntnis gesetzt habe und fragte, ob der Sicherheitsdienst informiert sei. Hierauf antwortete Herr N, dass man das Thema nicht breittreten solle. Dennoch machten die Klägerin und die Mitarbeiterin F in der Angelegenheit Druck dahingehend, dass die Polizei und auch das Jugendamt umgehend informiert werden müssten. Schließlich wurde das Jugendamt informiert. Bei dem Mädchen handelte es sich um die Stieftochter derjenigen Frau, die von ihrem Mann geschlagen worden war. Die Klägerin wurde von der Polizei befragt, weshalb noch keine Meldung gemacht worden war, woraufhin sie emotional reagierte und erklärte, man solle dies doch besser Herrn N fragen.

Eine Sozialarbeiterin fragte ihre Kollegin F zudem, wer denn die Polizei informiert habe, da es doch eine klare Anweisung von Herrn N gab, die Polizei nicht zu informieren.

Am 31.07.2015 machte die Klägerin eine Aussage bei der Kriminalpolizei. Am 05.08.2015 sagte der Einrichtungsleiter, N, bei der Polizei aus.

Mit Schreiben vom 07.08.2015, das der Klägerin am gleichen Tage zuging, kündigte die Beklagte das mit ihr bestehende Arbeitsverhältnis zum 21.08.2015.

Mit der am 14.08.2015 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte verstoße mit der Kündigung gegen das Maßregelungsverbot. Daher sei die Kündigung unwirksam. Die Kündigung sei lediglich ausgesprochen worden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt habe. Die zulässige Rechtsausübung sei der tragende Grund und das wesentliche Motiv für die Kündigungserklärung gewesen. Die Kündigung sei treuwidrig. Sie habe immer beste Arbeit geleistet. Die Beklagte habe sie loswerden wollen, da sie sich positiv für ein einwandfreies Funktionieren der Einrichtung eingesetzt habe. Die Klägerin hat bestritten, dass das Anhörungsschreiben an den Betriebsrat gegangen sei und der Betriebsrat am 23.07.2015 Stellung genommen habe und der Betriebsrat überhaupt Zeit gehabt habe, am 23.07.2015 zusammenzutreten um eine ordnungsgemäße Sitzung durchzuführen.

Die Klägerin hat beantragt, es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 07.08.2015 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat ausgeführt, die Kündigung sei wirksam. Anhaltspunkte für eine Maßregelung seien nicht vorhanden. Das Führungsversagen in der Einrichtung S sei ohne Belang für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung. Sie habe bei der Klägerin einen Mangel an Respekt, Teamfähigkeit und Diplomatie festgestellt, mit dem die Klägerin vermutlich nicht nur bei dem Einrichtungsleiter, N, angeeckt sei. Sie sei sowohl bei Mitarbeitern der Einrichtung als auch bei mit der Einrichtung zusammenarbeitenden Dritten als überaus dominant und polarisierend aufgefallen und habe nach Einschätzung der beteiligten Personen für Unruhe in der gesamten Einrichtung gesorgt. Dies sei ihrem Prokuristen und Personalleiter I im Rahmen eines Besprechungstermins am 13.07.2015 zugetragen worden. Bei der Besprechung sei es darum gegangen, dass es in der Einrichtung einige Vorfälle gegeben habe und insgesamt große Unruhe geherrscht habe. Dieser habe nach der Besprechung den Kündigungsentschluss gefasst. Das unter dem 23.07.2015 datierte Anhörungsschreiben an den Betriebsrat habe dem Betriebsrat rechtzeitig vor seiner Sitzung am 23.07.2015 vorgelegen. Auf die von der Beklagten in Kopie vorgelegten Unterlagen zur Betriebsratsanhörung wird Bezug genommen (Bl. 19, 20 GA)

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Anhörung des Betriebsrates durch Vernehmung der Zeugen C und D. Insoweit wird auf das Protokoll der Sitzung vom 03.12.2015 Bezug genommen (Bl. 62 – 64 GA).

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 03.12.2015 abgewiesen. Die Kündigung sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis zum 21.08.2015 beendet. Die Kündigung stelle keine Maßregelung im Sinne des § 612 a BGB dar. Die Klägerin trage insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Dem Vorbringen der Klägerin ließen sich keine Tatsachen entnehmen, worin das wesentliche Motiv für die Kündigung liege. Dass die Kündigung auf ihrer Ausübung der Meinungsfreiheit beruhe, habe die Klägerin nicht anhand von Tatsachen belegt. Der Klägerin komme insoweit kein Anscheinsbeweis wegen der Geschehnisse am 31.07.2015 und 05.08.2015 zugute. Die Beklagte habe den Betriebsrat bereits am 23.07.2015 zur beabsichtigten Kündigung angehört. Die Kündigung sei auch nicht treuwidrig gemäß § 242 BGB. Dafür trage die Klägerin keine Anhaltspunkte vor. Die subjektive Einschätzung der Klägerin zu ihrer eigenen Leistung müssten von Dritten nicht notwendig geteilt werden. Die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG diene gerade dazu, dem Arbeitgeber eine subjektive Einschätzung zu ermöglichen. Die Kündigung sei nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die schriftliche Anhörung des Betriebsrats enthalte die Sozialdaten der Klägerin sowie den Hinweis auf eine beabsichtigte ordentliche Kündigung innerhalb der Probezeit mit einer Kündigungsfrist von 14 Tagen. Die Angaben zum Kündigungsgrund seien zureichend, sie genügten dem Grundsatz der subjektiven Determination. Die Kündigungsfrist sei eingehalten.

Das Urteil ist der Klägerin am 16.12.2015 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 15.01.2016 Berufung eingelegt und die Berufung am 05.02.2016 begründet.

Die Klägerin wendet ein, entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts seien Tatsachen dargetan, die das wesentliche Motiv der Beklagten für die Kündigung belegten, nämlich die im Schriftsatz vom 27.10.2015 ab Seite 2 vorgetragenen Tatsachen (Bl. 28 ff GA). Sie habe ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen. Die absoluten Missstände, welche die Beklagte eingeräumt habe, hätten bei der Bewertung der Kündigung als Maßnahme i. s. d. § 612 a BGB gewertet werden müssen. Die Kausalität sei gegeben. Der Einrichtungsleiter N sei aufgrund der Missstände entlassen worden. Die Missstände seien auch Gegenstand des Gesprächs mit dem Zeugen I in der Kanzlei ihres Prozessvertreters am 20.08.2015 gewesen. Zu bestreiten sei, dass einzelne Vorgänge und ihre einzelnen Handlungen und Äußerungen nicht Gegenstand des Gesprächs am 13.07.2015 gewesen seien. Sie habe den Zeugen I über die konkreten Missstände informiert. Bei objektiver Bewertung sei von einer unlauteren Motivbildung für die Kündigung auszugehen. Herr N sei Teil der Beklagten und in die Willensbildung einzubeziehen. Herr N habe am 10.08.2015 gegenüber Frau E1 angegeben, die Kündigung sei ausgesprochen worden, weil sie, die Klägerin, sich mit den falschen Leuten angelegt habe. Diese wichtige Tatsache habe das Gericht unberücksichtigt gelassen. Das Gericht hätte dem Beweisantrag nachgehen müssen, dass sie sich positiv für ein einwandfreies Funktionieren der Einrichtung eingesetzt habe. Herr I sei spätestens am 13.07.2015 über die Missstände informiert gewesen. Sie habe Grundrechte als Rechte i. S. d. § 612 a BGB ausgeübt. Ihr hätten aus der Aufdeckung von Missständen keine rechtlichen Nachteile entstehen dürfen. Die Kündigung sei hier völlig unberechtigt. Das Urteil des EGMR vom 23.09.2010 habe das Arbeitsgericht unzutreffend nicht berücksichtigt. Die Betriebsratsanhörung sei unwirksam. Der Zeuge D habe angegeben, dass der Betriebsrat am 23.07.2015 zwischen 9.30 Uhr und 10.45 Uhr sage und schreibe 23 Anhörungen erledigt habe. Wenn die Beklagte dies wisse, sei nicht von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates auszugehen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 03.12.2015 verkündeten und am 16.12.2015 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts siegen festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 07.08.2015 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Eine unlautere Motivbildung werde ihr lediglich unterstellt, ohne dass dafür konkrete Tatsachen angeführt würden. Herr N sei nicht ihr Vertreter gewesen. Am 13.07.2015 sei die Gesamtsituation der Einrichtung erörtert worden, Missstände seien nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin erörtert worden; wer Missstände aufgedeckt habe, sei nicht Gegenstand des Gesprächs gewesen; Bedenken gegen die Teamfähigkeit der Klägerin seien außer von Herrn N auch von anderen Gesprächsteilnehmern geäußert worden. Verfehlungen des Herrn N seien ihr, der Beklagten, erst nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung bekannt geworden. Herr N habe auch nicht geäußert, die Klägerin habe sich mit den falschen Leuten angelegt. Die Kündigung sei nicht nichtig. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben über die Äußerungen des Herrn N am 10.08.2015 durch Vernehmung der Zeugin E1 und über den Gesprächsverlauf am 13.07.2015 durch Vernehmung des Zeugen I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28.04.2016 Bezug genommen (Bl. 132 – 138 GA).

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht entschieden, dass die Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 21.08.2015 aufgelöst hat. Bei diesem Ergebnis verbleibt es auch nach der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme.

1. Die Kündigung vom 07.08.2015 ist nicht nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unwirksam.

Das Arbeitsverhältnis hatte bei Zugang der Kündigung noch keine sechs Monate bestanden. Die Regeln des allgemeinen gesetzlichen Kündigungsschutzes finden wegen Nichterfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Die Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit keiner sozialen Rechtfertigung durch verhaltens-, personen- oder betriebsbedingte Gründe i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG. In der gesetzlichen Wartezeit der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses unterliegt die Bildung der Meinung des Arbeitgebers, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht, von Missbrauchsfällen abgesehen, keiner Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Kommt der Arbeitgeber bei dieser Prüfung zu einem negativen Ergebnis, kann er das Arbeitsverhältnis grundsätzlich frei kündigen, ohne auf entgegenstehende Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen zu müssen (BAG 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 – AP BetrVG § 102 Nr. 167 = NZA 2013,1412). Die während der Wartezeit grundsätzlich bestehende Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ist das Gegengewicht zu dem im Geltungsbereich des KSchG entstehenden materiellen Kündigungsschutz, der die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers nicht unerheblich beschneidet (BAG aaO).

2. Die Kündigung ist nicht wegen einer unlauteren gesetzwidrigen Kündigungsmotivation unwirksam. Nach dem unterbreiteten Sachverhalt und der durchgeführten Beweisaufnahme ergibt sich keine Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 612 a, 134 BGB wegen einer unzulässigen Maßregelung der Klägerin.

Richtig ist, dass sich eine Unwirksamkeit der Kündigung gemäß §§ 612 a, 134 BGB ergeben kann, wenn sich die Kündigung als unzulässige Maßregelung darstellt. Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Eine gegen § 612 a BGB verstoßende Kündigung ist unwirksam (ErfK-Preis, 16.Auflage 2016, § 612 a BGB Rn. 13, 23). Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer gesetzwidrigen Maßregelung; dem Arbeitnehmer können die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugutekommen, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung besteht (ErfK-Preis, aaO, § 612 a BGB Rn. 22).

Bereits das Arbeitsgericht hat ausgeführt, dass das in der Klageschrift dargestellte zugespitzte Geschehen am 31.07.2015 und 05.08.2015 nach den zeitlichen Abläufen als Kündigungsgrund ausscheidet, weil bereits am 23.07.2015 der Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung angehört worden ist. Nach der Beweisaufnahme ist der Kündigungsentschluss bereits am 13.07.2015 bei einer Besprechung vor Ort mit dem Personalleiter I aus der Zentrale in N1 getroffen worden. Dies fügt sich in das Ergebnis der Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts ein. Danach ist am 17.07.2015 das Anhörungsschreiben von der Verwaltungsfachkraft C1 verfasst worden und ausweislich des Eingangsstempels am 23.07.2015 dem Betriebsrat zugegangen. Damit scheiden die Vorfälle nach dem 13.07.2015 als Anknüpfungspunkt einer Maßregelung aus. Ebenfalls nicht bestätigt hat sich die Behauptung der Klägerin, die Kündigung sei deshalb erfolgt, weil sie sich „mit den falschen Leuten angelegt“ habe. Die hierzu vernommene Zeugin E1 hat eine dahingehende Aussage des seinerzeitigen Einrichtungsleiters N im Gespräch am 10.08.2015 nicht bestätigt. Nach der Aussage der Zeugin E1 war Herr N am 10.08.2015 mitgenommen und aufgebracht wegen der polizeilichen Ermittlungen vom 31.07.2015 / 05.08.2015 sowie dem Umstand, dass die Klägerin einen dazu erschienenen Zeitungsartikel auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hatte und damit Kommentare ihrer „Facebook-Freunde“ ausgelöst hatte. Herr N wollte dagegen, so die Zeugin, gerichtlich vorgehen und äußerte sich darauf bezogen, dass sich die Klägerin mit den falschen Leuten angelegt habe („´Mit den falschen Leuten angelegt` habe ich in die Zukunft gerichtet verstanden, in dem Sinne, dass da noch etwas nachfolgt.“). Diese Äußerung gibt keinen Aufschluss darüber, aus welchen Gründen am 13.07.2015 durch den Personalleiter I die Kündigungsentscheidung getroffen worden ist. Schließlich hat auch die Beweisaufnahme zum Gesprächsverlauf am 13.07.2015 keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Maßregelung der Klägerin ergeben. Der Zeuge I hat dazu ausgesagt, es sei darum gegangen, das Funktionieren der Einrichtung zu verbessern, nachdem es in der vorangegangenen Zeit wiederholt zu Irritationen und Unzufriedenheiten bei verschiedenen verfahrensbeteiligten Stellen wie der Stadt P, kommunalen Ämtern, Bezirksregierung, Polizei u.a. gekommen sei. Insbesondere die Vertreter des örtlichen E2 hätten sich Sorgen um die Reputation des E2 gemacht. Probleme mit der Teamfähigkeit, die von einzelnen Personen ausgegangen seien, seien angesprochen worden. Man habe den Eindruck gehabt, dass einzelne Bereiche der Einrichtung teilweise gegeneinander statt miteinander gearbeitet hätten. Die Repräsentanten des örtlichen E2 hätten in dem Gespräch die Situation geschildert. Herr N sei als Informationsquelle dabei nicht so wichtig gewesen („ergänzend hinzugenommen“ / mündliche Erklärung des Zeugen: „eher nebenbei“). Alle Mitarbeiter seien noch in der Probezeit gewesen. Man habe sich dann für fünf Kündigungen aus den Bereichen Küche, Sozialdienst und Verwaltung entschieden. In diesem Zusammenhang sei der Name der Klägerin als permanenter Unruheherd genannt worden, es habe aus verschiedenen Bereichen Beschwerden über die Arbeit der Verwaltung gegeben, dass von dort aus massiv Einfluss auf die Arbeit in anderen Funktionsbereichen genommen würde und zwar kompetenzüberschreitend. Es sei richtig, dass gesagt worden sei, dass es bei der Klägerin einen Mangel an Respekt, einen Mangel an Teamfähigkeit und einen Mangel an Diplomatie gebe. Bei diesem Beweisergebnis kann nicht davon ausgegangen werden, dass bestimmte konkrete Vorfälle Anlass der Kündigung waren.

3. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen einer unzureichenden Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Kündigung unwirksam.

Durch die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme ist bewiesen, dass das Anhörungsschreiben dem Betriebsrat am 23.07.2015 zugegangen ist. Dort wird der Betriebsrat zureichend über die Person der Klägerin, ihre sozialen Daten und die Art der beabsichtigten Kündigung (ordentliche Kündigung innerhalb der Probezeit mit vierzehntägiger Frist) informiert. Die Beklagte hat bis zum Ausspruch der Kündigung die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verstreichen lassen. Das Anhörungsverfahren ist nicht deshalb zu beanstanden, weil der Betriebsrat 23 Kündigungen innerhalb einer Zeitspanne von 9.30 Uhr bis 10.45 Uhr behandelt hat. Daraus ist nicht herzuleiten, dass die Anhörung nicht gesetzeskonform erfolgt wäre. Ohnehin kommt es darauf bereits deshalb nicht an, weil etwaige Mängel des Anhörungsverfahrens aus der Sphäre des Betriebsrates nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG führen (BAG 16.01.2003 NZA 2003,927; ErfK-Kania, 16. Aufl. 2016, § 102 BetrVG Rn. 26).

Ebenfalls zutreffend hat das Arbeitsgericht entschieden, dass der Betriebsrat ausgehend vom Grundsatz der subjektiven Determination zureichend über den Kündigungsgrund informiert worden ist. Für das Anhörungsverfahren zu einer Kündigung innerhalb der Wartezeit folgt aus dem Grundsatz der subjektiven Determination, dass die Substantiierungspflicht nicht an den objektiven Merkmalen des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG zu messen ist sondern allein an den Umständen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet (BAG 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 – AP BetrVG § 102 Nr. 167 = NZA 2013,1412). Im Rahmen des § 102 Abs. 1 BetrVG ist in diesem Zusammenhang zu differenzieren zwischen Wartezeitkündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden, und Wartezeitkündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen (BAG 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 – AP BetrVG § 102 Nr. 167 = NZA 2013,1412). In der ersten Konstellation genügt die Anhörung den Anforderungen des § 102 Abs. 1 BetrVG nur, wenn dem Betriebsrat die zugrunde liegenden Tatsachen mitgeteilt werden (BAG aaO). In der zweiten Konstellation reicht die Mitteilung allein des Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus (BAG aaO, ausreichend danach bspw. „Während der Probezeit nicht bewährt“; „nicht geeignet, die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen“; „nach unserer allgemeinen, subjektiven Einschätzung genügt die Arbeitnehmerin unseren Anforderungen nicht“). Die dem Werturteil des Arbeitgebers zugrunde liegenden Erwägungen bzw. Ansatzpunkte müssen bei Fällen der zweiten Konstellation auch dann nicht mitgeteilt werden, wenn sie einen substantiierbaren Tatsachenkern haben wie etwa eine Vielzahl kleinerer Beobachtungen, Vorfälle oder Verhaltensweisen (BAG aaO). Das BAG verweist darauf, die Ausgangslage sei vergleichbar mit der freien Unternehmerentscheidung, die einer betriebsbedingten Kündigung zugrunde liegt, bei der Kündigungsgrund die getroffene Entscheidung und nicht die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen sind, weshalb dem Betriebsrat nur die organisatorischen Maßnahmen als der eigentliche Kündigungsgrund mitzuteilen sind und nicht die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Hintergründe, Motive oder Vorüberlegungen zu erläutern sind (BAG aaO). Ausweislich des Beweisergebnisses zum Inhalt der Besprechung mit dem Personalleiter am 13.07.2015 (s.o. unter 2.) liegt hier eine Kündigung nach der zweiten Konstellation vor (personenbezogenes Werturteil). Die Mitteilung der Beklagten zum Kündigungsgrund für die Kündigung innerhalb der Probezeit genügt den Anforderungen der Rechtsprechung (“ … genügt nach unserer allgemeinen, subjektiven Einschätzung unseren Anforderungen nicht. Daher sehen wir keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit … „, Bl. 19 GA).

4. Die Frist für eine Kündigung innerhalb der Probezeit ist beachtet. Sonstige Gründe für eine Unwirksamkeit der Kündigung sind nach dem unterbreiteten Sachverhalt nicht ersichtlich und werden von der Klägerin nicht geltend gemacht. Mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts verbleibt es dabei, dass die Kündigung vom 07.08.2015 wirksam ist.

5. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine über den entschiedenen Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Das Urteil der Kammer weicht nicht von einer Entscheidung der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte ab.

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