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Urlaubsabgeltung bei Abgeltungsklausel in Prozessvergleich

Arbeitsrecht: Urlaubsabgeltung trotz Abgeltungsklausel – Landesarbeitsgericht entscheidet

Das Landesarbeitsgericht München hat entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat, trotz der Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich. Der Kläger erhält 2.700 Euro brutto sowie Verzugszinsen. Dieses Urteil betont, dass die Abgeltungsklausel nicht den Anspruch auf Urlaubsabgeltung abdeckt, wenn der Vergleich beinhaltet, dass das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Berücksichtigung des Bruttomonatsgehalts abzurechnen ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 326/22   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil

  1. Berufung des Klägers teilweise erfolgreich: Das Landesarbeitsgericht München ändert das Urteil des Arbeitsgerichts München ab und spricht dem Kläger einen Urlaubsabgeltungsanspruch zu.
  2. Urlaubsabgeltungsanspruch anerkannt: Dem Kläger stehen 2.700 Euro brutto sowie Zinsen zu, basierend auf nicht genommenem Urlaub.
  3. Keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs durch die Beklagte: Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass der Urlaubsanspruch des Klägers durch Freistellung erfüllt wurde.
  4. Bedeutung der Abgeltungsklausel eingeschränkt: Die Abgeltungsklausel im Vergleich deckt nicht automatisch alle Ansprüche ab, insbesondere nicht den Urlaubsabgeltungsanspruch.
  5. Wichtige Rolle der ordnungsgemäßen Abrechnung: Die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses bis zum Beendigungszeitpunkt ist zentral für den Anspruch.
  6. Bruttomonatsgehalt als Basis für die Berechnung: Das im Vergleich genannte Bruttomonatsgehalt von 3.900 Euro dient als Grundlage für die Berechnung der Urlaubsabgeltung.
  7. Verzugszinsen zugesprochen: Der Kläger erhält zusätzlich zu seiner Urlaubsabgeltung Verzugszinsen.
  8. Revision für die Beklagte zugelassen: Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Auslegung gerichtlicher Vergleiche wird die Revision für die Beklagte zugelassen.

Streitfall Urlaubsabgeltung: Einblick in den Prozessvergleich

Im Zentrum des Rechtsstreits zwischen einem Kläger und seinem ehemaligen Arbeitgeber steht die Frage der Urlaubsabgeltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger, ehemals als Triebfahrzeugführer beschäftigt, wurde von der Beklagten, seinem Arbeitgeber, fristlos entlassen. Dies führte zu einer Kündigungsschutzklage und einem gerichtlichen Vergleich, der wesentlich für das Verständnis des gesamten Falls ist. Der Vergleich sah vor, dass das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Berücksichtigung eines Bruttomonatsgehalts abgerechnet wird, wobei auch eine Abfindungszahlung vereinbart wurde. Jedoch blieb die Frage offen, ob mit diesem Vergleich auch Ansprüche auf Urlaubsabgeltung abgegolten wurden.

Die Rolle der Abgeltungsklausel im Vergleich

Die Beklagte argumentierte, dass durch die Abgeltungsklausel im Vergleich sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, einschließlich des Urlaubsabgeltungsanspruchs, abgegolten seien. Der Kläger hingegen vertrat die Auffassung, dass die Abgeltungsklausel den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht erfasse, da der Vergleich auch die ordnungsgemäße Abrechnung des Arbeitsverhältnisses bis zu dessen Beendigung vorsieht. Er behauptete zudem, zum Zeitpunkt der Kündigung noch offene Urlaubstage aus dem Vorjahr sowie Teilurlaubsansprüche für das laufende Jahr zu haben.

Urteil des Landesarbeitsgerichts München

Das Landesarbeitsgericht München widersprach der Interpretation der Beklagten und gab dem Kläger überwiegend Recht. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger tatsächlich einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung hatte, da die Abgeltungsklausel nicht alle finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abdeckte. Dies wurde damit begründet, dass die Klausel in dem Vergleich die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vergleich voraussetzt. Somit war die Abgeltungsklausel nicht so weit auszulegen, dass sie auch den Anspruch auf Urlaubsabgeltung einschließt.

Bedeutung der Entscheidung für Arbeitsrecht

Dieses Urteil des Landesarbeitsgerichts München unterstreicht die Wichtigkeit einer präzisen Formulierung in gerichtlichen Vergleichen und hebt die Notwendigkeit hervor, die genauen Bedingungen und den Umfang von Abgeltungsklauseln zu verstehen. Es zeigt auf, dass nicht automatisch angenommen werden kann, dass alle Ansprüche mit einer Abgeltungsklausel erledigt sind, insbesondere wenn andere Vereinbarungen im Vergleich enthalten sind, die auf die Erfüllung spezifischer Verpflichtungen hinweisen.

Das Urteil verdeutlicht, dass in Fällen von Urlaubsabgeltung bei Abgeltungsklauseln in Prozessvergleichen eine detaillierte Betrachtung des Einzelfalls erforderlich ist. Es stellt eine wesentliche Entscheidung im Bereich des Arbeitsrechts dar, insbesondere in Bezug auf die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen und die damit verbundenen finanziellen Ansprüche.

Das Landesarbeitsgericht München hat in diesem Urteil präzise Richtlinien für die Interpretation von Abgeltungsklauseln in gerichtlichen Vergleichen gesetzt und dadurch einen wichtigen Beitrag zur Rechtsklarheit im Arbeitsrecht geleistet.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wirkt sich eine Abgeltungsklausel in einem Prozessvergleich auf Ansprüche aus?

Eine Abgeltungsklausel in einem Prozessvergleich hat erhebliche Auswirkungen auf die Ansprüche der beteiligten Parteien. Sie dient dazu, alle gegenseitigen Ansprüche zwischen den Parteien abzugelten und zu erledigen, unabhängig davon, ob sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell sind.

Die Abgeltungsklausel kann verschiedene Arten von Ansprüchen abdecken. Beispielsweise können Urlaubsabgeltungsansprüche, die zum Zeitpunkt der Einigung über einen Vergleich bereits entstanden sind, regelmäßig von einer vereinbarten Abgeltungsklausel umfasst sein. Ebenso können Ansprüche, die aus dem Arbeitsverhältnis resultieren, wie ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot und eine Karenzentschädigung, von einer Abgeltungsklausel erfasst werden.

Weitere Ansprüche können nach der Abgeltungsklausel nur dann geltend gemacht werden, wenn Schäden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bekannt und nicht vorhersehbar waren. Dies bedeutet, dass die Abgeltungsklausel dazu dient, zukünftige Streitigkeiten zu vermeiden und klare Verhältnisse zu schaffen.

Allerdings ist bei der Formulierung einer Abgeltungsklausel Vorsicht geboten. Wenn die Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert ist, kann dies zu Rechtsunsicherheit führen und die Wirksamkeit des gesamten Prozessvergleichs in Frage stellen. Daher ist es ratsam, sich bei der Ausarbeitung einer Abgeltungsklausel von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen.

Es sollte auch beachtet werden, dass ein Prozessvergleich nur wirksam ist, wenn sowohl die materiellrechtlichen Voraussetzungen für den Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind. Daher kann die Unwirksamkeit des Vergleichs aus materiell-rechtlichen Gründen resultieren.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht München – Az.: 6 Sa 326/22 – Urteil vom 24.01.2023

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Mai 2022 – 36 Ca 7892/21 – insoweit abgeändert, als die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 2.700,– Euro brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31. März 2021 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 55 % und die Beklagte 45 %.

4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien, die in erster Instanz auch über Schadensersatz- und Überstundenvergütungsansprüche des Klägers gestritten hatten, streiten im Berufungsverfahren (lediglich) noch über einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Urlaubsabgeltung.

Der Kläger war ab 1. Juni 2019 bei der Beklagten als Triebfahrzeugführer beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien sah einen Anspruch auf jährlichen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen auf Basis einer 5 Tage Woche vor (Bl. 188 ff. der Akte).

Die Beklagte kündigte dieses Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Februar 2021 fristlos, woraufhin der Kläger Kündigungsschutzklage erhob. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung standen dem Kläger aus dem Vorjahr noch zehn Tage Resturlaub zu. Für das laufende Jahr wurde ihm jedenfalls bis 31. Januar 2021 kein Urlaub gewährt. Das Kündigungsschutzverfahren endete durch mit Beschluss vom 6. April 2021 festgestellten gerichtlichen Vergleich der Parteien mit folgendem Inhalt:

„1. Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 04.02.2021 mit Ablauf des 15.03.2021 geendet hat. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehaltes von Euro 3.900,- abrechnen und den sich ergebenden Nettobetrag an den Kläger auszahlen.

2. Die Beklagte erklärt, die Vorwürfe, welche der fristlosen Kündigung vom 04.02.2021 zugrunde lagen, nicht länger aufrechtzuerhalten.

3. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger als sozialen Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes entsprechend §§ 9,10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung in Höhe von Euro 3000,- (in Worten: dreitausend) brutto zu zahlen.

6. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass dessen Beendigung abgegolten und erledigt.

7. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.“

Der Kläger hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf Abgeltung von zehn Resturlaubstagen aus dem Jahr 2020 sowie sechs Urlaubstagen aus dem Jahr 2021. Dem stehe die Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich nicht entgegen, da diese die Erfüllung des Vergleichs voraussetze und Ziff. 1 des Vergleichs regle, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung ordnungsgemäß abgerechnet werde. Es sei bewusst davon abgesehen worden, den Zahlungsanspruch im Vergleich abschließend zu beziffern, da er seinem damaligen Bevollmächtigten die tatsächlichen Urlaubsab- geltungs- und Überstundenvergütungsansprüche nicht rechtzeitig habe mitteilen können.

Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat der Kläger in erster Instanz beantragt, die Beklagte zur Zahlung einer Urlaubsabgeltung an ihn i.H.v. 2.836,36 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. März 2021 zu verurteilen.

Die Beklagte hat insoweit die Abweisung der Klage beantragt und hierzu behauptet, dass der Kläger nach dem Ende seiner – zwischen den Parteien unstreitigen Arbeitsunfähigkeit am 31. Januar 2021 – ab dem 1. Februar 2021 unter Anrechnung auf Erholungsurlaub und Überstunden bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt gewesen sei. Sie hat die Ansicht vertreten, dass der Urlaubsanspruch des Klägers daher erfüllt worden sei. Überdies sei ein etwaiger Anspruch auf Urlaubsabgeltung durch die Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich erloschen. Dies habe das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 9. Juni 2021 (Az.: 3 Sa 82/21) in einem gleichgelagerten Fall ebenso entschieden.

Das Arbeitsgericht hat den Klageantrag, der Gegenstand der Berufung ist, mit Urteil vom 19. Mai 2022 abgewiesen. Hierzu hat es – unter Heranziehung der Begründung der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – die Ansicht vertreten, dass die Abgeltungsklausel in dem gerichtlichen Vergleich der Parteien als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis zu werten sei. Zu erfüllen seien nur die im Vergleich aufgeführten Ansprüche. Hierzu zähle nicht ein im Wortlaut des Vergleichs nicht erwähnter Urlaubsabgeltungsanspruch. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage eines bezifferten Bruttomonatsgehalts. Das Bruttomonatsgehalt sei zweifelsfrei und eindeutig die Referenzgröße für das abzurechnende Gehalt je Monat für den noch abzurechnenden Zeitraum und beruhe auf § 612 BGB. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch sei ein völlig anderer Streitgegenstand und beruhe auf § 7 Abs. 4 BUrlG. Mit der Benennung des Bruttomonatsgehalts hätten die Parteien den Bezug zum geschuldeten Gehalt hergestellt und damit auch die noch zu erfüllenden Verpflichtungen der Beklagten entsprechend begrenzt.

Gegen das dem Kläger am 20. Mai 2022 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 20. Juni 2022, welcher am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München einging, Berufung eingelegt. Diese hat er, nachdem die Frist zur Berufungsbegründung mit Beschluss vom 20. Juli 2022 bis 22. August 2022 verlängert worden war, mit am 22. August 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet.

Der Kläger ist der Meinung, die Abgeltungsklausel erfasse nicht den Urlaubsabgeltungsanspruch. Die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung auf der Basis eines Bruttomonatsgehalts von 3.900,– Euro und zur Bezahlung des sich daraus ergebenden Nettobetrags betreffe nicht nur das reine Bruttogehalt. Vielmehr fielen darunter auch Urlaubs- und Überstundenabgeltungsansprüche, die ebenfalls auf der Grundlage des Bruttomonatsgehalts von 3.900,– Euro zu berechnen seien. Gehe man – wie das Arbeitsgericht – davon aus, dass die Abgeltungsklausel in Ziffer 6 des Vergleichs grds. weit auszulegen sei, habe dies auch für die Abrechnungsklausel in Ziffer 1 des Vergleichs zu gelten.

Der Kläger beantragt: Das Urteil des Arbeitsgerichts München – 36 Ca 7892/21 – vom 19. Mai 2022, wird abgeändert und die Beklagte kostenpflichtig verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung für die Jahre 2020 und 2021 in Höhe von brutto 2.836,36 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit 31. März 2021 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt: Die Berufung wird zurückgewiesen.

Hierzu vertritt sie die Auffassung, das Arbeitsgericht habe die Klage auf Urlaubsabgeltung zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Daran ändere auch die beklagtenseits bestrittene Behauptung des Klägers nichts, wonach eine solche offene Formulierung ausdrücklich verwendet worden sei, da vom seinerzeitigen Bevollmächtigten des Klägers die Urlaubsabgeltungs- und Überstundenvergütungsansprüche nicht zuverlässig zu beziffern gewesen seien. Im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses sei das Arbeitsverhältnis bereits seit mehr als drei Wochen beendet gewesen. Weshalb der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht habe feststellen können, ob und falls ja, in welcher Höhe etwaige Überstundenoder Urlaubsabgeltungsansprüche offen seien, erschließe sich der Beklagten nicht. In arbeitsgerichtlichen Vergleichen sei es absolut üblich, Ansprüche neben der monatlichen Grundvergütung wie Weihnachtsgeld-, Urlaubs- oder Überstundenabgeltungsansprüche gesondert festzuhalten, sofern diese Ansprüche nicht mit einer etwaigen Abfindungszahlung abgegolten und erledigt werden sollen. Dies sei gerade nicht erfolgt, sodass für beide Parteien ersichtlich gewesen sei, dass über das Grundgehalt und die Abfindung hinaus keinerlei weitere Zahlungen erfolgen würden. Andernfalls würde die Abgeltungsklausel ins Leere laufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien werden deren Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften in Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.

I. Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO). Sie ist damit insgesamt zulässig.

II. Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen offenen Urlaubsanspruch im Umfang von 15 Tagen. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstand ein entsprechender Urlaubsabgeltungsanspruch (§ 7 Abs. 4 BUrlG), welcher nicht durch die Vereinbarung in Ziffer 5 des gerichtlichen Vergleichs der Parteien vom 6. April 2021 abgegolten wurde.

1. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass dem Kläger jedenfalls am 31. Januar 2021 noch zehn Tage Urlaub aus dem Vorjahr zustanden. Zudem entstand dem Kläger bis zu seinem Ausscheiden ein Teilurlaubsanspruch. Hierbei war in Ermangelung deutlicher abweichender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass von den Parteien ein „Gleichlauf’ des vertraglichen und des gesetzlichen Urlaubsanspruchs gewollt war (vgl. BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 25). Nach § 5 Abs. 1 Buchst. c) BUrlG entstand ein Teilurlaubsanspruch daher nur für die beiden vollen Beschäftigungsmonate Januar und Februar 2021. Rechnerisch ergibt dies einen Teilurlaubsanspruch für das Jahr 2021 von fünf – und nicht wie vom Kläger angegeben von sechs – Tagen (30 Tage geteilt durch 12 Monate mal 2 Monate).

2. Diesen Urlaubsanspruch hat die Beklagte nicht durch Urlaubsgewährung ab dem 1. Februar 2021 erfüllt.

a) Eine Freistellungserklärung kann das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur dann bewirken, wenn sie unwiderruflich erfolgt (BAG 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08 – Rn. 27, zitiert nach juris). Ferner ist eine auf die Erfüllung des Urlaubsanspruchs gerichtete Erklärung des Arbeitgebers nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will. Andernfalls ist nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken oder als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme mit den in § 615 BGB bezeichneten Folgen verzichten will (BAG 20. August 2019 – 9 AZR 468/18 – Rn. 18).

b) Die Beklagte hat die Voraussetzungen einer diesen Anforderungen genügenden Freistellung durch ihre pauschale Behauptung, der Kläger sei unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen nach Ende seines Krankenstandes am 31. Januar 2021 freigestellt gewesen, nicht dargetan.

3. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15. März 2021 konnte der Urlaub nicht mehr gewährt werden, so dass anstelle des Urlaubsanspruchs ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung entstand (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Die Berechnung der Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs erfolgt entsprechend § 11 Abs. 1 BUrlG (vgl. BAG 21. September 2010 – 9 AZR 510/09 – Rn. 17). Maßgeblich ist danach der Arbeitsverdienst des Klägers während der letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser betrug 3.900,– Euro brutto pro Monat, was zwischen den Parteien außer Streit steht. Hieraus errechnet sich für 15 Urlaubstage ein Urlaubsabgeltungsanspruch i.H.v. 2.700,– Euro brutto (3.900,– Euro brutto mal 3 Monate geteilt durch 65 Tage mal 15 Tage).

4. Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht nach Ziffer 5 des gerichtlichen Vergleichs der Parteien vom 6. April 2021 untergegangen.

a) Welche Rechtsqualität und welche Reichweite eine Erledigungsklausel in einem gerichtlichen Vergleich hat, ist durch Auslegung nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (BAG 18. September 2018 – 9 AZR 162/18 – Rn. 15). Die Parteien wollen, wenn in einem gerichtlichen Vergleich eine umfassende, sich auf alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erstreckende Abgeltungsklausel aufgenommen und nicht nur der Rechtsstreit erledigt wird, in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend umfassend bereinigen und alle Ansprüche erledigen. Von einem Willen, einen umfassenden Anspruchsausschluss zu vereinbaren, kann hingegen nicht ausgegangen werden, wenn die Parteien vereinbart haben, dass neben den im Prozessvergleich gegebenenfalls ausdrücklich genannten noch weitere, nicht näher bezeichnete Ansprüche zu erfüllen sind (BAG 18. September 2018 – 9 AZR 162/18 – Rn. 17).

b) Die Ziffer 6 des Vergleichs vom 6. April 2021 bezieht sich zwar auf sämtliche finanzielle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass von dessen Beendigung, wovon grds. auch der Anspruch auf Urlaubsabgeltung erfasst ist, allerdings setzt die Abgeltungsklausel die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vergleich voraus. Aus dieser Einschränkung folgt, angesichts der in Ziffer 2 des Vergleichs vereinbarten Verpflichtung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis bis zum Beendigungszeitpunkt ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehaltes von Euro 3.900,– abzurechnen und den sich ergebenden Nettobetrag an den Kläger auszubezahlen, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung von der Abgeltungsklausel nicht erfasst ist.

aa) Die in Ziff. 2 des Vergleichs gewählte Formulierung, wonach das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen ist, führt für sich genommen nicht dazu, dass lediglich die reguläre offene Bruttomonatsvergütung noch abzurechnen und zu bezahlen ist. Vielmehr erfasst die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Bezahlung auch weitere nicht näher konkretisierte Zahlungsansprüche des Klägers (vgl. auch BAG 18. September 2018 – 9 AZR 162/18 – Rn. 18).

bb) Eine Beschränkung der Zahlungs- und Abrechnungspflicht auf die reguläre monat- liehe Vergütung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Abrechnung unter „Zugrundelegung“ eines Bruttomonatsgehalts i.H.v. 3.900,– Euro erfolgen sollte (a.A. bei einer entsprechenden Formulierung in einem gerichtlichen Vergleich: LAG Schleswig-Holstein, 9. Juni 2021 – 3 Sa 82/21 – Rn. 35 ff., zitiert nach juris).

(1) Hätten die Parteien nur die Verpflichtung zur Zahlung und Abrechnung der offenen regulären Monatsvergütung in Ziffer 2 des Vergleichs regeln wollen, hätte es nahegelegen, die konkrete Zahlungsverpflichtung in vollstreckbarer Weise zu titulieren. Jedenfalls aber hätten die Parteien bereits in Ziffer 2 des Vergleichs ohne Weiteres sprachlich zum Ausdruck bringen können, dass nach dieser Ziffer nur die offene reguläre Monatsvergütung abzurechnen und zu bezahlen ist. Hiervon haben sie jedoch abgesehen und durch die von ihnen gewählte Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass der dort genannte Betrag einer Abrechnung zu Grunde zu legen ist und mithin in eine Berechnung als Rechengröße eingestellt werden soll. Gerade dies geschieht im Falle der Berechnung der Urlaubsabgeltung, in welche die Vergütung der letzten 13 Wochen gem. § 11 BUrlG einfließt.

(2) Eine Beschränkung der Zahlungs- und Abrechnungspflicht ausschließlich auf die reguläre Monatsvergütung in Ziffer 2 des Vergleichs folgt auch nicht daraus, dass die Parteien in Ziffer 2 des Vergleichs das Wort „Nettobetrag“ und insoweit mithin den Singular verwendet haben. Denn hieraus kann jedenfalls vorliegend nicht gefolgert werden, dass die Parteien davon ausgingen, es sei nur ein einzelner Betrag in Form einer (anteiligen) regulären Monatsvergütung zu errechnen und zu bezahlen. Schließlich betraf der Rechtsstreit, der durch den Vergleich beendet wurde, eine fristlose Kündigung vom 4. Februar 2021. Alleine die Vereinbarung des Beendigungsdatums 15. März 2021 führte daher dazu, dass sowohl für Februar als auch für März 2021 eine erneute Berechnung vorzunehmen war, aus der sich zwei Auszahlungsbeträge ergeben. Dennoch haben die Parteien davon abgesehen, die Formulierung „Nettobeträge“ zu verwenden, weswegen dem Gebrauch des Wortes „Nettobetrag“ keine einschränkende Bedeutung beizumessen ist.

(3) Zuletzt veranlasst auch der Einwand der Beklagten, wonach die vereinbarte Abgeltungsklausel in Ziff. 6 des Vergleichs vom 6. April 2021 ins Leere gehen würde, wenn ein Urlaubsabgeltungsanspruch hiervon nicht erfasst wäre, zu keiner abweichenden Betrachtung. Zum einen scheint eine solches Ergebnis nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durchaus denkbar, wenn die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich die nicht näher spezifizierte Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Zahlung mit einer Abgeltungsklausel in Verbindung setzen (vgl. BAG 18. September 2018 – 9 AZR 162/18 – Rn. 14 ff.). Zum anderen ergibt sich auch aus der hier vorgenommenen Auslegung keineswegs zwangsläufig, dass Ziffer 6 des Vergleichs notwendigerweise bedeutungslos ist. Denn diese Sichtweise schließt gerade nicht aus, etwaige finanzielle Ansprüche, die – anders als der Anspruch auf Urlaubsabgeltung – nicht unter Zugrundelegung der regulären Vergütung zu errechnen sind, wie beispielsweise Schadensersatzansprüche, von der Abgeltungsklausel erfasst zu sehen.

5. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung war mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung fällig (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 31). Dem Kläger waren daher Verzugszinsen nach §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB ab dem begehrten Zeitpunkt (§ 308 Abs. 1 ZPO) zuzusprechen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG, § 92 ZPO, wobei hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Anwendung kam.

IV. Die Revision war für die Beklagte zuzulassen.

Die Zulassungsentscheidung beruht angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, wie derartige gerichtliche Vergleiche auszulegen sind, auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG und angesichts der abweichenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 9. Juni 2021 (Az.: 3 Sa 82/21) zudem auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu der vorliegend entscheidenden Rechtsfrage der Vergleichsauslegung nicht existiert, da der gerichtliche Vergleich, welcher Gegenstand der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18. September 2018 (Az.: 9 AZR 162/18) war, eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Tages vorsah, an dem der Vergleich geschlossen wurde. Mithin handelte es sich insoweit im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses um ein unbeendetes Arbeitsverhältnis, wohingegen im vorliegend Verfahren im Wege des gerichtlichen Vergleichs eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt vereinbart wurde. Ferner war in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Rechtstreit – anders als hier – das Bruttomonatsgehalt in der Abrechnungsklausel des gerichtlichen Vergleichs nicht enthalten.

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