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Arbeitszeitkonto – Anordnung von Minusstunden durch Arbeitgeber zulässig?

Minusstunden ohne Recht: Gericht kippt Arbeitgeber-Anordnung

Das Arbeitsgericht Gera hat entschieden, dass die Beklagte unrechtmäßig Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers verbucht hat. Die Klage des Arbeitnehmers auf Gutschrift der 44,4 Stunden als Arbeitszeit war erfolgreich. Die Entscheidung betont, dass ohne eine klare und deutliche Regelung in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung keine Minusstunden angerechnet werden dürfen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Ca 117/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  • Der Kläger hat Anspruch auf die Gutschrift von 44,4 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto.
  • Minusstunden dürfen nur verbucht werden, wenn dies durch einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung klar geregelt ist.
  • Die Beklagte war im Annahmeverzug, da sie den Kläger nicht zur Arbeit einsetzen konnte und keine rechtliche Grundlage für die Anordnung von Minusstunden hatte.
  • Ein Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst nicht die Berechtigung zur einseitigen Anordnung von Minusstunden ohne entsprechende vertragliche Grundlage.
  • Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei Veränderungen der Arbeitszeit.
  • Die Beklagte muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
  • Das Urteil zeigt die Grenzen des Arbeitgeber-Direktionsrechts hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung auf.
  • Klare und deutliche Regelungen in Tarif- oder Betriebsvereinbarungen sind erforderlich, um Minusstunden rechtswirksam anordnen zu können.

Arbeitszeitkonto: Darf der Arbeitgeber Minusstunden anordnen?

Die Anordnung von Minusstunden durch den Arbeitgeber ist ein komplexes Thema, das viele rechtliche Herausforderungen mit sich bringt. Grundsätzlich gilt: Ein Arbeitgeber darf nur dann Minusstunden anordnen, wenn ein Arbeitszeitkonto vereinbart wurde. Denn bei einem Arbeitszeitkonto gelten Minusstunden gesetzlich als Vorschuss des Arbeitgebers, der voll zu bezahlen ist.

Im deutschen Arbeitsrecht ist jedoch nicht klar geregelt, wann ein Arbeitgeber ein Arbeitszeitkonto einführen darf. Auch die Bedingungen, unter denen Minusstunden angeordnet werden können, sind nicht eindeutig definiert. Daher kommt es in der Praxis häufig zu Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

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Im Zentrum eines Rechtsstreits am Arbeitsgericht Gera stand die Frage, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto eines Arbeitnehmers zu verbuchen, ohne dass eine explizite Regelung in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung dies vorsieht. Der Fall, der unter dem Aktenzeichen 4 Ca 117/23 verhandelt wurde, betrifft einen Kläger, der gegen die Praxis seines Arbeitgebers vorgegangen ist, Minusstunden anzusammeln.

Das Arbeitszeitkonto im Fokus der rechtlichen Prüfung

Der Kläger, ein seit 2005 als Schweißer beschäftigter Arbeitnehmer, forderte die Gutschrift von 44,4 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto, die ihm infolge angeordneter Nichtarbeitstage als Minusstunden angerechnet worden waren. Diese Anordnung erfolgte nach Aussage des Arbeitgebers aufgrund eines Produktionsrückgangs, verursacht durch die Corona-Pandemie und anschließende Lieferengpässe durch den Ukraine-Krieg. Der Arbeitgeber berief sich dabei auf eine bestehende Betriebsvereinbarung sowie auf das Einverständnis des Betriebsrats zur Nutzung des Arbeitszeitkontos für die Anordnung von Minusstunden.

Rechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle des Betriebsrats

Ein zentraler Aspekt des Falls war die rechtliche Zulässigkeit der Anordnung von Minusstunden durch den Arbeitgeber. Der Kläger argumentierte, dass weder das Direktionsrecht des Arbeitgebers noch die Betriebsvereinbarung eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung von Minderarbeit darstellen. Er hob hervor, dass eine Verringerung der Arbeitszeit nur unter Wahrung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG angeordnet werden könne. Dem entgegnete der Arbeitgeber, dass die Betriebsvereinbarung 04/08 die Anordnung von Minusstunden bei Unterauslastung des Unternehmens explizit erlaube und dies auch mit dem Firmentarifvertrag im Einklang stehe.

Urteilsbegründung und die Entscheidung des Gerichts

Das Arbeitsgericht Gera gab dem Kläger Recht und entschied, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Arbeitszeitkonto des Klägers mit Minusstunden zu belasten. Die Entscheidung begründete das Gericht damit, dass für die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden vorausgesetzt wird, dass der Arbeitnehmer die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, da der Kläger über die von ihm geleistete Arbeitszeit nicht frei entscheiden konnte. Ferner befand sich die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum im Annahmeverzug, was eine einseitige Verkürzung der Arbeitszeit ohne Zustimmung des Arbeitnehmers ausschließt.

Die Wichtigkeit klarer Regelungen in Betriebsvereinbarungen

Das Urteil unterstreicht die Notwendigkeit klarer und deutlicher Regelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen für die Anordnung von Minusstunden. Es betont zudem das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit und die Notwendigkeit einer schriftlichen Vereinbarung für solche Maßnahmen. Die Entscheidung zeigt auf, dass Arbeitgeber ohne eine solide rechtliche Grundlage nicht in der Lage sind, Arbeitszeitkonten einseitig mit Minusstunden zu belasten.

Das Arbeitsgericht Gera hat mit seinem Urteil klargestellt, dass die Anordnung von Minusstunden durch den Arbeitgeber einer expliziten rechtlichen Grundlage bedarf und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eine zentrale Rolle spielt. Die Entscheidung dient als wichtiger Orientierungspunkt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Umgang mit Arbeitszeitkonten und Minusstunden.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter einem Arbeitszeitkonto?

Ein Arbeitszeitkonto ist ein Instrument, das die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden eines Mitarbeiters erfasst und mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit vergleicht. Es ermöglicht eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit und kann in verschiedenen Arbeitszeitmodellen wie Gleitzeit, Schichtarbeit oder Home Office eingesetzt werden.

Die Stunden, die über die vertraglich vorgeschriebene Arbeitszeit hinausgehen, werden auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. In Zeiten, in denen weniger zu tun ist, können diese Überstunden wieder abgebaut werden. Es ist auch möglich, dass Arbeitnehmer Zeitguthaben ansammeln, indem sie mehr arbeiten als vereinbart.

Es gibt verschiedene Arten von Arbeitszeitkonten, darunter Kurzzeitkonten und Langzeitkonten. Kurzzeitkonten gelten in der Regel für ein Jahr und zum Jahresende müssen sämtliche Stunden auf null stehen. Langzeitkonten oder Lebensarbeitszeitkonten ermöglichen es den Mitarbeitern, Arbeitszeit in Bezug auf ein bestimmtes Ziel anzusammeln, wie beispielsweise eine längere Freistellung durch den Arbeitgeber.

Die Einführung von Arbeitszeitkonten erfordert eine gesetzliche Grundlage, die in einer entsprechenden Vereinbarung im Arbeitsvertrag festgelegt sein kann. Nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer dürfen auf die festgehaltenen Arbeitszeiten im Arbeitskonto zugreifen.

Bei einer Kündigung werden eventuell vorhandene Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers ausbezahlt.

Es ist zu erwähnen, dass die Führung von Arbeitszeitkonten nicht Pflicht ist, da auch andere Arbeitszeitmodelle wie die Vertrauensarbeitszeit ohne diese auskommen können.

Welche Rolle spielt das Direktionsrecht des Arbeitgebers im Arbeitsrecht?

Das Direktionsrecht, auch als Weisungsrecht bekannt, ist ein zentrales Element des Arbeitsrechts und ermöglicht es dem Arbeitgeber, die Leistungspflichten des Arbeitnehmers hinsichtlich Zeit, Inhalt und Ort zu bestimmen. Es ergibt sich aus § 106 der Gewerbeordnung (GewO) und § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Das Direktionsrecht ist ein wesentlicher Bestandteil jedes Arbeitsverhältnisses, da es dem Arbeitgeber ermöglicht, den Betriebsablauf zu steuern und die Arbeitspflichten des Arbeitnehmers zu konkretisieren. Es kann nicht nur vom Arbeitgeber selbst, sondern auch von Führungskräften und Angestellten mit Weisungsbefugnis ausgeübt werden.

Das Direktionsrecht umfasst auch die Möglichkeit, das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu bestimmen. Beispielsweise kann der Arbeitgeber durch das Direktionsrecht das Rauchen in den Betriebsräumen verbieten.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Direktionsrecht nicht uneingeschränkt gilt. Es unterliegt Grenzen, die sich aus höherrangigen Rechtsquellen, dem Arbeitsvertrag, den Beteiligungsrechten des Betriebsrats und dem Gebot der billigen Ermessensausübung ergeben. Eine Weisung des Arbeitgebers muss sachlich begründet und dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Zudem darf sie nicht gegen Gesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder den Arbeitsvertrag verstoßen.

Bei der Ausübung des Direktionsrechts muss der Arbeitgeber auch die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigen. Bei einer Versetzung muss beispielsweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers berücksichtigt werden.

Das Direktionsrecht erlischt nicht nach einer einmaligen Ausübung, sondern ist auf ständige Anpassung ausgelegt. Es ermöglicht dem Arbeitgeber, im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung die Tätigkeit seiner Arbeitnehmer näher zu bestimmen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Direktionsrecht eine zentrale Rolle im Arbeitsrecht spielt, da es dem Arbeitgeber ermöglicht, die Arbeitsleistung und das Verhalten der Arbeitnehmer zu steuern und anzupassen, jedoch immer im Rahmen der gesetzlichen und vertraglichen Grenzen.

Was besagt § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bezüglich des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats?

Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Dies bezieht sich auf Maßnahmen wie die Anordnung von Überstunden oder die Einführung von Kurzarbeit. Der Betriebsrat muss bei solchen Entscheidungen beteiligt werden, und seine Zustimmung ist erforderlich, um die Maßnahmen rechtmäßig umzusetzen.

Das Mitbestimmungsrecht besteht unabhängig von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer, was bedeutet, dass der Betriebsrat auch dann mitzubestimmen hat, wenn nur ein einzelner Arbeitnehmer von Überstunden betroffen ist. In Notfällen, wie beispielsweise bei einem Brand oder einer Überschwemmung, kann der Arbeitgeber berechtigt sein, ohne Zustimmung des Betriebsrats Überstunden anzuordnen. In allen anderen Fällen ist jedoch die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.

Die Regelung stellt sicher, dass die Interessen der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Arbeitszeit berücksichtigt werden und schützt sie vor willkürlichen Änderungen ihrer Arbeitszeiten durch den Arbeitgeber.

Was ist unter einer verstetigten Vergütung zu verstehen?

Unter einer verstetigten Vergütung versteht man ein Entlohnungsmodell, bei dem Arbeitnehmer einen fixen Monatslohn erhalten. Dieser wird auf Grundlage einer angenommenen Zahl an Arbeitsstunden berechnet. Das verstetigte monatliche Arbeitsentgelt soll dabei den Mindestlohnanspruch übersteigen und bietet eine gleichbleibende Zahlung unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Arbeitstage eines Monats. Überstunden sind grundsätzlich nicht mit dem verstetigten Arbeitsentgelt abgegolten, was bedeutet, dass für jede geleistete Arbeitsstunde mindestens der Mindestlohn zu zahlen ist.

Dieses Modell ermöglicht eine vereinfachte Verwaltung und Planung sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer, indem es eine konstante Vergütung unabhängig von saisonalen Schwankungen oder variierenden Arbeitsvolumina bietet. Es dient auch der Kostenoptimierung in Unternehmen, indem der verwaltungstechnische Aufwand minimiert wird.

Die verstetigte Vergütung kann Teil verschiedener Arbeitszeitmodelle sein und findet Anwendung in der Berechnung von Gehältern, die eine regelmäßige monatliche Arbeitszeit zugrunde legen. Sie ist besonders relevant in Kontexten, in denen Arbeitszeitkonten geführt werden, um die Sollarbeitszeit über einen längeren Zeitraum auszugleichen.

Wann befindet sich ein Arbeitgeber im Annahmeverzug?

Ein Arbeitgeber befindet sich im Annahmeverzug, wenn er die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt. Dies ist in den §§ 293 ff. BGB geregelt. Es gibt vier Voraussetzungen für den Annahmeverzug:

  • Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses: Es muss ein gültiges Arbeitsverhältnis bestehen.
  • Angebot der Arbeitsleistung: Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsleistung anbieten. Dies kann tatsächlich oder unter bestimmten Umständen nur wörtlich erfolgen.
  • Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers: Der Arbeitnehmer muss in der Lage und bereit sein, die Arbeit zu leisten.
  • Nichtannahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber: Der Arbeitgeber nimmt die angebotene Arbeitsleistung nicht an.

Ein typisches Beispiel für den Annahmeverzug ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung nicht mehr beschäftigt und sich später herausstellt, dass die Kündigung unwirksam ist. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber den Lohn nachzahlen.

Es ist zu beachten, dass der Arbeitgeber auch ohne ein Angebot der Arbeitsleistung in Annahmeverzug geraten kann, beispielsweise wenn er nach einer Kündigung den Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigt.

In bestimmten Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber jedoch nicht in Annahmeverzug geraten, beispielsweise bei besonders groben Pflichtverstößen des Arbeitnehmers, die eine Annahme der Arbeitsleistung unzumutbar machen.

Es ist nicht möglich, den Annahmeverzug im Arbeitsvertrag auszuschließen, da § 615 S. 1 BGB eine Schutzvorschrift für Arbeitnehmer ist und ein Ausschluss des Annahmeverzugs den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers umgehen würde.


Das vorliegende Urteil

ArbG Gera – Az.: 4 Ca 117/23 – Urteil vom 25.10.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers weitere 44,4 Stunden als Arbeitszeit gutzuschreiben.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 673,10 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die korrekte Führung des Arbeitszeitkontos.

Der Kläger begehrt eine Gutschrift von 44,4 Stunden.

Die Beklagte beschäftigt ca. 150 Mitarbeiter.

Es existiert ein Betriebsrat, der 7 Mitglieder hat.

Der am 03.02.2005 mit der IG Metall vereinbarte Firmentarifvertrag (Bl. 37 ff. der Akte) ist mit Wirkung vom 01.03.2005 in Kraft getreten.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist verheiratet und hat keine Unterhaltspflichten. Er wurde mit Arbeitsvertrag vom 21.06.2005 (Bl. 6 f. der Akte) als Schweißer eingestellt. Seine Vergütung betrug zuletzt 15,16 € pro Stunden. Die regelmäßige Arbeitszeit von 37 Wochenstunden war auf 5 Arbeitstage à 7,4 Stunden verteilt.

Mit Wirkung vom 01.01.2009 ist die Betriebsvereinbarung 04/08 “Arbeitszeit, Gleitzeit und Urlaubsinanspruchnahme“ (Bl. 13 f. der Akte) in Kraft getreten.

Der Zusatz zur Betriebsvereinbarung (Bl. 15 der Akte) ist mit Wirkung vom 01.02.2012 in Kraft getreten.

Infolge der Corona-Pandemie war im Betrieb der Beklagten bis einschließlich 28.02.2022 Kurzarbeit angeordnet.

Nachdem diese Problematik einigermaßen überwunden war, kam es im März 2022 wegen des Ukraine-Krieges zur Unterbrechung von Lieferketten und zu Lieferengpässen. Hiervon stark betroffen war ein Hauptabnehmer der Beklagten, die Firma M.. Als Zulieferbetrieb für M. erwirtschaftet die Beklagte ca. 45 % ihres Jahresumsatzes. Dies führte zu einem Produktionsrückgang bei der Beklagten und zu einem geringeren Bedarf an Arbeitsleistung.

In dieser Situation hat die Geschäftsführung entschieden, nicht noch einmal Kurzarbeit anzuordnen, sondern das in der Betriebsvereinbarung geregelte Arbeitszeitkonto zu nutzen und Minusstunden anzuordnen.

Unter dem 22.03.2022 hat sie dem Betriebsrat ihre Absicht vorgestellt und um Mitteilung gebeten, ob dieser einverstanden ist oder eine weitergehende Verhandlung/Beteiligung/Vereinbarung für notwendig erachtet.

Am 28.03.2022 hat der Betriebsrat erklärt, dass aus seiner Sicht die Betriebsvereinbarung die Anordnung von Minusstunden rechtfertigen würde und es keinen Bedarf zu einer schriftlichen Vereinbarung geben würde.

Mit dem Aushang vom 28.03.2022 (Bl. 36 der Akte) informierte die Beklagte die Belegschaft über die bis vorerst 31.05.2022 geplanten Maßnahmen.

Der Kläger wurde von seinem dienstlichen Vorgesetzten angewiesen, seinen Arbeitsplatz an folgenden Tagen nicht aufzusuchen:

Freitag 01.04.2022 7,4 Stunden

Montag 11.04.2022 7,4 Stunden

Dienstag 12.04.2022 7,4 Stunden

Mittwoch 13.04.2022 7,4 Stunden

Donnerstag 14.04.2022 7,4 Stunden

Montag 25.04.2022 7,4 Stunden

44,4 Stunden

Auf den Zeitkontoauszug (Bl. 10 der Akte) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben der IG Metall vom 01.08.2022 (Bl. 11 f. der Akte) hat der Kläger die Korrektur seines Arbeitszeitkontos und die Streichung der Minusstunden geltend gemacht.

Der Kläger trägt vor, ein Direktionsrecht der Beklagten zur Anordnung von Minusstunden bestehe nicht. Auch die Betriebsvereinbarung berechtige die Beklagte nicht zur Anordnung von Minderarbeit.

Eine Verringerung der Arbeitszeit könne nur unter Wahrung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG angeordnet werden.

Nur eine Betriebsvereinbarung über die Verringerung der Arbeitszeit könne eine ausreichende Rechtsgrundlage sein.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers weitere 44,4 Stunden als Arbeitszeit gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Betriebsvereinbarung 04/08 erlaube bei Unterauslastung des Unternehmens im betrieblichen Interesse die Anordnung von Minusstunden.

Dies stehe auch im Einklang mit dem Firmentarifvertrag.

Der Betriebsrat habe der Verringerung der Arbeitszeit ausdrücklich zugestimmt und eine schriftliche Vereinbarung darüber nicht für nötig erachtet.

Die Geschäftsführung habe sich für die Nutzung des Arbeitszeitkontos für eine Übergangszeit und die Anordnung von Minusstunden entschieden, um zu Gunsten der Belegschaft die erneute Einführung von Kurzarbeit und die damit verbundenen Gehaltseinbußen zu vermeiden. Der Großteil der Belegschaft habe diese Maßnahme mitgetragen. Lediglich 9 Arbeitnehmer hätten eine Klage eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 20.02.2023 und 25.10.2023 nebst allen in der Akte befindlichen Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Der Kläger hat Anspruch gegen die Beklagte auf eine Gutschrift von 44,4 Stunden in seinem Arbeitszeitkonto.

Die Klage ist zulässig.

Der Antrag ist hinreichend konkret i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass ein Arbeitszeitkonto zu Gunsten des Klägers besteht, in dem für die streitbefangenen Tage Gleitzeitausgleich gebucht worden ist.

Die Klage ist auch begründet.

Der Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos ergibt sich aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und der Betriebsvereinbarung 04/08, soweit sie Regelungen zum Zeitkonto enthält.

Die Beklagte war nicht berechtigt, das Arbeitszeitkonto des Klägers mit Minusstunden zu belasten. Daher hat der Kläger einen Anspruch auf Gutschrift der Arbeitszeit.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 17.11.2011 – 5 AZR 681/09; Urteil vom 26.01.2011 – 5 AZR 819/09) setzt die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitnehmer allein darüber entscheiden kann, ob eine Zeitschuld entsteht.

Dagegen kommt es zu keinem Vergütungsvorschuss, wenn sich der das Risiko der Einsatzmöglichkeit bzw. des Arbeitsausfalls tragende Arbeitgeber nach § 615 Satz 1 und 3 BGB im Annahmeverzug befunden hat.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn § 615 Satz 1 und 3 BGB wirksam abbedungen worden sind. Dies ist jedoch nur, wenn überhaupt, durch klare und deutliche Regelungen in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung möglich (Beismann NJW-Spezial 2022, 114 f.).

Bei Anwendung dieses Maßstabes durfte die Beklagte das Arbeitszeitkonto des Klägers nicht mit Minusstunden belasten.

Zwar hat sie dem Kläger unstreitig mit einer verstetigten Vergütung entlohnt. Der Kläger konnte jedoch nicht allein darüber entscheiden, ob eine Zeitschuld entsteht. Er konnte über die von ihm geleistete Arbeitszeit nicht frei entscheiden. Die Arbeitszeit wurde ihm von seinem dienstlichen Vorgesetzten zugewiesen.

Die Beklagte befand sich im streitgegenständlichen Zeitraum im Annahmeverzug.

Zu einer einseitigen Verkürzung der Arbeitszeit war die Beklagte nicht berechtigt.

Eine solche Berechtigung ergibt sich zunächst nicht aus dem Direktionsrecht.

Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Dieses Weisungsrecht enthält jedoch nur die Befugnis, die Lage der Arbeitszeit einseitig festzulegen. Dagegen gehört der Umfang der Arbeitszeit zum Kernbestand des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses und wird vom Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht umfasst.

Für die Anordnung von Minusstunden kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf die Betriebsvereinbarung 04/08 berufen.

Allerdings ergibt sich bereits aus den Vorbemerkungen, dass eine Regelung zur Verteilung der Arbeitszeit notwendig ist, um bei ungleichmäßiger Verteilung der Auftragseingänge und zur termingerechten Bedarfseinordnung Auftragsspitzen bzw. einer Unterauslastung im Unternehmen durch Anpassung der Arbeitszeitverteilung wirkungsvoll begegnen zu können. Das Ziel der Anwendung von Gleitzeitkonten ist es, einen derartigen Ausgleich zu ermöglichen. Die Anwendung der flexiblen Arbeitszeit (Gleitzeit) dient dem betrieblichen Interesse und schafft individuelle Arbeitszeit-Gestaltungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer.

Die Betriebsratpartner haben jedoch in Ziffer 5 der Betriebsvereinbarung 04/08 geregelt, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einführung und Nutzung flexibler Arbeitszeit bzw. bei der Veränderung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit zu berücksichtigen sind.

An der Berücksichtigung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats fehlt es.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Zentrales Mittel zur Ausübung der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG ist die Betriebsvereinbarung, da nur durch sie unmittelbare Rechte und Pflichten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgelöst werden (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Für Betriebsvereinbarungen gilt nach § 77 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG ein Schriftformerfordernis. Eine formlose Regelungsabrede kann dagegen keine unmittelbar und zwingend geltenden Rechte und Pflichten für Arbeitnehmer begründen.

Die Beklagte kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie über die „zugunsten der Belegschaft“ geplante Anordnung von Minusstunden den Betriebsrat am 22.03.2022 informiert hat und dieser bei einem Gespräch am 28.03. der Maßnahme zugestimmt hat und keinen Bedarf für eine schriftliche Vereinbarung gesehen hat. Mangels schriftlicher Niederlegung und Unterzeichnung der mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung kann die Anordnung von Minusstunden nicht unmittelbar und zwingend für die betroffenen Arbeitnehmer gelten. Nach Auffassung der Kammer war die zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat vereinbarte Maßnahme zwar gut gedacht, aber schlecht gemacht. Eine schriftliche Vereinbarung war zwingend erforderlich.

Für die Anordnung von Minusstunden kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf den Firmentarifvertrag berufen.

Dieser regelt in § 3 Ziffer 1 ausdrücklich, dass die Einführung von Kurzarbeit einer Betriebsvereinbarung bedarf. Die Anordnung von Minusstunden ist in der Sache nichts anderes als eine vorübergehende Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit. Der Weg, den die Beklagte gewählt hat, bedeutet lediglich, dass auf eine Finanzierung der Kurzarbeit über die Bundesagentur für Arbeit verzichtet worden ist. Stattdessen hat die Beklagte die Verringerung der Arbeitszeit über die Arbeitszeitkonten ihrer Mitarbeiter finanziert. Der Beklagten ist zuzugeben, dass dies für die betroffenen Arbeitnehmer den Vorteil hat, dass sie keine Verdiensteinbußen erleiden. Für die Verringerung der Arbeitszeit ist jedoch auch nach dem Tarifvertrag eine schriftliche und vom Betriebsrat unterzeichnete Betriebsvereinbarung zwingend erforderlich.

Auch aus § 7 Abs. 2 des Firmentarifvertrages ergibt sich nichts anderes. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht gegeben. Die Arbeit musste nicht aus Gründen ruhen, die weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zu vertreten haben. Es lag kein dort aufgezählter Beispielsfall vor. Ein Auftragseinbruch beim Hauptabnehmer MAN ist nicht gleichzusetzen mit Naturkatastrophen oder außerbetrieblichen Energiestörungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Wert des Streitgegenstandes folgt aus dem Geldwert der Minusstunden (44,4 Stunden x 15,16 € = 673,10 € brutto).

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