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Verhaltensbedingte Kündigung wegen Störung des Betriebsfriedens – Auflösungsantrag

Störung des Betriebsfriedens: Verhaltensbedingte Kündigung unter der Lupe

Das Landesarbeitsgericht Köln hat entschieden, dass die fristlose sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung eines HR Business Partners bei einem Automobilzulieferer unwirksam sind. Jedoch wurde das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Auflösungsantrags der Beklagten zum 30.04.2022 aufgelöst und der Kläger erhält eine Abfindung in Höhe von 121.716 EUR. Ausschlaggebend waren hierbei mehrere Vorfälle, die eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit als unzumutbar erscheinen ließen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Sa 102/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Unwirksamkeit der Kündigungen: Sowohl die fristlose als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sind nicht rechtswirksam.
  2. Auflösung des Arbeitsverhältnisses: Das Arbeitsverhältnis wurde aufgrund eines Auflösungsantrags der Beklagten gerichtlich zum 30.04.2022 aufgelöst.
  3. Abfindungszahlung: Der Kläger erhält eine Abfindung in Höhe von 121.716 EUR.
  4. Provokantes Verhalten des Klägers: Die Entscheidung basiert auf mehreren vom Kläger verursachten Vorfällen, die als provokant und dem Betriebsfrieden abträglich gewertet wurden.
  5. Bedeutung der Betriebsratswahl: Die Wahl des Klägers zum Betriebsrat und dessen Funktion als Betriebsratsvorsitzender beeinflussten die Entscheidung nicht.
  6. Erhalt der Betriebszwecke: Die Prognose einer fehlenden gedeihlichen, den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit führte zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
  7. Rolle des Klägers als HR Business Partner: Die Stellung des Klägers im Unternehmen verstärkte die Tragweite seines Verhaltens.
  8. Kostenentscheidung: Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte; die Kosten des Berufungsverfahrens werden hälftig geteilt.

Verhaltensbedingte Kündigung und Betriebsfrieden im Fokus

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Störung des Betriebsfriedens – Auflösungsantrag
(Symbolfoto: Chatchai.wa /Shutterstock.com)

In der arbeitsrechtlichen Praxis stehen verhaltensbedingte Kündigungen oft im Zentrum kontroverser Diskussionen. Sie werfen Fragen auf, die sich um die Balance zwischen den Rechten und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern drehen. Ein spezieller Aspekt, der in solchen Fällen häufig beleuchtet wird, ist die Wahrung des Betriebsfriedens. Dieses Thema gewinnt insbesondere dann an Bedeutung, wenn die Handlungen eines Mitarbeiters als Störung des harmonischen Miteinanders am Arbeitsplatz wahrgenommen werden. Die Komplexität solcher Fälle erfordert eine sorgfältige Abwägung der Interessen aller Beteiligten.

Das Landesarbeitsgericht Köln befasste sich in einem interessanten Fall mit der Frage, ob und inwieweit bestimmte Verhaltensweisen eines Mitarbeiters die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dabei spielten Aspekte wie Abfindungszahlungen und die Wirksamkeit von Kündigungen eine Rolle. Im Mittelpunkt steht die kontroverse Entscheidung, ob die Handlungen des betroffenen Arbeitnehmers eine hinreichende Begründung für eine Kündigung darstellen und inwiefern diese die betriebliche Harmonie beeinträchtigen. Dieser Fall bietet tiefe Einblicke in die rechtlichen Feinheiten des Arbeitsrechts und beleuchtet die Herausforderungen, die sich ergeben, wenn betriebliche und individuelle Interessen aufeinanderprallen. Im Folgenden erfahren Sie mehr über die Details und Hintergründe dieses bemerkenswerten Urteils.

Der Beginn des Rechtsstreits: Verhaltensbedingte Kündigung und Betriebsfrieden

Das Landesarbeitsgericht Köln befasste sich mit einem Fall, der um die verhaltensbedingte Kündigung eines langjährigen Mitarbeiters eines Automobilzulieferers kreiste. Der Kläger, seit 1994 im Unternehmen und als „HR Business Partner“ tätig, wurde aufgrund mehrerer Vorfälle entlassen. Die Kündigungen, eine fristlose und eine hilfsweise ordentliche, wurden im August 2021 ausgesprochen, nachdem der Kläger verschiedene E-Mails an Kollegen und Führungskräfte gesendet hatte. Diese Mails wurden als Angriffe auf den Betriebsfrieden gedeutet. Sie enthielten Vorwürfe gegen die Geschäftsleitung und den Betriebsrat, wobei der Kläger behauptete, dass die Mitarbeiter schlechter behandelt würden als in anderen Unternehmen und stellte die Kompetenz des Betriebsrats infrage. Die Beklagte sah darin eine schwerwiegende Verletzung des Vertrauensverhältnisses und eine Störung des Betriebsfriedens.

Reaktion des Klägers: Kündigungsschutzklage und Weiterbeschäftigung

Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Siegburg, um gegen die Wirksamkeit beider Kündigungen vorzugehen. Er forderte zudem seine Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits. Das Arbeitsgericht gab der Klage überwiegend statt, indem es die Unwirksamkeit der Kündigungen feststellte und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilte. Die Begründung lautete, dass der Kläger keine so schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hatte, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt wäre. Es wurde festgestellt, dass eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen wäre.

Berufungsverfahren und Urteilsänderung am Landesarbeitsgericht Köln

In der Berufung am Landesarbeitsgericht Köln wurde das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert. Das Gericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung beendet worden war. Allerdings war der von der Beklagten in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag begründet. Es wurde entschieden, das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2022 aufzulösen und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 121.716 Euro brutto zu verurteilen. Der Auflösungsantrag war statthaft, da die ordentliche Kündigung als sozialwidrig eingestuft wurde. Das Gericht wertete das Verhalten des Klägers, insbesondere seine öffentlichen Äußerungen und E-Mails, als ausreichenden Grund für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Schlussbetrachtungen: Abfindung und Kosten des Rechtsstreits

In der abschließenden Bewertung des Falls wurde dem Kläger eine hohe Abfindung zugesprochen, die die langjährige Betriebszugehörigkeit und sein Lebensalter berücksichtigte. Die Höhe der Abfindung entsprach 18 Monatsgehältern. Die Kosten des Rechtsstreits wurden zwischen den Parteien aufgeteilt. Diese Entscheidung zeigt die Komplexität arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen, insbesondere wenn es um die Balance zwischen Betriebsfrieden und den Rechten der Arbeitnehmer geht. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung von Interessen und die Rolle der Gerichte bei der Lösung solcher Konflikte.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln stellt einen wichtigen Referenzpunkt in der Diskussion um verhaltensbedingte Kündigungen und Betriebsfrieden dar, indem es die Grenzen des akzeptablen Verhaltens am Arbeitsplatz und die Folgen bei deren Überschreitung aufzeigt.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird der Betriebsfrieden rechtlich definiert?

Der Begriff „Betriebsfrieden“ ist im deutschen Arbeitsrecht von zentraler Bedeutung, obwohl es keine explizite gesetzliche Definition dafür gibt. In der Rechtsprechung wird unter Betriebsfrieden das störungsfreie Zusammenleben sowohl zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Betriebs als auch zwischen den Beschäftigten und dem Arbeitgeber sowie zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verstanden.

Der Betriebsfrieden stellt eine gegenseitige Rücksichtnahme und Respektierung der Interessen der am betrieblichen Geschehen beteiligten Personen sicher. Er dient der Vermeidung von Konflikten, die die Leistungsfähigkeit und das Betriebsklima beeinträchtigen können. Ein intakter Betriebsfrieden fördert das Vertrauen der Arbeitnehmer in das Unternehmen, das Engagement für das Unternehmen und eine positive Einstellung gegenüber den Kollegen und Vorgesetzten.

Arbeitgeber und Betriebsrat sind gesetzlich verpflichtet, den Betriebsfrieden nicht zu gefährden. Ihnen ist verboten, durch Maßnahmen des Arbeitskampfes betriebsverfassungsrechtliche Streitfragen regeln oder durchsetzen zu wollen. Sie haben weiterhin Betätigungen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden, sowie parteipolitische Äußerungen und Aktionen im Betrieb zu unterlassen (§ 74 Abs. 2 BetrVG).

Die konkrete Störung des Betriebsfriedens durch Beschäftigte kann grundsätzlich als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommen. Allerdings ist allein die Beeinträchtigung des Betriebsfriedens kein ausreichender Grund für eine Kündigung. Der Arbeitgeber muss konkrete Feststellungen dazu treffen, welche konkreten arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen den Betriebsfrieden gestört haben.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 3 Sa 102/22 – Urteil vom 11.01.2023

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 12.01.2022 – 4 Ca 1520/21 – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 10.08.2021 noch durch die Kündigung vom 31.08.2021 beendet worden ist.

2. Das Arbeitsverhältnis wird zum 30.04.2022 aufgelöst und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 121.716,00 EUR brutto zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen beide Parteien zur Hälfte.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten arbeitgeberseitigen Kündigung, den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens sowie zweitinstanzlich zusätzlich über einen hilfsweisen Auflösungsantrag der Beklagten.

Der im Jahr 1959 geborene Kläger ist seit dem 01.08.1994 bei der Beklagten, einem Automobilzulieferer, in der Personalabteilung als „HR Business Partner“ beschäftigt. Seine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung beträgt 6.762 EUR. Der Kläger ist mit einem GdB von 50 schwerbehindert. Am Standort in W beschäftigt die Beklagte derzeit etwa 270 Mitarbeiter.

Nach einem am 21.07.2021 mit dem Kläger geführten Personalgespräch, schriftlicher Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 26.07.2021 sowie am 10.08.2021 durch das Integrationsamt bestätigtem Eintritt der Fiktionswirkung nach § 174 SGB IX kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.08.2021 außerordentlich fristlos. Mit weiterem Schreiben vom 31.08.2021 folgte eine hilfsweise ordentliche Kündigung.

Mit der vorliegenden, am 17.08.2021 beim Arbeitsgericht Siegburg eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit beider Kündigungen und begehrt seine Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtstreits. Wegen des gesamten streitigen und unstreitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage in ganz überwiegendem Umfang stattgegeben. Es hat die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung festgestellt und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers für die Dauer des Rechtsstreits verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach der Überzeugung der Kammer habe der Kläger durch das Versenden der E-Mail vom 12.07.2021 am 16.07.2021 bereits „an sich“ keine so schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt wäre und die Beklagte hätte den Kläger vorrangig abmahnen müssen. Auch die einzelfallbezogene Interessenabwägung fällt nach Auffassung des Arbeitsgerichts zugunsten des Klägers aus. Aufgrund des Abmahnungsvorrangs scheitert nach Auffassung des Arbeitsgerichts auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung und die Beklagte ist zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 192 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 15.02.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.02.2022 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 16.05.2022 begründet.

Die Beklagte wiederholt zunächst ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und stellt insbesondere die diversen E-Mails des Klägers vom 24.03.2021, 12.07.2021 und 16.07.2021 sowie ihre Stellungnahme und Richtigstellung mit E-Mail vom 22.07.2021 im Einzelnen dar. Gleichzeitig bekräftigt sie nochmals die Tätigkeit des Klägers in seiner Funktion als „HR Business Partner“, die im Wesentlichen in der Betreuung und Beratung der Führungskräfte und Mitarbeiter in allen personalwirtschaftlichen, sozialversicherungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten sowie der Unterstützung und Durchführung lokaler Projekte im Personalbereich bestanden habe.

Ergänzend trägt die Beklagte weiter vor, der Kläger habe im erstinstanzlichen Kammertermin am 12.01.2022 den zum Kündigungszeitpunkt amtierenden Betriebsrat weiter denunziert und als „völlig unfähig“ bezeichnet. Ferner habe er in der Folgezeit am 02.04.2022 auf der Internetplattform „K “ anonym den der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalt geschildert und die provokante Frage gestellt, ob ein derartiges Verhalten der Beklagten der „hochwertige A Standard“ sei. Sie meint, dieser Beitrag des Klägers diene offenkundig einzig dazu, die Beklagte in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Dabei wiege das Verhalten umso schwerer, wenn man sich vor Augen führe, dass es sich bei der vorgenannten Internetplattform um einen der größten Anbieter im Bereich der „Arbeitgeberbewertung“ handele, deren Zweck es sei, Jobsuchenden Informationen über potenzielle Arbeitgeber zu liefern. Schließlich habe er am 11.04.2022 als Wahlbewerber für den Betriebsrat in einem an die Betriebsöffentlichkeit gerichteten Flyer der Geschäftsführung der Beklagten ausdrücklich die „Inhaftierung“ und „Beugehaft“ im Zusammenhang mit der von ihm betriebenen Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil angedroht. Insbesondere in letzterem Zusammenhang meint die Beklagte, dass ein derart agierender Arbeitnehmer, der im Bereich „Human Resources“ beschäftigt sei, jegliches Vertrauen in seine Person und eine gedeihliche Zusammenarbeit zerstöre.

In rechtlicher Hinsicht ist die Beklagte anders als das Arbeitsgericht der Auffassung, dass die Pflichtverstöße des Klägers die Qualität eines „an sich“ wichtigen Grundes hätten. Auch sei der Betriebsfrieden durch das Verhalten des Klägers gestört, da zumindest die Mitglieder des Betriebsrats, der Personalabteilung sowie die Führungskräfte an dem bewusst provokativen Verhalten des Klägers Anstoß genommen hätten. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger in einer herausgehobenen Vertrauensstellung befunden und er seinerseits jegliches Vertrauen der Beklagten in ihn nachhaltig zerstört habe. Eine Abmahnung des Klägers hält die Beklagte für untauglich, da dieser während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens vehement an seinen Auffassungen und der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens festgehalten habe. Nach allem überwiege daher bei der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung das Beendigungsinteresse der Beklagten. Im Übrigen hält die Beklagte aus den vorgenannten Gründen jedenfalls die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung für rechtmäßig.

Im Hinblick auf die aus Sicht der Beklagten bestehende völlige Zerrüttung des klägerischen Arbeitsverhältnisses und die vollständige und nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses meint die Beklagte, das Arbeitsverhältnis sei jedenfalls durch eine gerichtliche Entscheidung gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Als Auflösungsgründe beruft sich die Beklagte auf die aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Vorwürfe des Klägers ihr gegenüber sowie gegenüber dem seinerzeit amtierenden Betriebsrat in den verschiedenen E-Mails, das Verhalten des Klägers im erstinstanzlichen Kammertermin und die Bezeichnung des Betriebsrats als „völlig unfähig“, die in jeder Hinsicht fehlende Einsicht und Reue des Klägers, sein provokativer Beitrag auf der Internetplattform „K „, seine Äußerungen im Flyer vom 11.04.2022 sowie die herausgehobene Vertrauensstellung des Klägers und der gleichzeitige endgültige beiderseitige Vertrauensverlust. Zur Abfindungshöhe hält die Beklagte einen Betrag in Höhe von neun Bruttogehältern des Klägers, also 60.866,64 EUR für angemessen.

Die Beklagte beantragt,

1. das am 12.01.2022 verkündete Urteil der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg, Aktenzeichen: 4 Ca 1520/21, abzuändern und die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise für den Fall, dass das Gericht feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 31.08.2021 nicht aufgelöst wird, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und den Hilfsantrag abzuweisen.

Der Kläger trägt zu seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit vor, diese habe nahezu ausschließlich administrativen Charakter gehabt. Eine Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat habe nahezu nicht mehr stattgefunden, gleiches gelte für die Beratung von Führungskräften. Zusammengefasst sei der Kläger ein kompetenter, aber letztlich weisungsgebundener Mitarbeiter in der Personalabteilung gewesen.

Zum Kündigungssachverhalt wendet der Kläger ein, dass die Beklagte die maßgebliche E-Mail-Korrespondenz zwar objektiv richtig darstelle, die tatsächlichen subjektiven Erwägungen des Klägers aber außer Acht lasse. Keinesfalls habe er seine Position als Mitarbeiter der Personalabteilung missbraucht und habe insbesondere keinen Geheimnisverrat betrieben.

Der Kläger bestreitet die ihm beklagtenseits vorgeworfenen abwertenden Äußerungen über die Qualifikation des seinerzeit amtierenden Betriebsrats im erstinstanzlichen Kammertermin. Vielmehr habe er sich für seine möglicherweise überzogenen Formulierungen entschuldigt und erklärt, seine Kritik künftig sachlich zu artikulieren.

Er trägt weiter zu der im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits durchgeführten Betriebsratswahl und seiner Stellung als Wahlbewerber in der von ihm angeführten Liste „A – “ vor. In diesem Zusammenhang führt er aus, dass der streitbefangene Flyer vom 11.04.2022 kein persönlicher sei, sondern die vorgenannte Liste betreffe. Er habe der Information der Belegschaft im Betriebsratswahlkampf gedient und habe insbesondere eine Reaktion auf die unsachliche und den Kläger persönlich angreifenden Äußerungen der konkurrierenden Liste „Zukunft A 2022“ dargestellt. Deshalb habe er sich ausdrücklich unter der Überschrift „Persönliche Stellungnahme unseres Spitzenkandidaten zur neuesten Information von Zukunft A 2022“ geäußert. Der Kläger ist der Auffassung, man könne ihm die Wahrnehmung seiner Rechte nicht vorwerfen und dies insbesondere nicht für eine angebliche Zerstörung jeglichen Vertrauens anführen. Gleiches gelte für die sachliche Information der Belegschaft im Rahmen des Wahlkampfes in Reaktion auf unsachliche Angriffe des Wahlkampfgegners.

Ferner hält der Kläger auch seinen Beitrag auf der Internetplattform „K “ für rechtlich unproblematisch. Er habe seine Kritik anonym und sachlich zutreffend formuliert. Die Beklagte könne nicht einerseits Mitarbeiter zu einer Bewertung auffordern und diese dann anschließend mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen überziehen, wenn ihr diese Bewertung nicht gefalle.

In rechtlicher Hinsicht tritt der Kläger der arbeitsgerichtlichen Entscheidung bei und hält mit dem erstinstanzlichen Gericht beide Kündigungen wegen des vorrangigen Abmahnungserfordernisses für unwirksam. Im Übrigen sei im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls seine über 27-jährige Betriebszugehörigkeit ausschlaggebend. Der Kläger sieht auch keine Gründe, die eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses tragen und eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen könnten.

Im Laufe des Berufungsverfahrens hat bei der Beklagten am 26.04.2022 eine Betriebsratswahl stattgefunden. Bei dieser Wahl wurde die Liste des Klägers in den Betriebsrat gewählt und der Kläger zu dessen Vorsitzenden gewählt. Die Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgte entweder am 26. oder am 27.04.2022.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache teilweise Erfolg. Zwar hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 10.08.2021 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 31.08.2021 aufgelöst worden ist, jedoch ist der erstmalig zweitinstanzlich von der Beklagten gestellte gerichtliche Auflösungsantrag begründet und hat das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2022 aufgelöst. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Klage ist hinsichtlich beider Kündigungen begründet. Weder die außerordentliche Kündigung vom 10.08.2021 noch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 31.08.2021 sind rechtswirksam. Beide Kündigungen scheitern am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem im verhaltensbedingten Bereich bei steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich vorrangigen Abmahnungserfordernis. Die erkennende Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen vollumfänglich Bezug. Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufungsbegründung aus ihrer Sicht neue, weitere Pflichtverletzungen des Klägers benennt und seine Äußerungen im erstinstanzlichen Kammertermin, seinen anonymen Beitrag auf der Internetplattform „K “ und den Wahlkampf-Flyer vom 11.04.2022 anführt, sind diese Umstände für die bereits im August 2021 ausgesprochenen Kündigungen rechtlich ohne Relevanz.

2. Der damit anfallende, hilfsweise von der Beklagten in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag ist ebenfalls begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zum 30.04.2022 aufgelöst und die Beklagte ist zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 121.716 EUR brutto verpflichtet.

a) Der Auflösungsantrag der Beklagten ist statthaft, denn die im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.08.2021 ist – wie erstinstanzlich zutreffend im Einzelnen ausgeführt – sozialwidrig (§ 1 Abs. 2 KSchG). Der Auflösungsantrag war auch zweitinstanzlich noch zulässig. Das folgt aus der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG, der insoweit lex specialis zu § 533 ZPO ist (BAG, Urteil vom 27.09.2022 – 2 AZR 5/22, NZA 2022, 1558).

b) Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Auflösung sind vorliegend erfüllt.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Das Gericht hat insoweit eine Prognoseentscheidung zu treffen. Es darf nicht lediglich das Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit würdigen, sondern muss fragen, ob in Anbetracht aller Umstände in Zukunft noch eine Zusammenarbeit im oben genannten Sinn zu erwarten ist (BAG, Urteil vom 29.08.2013 – 2 AZR 419/12, NZA 2014, 660). Dabei ist ein Verschulden des Arbeitnehmers nach allgemeiner Ansicht nicht erforderlich (APS/Biebl, Kündigungsrecht, 6. Aufl., § 9 KSchG Rn. 51 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Entscheidend ist allein, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet (BAG, Urteil vom 24.05.2018 – 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131). Dabei können die Anforderungen, die an die Auflösungsgründe zu stellen sind, unter anderem von der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb einerseits sowie von der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit andererseits abhängen (BAG, Urteil vom 26.06.1997 – 2 AZR 502/96, juris; APS/Biebl, a.a.O., Rn. 55 f.). Schließlich steht der Geeignetheit bestimmter Sachverhalte als Auflösungsgrund nicht entgegen, dass das Verhalten des Arbeitnehmers nicht die Qualität eines Kündigungsgrundes hat und eine arbeitgeberseitige Kündigung selbst nicht rechtfertigen kann. Denn § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG bietet dem Arbeitgeber gerade neben dem eigentlichen kündigungsrechtlichen Instrumentarium des § 1 Abs. 2 KSchG eine zusätzliche Lösungsmöglichkeit gegen Zahlung einer gerichtlich festgesetzten Abfindungszahlung (APS/Biebl, a.a.O., Rn. 52 mit weiteren Nachweisen).

So liegt der Fall hier. Die Beklagte stützt ihr Auflösungsbegehren auf mehrere Umstände.

Das ist zunächst die an die Personalleiterin der Beklagten gerichtete E-Mail des Klägers vom 24.03.2021. Dort wirft der Kläger der Beklagten in unangemessener Diktion unter anderem vor, sie „scheine, alle Hemmungen abzulegen, was den Umgang mit der deutschen Belegschaft anbelange“ und spricht gleichzeitig der Beklagten jegliche Vertrauenswürdigkeit ab, wenn er ausführt, es sei zwar traurig, aber man könne A nicht trauen. Es folgt die E-Mail des Klägers vom 12.07.2021, die er unmittelbar an die Personalleiterin und den Betriebsrat, gleichzeitig aber „in cc“ an sämtliche 481 übrigen Mitarbeiter versandt hat. In dieser Mail kommentiert der Kläger die zunächst von ihm beschriebene Situation mit den Worten: „Mir reicht es. So kann es nicht weitergehen.“ und stellt provokante Fragen an den Betriebsrat und die Personalabteilung wie beispielsweise die Frage, warum sie schlechter behandelt würden, als die Mitarbeiter tarifgebundener Unternehmen, ob sie schlechter seien als diese und ob die Geschäftsführung bewirken wolle, dass möglichst viele Arbeitnehmer das Unternehmen verließen? Auf die wenige Tage später erfolgte Nachfrage eines Mitarbeiters hat der Kläger sodann mit E-Mail vom 16.07.2021, die wiederum zusätzlich an die Personalleiterin und den Betriebsrat „in cc“ versandt wurde, wörtlich konstatiert: „Wir Mitarbeiter müssen uns klar machen, dass wir keine Herde von Schafen sind, die sich alles gefallen lässt und irgendwann geschlachtet wird.“ Weiter stützt sich die Beklagte auf die – vom Kläger bestrittene – Äußerung im erstinstanzlichen Kammertermin, dass der Betriebsrat „völlig unfähig“ sei sowie seine mehrfach zum Ausdruck gebrachte fehlende Einsicht oder Reue bezüglich seines Verhaltens.

Hinzu kommen schließlich weitere nach Ausspruch der Kündigungen liegende Umstände. Das ist zunächst der Beitrag des Klägers auf der Internetplattform „K „. Dort hat der Kläger die Möglichkeit zur Fragestellung an das Unternehmen im Bewertungsportal genutzt, um seinen Kündigungsrechtsstreit und das Verhalten der Beklagten im Zwangsvollstreckungsverfahren darzustellen und diesen Sachverhalt sodann mit der provokanten Frage nach den „hochwertigen A Ethic Standard“ zu verknüpfen. Sodann beruft sich die Beklagte als letztem Auflösungsgrund schließlich auf die Ausführungen des Klägers in dem Flyer der Betriebsratswahlliste „A “ vom 11.04.2022. Hier präsentiert der Kläger eine umfangreiche persönliche Stellungnahme und schildert seinen Kündigungsschutzprozess nebst Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Dabei führt er aus, dass die Zwangsvollstreckung „sein gutes Recht“ sei, um die rechtswidrige Auffassung der Geschäftsführung zu brechen und das erstinstanzliche Urteil durchzusetzen und stellt konkret in Aussicht, dass er „die Zwangsvollstreckung notfalls bis zur Inhaftierung der Geschäftsführung fortsetzen“ werde. Zuletzt wirbt er mit seiner besonderen persönlichen Erfahrung aus dem geschilderten Kündigungsschutzverfahren zur Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegen gegen die Beklagte, die von dieser in Zukunft genauso behandelt werden würden wie er.

Für die erkennende Berufungskammer bieten diese vielen Einzelumstände ein Gesamtbild, das eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit der Parteien nicht mehr erwarten lässt. Unstreitig opponiert der Kläger mehrfach und nachhaltig gegen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Dabei argumentiert er nicht sachlich in persönlichen Gesprächen, sondern agiert bewusst provokant in der gesamten Betriebsöffentlichkeit. Er nutzt hierzu zweckwidrig den internen E-Mail-Verteiler, öffentliche Internetplattformen und betriebsöffentliche Flyer im Rahmen der Betriebsratswahl.

Die vom Kläger genutzte Wortwahl macht deutlich, dass es ihm nicht um eine sachliche Auseinandersetzung oder Klärung von Sachverhalten geht. Vielmehr zeigen die oben dargestellten wörtlichen Zitate aus den verschiedenen E-Mails des Klägers die deutlich provokative Stoßrichtung seiner Äußerungen. Dabei mag dem Kläger zugestanden werden, dass er sich jeweils in den Grenzen des rechtlich Erlaubten bewegt, wie die Ausführungen der ersten Instanz zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigungen zeigen. Gleichwohl ergibt sich für die erkennende Berufungskammer in der Gesamtschau eine deutliche Prognose für die konkrete Besorgnis, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit ernsthaft gefährdet ist. Besonderes Gewicht kommt dabei einerseits der Formulierung des Klägers in der E-Mail vom 16.07.2021 bei, in der er die Belegschaft mit einer Herde von Schafen vergleicht, die zur Schlachtbank geführt wird.

Andererseits machen die Ausführungen des Klägers im April 2022 in der Internetplattform „K “ sowie im betrieblichen Flyer vom 11.04.2022 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der vorliegende Rechtsstreit bereits in der Berufungsinstanz anhängig war – deutlich, dass die E-Mails aus September des Vorjahres offensichtlich keine vereinzelte Rüge des Klägers darstellten, sondern es sich vielmehr um eine langfristig angelegte, nachhaltige Strategie des Klägers gegenüber der Beklagten handelt. Dies bestätigt auch die Äußerung des Klägers im Rahmen der zweitinstanzlichen Berufungsverhandlung vom 11.01.2023, als er eine vergleichsweise Auflösung seines Arbeitsverhältnisses mit der sinngemäßen Begründung ablehnte, er habe im Betrieb noch eine Aufgabe zu erfüllen.

Erschwerend hinzu kommt die betriebliche Stellung des Klägers als Mitarbeiter der Personalabteilung, die er nicht zuletzt auch in seinen E-Mails ausdrücklich hervorhebt. Dabei kann der zwischen den Parteien bestehende Streit um die konkrete letzte Tätigkeit des Klägers dahingestellt bleiben. Als „HR Business Partner“ mit einem jährlichen Bruttoverdienst von über 80.000 EUR haben derart provokante Äußerungen in der betrieblichen Öffentlichkeit jedenfalls ein besonders Gewicht. Alleine die langjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers vermag an der oben dargestellten negativen Zukunftsprognose nichts zu ändern.

c) Die gerichtliche Auflösung scheitert auch nicht an der zwischenzeitlich durchgeführten Betriebsratswahl und der Wahl des Klägers zum Betriebsrat sowie dessen nunmehriger Funktion als Betriebsratsvorsitzendem.

Wie der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts zuletzt mit Urteil vom 27.09.2022 ausgeführt hat, gilt das Zustimmungserfordernis nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG weder unmittelbar noch analog für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Das gilt auch dann, wenn das Gericht zu einem Zeitpunkt über den Auflösungsantrag entscheidet, zu dem der Arbeitnehmer – noch oder wieder – Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG genießt (BAG, Urteil vom 27.09.2022 – 2 AZR 92/22, NZA 2022, 1670). Allerdings ist bei der Entscheidung über einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die Frage, ob ein Verhalten aus der Zeit des Bestehens von Sonderkündigungsschutz allein oder zusammen mit weiteren Umständen eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, zu prüfen, inwiefern die Gründe mit der Amtsausübung in Zusammenhang stehen (BAG, a.a.O.).

Vorliegend resultieren keine Auflösungsgründe aus dem Zeitraum nach der erfolgten Wahl des Klägers zum Betriebsrat. Lediglich der Beitrag des Klägers in der Internetplattform „K “ sowie der Flyer vom 11.04.2022 stammen aus dem Zeitraum, in dem der Kläger als Wahlbewerber zum Betriebsrat agierte und über befristeten Sonderkündigungsschutz verfügte. Die insoweit beklagtenseits geltend gemachten Auflösungsgründe sind allerdings insgesamt nicht durch die Betriebsratswahl bedingt, sondern – wie in dem Flyer manifestiert – lediglich bestenfalls anlässlich der Wahl erfolgt. In der Sache geht es ausschließlich um provokante, unsachliche Äußerungen des Klägers, die die bereits vorhandene Prognose einer planmäßigen Kampagne gegen die Beklagte bestätigen. Keinerlei Zusammenhang mit der Betriebsratswahl besteht bezogen auf die Vorfälle aus dem Jahr 2021 und die seinerzeitigen E-Mails des Klägers, denen – wie oben ausgeführt – wesentliche Bedeutung für die Erwartung einer fehlenden gedeihlichen, den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit zukommt.

d) Die Höhe der Abfindung hat die Kammer gemäß § 10 KSchG auf 121.716 EUR brutto festgesetzt. Aufgrund des Lebensalters des Klägers und seiner nahezu 27-jährigen Betriebszugehörigkeit hat die Kammer dabei die gesetzlichen Höchstgrenzen des § 10 Abs. 2 KSchG ausgeschöpft und die Abfindung mit 18 Monatsverdiensten des Klägers bemessen. Anhaltspunkte für ein Unterschreiten der Höchstgrenzen bestehen nach Auffassung der Kammer nicht.

3. Die weitergehende Klage ist unbegründet. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die gerichtliche Auflösung hat der Kläger keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die kostenmäßige Differenzierung zwischen den Instanzen ergibt sich aufgrund des erstmalig in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrags der Beklagten. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht, da die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalls beruht.

 

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