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Änderungskündigung zur Entgeltsenkung – soziale Rechtfertigung

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 13 Sa 2089/11, Urteil vom 03.02.2012

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgericht Eberswalde vom 20.09.2011 -1 Ca 467/11 – wird auf ihre Kosten bei unverändertem Streitwert zurückgewiesen.

II. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

Der Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 21.12.1998 bei der Beklagten als Kraftfahrer für Gefahrgut am Standort Schwedt/Oder beschäftigt. Er ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft.

Die Beklagte ist ein Unternehmen, das sich auf Transportdienstleistung spezialisiert hat. Sie führt mittels eigenem Fuhrpark Gefahrguttransporte sowie Schienen- und Binnenschifffahrtstransporte durch. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Unter Ziffer 7 des Arbeitsvertrages der Parteien ist folgendes vereinbart:

„7. Arbeitsentgelt

a) Für eine monatliche Arbeitszeit bis zu 260 Stunden, exklusive gesetzlicher Pause

b) Der monatliche Brutto-Lohn beträgt DM 3.600,00

c) Einsatzstunden (ab 261) werden mit gesetzlichen und/oder tariflichen Zuschlägen vergütet

d) Sonderzeiten (z.B. Sonn- oder Feiertage von 0 bis 22 Uhr) werden gesondert bezahlt mit den gesetzlichen und/oder tariflichen Aufschlägen“

Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf die Ablichtung (Bl. 9-12 d.A.) Bezug genommen (Anlage K1).

Änderungskündigung zur Entgeltsenkung – soziale Rechtfertigung
Symbolfoto: fizkes/Bigstock

Ab 01.04.2001 wurde der Bruttolohn des Klägers auf 2.045,17 Euro „festgesetzt“ (vgl. das Schreiben der Beklagten in Kopie vom 03.04.2001, Bl. 13 d.A.). Im Jahr 2009 wurde bei der Beklagten ein neuer Geschäftsführer berufen, der zusammen mit der ebenfalls neu eingesetzten Personalleiterin die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer prüfte und zu dem Ergebnis kam, dass die Arbeitsbedingungen massiv gegen die Arbeitszeitbestimmungen verstießen. Die neue Geschäftsführung entschloss sich, ein neues Arbeitsvertragssystem einzuführen.

Mit Schreiben vom 08.04.2011 informierte die Beklagte den bei ihr gewählten Betriebsrat über den beabsichtigten Ausspruch einer Änderungskündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers (vgl. die Kopie des Schreibens Bl. 61-65 d.A., Anlage CC1). Unter dem 16.04.2011 erhob der Betriebsrat Bedenken (siehe die Kopie Bl. 66-67 d.A., Anlage CC2).

Mit Schreiben vom 19.04.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.07.2011 und bot dem Kläger die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu einem Bruttostundenlohn in Höhe von 7,87 Euro bei einer wöchentlichen Regelarbeitszeit von 40 Stunden nebst Überstundenzuschlägen an. Vorsorglich für den Fall, dass sich dieses Änderungsangebot im Hinblick auf die Arbeitszeit als sozial ungerechtfertigt erweisen sollte, bot die Beklagte dem Kläger die Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit 208 garantierten Einsatzstunden im Monat an (vgl. das Schreiben in Kopie Bl. 14-15 d.A., Anlage K3).

Mit Schreiben vom 29.04.2011 nahm der Kläger das Angebot unter Vorbehalt an (Kopie Bl. 18-19 d.A., Anlage K4).

Mit einer am 10.05.2011 beim Arbeitsgericht Eberswalde eingegangenen und der Beklagten am 13.05.2011 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Änderung der Arbeitsbedingungen gewendet.

Durch Urteil vom 20.09.2011 hat das Arbeitsgericht Eberswalde festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 19.04.2011 sozial ungerechtfertigt und unwirksam sei. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei nicht zur Anpassung des Vertrages berechtigt, weil die zwischen den Parteien getroffene Regelung zur Arbeitszeit, nach der die vereinbarte Vergütung von monatlich 2.045,17 Euro brutto für eine monatliche Arbeitszeit von max. 260 Stunden geschuldet sei, nichtig wäre. Insofern schließe sich das Gericht den Entscheidungsgründen der Urteile des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.07.2011 – 10 Sa 668/11 – und des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.06.2011 – 11 Sa 276/11 – an. Die vorliegende Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt. Eine solche Änderungskündigung sei in der Regel dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Verringerung des Arbeitsvolumens zum Anlass nehme, den Personalbestand durch Reduzierung der Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter zu reduzieren bzw. bei unveränderten Arbeitsanfall sich der Arbeitgeber sich zu einer betrieblichen Umorganisation entschließe, die zu einer anderen zeitlichen Lage und zur Herabsetzung der Dauer der Arbeitszeit führe. An einem solchen Vortrag der Beklagten fehle es. Die Beklagte habe weder eine Reduzierung des Auftragsvolumens noch eine unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation des Betriebes behauptet.

Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, sie habe eine unternehmerische Entscheidung dahingehend getroffen, das betriebliche System der Pauschalabgeltung von Überstunden auf eine so genannte Spitzabrechnung umzustellen. Ein solcher Fall liege in Ansehung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu Arbeitszeit und Vergütung nicht vor. Die Parteien hätten keine Nebenabrede zum Arbeitsvertrag im Hinblick auf die Vergütung von Mehrarbeit getroffen, vielmehr schulde die Beklagte unabhängig vom konkreten Arbeitsumfang des Klägers im Monat einen Bruttomonatslohn in Höhe von 2.045,17 Euro. Der Kläger sei im Gegenzug dazu verpflichtet, bis zu 260 Stunden im Monat zu arbeiten. Für die Aufkündigung einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag sei mithin kein Raum; Im Übrigen bedürfe es auch hier für eines dringenden betrieblichen Erfordernisses gemäß § 1 Abs. 2 KSchG. Soweit die Beklagte sich zur Begründung der Kündigung auf wirtschaftliche Verluste seit dem Geschäftsjahr 2009 berufe, könne dahinstehen, ob dieser Vortrag geeignet sei, ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Änderungskündigung zu begründen. Die Beklagte könne mit diesem Vortrag im Verfahren nicht gehört werden, weil wirtschaftliche Gründe bei der Begründung der Kündigung gegenüber dem Betriebsrat im Schreiben vom 08.04.2011 nicht erwähnt seien. Der Beklagten sei es deshalb verwehrt, sich im Verfahren auf solche Gründe zur Begründung der Kündigung zu berufen. Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien I. Instanz wird auf das Urteil vom 20.09.2011 (Bl. 143-148 d.A.) verwiesen.

Gegen diese ihr am 23.09.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.10.2011 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene und am 21.11.2011 per Fax begründete Berufung der Beklagten.

Sie tritt dem angefochtenen Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrag entgegen und behauptet, es sei ihr wirtschaftlich nicht möglich, die Vergütung in Höhe 2.045,17 Euro brutto weiter zu zahlen, unabhängig davon, ob die Überstunden, für die dieser Betrag gezahlt werde, anfielen oder nicht. Die Beklagte habe in denjenigen Fällen, in denen das jeweilige Arbeitsgericht der Klage gegen die von der Beklagten vorgenommene Vergütungsanpassung stattgegeben habe, die unternehmerische Entscheidung getroffen, von der vereinbarten Pauschalabgeltung auf eine Spitzabrechnung umzustellen. Die Anpassung habe in erster Linie auf der Basis von 173 Stunden erfolgen sollen, da dies die höchst zulässige Arbeitszeit sei, welche die Beklagte einseitig bestimmen könne. Aufgrund der in einigen Parallelverfahren geäußerten Rechtsansichten, dass die höchst zulässige Arbeitszeit zugrunde gelegt werden müsse, habe die Beklagte vorsorglich auch dahingehend eine Änderungskündigung ausgesprochen. Im Hinblick auf den Stundensatz habe die Beklagte die bisher vertragliche vorgesehen Vergütung zu der vertraglich vorgesehenen Arbeitszeit ins Verhältnis gesetzt. Vorsorglich habe die Beklagte auch die tarifvertraglich vorgesehene Vergütung ermittelt. Die Erwägungen der Beklagten seien weder willkürlich noch sachfremd.

Die Beklagte ist der Ansicht, es sei nicht sachgerecht, den vorliegenden Fall an den vom Bundesarbeitsgericht für eine Änderungskündigung zur Durchsetzung einer erheblichen Lohnsenkung aufgestellten Voraussetzung zu messen, denn vorliegend senke die Beklagte die Personalkosten im Grunde nicht: Der Stundenlohn der Fahrer bleibe gleich. Es sei der Beklagte vielmehr darum gegangen, ab August 2010 die tariflich bzw. gesetzlich vorgegebenen Arbeitszeiten einzuhalten. Die sich daraus im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergebene Vergütungsanpassung sei ein Reflex der Arbeitszeitanpassung. Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, sie könne sich auch auf wirtschaftliche Gründe berufen, weil die wirtschaftliche Situation der Beklagten auch im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat erwähnt sei und dem Betriebsrat diese Situation auch hinreichend bekannt sei.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 20.09.2011 – 1 Ca 467/11 – die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Ansicht, die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien unter Ziffer 7 sei nicht gemäß §§ 134, 139 BGB nichtig und die Beklagte greife durch die Änderungskündigung in die Hauptleistungspflicht ein, nämlich die Pflicht, das vereinbarte Arbeitsentgelt für monatlich „bis zu 260 Stunden“ zu zahlen. Hierfür fehle es an dringenden betrieblichen Erfordernissen, zumal eine Reduzierung des Arbeitsvolumens nicht feststellbar sei.

Weiter ist der Kläger der Ansicht, die Beklagte hätte gegenüber allen Arbeitnehmern eine Änderungskündigung aussprechen müssen, die mit einer Änderung der Arbeitsbedingungen nicht einverstanden gewesen seien, so dass die Kündigung auch wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam sei. Ferner sei die Kündigung wegen fehlerhafter Betriebsanhörung unwirksam, weil dem Betriebsrat das konkrete Änderungsangebot nicht mitgeteilt worden sei.

Schließlich ist der Kläger der Ansicht, die Änderungskündigung sei auch wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot unwirksam.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 21.11.2011 (Bl. 171 ff. d.A.) und des Klägers vom 03.01.2012 (Bl. 195 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Eberswalde die zulässige Kündigungsschutzklage des Klägers auch als begründet angesehen, weil die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung der Beklagten mit Schreiben vom 19.04.2011 sozial ungerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Eberswalde und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab. Nur im Hinblick auf den zweitinstanzlichen Vortrag der Parteien und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 06.01.2012 wird auf folgendes hingewiesen:

1. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung im Sinne von § 2 KSchG ist sozial ungerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 S. 1 bis 3 KSchG nicht vorliegen. Dabei ist die soziale Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen zu überprüfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das Änderungsangebot des Arbeitgebers daran zu messen, ob es durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und sich der Arbeitgeber darauf beschränkt hat, solche Änderungen anzubieten, die der Arbeitsnehmer billiger Weise hinnehmen muss. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat. Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billiger Weise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrages den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle angebotenen Änderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich von deren Inhalt nicht weiter entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist. (vgl. z.B. BAG 26.08.2008 – 2 AZR 139/07 – NZA 2008, 1182; BAG 08.10.2009 – 2 AZR 235/08 – NZA 2010, 465 jeweils m.w.N.; LAG Berlin-Brandenburg 26.01.2012 – 14 Sa 2090/11 – zu B.II.3.b) der Gründe).

Bestehen die vom Arbeitgeber angebotene Vertragsänderung allein in einer Absenkung der bisherigen Vergütung, so gelten nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts folgende Grundsätze: Die Unrentabilität des Betriebes kann einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu unveränderten Bedingungen entgegen stehen und ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Änderung der Arbeitsbedingungen seien, wenn durch die Senkung der Personalkosten die Stilllegung des Betriebs oder die Reduzierung der Belegschaft verhindert werden kann und die Kosten durch andere Maßnahmen nicht zu senken ist. Da nach dem Gesetz die betrieblichen Erfordernisse „dringend“ sein müssen und die Entgeltsenkung einen nachhaltigen Eingriff in das arbeitsvertragliche Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bedeutet, kann die Änderungskündigung zur Entgeltsenkung nur dann begründet sein, wenn bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebes führen. Regelmäßig bedarf es deshalb eines umfassenden Sanierungsplanes, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft. Vom Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang zu verlangen, dass er die Finanzlage des Betriebes, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkung der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitnehmer darstellt und ferner darlegt, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen (vgl. BAG 26.08.2008, a.a.O.; LAG Berlin-Brandenburg 26.01.2012, a.a.O.).

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers nicht aus dringenden betrieblichen Gründen im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Zum einen sind die Änderungen nicht geeignet und erforderlich, um den Inhalt des Arbeitsvertrages den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen, da die bisherige Regelung wirksam und durchführbar ist, zum anderen liegt kein betriebsbedingter Grund zur Änderung der Arbeitsbedingungen vor:

a) Ein Verstoß der vertraglichen Regelungen gegen das Arbeitszeitgesetz liegt nicht vor. Aus § 21a Abs. 4 ArbZG ergibt sich, dass Arbeitnehmer, die im Straßentransport beschäftigt werden, wöchentlich bis zu 60 Stunden beschäftigt werden können, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden. Somit kann ein Kraftfahrer tatsächlich in einem Monat 260 Stunden beschäftigt werden, wenn im übrigen Referenzzeitraum entsprechend weniger gearbeitet wird (vgl. hierzu auch LAG Berlin-Brandenburg 22.07.2011 – 10 Sa 669/11 -, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und stattgegeben unter dem Az. BAG 5 AZN 1306/11).

Sollte die Beklagte den Kläger in der Vergangenheit angewiesen haben, in einem unzulässigen Umfang Arbeitsleistungen zu erbringen, berührt dies nicht die Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Regelung.

Die Parteien eines Arbeitsvertrages sind auch nicht dazu verpflichtet, als Gegenleistung für ein bestimmtes Monatsentgelt eine fixe monatliche Arbeitszeit zu vereinbaren, sondern es steht ihnen frei, ein Monatsentgelt zu vereinbaren, das unabhängig von dem Umfang der tatsächlich vom Arbeitgeber abgerufenen Arbeitsleistung gezahlt werden soll (zutreffend LAG Berlin-Brandenburg 26.01.2012, a.a.O. zu B.II.3.c)aa)(1) der Gründe).

b) Die Regelung in Ziffer 7a und Ziffer 7b des Arbeitsvertrages verstoßen auch nicht gegen einen Tarifvertrag, denn ein Tarifvertrag ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar.

Der Kläger ist nicht tarifgebunden. Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag existiert nicht. Entgegen der Behauptung der Beklagten nimmt der Arbeitsvertrag der Parteien auch nicht Bezug auf den Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des privaten Verkehrsgewerbes im Land Sachsen-Anhalt vom 16.12.1996.

Ziffer 1 des Arbeitsvertrages der Parteien enthält die Vereinbarung, das Vertragsgrundlage die jeweils zwischen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmerorganisationen gültigen Lohn-Manteltarifverträge seien.

Bei dem Arbeitsvertrag der Parteien handelt es sich um einen von der Arbeitgeberin vorgefertigten Formulararbeitsvertrag im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Ziffer 1 des Arbeitsvertrages ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Bestimmung ist nicht klar und verständlich, weil aus ihr nicht ersichtlich ist, welche Tarifverträge „Vertragsgrundlage“ sein sollen. Es ist nicht einmal erkennbar, welche Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisation gemeint sein könnten und um welche Branche es sich handeln soll. Erst recht ist nicht erkennbar, das Tarifverträge aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt gemeint sein könnten, zumal die Einsetze des Klägers unstreitig vom Standort Schwedt/Oder im Bundesland Brandenburg aus organisiert werden (zutreffend LAB Berlin-Brandenburg, 26.01.2012, a.a.O., zu B.II.3.c)aa)(2) der Gründe).

Jedenfalls gehen die erheblichen Zweifel bei der Auslegung der Ziffer 1 des Arbeitsvertrages gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten, so dass die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrages als nicht vereinbart gilt (wiederum zutreffend LAG Berlin-Brandenburg, 26.01.2012, a.a.O., zu B.II.3)c)aa)(2) der Gründe).

c) Ein betriebsbedingter Grund für die Umwandlung des Monatslohnes von 2.045,17 Euro brutto in einen Stundenlohn in Höhe von 7,87 Euro ist nicht gegeben.

aa) Zwar kann ein betriebsbedingter Grund für eine Änderungskündigung gegeben sein, wenn ein Arbeitgeber von einer vereinbarten pauschalierten Mehrarbeitsvergütung zur „Spitzabrechnung“, der tatsächlich geleisteten Mehrarbeit übergehen will. Voraussetzung hierfür ist, dass die Parteien eine entsprechende Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vereinbart haben, die an Umstände knüpft, die erkennbar nicht während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses gleich bleiben müssen. Möchte sich der Arbeitgeber wegen veränderter Umstände von einer solchen Nebenabrede lösen, so kann dies eine Änderungskündigung erforderlich machen, wenn die Parteien nicht von vornherein in der Nebenabrede einen Widerrufsvorbehalt vereinbart haben (vgl. BAG 23.11.2000 – 2 AZR 547/99 – NZA 2001, 492).

bb) Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Die Parteien haben keine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag getroffen, in der sie eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit regelten, sondern die Parteien haben unter Ziffer 7b des Arbeitsvertrages einen monatlichen Festlohn in Höhe von 2.045,17 Euro brutto als Hauptleistungspflicht des Abreitgebers vereinbart. Dieser Lohn ist für eine monatliche Arbeitszeit von „bis zu 260 Stunden“ zu zahlen. Kommt die Beklagte zu dem Ergebnis, dem Kläger monatlich nur 173 oder allenfalls bis zu 208 zuweisen zu dürfen oder zu können, ist sie nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien hierzu ohne weiteres berechtigt.

cc) Im vorliegenden Fall sind entgegen der Ansicht der Beklagten die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze für den Ausspruch einer Änderungskündigung zum Zweck der Entgeltsenkung anzuwenden. Denn entgegen ihrer anders lautenden Behauptung hat die Beklagte durch den Ausspruch der Änderungskündigung im vorliegenden Fall eine Lohnsenkung vorgenommen.

Der Kläger hat seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses am 21.12.1998 vereinbarungsgemäß seinen monatlichen Bruttolohn, zuletzt in Höhe von 2.045,17 Euro, unabhängig davon erhalten, welche monatliche Arbeitszeit die Beklagte abrief. Inhalt der Änderungskündigung ist die Zahlung eines Stundenlohnes von 7,87 Euro brutto bei einer wöchentlichen Regelarbeitszeit von 40 Stunden. Hieraus errechnet sich ein durchschnittlicher monatlicher Grundlohn in Höhe von 1.364,13 Euro brutto (7,89 Euro brutto x 40 Stunden x 13 Wochen ÷ 3 Monate), also durchschnittlich 681,04 Euro brutto weniger. Selbst bei dem Alternativangebot mit garantierten 208 Stunden monatlich betrüge der Monatsgrundlohn des Klägers 1.636,96 Euro brutto und damit 408,21 Euro brutto weniger als zuvor. Diese erheblichen Lohnsenkungen nimmt die Beklagte vor, obwohl sie nach dem Arbeitsvertrag ohne weiteres dazu berechtigt ist, dem Kläger bei gleich bleibenden Monatslohn von 2.045,17 Euro brutto weniger Arbeit als bisher zuzuweisen.

Die Beklagte hat weder behauptet noch im Einzelnen dargelegt, dass bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare, Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen würden, und auch keinen entsprechenden Sanierungsplan vorgelegt. Dies wäre der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit auch verwehrt gewesen, weil sie den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung zu einen solchen Kündigungsgrund nicht gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG ausreichend angehört hat (vgl. zu den entsprechenden Konsequenzen nur BAG 11.10.1989 – 2 AZR 61/89 – EzA § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung Nr. 64, zu II.3.c) der Gründe; KR-Etzel, 9. Aufl., § 102 BetrVG Rz. 111 m.w.N.). Die Beklagte hatte in der Betriebsratsanhörung vom 08.04.2011 lediglich kurz ausgeführt, sie schreibe seit dem Geschäftsjahr 2009 Verluste und könne es sich nicht leisten, die Vergütung in Höhe von 2.045,17 Euro weiter zu zahlen, unabhängig davon, ob Überstunden anfielen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Da die Entscheidung möglicherweise gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.06.2011 – 11 Sa 276/11 – verstößt, weil das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in der vorliegenden Fallkonstellation eine Änderungskündigung für die richtige Maßnahme gehalten hat, war die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.

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