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Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderte nach Antragstellung vor Entscheidung Integrationsamt

Schwerbehinderte und Kündigungsschutz: Wie stehen Antrag und Integrationsamtamt zusammen?

In dem Urteil des ArbG Nordhausen (Az.: 2 Ca 697/22) vom 22.02.2023 geht es um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung gegenüber einer Klägerin, die Schwerbehindertenschutz nach Antragstellung, aber vor Entscheidung des Integrationsamtes beanspruchte. Die Klage wurde abgewiesen, da das Gericht entschied, dass die Kündigung rechtswirksam war. Die Kündigung bedurfte keiner Zustimmung des Integrationsamtes, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung nicht als schwerbehindert anerkannt war. Der festgestellte Grad der Behinderung betrug lediglich 30, und somit genoss die Klägerin keinen besonderen Kündigungsschutz.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Klage gegen die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wurde abgewiesen.
  • Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderte, da ihr Grad der Behinderung nur auf 30 festgesetzt wurde.
  • Eine Zustimmung des Integrationsamtes war für die Kündigung nicht erforderlich.
  • Die ordentliche Kündigung war rechtswirksam, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung den Schwerbehindertenstatus nicht innehatte.
  • Das Gericht folgte der Argumentation der Beklagten, dass die Klägerin ihre Schwerbehinderteneigenschaft nicht rechtzeitig angezeigt hatte.
  • Die dreiwöchige Klageerhebungsfrist wurde von der Klägerin eingehalten, was die Kündigung jedoch nicht unwirksam machte.
  • Der Bescheid des Landratsamtes über den Grad der Behinderung hat Tatbestandswirkung.
  • Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Klägerin auferlegt.

Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte: Ein richtungsweisendes Urteil

Schwerbehinderte Menschen genießen in Deutschland besonderen Schutz vor einer Kündigung durch ihren Arbeitgeber. Dieser Schutz tritt jedoch nicht sofort in Kraft, sondern erst nach einer Entscheidung des Integrationsamtes über den Grad der Behinderung. Doch was ist, wenn ein Antrag bereits vor der Entscheidung eingereicht wurde? In solchen Fällen stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte nach Antragstellung vor Entscheidung des Integrationsamtes ist ein Thema, das in der rechtlichen Praxis wichtig ist und viele Fragen aufwirft.

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Der Fall: Eine Auseinandersetzung um Kündigungsschutz

Im Mittelpunkt dieses Falles steht eine ordentliche Kündigung, die von einem Arbeitgeber ausgesprochen wurde. Die betroffene Arbeitnehmerin, seit dem 1. Juli 2021 als Verkäuferin und Kassiererin in Vollzeit angestellt, erhielt den gesetzlichen Mindestlohn.

Kündigungsschutz für Schwerbehinderte: Urteil stärkt Rechte
(Symbolfoto: Stock-Asso /Shutterstock.com)

Ihr Arbeitsverhältnis endete offiziell mit einer Kündigung zum 31. Oktober 2022. Auslöser der juristischen Auseinandersetzung war der Antrag der Klägerin auf Anerkennung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft beim Landratsamt am 19. Juli 2022, welcher mit einem Bescheid vom 9. Februar 2023 zu einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 führte. Dieser Bescheid und der daraus resultierende Status waren zentral für die rechtliche Bewertung der Kündigung.

Rechtlicher Hintergrund: Sonderkündigungsschutz bei Schwerbehinderung

Das rechtliche Kernproblem dieses Falles betrifft den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen. Laut Gesetz genießen schwerbehinderte Arbeitnehmer einen besonderen Schutz vor Kündigungen, der eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes erfordert. Die Klägerin berief sich auf diesen Schutz, da sie zum Zeitpunkt der Kündigung bereits den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderte Person gestellt hatte. Die Beklagte argumentierte jedoch, dass zum Zeitpunkt der Kündigung keine Anerkennung vorlag und somit kein Sonderkündigungsschutz beansprucht werden könne.

Die Urteilsbegründung: Ein klarer Rahmen für den Sonderkündigungsschutz

Das Gericht wies die Klage der Arbeitnehmerin ab und bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung. Es stellte fest, dass der besondere Kündigungsschutz nach § 168 SGB IX nur für Arbeitnehmer gilt, deren Schwerbehindertenstatus bereits anerkannt ist oder die einen entsprechenden Antrag gestellt haben, sofern der Grad der Behinderung objektiv 50 oder mehr beträgt. Da die Klägerin lediglich einen GdB von 30 aufwies und zum Zeitpunkt der Kündigung noch kein Bescheid vorlag, wurde entschieden, dass die Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes rechtens war.

Die Bedeutung des Verfahrens und die Kostenentscheidung

Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der formellen Anerkennung des Schwerbehindertenstatus und der damit verbundenen Rechte im Arbeitsrecht. Sie macht deutlich, dass der Antrag auf Anerkennung allein nicht ausreicht, um den erweiterten Kündigungsschutz zu aktivieren. Zudem wurde die Klägerin zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits verpflichtet, und der Wert des Streitgegenstandes wurde auf 6.240,00 EUR festgesetzt.

In einem sorgfältig abgewogenen Urteil hat das Arbeitsgericht Nordhausen mit dem Aktenzeichen 2 Ca 697/22 am 22. Februar 2023 die Grenzen des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen im Arbeitsrecht aufgezeigt. Die Entscheidung verdeutlicht die Anforderungen an die rechtzeitige Anmeldung und Anerkennung einer Schwerbehinderung im Kontext von Kündigungsverfahren.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was ist der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen?

Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen in Deutschland ist eine gesetzliche Regelung, die darauf abzielt, die Arbeitsplätze von Menschen mit Schwerbehinderungen zu sichern und sie vor ungerechtfertigten Kündigungen zu schützen. Dieser Schutz ist im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX), insbesondere in den §§ 168 ff. SGB IX, festgelegt.

Wer ist geschützt?

Schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 sowie ihnen gleichgestellte Personen genießen diesen besonderen Kündigungsschutz. Eine Gleichstellung kann bei einem GdB von weniger als 50, aber mindestens 30, auf Antrag durch die Agentur für Arbeit erfolgen, wenn die Teilhabe am Arbeitsleben aufgrund der Behinderung ohne Gleichstellung besonders erschwert wäre.

Was beinhaltet der Sonderkündigungsschutz?

Der Kern des Sonderkündigungsschutzes besteht darin, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer die Zustimmung des Integrationsamtes einholen muss. Dies gilt für alle Arten von Kündigungen, unabhängig vom Grund der beabsichtigten Kündigung, mit Ausnahme von Kündigungen durch den Arbeitnehmer selbst oder im gegenseitigen Einverständnis.

Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis

Es gibt einige Ausnahmen, bei denen eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes möglich ist. Dazu gehören:

  • Kündigungen innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (Probezeit).
  • Kündigungen bei Betriebsschließungen oder Insolvenzverfahren des Arbeitgebers.
  • In bestimmten Fällen, wenn der Arbeitnehmer das 58. Lebensjahr vollendet hat und Ansprüche auf Abfindung oder ähnliche Leistungen hat.

Verfahren und Fristen

Bei einer beabsichtigten Kündigung muss der Arbeitgeber das Integrationsamt um Zustimmung bitten. Das Amt prüft den Fall umfassend, hört den betroffenen Arbeitnehmer an und berücksichtigt dabei auch die Meinung der Schwerbehindertenvertretung sowie des Betriebs- oder Personalrats. Die Entscheidung des Integrationsamtes muss innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen, und bei Zustimmung zur Kündigung hat der Arbeitgeber einen Monat Zeit, die Kündigung auszusprechen.

Wichtig zu wissen

Der Sonderkündigungsschutz greift nicht automatisch. Schwerbehinderte Arbeitnehmer müssen ihren Arbeitgeber spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung über ihre Schwerbehinderung informieren, falls diese dem Arbeitgeber nicht bereits bekannt war.

  • Der besondere Kündigungsschutz entfällt nicht, wenn die Schwerbehinderung erst nach Ausspruch der Kündigung amtlich festgestellt wird, sofern ein entsprechender Antrag vor Ausspruch der Kündigung gestellt wurde.

Zusammengefasst bietet der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen in Deutschland einen wichtigen Schutzmechanismus, um die Teilhabe am Arbeitsleben zu fördern und zu sichern. Er verhindert nicht die Möglichkeit einer Kündigung an sich, stellt aber sicher, dass die besonderen Belange schwerbehinderter Menschen im Kündigungsprozess angemessen berücksichtigt werden.

Wie wirkt sich die Antragstellung auf Schwerbehinderteneigenschaft auf den Kündigungsschutz aus?

Die Antragstellung auf Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung hat wesentliche Auswirkungen auf den Kündigungsschutz. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) greift der Kündigungsschutz erst drei Wochen nach der Antragstellung. Dies gilt sowohl für Anträge auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 152 Abs. 1 SGB IX als auch für Anträge auf Gleichstellung nach § 151 Abs. 1 SGB IX.

Wenn ein Arbeitnehmer, der sich auf den besonderen Kündigungsschutz berufen möchte, spätestens drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber seinen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch bei der zuständigen Behörde eingereicht hat, besteht ein besonderer Kündigungsschutz. Dieser Schutz tritt allerdings nur dann ein, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vorgelegen hat und die Feststellung der Schwerbehinderung nicht allein aufgrund fehlender Mitwirkung des Antragstellers nicht getroffen werden konnte.

Sollte der Antrag auf Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung abgelehnt werden, ist eine ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung wirksam. Andererseits, wenn der Antrag erfolgreich ist und die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend anerkannt wird, kann der Arbeitnehmer darauf hinarbeiten, dass die Kündigung gemäß § 168 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB unwirksam ist, sofern er dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt hat.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Antragstellung auf Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung innerhalb einer Frist von drei Wochen vor einer Kündigung einen „vorsorglichen Kündigungsschutz“ begründen kann, sofern die Schwerbehinderteneigenschaft tatsächlich besteht und nicht aufgrund mangelnder Mitwirkung des Antragstellers nicht festgestellt werden konnte.

Welche Rolle spielt das Integrationsamt im Kündigungsverfahren bei schwerbehinderten Angestellten?

Das Integrationsamt spielt eine zentrale Rolle im Kündigungsverfahren bei schwerbehinderten Angestellten. Es ist die Behörde, die im Falle einer beabsichtigten Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber die Zustimmung erteilen muss, damit die Kündigung wirksam ist.

Zustimmungserfordernis

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Ohne diese Zustimmung ist eine Kündigung rechtlich unwirksam.

Prüfung durch das Integrationsamt

Das Integrationsamt prüft im Rahmen des Antragsverfahrens, ob die Kündigung in einem Zusammenhang mit der Behinderung des Angestellten steht und ob der Kündigungsgrund sozial gerechtfertigt ist. Es muss dabei die besondere Schutzwürdigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmer berücksichtigen und darf nicht prüfen, ob die Kündigung an sich arbeitsrechtlich unwirksam ist.

Anhörung und Beteiligung

Im Verfahren muss das Integrationsamt den schwerbehinderten Arbeitnehmer anhören und die Stellungnahmen des Betriebs- oder Personalrats sowie der Schwerbehindertenvertretung einholen. Es hat zudem die Aufgabe, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung zwischen den Parteien hinzuwirken.

Entscheidungsfristen

Das Integrationsamt ist an Fristen gebunden, innerhalb derer es seine Entscheidung treffen soll. Bei einer ordentlichen Kündigung soll die Entscheidung, falls erforderlich nach mündlicher Verhandlung, innerhalb eines Monats ab Antragseingang getroffen werden. Wird innerhalb dieser Frist keine Entscheidung getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt.

Ermessensentscheidung

Die Entscheidung des Integrationsamtes ist eine Ermessensentscheidung, bei der die Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abgewogen werden. Das Integrationsamt hat dabei einen gewissen Spielraum, muss aber eine objektive Klärung des Sachverhalts herbeiführen und darf nicht von einem unvollständigen oder falschen Sachverhalt ausgehen.

Rechtsmittel

Gegen die Entscheidung des Integrationsamtes kann der Arbeitnehmer Widerspruch einlegen und parallel Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben.

Zusammenfassend ist das Integrationsamt eine entscheidende Instanz im Kündigungsverfahren bei schwerbehinderten Angestellten, die sowohl die Rechtmäßigkeit der Kündigung als auch die Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers schützt.

Unter welchen Voraussetzungen ist eine Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes möglich?

Eine Kündigung schwerbehinderter Angestellter ohne die Zustimmung des Integrationsamtes ist grundsätzlich unwirksam. Es gibt jedoch bestimmte Ausnahmen, unter denen eine Kündigung auch ohne diese Zustimmung möglich ist:

  • Selbstkündigung des Arbeitnehmers: Wenn der schwerbehinderte Beschäftigte selbst kündigt, ist keine Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich.
  • Probezeit: Arbeitet der schwerbehinderte Beschäftigte weniger als 6 Monate im Betrieb, kann der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Integrationsamtes kündigen. Diese Regelung berücksichtigt die Probezeit, in der beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – das Arbeitsverhältnis ohne die üblichen Kündigungsfristen beenden können.
  • Vollendung des 58. Lebensjahres: Wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer das 58. Lebensjahr vollendet hat und Anspruch auf eine Abfindung oder ähnliche Leistung hat, kann unter Umständen ohne Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden.
  • Kündigung aus witterungsbedingten Gründen: Auch in diesem Fall ist keine Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich.
  • Betriebseinstellungen und Insolvenzen: Bei Kündigungen in Zusammenhang mit Betriebseinstellungen, wesentlichen Betriebseinschränkungen und Insolvenzen gelten Sonderregelungen. Das Integrationsamt „erteilt“ die beantragte Zustimmung bei Kündigungen in Betrieben, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Unter ähnlichen Voraussetzungen „soll“ es die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden.

Diese Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes sind gesetzlich festgelegt, um in bestimmten Situationen eine flexiblere Handhabung des Kündigungsschutzes schwerbehinderter Menschen zu ermöglichen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 168 SGB IX
    Regelt den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen. Eine Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies ist relevant, weil im Urteil die Wirksamkeit einer Kündigung ohne die Zustimmung des Integrationsamtes thematisiert wird.
  • § 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz)
    Bestimmt die soziale Rechtfertigung von Kündigungen. Eine Kündigung ist nur wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist. Im Urteil ist entscheidend, dass die Kündigung der Beklagten nicht der sozialen Rechtfertigung nach KSchG unterliegt, da der Geltungsbereich des KSchG nicht eröffnet war.
  • § 2 Abs. 2 SGB IX
    Definiert, wer als schwerbehinderter Mensch gilt. Eine Person mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 gilt als schwerbehindert. Im Kontext des Urteils ist dies relevant, da die Klägerin lediglich einen Grad der Behinderung von 30 hat und somit nicht unter diesen Schutz fällt.
  • §§ 4, 7 KSchG
    Behandeln die Klagefrist bei Kündigungsschutzklagen. Nach Erhalt einer Kündigung muss innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben werden. Im Urteil wurde diese Frist von der Klägerin eingehalten.
  • § 23 Abs. 1 KSchG
    Legt fest, für welche Betriebe das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. In Betrieben mit in der Regel weniger als zehn Arbeitnehmern findet das KSchG keine Anwendung. Dies war im vorliegenden Fall relevant, da die Beklagte weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigte.
  • §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO
    Regeln die Kostenentscheidung in einem Rechtsstreit. Nach diesen Vorschriften trägt in der Regel die unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens. Im Urteil wurde entschieden, dass die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.


Das vorliegende Urteil

ArbG Nordhausen – Az.: 2 Ca 697/22 – Urteil vom 22.02.2023

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.240,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die Klägerin war seit dem 01.07.2021 bei der Beklagten als Verkäuferin/ Kassiererin beschäftigt. Die Klägerin arbeitete in Vollzeit und erhielt zuletzt den gesetzlichen Mindestlohn von zuletzt 12,00 EUR brutto/Stunde. Am 19.07.2022 beantragt die Klägerin beim Landratsamt … die Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft. Mit Bescheid vom 09.02.2023 stellte das Landratsamt einen Grad der Behinderung von 30 fest. Die Klägerin hat dagegen Widerspruch eingelegt.

Ab dem 25.10.2022 befand sich die Klägerin stationär im Ökumenischen H… Klinikum gGmbH in …. Es handelt sich dabei um ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. Am 01.11.2022 sandte die Mutter der Klägerin per Einschreiben eine Liege- bzw. Aufenthaltsbescheinigung an die Beklagte.

Die Beklagte, die bei Ausspruch der Kündigung regelmäßig weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigte, kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.09.2022 ordentlich zum 31.10.2022.

Die Klägerin erhob unter dem 13.10.2022, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen und der Beklagten am 20.10.2022 zugestellt, Kündigungsschutzklage. Sie erweiterte ihre Klage mit Schriftsatz vom 23.12.2022 bzw. 10.01.2023. Die Anträge 3.- 5. Aus der Klageerweiterung sind mit Beschluss vom 22.02.2023 vom vorliegenden Verfahren abgetrennt worden.

Die Klägerin meint die Kündigung sei wegen fehlender Beteiligung des Integrationsamtes unwirksam. Der Bescheid des Landratsamtes sei nicht bestandkräftig.

Die Klägerin beantragt: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.09.2022, der Klägerin am 30.09.2022 zugegangen, beendet wurde.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Kündigung erweise sich nicht als unwirksam, weil die Kläger mit Schreiben vom 19.07.2022 die Feststellung ihrer Schwerbehinderung beantragt habe. Sie könne den besonderen Kündigungsschutz nicht in Anspruch nehmen. Im Übrigen bestreitet die Beklagte, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten rechtzeitig, d.h. innerhalb 3 Wochen nach Zugang der Kündigung, ihre Schwerbehinderteneigenschaft angezeigt habe. Jedenfalls stehe aufgrund des Bescheides vom 09.02.2023 nunmehr fest, dass die Klägerin keinen besonderen Kündigungsschutz genieße. Es sei unbeachtlich, dass ob der Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei, oder die Möglichkeit des Widerspruchs bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der die ordentliche Kündigung betreffende Feststellungsantrag unterliegt der Abweisung, weil diese Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien daher mit Ablauf des 31.10.2022 aufgelöst hat.

Die schriftliche Kündigung gilt nicht als von Anfang an rechtswirksam, da die Klägerin die dreiwöchige Klageerhebungsfrist nach §§ 4, 7 KSchG eingehalten hat.

Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.09.2022 ist rechtswirksam. Die streitgegenständliche Kündigung bedarf nicht der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG, da der Geltungsbereich des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 KSchG nicht eröffnet ist. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig weniger als zehn Arbeitnehmer.

Die Kündigung ist nicht wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes gem. § 168 SGB IX unwirksam. Den besonderen Kündigungsschutz genießen Arbeitnehmer, deren Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bereits anerkannt ist. Andererseits kann sich auch derjenige auf § 168 SGB IX berufen, der vor Zugang der Kündigung einen Antrag auf Anerkennung dieser Eigenschaft beim Versorgungsamt nach § 152 Abs. 1 S. 1 SGB IX gestellt hat, diese Eigenschaft zu diesem Zeitpunkt nach § 2 Abs. 2 SGB SGB IX objektiv vorlag und das Versorgungsamt deshalb dem Antrag zum Zeitpunkt der Antragstellung für eine Zeit vor dem Kündigungszugang stattgibt, sofern der Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch Kenntnis von der Antragstellung hatte bzw. binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung über die Antragstellung informiert wurde. Die zuständige Behörde hat mit Bescheid vom 09.02.2023 festgestellt, dass die Klägerin rückwirkend zum 19.07.2022 lediglich einen Grad der Behinderung von 30 ausweist. Damit bedurfte der Ausspruch der Kündigung keiner Zustimmung des Integrationsamtes. Den besonderen Kündigungsschutz nach § 168 SGB IX genießt ein Arbeitnehmer nur, wenn es sich bei ihm um einen schwerbehinderten Menschen nach § 2 Absatz 2 SGB IX handelt. Danach sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 vorliegt. Das Gericht ist an den vorhandenen Bescheid gebunden. Die Nachprüfung erstreckt sich lediglich auf dessen Vorhandensein, einschließlich des Ausnahmefalls der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes. In allen anderen Fällen hat der Bescheid Tatbestandwirkung und ist hinzunehmen (vgl. BAG, Urt. v. 17.06.2003 – 2 AZR 245/02, unter II. 2. b.). Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO im Hinblick auf das nunmehr geführte Widerspruchverfahren ist nicht geboten. Vielmehr spricht die besondere Prozessförderungspflicht in Kündigungsverfahren gem. § 61a ArbGG ohne das Vorliegen weiterer, triftiger Gründe gegen eine solche Handhabung.

Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat keine weiteren außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes liegenden Unwirksamkeitsgründe behauptet.

Die Kündigungsfrist ist eingehalten.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ff ZPO. Die Kammer hat hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages 3 Bruttomonatsgehälter in Höhe von 2.080,00 EUR zu Grunde gelegt.

Gründe gem. § 64 Abs. 3 ArbGG, die Berufung gesondert des § 64 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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