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Diebstahl geringwertiger Wirtschaftsgüter – fristlose Kündigung

ArbG Würzburg: Verdachtskündigung wegen Diebstahls geringwertiger Wirtschaftsgüter unzulässig

Im Arbeitsrecht steht das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Mittelpunkt. Die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses markiert einen gravierenden Einschnitt, der durch schwerwiegende Gründe gerechtfertigt sein muss. Ein solcher Grund kann der Diebstahl von Firmeneigentum sein, auch wenn es sich um Wirtschaftsgüter von geringem Wert handelt. In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwieweit ein Verdacht ausreichend ist, um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen.

Die Beweisführung und die korrekte Anhörung des Betriebsrats spielen dabei eine entscheidende Rolle, um die Rechte beider Parteien zu wahren. Die juristische Auseinandersetzung dreht sich somit um die Aspekte des Kündigungsschutzgesetzes, des Vertrauensgrundsatzes und der sozialen Gerechtigkeit, die das Arbeitsrecht prägen und im Falle einer strittigen Kündigung von zentraler Bedeutung sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Ca 65/20  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Arbeitsgericht Würzburg hat entschieden, dass die fristlose sowie die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund des Diebstahls geringwertiger Wirtschaftsgüter nicht gerechtfertigt waren, da die Beweislast von der Beklagten nicht erfüllt werden konnte und somit das Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Zentrale Punkte des Urteils:

  1. Unzureichende Beweislage: Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass der Kläger tatsächlich die zwei Flaschen Jägermeister gestohlen hat.
  2. Kündigungsschutzgesetz: Das Arbeitsverhältnis fällt unter den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), weshalb eine hohe Beweislast für eine fristlose Kündigung erforderlich ist.
  3. Fristgerechte Klageerhebung: Der Kläger hat fristgerecht gegen die außerordentliche und ordentliche Kündigung Klage erhoben.
  4. Bedeutung der Betriebsratsanhörung: Es wurde in Frage gestellt, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß zur Kündigung angehört wurde.
  5. Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst: Das Gericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis durch keine der Kündigungen aufgelöst wurde.
  6. Verdachtskündigung unzulässig: Die vom Arbeitgeber vorgebrachte Verdachtskündigung scheiterte, da die Verdachtsmomente nicht intensiv genug waren.
  7. Persönlichkeitsrecht: Mit dem unbegründeten Vorwurf des Diebstahls wurde in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen.
  8. Kosten des Rechtsstreits: Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, und der Streitwert wurde auf 12.092,00 € festgesetzt

Rechtsstreit um Kündigungsrechtigkeit beim Arbeitsgericht Würzburg

Im Zentrum des arbeitsrechtlichen Streits stand die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen sowie einer ordentlichen Kündigung, die von einem Großhandelsunternehmen gegenüber einem ihrer Kommissionierer ausgesprochen wurden. Dieser Fall, der vor dem Arbeitsgericht Würzburg unter dem Aktenzeichen 4 Ca 65/20 verhandelt wurde, drehte sich um den Vorwurf des Diebstahls geringwertiger Wirtschaftsgüter, genauer gesagt um zwei Flaschen Jägermeister, die aus einem aufgerissenen Paket verschwunden waren. Der Kläger, der seit Mai 2016 in dem Großhandelslager tätig war, bestritt die Tat und focht die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen an. Die rechtliche Auseinandersetzung war geprägt von der Abwägung zwischen der Schwere der Anschuldigung und dem Fehlen eindeutiger Beweise.

Beweisführung und Verdacht – eine juristische Gratwanderung

Die juristische Herausforderung des Falls lag insbesondere in der Beweisführung und der Frage, inwieweit der Verdacht eines Diebstahls eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann, ohne dass eindeutige Beweise vorliegen. Der Kläger gab an, er habe sich lediglich im Trockensortiment aufgehalten, um Getränke und eventuell ein Brötchen zu erwerben, da der Getränkeautomat im Frischebereich leer gewesen sei. Diese Darstellung blieb allerdings widersprüchlich und wurde von der Beklagten angezweifelt.

Urteilsfindung mit Fokus auf Glaubwürdigkeit und Persönlichkeitsrechte

Das Gericht setzte sich ausführlich mit den widersprüchlichen Aussagen des Klägers auseinander, wobei besonders die Glaubwürdigkeit seiner Schilderungen im Fokus stand. Insbesondere wurde die Frage gestellt, ob die Aufnahmen einer Überwachungskamera, die den Kläger beim Aufreißen des Pakets zeigen sollten, als Beweismittel ausreichten. Die Beklagte konnte allerdings das besagte Video nicht vorlegen, was die Beweislage erheblich schwächte.

Kündigung ohne ausreichende Beweise – ein wegweisendes Urteil

Das Arbeitsgericht Würzburg kam zu dem Schluss, dass die Beklagte nicht nachweisen konnte, dass der Kläger der Täter des Diebstahls war. Es wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch keine der beiden Kündigungen aufgelöst wurde. Die außerordentliche sowie die ordentliche Kündigung wurden somit für unwirksam erklärt. In der Urteilsbegründung betonte das Gericht, dass bei schwerwiegenden Anschuldigungen, die das Persönlichkeitsrecht und die Ehre des Arbeitnehmers betreffen, eine deutliche Überzeugungsbildung notwendig sei. Da jedoch eingehende Zweifel bestanden und der letzte einwandfreie Zustand des Kollis nicht festgestellt werden konnte, war der Vorwurf des Diebstahls nicht ausreichend begründet.

Das Urteil zeigt auf, wie entscheidend die Beweislast bei der Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung ist und welche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweispflicht des Arbeitgebers gestellt werden. Darüber hinaus wird die Bedeutung der Betriebsratsanhörung hervorgehoben, da eine Verdachtskündigung auch das Anhörungsrecht des Betriebsrats umfasst. Das Fehlen dieser Anhörung stellt einen weiteren Grund für die Unwirksamkeit der Kündigung dar.

Die Tragweite des Urteils erstreckt sich auf die Praxis des Arbeitsrechts und unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen und umfassenden Beweisführung durch den Arbeitgeber bei Kündigungen, die auf Verdachtsmomenten basieren. Der Fall dient als ein prägnantes Beispiel für die Bedeutung des Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“ im Arbeitsrecht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Inwiefern beeinflusst der Diebstahl geringwertiger Sachen die Rechtmäßigkeit einer Kündigung?

Der Diebstahl geringwertiger Sachen kann die Rechtmäßigkeit einer Kündigung beeinflussen, da er das arbeitsrechtliche Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stört. Der Wert des gestohlenen Gegenstands spielt dabei meist keine entscheidende Rolle. Es geht vielmehr um den Vertrauensbruch, der durch den Diebstahl verursacht wird.

In der Regel führt ein Diebstahl zu einer außerordentlichen Kündigung, die das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung vertraglicher oder gesetzlicher Kündigungsfristen beendet. Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass der Diebstahl oder die Unterschlagung geringwertiger Sachen grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt.

Allerdings können bestimmte Umstände dazu führen, dass eine außerordentliche Kündigung unwirksam ist. In solchen Fällen muss das Arbeitsverhältnis auf ordentlichem Wege, also unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen, beendet werden. Beispielsweise kann die Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung wegen eines Bagatell-Diebstahls daran scheitern, dass das für die Fortsetzung eines langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nicht unwiederbringlich zerstört ist.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass eine fristlose Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes erfolgen muss. Darüber hinaus kann eine fristlose Kündigung zu einer Sperrzeit von bis zu 12 Wochen für das Arbeitslosengeld führen.

In bestimmten Fällen, insbesondere bei sehr langjährigen Arbeitsverhältnissen, kann es geboten sein, statt der außerordentlichen fristlosen lediglich eine fristgemäße Kündigung auszusprechen. In einem Fall, in dem es um die Unterschlagung einer sehr geringwertigen Sache ging, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung unwirksam sein kann und stattdessen eine Abmahnung als milderes Mittel erforderlich ist.

Es ist auch zu beachten, dass strafrechtliche Verfahren für die arbeitsrechtliche Beurteilung der Kündigung grundsätzlich irrelevant sind. Darüber hinaus kann eine verdeckte Videoüberwachung des Arbeitnehmers ausnahmsweise zulässig sein, soweit dringende Verdachtsmomente den Diebstahl nahelegen und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen.


Das vorliegende Urteil

ArbG Würzburg – Az: 4 Ca 65/20 – Endurteil vom 07.05.2020

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 04.01.2020 nicht aufgelöst ist. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 13.01.2020 nicht aufgelöst ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 12.092,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentliche wie auch einer ordentlichen Kündigung. Der … geborene Kläger ist seit Mai 2016 bei der Beklagten als Kommissionierer in deren Großhandelslager in … tätig. Er verdiente zuletzt … € brutto monatlich, bei der Beklagten ist ein Betriebsrat vorhanden. Die verschiedenen Produktgruppen des Großhandelslagers (gelistet Bl. 29. d. Akte) sind in jeweils unterschiedlichen Bereichen dieses Lagers untergebracht. Der Kläger war im sogenannten „Frischebereich“ tätig. Am 22.12.2019 fuhr der Kläger unter Mitnahme eines sogenannten Flurförderzeugs (Ameise) zusammen mit einem Kollegen namens …, dieser ebenfalls mit einer Ameise versehen, vom Frischebereich ca. 194 m bis in den Trockenbereich. Er fuhr im Trockenbereich zum Teil noch in einen Gang des Trockenbereichs hinein. Die beiden Ameisen wurden dort abgestellt. Als die Arbeitnehmer zeitlich später den Trockenbereich mit den Ameisen wieder verlassen wollten, wurden sie von zwei Schichtleitern angesprochen.

Hintergrund war, dass in dem genannten Gang ein sogenannter Kolli (Packungseinheit) aufgerissen und hieraus zwei Flaschen Jägermeister á 0,04 l verschwunden gewesen sind.

Die Beklagte hat mit dem Kläger zeitlich später ein Gespräch geführt und ihm hierbei unter anderem einen Aufhebungsvertrag angeboten, was der Kläger ablehnte. Am 04.01.2020 wurde das Arbeitsverhältnis außerordentlich hilfsweise zum nächst möglichen Termin aufgekündigt. Am 13.01.2020 erfolgte eine erneute Kündigung, nunmehr ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen am 22.01.2020 Klage erhoben. Er bringt vor, er habe, wie dies üblich gewesen sei, während seiner Arbeitszeit den anderen Bereich aufgesucht, um sich dort zu versorgen. Die Flaschen will er nicht entwendet haben. Er habe vielmehr mit dem Kollegen … zusammen während der Pause ein Getränk holen wollen und sei deswegen mit der Ameise bis zur Abteilung Trockensortiment gefahren. Der im Bereich Frische vorhandene Automat soll geleert gewesen sein. Im Bereich Trockensortiment habe man die Ameisen abgestellt, sei sodann von dort die Treppe hoch zur Kantine gegangen habe sich Getränke geholt und dann wieder die Ameisen aufgegriffen um zu Arbeitsplatz zurückzukehren. Der als Partei vernommene Kläger hat daneben ausgeführt, man habe die Ameisen im Gang des Trockensortiments abgestellt, da sie dort noch von der Beleuchtung des übrigen Bereichs erfasst gewesen sein sollen. Das Trockensortiment selbst war an diesem Tag dunkel, sonntags wurde dort nicht gearbeitet wird. Er habe den Kollegen in die Kantine begleitet, weil dieser dort ein belegtes Brötchen essen wollte. Er selbst habe lediglich ein Getränk kaufen wollen, sich aber dann doch entschieden ein Brötchen zu holen, hierbei will er erfahren haben, dass man an diesem Tag nichts kaufen kann, weil während der Pausenzeit jeder zwei Gratisbrötchen bekomme anlässlich des Feiertages.

Die Kantine sei normalerweise ab 21 Uhr geöffnet, es sollen aber schon vorher Leute da sein, die die Brötchen vorbereiten. Bei der Ankunft vor der Treppe zur Kantine will der Kläger beim Abstellen der Ameisen ein Zwei-Euro-Stück verloren haben. Dieses sei auf den Boden gefallen und er habe es gesucht. Dazu habe er sich bücken müssen.

Der Kläger hat daneben in Abrede gestellt, dass der Betriebsrat zur Kündigung ordnungsgemäß angehört worden ist.

Er beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 04.01.2020 nicht aufgelöst ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 13.01.2020 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage wird abgewiesen.

Nach Auffassung der Beklagten besteht ein Grund zur fristlosen Kündigung, soll doch der Kläger am 22.12.2019 zum einen eine Verpackungseinheit beschädigt und zum andern hieraus zwei Flaschen Jägermeister entwendet haben.

Der Kläger sei dabei beobachtet worden, wie er mit seiner Ameise am 22.12.2019 im Getränkebereich in einen der Gänge eingefahren ist. Dort habe er ein Getränkepaket aufgerissen und die zwei Flaschen Jägermeister an sich genommen. Im Termin wurde dies dahingehend präzisiert, dass es ein Video gibt, welches zeige, wie der Kläger sich von der Ameise weg in den maßgeblichen Gang begebe und sich dann an der Ware zu schaffen machte.

Dem Vortrag der Beklagten nach bestand keinerlei Veranlassung, den Frischebereich zu verlassen und andere Bereiche aufzusuchen. Die Beklagte habe im gesamten Großlager verschiedene Getränkeautomaten aufgestellt. Dies gerade um solche Ausflüge der Mitarbeiter zu vermeiden. Es gäbe auch kein Recht die Versorgungsbereiche außerhalb der Pausenzeiten aufzusuchen. Dafür seien die Pausenzeiten ja da. Die Einlassung des Klägers hält die Beklagte für Schutzbehauptungen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der Kläger in seiner Einlassung sehr schwankend gewesen ist. Er habe bei der ersten Befragung vom 27.12.2019 kein Wort darüber verloren, dass der Getränkeautomat im Bereich Frische leer gewesen sein soll und er deswegen in die Kantine musste. Im Übrigen hat die Beklagte unter Vorlage einer Skizze des Lagers darauf hingewiesen, dass an der Treppe zur Kantine ein Getränkeautomat gestanden habe, sodass auch das Aufsuchen der Kantine unnötig gewesen sein soll. Selbst der Kläger habe nicht behauptet, dieser Getränkeautomat sei leer gewesen. Ungeachtet dessen will er aber zu den 194 m, die er sich bereits vom Frischebereich entfernt habe, weitere 136 m hinter sich gebracht haben um zur Kantine zu gehen. Der Vortrag bezüglich der zwei Euro wird als Schutzbehauptung angesehen. Das Video zeige, wie der Kläger sich an der Ware zu schaffen mache. Im Übrigen sei die Kantine normalerweise erst ab 21.00 Uhr auf. Allerdings sollen dort schon vorher Leute anwesend gewesen sein, die die Brötchen vorbereiten.

Nachdem der Kläger mit seiner Ameise den Bereich Trockensortiment verlassen habe, sei er dort kontrolliert und die Sache mit den Jägermeistern aufgedeckt worden. Wenn dem Kläger kein Diebstahl nachgewiesen werden könne, müsse doch jedenfalls von einer Verdachtskündigung ausgegangen werden.

Bezüglich der Betriebsratsanhörung, hat die Beklagten vorgetragen, dieser sei ordnungsgemäß angehört worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Klägers als Partei zum Diebstahlsvorwurf, daneben zur Frage der Betriebsratsanhörung durch Anhörung des Zeugen P.. Bezüglich der Einzelheiten dieser Beweiserhebung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht im Urteilsverfahren folgt aus § 2 Abs. 1 Ziffer 3 b mit Abs. 5 ArbGG. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergibt sich aus §§ 12 mit 17 ZPO.

Auch in der Sache ist die Klage begründet. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bzw. ein die Kündigung sozial rechtfertigender Grunde im Sinne des § 1 S. 2 KSchG ist von der Beklagten zur Überzeugung des Gerichts nicht ausreichend nachgewiesen worden.

Im Einzelnen:

Das Arbeitsverhältnis des Klägers unterfällt nach § 1 mit § 23 KSchG dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Der Kläger hat gegen die beiden ausgesprochenen Kündigungen fristgerecht sowohl im Sinne von § 13 KSchG, was die außerordentliche Kündigung angeht, als auch im Sinne von § 4 KSchG, was die ordentliche Kündigung angeht, Klage erhoben. In der Folge waren die Kündigungen auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes bzw. auf ihre soziale Rechtfertigung zu überprüfen.

Die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung bemisst sich an § 626 Abs. 1 BGB. Demnach kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist … nicht zugemutet werden kann.

Eine ordentliche Kündigung des unter das KSchG fallenden Arbeitsverhältnisses wäre hier gegebenenfalls aus verhaltensbedingten Gründen möglich.

Sowohl die außerordentliche wie auch die ordentliche Kündigung fußt auf dem Vorwurf des Diebstahls der beiden Jägermeisterflaschen, bzw. dem Verdacht eines solchen Diebstahls.

Der Diebstahl auch geringwertiger Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich geeignet eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Er taugt auch als verhaltensbedingter Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung.

Darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Kläger tatsächlich einen Diebstahl begangen hat, bzw. für die Tatsachen, die evtl. eine Verdachtskündigung rechtfertigen, ist die Beklagte.

Diese Beweislast hat die Beklagte allerdings nicht schultern können.

Unstreitig ist es zum Verlust von zwei Jägermeisterflaschen á 0,04 l bzw. zur Beschädigung des entsprechenden Kollis gekommen. Ebenso unstreitig, war der Kläger vor der Aufdeckung dieses Schadens im Bereich des Trockensortimentes, obwohl er zu dieser Zeit eigentlich dort nichts zu suchen hatte. Dass der Kläger aber tatsächlich derjenige gewesen ist, der den Kolli beschädigt und die Jägermeisterflaschen entnommen hat, hat die Beklagte nicht nachweisen können. Der Kläger war im Bereich Frischesortiment tätig und hatte an sich im Bereich des Trockensortiments nicht zu suchen. Er war dort auch außerhalb seiner Pausenzeit mit einem Kollegen unterwegs. Der Kläger hat weiterhin seine Ameise im Teil in einen Gang des Bereichs Trockensortiment hineingefahren. In diesem Gang befand sich auch der Kolli mit den Jägermeisterflaschen. Daneben hat sich der Kläger von seiner Ameise weg in Richtung auf die Getränkepakete hinbewegt.

Daraus ergibt sich für das Gericht aber noch nicht zu seiner Überzeugung, dass der Kläger auch das Paket aufgerissen und die beiden Jägermeisterflaschen entwendet hat. Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Kläger sich im Laufe des Verfahrens nicht einheitlich zum Sachverhalt eingelassen hat. So hat er bei der Befragung vom 27.12.2019 nicht erwähnt, dass der Frischeautomat leer ist. Im Übrigen ist der Vortrag des Klägers dazu, warum er die Kantine aufgesucht hat, wenn er denn nur ein Getränk kaufen will, auch nicht widerspruchsfrei. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass sich an der Treppe zur Kantine, also 136 m näher, ein Getränkeautomat befunden hat, der nicht leer gewesen ist.

Dazu vernommen hat der Kläger erklärt, er habe den Kollegen in die Kantine begleiten wollen, da der Kollege dort ein Brötchen kaufen wollte. Dort angekommen habe er sein Getränk gezogen, dann auch ein Brötchen kaufen wollen, aber erfahren, dass man an diesem Tag nichts kaufen kann.

Beklagtenseits ist dies in Abrede gestellt worden.

Auch die Art und Weise der Abstellung der Ameise, sprich die Abstände, die die Ameisen des Klägers und des Zeugen … voneinander gehabt haben, ist etwas widersprüchlich geblieben. Den Vorgang, sich zu den Getränkepaketen hin bewegt zu haben, hat der Kläger jedoch sehr nachvollziehbar erläutert. Er will sich vom Arbeitskollegen … ein Zwei-EuroStück geliehen haben für den Automaten. Beim Abstellen der Ameise sei ihm dieses Zwei Euro-Stück aus der Hand gefallen. In der Befragung vom 23.12.2019 soll es ihm noch aus der Hose gefallen sein. Er habe sich dann bücken und dieses Zwei-Euro-Stück suchen müssen, da dieses bei den Getränkepaketen niedergefallen sei.

Selbst wenn man zugunsten der Beklagten und zu Lasten des Klägers davon ausgeht, dass die Geschichte in und um die Getränke- bzw. Brötchenbesorgung etwas schwammig und widersprüchlich geblieben ist, ist doch damit noch nicht der Beweis geführt, dass es der Kläger war, der den Kolli aufgerissen und den Jägermeister an sich genommen hat. Der Einwand, sich nach einem Geldstück gebückt zu haben und sich deswegen auf die Getränkepakete zu bewegt zu haben, ist örtlich nachvollziehbar und keineswegs lebensfremd. Es wird jedem selbst schon einmal passiert sein, dass ihm ein Geldstück entglitten ist und er sich dann auf machen musste, um dieses Geldstück wieder aufzuheben. Dass dies auf einem gegebenenfalls von hinten gefilmten Video so aussehen mag als mache sich der Kläger an dem Getränkekolli zu schaffen ist ebenfalls nachvollziehbar. Dass er dies tatsächlich getan hat in der Form, den Getränkekolli aufzureißen und die Jägermeisterflaschen zu entnehmen, ergibt sich daraus für das Gericht aber nicht.

Die Beklagte hat es leider unterlassen, dieses Video oder aber Bilder dieses Videos in den Prozess einzuführen, sodass auch nicht zu erkennen ist, wie nah bzw. wie fern der Kläger der Getränkeverpackung gekommen ist oder aber erkennbar ist, dass die Einlassung des Klägers sich nur nach einer Münze gebückt zu haben, offensichtlich fehlerhaft sein muss, weil z.B. der Kläger längere Zeit an diesem Getränkepaket verweilt hat um es aufzureißen und die Flaschen zu entnehmen. Die Zeit die man benötigt eine Münze aufzuheben ist sicherlich deutlich kürzer als die Zeit, die man benötigt, einen Verpackungskarton aufzureißen und diesem zwei Flaschen zu entnehmen.

Das Gericht kann daher nur die Aussage des Klägers als Partei verwerten, wonach dieser sich zugegebenermaßen in Richtung auf die Getränkekartons zu bewegt habe, dort seine Münze aufgehoben hat und dann mit dem Kollegen … die Kantine aufsuchte.

Mit dem Vorwurf des Diebstahls, so dieser inhaltlich unberechtigt ist, wird gravierend in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Ehre des Arbeitnehmers eingegriffen. Aus Sicht des Gerichtes muss hier schon eine deutliche Überzeugungsbildung des Gerichts erfolgen, dass es tatsächlich so gewesen ist, um der Beklagten einen außerordentlichen Kündigungsgrund zubilligen zu können. Im Streitfall bestehen aber eingehende Zweifel. So ist schon nicht erkennbar, wann der Kolli mit den Jägermeistern vor dem maßgeblichen Vorfall das letzte Mal kontrolliert und für unversehrt erkannt worden ist. Es kann durchaus gewesen sein, dass es vor 17.20 Uhr ein anderer Arbeitnehmer im Bereich des an diesem Tag nicht bearbeiteten Trockensortiments den Kolli aufgerissen und sich die Jägermeisterflaschen entnommen hat. Allein der Umstand, dass der Kläger hier in der Nähe war, obwohl er dort nichts zu suchen hatte, reicht nicht aus um diesen als Täter abzustempeln.

Soweit beklagtenseits die Einräumung einer Schriftsatzfrist verlangt worden ist, war dem auch aus zum Standpunkt rechtlichen Gehörs heraus aus Sicht des Gerichtes nicht zu entsprechen. Der Beklagtenvertreter hat die Schriftsatzfrist dahingehend begründet, er bitte um Einräumung einer Schriftsatzfrist um prüfen zu können, ob tatsächlich am genannten Tag bereits gegen 17.00 Uhr ein Verkauf von Brötchen erfolgt ist.

Aus Sicht des Gerichtes ist es völlig unbehelflich, ob an diesem Tag bereits um 17.00 Uhr ein Verkauf von Brötchen erfolgt ist. Die „Rahmenerzählung“ des Klägers, warum er sich in diesem Bereich befunden hat, mag unzutreffend sein, dies ändert aber nichts daran, dass selbst bei einer unzutreffenden Rahmenerzählung für das Gericht noch nicht die Überzeugung des Diebstahls begründet worden ist. Dies bereits deswegen, weil hier auch andere Sachverhalte vorliegen können, die mit der Person des Klägers nichts zu tun haben (siehe oben). Es ist daher völlig egal, ob bereits um 17.00 Uhr Brötchen verkauft worden sind. Dies umso mehr, weil der Kläger ja im Nachgang sogar behauptet hat, gar kein Brötchen gekauft zu haben.

Einer diesbezügliche Stellungnahmefrist bedurfte es daher nicht. Der Beklagte hat im Laufe des Verfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt, ihre Beweismittel vorzubringen. Sie hat sich prozesstaktisch dazu entschieden, den Kläger als Partei zum streitigen Sachverhalt anzubieten. Das Gericht ist dem nachgekommen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte insbesondere das behauptete Video oder aber Bildauszüge dieses Videos nicht vorgelegt. Es konnte dieses auch daher bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden.

Soweit die Beklagte hilfsweise die Kündigungen aus dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung als berechtigt ansieht, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Eine Verdachtskündigung ist als außerordentliche Kündigung möglich, wenn es gerade der Verdacht ist, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Es liegt im Wesen der Verdachtskündigung, dass dem „Täter“ der Vorwurf nicht nachweisbar ist, allerdings die Verdachtsmomente dermaßen intensiv sind, dass dem Beklagten schlechterdings sämtliches Vertrauen in die Redlichkeit seines Gegenübers verloren gegangen ist. Da die Verdachtskündigung auch Unschuldige treffen kann, hat die Beklagte vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zunächst einmal sämtliche Umstände, die gegen den Verdacht sprechen, aufzuklären und auszuschließen.

Einer Verdachtskündigung scheitert aus Sicht des erkennenden Gerichtes aus zwei Gründen.

Zum einen darf vom Tatsächlichen her auf das bereits oben Ausgeführte verwiesen werden. Es ist unklar, wann der Kolli mit den Jägermeisterflaschen das letzte Mal unbeschädigt vorgefunden worden ist. Damit auch nicht auszuschließen, dass andere als der Kläger sich hieran bedient haben.

Im Übrigen wäre bei einer Verdachtskündigung nach § 102 BetrVG der Betriebsrat auch zu einer Verdachtskündigung anzuhören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Verdachtskündigung ist unwirksam. Der Vortrag der Beklagten lässt nicht erkennen, dass diese den Betriebsrat auch zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

Nach alledem war die vorliegende Entscheidung zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die über den Streitwert auf § 61 ArbGG mit § 42 GKG.

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