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Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung

Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage entscheidet über fristlose Kündigung

Das Arbeitsrecht sieht sich häufig mit der Herausforderung konfrontiert, die Grenzen zwischen persönlicher Freiheit und beruflicher Verantwortung zu definieren. Besonders brisant wird diese Fragestellung, wenn es um Vorwürfe der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz geht. Dies führt oft zu komplexen rechtlichen Auseinandersetzungen, in denen es um die Beurteilung von Verhaltensweisen und deren Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis geht. Im Zentrum steht hierbei die Frage, unter welchen Umständen eine fristlose Kündigung aufgrund einer behaupteten sexuellen Belästigung rechtlich haltbar ist.

Solche Fälle erfordern eine sorgfältige Prüfung der Umstände und eine Abwägung der Interessen beider Parteien. Dabei spielen nicht nur die direkten Beweise und Zeugenaussagen eine Rolle, sondern auch die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsrechts, die Pflichten der Arbeitnehmer und die Schutzrechte der betroffenen Personen. Die Entscheidung, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, hängt maßgeblich davon ab, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorliegt und ob die Fortsetzung des Dienstverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Dieses Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung bildet den Kern solcher rechtlichen Bewertungen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 22 Ca 1097/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Arbeitsgericht Berlin hat entschieden, dass die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters aufgrund des Verdachts der sexuellen Belästigung einer Kollegin rechtens ist. Die Kündigung wurde als wirksam angesehen, da der Kläger eine erhebliche Pflichtverletzung begangen hat, die das Arbeitsverhältnis untragbar machte.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Wirksamkeit der fristlosen Kündigung: Das Gericht wies die Klage gegen die fristlose Kündigung ab, da ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorlag.
  2. Vorwurf der sexuellen Belästigung: Der Kläger wurde beschuldigt, eine Kollegin sexuell belästigt zu haben, indem er ihre Brüste berührte, ohne ihre Einwilligung zu haben.
  3. Beweisführung und Glaubwürdigkeit: Die Zeugenaussagen, insbesondere die der betroffenen Kollegin, wurden vom Gericht als glaubwürdig eingestuft und dem Vortrag des Klägers widersprochen.
  4. Keine Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung: Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung wurde eine vorherige Abmahnung als nicht erforderlich angesehen.
  5. Interessenabwägung: Das Gericht nahm eine Interessenabwägung vor und befand, dass die Schwere der Pflichtverletzung ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ausschließt.
  6. Einhaltung der Kündigungsfristen: Die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Absatz 2 BGB wurde bestätigt.
  7. Rechtliche Vertretung und Wirksamkeit der Kündigung: Die Kündigung durch den Präsidenten der BAM war rechtlich wirksam, da er die nötige Vertretungsmacht besaß.
  8. Anhörung des Personalrats: Die Anhörung des Personalrats gemäß den gesetzlichen Vorschriften wurde korrekt durchgeführt.

Insgesamt bestätigt das Urteil die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung aufgrund schwerwiegender Pflichtverletzungen, hier speziell bei Vorwürfen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz.

Der Vorfall: Beginn einer rechtlichen Auseinandersetzung

Der Fall, der das Arbeitsgericht Berlin beschäftigte, dreht sich um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Im Kern der Auseinandersetzung standen die Ereignisse des 22. Dezember 2022. An diesem Tag besuchte die Zeugin S, eine ehemalige Auszubildende und jetzige Mitarbeiterin der Bundesanstalt für M (BAM), den Kläger in seinem Büro, um über Rückenschmerzen zu sprechen. Während des Gesprächs berührte der Kläger nach eigener Aussage mit Einwilligung von S ihren Rücken. Es kam zu weiteren Berührungen, die im Heraufschieben der Oberbekleidung von S, der Öffnung ihres Büstenhalters und letztlich in der Berührung ihrer Brüste mündeten. Die genauen Umstände dieser Berührungen waren zwischen den Parteien umstritten.

Rechtliches Problem: Sexuelle Belästigung und Pflichtverletzung

Der rechtliche Konflikt in diesem Fall entstand, als die Beklagte den Kläger mit einem Verdacht der Pflichtverletzung konfrontierte. Dieser Verdacht bezog sich auf das angebliche Angebot einer Rückenmassage, das Öffnen des BHs der Zeugin S und das Berühren ihrer Brüste ohne ihre Einwilligung. Der Kläger wies diese Vorwürfe zurück und behauptete, die Berührungen seien unbeabsichtigt erfolgt, als S sich ruckartig bewegt habe. Die rechtliche Herausforderung bestand darin, die Glaubwürdigkeit der Beteiligten und die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen zu bewerten, insbesondere im Hinblick auf die Vorwürfe sexueller Belästigung.

Gerichtliche Entscheidung: Kündigung rechtmäßig

Das Gericht entschied, dass die fristlose Kündigung des Klägers wirksam war. Es stellte fest, dass ein wichtiger Grund gemäß § 626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorlag, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machte. Das Gericht wertete die Handlungen des Klägers als sexuelle Belästigung und damit als eine erheblichePflichtverletzung. Diese Entscheidung basierte auf der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen und der Überzeugung, dass die Darstellung des Klägers nicht glaubwürdig war.

Urteilsbegründung: Die Rolle der Beweisaufnahme

In der Urteilsbegründung legte das Gericht dar, wie es zu seiner Überzeugung gelangte. Die Zeugenaussage von S wurde als glaubwürdig eingestuft, da sie detailliert und widerspruchsfrei war und genügend Realitätskennzeichen aufwies. Demgegenüber wurden die Aussagen des Klägers als Schutzbehauptungen gewertet. Das Gericht fand es unplausibel, dass die Berührungen versehentlich erfolgten. Die detaillierte Beweisaufnahme und die Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussagen spielten eine entscheidende Rolle in der Entscheidungsfindung.

Fazit und Ausblick

Der vorliegende Fall illustriert die Komplexität rechtlicher Auseinandersetzungen bei Vorwürfen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Entscheidung des Gerichts unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Beweisaufnahme und der Bewertung der Glaubwürdigkeit der beteiligten Parteien. Sie zeigt auch, dass Arbeitgeber bei Vorliegen gravierender Pflichtverletzungen das Recht haben, fristlose Kündigungen auszusprechen, insbesondere wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar angesehen wird. Dieser Fall dient als ein prägnantes Beispiel für die Notwendigkeit, solche Angelegenheiten gründlich zu untersuchen und fundierte rechtliche Entscheidungen zu treffen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird sexuelle Belästigung im Arbeitsrecht, speziell gemäß § 3 Absatz 4 AGG, definiert und rechtlich behandelt?

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wird gemäß § 3 Absatz 4 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Deutschland als „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“ definiert, das die Würde der betroffenen Person verletzt. Dies kann beispielsweise unerwünschte sexuelle Handlungen, Aufforderungen zu solchen Handlungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts oder das unerwünschte Zeigen und sichtbare Anbringen von pornografischen Darstellungen umfassen.

Arbeitgeber sind gemäß § 12 AGG dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten vor sexueller Belästigung zu schützen. Sie müssen präventive Maßnahmen ergreifen, um ein belästigungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen, und bei Kenntnis von sexuellen Belästigungen unverzüglich Maßnahmen zur Aufklärung und Abhilfe ergreifen. Je nach Schwere der Belästigung können arbeitsrechtliche Sanktionen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung gegen den Täter verhängt werden.

Betroffene Arbeitnehmer haben das Recht, sich bei einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz zu beschweren. Wenn der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen ergreift, um die Belästigung zu unterbinden, kann der Arbeitnehmer gemäß § 14 AGG seine Arbeitsleistung verweigern. Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer bei einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen, wenn dieser es schuldhaft unterlässt, angemessene Abhilfe zu schaffen.


Das vorliegende Urteil

ArbG Berlin – Az.: 22 Ca 1097/23 – Urteil vom 06.09.2023

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes (Beschwerdewert) wird auf 11.100,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 23.06.2003 in der Bundesanstalt für M (BAM) aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Kopie Anlage B 1; Bl. 107 ff. d. A.) als Mitarbeiter in der Prüfvorbereitung zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 3.700,00 Euro beschäftigt.

Der Kläger war in die Betreuung von Auszubildenden der BAM eingebunden. Zu diesen Auszubildenden gehörte die Zeugin (S), die ihre Ausbildung zum 04.07.2022 beendete und bei der BAM anschießend im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig war.

Am 22.12.2022 besuchte S den Kläger in seinem Büro und führte mit diesem ein Gespräch, in dessen Verlauf sie über Rückenschmerzen klagte. Der Kläger berührte daraufhin mit Einwilligung von S mit seinen Händen ihren Rücken. Im Verlauf der Berührungen kam es zunächst zu einem Heraufschieben der von S getragenen Oberbekleidung, dann zu einer Öffnung des von ihr getragenen Büstenhalters (BH) und schließlich zu einer Berührung ihrer Brüste durch den Kläger mit seinen Händen. Der Geschehensablauf im Einzelnen ist dabei zwischen den Parteien streitig.

Am 10.01.2023 führte die Beklagte mit dem Kläger ein Gespräch, in dem sie ihm mitteilte, dass aufgrund der ihr mitgeteilten Abläufe zum Besuch von S im Büro des Klägers gegen ihn der Verdacht einer Pflichtverletzung bestehe. Der Kläger verwies im Rahmen des Gesprächs unter anderem darauf, nicht perfekt Deutsch zu sprechen und daher zu befürchten, sich falsch auszudrücken.

Mit Schreiben vom 16.01.2023 (Kopie Anlage B 3; Bl. 49 ff. d. A.) gab die Beklagte dem Kläger nochmals Gelegenheit, zu dem aus ihrer Sicht bestehenden „Verdacht einer gravierenden Pflichtverletzung/Straftat“ Stellung zu nehmen. Hierbei hielt die Beklagte dem Kläger unter anderem vor, er habe S am 22.12.2022 eine Rückenmassage angeboten. In deren Verlauf habe der Kläger nach geäußertem Einverständnis von S auch ihren BH geöffnet. Ohne das Einverständnis von S habe er dann aber auch seine Hände unter ihren geöffneten BH geführt und gegen ihren Willen ihre Brüste berührt. Anschließend habe der Kläger S auch gefragt, ob er nochmal gucken dürfe. Ferner habe er zu S gesagt, dass sie so große Brüste habe und die Frage aufgeworfen, warum sie nicht öfter engere Anziehsachen trage.

Mit E-Mail vom 20.01.2023 (Ausdruck Anlage B 6; Bl. 55 f. d. A.) ließ der Kläger über seinen Rechtsanwalt erklären, er habe der über Schulter- und Rückenschmerzen klagenden S seinerzeit lediglich angeboten, ihren Rücken abzutasten. Im weiteren Verlauf habe S ungefragt selbst ihren BH geöffnet. Als der Kläger nach Abschluss der Behandlung den BH der S habe schließen wollen, habe diese sich zum gleichen Zeitpunkt ruckartig nach hinten bewegt, so dass er ihre Brüste mit seinen Händen jeweils seitlich berührt habe. Hierfür habe sich der Kläger sofort entschuldigt und S habe geäußert, sie habe nun einmal große Brüste und ziehe deswegen oft dicke Pullover an.

Mit Schreiben vom 23.01.2023 (Kopie Anlage B 7; Bl. 60 ff. d. A.) hörte die Beklagte den bei der BAM gebildeten Personalrat zu einer gegenüber dem Kläger beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung an. Der Personalrat äußerte hierzu mit Schreiben vom 24.01.2023 (Kopie Anlage B 8; Bl. 82 f. d. A.) Bedenken.

Mit einem durch den Präsidenten der BAM unterzeichneten Schreiben vom 26.01.2023 (Kopie Anlage B 10; Bl. 43 d. A.), dem Kläger am 27.01.2023 übergeben, sprach die Beklagte die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Der Kläger wies die Kündigung mit anwaltlichem Schreiben vom 01.02.2023 (Kopie Bl. 8 f. d. A.) unter Verweis auf eine möglicherweise fehlende Kündigungsberechtigung zurück.

Der Kläger hat mit einem am 01.02.2023 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 10.02.2023 zugestellten Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben, wobei wegen des Inhalts seines Vorbringens auf den Inhalt der Klageschrift (Bl. 1 ff. d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 02.07.2023 (Bl. 125 ff. d. A.) Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt nach Klagerücknahme im Übrigen zuletzt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Tat- beziehungsweise Verdachtskündigung vom 26.01.2023 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, wobei wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens auf ihre Schriftsätze vom 17.05.2023 (Bl. 26 ff. d. A.) und 29.08.2023 (Bl. 144 ff. d. A.) Bezug genommen wird.

Die Kammer hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin S. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.09.2023 (Bl. 150 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2023 ist wirksam und hat mit ihrem Zugang das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst.

1. Der Kläger hat zwar rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 13 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 4 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Kündigungsschutzklage erhoben, so dass die Kündigung nicht schon nach § 7 KSchG als wirksam gilt.

2. Der geltend gemachte Einwand der Rechtsunwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 26.01.2023 ist dabei jedoch unberechtigt, da ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gegenüber dem Kläger gemäß § 626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegeben ist.

a) Nach der vorgenannten Vorschrift müssen Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hierfür ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 –, Rn. 16 f., juris).

b) Ein an sich wichtiger Grund für den Ausspruch einer Kündigung ist gegeben. Der Kläger hat eine sexuelle Belästigung gemäß § 3 Absatz 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zum Nachteil einer Arbeitskollegin und damit zugleich eine Verletzung ihn aus dem Arbeitsverhältnis treffender Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Absatz 2 BGB begangen. Er hat am 22.12.2022 die Zeugin S unterhalb der Kleidung berührt und ohne ihre Einwilligung vorsätzlich mit seinen Händen ihre Brüste umfasst. Dies steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme gemäß § 46 Absatz 2 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) in Verbindung mit § 495 Absatz 1, § 286 Absatz 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zur Überzeugung der Kammer fest.

aa) Gemäß § 286 Absatz 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Insoweit setzt das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Es genügt eine solcher Grad an Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10 -, juris). Bei der Bewertung von Zeugenaussagen – wie auch bei der Bewertung der Äußerungen von Parteien im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung – hat das Gericht dabei eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen oder ob der Zeuge stattdessen bewusst oder unbewusst unwahr aussagt. Dabei ist das Gericht aber nicht dazu angehalten, der Aussage des Zeugen nur deshalb zu glauben, weil es ihn nicht der Lüge oder des Irrtums überführen konnte. Vielmehr ist es Aufgabe des Zeugen, das Gericht von dem Inhalt seiner Aussage zu überzeugen. Im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung geht es mithin nicht darum die Umstände zu verneinen, die gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugenangaben sprechen könnten, sondern es ist auf diejenigen Umstände abzustellen, welche die Richtigkeit der Aussage positiv bestätigen können (BGH, Beschluss vom 28.04.2003 – 1 StR 88/03 -, juris). Für die Ermittlung der Aussagequalität ist dabei von der Annahme auszugehen, die Aussage des Zeugen sei unwahr (sogenannte Nullhypothese). Ergibt die nachfolgende Prüfung, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt dann die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt. Die Glaubhaftigkeit einer Aussage ist dabei anhand des Auftretens sogenannter Realitätskennzeichen zu ermitteln (ausführlich dazu BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 –, juris, Rn. 12 ff.; zur Maßgeblichkeit der Glaubhaftigkeitskriterien bei der Beweiswürdigung im arbeitsgerichtlichen Verfahren siehe auch BAG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 –, juris, Rn. 39 sowie Hamacher/Happe, NZA 2021, 665; zu den einzelnen Realitätskennzeichen siehe Effer-Uhe/Mohnert, Psychologie für Juristen, Rn. 239 ff.).

bb) Daran gemessen konnte die Kammer hier die Überzeugung gewinnen, dass es sich bei dem Vortrag des Klägers, die Zeugin S nur versehentlich seitlich an den Brüsten berührt zu haben, um eine Schutzbehauptung handelt. Stattdessen hält die Kammer nach Vernehmung der Zeugin S die Behauptung der Beklagten für zutreffend, der Kläger habe die Brüste der Zeugin gezielt mit seinen Händen umfasst.

(1) Die Zeugin S hat bekundet, der Kläger habe am 22.12.2022 in seinem Büro ihren Rücken abgetastet. Ihr Rücken sei dabei nach Hochheben des von ihr getragenen T-Shirts frei gewesen. Sie habe auf einem Hocker vor dem Kläger gesessen und Dehnübungen machen sollen. Als sie ihre Arme über ihrem Kopf gehabt habe, habe der Kläger gefragt, ob er ihren BH aufmachen könne. Dazu habe sie ja gesagt. Der Kläger habe dann kommentiert, dass sie schöne Brüste habe. Danach habe sie seine Hände auf ihren Brüsten gespürt. Die Hände des Klägers seien unter dem BH gewesen, direkt auf der Haut. Er habe sie einmal angefasst, vielleicht für eine Sekunde.

(2) Demgegenüber hat der Kläger erklärt, er habe nach Ende des Abtastvorgangs der Zeugin beim Schließen ihres Sport-BHs helfen wollen, da nach den Übungen „alles vorne“ gewesen sei. Er habe daraufhin bei sich gedacht, die „Strapsen“ des BH „ranzuholen“. Die Zeugin habe sich dann aber zurückgelehnt und er habe ihre Brüste „gestriffen“.

(3) Der Vortrag des Klägers in Bezug auf das – unstreitige – Zustandekommen einer Berührung zwischen seinen Händen und den Brüsten der Zeugin ist nicht glaubhaft. Es erschließt sich schon nicht, warum der Kläger der Zeugin beim Schließen des BH unaufgefordert Hilfe hätte leisten sollen. So hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung besonders betont, die Zeugin habe selbst ihren Pullover nach oben geschoben und freiwillig ihren BH geöffnet. Jedenfalls erscheint es der Kammer aber nicht plausibel, dass und wie es dem Kläger gelungen sein könnte, anstelle nach den Verschlussenden des BHs versehentlich nach den Brüsten der Zeugin zu greifen. Soweit der Kläger hier eine plötzliche Rückwärtsbewegung der Zeugin behauptet hat, erschiene ein „Griff ins Leere“, ein instinktives Zurückziehen der Hände oder schlimmstenfalls ein Zusammenstoß der Hände mit dem Rücken der Zeugin jedenfalls weitaus wahrscheinlicher, als ein Streifen der Brüste infolge einer roboterartigen Fortführung einer Handbewegung von außen nach innen auf den Körper der Zeugin zu.

(4) Hingegen wertet die Kammer die Aussage der Zeugin S als Wiedergabe eines tatsächlich erlebten Geschehens.

(a) Die Zeugin war aussagetüchtig. Insbesondere war sie auch ohne Blickkontakt mit dem Kläger in der Lage, eine Berührung ihrer Brüste zu bemerken sowie die Art und Weise der Berührung zutreffend einzuordnen. So unterscheidet sich ein seitliches Streifen der Brüste erheblich von einem unmittelbar auf den Brüsten aufsetzenden Handgriff. Hinzu kommt, dass die Berührung der Brüste nach Bekundung der Zeugin unterhalb des BHs und damit auf der empfindsamen nackten Haut stattfand.

(b) Es liegen genügend Realitätskennzeichen in Bezug auf den Inhalt der Aussage vor. Die Schilderung der Zeugin S wies keine Brüche in der Darstellung zwischen Rand- und Kerngeschehen auf. Ihre Bekundungen zum Kerngeschehen waren insbesondere auch hinreichend detailgetreu. Die Zeugin hat insoweit geordnet und widerspruchsfrei wiedergegeben, warum und wie der Kläger mit dem Abtasten ihres Rückens begonnen hat und worin seine Berührungen gipfelten. Soweit sie etwa in Bezug auf das Hochheben ihrer Oberbekleidung (nach ihrer Schilderung handelte es sich um ein dickeres T-Shirt) bekundet hat, sich nicht mehr daran zu erinnern, ob sie oder der Kläger das Kleidungsstück nach oben geschoben habe, hat sie eine nachvollziehbare Erinnerungslücke sogleich offen eingeräumt. Gleiches gilt, soweit die Zeugin bekundet hat, sich nicht mehr an die einzelnen Dehnübungen und sämtliche Gesprächsinhalte erinnern zu können. Die entsprechenden Details betreffen gerade nicht das entscheidende Kerngeschehen.

(c) Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die Erinnerung der Zeugin im Zuge der Anhörungen durch die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung verfälscht wurde. So ist es die Zeugin selbst gewesen, die sich aufgrund des Vorfalls vom 22.12.2022 an die Beklagte gewandt hat. Ihre Beeinflussung durch eine suggestive Befragung liegt damit zunächst fern. Hierfür bestehen auch im Übrigen keine Anhaltspunkte. So war das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zu dem streitgegenständlichen Vorfall unbelastet und die Beklagte hatte zuvor auch zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, eine Beendigung der Beschäftigung des Klägers anzustreben und hierfür noch einen geeigneten Grund zu suchen.

(d) Die Zeugin war schließlich auch glaubwürdig. Insbesondere war keine Belastungstendenz in Bezug auf den Kläger erkennbar. Ein Interesse der Zeugin, den Kläger fälschlicherweise einer sexuellen Belästigung zu bezichtigen, ist nicht ersichtlich. Die Zeugin hat bekundet, im März 2023 freiwillig den Arbeitgeber gewechselt zu haben. Dass ein im Raum stehender sexueller Übergriff eines Kollegen ihre Verhandlungsposition gegenüber der Beklagten als seinerzeitigem Arbeitgeber gestärkt hätte, kann nicht angenommen werden. Auch von einer Strafanzeige gegen den Kläger aufgrund des Vorfalls am 22.12.2022 hat die Zeugin nach ihrem Bekunden abgesehen.

c) Eine vorangehende Abmahnung bedurfte es in Bezug auf das Fehlverhalten des Klägers nicht. So ist eine Abmahnung unter anderem dann entbehrlich, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 –, Rn. 22, juris). Eine so schwere Pflichtverletzung liegt hier vor. Wenngleich es darauf nicht entscheidend ankommt, dürfte das Verhalten des Klägers die Tatbestandsvoraussetzungen eines sexuellen Übergriffs nach § 177 Absatz 2 Strafgesetzbuch (StGB), jedenfalls aber die einer sexuellen Belästigung nach § 184i StGB erfüllen. Auch im Übrigen musste dem Kläger unmittelbar einleuchten, dass ein Griff unter die Kleidung einer Arbeitskollegin mit dem Ziel des Anfassens ihrer Brüste von einem Arbeitgeber unter keinen Umständen hingenommen und nur mit einer Kündigung würde beantwortet werden können. Da der Kläger den Vorfall im Kerngeschehen leugnet, kann zudem nicht davon ausgegangen, dass sich eine vergleichbare Pflichtverletzung nicht wiederholt.

d) Auch die abschließende Interessenabwägung fällt zum Nachteil des Klägers aus. Insbesondere kann der beanstandungsfreie Bestand des Arbeitsverhältnisses von über 19 Jahren dabei nicht zu einem Überwiegen des Interesses des Klägers an seiner weiteren Beschäftigung führen. Hierfür wiegt die Pflichtverletzung zu schwer. Der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung als milderes Mittel gegenüber einer fristlosen Kündigung käme überdies schon mit Blick auf die nach § 34 Absatz 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) bestehende Unkündbarkeit nicht in Betracht.

3. Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Absatz 2 BGB ist gewahrt. So hat die Beklagte unbestritten vorgebracht, am 04.01.2023 die Meldung über einen Fall sexueller Belästigung erhalten und am 05.01.2023 ein erstes Gespräch mit S geführt zu haben. Auch die nachfolgende Anhörung des Klägers am 10.01.2023 erfolgte hinreichend zeitnah. Mit Blick auf die durch den Kläger im Rahmen der Anhörung geäußerten Verständigungsschwierigkeiten war auch die daraufhin ebenfalls innerhalb einer Woche getroffene Entscheidung der Beklagten unschädlich, den Kläger mit Schreiben vom 16.01.2023 nochmals schriftlich anzuhören. Nach Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 20.01.2023 hat die Beklagte schließlich den Zugang der Kündigung am 27.01.2023 rechtzeitig bewirkt.

4. Die Kündigung ist zudem nicht nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Die Zurückweisung der Kündigung unter Verweis auf eine fehlende Vorlage einer Vollmachtsurkunde lief vielmehr schon deshalb ins Leere, da die Kündigung durch den Präsidenten des BAM nicht aufgrund rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht erklärt wurde. Die Vertretungsmacht ergibt sich vielmehr aus § 5 Absatz 2 des im Bundesanzeiger vom 09.02.2022 veröffentlichten Erlasses über die BAM vom 31.01.2022 (in Kopie eingereicht als Anlage B 11; Bl. 46 f.). Danach vertritt der Präsident der BAM die Beklagte gerichtlich und außergerichtlich in allen Angelegenheiten, welche die BAM betreffen.

5. Nach § 86 Satz 4 in Verbindung mit § 85 Absatz 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) ist die Kündigung ebenfalls nicht unwirksam. Die Beklagte hat den Personalrat des BAM mit Schreiben vom 23.01.2023 zur beabsichtigten fristlosen Kündigung angehört. Einwendungen gegen den Inhalt des Anhörungsschreibens bringt auch der Kläger nicht vor.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 Satz 1, § 269 Absatz 3 Satz 2. Der nach § 63 Absatz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) gegebenenfalls noch gesondert festzusetzende Gebührenstreitwert beläuft sich dabei auf (3.700,00 Euro x 3 =) 11.100,00 Euro. Die Entscheidung über die Wertfestsetzung in der Urteilsformel (Beschwerdewert) stützt sich auf § 61 Absatz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 2 ff. ZPO.

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