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Fristlose Arbeitnehmerkündigung – Annahmeverzugslohnansprüche

Unrechtmäßige fristlose Kündigung: Produktionsleiter erhält Annahmeverzugslohn

Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen, wonach die fristlose Kündigung eines Produktionsleiters durch den Arbeitgeber unrechtmäßig war. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis Juli 2022. Die Widerklage des Arbeitgebers auf Schadensersatz wurde abgewiesen, da keine ausreichenden Beweise für die geltend gemachten Schäden vorgelegt wurden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Sa 22/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Unrechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung ohne hinreichende Beweise für ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers.
  2. Bestätigung des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn für den Arbeitnehmer.
  3. Ablehnung der Widerklage auf Schadensersatz durch den Arbeitgeber mangels Beweisführung.
  4. Wichtigkeit der korrekten Beweislastverteilung im arbeitsrechtlichen Verfahren.
  5. Keine Böswilligkeit des Arbeitnehmers bei der Nichtannahme anderweitiger Arbeit.
  6. Betonung auf mildere Mittel vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung.
  7. Bedeutung der Abmahnung als Vorstufe vor einer Kündigung.
  8. Keine Revision gegen das Urteil zugelassen.

Fristlose Kündigung und die Folgen: Annahmeverzugslohnansprüche

Eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber kann für den betroffenen Arbeitnehmer erhebliche finanzielle Konsequenzen haben. Neben dem Verlust des Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Einkommensquelle kann auch ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn entstehen. Dieser Anspruch ergibt sich aus der Pflicht des Arbeitgebers, den vereinbarten Lohn zu zahlen, auch wenn er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt.

In der Praxis ist die Durchsetzung von Annahmeverzugslohnansprüchen jedoch nicht immer einfach. Der Arbeitnehmer muss nachweisen, dass er trotz der Kündigung weiterhin arbeitsbereit war und dass der Arbeitgeber ihm keine Arbeit zugewiesen hat. Darüber hinaus muss er darlegen, dass er sich um eine neue Stelle bemüht hat und dass ihm keine anderweitige Arbeit vermittelt werden konnte.

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Der Fall der fristlosen Arbeitnehmerkündigung: Rechtsstreit um Annahmeverzugslohnansprüche

Im Zentrum des Rechtsstreits zwischen einem Produktionsleiter und seinem Arbeitgeber, einem Hersteller von Laserprodukten, stand die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung sowie die daraus resultierenden Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers. Ebenfalls verhandelt wurden im Rahmen einer Widerklage Schadensersatzansprüche der Beklagten. Das Landesarbeitsgericht Köln wies mit seinem Urteil die Berufung der Beklagten zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen, wonach die fristlose Kündigung unwirksam war.

Konflikt eskaliert nach Streit um Gehaltsanpassung

Ausgangspunkt des Konflikts war eine E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer des Unternehmens über eine Gehaltsanpassung, die in einer fristlosen Kündigung durch die Beklagte gipfelte. Der Kläger, seit Juli 2019 in der Firma beschäftigt und zuletzt als Produktionsleiter tätig, forderte eine Kompensation für eine steuerliche Mehrbelastung, die er aufgrund der Gestaltung seines Arbeitsvertrags erlitten hatte. Nachdem der Geschäftsführer auf die Forderung nicht in gewünschtem Maße einging, eskalierte die Situation.

Fristlose Kündigung und ihre Folgen

Der Kläger reagierte auf die Ablehnung seiner Forderungen mit der Ankündigung, seine Position aufzugeben, und stellte der Beklagten ein Ultimatum, das in seiner fristlosen Kündigung mündete. In der Folge erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und erweiterte diese um Annahmeverzugslohnansprüche für die Monate bis zum Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte reagierte mit einer Widerklage, in der sie Schadensersatzansprüche geltend machte, die sie auf verschiedene behauptete Pflichtverletzungen des Klägers stützte.

Gerichtliche Entscheidung: Kündigung unwirksam, Annahmeverzugslohnansprüche berechtigt

Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung und verurteilte die Beklagte zur Zahlung des geforderten Annahmeverzugslohns. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass kein hinreichender Grund für eine fristlose Kündigung vorlag. Insbesondere die vom Arbeitgeber vorgebrachten Vorwürfe, der Kläger habe durch sein Verhalten den Betriebsfrieden gestört und das Unternehmen geschädigt, fanden vor Gericht keine ausreichende Bestätigung.

Widerklage abgewiesen: Kein Schadensersatz für den Arbeitgeber

Die Widerklage der Beklagten wurde abgewiesen. Das Gericht befand, dass die geltend gemachten Schadensersatzansprüche entweder nicht hinreichend substantiiert oder nicht durch das Verhalten des Klägers verursacht wurden. Insbesondere die Behauptung, der Kläger habe durch die Nichtbestellung von Materialien für einen Großauftrag einen Schaden verursacht, konnte nicht überzeugend dargelegt werden.

Bedeutung des Urteils für das Arbeitsrecht

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln unterstreicht die hohen Anforderungen an eine fristlose Kündigung und bestätigt den Schutz des Arbeitnehmers vor unberechtigten Kündigungen. Es zeigt außerdem, dass Arbeitgeber im Konfliktfall nicht vorschnell zu dem Mittel der fristlosen Kündigung greifen sollten, ohne die rechtlichen Voraussetzungen und die möglichen finanziellen Folgen sorgfältig zu prüfen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird Annahmeverzugslohn definiert und wann hat ein Arbeitnehmer Anspruch darauf?

Der Annahmeverzugslohn ist die Vergütung, die ein Arbeitnehmer erhält, wenn der Arbeitgeber die ihm angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt, obwohl der Arbeitnehmer leistungsbereit und leistungsfähig ist. Dieser Anspruch ist in § 615 Satz 1 BGB geregelt.

Ein Arbeitnehmer hat Anspruch auf Annahmeverzugslohn, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Es besteht ein wirksames Arbeitsverhältnis.
2. Der Arbeitnehmer bietet seine Arbeitsleistung an. Dies kann tatsächlich (§ 294 BGB), wörtlich (§ 295 BGB) oder unter bestimmten Umständen entbehrlich sein (z.B. nach einer Kündigung, § 296 BGB).
3. Der Arbeitnehmer ist leistungsfähig und leistungswillig.
4. Der Arbeitgeber nimmt die angebotene Arbeitsleistung nicht an, was sich beispielsweise in der fehlenden Bereitstellung des Arbeitsplatzes oder in einer unberechtigten Freistellung äußern kann.

Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn entsteht auch, wenn der Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, die sich später als unwirksam herausstellt. In diesem Fall trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko und ist zur Lohnfortzahlung verpflichtet.

Vom Annahmeverzugslohn abziehen muss sich der Arbeitnehmer allerdings den Wert desjenigen, was er in der Zeit des Annahmeverzugs anderweitig verdient oder böswillig zu verdienen unterlassen hat. Der Annahmeverzugslohn endet für die Zukunft, wenn der Arbeitgeber sich bereit erklärt, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wieder anzunehmen und ihn zur Arbeitsleistung auffordert.

Die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Annahmeverzugslohn beträgt drei Jahre ab Fälligkeit.

Welche Rolle spielen Verfall- und Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen?

Verfall- und Ausschlussfristen sind Klauseln in Arbeitsverträgen, die festlegen, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden müssen, um nicht zu verfallen. Diese Fristen dienen der Rechtssicherheit und sollen sicherstellen, dass Ansprüche nicht unbegrenzt geltend gemacht werden können.

Rechtliche Grundlagen und Wirksamkeit

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) werden solche Klauseln in der Regel als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) angesehen und unterliegen daher einer strengen Kontrolle. Sie müssen klar und verständlich formuliert sein und dürfen den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Insbesondere müssen sie für beide Vertragsparteien gelten und dürfen gesetzlich zwingende Ansprüche, wie den Mindestlohn, nicht ausschließen.

Gestaltung von Ausschlussfristen

Um wirksam zu sein, müssen Ausschlussfristen bestimmte Anforderungen erfüllen:

  • Sie müssen transparent sein, d.h., es muss klar sein, welche Frist für welchen Anspruch gilt.
  • Die Fristen müssen angemessen sein; das BAG hält eine Mindestfrist von drei Monaten für erforderlich.
  • Die Klausel muss im Arbeitsvertrag klar erkennbar sein und darf nicht im „Kleingedruckten“ versteckt werden.

Folgen unwirksamer Ausschlussfristen

Sind Ausschlussfristen unwirksam, etwa weil sie zu kurz bemessen sind oder bestimmte Ansprüche unzulässig ausschließen, können Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Frist ihre Ansprüche geltend machen. Dies kann für Arbeitgeber bedeuten, dass sie mit Nachforderungen für bis zu drei Jahre rückwirkend konfrontiert werden können, was die wirtschaftliche Bedeutung solcher Klauseln unterstreicht.

Praktische Bedeutung

Ausschlussfristen betreffen eine Vielzahl von Ansprüchen, wie Lohn- und Gehaltsforderungen, Überstundenvergütungen oder Urlaubsabgeltungen. Sie sind sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber von Bedeutung, da sie die Geltendmachung von Ansprüchen zeitlich begrenzen und somit Planungssicherheit schaffen.

Verfall- und Ausschlussfristen sind ein wesentliches Instrument im Arbeitsrecht, um die Durchsetzung von Ansprüchen zeitlich zu begrenzen. Ihre Wirksamkeit hängt von der Einhaltung rechtlicher Vorgaben ab, und ihre Gestaltung sollte sorgfältig erfolgen, um Rechtssicherheit für beide Vertragsparteien zu gewährleisten.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 4 Sa 22/23 – Urteil vom 10.10.2023

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 06.12.2022 – 6 Ca 1193/22 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, um Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers sowie – im Rahmen einer Widerklage – um Schadensersatzansprüche der Beklagten und die Verpflichtung des Klägers, die Richtigkeit und Vollständigkeit einer erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern.

Die Beklagte stellt Laserprodukte her. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Sie hat zwei große Bereiche: Die Fertigung, in der Platinen mit zugekauften Bauteilen bestückt werden, und die Produktion, in der die bestückten Platinen (sog. Baugruppen) zu Fertigteilen produziert werden.

Der Kläger war seit dem 01.07.2019 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Produktionsleiter. Sein Gehalt, das während der Dauer des Arbeitsverhältnisses regelmäßig angehoben wurde, betrug zuletzt 3.550,00 Euro brutto zzgl. eines Fahrtkostenzuschusses iHv. 270,00 Euro. Nach Abschnitt 1.3.3. des Arbeitsvertrags kann das Arbeitsverhältnis ab dem 25. bis zum 48. Beschäftigungsmonat mit einer Frist von drei Monaten zum Quartalsende gekündigt werden.

Abschnitt 14 des Arbeitsvertrags regelt unter der Überschrift „Verfall- und Ausschlussfrist“ Folgendes:

„14.1 Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis / Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei in Textform geltend gemacht werden und im Falle einer Ablehnung innerhalb von drei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden.

14.2 Diese Verfall- und Ausschlussfrist gilt nicht für Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn oder – soweit ein Tarifvertrag über Mindestlohnansprüche Anwendung findet – auf den tarifvertraglichen Mindestlohn.

14.3 Darüber hinaus gilt diese Verfall- und Ausschlussfrist nicht für Ansprüche aus anwendbaren Tarifverträgen und/oder Betriebsvereinbarungen, soweit es sich um gesetzlichen Urlaub, gesetzliche Verzugszinsen und die gesetzliche Verzugspauschale handelt. Entsprechendes gilt für die Haftung des Arbeitgebers für vorsätzliche und grob fahrlässige Pflichtverletzungen sowie für andere gesetzliche Ansprüche, auf die nicht verzichtet werden kann.

14.4 Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung.“

Im Jahr 2021 war der Kläger daran beteiligt, als ein abgeschlossener Werkzeugschrank der Beklagten aufgebohrt wurde. In der Folgezeit kaufte der Kläger ein neues Schloss und baute es in den Schrank ein.

Am 26.11.2021 erhielt die Beklagte von der Firma D die Bestellung über die Beschaffung von 100 Diodentreibern, von denen 40 ab August 2022 und 60 im Jahr 2023 geliefert werden sollten. Der Geschäftsführer, der mit einem Preisanstieg für das dafür benötigte Material ab Februar 2022 rechnete, beauftragte Herrn A aus der Produktion/Fertigung mit der Beschaffung. Bestellungen erfolgten immer in Absprache mit dem Geschäftsführer der Beklagten, welcher diese freigibt. Die Bestellungen erfolgten zunächst nicht.

Im Januar 2022 fand eine Inventur bei der Beklagten statt, an der auch der Kläger teilnahm. Im Hinblick auf mehrere Inventargegenstände kam es dabei zunächst zu Fehlern, welche im Rahmen einer im Nachgang durchgeführten Überprüfung, an der auch der Kläger teilnahm, zumindest teilweise behoben wurden.

Ab dem 26.04.2022 sollte eine für die Beklagte wichtige Messe in M stattfinden, die der Kläger zusammen mit dem Geschäftsführer der Beklagten besuchen sollte.

Am 21.04.2022 kam es zu einer E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten. Hierbei warf der Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten in einer E-Mail von 12:36 Uhr vor, durch eine bestimmte Gestaltung seines Arbeitsvertrags habe er eine um 1.000,00 Euro geringere Steuererstattung erhalten. Die E-Mail schließt mit den Worten:

„Auf diese 1000EUR kann und will ich nicht verzichten.

Bitte teile mir noch heute mit wie wir das regeln.“

Der Geschäftsführer der Beklagten meldete sich um 13:42 Uhr mit dem Angebot, statt des bisher gezahlten Fahrtkostenzuschusses das Bruttoentgelt um den bisher netto gezahlten Betrag zu erhöhen.

Ob es sodann gegen 15:30 Uhr ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Kläger gab, in dem der Kläger für den Fall der Nichtzahlung der benannten 1.000,00 Euro eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit androhte, ist zwischen den Parteien streitig.

Um 16:25 Uhr schrieb der Kläger folgende E-Mail:

„Hallo Ma ,

unter den gegebenen Umständen sehe ich mich gezwungen meine Position als Produktionsleiter in diesem Unternehmen aufzugeben. Das ist nicht meine Art zu arbeiten und so lasse ich mich auch nicht behandeln.

Deine Darstellung ist falsch was mein Gehalt angeht und leider muss ich wieder feststellen das wenn man sauber arbeitet man doch betrogen wird. Ich denke ich war damals sehr fair.

Drei Möglichkeiten jetzt weiter zu machen ist.

1 Kündigung durch dich

2 Aufhebungsvertrag

oder Zurücksetzung in die Produktion.

Ich lasse mich nicht für Versäumnisse der letzten Jahre und deiner Falschen Kalkulation und Vorgaben verantwortlich machen.

Nur weil du Probleme mit deinem Investor hast brauchst du mir nicht dafür die Schuld in Schuhe zu schieben.

Dann soll mir mal der Steuerberater erklären wenn das gleiche netto habe wie mit Zuschuss dann aber 1000EUR Steuer wieder bekomme warum stehe ich mich dann schlechter. Der einzige der sich besser steht bist du.

Das du natürlich von deinen Absprachen nichts mehr wissen willst ist ja nichts neues

Im Anhang deine Probeabrechnungen.“

Der Geschäftsführer der Beklagten antwortete darauf mit E-Mail vom 22.04.2022, 00:04 Uhr, Folgendes:

„Hallo R

ich kann Dir nicht folgen.

Wir haben uns laut Vertrag auf 3200 Euro (nicht 3000) und 270 Euro Fahrtkostenzuschuss geeinigt. Du bekommst damit 2377,44 Euro ausbezahlt und nicht die 2268,96. Mit nur 3000 Euro plus 270 ODER den 3500 Euro würdest Du bei diesen 2268,96 liegen, wie in der Probeabrechnung. Du stehst also mit dem vereinbarten Modell 108,48 Euro besser da, als bei der sogar noch um 30 Euro höher legenden reinen Gehaltszahlung. Das macht im Jahr also 1301,76 Euro Gesamtvorteil.

Selbst wenn das Finanzamt Dir einen Betrag abgezogen hat, dann stehst Du immer noch besser da, als ohne: (…)

Dein Vorwurf eines unredlichen oder gar betrügerischen Verhaltens seitens der [Beklagten] ist also schlicht falsch und ich bitte um eine schriftliche Entschuldigung noch am heutigen Freitag.

Danke

M “

Der Kläger meldete sich ab dem 22.04.2022 arbeitsunfähig krank.

Mit Schreiben vom 27.04.2022 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 31.07.2022. Am 29.04.2022 meldete er sich arbeitssuchend.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 03.05.2022 fristlos.

Der Kläger meldete sich daraufhin erneut am 09.05.2022 arbeitssuchend. Vom 20.06.2022 bis zum 24.06.2022 nahm der Kläger an einer Maßnahme der Agentur für Arbeit teil. Ab dem 01.08.2022 stand der Kläger in einem neuen Arbeitsverhältnis.

Der Kläger hat mit am 16.05.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Kündigungsschutzklage erhoben. Die Beklagte hat mit am 25.07.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Widerklage auf Schadensersatz iHv. 23.978,23 Euro nebst Zinsen erhoben. Mit am 21.10.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 20.10.2022 hat der Kläger seine Klage um Annahmeverzugslohnansprüche für Mai bis Juli 2022 abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen erweitert. Die Beklagte hat mit am 16.11.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag im Wege der Stufenklage Auskunft über die Bewerbungen, Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und das Ergebnis der einzelnen Bewerbungsverfahren für den Zeitraum Mai 2022 bis Juli 2022 und die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft begehrt. Mit Schriftsatz vom 29.11.2022 hat der Kläger Auskunft erteilt.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 03.05.2022 nicht aufgelöst ist;

hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.:

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Mai 2022 einen Betrag iHv. 3.550,00 Euro brutto, abzüglich gezahlten Arbeitslosengelds iHv. 957,26 Euro netto, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Juni 2022 einen Betrag iHv. 3.550,00 Euro brutto, abzüglich gezahlten Arbeitslosengelds iHv. 1.248,60 Euro netto, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Juli 2022 einen Betrag iHv. 3.550,00 Euro brutto, abzüglich gezahlten Arbeitslosengelds iHv. 1.248,60 Euro netto, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2022 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat sie zuletzt noch beantragt,

1. den Kläger zu verurteilen, an sie 23.978,24 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz der EZB seit der Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Richtigkeit und die Vollständigkeit der Auskunft an Eides statt zu versichern.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat die fristlose Kündigung für wirksam gehalten. Dazu hat sie behauptet, es habe am 21.04.2023 gegen 15:30 Uhr im Büro des Geschäftsführers der Beklagten ein Gespräch zwischen diesem und dem Kläger gegeben, in dem der Geschäftsführer dem Kläger mitgeteilt habe, dass es keine Grundlage zur Zahlung des in der E-Mail von 12:36 Uhr geforderten Betrags iHv. 1.000,00 Euro geben würde. Der Kläger habe die Zahlung mit der sinngemäßen Androhung gefordert: „sonst kannst Du Deine Sachen selber machen“ und „dann wirst Du schon sehen, was Du davon hast“. In dem vom Kläger initiierten Streitgespräch habe der Kläger angekündigt, dass er nicht – wie geplant – mit dem Geschäftsführer zu Messe fahren werde, falls er keine entsprechende Sonderzahlung erhalte. Der Geschäftsführer habe die Zahlung verweigert, woraufhin der Kläger geäußert habe, „dann machst Du jetzt erst mal Deine Messe alleine, ich bin jetzt erst mal krank, so lasse ich mich nicht behandeln“. Der Kläger habe – entgegen dessen Vortrags – am 21.04.2022 zur fraglichen Zeit nicht mit dem Auszubildenden Az an der Fräse gearbeitet; Herr Az habe an diesem Tag einen Dienstgang absolviert.

Der Kläger habe Herrn Az des Weiteren gesagt, dass beim Verlassen des Gebäudes während der Arbeitszeit ein „Dienstgang“ zu buchen sei. Allerdings habe sich Herr Az nur ein Brötchen kaufen wollen. Dies stelle nach Auffassung der Beklagten eine Anstiftung zum Arbeitszeitbetrug dar.

Des Weiteren habe der Kläger wahrheitswidrig bei der Inventur den Bestand bestimmter Baugruppen mit „0“ statt, wie es richtig gewesen wäre, mit insgesamt 360 Baugruppen angegeben, um seine eigene Produktivität besser darzustellen. Dadurch sei das Betriebsvermögen mit 70.443,60 Euro zu niedrig ausgewiesen worden; hier sei ein direkter Schaden entstanden. Die Inventur habe wiederholt werden müssen, was zu einem Verlust an operativer Arbeitskraft bei der Beklagten iHv. 6.364,02 Euro geführt habe.

Erst nach Ausspruch der Kündigung sei des Weiteren aufgefallen, dass der Kläger ein Tektronix-Oszilloskop nicht zurückgebracht habe, welches er sich im Juni 2019 für seine Prüfung „ausgeliehen“ habe; dies stelle eine Unterschlagung von Betriebseigentum und damit einen weiteren wichtigen Grund für die fristlose Kündigung dar, welcher nachgeschoben werde. Der damalige Kaufpreis habe bei 950,00 Euro zzgl. Umsatzsteuer gelegen, der heutige Wiederbeschaffungspreis liege bei 2.998,00 Euro.

Der Kläger habe des Weiteren am 13.07.2019 eine Kappsäge bedient, die er nicht habe bedienen dürfen, was er gewusst habe. An der Maschine sei ein hoher Sachschaden entstanden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe darauf – unstreitig – mit einer E-Mail vom selben Tag (Bl. 237 d.A.) reagiert.

Beim 2021 erfolgten Aufbohren des Werkzeugschranks durch den Kläger habe es sich um eine mutwillige und unnötige Sachbeschädigung gehandelt, da sowohl der Geschäftsführer der Beklagten als auch des Schlüsselverantwortliche im Haus gewesen seien.

Des Weiteren habe der Kläger im Zuge der Reinigung der Außenanlagen am 29.03.2022 die von ihm dazu genutzte Kehrmaschine rücksichtslos entleert, frei nach dem Motto: „das macht schon ein anderer weg“.

Der Kläger habe schließlich als verantwortliche Elektrofachkraft die Ansteuerung der Prüfstände neu bauen lassen. Als der Geschäftsführer am 24.06.2022 diese kontrolliert habe, habe er feststellen müssen, dass seine Rüge vom November 2021, die VDE-Konformität herzustellen, nicht umgesetzt worden sei.

Im Hinblick auf den widerklagend geltend gemachten Schadensersatz hat die Beklagte zunächst behauptet, dass der Kläger dem Mitarbeiter A zwischen Januar und März 2022 mehrfach untersagt habe, das Material für den Auftrag der Firma D zu bestellen. Er habe ohne Wissen des Geschäftsführers intern vorgegeben, dass „alle Bestellungen über ihn laufen und keiner mit dem Chef zu sprechen hat“. Auf mehrere Nachfragen des Herrn A habe der Kläger gesagt: „Nein, das ist jetzt noch nicht dran, das wird noch nicht beschafft“. In der Folgezeit hätten sich wichtige Prozessoren von ursprünglich 7,93 Euro pro Stück auf 238,49 Euro verteuert; bei 104 zu beschaffenden Stück belaufe sich der Schaden auf 23.978,24 Euro.

Mit Schriftsatz vom 16.11.2022 hat die Beklagte sodann behauptet, dass sich der Schaden im Hinblick auf das Material für den Auftrag der Firma D ausweislich der zur Akte gereichten Abrechnungen vom 10.06.2022 nur noch auf 9.225,00 Euro belaufe. Insgesamt belaufe sich der vorläufige Gesamtschaden jedoch auf 27.098,29 Euro (Materialkosten iHv. 20.734,27 Euro und Personalkosten iHv. 6.364,02 Euro).

So habe der Kläger mit roher Gewalt den Anbohrschutz eines Schlosses beschädigt, als er den Schließzylinder ausgetauscht habe; der Schaden belaufe sich auf 40,73 Euro. Der Kläger habe dabei mindestens grob fahrlässig gehandelt.

Nach der Anschaffung neuer Tische habe der Kläger funktionsfähige Metalltische einfach entsorgt und im Regen stehen lassen. Hier sei ein Schaden iHv. 1.600,00 Euro entstanden. Dies sei dem Geschäftsführer der Beklagten erst Ende April aufgefallen.

Der Kläger habe des Weiteren mit dem Einverständnis des Geschäftsführers den großen Lagercontainer aufgeräumt, dabei aber Materialen nicht wieder in den Container geräumt, sondern diese „wild“ hinter dem Container halb im Gebüsch entsorgt. Darunter seien drei voll funktionsfähige USV (unterbrechungsfreie Stromversorgung), eine nunmehr zerbrochene Laserröhre, mehrere Kisten mit Blechteilen, eine Kiste mit Optiken, mehrere Umzugskartons mit Material aus dem Labor und dem Büro, Privateigentum des Geschäftsführers sowie Teile von Stromerzeugern und Laborgeräten gewesen. Herr Az habe den Kläger mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kartons aufgrund der Beschriftung und des Inhalts nicht dorthin gehörten. Der Schaden im Hinblick auf die USVs belaufe sich auf 3.238,00 Euro, der übrige „ideelle und materielle“ Schaden auf mindestens 5.000,00 Euro. Der Kläger habe die Materialien mutwillig durch Entsorgung zerstört.

In dem Verantwortungsbereich des Klägers sei es schließlich zu einem völligen Überladen eines Regals gekommen. Der Geschäftsführer habe den Kläger am 19.04.2022 schriftlich anweisen müssen, dies zu beheben. Der Kläger habe nur einige wenige Platten entfernt. Zu weiteren Maßnahmen sei es aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse nicht mehr gekommen, so dass das Regal einige Tage vor der Messe zusammengebrochen sei. Der Schaden am Regal belaufe sich auf 103,47 Euro.

Der Kläger hat bestritten, dass es am 21.04.2022 gegen 15:30 Uhr zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten gekommen sei. Vielmehr habe er zu der besagten Zeit mit Herrn Az an der Fräse gearbeitet.

Im Zeitpunkt des Auftragseingangs der Firma D habe noch keine Veranlassung bestanden, bereits die Bestellung von 100 Bauteilen zu beschaffen; so habe es der Geschäftsführer auch am 15.02.2022 angewiesen. Allerdings habe er dem Mitarbeiter A auch nicht verboten, die Bauteile zu bestellen.

Eine mutwillige Manipulation der Inventur durch ihn habe nicht stattgefunden. Mögliche Fehler hätten abgemahnt werden müssen.

Die Tür zum Werkzeugschrank sei mit einem Kollegen aufgebohrt worden, weil ein bestimmtes Werkzeug, das darin vermutet wurde, dringend benötigt worden sei.

Das Regal sei überladen gewesen. Der Kläger sei aber nicht darauf hingewiesen worden, sondern habe es selbst entlastet.

Der Kläger hat bestritten, dass der Schaden am Anbohrschutz durch das seinerseits durchgeführte Austauschen des Schließzylinders verursacht worden sei; allenfalls sei ihm leichte Fahrlässigkeit anzulasten, da die Arbeit für ihn – unstreitig – eine fachfremde gewesen sei.

Dass die Metalltische auf dem Betriebsgelände deponiert worden seien, sei dem Umstand geschuldet gewesen, dass die Beklagte nicht genügend Lagerräume besitze, wo die Tische hätten untergestellt werden können. Der Geschäftsführer habe die Tische abtransportieren wollen, dies aber nicht getan. Außerdem erschließe sich nicht, wie die Metalltische im Regen hätten unbrauchbar werden sollen.

Dass die von der Beklagten angeführten Gegenstände unter denjenigen gewesen sein sollen, die der Kläger ausgemistet habe, werde bestritten. Die „wilde Müllkippe“ bei der Beklagten sei seit seiner Beschäftigung dort stets gewachsen. Zu keiner Zeit habe er brauchbare Bauteile und Material entsorgt. Wenn vereinzelt Dinge auf dem Betriebsgelände bis zur Entsorgung gelagert worden seien, dann nur, weil der entsprechende Hänger entweder voll oder nicht an seinem Platz gewesen sei. Die USV habe er nicht entsorgt, sondern lediglich nach draußen gestellt, um in dem Container – wie abgesprochen – Platz zu schaffen; sie hätten abtransportiert werden sollen, was aber nie erfolgt sei. Der Geschäftsführer habe von der Aussonderung der USV gewusst, die über ein Jahr auf dem Betriebsgelände gelegen hätten.

Der Kläger hat schließlich behauptet, er habe sich im Zeitraum vom 18.04.2022 bis zum 06.06.2023 auf insgesamt 17 Stellen beworben. Wegen der Einzelheiten des Vortrags (Datum der Bewerbung; Unternehmen; Ergebnis) wird auf die Übersicht auf S. 7 des Schriftsatzes des Klägers vom 29.11.2022 (Bl. 257 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 06.12.2022 mit der Einschränkung stattgegeben, dass das Arbeitsverhältnis nur bis zum 31.07.2022 fortbestanden hat. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte liege nicht vor. Für ihre Behauptung, der Kläger habe am 21.04.2022 eine Krankschreibung angedroht, habe sie keinen Beweis erbracht; im Übrigen spreche der Inhalt der E-Mail vom 22.04.2022, 00:04 Uhr, gegen die Darstellung der Beklagten, da der behauptete „Erpressungsversuch“ überhaupt keine Erwähnung finde. Im Hinblick auf die Materialbestellung für den D -Auftrag sei nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger dafür überhaupt verantwortlich gemacht werden könne, wenn es doch Sache eines anderen Mitarbeiters gewesen sei, die Materialien zu bestellen. Hinzukomme, dass die von der Beklagten behaupteten Äußerungen des Klägers allenfalls auf eine mögliche Fehleinschätzung schließen ließe, keinesfalls aber auf einen Schädigungsversuch. Gleiches gelte für den von der Beklagten behaupteten Inventurschaden. Auch liege schon nach dem Vortrag der Beklagten keine Anstiftung zum Arbeitszeitbetrug durch den Auszubildenden Az vor. Der Kläger habe eine korrekte Auskunft erteilt, wenn er mitgeteilt habe, dass bei Verlassen des Betriebs während der Arbeitszeit ein „Dienstgang“ zu buchen sei; dass der Kläger Kenntnis davon gehabt habe, der Auszubildende Az habe sich nur ein Brötchen kaufen wollen, habe die Beklagte schon nicht behauptet. Die übrigen behaupteten Pflichtverstöße rechtfertigten ohne Abmahnung keine Kündigung, zum Teil sei auch erkennbar die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen. Das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der Eigenkündigung des Klägers mit Ablauf des 31.07.2022 sein Ende gefunden. Der Kläger habe in der Folge Anspruch auf Annahmeverzugslohn bis Ende Juli 2022 in der eingeklagten Höhe; eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes, der böswillig unterlassen worden sei, hätte aufgrund der seitens des Klägers dargelegten Bemühungen um eine andere Tätigkeit nicht stattzufinden. Die Widerklage hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Kläger; sie habe zuletzt mit deutlich anderen Zahlen operiert, als sie der Widerklage zunächst zugrunde lagen, ohne dies klarzustellen. Die Preise, die vor dem 15.02.2022 galten, seien ebenso wenig belegt worden wie diejenigen Preise, zu denen dann letztlich ein Erwerb der benötigten Teile erfolgt sei. Im Übrigen habe die Beklagte nicht vorgetragen, dass die Ausschlussfrist aus Abschnitt 14 des Arbeitsvertrags eingehalten worden sei. Das vorgeworfene Verhalten datiere auf Februar 2022, die Widerklage sei erst am 26.07.2022 zugestellt worden. Auch die von der Beklagten vorgelegte Rechnung vom 10.06.2022 helfe nicht weiter, weil daraus nicht ersichtlich sei, wann die entsprechenden Prozessoren zu diesem Preis bestellt worden seien oder hätten bestellt werden können. Eine eidesstattliche Versicherung habe der Kläger schließlich nicht abgeben müssen, da ein Grund zu der Annahme, die Auskunft sei unrichtig, nicht bestehe.

Gegen das der Beklagten am 19.12.2022 zugestellte Urteil richtet sich deren am 16.01.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie am 20.03.2023 innerhalb der bis zum 20.03.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Arbeitsgericht habe die Behauptungen der Parteien zur „angedrohten Krankschreibung“ zu Unrecht nicht auf ihre Richtigkeit überprüft und die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast verkannt; es hätte Herrn Az als Zeugen vernehmen müssen; dann hätte sich gezeigt, dass der Kläger nicht den ganzen Tag mit Herrn Az an der Fräse gearbeitet habe und dass das Streitgespräch zwischen dem Geschäftsführer und dem Kläger stattgefunden habe. In der E-Mail vom 22.04.2022, 00:04 Uhr, finde sich deswegen nichts zum Erpressungsversuch des Klägers, weil der Geschäftsführer nicht damit gerechnet habe, dass der Kläger seine Drohung wahrmachen werde. Auch habe der Kläger Herrn A mehrfach untersagt, das Material für den D -Auftrag zu bestellen; die Beklagte sei ihrer Schadensminderungspflicht nachgekommen, indem sie 80 der erforderlichen Prozessoren tatsächlich zu 97,00 Euro und 20 zu 116,00 Euro habe kaufen können. Die Rechnung datiere auf den 10.06.2022, so dass auch die Ausschlussfrist im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch eingehalten sei. Im Hinblick auf den Inventurschaden habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass Hintergrund des Verhaltens des Klägers war, seine eigene Produktivität besser darzustellen, um dann Lohnforderungen zu stellen. Da der Auszubildende Az das Gebäude nur aus privaten Gründen bzw. in der Pause verlasse, könne die Weisung des Klägers, beim Verlassen des Gebäudes einen Dienstgang zu buchen nur als Anstiftung zum Arbeitszeitbetrug gewertet werden. Die Entsorgung des Materials sei dem Geschäftsführer tatsächlich erst Mitte 2022 aufgefallen, weil er in der hintersten Ecke des Geländes sonst nichts suche; gleiches gelte für das Fehlen des Oszilloskops. Beim Aufbohren des Werkzeugschrankes habe der Geschäftsführer den Kläger in flagranti erwischt. Im Übrigen habe die Beklagte insgesamt einen Schaden iHv. 27.098,29 Euro geltend gemacht, über den das Arbeitsgericht sich nicht verhalten habe; der geltend gemachte Schadensersatzbetrag werde als ein Teil des Gesamtschadens weiterverfolgt. Schließlich bestehe die Besorgnis, dass die Auskunft des Klägers nicht richtig bzw. nicht vollständig sei deswegen, weil er sich geweigert habe, im Kammertermin eine eidesstattliche Versicherung abzugeben.

Die Beklagte beantragt unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 06.12.2022 – 6 Ca 1193/22 –

1. die Klage abzuweisen;

2. den Kläger zu verurteilen, an sie 23.978,24 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. den Kläger zu verurteilen, die Richtigkeit und die Vollständigkeit der Auskunft über die Bewerbungen, Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und das Ergebnis der einzelnen Bewerbungsverfahren für den Zeitraum von Mai 2022 bis Juli 2022 mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 29.11.2022 an Eides statt zu versichern.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Die Beklagte sei weiterhin beweisfällig geblieben für ihre weiterhin bestrittene Behauptung, er habe dem Geschäftsführer am 21.04.2022 eine Arbeitsunfähigkeit angedroht für den Fall, dass die Beklagte die in Streit stehenden 1.000,00 Euro nicht zahle. Im Hinblick auf den Auftrag der Firma D verbleibe es dabei, dass es seitens des Klägers kein „Verbot“ an den Mitarbeiter A gegeben habe, Bestellungen von Bauteilen vorzunehmen; auch sei der beklagtenseits behauptete Schaden weiterhin nicht schlüssig dargelegt; der Wechsel im Vortrag der Beklagten zur Schadenshöhe mache deutlich, dass ein Schaden tatsächlich nicht beziffert werden könne. Im Hinblick auf den behaupteten Inventurschaden habe die Beklagte weiterhin keinen ausreichenden Vortrag zu einem schuldhaften Verhalten des Klägers oder zu einem tatsächlich entstandenen Schaden erbracht. Selbst wenn dem Kläger hier Fehler unterlaufen sein sollten, wären diese vorrangig abzumahnen gewesen. Auch habe der Kläger den Auszubildenden Az nicht zum Arbeitszeitbetrug angestiftet; der Kläger habe selbstverständlich nicht gewusst, dass der Auszubildende Az zum Bäcker habe gehen wollen. Soweit die Beklagte dem Kläger darüber hinaus weitere Pflichtverletzungen und verursachte Schäden vorwerfe, habe sie sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils auseinandergesetzt, sondern in prozessual unzulässiger Weise lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen im Schriftsatz vom 16.11.2022 Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

I. Die Berufung ist nur zum Teil zulässig.

1. Die Berufung der Beklagten ist an sich nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b und c ArbGG statthaft und form- und fristgerecht nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG iVm. § 519 ZPO am 16.01.2023 gegen das am 19.12.2022 zugestellte Urteil eingelegt und innerhalb der bis zum 20.03.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden.

2. Die Beklagte hat sich nur um Teil hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils auseinandergesetzt.

a) Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen. Bei mehreren Streitgegenständen muss für jeden Streitgegenstand eine ausreichende Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt (BAG 28.06.2023 – 5 AZR 9/23 – Rn. 13 mwN). Ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind, ist für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung (BGH 20.05.2020 – IV ZB 19/19 – Rn. 8 mwN). Bei einem einheitlichen Streitgegenstand ist die Berufung insgesamt zulässig, wenn sie in einer den ganzen Anspruch erfassenden Rüge zureichend begründet worden ist. Dies ist nur dann nicht ausreichend, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen; andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (BGH 23.06.2015 – II ZR 166/14 – Rn. 12 mwN).

b) Danach hat sich die Beklagte mit der erstinstanzlichen Entscheidung nur zum Teil hinreichend auseinandergesetzt.

aa) Mit Blick auf den Kündigungsschutzantrag zu 1. hat sie u.a. gerügt, dass das Arbeitsgericht die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast verkannt habe, indem es Herrn Az nicht als Zeugen vernommen habe; dass sich in der E-Mail vom 22.04.2022, 00:04 Uhr, nichts zum behaupteten Erpressungsversuch finde, liege daran, dass der Geschäftsführer nicht damit gerechnet habe, dass der Kläger seine Drohung wahrmachen werde. Dies ist nach Überzeugung der Kammer eine ausreichende Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen.

bb) Mit Blick auf die Klageanträge zu 2. bis 4. (Annahmeverzugslohn von Mai 2022 bis einschließlich Juli 2022) war eine weitere Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen entbehrlich, da diese Ansprüche von der Begründetheit des Kündigungsschutzantrags abhängig sind.

cc) Mit Blick auf den widerklagend geltend gemachten Schadensersatz bezüglich der Bestellungen für den D -Auftrag ist die Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ausreichend; die Berufung ist insoweit unzulässig.

(1) Das Arbeitsgericht hat seine den Antrag abweisende Entscheidung bezüglich des Schadensersatzes für den D -Auftrag u.a. auf den selbstständigen Erwägungsgrund gestützt, die Beklagte habe die Ausschlussfrist aus Abschnitt 14 des Arbeitsvertrags nicht eingehalten. Da zwischen dem vorgeworfene Verhalten im Februar 2022 und der Zustellung der Widerklage am 26.07.2022 mehr als drei Monate lägen, hätte es weiterer Darlegungen zur Einhaltung der Frist bedurft. Die vorgelegte Rechnung vom 10.06.2022 helfe nicht weiter, weil daraus nicht ersichtlich sei, wann die entsprechenden Prozessoren zu diesem Preis bestellt worden seien oder hätten bestellt werden können.

(2) Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung dazu lediglich auf die Rechnung vom 10.06.2022 und die gerichtliche Geltendmachung mit der am 26.07.2022 zugestellten Widerklage verwiesen. Damit hat sie sich mit der maßgeblichen Erwägung des Arbeitsgerichts, dass aus der Rechnung vom 10.06.2022 der Zeitpunkt der Bestellung der Prozessoren als möglicher Fälligkeitszeitpunkt des Schadensersatzanspruchs nicht ableitbar sei, nicht auseinandergesetzt. Erstmals im Kammertermin hat der Geschäftsführer behauptet, die Bestellung sei erst nach dem Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 03.05.2022 erfolgt. Dies war verspätet.

dd) Soweit der Kläger darauf verweist, dass sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen auseinandersetze, soweit sie dem Kläger weitere von ihm verursachte Schäden vorwerfe, führt dies im Hinblick auf diese Streitgegenstände nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Das Arbeitsgericht hat die den weiteren Schadenspositionen zugrundeliegenden Streitgegenstände als nicht anhängig beurteilt und folgerichtig auch nicht darüber entschieden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil konnte und musste daher nicht erfolgen.

ee) Schließlich hat die Beklagte mit Blick auf den widerklagend geltend gemachten Antrag auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung hinreichend ausgeführt, dass sich eine Besorgnis der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der Auskunft daraus ergebe, dass sich der Kläger im Kammertermin geweigert habe, eine entsprechende eidesstattliche Versicherung abzugeben.

3. Die Beklagte hat nicht in unzulässiger Weise Bezug auf den Sachvortrag in der ersten Instanz genommen, soweit die Beklagte für ihre Schadensersatzansprüche im Übrigen auf den Schriftsatz vom 16.11.2022 Bezug genommen hat.

a) Die pauschale Bezugnahme auf den Sachvortrag in der ersten Instanz ist grds. keine ausreichende Berufungsbegründung, selbst wenn der Streitstoff einfach liegt und nur eine einzige Rechtsfrage zu entscheiden ist. Sie ist jedoch ausnahmsweise als zulässig anzusehen, wenn das erstinstanzliche Vorbringen von der Vorinstanz aus Rechtsgründen nicht behandelt wurde, als rechtlich unerheblich oder unsubstantiiert behandelt oder gänzlich übergangen wurde. In diesen Fällen ist es unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensförderung nicht geboten, das alte Vorbringen nur zu wiederholen (Zöller/Heßler ZPO 34. Aufl. § 520 Rn. 43 mwN).

b) Danach war eine erneute Darstellung im Rahmen der Berufungsbegründung entbehrlich. Das Arbeitsgericht hat sich inhaltlich nur mit dem Schadensersatzanspruch bezüglich des D -Auftrags auseinandergesetzt, nicht jedoch mit den weiteren Schadenspositionen.

II. Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.05.2022 zumindest nicht vor Ablauf des 31.07.2022 aufgelöst worden ist. Der zulässige Kündigungsschutzantrag zu 1. ist insoweit begründet.

a) Der Kündigungsschutzantrag ist nicht deswegen unbegründet, weil der Kläger die Kündigung nicht rechtzeitig gerichtlich angegriffen hätte mit der Folge, dass diese nach § 13 Abs. 1 Satz 1, § 7 KSchG von Anfang an als rechtswirksam gelten würde. Mit seiner am 16.05.2022 eingereichten und der Beklagten alsbald iSv. § 167 ZPO zugestellten Klage hat der Kläger die Kündigung vom 03.05.2022 rechtzeitig binnen der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen. Anhaltspunkte dafür, dass das Kündigungsschreiben dem Kläger bereits vor dem Ausstellungsdatum zugegangen wäre, gibt ist nicht.

b) Die Kündigung vom 03.05.2022 hat das Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich fristlos nach § 626 Abs. 1 BGB beendet.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., BAG 19.01.2016 – 2 AZR 449/15 – Rn. 28 mwN).

bb) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist u.a. die ordentliche Kündigung (BAG 08.03.2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 17 mwN).

cc) Soweit die Beklagte die fristlose Kündigung darauf stützt, dass der Kläger gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten am 21.04.2022 als Reaktion darauf, dass dieser die Zahlung der streitigen 1.000,00 Euro verweigert habe, eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt habe, hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dass die Beklagte für diesen Vortag beweisfällig geblieben ist.

(1) Die „Ankündigung oder Androhung einer Arbeitsunfähigkeit“ bei objektiv nicht bestehender Erkrankung kann „an sich“ einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Die Pflichtwidrigkeit der Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung liegt in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Mit einem solchen Verhalten verletzt der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich wird durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, so dass in einer solchen Erklärung regelmäßig auch ohne vorausgehende Abmahnung ein die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigender verhaltensbedingter Grund zur Kündigung liegt (BAG 12.03.2009 – 2 AZR 251/07 – Rn. 23; 17.06.2003 – 2 AZR 123/02 – zu II 1 a der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz 21.07.2020 – 8 Sa 430/19 – Rn. 111 f., zitiert nach juris; ErfK/Niemann 23. Aufl. § 626 BGB Rn. 157 mwN).

(2) Die beweisbelastete Beklagte hat eine angedrohte Arbeitsunfähigkeit durch den Kläger nicht nachgewiesen. Soweit sie einwendet, das Arbeitsgericht habe die Grund-sätze der gestuften Darlegungs- und Beweislast verkannt, geht dies fehl.

(a) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe – soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen – zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen. Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer auf Grund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers – soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist – iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzutreten (BAG 27.09.2022 – 2 AZR 508/21 – Rn. 17 f. mwN).

(b) Nach diesen Maximen war es Aufgabe der Beklagten, die angedrohte Arbeitsunfähigkeit durch den Kläger im Rahmen eines Gesprächs mit dem Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen. Auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, die zu einer Abstufung der Darlegungslast führen würden, hat sich der Kläger nicht berufen, er hat vielmehr bestritten, dass das von der Beklagten behauptete Gespräch überhaupt stattgefunden hat. Eine darüberhinausgehende sekundäre Darlegungslast traf den Kläger nicht, denn die Beklagte stand nicht außerhalb des von ihr behaupteten Geschehensablaufs. Vielmehr soll ihr Geschäftsführer unmittelbar daran beteiligt gewesen sein. Ob der Kläger, wie er vorträgt, zur fraglichen Zeit mit dem Auszubildenden Az an der Fräse gearbeitet hat, kann – wie es das Arbeitsgericht zutreffend dargelegt hat – dahinstehen. Denn auch für den Fall, dass dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre damit weder im Hinblick auf das von der Beklagten behauptete Gespräch noch auf dessen Inhalt irgendetwas gesagt. Eine Zeugenvernehmung des Herrn Az hatte daher zu unterbleiben.

(3) Auch der übrige Geschehensablauf rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Schluss, der Kläger habe dem Geschäftsführer gegenüber seine Arbeitsunfähigkeit für den Fall angedroht, dass die streitigen 1.000,00 Euro nicht gezahlt würden. Ob der Kläger von Rechts wegen einen Anspruch auf diesen unstreitig von ihm begehrten Betrag hatte, spielt insofern keine Rolle. Es steht den Arbeitsvertragsparteien jederzeit frei, über die Konditionen ihrer Vertragsbeziehung zu verhandeln und diese gegebenenfalls anzupassen. Zutreffend weist das Arbeitsgericht außerdem darauf hin, dass es befremdlich ist, dass die E-Mail vom 22.04.2022, 00:04 Uhr, mit keinem Wort auf die behauptete angedrohte Arbeitsunfähigkeit eingeht, sondern nur auf den Vorwurf des „unredlichen oder gar betrügerischen Verhaltens“, den der Kläger mit seiner E-Mail vom 21.04.2022, 16:25 Uhr, artikuliert hat. DieseE-Mail ist inhaltlich als Antwort bezogen auf die Nachricht des Geschäftsführers vom 21.04.2022, 13:42 Uhr, mit der dieser eine Erhöhung des Bruttoentgelts angeboten hat. Die E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer ergibt damit auch und insbesondere dann ein stimmiges Gesamtbild, wenn das behauptete Gespräch gegen 15:30 Uhr nicht stattgefunden haben sollte.

dd) Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt wirksam, dass der Kläger dem Mitarbeiter A verboten hätte, Materialen für den D -Auftrag zu bestellen.

(1) Diese Verhalten wäre als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB als schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 08.03.2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 19 mwN).

(2) Der Vortrag der Beklagten rechtfertigt jedoch im hiesigen Fall keine außerordentliche Kündigung. Der Kläger wäre allenfalls abzumahnen gewesen.

(a) Ein tatsächliches Verbot, welches der Kläger bestritten hat, hat die Beklagte nicht dargelegt. Im Zuge der Präzisierung durch Aussagen von Mitarbeitern soll der Kläger in diesem Zusammenhang auf Nachfrage von Herrn A gesagt haben, „dass das noch nicht dran sei und er (Herr A ) heute schon so viele Bestellungen beim Chef vorgelegt hätte, und dass er seine Unterschrift eh nicht bekommt“. Daraus hat das Arbeitsgericht zutreffend den Schluss gezogen, dass der Kläger – der für die Bestellung auch nach Beklagtenvortrag gar nicht zuständig war – allenfalls eine fehlerhafte Einschätzung geäußert habe, aber kein Verbot. Zu weiteren Gesprächssituationen und deren konkreten Inhalt hat sich die Beklagte nicht geäußert.

(b) Selbst, wenn man unterstellen wollte, der Kläger habe Herrn A verboten, die erforderlichen Bestellungen vorzunehmen, ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, dass ihr daraus ein kausaler Schaden entstanden wäre. Dazu wäre es zum einen erforderlich gewesen darzulegen, wann konkret die Beklagte Herrn A mit der Bestellung der Materialen beauftragt hat und bis wann Herr A die Bestellungen spätestens hätte vornehmen sollen. Zum anderen hätte mitgeteilt werden müssen, zu welchem Preis die fraglichen Materialen zu diesem Zeitpunkt hätten bestellt werden können. Die Beklagte hat hier erstinstanzlich zunächst einen „regulären“ Stückpreis iHv. 7,93 Euro behauptet, später einen Stückpreis iHv. 8,55 Euro, ohne aber mitzuteilen, wann diese Stückpreise tatsächlich aktuell gewesen sein sollen.

ee) Die seitens der Beklagten angeführten fehlerhaften Bestandsangaben im Rahmen der Inventur im Januar 2022 rechtfertigen die außerordentliche Kündigung ebenfalls nicht. Auch insoweit rechtfertigt der Beklagtenvortrag allenfalls ein abmahnwürdiges Verhalten. Dass der Kläger bewusst und zielgerichtet Falschangaben bewirkt habe, um damit seine eigene Produktivität besser darzustellen, um sodann Lohnforderungen stellen zu können, hat die Beklagte ohne jeden Anhaltspunkt ins Blaue hinein – und somit unbeachtlich – behauptet. Nichts spricht dafür, dass dem Kläger hier mehr als leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre. Die Beklagte, die nach § 619a BGB auch das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers für eine mögliche Pflichtverletzung darlegen und beweisen muss, hat keinen Sachvortrag erbracht, der auf einen darüberhinausgehenden Verschuldensgrad schließen lassen würde.

ff) Der Vortrag der Beklagten rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Kläger habe den Auszubildenden Az zum Arbeitszeitbetrug angestiftet. Die Beklagte hat weiterhin nicht dargelegt, woraus der Kläger hätte schließen sollen, dass sich der Auszubildende nur ein Brötchen habe holen wollen. Der Einwand der Beklagten, dass der Auszubildende das Gebäude generell nur zu privaten Zwecken bzw. in der Pause verlasse, steht in bemerkenswertem Widerspruch zu ihrer Behauptung, dass der Kläger am 21.04.2022 nicht mit dem Auszubildenden an der Fräse gearbeitet habe, da der Auszubildende am selben Tag einen Dienstgang absolviert habe.

gg) Die außerordentliche Kündigung 03.05.2022 ist auch nicht aufgrund der „wilden“ Entsorgung von Material wegen „strafbarer Sachbeschädigung und/oder Unterschlagung“ gerechtfertigt.

(1) Der Vortrag der Beklagten rechtfertigt nicht den Schluss, dass der Kläger vorsätzlich Bauteile oder sonstiges Material zerstört hat, das zum Zeitpunkt des Ausmistens noch brauchbar gewesen ist. Das Ausmisten des Containers erfolgte im Einverständnis mit dem Geschäftsführer der Beklagten. Dass die von der Beklagten angeführten Gegenstände (mit Ausnahme der USV, dazu sogleich) im Zeitpunkt des Ausmistens noch brauchbar und werthaltig waren, hat der Kläger bestritten, die Beklagte hat es nicht unter Beweis gestellt. Selbst wenn man eine Werthaltigkeit der ausgemisteten Materialien unterstellen wollte, sind keine Umstände dargelegt, die einen über bloße Fahrlässigkeit hinausgehenden Verschuldensvorwurf tragen. Der Kläger wäre im Hinblick auf die unsachgemäße Auslagerung abzumahnen gewesen.

(2) Dem Vortrag des Klägers, dass die USV mit Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten ausgesondert worden seien und abtransportiert werden sollten, was jedoch in der Folgezeit nicht geschah, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten, so dass die Kammer diesen Vortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO ihrer Entscheidung zugrunde zu legen hatte. Danach trifft den Kläger weder ein Verschulden an der Beschädigung noch hat die Beklagte die Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.

hh) Auch der Vorwurf der unsachgemäßen Lagerung der Metalltische im Freien rechtfertigt die fristlose Kündigung nicht. Der Kläger hat dargelegt, dass keine andere Lagerungsmöglichkeit für die Metalltische bestanden habe. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Damit bleibt schon unklar, was nach Auffassung der Beklagten das rechtmäßige Alternativverhalten des Klägers hätte sein sollen. Dass die Metalltische darüber hinaus durch die Aufbewahrung im Freien tatsächlich Schaden genommen hätten oder gar unbrauchbar geworden seien, hat die Beklagte nicht dargetan.

ii) Die fristlose Kündigung ist auch nicht aufgrund der beklagtenseits behaupteten Unterschlagung eines Oszilloskops durch den Kläger gerechtfertigt. Der Kläger hat bestritten, ein entsprechendes Gerät von der Beklagten ausgeliehen zu haben. Einen Beweis für die Übergabe des Gerätes an den Kläger hat die Beklagte nicht angetreten.

jj) Ebenfalls rechtfertigt der seitens der Beklagten behauptete Umstand, der Kläger habe auf Rüge des Geschäftsführers hin die VDE-Konformität im Hinblick auf einen Neubau der Ansteuerung der Prüfstände nicht durchgeführt, keine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung.

kk) Dasselbe gilt, soweit die Beklagte dem Kläger die Überlastung eines Regals vorwirft. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass der Kläger auf entsprechende Anweisung das Regal entlastet haben soll, indem er Platten entfernt hat und weitere Maßnahmen aufgrund der „sich überschlagenden Ereignisse“ nicht mehr getroffen wurden. Dass dem Kläger klar sein musste, dass die von ihm vorgenommene Entlastung unzureichend war, ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht.

ll) Soweit die Beklagte die fristlose Kündigung weiterhin auf den unsachgemäßen Gebrauch der Kappsäge durch den Kläger am 13.07.2019, das Aufbohren des Werkzeugschranks sowie die Beschädigung des Anbohrschutzes beim Austausch des Schließzylinders im Jahr 2021 und die unsachgemäße Entleerung der Reinigungsmaschine am 29.03.2023 beruft, ist die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ersichtlich nicht eingehalten. Die Beklagte hatte in Person ihres Geschäftsführers von allen Vorgängen zeitnahe Kenntnis.

2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Beklagte des Weiteren zur Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis einschließlich Juli 2022 nach §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 2 BGB nebst Zinsen in beantragter Höhe verurteilt. Die zulässigen Klageanträge zu 2. bis 4., die aufgrund Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung anfielen, sind begründet.

a) Die Beklagte ist dem Kläger dem Grunde nach zur Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis einschließlich Juli 2022 aufgrund Ausspruchs der unwirksamen fristlosen Kündigung vom 03.05.2022 verpflichtet. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 BGB keines Angebots des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Diese Mitwirkungshandlung liegt darin, dem Arbeitnehmer für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach einer unwirksamen Kündigung muss deshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten will, die Arbeit wieder zuweisen. Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu muss er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber – wie hier – dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (BAG 19.01.1999 – 9 AZR 679/97 – zu I 1 der Gründe, BAGE 90, 329; ErfK/Preis 23. Aufl. § 615 Rn. 27 ff.).

b) Über die Höhe des Annahmeverzugslohns besteht zwischen den Parteien nur dahingehend Streit, ob sich der Kläger böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen muss. Dies muss er nicht. Der Kläger hat es im fraglichen Zeitraum nicht böswillig unterlassen, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.

aa) Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, sie kann etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen (st. Rspr., zuletzt BAG 29.03.2023 – 5 AZR 255/22 – Rn. 27; 12.10.2022 – 5 AZR 30/22 – Rn. 14 mwN).

bb) Danach liegt kein böswilliges Unterlassen vor.

(1) Bereits der Umstand, dass der Kläger aufgrund seines Bewerbungsverhaltens keine drei Monate nach Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 03.05.2022 bereits zum 01.08.2022 eine neue Anstellung gefunden hat, spricht nach Überzeugung der Kammer für hinreichende Bemühungen des Klägers. Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände ist nach Ausspruch einer fristlosen Arbeitgeberkündigung regelmäßig nicht anzunehmen, der Arbeitnehmer hätte es böswillig unterlassen, eine zumutbare Tätigkeit anzunehmen, wenn er binnen drei Monaten eine neue Stelle findet und antritt. Der nach Kündigungsausspruch einzuleitende Bewerbungsprozess durchläuft regelmäßig mehrere Stagen (zumeist beginnend mit der Sichtung von Stellenangeboten, sodann dem Verfassen und Versenden von Bewerbungen, schließlich der Durchführung eines Vorstellungsgesprächs, u.U. auch der Teilnahme an einem Assessment-Center) und dauert für gewöhnlich mehrere Wochen. Zumindest wenn das Berufsbild des Arbeitnehmers nicht einem besonders schnelllebigen Bereich des Arbeitsmarkts zugeordnet werden kann, kann zunächst ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer hinreichende Bemühungen um eine neue Anstellung an den Tag gelegt hat, wenn er binnen drei Monaten eine solche erlangt.

(2) Das Arbeitsgericht hat ein böswilliges Unterlassen darüber hinaus zutreffend mit der Erwägung verneint, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum zumindest 15 Bewerbungen geschrieben hat und Auflagen der Bundesagentur gefolgt ist. Die zur Akte gereichten Bewerbungen lassen nicht den Schluss zu, die Bewerbungen seien nur zum Schein abgegeben worden. Die Beklagte hat insoweit auch nichts moniert.

(3) Die Auskunft des Klägers zu seinen Bemühungen bei der Suche eines neuen Arbeitsplatzes konnte die Kammer ihrer Beurteilung ohne weiteres zugrunde legen, berechtigte Bedenken an ihrer Richtigkeit hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Der Kläger war nicht verpflichtet, seine Angaben über die Bewerbungen, Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und das Ergebnis der einzelnen Bewerbungsverfahren für den Zeitraum von Mai 2022 bis Juli 2022 an Eides statt zu versichern. Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der nach § 260 Abs. 2 BGB analog (vgl. dazu BAG 29.07.1993 – 2 AZR 110/93 – zu II 3 a der Gründe, BAGE 74, 28) erforderliche Grund zu der Annahme, dass die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist, nicht besteht. Derartige Gründe hat die Beklagte nicht dargetan. Der Umstand, dass sich der Kläger im erstinstanzlichen Kammertermin geweigert haben soll, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, begründet die Besorgnis der Unrichtigkeit und Unvollständigkeit nicht. Diese Begründung ist erkennbar zirkelschlüssig: Die eidesstattliche Versicherung ist erst abzugeben, wenn hinreichende Gründe dargetan sind; sie ist Rechtsfolge, nicht (negative) Voraussetzung des Anspruchs.

c) Der Zinsanspruch folgt jeweils aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 614 Satz 1 BGB.

3. Der Widerklageantrag zu 1. ist mit seinem zuletzt verfolgten Schadensersatzbegehren unzulässig, darüber hinaus unbegründet.

a) Die Beklagte verfolgt zuletzt mit dem Widerklageklageantrag zu 1. mehrere Schadensersatzansprüche, die sich nach ihrem Vortrag – einschließlich des Schadensersatzbegehrens im Hinblick auf den D -Auftrag – auf insgesamt 27.098,29 Euro summieren, von denen jedoch lediglich 23.978,24 Euro als Teil des Gesamtschadens geltend gemacht werden sollen. Erstinstanzlich hat die Beklagte lediglich Schadensersatz in dieser Höhe im Hinblick auf die nicht erfolgten Bestellungen bezüglich des D -Auftrags geltend gemacht, diesen Betrag im Laufe des Verfahrens jedoch nur noch mit 9.225,00 Euro angegeben, ohne ihren Antrag entsprechend anzupassen oder mitzuteilen, dass nunmehr weitere Schadenspositionen – und damit weitere Streitgegenstände – mit diesem Antrag gerichtlich verfolgt werden sollen. Diese Klarstellung erfolgte erstmals im Rahmen der Berufungsbegründung. Die damit einhergehende (Wider-)Klageänderung ist nach Maßgabe der §§ 533, Abs. 1 Nr. 1 Fall 1, Nr. 2, 263, 267 ZPO zulässig.

b) Der Widerklageantrag zu 1. ist in der zuletzt gestellten Form mangels hinreichender Bestimmtheit nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig.

aa) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Kläger muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung er begehrt. Er hat den Streitgegenstand dazu so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat. Bei mehreren im Wege einer objektiven Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in einer Klage verbundenen Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die „Gesamtklage“ zusammensetzt. Werden im Wege einer „Teil-Gesamt-Klage“ mehrere Ansprüche nicht in voller Höhe, sondern teilweise verfolgt, muss die Klagepartei genau angeben, in welcher Höhe sie aus den einzelnen Ansprüchen Teilbeträge einklagt (BAG 11.11.2009 – 7 AZR 387/08 – Rn. 11; BGH 06.05.2014 – II ZR 217/13 – Rn. 13; Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 253 Rn. 15).

bb) Danach ist der Widerklageantrag zu 1. nicht hinreichend bestimmt. Die nunmehr behauptete Gesamtschadenssumme iHv. 27.098,29 Euro – welche weiterhin den behaupteten Schadensposten im Hinblick auf den D -Auftrag enthält – übersteigt den eingeklagten Betrag iHv. 23.978,24 Euro, ohne dass klar wäre, in welcher Höhe die einzelnen Teilbeträge geltend gemacht werden sollen. Tatsächlich ist noch nicht einmal der Gesamtbetrag nachvollziehbar, er ergibt sich nämlich nicht aus der Addition aller von der Beklagten in das Verfahren eingebrachten Schadenspositionen.

c) Der Widerklageantrag wäre darüber hinaus auch unbegründet. Die Beklagte hat auch materiell keinen weiteren Anspruch auf Schadensersatz gegen den Kläger aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB. Die maßgeblichen Erwägungen hierzu finden sich im Wesentlichen bereits in den Entscheidungsgründen zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung. In der gebotenen Kürze hebt die Kammer hier nur Folgendes hervor:

aa) Im Hinblick auf den behaupteten „Inventurschaden“ kann dem Beklagtenvortrag nicht mehr als ein leicht fahrlässiges Verhalten des Klägers entnommen werden. Nach den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung (ständige Rspr., vgl. dazu BAG 22.03.2018 – 8 AZR 779/16 – Rn. 49 mwN) kann der Kläger für leicht fahrlässiges Verhalten aber nicht haftbar gemacht werden.

bb) Dieselben Erwägungen gelten im Hinblick auf die behauptete Zerstörung von Bauteilen und Material mittels Entsorgung auf der „wilden Müllkippe“. Dass der Beklagten durch das „Ausmisten“ tatsächlich ein Schaden entstanden ist, hat sie nicht nachweisen können. Im Hinblick auf die ausgesonderten USV fehlt es hinsichtlich des behaupteten Schadenseintritts an einem Verschulden des Klägers.

cc) Im Hinblick auf die im Freien gelagerten Metalltische rechtfertigt der Beklagtenvortrag weder die Annahme eines schuldhaften Verhaltens des Klägers noch die Annahme eines Schadenseintritts.

dd) Soweit die Beklagte Schadensersatz für die behauptete Unterschlagung eines Oszilloskops begehrt, fehlt es bereits am Nachweis, dass der Kläger dies tatsächlich von der Beklagten ausgeliehen bekam.

ee) Mit Blick auf das überlastete Regal fehlt es ebenfalls an Tatsachenvortrag, der auf einen Verschuldensgrad von mehr als leichter Fahrlässigkeit schließen lassen würde.

ff) Soweit die Beklagte schließlich Schadensersatz im Hinblick auf den beschädigten Anbohrschutz vom Kläger verlangt, hat sie zum einen nicht nachgewiesen, dass der Anbohrschutz tatsächlich durch das Auswechseln des Schießzylinders durch den Kläger beschädigt worden ist. Der Kläger hat dies bestritten. Zum anderen fehlt auch hier Vortrag, der auf ein mehr als leicht fahrlässiges Verhalten schließen ließe.

d) Folglich scheidet auch der geltend gemachte Zinsanspruch aus.

4. Der zulässige Widerklageantrag zu 2. ist ebenfalls unbegründet. Es wird Bezug genommen auf die Ausführungen zu II 2 b bb (3) der Entscheidungsgründe.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision iSd. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

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