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Kündigungsschutz eines irrtümlich herangezogenen Ersatzmitglieds des Betriebsrats

ArbG Potsdam, Az.: 4 Ca 271/15, Urteil vom 29.04.2015

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2015, dem Kläger zugegangen am 30.01.2015, aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Polier über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 18.129,68 Euro.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und die Wirksamkeit einer Kündigung.

Der am … 1977 geborene, verheiratete und für 2 Kinder unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit Dezember 1996 als Mitarbeiter im Straßenbau, zuletzt als Polier, gegen ein Entgelt von ca. 4.500,00 Euro beschäftigt. Vor seiner Beschäftigung absolvierte er bei der Beklagten eine Ausbildung zum Straßenbauer und zwar in der Zeit von August 1993 bis August 1996.

Mit Schreiben vom 29. Januar 2015, welches dem Kläger am 30. Januar 2015 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2015. Der Kläger, der Ersatzmitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrates ist, nahm auf Einladung des Betriebsratsvorsitzenden an der Betriebsratssitzung vom 11. August 2014 teil.

Er macht die Unwirksamkeit der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung geltend und trägt vor, dass diese sozialwidrig sei. Er fordert die Beklagte auf, ihm gegenüber die getroffene soziale Auswahl, die hierzu herangezogenen Kriterien offenzulegen und meint, dass die Kündigung vor Abschluss der Anhörung des Betriebsrates ausgefertigt und ihm zugestellt worden sei. So habe die betreffende Betriebsratssitzung am 30. Januar bis 14:00 Uhr gedauert, die Beklagte aber bereits gegen 12:30 Uhr den Kurierdienst mit der Zustellung der Kündigung beauftragt. Schließlich meint der Kläger, dass er, da er als Ersatzmitglied des Betriebsrates an dessen Sitzung am 11.08.2014 teilgenommen habe, den Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genieße.

Er beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. Januar 2015, zugegangen am 30. Januar 2015, nicht aufgelöst wurde;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Polier über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass sie in dem Bereich der Fertigung von Straßenbetonfertigteilen, in dem der Kläger als Kolonnenführer tätig war, über die letzten Jahre zwei Kolonnen mit der Fertigung von Betonteilen beschäftigt habe. Aufgrund von Ausschreibungen im Jahr 2014 und der daraus zu schlussfolgernden Ausschreibung für 2015 sei sie davon ausgegangen, dass im Jahre 2015 der Umsatz bei der Fertigung von Betonteilen um 1,5 Millionen Euro zurückgehen werde. Sie habe sich deswegen entschlossen, nicht mehr mit zwei Kolonnen, sondern nur noch mit einer Kolonne solche Teile zu fertigen bzw. zu bauen.

Hinsichtlich der sozialen Auswahl verweist die Beklagte auf die als Anlage zum Schriftsatz eingereichte Anlage (Blatt 40f der Akte) und erklärt, dass sich hieraus die Sozialdaten aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergäben, woraus zu entnehmen sei, dass der Kläger gegenüber den vergleichbaren Arbeitnehmern sozial weniger schutzwürdig sei.

Der Kläger genieße auch nicht den Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied, da er zum einen nicht an der Sitzung teilgenommen habe, zum anderen sei er fälschlicherweise zu der Sitzung geladen worden.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der Akte, die Ausführungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der Erörterung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Beklagte konnte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger nicht durch die Kündigung vom 29. Januar 2015 beenden. Die Kündigung ist unwirksam.

Ein Arbeitgeber ist immer dann berechtigt ein Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zu kündigen, wenn auf Grund inner- oder, wie hier vorgebracht, außerbetrieblicher Umstände, eine unternehmerische Entscheidung, dazu geführt hat, dass der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen ist.

So kann zunächst dahinstehen, ob der Beklagten wegen der Entscheidung eine Kolonne im Bereich der Beton-Fertig-Teile einzusparen entsprechend § 1 KSchG Gründe zur Seite stehen, die sie berechtigten das Arbeitsverhältnis aus einem dringenden betrieblichen Erfordernis heraus zu kündigen.

Jedenfalls ist die Kündigung unwirksam, da die Beklagte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bei der Auswahl des Klägers als zu kündigenden Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltsverpflichtungen und gegebenenfalls Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Entsprechend § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen die Gründe, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben, offenzulegen.

Insoweit besteht eine abgestufte Darlegungslast. Der Arbeitgeber muss im Prozess substantiiert Gründe vortragen, die ihn zu seiner Auswahl veranlasst haben. Erst nach Erfüllung dieser Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für Fehler in der sozialen Auswahl.

Die Erfüllung der Auskunftspflicht verlangt zunächst, dass mitgeteilt wird, auf welchen Organisationsbereich die soziale Auswahl in betrieblicher Hinsicht erstreckt wurde und welche Arbeitnehmer mit dem klagenden Arbeitnehmer weswegen als vergleichbar angesehen worden sind. Schon daran fehlt es vorliegend. Die Beklagte bezieht sich insoweit lediglich auf Anlagen, aus denen weder für das Gericht noch für den Kläger ersichtlich ist, welche Arbeitnehmer sie für vergleichbar mit dem Kläger gehalten hat. Es erschließt sich nicht einmal, ob die Vergleichbarkeit lediglich in Bezug auf den zweiten Kolonnenführer, der in dem gleichen Bereich wie der Kläger tätig war, erstreckt wurde oder auch auf die weiteren bei der Beklagten als Kolonnenführer beschäftigten Poliere.

Ferner hat der Arbeitgeber die Sozialdaten aller aus seiner Sicht vergleichbaren Arbeitnehmer darzutun. Dem wäre die Beklagte mit der Liste, die sie zur Akte reichte, nachgekommen, soweit nachvollziehbar wäre, welche Arbeitnehmer als vergleichbar angesehen werden.

Zu den im Rahmen der Auskunftspflicht mitzuteilenden Umstände gehören jedoch ferner auch betriebliche Interessen, die zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer geführt haben und es gehört vor allem Dingen dazu, darzutun, welche Kriterien (Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen etc.) in welcher Weise, wie, miteinander verglichen worden sind. Aus der Angabe lediglich des Lebensalters, der Anzahl der Unterhaltsverpflichtungen sowie die Betriebszugehörigkeit ergibt sich nicht, wie die Beklagte diese einzelnen Kriterien gegeneinander abgewogen und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass dem Kläger zu kündigen war.

Die Kündigung ist aber auch unwirksam und die Klage auch deswegen begründet, da der Kläger besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genießt.

So gewährt § 15 KSchG Ersatzmitgliedern des Betriebsrates solange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied vertreten, besonderen Kündigungsschutz. Der besondere Kündigungsschutz besteht für die Dauer eines Jahres nach dem Ende der Tätigkeit als Ersatzmitglied fort (vgl. BAG vom 19. April 2012, 2 AZR 233/11 Rn. 41 m.w.N.).

Vorliegend stand dem Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 KSchG zu, da der Kläger am 11. August 2014 als Betriebsrat tätig geworden ist.

Dies auch für den Fall, dass der Kläger, wie die Beklagte meint, zu Unrecht zu der Betriebsratssitzung herangezogen worden sein sollte.

Soweit die Beklagte bestritt, dass der Kläger an der Sitzung überhaupt teilgenommen hat, ist dieses Bestreiten unbeachtlich. So legte der Kläger auf den Einwand der Beklagten, dass er im Arbeitszeitbogen die Betriebsratstätigkeit nicht erfasst habe seinen konkreten Tagesablauf am 11.08.2014 dar und legte das Protokoll der Betriebsratssitzung vor. Dieses weist seine Teilnahme aus. Die Beklagte hätte diesen Vortrag weiter substantiiert bestreiten können, indem sie beispielsweise angibt, wieso das Protokoll unrichtig sein sollte. Da dies nicht erfolgte ist prozessual von der Teilnahme an der Sitzung auszugehen.

Nach § 25 BetrVG sind Ersatzmitglieder, die wegen der zeitweiligen Verhinderung eines regulären Betriebsratsmitgliedes tätig werden, für die Dauer ihrer Vertretung Betriebsratsmitglieder. So bestimmt § 25 Abs. 1, dass soweit ein Mitglied aus dem Betriebsrats ausscheidet, ein Ersatzmitglied nachrückt. Nach Satz 2 soll dies entsprechend für die Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten Mitgliedes des Betriebsrates gelten. Entsprechend Absatz 2 sind die Ersatzmitglieder unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 BetrVG nach der Reihe aus den nichtgewählten Arbeitnehmern derjenigen Vorschlagslisten zu entnehmen, denen die zu ersetzenden Mitglieder angehören.

Soweit die Beklagte vorträgt, dass ein Vertretungsfall nicht gegeben ist oder wie in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2015 erklärt, ein anderes Ersatzmitglied vorrangig zu laden gewesen wäre, vermag dies nicht den Kündigungsschutz nach § 15 KSchG des Klägers entfallen zu lassen. Zwar ist der Beklagten insoweit zuzugestehen, dass der Kläger, soweit er nicht als Ersatzmitglied heranzuziehen gewesen wäre, auch kein Betriebsratsmitglied geworden ist, selbst wenn er an der Betriebsratssitzung teilgenommen hat. So bestimmt § 25 ausdrücklich, dass Mitglied des Betriebsrates in der Stellvertretung nur das Ersatzmitglied werden kann, das entsprechend Absatz 2 nachrückt.

Jedoch ist Sinn und Zweck der Regelung des § 15 KSchG, dass die unabhängige pflichtgemäße Ausübung des Betriebsratsamtes dadurch gewährleistet wird, dass der Arbeitgeber nach dem Amtsende ein Jahr lang gehindert ist, eine Kündigung des früheren Betriebsratsmitgliedes ohne wichtigen Grund auszusprechen. „Das Gesetz“, so führt das BAG in der Entscheidung vom 19.04.2012, (2 AZR 233/11, Rz. 41) aus: „setzt darauf, dass sich in dieser Zeit eine mögliche Verärgerung des Arbeitgebers über die Amtsgeschäfte des Betriebsratsmitglieds deutlich legt und dieses deshalb während seiner aktiven Zeit unbefangen agieren lässt.“

Das BAG führt weiter aus, dass, soweit das Ersatzmitglied des Betriebsrates an keinen Sitzungen des Betriebsrates teilgenommen oder sonst Betriebsratstätigkeiten ausgeübt hat, es keinen Anlass zu möglichen negativen Reaktionen auf die Amtsausübung gegeben hat und deswegen es keines besonderen Schutzes bedarf (vgl. auch BAG vom 08. September 2011, 2 AZR 388/10).

Demnach ist aber der Arbeitnehmer, der als Betriebsrat tätig wird oder an Sitzungen des Betriebsrates teilgenommen hat, jedenfalls dann, wenn er hierzu in Annahme einer Vertretungssituation von dem Betriebsratsvorsitzenden eingeladen wurde, entsprechend zu schützen. Auch hier muss sichergestellt sein, dass sich ein eventueller Ärger des Arbeitgebers über die vermeintliche Amtsführung des Betriebsratsmitgliedes bzw. stellvertretenden Mitgliedes legt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Amtsführung tatsächlich Anlass zum Ärger des Arbeitgebers gegeben hat. Sinn und Zweck der Regelung ist lediglich zu verhindern, dass im Ärger über Amtsführungen Kündigungen ausgesprochen werden.

Für den Kläger war nicht erkennbar, dass er gegebenenfalls zu der Sitzung vom 11. August 2014 nicht das heranzuziehende Ersatzmitglied gewesen sein könnte. Wollte man ihm deswegen den besonderen Kündigungsschutz verweigern, würde dies bedeuten, dass Ersatzmitglieder, die wegen der Verhinderung originärer Betriebsratsmitglieder für den Betriebsrat tätig werden oder an deren Sitzungen teilnehmen, in jedem einzelnen Fall prüfen müssten, ob ihre Heranziehung zu dieser Betriebsratstätigkeit oder -Sitzung in der richtigen Art und Weise erfolgt ist. Dadurch würde ihre, aber auch die Arbeit des Betriebsrates, erheblich erschwert: Daraus folgt, dass der Schutzzweck der Norm gebietet, den Kündigungsschutz auch auf Personen auszudehnen, die unerkannt fälschlicher Weise zu Tätigkeiten des Betriebsrates bzw. seinen Sitzungen herangezogen werden. Dies jedenfalls dann, soweit keinerlei Umstände ersichtlich sind aus denen geschlossen werden könnte, dass die Heranziehung offensichtlich fehlerhaft oder aber zu dem Zweck erfolgte, besonderen Kündigungsschutz zu generieren. An Anhaltspunkten dafür, dass, für den Kläger oder einen anderen erkennbar, seine Heranziehung zu der Betriebsratssitzung im August 2014 fehlerhaft erfolgt sein könnte, mangelt es genauso wie an Anhaltspunkten dafür, dass die Heranziehung zum Zweck der Generierung eines besonderen Kündigungsschutzes erfolgt sein sollte.

Die Entscheidung zur Weiterbeschäftigung folgt den Grundsätzen, die das Bundesarbeitsgericht entwickelt hat und versteht sich als Anspruch bis zur Rechtskraft der Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Der Streitwert war entsprechend §§ 12 Abs. 7 ArbGG, 3 ff. ZPO festzusetzen.

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