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Personenbedingte Kündigung wegen Krankheit – negative Zukunftsprognose – bEM

Landesarbeitsgericht Hamburg – Az.: 2 Sa 30/18 – Urteil vom 20.11.2019

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28. März 2018 – 27 Ca 377/17 – teilweise abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. August 2017 nicht aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger ist am XX. XX. XXXX geboren, verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Bei seiner Tochter ist mit Bescheid der Behörde für Arbeit, Soziales und Integration vom 20. Oktober 2017 (Bl. 66 d. A.) ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt sowie das Merkmal H (Hilflosigkeit). Der Kläger ist bei der Beklagten als Mitarbeiter Food seit dem 11. Oktober 1999 zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von € 1970,93 beschäftigt.

Die Beklagte ist ein Großhandelsunternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten. Im Betrieb der Beklagten in Hamburg sind mehr als zehn Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt. Es ist dort ein Betriebsrat gebildet.

Der Kläger war in der Zeit seit August 2014 mehrfach – teils auch längere Zeit – arbeitsunfähig erkrankt. Im Einzelnen bestanden folgende Krankheitszeiten:

– vom 26. August 2014 bis zum 22. Februar 2015

– vom 6. Mai 2015 bis 30. Mai 2015

– am 1. Juni 2015

– vom 30. September 2015 bis 2. Oktober 2015

– vom 4. Januar 2016 bis 5. Januar 2016

– am 24. Mai 2016

– vom 12. Juli 2016 bis 16. Juli 2016

– vom 26. Juli 2016 bis 3. September 2016

– vom 19. September 2016 bis 1. Oktober 2016

– vom 24. November 2016 bis 2. Dezember 2016

– vom 15. Dezember 2016 bis 17. Dezember 2016

– vom 20. Februar 2017 bis 27. Februar 2017

– vom 27. März 2017 bis 29. April 2017

– vom 26. Mai 2017 bis 29. Mai 2017

– vom 6. Juli 2017 bis 18. August 2017.

Die Beklagte leistete von Mitte August 2014 bis Mitte August 2015 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an den Kläger im Umfang von insgesamt 46 Krankheitstagen (= gut 9 Wochen), in der Zeit von Mitte August 2015 bis Mitte August 2016 Entgeltfortzahlung im Umfang von 24 Krankheitstagen (4 Wochen und 4 Tage) und im letzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung Entgeltfortzahlung im Umfang von 96 Krankheitstagen (= gut 19 Wochen).

Im Einzelnen zahlte sie in der Zeit von Mitte August 2014 bis 13. August 2015 folgende Beträge als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an den Kläger:

für die Zeit vom 24. August 2014 bis 5. Oktober 2014 (30 Arbeitstage) in Höhe von € 2.706,47 brutto (die Erkrankung dauerte darüber hinaus an bis 22. Februar 2015). Ferner leistete sie für die Zeit vom 6. Mai 2015 bis 30. Mai 2015 Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.303,31 Euro brutto (= 16 Arbeitstage).

Sie leistete zwischen dem 14. August 2015 und dem 13. August 2016 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für folgende Zeiträume:

für die Zeit vom 30. September 2015 bis 02. Oktober 2015 in Höhe von € 237,80 brutto (= 2 Arbeitstage), für den Zeitraum vom 4. Januar bis 5. Januar 2016 € 166,17 brutto (= 2 Arbeitstage), für den 24 Mai 2016 einen Betrag in Höhe von € 84,40 brutto (= 1 Arbeitstag), für die Zeit vom 12. Juli 2016 bis 16. Juli 2016 insgesamt € 427,30 brutto (= 5 Arbeitstage), für die Zeit vom 26. Juli 2016 bis 13. August 2016 insgesamt € 1.114,21 brutto (= 14 Arbeitstage).

Für den Zeitraum vom 14. August 2016 bis 13. August 2017 ergibt sich schließlich folgendes Bild: Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 14. August 2016 bis 3. September 2016 in Höhe von € 1.193,79 brutto (= 15 Arbeitstage), für die Zeit vom 19. September 2016 bis 1. Oktober 2016 insgesamt € 816,48 brutto (= 10 Arbeitstage), für die Zeit vom 24 November 2016 bis 2. Dezember 2016 einen Betrag in Höhe von € 567,32 brutto (= 7 Arbeitstage), vom 15. Dezember 2016 bis 17. Dezember 2016 einen Betrag von € 161,91 brutto (= 2 Arbeitstage), vom 20. Februar 2017 bis 27. Februar 2017 Entgeltfortzahlung in Höhe von € 577,81 brutto (= 6 Arbeitstage), für die Zeit vom 27. März 2017 bis 29. April 2017 einen Betrag in Höhe von € 2.376,86 brutto (= 23 Arbeitstage), vom 26. Mai 2017 bis 29. Mai 2017 insgesamt € 251,75 brutto (= 3 Arbeitstage) und vom 6. Juli 2017 bis 18. August 2017 Entgeltfortzahlung in Höhe von € 2.702,22 brutto (= 30 Arbeitstage).

Mit Schreiben vom 23. Februar 2015 (Anlage B3, Bl. 64 d, A,) lud die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch für Donnerstag, den 19. März 2015 ein. In dem Schreiben heißt es wie folgt:

„Einladung zu einem BEM-Gespräch

(…) wir müssen leider feststellen, dass Sie in den letzten 12 Monaten mehr als 42 Tage arbeitsunfähig gewesen sind. Damit setzt sich eine bedauerliche Entwicklung Ihres Gesundheitszustandes fort.

Die einzelnen Krankheitsursachen sind uns naturgemäß zwar nicht bekannt. Aus unserer Sicht besteht jedoch die Befürchtung, dass möglicherweise arbeitsplatzbezogene Umstände einer Verbesserung Ihres Gesundheitszustandes entgegenstehen. Hierbei handelt es sich bisher natürlich lediglich um Spekulationen. Dennoch möchten wir prüfen, ob wir durch geeignete Maßnahmen (Überprüfung Ihres Arbeitsumfeldes, Suche nach Alternativen, etc.) aktiv zu einer nachhaltigen Verbesserung Ihres Gesundheitszustandes beitragen können.

Daher möchten wir Sie zu einem persönlichen Gespräch am Donnerstag, den 19.03.2015 um 9:00 Uhr im Geschäftsleiterbüro einladen.

Es steht Ihnen selbstverständlich frei, einen Vertreter des Betriebsrats mitzubringen.“

Ergänzend wird auf Bl. 64 d. A. Bezug genommen.

Am 19. März 2015 fand das Gespräch zwischen dem Kläger, verschiedenen Mitarbeitern der Beklagten und einem Betriebsratsmitglied statt. Der Inhalt des Gesprächs ist teilweise streitig. Der Kläger hatte in diesem Gespräch deutlich gemacht, dass er in seiner bisherigen Abteilung – dies war damals die Abteilung Food / Nudeln und Konserven – bleiben möchte. Als Ergebnis und Maßnahme iSd. Prävention wurde künftig der Einsatz einer E-Ameise in der Spätschicht für den Kläger vorgesehen, ferner private Prävention und Unterstützung durch Sport / Muskelaufbau. Dies wurde so auch im Protokoll (Bl. 30 d. A.) festgehalten. Eine E-Ameise ist eine technische Hebehilfe, mit der Waren auf unterschiedliche Höhe hochgehoben werden können. Dem Kläger wurde allerdings in der Folgezeit keine E-Ameise zur Verfügung gestellt. Ihm stand weiterhin nur ein Hubwagen zur Verfügung, der ein nur geringfügiges Anheben der Waren ermöglichte.

Der Kläger wurde Mitte 2016 – wohl zum 1. Juli 2016 – umgesetzt in die Spirituosenabteilung. Am 22. Juli 2016 fand ein Gespräch mit dem Kläger über seine Fehlzeiten statt. Dabei ging es auch um die Umsetzung. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass sein Vorgesetzter ihn im Rahmen des arbeitsvertraglich bestimmten Bereichs „Food trocken“ überall einsetzen könne. Der Kläger wies darauf hin, dass er verschiedene Leiden habe, etwa Asthma. Er wurde seitens der Beklagten aufgefordert, ärztliche Atteste vorzulegen.

Die Beklagte lud den Kläger mit Schreiben vom 15. September 2016 erneut zu einem „Gespräch zur betrieblichen Eingliederung“. Das Einladungsschreiben entsprach dabei inhaltlich dem Einladungsschreiben vom 23. Februar 2015. Hinsichtlich der Einzelheiten wird ergänzend auf Bl. 65 d. A. verwiesen. Am 12. Oktober 2016 fand das Gespräch statt, an dem neben dem Kläger Herr W. als Mitglied der Geschäftsleitung sowie ein Betriebsratsmitglied teilnahmen. Herr W. hielt dem Kläger vor, seine Angaben zu den Erkrankungen seien nicht glaubwürdig. Er monierte, dass der Kläger bisher keine Atteste vorgelegt habe. Weitere Inhalte des Gesprächs sind streitig, insbesondere auch, ob das Gespräch den Anforderungen an ein betriebliches Eingliederungsmanagement (im Folgenden: bEM) entsprach. Auch hierüber wurde ein Protokoll erstellt, das der Kläger unterschrieben hat (Bl. 34 d. A.). Dort ist als „Einschränkung im Hinblick auf die auszuübende Tätigkeit“ Folgendes vermerkt:

„Herr G. reagiert panisch, bekommt wenig Luft in Sortimentsbereichen, in denen wenig Platz ist (z.B. Spirituosenabt.); enge Räume.“

Im Nachgang zu dem Gespräch schrieb Herr W. per E-Mail vom 12. Oktober 2016 (Bl. 284 d. A.) an die Mitarbeiterin Frau C.:

– „Herr G. hat mir heute bestätigt, dass keine Atteste für bestimmte Leiden vorliegen, als dass er im letzten Gespräch bis KW 37 alle Atteste einreichen wollte.

– Wiederholt habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass seine Aussagen nicht glaubwürdig sind.

– Er hat am 15.11.16 einen Termin beim Lungenarzt, der ihm angeblich ein Attest ausstellen möchte und womöglich Leistungs- und Einsatzeinschränkungen bestätigen wird.“

Der behandelnde Arzt stellte dem Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 ein Attest aus, wonach er unter einer chronischen Lungenerkrankung leidet, im Einzelnen wird auf Bl. 36 d. A. verwiesen. Der Kläger legte dieses Attest der Beklagten vor.

Am 3. Mai 2017 wurde erneut ein Gespräch mit dem Kläger über die Krankheitszeiten geführt. Ein Mitglied des Betriebsrats wurde erst hinzugezogen, als es auch um die Qualität der Arbeitsleistung des Klägers ging. Der Kläger wies in diesem Gespräch darauf hin, er fühle sich durch Arbeitsanweisungen mit Zeitangaben unter Druck gesetzt, dies könne er aufgrund von Depressionen nicht ertragen; der Arbeitsplatz im Spirituosenbereich sage ihm nicht zu, da er unter Asthma leide und die Luft dort nicht gut sei. Der Kläger erwähnte auch, dass er Hüftprobleme habe. Die Mitarbeiter der Beklagten wiesen den Kläger erneut darauf hin, dass die erwähnten Krankheiten „alle nicht attestiert“ seien. Ihm wurde vorgehalten, die Krankheiten seien „alle neu“. Auf den Inhalt des entsprechenden Gesprächsprotokolls vom 3. Mai 2017 wird Bezug genommen (Bl. 35 d. A.).

Der Betriebsarzt der Beklagten untersuchte in der Folgezeit auf Veranlassung der Beklagten den Arbeitsplatz des Klägers hinsichtlich der Luftverhältnisse. Er erstellte – nachdem er die Krankheitsunterlagen des Klägers von dessen Arzt erhalten hatte – eine Beurteilung vom 5. Juli 2017 (Bl. 37) und kam zu dem Ergebnis, der Einsatz des Klägers im Bereich Spirituosen sei leidensgerecht sei. Weiter heißt es:

„Sollte Herr G. sich diese Tätigkeit nicht mehr zutrauen, so ist aus meiner Sicht dann nur noch der Bereich Verwaltung leidensgerecht.“

Eine ihm angebotene Tätigkeit im Kassenbereich lehnte der Kläger mit Verweis darauf ab, er habe Angst, dort Fehler zu machen.

Mit Schreiben vom 14. August 2017 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers an (Anlage O, Bl. 43 d. A.). Diesem Schreiben war ein Anlagenkonvolut von 28 Seiten beigefügt (Anlagen P, Bl. 278 – 305 d. A.). Der Betriebsrat äußerte sich zu der Kündigung nicht. Mit Schreiben vom 24. August 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 28. Februar 2018, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin (Anlage K 1, Bl. 7 d. A.).

Der Kläger unterzog sich von November 2018 bis Mitte Januar 2019 einer Rehabilitationsmaßnahme. Auf den ärztlichen Entlassungsbericht des Reha-Zentrums XXX wird Bezug genommen (Bl. 332 – 333 d. A.).

Mit der Klageschrift vom 5. September 2017, die bei dem Arbeitsgericht per Telefax am selben Tag eingegangen ist, hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben, einen allgemeinen Feststellungsantrag gestellt und für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage seine vertragsgemäße Weiterbeschäftigung verlangt.

Er hat gerügt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, ferner hat er die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats mit Nichtwissen bestritten. Dem Betriebsrat sei insbesondere nicht mitgeteilt worden, dass der Kläger ein Kind hat, das als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt und bei dem das Merkzeichen H – für dauerhafte Hilfebedürftigkeit – notiert sei.

Der Kläger hat geltend gemacht, aus den Fehlzeiten ergebe sich keine negative Prognose. Sie beruhten auf unterschiedlichen Erkrankungen. Er hat behauptet, er habe in der Vergangenheit bei der Arbeit einen Bandscheibenvorfall erlitten, der aber ausgeheilt sei. Er habe dies auf Anraten des Betriebsratsmitglieds X. nicht gemeldet. Die Beklagte habe keine betrieblichen Beeinträchtigungen dargelegt. Die Kündigung sei zudem unverhältnismäßig, da die Beklagte kein ordnungsgemäßes bEM durchgeführt habe. Die Einladungsschreiben genügten nicht den Mindestanforderungen. Es fehle jeder Hinweis auf die Freiwilligkeit, ebenso auf die Gesprächsteilnehmer. Informationen über Ziele des bEM und über Art und Umfang der erhobenen Daten und deren Schutz fehlten. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass auch ein ordnungsgemäßes bEM nicht zur Verringerung der Krankheitszeiten hätte führen können. Sie habe es versäumt, den Kläger leidensgerecht in einer anderen Abteilung – nämlich der Abteilung Süßwaren/Konserven und Nährmittel – einzusetzen.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. August 2017 nicht beendet wird;

2. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;

3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und / oder zu 2. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter / Food weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, das Arbeitsverhältnis sei durch die ordentliche Kündigung wirksam beendet. Aus den Fehlzeiten ergebe sich eine negative Zukunftsprognose, da der Kläger seit 2014 pro Jahr deutlich mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig krank gewesen sei. Da er eine chronische Lungenerkrankung habe und zudem Erkrankungen im Bewegungsapparat sei in Zukunft mit ebenso hohen Fehlzeiten zu rechnen. Dies habe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Beklagten – insbesondere durch die Lohnfortzahlungskosten – geführt. Es habe wegen der Fehlzeiten keine Planungssicherheit gegeben. Die Beklagte müsse eine Verlässlichkeit der Personaldecke erreichen und Störungen im Ablauf der Abteilungen vermeiden. Die Einstellung einer Personalreserve sei der Beklagten aus Kostengründen nicht möglich.

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe im März 2015 und im Oktober 2016 ein ordnungsgemäßes bEM durchgeführt. Auch in anderen Gesprächen sei der Gesundheitszustand besprochen worden. Leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten seien nicht vorhanden. Die Ergebnisse des bEM seien jeweils ordnungsgemäß dokumentiert.

Mit Urteil vom 28. März 2018 – 27 Ca 377/17 – hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der allgemeine Feststellungsantrag sei bereits unzulässig. Die im Übrigen zulässige Klage sei unbegründet. Die Kündigung der Beklagten vom 24. August 2017 sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2018 beendet. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt, indem die Beklagte den Betriebsrat durch das Anhörungsschreiben nebst umfangreichen Anlagen umfassend über die Gründe der krankheitsbedingten Kündigung informiert habe.

Die Kündigung sei als krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Aus den bisherigen Krankheitszeiten ergebe sich eine negative Prognose, da der Kläger seit 2014 erhebliche Fehlzeiten aufweise. Daraus folge die Vermutung, dass auch künftig in entsprechendem Umfang Fehlzeiten auftreten. Diese Vermutung habe der Kläger nicht widerlegt. Es fehle an einer substantiierten Darlegung der Krankheitsbilder. Er habe auch nicht vorgetragen, dass die Krankheiten ausgeheilt seien. Durch die Fehlzeiten ergebe sich eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Diese seien in den künftig zu erwartenden erheblichen Entgeltfortzahlungskosten zu sehen, die jährlich 6 Wochen übersteigen dürften, wie dies schon in den Jahren 2014 – 2017 der Fall gewesen sei.

Die Interessenabwägung ergebe, dass die Beklagte weitere Beeinträchtigungen künftig nicht mehr hinnehmen müsse. Es sei – ausgehend von den hierzu in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätzen – ein ordnungsgemäßes bEM durchgeführt worden. Zu einem Einsatz im Bereich Check out sei der Kläger nicht bereit gewesen. Dies habe daher als leidensgerechte Alternative nicht zur Verfügung gestanden. Der Betriebsarzt habe nach dem bEM vom Oktober 2016 den Arbeitsplatz des Klägers als leidensgerecht bewertet. Ob das Einladungsschreiben ordnungsgemäß sei, könne dahinstehen, da der Kläger in dem bEM Gespräch vom 12. Oktober 2016 über die Inhalte und Gründe des bEM belehrt worden sei. Anderes habe der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger habe seinerseits nicht dargelegt, welche anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten oder Reha-Maßnahmen in Betracht gekommen wären, um ihn leidensgerecht weiter beschäftigen zu können.

Die Interessenabwägung ergebe, dass das Auflösungsinteresse der Beklagten überwiege. Zu Gunsten des Klägers sei seine Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen und der Umstand, dass er drei Personen unterhaltspflichtig sei. Zu Gunsten der Beklagten sei zu beachten, dass der Kläger mit 53 Jahren nicht übermäßig alt sei, daher bis zum Renteneintritt noch erhebliche Fehlzeiten zu erwarten seien. Die Beklagte habe über mehrere Jahre versucht, eine Verringerung der Fehlzeiten herbeizuführen. Es sei aber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ansatzweise ersichtlich geworden, wie eine Besserung erreicht werden könne. Es stünden auch keine Gründe der Annahme entgegen, dass der Kläger nach vollständiger Genesung anderweitig eine neue Beschäftigung finden könne.

Ergänzend wird auf die gesamten Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen verwiesen (S. 7 – 16 des Urteils, Bl. 108 – 117 d. A.).

Das Urteil ist dem Kläger am 29. März 2018 zugestellt worden (Empfangsbekenntnis Bl. 120 d. A.). Die Berufungsschrift ist am 18. April 2018 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen, die Berufungsbegründung ist – nach auf rechtzeitigen Antrag hin erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 29. Juni 2018 – am 29. Juni 2018 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit es die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat.

Der Kläger meint, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer negativen Prognose ausgegangen. Zukünftige erhebliche Fehlzeiten seien – entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts – nicht indiziert. Das Arbeitsgericht habe nicht beachtet, dass sich die Fehlzeiten jeweils verringert hätten. Soweit das Gericht darauf abgestellt habe, dass der Kläger die Indiz Wirkung nicht widerlegt habe, habe das Arbeitsgericht einen entsprechenden Hinweis versäumt. Das Gericht habe nicht erkannt, dass die Beklagte nicht ausreichend zu erheblichen Betriebsablaufstörungen vorgetragen habe. Solche hätten nicht vorgelegen. Der Vortrag der Beklagten durch Hinweis auf die notwendige Verlässlichkeit der Personaldecke sei zu pauschal. Die Einstellung einer Personalreserve sei der Beklagten zumutbar.

Die Kündigung sei unverhältnismäßig. Die Beklagte habe von dem milderen Mittel einer Beschäftigung des Klägers in der Abteilung Süßwaren / Konserven, auf die er hingewiesen habe, keinen Gebrauch gemacht. Eine solche Beschäftigung sei leidensgerecht – insbesondere wegen der Hochregale und der hohen Decke in dem Bereich – und hätte die Fehlzeiten verringert. Die Spirituosenabteilung sei mit niedrigen Regalen bestückt und schlecht belüftet. Hierauf habe der Kläger – insoweit unstreitig – in dem Gespräch im Juli 2016 hingewiesen und um Versetzung in die Abteilung Süßwaren / Konserven gebeten, also in die Abteilung, in der er früher schon eingesetzt war.

Ein ordnungsgemäßes bEM sei nicht durchgeführt worden. Es sei nicht ersichtlich, wieso das Arbeitsgericht davon ausgehe, dass der Kläger im Gespräch am 12. Oktober 2016 mündlich über die Inhalte und Ziele des bEM informiert worden sei. Dies treffe nicht zu. Der Kläger verweist auf den Inhalt des Einladungsschreibens; diesen hält er für fehlerhaft. Über die Erhebung und den Schutz seiner persönlichen Daten sei er auch im Gespräch am 16. Oktober 2016 nicht informiert worden, ebenso wenig über die Ziele des bEM und darüber, dass es um die Grundlage seiner Weiterbeschäftigung gehe. Der Kläger habe aus den Äußerungen des Herrn W. nicht erkennen können, dass das bEM eine freiwillige Veranstaltung sei. Er habe angenommen, nur die Erstellung des Protokolls sei freiwillig. Herr W. habe gesagt: „Der Arbeitgeber sagt, wir müssen das bEM machen, um eine Lösung zu finden. Sie waren so lange krank.“ Die Beklagte habe also gerade nicht einen ergebnisoffenen Suchprozess eingeleitet, wie es das bEM verlange. Indem sie den Kläger darauf hingewiesen habe, dass sie seine Angaben zu bestehenden Erkrankungen nicht als glaubwürdig ansehe, habe sie erkennen lassen, dass sie seine Vorschläge als unbeachtlich ansieht. Die Mitteilung seiner sensiblen Krankheitsdaten sei von der Beklagten diskreditiert worden. Die Beklagte habe ihn in einem früheren Gespräch über die Krankheitszeiten – insoweit unstreitig – darauf hingewiesen, dass sein Vorgesetzter, Herr Z., ihn überall einsetzen und einplanen könne. Auch deshalb habe der Kläger nicht angenommen, dass seine eigenen Vorschläge und Vorstellungen in irgendeiner Form berücksichtigt werden würden. Der Kläger wendet zudem ein, bei einem ordnungsgemäßen bEM unter Hinzuziehung der Träger von Rehabilitationsmaßnahmen hätte man Rehabilitationsbedarf erkennen können. Entsprechende Maßnahmen hätten die Fehlzeiten in Zukunft erheblich verringert.

Es sei zudem unzutreffend, wenn das Arbeitsgericht in der Interessenabwägung angenommen habe, der Kläger werde rasch eine Anschlussbeschäftigung finden. Davon sei wegen des Alters des Klägers nicht auszugehen. Fehlerhaft habe das Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten angenommen, diese habe seit Jahren erfolglos versucht, die Fehlzeitensituation zu verbessern. Hierzu habe die Beklagte nichts vorgetragen. Die Gespräche über Fehlzeiten, auf die sich die Beklagte bezogen habe, seien nicht geführt worden, um tatsächlich eine Verbesserung herbeizuführen. Dies zeige sich etwa darin, dass die Beklagte die Unterstützungsmaßnahme, die als Ergebnis des Gesprächs im März 2015 festgestellt wurde – nämlich die Bereitstellung einer E-Ameise – nicht umgesetzt habe, was unstreitig ist. Schon in dem Gespräch im März 2015 sei es der Beklagten vor allem darum gegangen, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28. März 2018 – 27 Ca 377/17 – teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. August 2017 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angegriffene Urteil. Der Kläger habe auch in der Berufung keinen Vortrag gehalten, der die Indiz Wirkung der erheblichen Fehlzeiten der vergangenen Jahre entkräfte. Die negative Prognose sei nicht erschüttert. Die Planungsunsicherheit wegen der häufigen Krankheiten des Klägers stelle eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung dar.

Die Beklagte behauptet, bei jeder Einladung zu einem bEM-Gespräch würden die Arbeitnehmer jeweils auf Anlass und Ziel des bEM hingewiesen, ebenso auf die Freiwilligkeit und Vertraulichkeit. Es komme zudem nicht darauf an, ob die Beklagte ausreichend über den Sinn und Inhalt des bEM und die Datenerhebung und Datenverwendung informiert habe. Das bEM sei jedenfalls durchgeführt worden und habe keine Maßnahmen ergeben, die zu einer Verringerung der Fehlzeiten hätten führen können. Soweit der Kläger eine Umsetzung in die Abteilung Süßwaren / Konserven u.a. gewünscht habe, habe die betriebsärztliche Stellungnahme ergeben, dass der Arbeitsplatz in der Spirituosenabteilung leidensgerecht sei. Der Kläger habe zudem nicht einmal vorgetragen, dass die bisherigen Fehlzeiten auf die chronische Lungenerkrankung zurückzuführen seien.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf den gesamten Inhalt der in der Berufung gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Sie ist sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist gem. § 8 Abs. 2 ArbGG, § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 519 Abs. 1 und 2, § 520 Abs. 1 und 3, § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

II. Die Berufung des Klägers ist erfolgreich, denn seine Kündigungsschutzklage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 24. August 2017 ist – entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts – unwirksam. Sie ist sozial ungerechtfertigt gem. § 1 Abs. 1, 2 KSchG. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung nicht beendet worden.

1. Die Wirksamkeit der Kündigung wird nicht gem. §§ 4, 7 KSchG fingiert. Denn der Kläger hat rechtzeitig innerhalb der Frist gem. § 4 S. 1 KSchG gegen die ihm am 24. August 2017 zugegangene Kündigung Klage erhoben. Die Kündigungsschutzklage ist bei dem Arbeitsgericht Hamburg innerhalb der Drei-Wochen-Frist am 05. September 2017 eingegangen.

2. Das Kündigungsschutzgesetz findet in persönlicher und betrieblicher Hinsicht Anwendung. Der Kläger ist seit 1999 bei der Beklagten tätig. Die Beklagte beschäftigt bundesweit und auch im Beschäftigungsbetrieb des Klägers regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer.

3. Die Kündigung der Beklagten vom 24. August 2017 ist rechtsunwirksam, da sie nicht durch Gründe in der Person des Klägers iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Auf andere Gründe iSd. § 1 Abs. 2 KSchG – insbesondere auf verhaltensbedingte Gründe – hat die Beklagte die Kündigung nicht gestützt.

a) Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; BAG, Urteil vom 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 –; BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06 –, alle Rspr. zit. nach Juris) in drei Stufen zu prüfen:

Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indiz Wirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er sodann die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16 mwN; BAG, Urteil vom 8. November 2007 – 2 AZR 292/06 –; BAG, Urteil vom 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 –). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (BAG, Urteil vom 25. April 2018, 2 AZR 6/18 Rn. 23). Die prognostizierten, erheblichen Fehlzeiten sind jedoch nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15; BAG, Urteil vom 1. März 2007 – 2 AZR 217/06 – Rn. 15; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16).

b) Nach diesen Grundsätzen ist zwar festzustellen, dass von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen ist. Die Beklagte hat aber nicht dargelegt, dass die zu prognostizierenden Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen führen. Zudem ist die Kündigung auch unverhältnismäßig.

aa) Aus den von der Beklagten dargelegten Fehlzeiten der Vergangenheit ergibt sich – entgegen der Sichtweise des Klägers – eine negative Zukunftsprognose. Unter Anwendung der oben genannten Grundsätze zur Verteilung von Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der negativen Prognose hat der Kläger die indizielle Wirkung der erheblichen Fehlzeiten der Vergangenheit nicht ausreichend in Zweifel gezogen.

(1) Erhebliche Fehlzeiten in der Vergangenheit mit indizieller Wirkung liegen vor. Der Kläger war in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 jeweils mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt.

(2) Der Indiz Wirkung der bisherigen Fehlzeiten und der sich daraus ergebenden negativen Prognose für die Zukunft ist der Kläger nicht ausreichend entgegengetreten. Er hat keinen näheren Vortrag dazu gehalten, welche Erkrankungen in den jeweiligen Zeiträumen vorlagen und inwiefern davon auszugehen sein soll, dass diese künftig nicht mehr auftreten. Soweit er behauptet, dass ein Arbeitsunfall für einen Teil der Fehlzeiten ursächlich gewesen sei, ist nicht klargeworden, um welche Zeiten es sich dabei handeln soll.

bb) Die prognostizierten Fehlzeiten sind jedoch nur dann geeignet, eine krankheits-bedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führen (= 2. Stufe). Diese Beeinträchtigungen sind Teil des Kündigungsgrundes, nicht Teil der Interessenabwägung. Sie fehlen im Streitfall.

(1) Betriebliche Beeinträchtigungen können einmal darin liegen, dass aufgrund der bisherigen oder der zu erwartenden Fehlzeiten erhebliche Betriebsablaufstörungen eingetreten und zu erwarten sind. Solche Betriebsablaufstörungen hat der Arbeitgeber konkret darzulegen und ggf. zu beweisen (KR/Rachor, 2018, § 1 Rn. 364, Linck, KSchG, 2019, § 1 Rn. 374). Pauschale, schlagwortartige oder stichwortartige Angaben des Arbeitgebers genügen hierbei nicht. Er muss vielmehr die aufgetretenen Störungen genau beschreiben. Er hat auch darzulegen, inwiefern er den Ausfall nicht überbrücken kann.

Der Arbeitgeber kann sich auch auf erhebliche wirtschaftliche Belastungen mit Entgeltfortzahlungskosten beziehen, ebenso auf angefallene Kosten für den Einsatz von Springern und Aushilfskräften. Erheblich und damit objektiv geeignet, einen Kündigungsgrund zu bilden, sind die Entgeltfortzahlungskosten erst dann, wenn zu erwarten ist, dass sie künftig für mehr als sechs Wochen im Jahr anfallen werden (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009, 2 AZR 400/08; BAG, Urteil vom 25. April 2018, 2 AZR 6/18). Bei gleichzeitigen Störungen des Betriebsablaufs können auch schon jährliche Ausfallzeiten mit Entgeltfortzahlung von weniger als sechs Wochen kündigungsrelevant sein (BAG, Urteil vom 6. September 1989 – 2 AZR 224/89 –; BAG, Urteil vom 29. August 1991 – 2 AZR 220/91 –).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte weder erhebliche Betriebsablaufstörungen dargelegt, noch erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen.

(aa) Die Beklagte hat zu Betriebsablaufstörungen lediglich in allgemeiner Form darauf verwiesen, die Personaldecke müsse verlässlich sein und die Planbarkeit des Klägers sei nicht gesichert. Dieser pauschale Hinweis genügt nicht zur Darlegung erheblicher Betriebsablaufstörungen. Die Beklagte hat keine Ausführungen dazu gemacht, wie sie konkret auf die – zum Teil mehrmonatigen – Fehlzeiten des Klägers reagiert hat und welche konkreten Belastungen für die Kolleginnen und Kollegen des Klägers eingetreten sind. Auch zu konkreten Störungen bei den Arbeitsabläufen ist nichts vorgetragen. Es gibt weder Vorbringen zu etwaigen Überbrückungsmaßnahmen, noch zu einer etwaigen Überbeanspruchung der Mitarbeiter mit Mehrarbeit. Nähere Ausführungen hierzu sind auch nach gerichtlichem Hinweis nicht erfolgt.

(bb) Die Beklagte hat drohende erhebliche wirtschaftliche Belastungen nicht dargelegt. Der Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für die künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten. Er hat darzulegen, dass von ihm in der Vergangenheit Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von jährlich mehr als sechs Wochen aufzuwenden waren. Regelmäßig ist dabei als Referenzzeitraum der Zeitraum der letzten drei Jahre vor der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung zu Grunde zu legen (BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 28 und 23).

Betrachtet man die letzten drei Jahre vor der Betriebsratsanhörung, die am 14. August 2017 stattfand, so ergibt sich ein wechselhaftes Bild. Im ersten Jahr (Mitte 2014 bis Mitte 2015) fiel Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für 9 Wochen und 1 Tag an. Im zweiten Jahr (Mitte 2015 bis Mitte 2016) betraf dies nur einen Zeitraum von insgesamt 4 Wochen und 4 Tagen. Erst im letzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung fielen ganz beträchtliche Entgeltfortzahlungskosten an, die Beklagte musste für einen Zeitraum von insgesamt gut 19 Wochen Entgeltfortzahlung leisten. Angesichts des schwankenden Verlaufs der Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten, bei dem nicht einmal in zwei aufeinanderfolgenden Jahren der 6-Wochen-Zeitraum überschritten wurde, sondern sich die Belastungen von Mitte 2015 bis Mitte 2016 wieder deutlich reduziert haben, rechtfertigen die angefallenen Kosten im maßgeblichen Prognosezeitraum nicht den Schluss, dass auch künftig in erheblichem Umfang (nämlich im Umfang von mehr als 6 Wochen pro Jahr) mit Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen ist.

cc) Selbst, wenn man – entgegen den Ausführungen unter bb) – annehmen wollte, die Beklagte habe mit ihrem Vortrag den Anforderungen an die Darlegung des Kündigungsgrundes auf der 2. Stufe Genüge getan, ist die Kündigung gleichwohl sozial ungerechtfertigt. Denn die Kündigung ist jedenfalls unverhältnismäßig. Die Beklagte hat nicht darlegen können, dass die Kündigung nicht durch andere Maßnahmen hätte vermieden werden können.

(1) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz sein (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 29; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 24). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 24 mwN.).

(2) Besteht keine Pflicht zur Durchführung des bEM, kann sich der Arbeitgeber im Rahmen seiner Darlegungen zunächst darauf beschränken, zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestünden keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten. Anderes gilt, wenn die Voraussetzungen gem. § 167 Abs. 2 SGB IX vorlagen, die den Arbeitgeber verpflichteten, ein bEM durchzuführen. In dem Fall treffen den Arbeitgeber erweiterte Darlegungspflichten, wenn er entweder ein bEM nicht angeboten oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat. In dem Fall hat der Arbeitgeber detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden hat, die Kündigung durch mildere Mittel zu vermeiden (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 27)

(3) Die Beklagte trifft eine solche erweiterte Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen ist. Sie hat das erforderliche bEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Ein bEM war auch nicht deshalb entbehrlich, da es von vorneherein nicht erfolgversprechend war. Die Beklagte hat nicht darlegen können, dass nicht die Möglichkeit bestand, die Kündigung durch den Einsatz milderer Mittel zu vermeiden. Die Kündigung war unverhältnismäßig.

(a) Der Kläger war sowohl 2014, als auch 2015, 2016 und 2017 jeweils mehr als sechs Wochen pro Jahr arbeitsunfähig erkrankt, die Beklagte war verpflichtet, ein bEM gem. § 167 Abs. 2 SGB IX anzubieten und bei Einverständnis des Klägers auch durchzuführen.

(b) Soweit die Beklagte darauf verwiesen hat, dass im März 2015 ein bEM stattgefunden habe, kann offenbleiben, ob das Gespräch im März 2015 den Anforderungen an ein bEM genügt hat. Selbst wenn man davon zu Gunsten der Beklagten ausgehen wollte, ist festzuhalten, dass die Beklagte die Präventionsmaßnahme zur Verhinderung weiterer Fehlzeiten, die damals festgestellt wurde – nämlich das Bereitstellen einer E-Ameise für den Kläger zur Verrichtung seiner Tätigkeiten – nicht umgesetzt hat. Warum dies unterblieben ist, hat die Beklagte nicht erläutert. Es ist nach Lage der Dinge keineswegs auszuschließen, dass sich die auch nach dem Gespräch weiterhin angefallenen Fehlzeiten durch diese Maßnahme hätten vermeiden oder reduzieren lassen. Damit kann ein Verweis auf das Gespräch vom März 2015 nicht ausreichen, um darzulegen, dass mildere Mittel als die Kündigung nicht in Betracht kamen. Die in dem Gespräch erkannten milderen Mittel sind nicht ausprobiert worden.

(c) Die Beklagte traf jedenfalls spätestens im Herbst 2016 erneut die Pflicht, ein bEM gem. § 167 Abs. 2 SG IX durchzuführen. Davon ging offenbar auch die Beklagte selbst aus, wie sich aus ihrem Vorbringen ergibt. Der Kläger war in der Zeit nach dem Gespräch im März 2015 – insbesondere nach der Umsetzung in eine andere Abteilung Mitte 2016 – in erheblichem Umfang und deutlich mehr als 6 Wochen erneut arbeitsunfähig erkrankt. Den Arbeitgeber trifft die Initiativlast für die Durchführung des bEM. Das bEM wird erforderlich, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist. Das ist gemäß § 191 BGB ein Zeitraum von 365 Tagen. Maßgeblich ist also der jeweils zurückliegende Jahreszeitraum (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 3. Juni 2015, 6 Sa 396/14, Rn. 113). Der Verpflichtung zur (erneuten) Durchführung eines bEM ist die Beklagte nicht nachgekommen. Das Gespräch mit dem Kläger am 12. Oktober 2016 entsprach nicht den Anforderungen an ein bEM.

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 30; BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 30; BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 20).

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10 – Rn. 9; BAG, Urteil vom 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 23; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 31). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 – 6 P 8/09 – Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (BAG, Urteil vom 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 23; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32; BVerwG 23. Juni 2010 – 6 P 8/09 – Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10 – Rn. 19; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32 mwN.).

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 33).

(5) Danach ist das bEM hier bereits von der Beklagten nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden. In dem Einladungsschreiben hat sie den Kläger weder über die Freiwilligkeit des bEM informiert, noch über den Umgang mit seinen Daten. Auch über die Ziele des bEM ist der Kläger in dem Schreiben nicht ausreichend in Kenntnis gesetzt worden. Zwar wird im Einladungsschreiben der Beklagten vom 15. September 2016 darauf hingewiesen, dass es darum geht, zu „prüfen, ob wir durch geeignete Maßnahmen (Überprüfung Ihres Arbeitsumfeldes, Suche nach Alternativen, etc.) aktiv zu einer nachhaltigen Verbesserung Ihres Gesundheitszustandes beitragen können“. Damit wird aber weder das Ziel verdeutlicht, das Arbeitsverhältnis zu erhalten, noch wird dem Kläger deutlich gemacht, dass es um einen aktiven Suchprozess geht, in den er eigene Vorstellungen einbringen kann. Soweit die Beklagte auf den Hinweis des Gerichts nur allgemein vorgetragen hat, was den Mitarbeitern üblicherweise vor einem bEM-Gespräch erläutert wird, ist hieraus nicht ersichtlich, welche weitergehenden Informationen der Kläger zu welchem Zeitpunkt und durch wen erhalten haben soll.

(6) Es kann hier offenbleiben, wie sich solche unzureichenden Informationen in der Einleitungsphase des bEM auswirken, wenn anschließend dennoch ein bEM stattfindet, das den Anforderungen an einen ergebnisoffenen Suchprozess im oben beschriebenen Sinne entspricht. Denn das Gespräch am 12. Oktober 2016 genügt diesen Anforderungen nicht. Die Beklagte hat nicht darlegen können, dass der Kläger in einen konstruktiven und ergebnisoffenen Suchprozess einbezogen war. Der Kläger hat hierzu behauptet, man habe ihm im Gespräch lediglich gesagt, man müsse das jetzt machen, da er so viel krank gewesen sei. Dass es um die gemeinsame Suche nach einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zum Erhalt des Arbeitsplatzes ging, in die er seine Sicht und eigene Vorstellungen einbringen konnte, sei ihm nicht klar gewesen. Unstreitig ist, dass der Kläger in dem Gespräch am 12. Oktober 2016 zudem mehrfach darauf hingewiesen wurde, seine Angaben zu seinen Erkrankungen seien nicht glaubwürdig; ihm wurde vorgehalten, dass er bisher keine Atteste vorgelegt hatte. Als Ergebnis wurde im Protokoll unter der Rubrik „Einschränkung im Hinblick auf die auszuübende Tätigkeit“ Folgendes vermerkt, der Kläger reagiere „panisch, bekommt wenig Luft in Sortimentsbereichen, in denen wenig Platz ist (z.B. Spirituosenabt.); enge Räume.“ Welche Abhilfemaßnahmen und welche alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten besprochen worden sein sollen, wie sich konkret der offene Suchprozess, den das Gesetz verlangt, gestaltet haben soll, ist aus dem Vortrag der Beklagten hierzu nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben ihre Darlegungen nicht, dass es sich um einen konstruktiven Suchprozess handelte, in den auch der Kläger als Subjekt einbezogen war.

(7) Die Durchführung eines ordnungsgemäßen bEM war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil dies sowieso offensichtlich nicht erfolgversprechend war. Zwar kann es vorkommen, dass angesichts der konkreten Umstände und der Art der Erkrankung selbst ein ordnungsgemäßes bEM kein positives Ergebnis hätte bringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber aus dem Umstand, dass er das bEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat, kein Nachteil entstehen. Erscheint aber ein positives Ergebnis denkbar, so trifft den Arbeitgeber die erhöhte Darlegungslast und er muss von sich aus sämtliche denkbaren oder auch vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich angeführten Alternativen würdigen und im Einzelfall darlegen, warum diese nicht zu einer Vermeidung künftiger Fehlzeiten führen können und also als mildere Mittel ausscheiden. Insbesondere hat er im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht kommen (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34). Vorliegend war ein bEM nicht von vorneherein aussichtslos. Hier kamen insbesondere, wie der Kläger zutreffend geltend macht, Maßnahmen der Rehabilitation in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, dass diese nicht erfolgversprechend waren.

(aa) Denkbares Ergebnis eines bEM kann auch sein, den Arbeitnehmer auf eine gesetzlich vorgesehene Hilfe oder Leistung eines Rehabilitationsträgers zu verweisen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 49). Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 48 mwN.). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 –). Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei – neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung – insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 42 SGB IX in Betracht (§ 26 SGB IX a. F., vgl. auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 3. Juni 2015, 6 Sa 396/14).

(bb) Die Beklagte hat ihrer erweiterten Darlegungslast nicht genügt. Ihrem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, dass das künftige Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger nicht hätte vermieden oder im relevanten Umfang abgemildert werden können. Die Beklagte hatte nach eigenem Vortrag durch Äußerungen des Klägers Kenntnis davon, dass Krankheiten im Bewegungsapparat und Lungenerkrankungen (jedenfalls auch) zu den Fehlzeiten in der Vergangenheit geführt hatten. Als Befund des Gesprächs vom 12. Oktober 2016 ist ausweislich des Protokolls zudem festgestellt, dass der Kläger Panik bei engen Räumen empfindet sowie ein Gefühl der Luftnot. Die Beklagte hat in der Berufungsverhandlung auf Nachfragen des Gerichts erklärt, für die Einbeziehung von Rehabilitationsmaßnahmen habe aus ihrer Sicht keine Veranlassung bestanden. Warum dies von vorneherein hier nicht in Betracht kommen soll, ist allerdings nicht ersichtlich. Auch wenn es für die Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. August 2017 nicht darauf ankommt, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt, dass der Kläger sich ausweislich des von ihm vorgelegten Abschlussberichts Ende 2018 / Anfang 2019 einer Rehabilitationsmaßnahme unterzogen hat.

III. Die Beklagte hat aufgrund ihres Unterliegens die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, da ein gesetzlicher Grund hierfür gem. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht besteht.

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