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Verhaltensbedingte Kündigung wegen Beleidigung eines Arbeitskollegen – Abmahnungserfordernis

Respektlosigkeit am Arbeitsplatz: Zwischen Abmahnung und Kündigung

Im Arbeitsrecht ist die Thematik um Respekt und Wertschätzung unter Kollegen von höchster Priorität. Dabei ist die Grenze zwischen leiteren Meinungsverschiedenheiten und diskriminierendem Verhalten manchmal schwierig zu erkennen.

Ein bemerkenswerter Fall beschäftigte die Gerichte, als ein Arbeitnehmer wegen der Benennung seines Kollegen als „Wessi-Arschloch“ konfrontiert wurde. Der Arbeitgeber entschied sich für eine verhaltensbedingte Kündigung anstatt einer Abmahnung wegen respektlosem Verhalten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 116/21  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Verhaltensbedingte Kündigung bei Beleidigung eines Arbeitskollegens als strittiger Fall.
  • Kläger ist seit 2018 als Minijobber beim Beklagten beschäftigt.
  • Beleidigung („Wessi-Arschloch“) und körperliche Annäherung (Schlüssel in erhobener Hand) gegenüber einem Kollegen als Tatbestand.
  • Vorinstanz sieht darin einen Kündigungsgrund ohne Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung.
  • Berufungsgericht sieht das anders: Beleidigung und körperliche Annäherung wiegen nicht schwer genug für sofortige Kündigung.
  • Vielmehr wird eine Abmahnung als milderes Mittel und Chance für den Kläger gesehen, sein Verhalten zu ändern.
  • Beklagter muss Kläger bis zum Abschluss des Kündigungsschutzprozesses weiter beschäftigen.
  • Klägers Berufung gegen Abweisung des Antrags auf Arbeitszeugnis mit Gesamtnote „gut“ wird zurückgewiesen, da er diesen Punkt nicht ausreichend begründet hat.
  • Deshalb Erfolg der Berufung in Teilen (Kündigungsschutz und Weiterbeschäftigung), keine Erfolg hinsichtlich des Arbeitszeugnisses.

Stellenwert von Abmahnungen und Kündigungen bei Beleidigungen am Arbeitsplatz

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Beleidigung
Spannungsfeld zwischen Respekt und Konsequenz: Wo zieht man die Grenze im Arbeitsumfeld? (Symbolfoto: Iammotos /Shutterstock.com)

Das Arbeitsgericht erläuterte, dass eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein kann, wenn ein Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und schuldhaft verletzt hat und dadurch eine störungsfreie Durchführung des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft nicht mehr erwartet werden kann. Bei groben Beleidigungen oder Bedrohungen von Arbeitskollegen steht das Arbeitsklima im Zentrum und damit die Zufriedenheit und Produktivität der gesamten Belegschaft.

Gleichzeitig betonte das Gericht, dass eine Kündigung nur dann gerechtfertigt ist, wenn mildernde Mittel, wie z.B. eine Abmahnung, nicht zur Verhaltensänderung des Arbeitnehmers führen würden. Diese Einschätzung muss ex ante, also vor dem Vorfall, erkennbar sein und kann nicht einfach im Nachhinein getroffen werden.

Abwägung von Interessen im Kündigungsfall

Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass eine Abmahnung als milderes Mittel angemessen gewesen wäre und der betroffene Arbeitnehmer gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat.

Nach Abwägung beiderseitiger Interessen war das Arbeitsgericht der Ansicht, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Beschuldigten nicht unzumutbar wäre.

Folgen einer unrechtmäßigen Kündigung: Anspruch auf Weiterbeschäftigung

Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens hat. Diese Entscheidung stützt sich auf den Grundsatz, dass das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung jenes des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt, solange eine Beschäftigung nicht als unmöglich oder unzumutbar erachtet wird.

Der Bedarf einer präzisen Begründung in Berufungsverfahren

In Bezug auf das Berufungsverfahren hob das Gericht hervor, dass eine formelhafte Kritik an der rechtlichen oder tatsächlichen Würdigung durch das Arbeitsgericht nicht ausreicht. Vielmehr erfordert das Berufungsverfahren eine präzise Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, um wirksam zu sein.

Der beurteilte Fall veranschaulicht eindrucksvoll die Notwendigkeit einer fairen und transparenten Behandlung von Verstößen gegen Rücksichtnahmepflichten am Arbeitsplatz. Dabei wurde deutlich, dass auch bei groben Beleidigungen das mildeste mögliche Mittel zur Anwendung kommen sollte. In vielen Fällen wäre somit eine Abmahnung angemessener als eine direkte Kündigung, um dem betroffenen Arbeitnehmer die Chance zu geben, sein Verhalten anzupassen.

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Im Arbeitsumfeld kann ein hitziges Wortgefecht schnell weitreichende Konsequenzen haben. Eine Äußerung im Affekt, ein Wort zu viel, und plötzlich sieht man sich einer verhaltensbedingten Kündigung gegenüber. Aber ist das wirklich gerechtfertigt? Wäre eine Abmahnung nicht das adäquatere Mittel? Diese Fragen können juristisch komplex sein und bedürfen einer professionellen Einschätzung.

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Verhaltensbedingte Kündigung wegen Beleidigung – kurz erklärt


Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Beleidigung ist im deutschen Arbeitsrecht möglich. Hierbei spielt insbesondere § 626 Abs. 1 BGB eine Rolle. Laut diesem Paragrafen könnte eine fristlose Kündigung wegen einer Beleidigung erfolgen, wenn eine Zusammenarbeit, die auf gegenseitiger Achtung basiert, nicht länger möglich ist.

Beleidigungen, herabwürdigende Äußerungen oder ein respektloser Umgang gegenüber Vorgesetzten oder Kollegen können eine außerordentliche oder reguläre Kündigung rechtfertigen. In den meisten Fällen ist vor einer Kündigung eine Abmahnung notwendig, um den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hinzuweisen und ihm die Chance zur Verbesserung zu geben.

Darüber hinaus ist es wichtig zu beachten, dass nicht nur explizite Beleidigungen, sondern auch falsche Tatsachenbehauptungen oder ein respektloser Umgang die Nebenpflichten des Arbeitnehmers verletzen können. Daher kann auch dies eine Abmahnung und gegebenenfalls eine Kündigung zur Folge haben.

Sollte ein Mitarbeiter seinen Chef beleidigen, kann eine Abmahnung entfallen und eine Kündigung direkt erfolgen. Allerdings sind immer die Schwere der Beleidigung und das Vorverhalten des Beleidigten relevant.



Das vorliegende Urteil

Thüringer Landesarbeitsgericht – Az.: 2 Sa 116/21 – Urteil vom 10.11.2022

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 19.03.2021 – 2 Ca 874/19 – abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung des Beklagten vom 29.04.2019 noch vom 13.05.2019 aufgelöst wurde.

Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Kurierfahrer weiterzubeschäftigen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 16,67 v.H. und der Beklagte zu 83,33 v.H. zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit zweier auf denselben Sachverhalt gestützter ordentlicher Kündigungen, Weiterbeschäftigung und die Erteilung eines Zeugnisses.

Der Kläger ist seit dem 01.06.2018 als Mitarbeiter im Kurier-/Fahrdienst auf Minijob-Basis mit einer monatlichen Vergütung i.H.v. 450,00 € zu 45 Stunden im Monat beim Beklagten beschäftigt. Die Parteien vereinbarten in § 4 des Arbeitsvertrages vom 28.05.2018 (Bl. 9 f. d. A.) eine Kündigungsfrist von 4 Wochen zum Monatsende.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.04.2019 (Bl. 12 d. A.) „fristgerecht laut § 4″ des „Arbeitsvertrages vom 28.05.2018 zum nächstmöglichen Zeitpunkt“.

Mit Schreiben vom 13.05.2019 (Bl. 13 d. A.), dem Kläger am 14.05.2019 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristgerecht nach § 4 des Arbeitsvertrages zum 30.06.2019.

Der Kläger hat sich mit der am 20.05.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigungen gewandt und die Erteilung eines Arbeitszeugnisses mit der Gesamtnote „gut“ geltend gemacht.

Der Beklagte hat zur Begründung der Kündigungen vorgetragen, am 18.04.2019 habe ein weiterer Mitarbeiter, Herr … um kurz nach 18:00 Uhr die an der Rückseite der – Apotheke in der in gelegene Warenschleuse der Heimversorgung verlassen. Als Herr … gerade dabei gewesen sei, die Tür der Warenschleuse von außen zu verschließen, sei der Kläger plötzlich von hinten an ihn herangetreten und habe sinngemäß geäußert: „Und jetzt zu uns, Wessi-Arschloch“. Hierauf habe sich Herr … zum Kläger umgedreht, woraufhin dieser ihm einen Schlüssel dicht an die Kehle gehalten habe. Herrn … sei es gelungen, sich zu befreien, er habe sich sodann sofort zu seinem Auto begeben, sei eingestiegen und losgefahren.

Der Kläger hat bestritten, Herrn … einen Schlüssel an die Kehle gehalten zu haben. Er habe Herrn … wegen einer verbalen Auseinandersetzung am Vortag zur Rede gestellt und ihm seine Meinung gesagt, jedoch nicht die vom Beklagten behauptete Äußerung getätigt. Dabei sei er dem Zeugen nicht so nahe kommen können, dass dieser seinen Atem habe spüren können. Das sei gar nicht möglich gewesen, da die streitige Auseinandersetzung auf der dritten Treppenstufe stattgefunden und Herr … sich nach seinem Vortrag ruckartig zurück bewegt habe.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 81 f. d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach uneidlicher Vernehmung des Herrn … als Zeugen abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, zwar habe die Vernehmung nicht ergeben, dass der Kläger Herrn … einen Schlüssel dicht an die Kehle oder an den Hals gehalten habe. Gleichwohl habe der Kläger für den Zeugen eine bedrohliche Situation geschaffen. Der Kläger sei, nachdem er die ihm zugeteilten Waren bereits in sein Auto geladen habe, nochmals zum Zeugen zurückgekehrt um ihm zu verstehen zu geben, er missbillige sein Verhalten am Vortag. Die Konfrontation sei demnach ursächlich vom Kläger ausgegangen. Der Zeuge habe glaubhaft geschildert, dass der Kläger mit der Bemerkung: „Und jetzt zu uns, Wessi-Arschloch“ oder etwas Ähnliches zurückgekommen sei. Hierin habe der Zeuge … die Ankündigung einer Konfrontation sehen dürfen, zumal sich der Kläger dem Zeugen mindestens um Armlänge genähert habe. Der Kläger habe gegenüber Herrn … bewusst eine bedrohliche Situation durch Ansprache „Und jetzt zu uns, Wessi-Arschloch“ o. ä. und körperlicher Nähe durch Unterschreiten des üblichen Distanzbereiches aufgebaut. Nur die schnelle Drehung des Zeugen und dessen Ausweichen zur Seite habe dazu geführt, dass sich die Situation letztlich im gegenseitigen Anschreien aufgelöst habe. Damit habe der Kläger gegen die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, Kollegen nicht zu bedrohen, verstoßen. Eines vorherigen Ausspruchs einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Für jeden Arbeitnehmer sei erkennbar, dass die Bedrohung eines Kollegen einen Verstoß gegen arbeitsvertraglichen Pflichten darstelle, den der Arbeitgeber nicht ungeahndet hinnehmen könne. Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erteilung eines Zeugnisses mit der Begründung, ein Anspruch auf ein Zeugnis mit der Bewertungsstufe „gut “ bestehe nicht, abgewiesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 83 ff. d. A.) verwiesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 30.04.2021 zugestellte Urteil am 28.05.2021 Berufung eingelegt und die Berufung am 30.06. 2021 begründet.

Der Kläger hält die Kündigungen für sozial ungerechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe er keine bedrohliche Situation geschaffen. Er und der Zeuge … hätten einen Tag zuvor einen Disput über die ordnungsgemäße Nutzung der Dienstfahrzeuge gehabt. Hierüber habe er mit dem Zeugen nochmals sprechen wollen. Er habe dem Zeugen mitgeteilt, er missbillige sein Verhalten vom Vortag und habe gesagt: „Das kannst Du mit Deinesgleichen machen, aber nicht mit mir.“. Damit habe sich die streitige Situation erledigt. Beide hätten die Örtlichkeit verlassen und jeder sei zu seinem Dienstfahrzeug gegangen. Dabei sei es nochmals etwas lauter zugegangen und der Zeuge habe ihm zugerufen: „Du fährst doch jetzt (mit dem Dienstfahrzeug und den Medikamenten) in die Psychiatrie. Dann bleib doch gleich dort“. Der Zeuge habe Kraftausdrücke ihm gegenüber gewählt und sei keinesfalls durch eine angebliche vorherige Bedrohung eingeschüchtert und verängstigt gewesen. Der Kläger behauptet, er habe dem Zeugen den Schlüssel weder an den Hals gehalten noch einen Schlüssel mit ausgestreckten Armen in Richtung des Zeugen geführt, schon gar nicht zu Angriffszwecken. Er habe den Schlüssel nur deshalb in der Hand gehalten, weil er zuvor seine Kurierfahrten geladen habe. Der Zeuge habe auch einräumen müssen, dass der Schlüssel nur oberhalb der Gürtellinie gehalten worden sei. Das habe daran gelegen, dass er zuvor die Treppe hinauf gestiegen und dabei die Hände automatisch angewinkelt habe.

Der Kläger beantragt: das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 19.03.2021 – 2 Ca 874/19 – aufzuheben und den Beklagten wie folgt zu verurteilen:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 29.04.2019 aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 13.05.2019 aufgelöst worden ist.

3. Der Beklagte ist für den Fall des Obsiegens mit den Klageanträgen zu 1. und 2. zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.05.2019/30.06.2019 hinaus an seinem Arbeitsplatz als Kurierfahrer weiterzubeschäftigen.

4. Der Kläger erhält auf Wunsch vom Beklagten ein Arbeitszeugnis mit der Gesamtnote „gut“.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe im Ergebnis der Beweisaufnahme zutreffend festgestellt, der Kläger habe den Zeugen … am 18.04.2019 bedroht. Der Zeuge habe bei seiner Vernehmung die Äußerung des Klägers „Und jetzt zu uns, Wessi-Arschloch“ o. ä., bestätigt, ebenso, dass der Kläger während der Auseinandersetzung in einem Abstand von ca. 1 m vor ihm gestanden habe, mit erhobener Hand auf Brusthöhe, in der sich ein Schlüssel, der mit seinen Bart auf ihn gerichtet gewesen sei, befunden habe.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der im Berufungsrechtszug zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Kündigungsschutzklagen und des Weiterbeschäftigungsantrages richtet. Im Übrigen ist die Berufung zurückzuweisen.

I. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde weder durch die Kündigung vom 29.04.2019 noch durch die Kündigung vom 13.05.2019 aufgelöst. Der Beklagte ist verpflichtet, den Kläger weiter zu beschäftigen.

1. Die Kündigungen vom 29.04.2019 und 13.05.2019 erweisen sich als sozial ungerechtfertigt und mithin unwirksam.

a) Eine Kündigung ist i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der dem Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zu Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen, ebenso die Bedrohung oder grobe Beleidigung von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeutet. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten steht oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren einmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich, auch für den Arbeitnehmer erkennbar, ausgeschlossen ist (BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – NZA 2020, 647 – 657 mwN).

b) Das ist hier nicht der Fall. Eine Abmahnung war entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts vor Ausspruch der Kündigung als milderes Mittel nicht entbehrlich

aa) Der Kläger hat seine Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt und einen Kollegen beleidigt, indem er nach den zutreffenden Feststellungen des Arbeitsgerichts im Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Bemerkung „Und jetzt zu uns, Wessi-Arschloch“ o. ä. an Herrn … zunächst von hinten, herangetreten ist. Als dieser sich umgedreht hat, standen sich die Männer in einem Abstand von etwa 1 m gegenüber. Nach Aussage des Zeugen hatte der Kläger den Schlüssel in der gehobenen Hand, etwa auf Brusthöhe mit gebeugtem Arm.

bb) Diese Beleidigung und körperliche Annährung wiegen nicht so schwer, dass sie, für den Kläger erkennbar, nach objektiven Maßstäben vom Beklagten sofort mit einer Kündigung geahndet werden durften. Die Situation war für Herrn … zweifelsfrei unangenehm. Einer Bedrohung war er jedoch nicht ausgesetzt. Eine Bedrohung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Beleidigung, noch aus der Körperhaltung des Klägers, noch aus den Umständen in ihrer Gesamtheit betrachtet. Der Kläger hat Herrn …. nicht berührt. Er hat ihn auch nicht mit dem Schlüssel bedroht. Er hat den Schlüssel nicht mit ausgestrecktem Arm geführt, der auf einen beabsichtigten Angriff hätte schließen lassen. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Arbeitsgericht, indem es festgestellt hat, ob der Kläger Herrn …tatsächlich mit einem Schlüssel bedroht habe, lasse sich nicht feststellen. Die Situation hat sich dann aufgelöst, nachdem der Kläger Herrn … erklärt hatte, er könne das mit Seinesgleichen machen, aber nicht mit ihm. Beide sind zu ihren Fahrzeugen gegangen, während sie sich angeschrieben haben. Der Kläger hat Herrn …. auch nicht den Weg zum Pkw versperrt oder ihn anderweitig daran gehindert, das Treppenpodest zu verlassen. Im Ergebnis ist dem Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers nach Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht unzumutbar.

2. Der Beklagte ist verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter im Kurier-/Fahrdienst mit einer monatlichen Arbeitszeit von 45 Stunden mit einer Vergütung von 450,00 € weiter zu beschäftigen.

a) Der Arbeitnehmer kann nach den im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Grundsätzen verlangen, vorläufig weiterbeschäftigt zu werden, wenn er ein stattgebendes Urteil im Kündigungsschutzprozess erlangt hat und die Interessen des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung die des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung überwiegen. Hat das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt und will der Arbeitgeber den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch abwehren, muss er zusätzlich über die Ungewissheit des Prozessausgangs hinausgehende Umstände vortragen, aus denen sich im Einzelfall sein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ergeben soll. Das Interesse des Arbeitgebers überwiegt, wenn eine weitere Beschäftigung unmöglich oder unzumutbar ist oder der Arbeitgeber eine weitere Kündigung ausgesprochen hat, die nicht offensichtlich unwirksam ist (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – juris).

b) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Das Interesse des Klägers an der Beschäftigung überwiegt das Interesse des Beklagten, ihn nicht zu beschäftigen. Es sind keine Umstände ersichtlich, die darauf schließen lassen, dem Beklagten sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers unmöglich oder unzumutbar. Eine weitere Kündigung wurde unstreitig nicht ausgesprochen.

II. Die Berufung hat keinen Erfolg, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Zeugnisses mit der Gesamtnote „gut“ richtet. Die Berufung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen und ist daher unzulässig.

1. Gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständige Angabe, welche bestimmten Punkte der angefochtenen Entscheidung bekämpft und welche Argumente geltend gemacht werden sollen. Erforderlich ist der Vortrag auf den Fall bezogener Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit des Urteils ergeben soll. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dies zu wiederholen (BAG 19. November 2016 – 2 AZR 217/15 – NZA 216, 540).

2. Der Kläger hat die Berufung, soweit es um den Antrag auf Erteilung des Zeugnisses geht, nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung, der Kläger habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergäbe, das Zeugnis müsse die Bewertungsstufe „gut“ enthalten, abgewiesen. Hiermit setzt sich der Kläger in keiner Weise auseinander. Er hält überhaupt keinen Vortrag zur Begründung des Zeugnisantrages.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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